Skip to main content

Full text of "CARL PHILIPP EMANUEL UND WILHELM FRIEDEMANN BACH UND DEREN BRUDER"

See other formats


I 


780.92  BiiSb 


Tip  Volume  is  for 
REF&ENCE  USE  ONLY 


^l^tol^ 


p.  PH,  ^MANUEL 


CARL  PfflJPP  EMAMJEL 


UND 


WILHELM  FRIEDEMAM  BACH 

UND  DEEEN  BEUDEE. 


VON 


C.  H.  BITTER. 


KRSTKR  BA3STD. 


MIT  PORTRAIT  TJND  FACSIMILE  YON  CARL  PHILIPP  EMANUEL  BACH, 
SOWIE  ZAHLREICHEN  KUSIKBEILAGrEN. 


BERLIN,  IMS, 

VERLAG  VON  W1L\. 


165  a. 


Das  Reclit  der  Uebersetzung  in  freuide  Sprachen  bleibt  vorbelialten. 


Ihrer  Majestat 

der 

Konigin  Augusta 

TOII  Preussen 


in  tiefster  Unterthanigkeit 


von 


dem  Verfasser. 


Merdurchlauchtigste,  Grrossmachtigste 
Konigin, 

Allergnadigste  Kimigin  mid  Fran! 

Die  beiden  grossen  Kiinstler,  deren  Andenken  dieses 
Bucli  gewidmet  1st,  entstammten  einem  Orte,  dessert 
Greschichte  mit  der  Bltithe  der  deutschen  Knnst  seit 
langer  als  einem  Jahrhundert  "and  bis  in  die  neueste 
Zeit  hinein  anf  das  engste  verwachseii  ist,  dessen 
fiirstlichen  Gebietern  die  deutsche  Nation  nicht  ge- 
ringeren  Dank  schuldet,  als  ihren  edelsten  Geistern. 

Eure  Konigliche  Majestat,  diesem  erlaucL.- 
ten  Fiirstenhause  entsprossen,  werden  in  dem  ge- 
schichtlichen  Hintergrunde  der  nachfolgenden  bio- 
graphischen  Schilderungen  zugleich  den  Abglanz 
jenes  Lichtes  erkennen,  das  von  dem  Koiiiglichen 
Throne  .Preussens  her  auf  die  Culturentwickelung 
des  vorigen  Jahrhunderts  seine  belebenden  Strahlen 
geworfen  hat. 

Aus  der  Betrachtung  dieser  Verhaltnisse  tritt 
vor  Allem  das  Andenken  an  Carl  Philipp 
Emanuel  Bach  hervor,  der,  wie  wenige  seiner 


VI 

Zeit,  geholfen  hat  die  Bahnen  zu  eroffnen,  die 
Wege  zu  ebnen,  auf  deuen  die  deutsche  Kuust  zu 
der  glanzvollen  Holie  emporsteigen  konnte,  auf  der 
wir  sie  jetzt  bewimdern. 

Indem  ich  dies  Buch  in  diesem  Simie  Eurer 
Koniglichen  Majestat  zu  Fiissen  lege,  wollen 
Allerhochst  Dieselben  gerahen,  den  Ausdruck 
tiefster  Ehrerbietung  zu  gestatten,  in  welcher  ich 
verharre 


Eurer  Konigliclien  Majestat 


Mannheim,  im  October 
1867, 


unterthanigster 

Bitter, 

K.  Preuss,  Gcheimer  Eegierungs  Rath. 


Vorwort 


l/er  Verfasser  der  nachfolgenden  Schrift  hat  in  seiner 
Biographie  Joh.  Seb.  Bach's  (Berlin  bei  Schneider.  1865. 
Th.  II.  S.  370)  darauf  hingewiesen,  dass  er  uber  die  Lebens- 
Schicksale  der  vier  Sohne  jenes  grossen  Meisters  in  abge- 
sondertem  Werke  Bericht  erstatten  wercle. 

Indem  er  diesem  Versprechen  nachkoinDat,  ist  es  ihni 
eine  angenehme  Pflicht,  der  wohlwollenden  Hilfe  zu  ge~ 
denken,  die  ihm  bei  seiner  miihsamen  Arbeit  von  so  vielen 
Seiten  her  zu  Theil  geworden  ist.*) 


*)  Zu  besonderem  Danke  verpflichtet  ist  der  Verfasser  auch  bei 
dieser  Arbeit  dem  Hrn.  Espagne,  Gustos  der  Konigl.  Bibliothek  zu 
Berlin,  nicht  minder  dem  Hrn.  Alfred  Dorffel,  Besitzer  eines  musi- 
kalischen  Leih-Instituts  zu  Leipzig.  Ebenso  hat  er  mit  lebhaftester 
Erkenntlichkeit  der  wohlwollenden  und  entgegenkommenden  Unter- 
stutzung  Erwahnung  zu  thun,  die  ihm  durch  den  Director  des  Konigl. 
Conservatoirs  zu  Briissel,  Hrn.  F6tis,  so  wie  durch  Hin.  M.  Fiir- 
stenau,  Kammer-Musikns  und  Privat-Bibliothekar  Sr.  Maj.  des  Koniga 
von  Sachsen  zu  Theil  geworden  ist. 

Yon  Seiten  des  FiirsU.  Biickeburgischen  Ooncertmeisters  Hrn1. 
Guloniy,  von  Hrn.  Professor  L.  Nohl  zu  Miinchen,  endlich  von 
seinem  treuen  Jugendfreunde,  Hrn.  Kegierungs-Bath  von  Raumer 


YIII 

Die  Quellen,  welohe  liber  die  Sohne  Bach's  Aufschluss 
geben  konnteD,  fliessen,  obschon  deren  Lebenszeit  unserm 
Jahrhundert  so  viel  naher  liegt  als  die  des  Vaters,  fast 
noch  sparlicher  als  bei  diesera. 

Und  doch  war,  wenn  auch  bei  zweien  derselben  das 
kunst-  und  culturhistorische  Interesse  weniger  erheblich 
1st,  das  Leben  0.  Ph.  Emanuel's,  des  Zwcitgobomen 
Sebastian  Bach's,  fur  die  Geschichte  dor  Musik  wio 
fur  die  methodische  Entwickelung  einzelnor  Zweige  der- 
selben von  dor  allergrossesten  Bedeutung,  wahrend  ein 
Ruckblick  auf  das,  was  Friedemann  der  Kunst  gewesen 
und  was  er  ihr  hatte  sein  kSnnen,  im  hochsten  Grade 
belehrend  ist. 

JBine  erschopfende  Wurdigung  desaen,  was  E matin  el 
Bach  gewollt  und  was  er  erreicht  hat,  findet  bei  der 
ausserordentlichen  Vielseitigkeit,  in  der  sein  Streben  sich 
bewegte,  nicht  geringe  Schwierigkeiten.  An  positiven 
Qrandlagen  hat  es  bisher  hicftir  gefehlt, 

Sein  Leben  war  ausserdein  ein  so  einfach  biirgorliches, 
jedem  romanhaften  Anfluge  so  vollig  fremdes,  dass  cine 
geeignete  Darstellung  desselben  katim  anders  als  in  der 
Darlegung  seiner  zahlreichen  Werke  erfolgen  kann. 

Dies  ist  der  Standpnnkt,  von  deni  aus  der  Verfasser 
an  seine  Arbeit  gegangen  ist.  Er  hofft  in  derselben  das 
Lebensbild  eines  Mamies  gogeben  zu  haben,  der  wie  sein 
grosser  Vater  ein  durch  und  durch  Deutscher  Kiinstler, 


zu  Frankfurt  a.  0.  ist  ihm  in  gloich  dankenswerther  und  bcreitwilliger 
"Weise  dn^5  freundscbaftlichste  Unterstiitzung  im  Ansainme]ii  utid  Her- 
beischaffen  des.  Materials  gewiilirt  worderi. 


IX 

wohl  werth  1st,  der  lebenden  Generation,  die  ihn  fast  ver- 
gessen  hat,  in's  Gedachtniss  zuruckgerufen,  ihrem  ehrenden 
Andonkon  empfohlen  zu  werden. 

Mochtc  dei^  Versuch  hlezu  einem  gleich  nachsichtigen 
Urtlieilc  begegnen,  als  der  Biographie  Sebastian  Bach's 
zu  Theil  geworden  ist. 

Mannheim,  im  August  1867. 


Der  Verfasser, 


Inhalt 

des  ersten  Bandes. 
Carl  PMlipp  Emanuel  Bach, 


Seite 

Einleitung 1 

Cap.  I.    Jugend,  Erziehung,  Studienzeit,  Aufenthalt  und  An- 

stellung  in  Berlin 5 

Cap.  II.    Compositionen  wahrend  dieser  Zeit: 

A.  Clavier-Compositionen 35 

B.  Theoretiscbe  Arbeiten 91 

C.  Cornpositionen  fur  die  Orgel  und  fiir  andere 
Instruments 114 

D.  Kircben-Musiken 117 

E.  Die  weltliclien  und  geistlichen  Lieder.    .    .  137 

F.  Weltliche  Cantaten 155 

G.  Seb.  Bach's  vierstimmige  Chorale     ....  164 

Cap.  HI.    Biographisches  liber  die  Zeit  in  Berlin 169 

Cap,  IV,    Anstellung,  Aufenthalt  und  Lebens-VerhSltnisse  in 

Hamburg 174 

Cap  V,    Compositionen  wahrend  der  Hamburger  Zeit  ...  196 

A.  Clavier-Compositionen 196 

B.  Instrumental-Coinpositionen 236 

C.  Kirchen-Musiken 243 

Anhang  zum  ersten  Bande,  mit  besonderem  Inhalts-Verzeichniss  323 


Einleitung* 


Jus  giebt  in  der  Kunstgeschichte  Erscheinungen,  deren 
absoluter  Werth  bei  oberflachlicher  Anschauung  nicht  yon 
der  Bedeutung  zu  sein  scheint,  dass  es  sich  lohnte,  ihrem 
Entwickelungsgange  mit  sorgfaltiger  Prufung  zu  folgen. 

Viele  durften  der  Meinung  sein?  dass  Carl  Philipp 
Emanuel  Bach  diesen  Kimstgrossen  zweiten  Ranges  an- 
gehdre. 

Seine  eigene  Zeit  war  dieser  Meinung  nicht.  Sie  Welt 
ihn  fur  den  ersten  aller  lebenden  Tonsetzer. 

Das  Andenken  an  seinen  grossen  Vater  war  ge- 
schwunden.  Was  dieser  geschaffen  hatte,  harrte,  in  ver- 
gilbende  Papierstosse  zusammengebunden,  einer  fernen  Auf- 
erstehung  oder  flatterte  als  Gegenstand  des  Studiums  fiir 
wenige  Auser-lesene  hierhin  und  dorthin.  Der  tiefe  Ernst 
in  Sebastian  Bach's  Werken  war  von  seiner  Zeit  nicht 
yerstanden  worden.  Handel's  Oratorien  hatten  ihren 
Weg  nach  Deutschland  noch  nicht  gefunden;  Graun,  der 
yiel  bewunderte  und  gefeierte  Sanger,  lebte  ausserhalb  der 
Opernbiihne  Friedrichs  des  Grossen  nur  in  seinem 
Tod  Jesu,  Hasse  nur  noch  in  wenigen  Opern  in  dem 
Bewusstsein  seiner  Zeitgenossen  fort.  Die  italienische 

'Bitter,  Emanuel  und  Friedemann  Bacn,  1 


Kirchenniusik  war  noch  kaum  iiber  die  Alpen  gedrungen; 
Alles  iibrige  gehorte  den  Greistern  zweiten  Ranges  an,  aus 
deren  Reihen  erst  spater  Joseph  Haydn  in  den  Vorder- 
grund  heraustrat. 

Dem  gegeniiber  war  die  melodische  gesangvolle  Schreib- 
art  Ernanuel  Bach's,  obschon  auch  in  ihr  noch  Vieles 
fur  sonderbar?  auffallend,  unverstandlich  galt?  doch  deni 
Auffassungsverrnogen  seiner  Zeitgenossen  zuganglicher,  als 
die  tiefsinnigen  Toncombinationen  seines  grossen  Vaters  es 
gewesen  waren.  Eine  ungeheure  Anzahl  von  Tonwerken 
jeder  Art  war  durch  ihn  in  niehr  als  vierzigjahrigern 
Schaffen  an  der  lebenden  Generation  voriibergefuhrt  wor- 
den.  Ein  Leben,  von  ehrenwerther  Ordnung  erfullt,  durch 
Fleiss  und  Arbeit  ausgezeichnet,  hatte  die  Mitwelt  daran 
gewohnt,  in  ihni  den  ,,Vater  der  Musiker  und  des 
Olavierspiels"  zu  verehren.  Seine  ausserordentliche 
Virtuositat  und  das  Neue,  Frappante  in  seinen  Ideen  und 
Formen,  dies  alles  bot  reichen  Stoff  zur  Bewunderung  und 
zuni  Vergleich  rnit  Anderen.  War  es  da  zu  verwundern, 
wenn  man  ihn  nach  und  nach  zu  einer  Hohe  erhob,  vor 
der  die  grossen  Vorganger,  wie  die  Tonsetzer  seiner  eigenen 
Zeit7  zuritckzuweichen  schienen? 

Die  Nachwelt  hat  weniger  emphatisch  fiber  ihn  ge- 
urtheilt.  * 

Aus  der  Saat,  die  er  ausgestreut  hatte,  waren  neue 
Bliithen,  eine  reichgesegnete  Frucht  -  Erndte  emporge- 
wachsen,  und;  wie  es  zu  geschehen  pflegt,  der  den 
Keim  dazu  gelegt,  die  schone  Gegenwart  moglich  ge- 
machfc  hatte ,  ward  vergessen,  wie  sein  Vater  vergessen 
worden  war. 

So  kampfen  und  wechseln  die  Gestaltungen  des  Lebens 
kin  und  her?  Nebelmassen  vergleichbar,  die  sich  am  Saume 
des  Gebirges  der  Sonne  entgegenballen. 

Hatte  die  eigene  Zeit,  vielleicht  nicht  rnit  voller  Be- 
rechtigung,  Enianuel  Bach  auf  die  hocJhste  Stufe  gestellt, 
die  sie  dem  Kiinstlergange  eines  grossen  Grenius  zuerkennen 


^    g    t 

konnte,  so  war  die  ihr  folgende  Periode,  indem  sie  ihn 
liber  vielen  Minderberechtigten  vergass,  gegen  ihn  un- 
gerecht. 

Unserem  Zeitalter  1st  es  vorbehalten,  dies  Unrecht  zu 
siihnen.  Die  Werke  des  Vaters  steigen  nach  und  nacli  aus 
dem  Dunkel  und  dein  Staube  der  Vergessenheit  an  das 
schone  Licht  des  Tages  zuriick,  und  was  der  Sohn  der 
Kunst  gewesen,  beginnt  inehr  und  inehr  gewitrdigt  zu 
warden. 

Mit  Sebastian  Bach  und  Handel  hatte  die  alte 
Schule  evangelischer  Tonsetzer,  die  Schule  der  deutschen 
Contrapunktisten  den  Kreislauf  ihrer  ernsten  Aufgabe  er- 
ftillt.  Ueber  keinen  von  beiden  konnte  die  Nachfolge  hin- 
aus.  Es  bedurfte  eines  verniittelnden  Elements,  um  von 
ihrer  strengen  Gfrosse  zu  der  bliithenreichen  Pracht  der 
neueren  Tonschopfungen  zu  gelangen. 

Den  Briidern  Friedemann  und  Enianuel  Bach  war 
diese  grosse  und  schone  Aufgabe  als  Erbtheil  ihres  Vaters 
zugefallen. 

Der  altere  von  ihnen  hat  dieses  Vermachtnisses  nicht 
geachtet.  In  eigensinnigem  Beharren  auf  den  alten  Batmen 
fortschreitend  wollte  er  der  neuen  Zeit  aufzwingen,  was 
schon  die  Vergangenheit  aus  den  Handen  so  viel  Grosserer 
kauni  hatte  annehmen  wollen.  So  niusste  er  resultatlos  zu 
Grunde  gehen. 

Dagegen  hat  Emanuel  Bach  nicht  allein  den  Reich- 
thum  der  Arbeiten  seines  Vaters,  so  weit  er  ihn  empfangeii 
hatte,  init  treuem  Sinne  auf  bewalui,  sondern  auch  die  kiinst- 
lerische  Aufgabe  erfiillt,  in  deren  Pflege  er  erzogen 
worden  war. 

Sein  Vater,  der  deni  Rathe  zu  Leipzig  missliebige 
Cantor  der  Thomasschule  hatte  dieseni  einst  zugerufen: 
,,Die  Kunst  ist  uin  sehr  viel  gestiegen,  der  Gusto 
hat  sich  verwunderungswiirdig  gekndert.  Die  alte 
Art  der  Musik  will  unsern  Ohren  nicht  mehr  klin- 


gen!"  Was  war  es7  das  er  rait  diesen  bemerkenswerthen 
Worten  hatte  ausdrticken  wollen? 

Er  wolltesagen:  Niclit  zum  Stillstand  ocler  Riick- 
gang,  sondern  zum  Fortschritt,  zin  der  neuen  Art 
der  Mu'sik  sind  wir  berufen! 

Der  Sohn;  von  dem  Ideengange  der  grossen  Zeit  er- 
fiillt,  die  ihn  umgab,  unter  den  belebenden  Strahlen  der 
Sonne  Friedrichs  des  Einzigen  ihren  Grimclsateen 
folgend?  trat  mit  kiihnem  Sinn  aus  dem  Banne  der  alien 
Kreise  heraus,  um  seiner  Kunst  der  Zukunft  liellglanzende 
Pforten  zn  ojffnen. 

So  ist  seine  Besonderheit,  sein  Wesen,  Schaffen  und 
Wirken  in  Wahrheit  einer  eingehenden  Betrachtung  werth. 


Capitel  I 

Jngend;  Erziekmg,  Studienjalire,  Aufenthalt  und 
Anstellung  in  Berlin. 


(j&rl  Philipp  Emanuel,  der  dritte  Sohn  Sebastian 
Bach's  mit  clessen  erster  Gattin  Maria  Barb ara,  (jtingsten 
Tochter  des  Johann  Michael  Bach,  seiner  Zeit  Orga- 
nisten  und  Gemeindeschreibers  zu  Gehren)  war  am  14.  Marz 
des  Jahres  1714  zu  Weimar  geboren,  grade  in  der  Zeit, 
wahrend  deren  sein  Vater  einen  so  wenig  erfreulichen 
Briefwechsel  mit  dem  Vorstande  der  Liebfrauen-Kirchezu 
Halle  zu  fuhren  hatte.  Sein  alterer  Bruder  Wilhelin 
Friedemann  stand  bereits  in  seinern  vierten  Lebensjahre. 
Ein  anderer  Bruder,  Johann  Christoph,  1713  geboren, 
war  wieder  gestorben. 

So  hat  jene  friedliche  Residenz  des  sachsisch-thtirin- 
gischen  Fiirstenhauses,  dein  die  deutsche  Kunst  so  vielen 
Dank  schuldet,  nicht  nur  der  Bltithezeit  des  Vaters  ge- 
lachelt,  sondern  auch  den  Mann  in's  Leben  treten  sehen; 
der  zwischen  seiner  unnahbaren  Grosse  und  der  glanzenden 
Zukunft  der  Musik,  die  bald  genug  mit  ihren  Kunstbliithen 
der  Welt  erscheinen  sollte,  als  Verbindungs-  und  Vermitte- 
lungsglied  zu  dienen  bestimmt  war. 

Die  Jugendzeit  vieler  Manner,  denen  eine  grosse  Be- 
stimmung  zu  Theil  geworden,  hat  das  Bild  bewegter,  selt- 
samer  Lebensverhaltnisse  geboten.  Von  solchen  1st  in  den 
Kinderjahren  Emanuel  Bach's  nichts  bemerkbar,  Es 
war  der  normale  Gang  der  Pamilie,  wie  er  sich  in  kleinen 


—    6    ~ 

Stadten  zu  gestalten  pflegt,  die  Umgebung  einos  thiitigon 
Kunstlerlebens,  in  dem,  was  geiordcrt  wurdc  zur  Elirc 
Gottes  geschah,  innerhalb  deren  die  ersten  Jahro  seiner 
Kindheit,  seine  Knaben-  mid  Lehrzcit  verlaufon  sollten. 

Ihm  hatte  die  Natur  einen  hoitcren  khiren  ISimi  vcr- 
liehen,  der  sich  an  das  Leben  ansehmicgen  konnte,  wio  es 
ihm  grade  entgegen  kain.  Schon  in  fruhcr  Zeit  tnit 
der  ihm  spater  so  eigcnthumlicho  Hung  zum  Mutlnvilien 
und  zur  Neckerei  hcrvor1).  Ucber  Him  waltcto  die  Liebe 
eines  Vaters,  der  in  eigener  barter  Schulc  erwtnrkt,  ihm 
mit  festem  Sinno  die  Balm  vorzuzcichnon  vorrnochto, 
die  er  innehalten  sollte,  bis  er  mit  sclbstandigoui  Willen 
sich  bewogen  durfte.  So  bietet  die  Jngcndzeit  E  in  an  no  1 
Bach's  kein  Suchcn  mid  Irrcn,  kcin  Auswoichon  nach 
rechts  odcr  links ;  kein  iSchwanken  mid  Flatten*  von  hicr 
nach  dort,  sondcrn  sie  zcigt  den  ruhigcn  Gang  ctner  von 
sicherer  Hand  geleiteten  Erzielmng,  dercn  wohlthiitigo 
Reflexe  sich  bis  in  seine  spiiteste  Lebenszcit  beinerkbar 
machen. 

Als  sein  Vater  Weimar  verlioss,  war  er  3  Jahro  alt. 
In  seinem  10.  Jahre  stehend  kain  er  nach  Leipzig.  Er 
selbst  sagt  uber  seine  Jugendzeit  in  dor  biographisehen 
Skizze;  die  er  im  Jahre  1773  aufgozcichnot  hat,  niehts  als2): 
?3Nach  geendigten  Schulstudion  auf  der  Loipzigor  Thomas- 
Schule  habe  ich  die  Rechte  sowohl  in  Leipzig  als  naehhcr 
in  Frankfurt  an  der  Oder  studirt." 

Diese  magere  Notiz  ineldet  ebcn  nur  die  nackte  That^ 
sache,  dass  er  seine  Schulzeit  mit  bcsondoroin  Erfolge 
duroharbeitet  hatte.  Noch  in  spateren  Lebensjahren  zeigto 
er  gern  die  gtmstigen  Zeugnisso  vor,  die  er  hicrtiber 
von  dem  damaligen  Rector  Ernes ti  in  Handen  Jiattc. 
Sonst  weiss  inan;  dass  er  im  Jahre  1735,  also  in  scinoni 
21.  Jahre ;  nach  Frankfurt  zur  Univcrsitkt  gogangen  und 

1)  Rochlitz,  fiir  Freunde  der  Tonkunst.  I    280. 

2)  Burney,  Musik.  Eeise.  Th,  III. 


dass  er  dort  bis  zuin  Jahre  1738,  also  3  Jahre  geblieben 
war.  Da  er  nun  schon  voriior  in  Leipzig  eine  Zeit  lang 
dem  Studium  der  Rechte  obgelegen  hatte,  so  lasst  sick 
schliessen,  dass  or  etwa  bis  zum  Ende  seines  19.  Lebens- 
jahres  (1733)  die  Thomas  -  Schule  besucht  bat. 

In  dieser  Anstalt,  die  grade  in  den  letzten  Jahren 
seiner  Schulzeit  unter  Gessner7s  Leitung  stand,  wurde;  wie 
bekannt,  ein  gelehrter,  streng  wissenschaftlicher  Unterricht 
crtbeilt.  Diejenigen,  die  auf  ihr  die  Reife  zur  Universitat 
eiiangten,  verliessen  sie  mit  der  vollendeten  Schulbildung 
ihrer  Zeit. 

Wenn  man  dies  und  die  vier  Studienjalire  Em  ami  el 
Bach's  in  Leipzig  und  Frankfurt  im  Auge  behalt,  so  wird 
man  leicht  erkennen,  dass  er  in  sorgfaltiger  Erziehimg  zu 
einer  hoheren  Bildung  gereift  sein  musste?  als  der  Mchr- 
zahl  seiner  Standesgenossen  sonst  zu  Thcil  zu  werden 
pflegte. 

Diese  Wohlthat  hat  ihn  durch  sein  Leben  beglcitet. 
Er  war  mit  Grraun  der  einzige  Musiker  aus  der  ersten 
Halfte  des  Jahrhunderts?  der  derFeder  vollig  gewachsen  war. 

Ueber  den  Grang7  den  seine  musikalischen  Studien  ge- 
nommen  haben,  ist  nur  wenig  bekannt.  Er  selbst  sagt 
davon:  77In  der  Composition  und  ini  Clavierspielen  Kabe 
ich  nie  einen  anderen  Lehrmeister  gehabt  als  ineineii 
Vater." 

Freilich  war  dieser  Lehrmeister  der  erste,  den  die 
Welt  damals  aufzuweisen  hatte.  Und  sonach  ist  in  jcnen 
wenigen  Zeilen  genug  gesagt.  Dass  er  ausser  dem  Clavier 
(und  selbstverstandlich  der  Orgel)  noch  andere  Instrumente 
spielen  gelernt  habe,  davon  ist  nirgends  eine  Spur  zu  ent- 
decken.  Reichardt,  der  mit  der  Lebensgeschichte  Bach's 
bekannt  genug  geworclen  war,  behauptet1),  dass  dersclbe 
von  Natur  aus  links  gewesen  sei,  und  daher  in  der  ersten 


')  Selbst  -Biographic.    Leipzig.   Allg.Mus.-Ztg.    Jahrg.  16  (1814) 
No.  2. 


Jugend  manche  Instrumente  verkehrt  getrieben  Iiabo.  Viol- 
leicht  war  dieser  Uinstand  die  Vcranlassung,  dass  dor  Vater 
ihm  nicht  auch  wie  dem  ixltercn  Fricdemann  Untorrioht 
auf  der  Violine  geben  licss.  Dass  or  abor  ebon  mir  das 
Clavier  erlernt  hatte,  1st  in  jedem  Fallo  fiir  die  Bctrach- 
tung  des  Entwickelungsganges,  den  sein  Lobcn  gcnoinmen 
hat,  von  nicht  geringer  Wiclitigkcit.  Down  dadurch,  class 
dieses  Instrument  das  cinzige  war,  mit  dosaon  Uobung  or 
sich  zu  bcschaftigen  hatte,  ist  er  offenbar  darauf  hingolcitct 
worden,  dasselbe  aucli  fur  die  Composition  als  soiu  Haupt- 
Instrument  zu  betrachten. 

Hilgenfeld  sagt  von  ihm J)  (cs  ist  nicht  bckannt, 
auf  Grand  welcher  Thatsachon):  ;?Soin  Vater  widmetc 
ihn  den  Wissenschaften.  Musik  sollto  er  nur  zu  seiner 

Freude  lernen Aber  durch  den  Untorriclit,  den  er 

von  seinem  Vater  erhielt?  so  wie  durch  den  fortwtihrenden 
Umgang  mit  Kimstlern,  die  seines  Vatcrs  Hans  bosuchton, 
hatte  er  die  beste  Crelegenheit;  sich  mit  Allom;  was  zur 
Musik  gehort,  grlindlich  bekannt  zu  machen  uncl  seinen 
Geschmack  auszubilden,  sich  aber  auch  mit  den  ver- 
schiedenartigen  Richtungen  desselben  vertraut  zu  machen. 
So  wurde  aus  ihrn  ein  griindlicher  Musiker  und  inustor- 
hafter  elegant  er  Clavierspieler." 

Auch  Rochlitz  spricht  Aehnliches  von  ihm  axis2). 

Hiernach  ware  es  wesentlich  dem  Zufall  zuzuschi'cibon 
gewesen?  dass  Enianucl  Bach  Musiker  gewordon. 

Dies  ist  indess  schwer  zu  glauben.  Dass  Sebastian 
Bach;  dem  die  moglichst  sorgfaltigo  Erziehung  seiner 
Kinder  sehr  am  Herzen  1%?  ihm  cine  wissenschaftlich 
griindliche  BUdung  zu  Theil  werdon  und  ihn  spater  die 
Rechte  hat  studiren  lassen,  berechtigt  an  und  fiir  sich  zu 
dieser  Annahme  nicht.  Denn  auch  Friedoinann,  der 
unzweifelhaft  fiir  die  Musik  bestimmt  war?  dossen  ganze 


A)  J.  S.  Bach.    g.  10. 

2)  Tiir  Freunde  der  Tonkunst.    Bd.  I.  278. 


g 

Natur  darauf  hindrangte,  ihn  zurn  Kiinstler  zu  machen, 
und  der  noch  eine  Zeit  lang  mit  seinem  Bruder  Emanuel 
gerneinschaftlich  von  dern  Vater  unterriclitet  wurde,  hatte 
Philosophic,  Jura  und  Mathematik  studirt.  Im  Allgemeinen 
aber  war  es  Sitte  der  Zeit,  dass  die  Eltern,  welche  irgend- 
wie  die  Mittel  dazu  crschwingen  konnten,  ihre  Sohne  auf 
die  Universitaten  schickten,  auch  wenn  es  nicht  eigentlich 
in  ihrer  Absicht  lag,  das  Studium  die  Grundlage  ihrer 
Lebensstellung  werden  zu  lassen.  Agricola,  6  Jahre 
jtinger  als  Emanuel,  studirte  zu  Leipzig  die  Kechte,  wah- 
rend  er  Sebastian  Bach's  Schuler  in  der  Musik  war, 
und  der  Eath  zu  Hamburg  nahm  fur  seine  Musik-Director- 
stelle  am  Johanneum  nur  studirte  Leute  in  Anstellung. 
Ware  dem  aber  auch  nicht  so  gewesen,  so  wurde  man 
doch  aus  der  Anlage,  die  Emanuel  fur  die  Musik  zeigte 
und  die,  wie  ein  spaterer  Zeitgenosse  *)  von  ihm  erzahlt, 
so  gross  war,  dass  er  schon  in  seinem  eilften  Jahre  die 
Stiicke  des  Vaters,  wenn  dieser  sie  setzte,  liber  dessen 
Schulter  weg  zu  spielen  vermochte,  so  wie  aus  der  Natur 
des  Unterrichts,  den  er  empfing,  kaum  darauf  schliessen 
kdnnen,  dass  er  die  Musik  bloss  zu  seiner  Freude  habe 
lernen  sollen. 

Freilich  ging  nach  der  Sitte  und  dem  Bediirfniss  der 
Zeit  der  Unterricht  im  Clavierspiel  mit  dem  der  Theorie 
dor  Musik  Hand  in  Hand  und  ein  gebildeter  Liebhaber 
musfite  rnehr  leisten  konnen,  als  man  etwa  heut  zu  Tage 
von  cinem  solchen  zu  fordern  berechtigt  sein  wurde.  Den- 
noch  fand  auch  damals  ein  merkbarer  Unterschied  zwischen 
dor  Ausbildung  eines  Liebhabers  und  der  eines  Musikers 
von  Fach  statt.  Dieser  Unterschied  war  in  der  Lehr- 
methode  Sebastian  Bach's  in  auffallendem  Grade  be- 
merkbar. 

Dieselbe  war  keineswegs  darauf  berechnet,  blosse 
Liebhabor  ini  Clavierspiel  auszubilden.  Noch  weniger 


Schubarth.    Aesthetik  der  Tonkunst.    SI  177. 


_    10    — 

konnte  sein  Untemcht  in  cler  Composition  daranf  hinaiw- 
laufen1).  Worse  lehrt,  lelirt  nur  fur  KiinstltT  uud  sok'he, 
die  es  worden  wollen.  Odor  inoclite  man  glaubon,  days 
die  zahlroichen  uncl  gediegenen  Arboiten,  die  joncr  grosso 
Moister  fur  Unterrichtsz wedcc  sehriob,  das  0  r  g  o  1  b  ii  ch  loin, 
die  Inventionen,  dio  Clavier- LJobuugon,  das  -\vohl- 
temperirte  Clavier  u.  a.;  die  Ausbildung  von  Licb- 
liabern  liatten  fordern  sollen?  Bob.  Bach  cliente  mil 
seinena  ganzou  Sein  mid  Lobon  dor  Kunst  Hirer  Fordo- 
rung,  ihreni  Diensto  Avar  auch  die  Erzichuug  seiner  Kinder 
gewidmet.  Wo  or  nur  geringeros  fordern  durfto,  2.  B.  bei 
der  Untorweisung  seiner  wcilen  Gattin  Anna  Magdalona; 
sehen  wir  ihn,  wio  deren  Gedonkbuch  zoigt2),  ganz  andorj 
auftreten. 

In  jedem  Falle  war  der  Unterrioht,  den  Em.  Bach 
von  seinem  Vator  gcnosson  hat,  auf  seine  kiinHtlerische 
Ausbildung  geriehtct.  Wenn  dies  noch  einer  Bcstatigung 
beditrfte,  so  wiirdo  diese  unschwer  in  den  Concerten  211 
finden  sein;  die  Seb.  Bach  fur  seine  Sohnc  goschriebon 
hat,  und  von  denen  die  ZAVCI  Flugcl-Concorto  xuit  Quartott- 
Begleitung  (in  C-dur  und  E-moU)  in  die  Zoit  von  1728 
oder  1729,  die  beidcn  Concerto  fur  3  Fliigel  abor  (in  G-dur 
und  D-moll)  in  das  Jahr  1731  fallen.  Man  denke  sich 
den  grossten  Ckvierspieler  seiner  Zeit  mit  seinen  beiden 
Sohnen  an  drei  Flttgoln  diese  Concerto  spielend,  in  dcnen 
die  Schwiorigkoiten,  wenn  nicht  ganz  gleich  vortheilt,  doch 
sicher  bedeutend  gonug  waren,  urn  in  der  Ausiulirung 
Kunstlerhande  zu  erfordern,  uud  man  wircl  sich  sagen 
mtissen?  dass  es  auch  in  der  musikalischen  Erziehung  eine 
Grenze  giebt,  bei  der  die  Eichtung  auf  das  blosse  Liob- 
haberwesen  durchaus  aufhort. 

Dieser  Art  der  Erziehung  hat  dann  auch  die  weiterc 
Folge    von   Emanue!   Bach's    Lebenslauf    entsprochen. 

J)  Bitter,  J.  S.  Bach.    Th.  I.    S.  304  If 
2)  a.  a.  0.,  Th.  I.    S.  122. 


_  11  _ 

Uebrigens  war  wohl  das  Haus  Sebastian  Bach's  nicht 
eben  dor  Ort?  seine  Sohne  etwas  Anderes  als  wirkliche 
Kunstler  werden  zu  lassen.  Die  unausgesetzte  Beschafti- 
gung  mit  dor  Kunst,  die  Hilfe,  welche  sie  dem  Vater  beim 
Ausschreiben  der  von  ihm  componirten  Stticke  und  selbst 
beim  Stechen  einiger  derselben  leisten  mussten?  der  Um- 
gang  mit  den  zalilreichen  zum  Tlieil  ausgezeichneten  und 
talentvollen  Schulern  des  Vaters,  die  Musik-Uebungen  in 
der  Thomas-Schule,  die  Auffuhrungen  in  der  Thomas-  und 
Nicolai-Kirche,  allcs  das  konnte  ein  anderes  Bewusstsein, 
als  das  der  vollkominensten  Zugeliorigkeit  zur  Musik  bei 
ihnen  gar  nicht  aufkommen  lassen.  Em  ami  el  Bach  sagt 
selbst:  ,,Der  Mangel  an  auswartigen  Reisen  wiirde  inir 
bei  meinem  Metier  mehr  schadlich  gewescn  sein;  wenn  ich 
nicht  von  Jugend  an  das  besondere  Grltick  gehabt  hatte, 
in  der  Naho  das  Vortrcfflichsto  von  aller  Art  von  Musik 
zu  heron  und  sehr  viele  Bekanntschaften  rait  Meistern 
von  erstem  Rang  zu  machen  und  2  am  Theil  ihre  Freund- 
schaft  zu  erhalten.  In  meiner  Jugend  hatte  ich  diesen 
Vortheil  schon  in  Leipzig,  denn  es  reiste  nicht  leicht  ein 
Meister  in  der  Musik  durch  dicsen  Ort?  ohne  ineinen  Vater 
kennen  zu  Icrnen  und  sich  vor  ihm  horen  zu  lassen.  Die 
Grosse  dieses  ineines  Vaters  in  der  Composition,  imOrgel- 
und  Clavierspielen,  welche  ihm  eigen  war,  war  viel  zu 
bekannt,  als  dass  ein  Musikus  von  Ansehen  die  Gelegen- 
heit,  wenn  es  nur  mogiich  war,  hatte  vorbei  lassen  sollen? 
diesen  grossen  Mann  kennen  zu  lernen."  Dass  er  auch 
schon  als  Knabe  manchem  Ktinstler  in  Spiel  und  Compo- 
sition liberlegen  war,  und  dass  Sebastian  Bach  hiervon 
eine  sehr  deutliche  Einsicht  gehabt  hat,  das  ergiebt  sich 
zur  Grenlige  aus  der  bekannten  Geschichte,  die  sich  in 
dessen  Hause  mit  dem  Orgel-  und  Klavierspieler  Hurle- 
busch  aus  Braunschweig  zugetragen  hat1). 

So  kann  es  wohl  schwerlich  als  ein  blosser  Zufall  be- 


L)  Bitter,  J.  S.  Bach.    Th.  II.    S.  302. 


trachtet  werden  und  allein  auf  Eechnuttg  iiberwiogender 
Befahigung  konimen,  wcnn  Emanuel  Bach  init  seincra 
Bruder  Friedcmann  unter  den  Solution!  seines  Vatcrs 
weitab  der  bedeutendste  war  und  geblicben  1st.  Und  so 
trat  er  denn  auch  unraittelbar  nach  Beendigung  seiner 
Universitats- Jahre  zur  Kunst  zuruck,  indem  er  den  Euf 
als  Cembalist  zu  dein  damaligen  Kronprinzen  von  Preussen 
annahm,  ohne  dass  dabei  irgend  davon  die  Rede  geweson 
ware,  dass  er  scinen  Lebensplan  habc  andorn  miissen. 

Seine  eigene  Lebens-Erzahlung  ergicbt  nobenboi, 
dass  er  in  Frankfurt  a.  0.  ,;sowohl  eine  musikalische 
Akademie?  als  auch  allc  damals  vorfallenden  offentliclien 
Musiken  bei  Feierlichkeiten  dirigirt  und  coniponirt  habe." 
Wenn  man  dies  Alles  erwagt  und  dabei  im  Auge  be- 
halt?  welch'  griindlichcs  Wissen,  wclche  Fertigkeit  und 
Uebung  damals  von  einem  Cembalisten  verlangt  wurden^ 
und  wenn  man  ferner  das  ungeheure  Uebergewicht  in 
Betracht  zieht,  welches  Emanuel  Bach  durch  theoretische 
Kenntnisse  in  seine  Lebensstellung  als  Musiker  mitbrachte, 
so  wird  wohl  die  Annahme  gerechtfertigt  sein;  dass  des 
Vaters  Unterricht  ihn  keineswegs  bloss  zum  grundlich  ge- 
bildeten  Musik-Dilettanten  habe  fordern  wollen. 

Diese  Ueberzeugung  wird  bestarkt,  wenn  man  einen 
Blick  auf  die  Compositionen  Emanuel's  wirft.  Man  sieht 
daraus?  dass  derselbe  vom  Jahre  17317  also  von  seinem  17. 
Jahre  ab;  als  er  zwar  noch  die  Thomas -Schule  bcsxichte, 
doch  aber  als  ein  hinreichend  erwachsener  jungcr  Mann 
schon  eine  ziemlich  feste  Idee  tiber  seinen  zukunftigon 
Lebensberuf  haben  musste,  bis  zii  seinem  Abgange  nach 
Frankfurt  a.  0.?  also  im  Hause  und  unter  der  Aufsicht  und 
Leitung  des  Vaters  nicht  weniger  als 

fiinf  Clavier-Sonaten, 

ein  Menuett  mit  uberschlagenden  Hlinden, 

7  Trii; 

2  Soli  fur  Oboe  und  fiir  Flote? 

1  Suite? 


2  Clavier -Concerte  mit  Instrumental-Begleitung, 
6  Sonatinen 

componirt  hatte,  woven  die  ubergrosse  Mehrzahl  auf  die 
Schulerjahre  von  1731  bis  1733  kommt1). 

Man  weiss  auch,  dass  er  im  Jahre  1731,  also  unzweifel- 
haft  unter  den  Augen  seines  Vaters;  die  Menuett  mit  izber- 
schlagenden  Handen  in  Kupfer  gestochen  und  lierausge- 
geben  hat. 

Miisste  sein  Vater  nicht  mit  volliger  Blindheit  ge- 
schlagen  gewesen  sein,  wenn  er  nach  diesen  Vorgangen 
hatte  glauben  wollen,  dass  aus  seinem  Sokne  Enianuel 
jemals  ein  Advocat  oder  Staats-Beamter  nach  den  steifen 
Begriffen  seiner  Zeit  werden  konne?  Nun  wird  man  zu- 
geben  miissen,  dass  Sebastian  Bach  ein  klarer  hell- 
sehender  G-eist  gewesen  ist,  dessen  ganzes  Sein  und 


l)  Diese  Arbeiten  sind  nach  dem  Kataloge  von  1790  Tiber  den 

Nachlass  Emanuel  Bach's  und  nach  den  Jahren  geordnet  folgende: 

1731;   Zwei  Clavier -Soli,   eines  im  musikalischen  Allerlei  (No.  43) 

gedruckt,  das  andere  in  F-dur  2/4  neu  iiberarbeitet  in 

Berlin  1744. 

Menuett  mit  iiberschlagenden  Handen. 
Trio  fiir  Clavier  und  Violine,  G-dur  4/47  erneuert  Berlin  1746. 
Trio  fiir  Clavier  u,  Yioloncell,  D-moll  3/4>         desgl.        1746. 
Trio  fiir  Flote,  Violine  und  Bass,  desgl.        1749. 

Trio  fiir  dieselben  Instrumente, G-dur  */4,         desgl.         1747. 
Trio  desgl.  F-dur2/.,,         desgL        1747. 

Trio  desgl.  A-dur4/4,         desgl.         1747. 

Trio  desgl.  A-moll2/47         desgl.        1746. 

Solo  fur  die  Oboe,  G-moll  */4. 
Solo  fiir  die  Fldte,  G-dur  4/4- 

1732:    Clavier- Solo,  A-moll  */*,  erneuert  Berlin  1744. 

desgl.          C-dur  */4,          desgL         1744. 

desgl.        D-moll  4/t,          desgl.         1744. 

1738:    Suite  E-moll  */4 ,  desgl.         1744. 

Concert  A-moll  */0  fiir  Clavier  mit  Quartett^Begleitung,  er- 
neuert Berlin  1744. 
1734:    6  Sonatinen  in  F-dur  4/*,  G-dur  */*>  A-moll  */*,  E-moU  */41 

D-dur  a/4,  Es-dur  a/4,  sammtlich  erneuert  Berlin  1744. 
Concert  fur  Clavier  mit  Quartett-Begleitung  Es-dur  */* »  er~ 
neuert  Berlin  1743. 


~~    14    — 

Trachten  sicli  in  dein  Streben  concentrirte,  seiner  Kunst 
und  seinen  vaterlichen  Pflichten  nach  alien  Soiton  hin  Qc- 
niige  zu  leisten.  Und  so  wircl  man  ihrn  auch  die  Gerech- 
tigkeit  widerfalircn  lassen  nriissen,  dass  er  in  soinoin  Solme 
E  in  an  ue  1  denKiinstler  nicht  zu  Guns  ten  oinor  advocatisehen 
Praxis  habe  unterdrtickon  wollcn.  Um  so  mchr  goroicht 
es  ihm  zur  Ehre;  dass  er  ihn  ziun  wissenschaftllehen  fcj tudiimi 
angehalten  und  ihin  dadiireh  oiflb  tuchiigc  und  dauornde 
Grundlage  fur  sein  zukunftigcs  kunstlorischos  Lcbou  go 
sichert  hat. 

So  sehcn  wir  denn  auch  Emanuel  Bach  keinen 
Augenblick  schwanken,  als  die  Fragc  an  ihn  horantxiitt? 
ob  er  sicli  ganz  der  Musik  widmen;  odor  seine  Zukunft 
dem  Zufalle  und  der  JJngowissheit  uberlasson  solic?  Er 
selbst  sagt  Member  ganz  ciufach  und  ziomlich  klar; 
?;Als  ich  1738  mcine  akademischen  Jahro  cridigte  und 
nach  Berlin  ging;  bekam  ich  einc  schr  vortheilhafte  Ge- 
legenheit;  einen  jimgen  Herrn  in  freinde  Lander  zu  luhren: 
ein  unyerrautheter  gnadiger  Ruf  mm  darnaligen  Kron- 
prinzen  von  Preusscn,  jetzigeni  Konig,  nach  Euppin,  maclite, 
dass  raeine  yorhabende  Reise  rtickgangig  wurde." 

Hier  ist  nicht  ira  entferntesten  angedoutot,  class  durch 
diesen  Euf  fur  seine  Lebensstellung  cine  Aondorung  her- 
beigefuhrt  worden  sei.  Er  hatte  wohl  gern  in  Ermangelung 
einer  festen  Stclle  die  Reise  in  fremde  LUnder  untcr,  wie 
es  scheint,  angenehmen  und  gunstigen  VcrUiiltnissen  an- 
getretcn.  Er  sollte  diesc  Reise  mit  dcm  iiltcsten  Solmo 
einer  vornelnnen  und  reichen  lieflandischen  Familic  machcn, 
der  in  Leipzig  studirt  hatte,  mit  dessen  Eltern  Sebastian 
Bach  bekannt  geworden  war  und  dcnen  er  Emanuel  als 
Begleiter  empfohlen  hattc1).  Aber  sowie  sich  die  Gclegen- 
heit  zum  Eintritt  in  die  kiinstlorische  Lebensbalm  biotot, 
giebt  er  sie  auf,  ohne  dass  er  darin  ctwas  andercs  als  eine 


I  Bochlitz  fur  Fretmde  der  Tonkanst,    Bd,  1.   S,  283, 


*—    15    -— 

nothwendige  Folge   seiner  bisherigen  Vorbereitungen  er- 
kennt1). 

Interessant  genug  ware  es  gewesen  zu  erfahren,  aus 
welchen  Griinden  Sebastian  Bach  fur  semen  Sohn  grade 
die  anmuthige  Oderstadt  Frankfurt  als  Universitat  gewahlt 
hatte,  da  diese  doch  nach  den  Reisebegriffen  seiner  Zeit 
den  sachsischen  Landen  ziernlich  fern  lag,  wahrend  andere 
Hochschulen,  z.  B.  Merseburg,  Wittenberg  und  Halle  ihm 
so  viel  naher  und  bequemer  gewesen  waren.  Semen  Sohn 
Friedeinann  hatte  er  in  Leipzig  studiren  lassen.  Viel- 
leicht  hatte  er  grade  aus  dieser  Erfahrung  gelernt,  von 
wie  grossem  Werthe  es  1st,  wenn  die  Jugend,  eine  Zeit 
lang  yon  ihrer  gewohnlichen  Umgebung  getrennt,  sich 
durch  das  Leben  mit  und  unter  Frernden  einen  erweiterten 
Gesichtskreis,  grossere  Selbstandigkeit  der  Gesinnung  und 
erhohte  Erfahrung  sannneln  konne. 

Welcher  Art  die  Uebung  dor  Musik  damals  in  dem 
alten  Mess-  und  Hanse-Platze  Frankfurt  gewesen,  das  zu 
ermitteln  ist  deni  Verfasser?  dessen  gllicklichste  Lebenszeit 
in  die  musikalischen  Bestrebungen  jener  Stadt  fallt,  nicht 


l)  Durch  diese  anf  E.Bach's  eigener  Darstellung  beruhende  Mit- 
theilung  Tberichtigt  sich  zugleich  die  Nachricht  der  Leipziger  Allg. 
Mus.-Ztg.  von  1800  S.  4.  iiber  die  Art  und  Weise  seiner  Anstellung 
bei  Friedrich  II.  Danach  hatte  er  schon  "lange  in  Berlin  gelebt, 
ohne  dass  der  Konig  von  ihm  Notiz  genommen  gehabt  hatte.  Endlich  sei 
erzu  ihm  beschieden  warden,  urn  vor  ihm  zu  spielen.  Friedrich  II. 
habe  ihn  gefragt:  ,,Kann  Er  auch  iiber  unbezifTertem  Bass  aus  dem 
Stegreif  eine  Melodic  herunterspielen?"  Bach  habe  geantwortet:  ,:Ich 
will  es  versuchen,  Majestat."  Nun  habe  ihm  der  Konig  die  Bassstimme 
einer  Graun'schen  Sinfonie  vorgelegt,  von  der  er  gewiss  gewusst  habe, 
dass  sie  nie  in  andern  Handen  als  den  seinigen  gewesen.  Bach  habe 
sich  an  das  Clavier  gesetzt,  die  Stimme  verkehrt  auf  das  Pult  ge- 
stellt  und  meisterhaft  gespielt  und  Friedrich  darauf  geantwortet: 
nNun  sehe  ich,  dass  man  mir  nicht  zu  viel  von  Ihm  gesagt  hat  und 
dass  Er  sein  Handwerk  versteht,"  Die  Mus.-Ztg.  setzt  hinzu:  Dies 
war  Alles,  wodurch  der  deutsche  Kiinstler  vorn  deutschen 
Konig  belohnt  worden  ist!  Bach's  eigene  Lebensnotizen  strafen 
die  Erzahlung  wie  die  darauf  gebaute  Schlussfolge  Liigen. 


—    16    — 

gelungen.  Rochlitz1)  sagt  Member:  ,,In  Frankfurt  gab 
es  fast  nichts  an  Musik.  Eraanuel  niussto  allcs  erst 
schaffen.  Dies  gab  iliin  reiche  Gelogenhcit?  Fertigkeiten 
und  Erfahrung  zu  samineln."  Dass  hienach  die  ,,musi- 
kalische  Akadernie",  die  Bach  geleitet  habon  will,  grade 
von  grosser  Bcdeutung  gowcsen  sein  sollte,  ist  nicht  zu 
vermuthen.  Zu  jcner  Zoit  konnen  dort  ausscrhalb  der 
Universitats  -  Kroise  nur  gcringe  musikalischc  Mittol  vor- 
handen  gewesen  sein;  denn  Frankfurt  war  trotz  Messe 
und  Universitat  bei  weiteni  kein  Leipzig.  Vermnthlich  ist 
die  Musik  im  Wesentlichen  dort  als  cin  Thoil  dcs  gottes- 
dienstlichen  Cultus  geiibt  worden  und  imr  bci  besonderen 
Veranlassungen  mit  in  das  Universitats-Lcben  ubergetreton. 
Das  Einzige,  was  aus  jener  Zeit  aufgefunden  wordon?  sind 
3  Musiktexte: 

der  eine  zur  Einweihung  dcr  dortigon  Unter-Kirche 
am  1,  Advents  -  Sonntage  1736  ?  wohl  nach  einer 
Renovirung  ini  Innern  der  Kirche,  welche  im 
15.  Jahrhundert  erbaul,  sclion  ina  16.  Jahrhundert 
lutherisch  geworden  war; 

der  andere  fur  eine  von  den  Studenten  der  Universitat 
dem  Markgrafen  Friedrich  Wilhelna  und  seiner 
Gemahlin  am  18.  Miirz  1737  aufgofuhrto  Cantata; 
der  dritte  gleichfalls  fur  eine  von  den  Studenten  bei 
Anwesenheit  Konigs  Friedrich  Wilhclrn  I.  zur 
Martini-Mcsse  1737  aufgefiihrte  Cantate. 
Diese  Texte  sind  im  Anhange    zu  dieseni  Theil   ab- 
gedruckt.     Wenn   Ernanuel  Bach's  Angabo:    7?dass    or 
alle  damals  vorfallenden  offentlichen  Musiken  bei  Feier- 
lichkeiten  dirigirt  und  componirt  habc,"  wortlich  zu  nehmen 
ware?  dann  wiirde  man  in  diesen  ubrigens  mehr  als  mittel- 
massigen  Texten  mindestens  cinige  Ucbcrblcibsel  aus  jener 
seiner  ersten  Zeit  selbstaridigen  Schaffens  besitzon. 

In  der  Genealogie  der  Bach'schen  Familie   ist  dem 


Fur  Freunde  der  Tcmkunst.    Ed,  1.  S.  282. 


—    17    — 

Naraen  Carl  Philipp  Emanuel  die  Bemerkung  beige- 
fiigt:  jjLebet  in  Frankfurt  an  der  Oder  p.  t  als 
Studiosus  und  informiret  auf  dem  Clavier."  Man 
ersieht  daraus,  dass  derselbe  sich  dort  einen  Theil  seiner 
Subsistenzmittel  durch  Klavier  -  Unterricht  hat  verdienen 
miissen. 

Im  Uebrigen  hat  er  auch  dort  wiederum  eine  Menge 
von  Instrumentalsachen  gesetzt,  namlich1): 

6  Clavier  -Sonaten,    1  Trio,   2  Soli   fur  die  Flote, 
1  Clavier -Concert  mit  Instrumental  -  Begleitung,  1 
Menuett  (von  Locatelli)  mit  Variationen, 
von  denen  nur   das   letzte   ziemlich  schwache   Stiick  auf 
uns  gekommen  ist. 

Von  seinen  damaligen  Arbeiten  hat  er  selbsk  nicht  viel 
gehalten.  Dies  ergiebt  sich,  abgesehen  von  gewissen  brief- 
lichen  Aeusserungen,  die  er  dariiber  gegen  Fork  el  ge- 
than;  daraus;  dass  er  fast  alle  seine  alteren  Clavierstiicke, 
einschliesslich  der  Trii  und  Concerte;  nachdem  er  in  Berlin 
festen  Fuss  gefasst  und  sich  zu  einer  gewissen  Eeife  und 
Selbstandigkeit  erhoben  hatte,  einer  Dmarbeitung  zu  unter- 
werfen  fiir  nothig  hielt. 

Leider  hat  Emanuel  Bach  in  seiner  biographischen 
Skizze  auch  nicht  die  leiseste  Andeutung  dariiber  gegeben, 


i)  Specieller  bezeichnet  sind  diese  Stiicke  folgende: 
1735:    Menuett  von  Locatelli  mit  Veranderungen  G-dur  3/A- 

2  Trii  fur  Flote,  Yioline  und  Bass,  A -moll  s/*>  erneuert 

Berlin  1747  und  G-dur  3/4- 
Solo  fiir  die  Flote,  G-dur  */*• 
Clavier-Solo,  E-moll  2/4,  erneuert  Berlin  1743. 
1736:         desgl.       G-dur  2/4,  desgl.         1743. 

desgl.       Es-dur  3/4,          desgl.         1744. 
17&7;         desgl.       C-dur  */«  desgl.         1743. 

desgl.       B-dur  */4,  desgl.         1743. 

Concert  fur  Clavier  mit  Quartett-Begleitung,  G-dur  */*>  er- 
neuert Berlin  1745. 
Solo  fur  die  Flote,  G-dur  */*• 
1738:    Clavier-Solo,  A-dur  3/4i  erneuert  Berlin  1743. 

Bitter,  Emanuel  und  Friedemann  Bach.  * 


-    18    — 

was  den  Kronprinzen  von  Preussen  bcwogen  habe?  ihn  in 
seine  Dienste  zu  berufen.  Blosse  Empfehlungen  konnten 
bei  einern  Manne  von  dem  Oharakter  des  nachmaligen 
grossen  Konigs  nicht  wohl  von  Bedeutung  sein.  Dass 
Bach  selbst  eine  derartige  Stelle  nicht  gesticht  habo? 
ergiebt  sicli  aus  deni  Umstande,  dass  or  im  Begrlffc  stand, 
eine  grossere  Keise  in  das  Axisland  ansmtreten,  als  ilim 
unverniuthet  jene  Berufung  kam.  Ein  beriilimtcr  Musikor 
war  er  zu  jener  Zeit  noch  nicht,  und  von  seinon  Fahig- 
keiten  und  Fertigkeiten  fur  die  sohwiorigo  Stellung  ernes 
Cembalisten  Proben  abzulegen,  hatte  or  noch  koine  Gelc- 
genheit  gehabt l). 

Und  doch  war  dieser  Punkt  fur  sein  ganzes  Leben 
und  selbst  in  Bezug  auf  die  in  ihm  liegende  historische 
Thatsache  von  soldier  Bedeuttmg,  dass  es  clem  Biographen 


i)  Nach  einem,  in  der  Gazette  umsicale  de  Paris  von  1854  befind- 
lichen  ,,Musikaliache  Fiirsten"  iiberschricbenen  und  angeblich 
von  Herrn  F£tis  herriihrenden  Artikel,  cler  auch  in  die  Ncue 
Berliner  Musik-Zeitung  iibergegangen  1st,  hattc  Philipp 
Emanuel  Bach  sich  im  Jahre  1739  nach  Rheinsberg  begeben, 
dort  eine  Audienz  bei  dem  Kronprinzen  von  Preussen  erbeten,  diesem 
einige  Stiicke  auf  dem  Klavier  vorgespielt,  aber  ein  Engagement 
nicht  erreielien  konnen,  weil  Friedrich  die  Mittel  zu  seiner  Bezah- 
lung  nicht  gehabt  habe.  Bach  habe  es  vorgezogen  zu  warten  und 
sei  dann  nach  dem  Regierungs-Antritt  des  Konigs  in  desson  Dienste 
getreten. 

Der  Verfasser,  in  dem  Wunsche,  diese  sonst  nirgends  ersicht- 
lichen  Angaben  naher  zu  constatiren,  hat  sich  an  Herrn  Fe"tis  mit 
der  Bitte  gewendet,  ihm  die  Quellen  dafiir  zu  bezeichnen.  Er  hat  darauf 
die  Antwort  erhalten,  dass  Herr  Fetis  sich  nicht  erinnoro,  iiber  Bach 
etwas  anderes,  als  was  in  seiner  Biographie  universelle  des 
musiciens  I.  S.  203  enthalten  sei,  geschrieben  zu  haben,  und 
ihm  insbesondere  nicht  bekannt  sei,  dass  Bach  je  in  Rhe  ins  berg 
gewesen. 

Gleichzeitig  hat  Herr  Fetis  dem  Verfasser  soin  Bedauern 
dariiber  ausgesprochen ,  dass  ihm,  wie  er  erst  jetzt  bemorke,  die 
a.  a.  0.  als  in  seinem  Eigenthum  bejfindlichen  Autographen  Philipp 
Emanuel  Bach's  (16  Briefe  und  eine  ,,kurze  Anweisung  zum 
General-Bass"  petit  en  4°  obi.  30  pages)  bis  auf  4  Briefe,  deren 
Abdruck  Tveiterhin  erfolgen  wird,  gestohlen  worden  soien, 


—    19    ~ 

schwer  genug  wird  ihn  oline  Weiteres  zu  ubergehen. 
Freilich  fehlt  nicht  mehr  als  Alles,  um  bestimmtere  An- 
haltspunkte  zu  finden.  So*  bleibt?  well  ein  gewisser  Ideen- 
Zusammenhang  doch  vorhanden  gewesen  sein  muss,  nichts 
welter  ubrig  als  die  Vermuthung,  dass  Bach's  in  der  ersten 
Zeit  seines  kiinstlerischen  Strebens  unverkennbare  Vorliebe 
fur  das  Instrument  des  Konigs,  die  Flote,  die  Veranlas- 
sung  gegeben  haben  konne?  ihn  in  dessen  Nahe  zu  ziehen. 
Er  hatte  schon  in  Leipzig  5  Trii  und  1  Solo  fur  Flote 
gesetzt.  In  Frankfurt  a.  0.  waren  wieder  1  Trio  und 
2  Soli  fiir  die  Flote  entstanden;  und  in  Berlin  sehen  wir 
seine  schaffende  Thatigkeit  1738  gleichfalls  mit  2  Floten- 
Concerten  beginnen.  Ware  es  nicht  moglich  gewesen; 
dass  die  eine  oder  andere  dieser  Arbeiten  durch  Zufall 
oder  Absicht  zu  dem  Kronprinzen  gelangt  ware  und 
dessen  Interesse  fur  den  jugendlichen  Coniponisten  erweckt 
hatte? 

Eine  definitive  Anstellung  hat  Bach  zu  jener  Zeit 
noch  nicht  erhalten?  wie  er  denn  auch  deni  Elronprinzen. 
in  dessen  damalige  Residenz  nicht  gefolgt  ist.  Er  selbst 
sagt:  3;Gewisse  Umstande  machten,  dass  ich  erst  1740  bei 
Antritt  der  Eegierung  seiner  Preussischen  Majestat  form- 
lich  in  dessen  Dienste  trat."  Man  konnte  hinzuftigen?  dass 
er  erst  ein  Jahr  spater;  als  Graun  im  Jahre  1742  die 
neue  grosse  Oper  des  Konigs  vollstandig  organisirt  hatte; 
etatsmassig  angestellt  warden  ist,  wie  sich  dies  aus  dem 
von  Friedrich  dem  Grrossen  eigenhandig  vollzogenen 
?;Etat  von  denen  Besoldungen  derer  Capellbedien- 
ten  von  Trinitatis  1744  bis  Trinitatis  1745"  er- 
giebt?  in  welchem  man  dem  Namen  Bach  unter  den  ??anno 
1741  zugekommenen  Capellbedienten"  mit  einem 
Gehalte  von  300  Thlr.  begegnet 2). 


i)  Dieser  Etat,  im  Konigl.  geheimen  Sfcaatsarchiv  zu  Berlin  be- 
findlich,  der  fiir  die  damalige  Zeit  und  fur  deren  Kiinstter-Gescliichte 


—    20    — 


Die  Betrachtungen,  denen  dicse  Blatter  gewidmet  sind? 
gestatten  nicht,  auf  die  vielfachen  Intercssen  einzugehen, 


nicht  ohne  Bedeutung  ist,  mag  deshalb  In  seiner  ganzen  Ausdehnung 
hier  folgen.    Er  lautet: 

,,Etat 

Yon  denen  Besoldungen  derer  K.  Capell-Bodienton.    Iliczu  warden 
gezahlet  aus  der  General -Domainon-Casse  an   den  Hofstnats-Bent- 

moister  Cunow 46,927  Thlr.  22  ggr.  9  Pf. 

Ferner  aus  der  flofstaats-Casso,  wegen  des 
Gammer -Musicante  Sydow's  so  mit  auf 
diesen  Etat  gebracht  wordon 400  „  —  „  —  „ 

47,327  ;fhlr722  ggr.  9~Pf. 

Diese  werden  wicder  ausgezahlet  wie  folget: 

1.  Den  1.  Capell-Bedienten, 
deni  Capellmeister  Graun  jahrlich     800  Thlr. 

demselben  an  Zulage 1200     „ 

2000  Thlr. 
dem  Concertmeister  Graun  jahrlich     800  Thlr. 

demselben  an  Zulage 400     „ 

1200      „ 

demBendasen 500  Thlr. 

demselben  an  Zulage 300      „ 

800      „ 

dem  Schardt 400      „ 

dem  Ems 400      „ 

dem  Janitsch 350      „ 

dem  Hock 400      „ 

dem  Blumo 300      „ 

dem  Baron .      300      „ 

dem  Grundke 300      „ 

dem  Petrini 400      „ 

demBendajun 150  Thlr. 

demselben  an  Zulage 150     „ 

300     „ 

Waldhornist  Horschky 150      „ 

dem  Gerbisch 15G     „ 

dem  Georg  Benda 156      „ 

dem  Lange 220     „ 

dem  E-ichter 120      J7 

dem  Benkowski 120     „ 

dem  Timler 120 

dem  August 120     „ 

dem  Payly 120     „ 


—    21    — 

welche  dieser,  so  viel  dein  Verfasser  bekannt,  zum  ersten 
Male  veroffentliclite  alteste  Etat  der  Opera-  mid  Kammer- 


2.  Denen  neuen  Capell-Bedienten,  so  anno  1741  zugekommen. 

Dem  Gasparini 1700  Thlr. 

dem  Benedetto   Moltini;   inclusive  des 

versprochenen  Prasents    .    1100  Thlr. 
demselben  an  Zulage  ...      600      „ 

1700  „ 

dem  Lorio  Campolongo 600  „ 

dem  Salmibeni 3000  „ 

dem  Porporino 2000  „ 

dem  Antonio  Romani 1000  „ 

dem  Yenturini 1000  „ 

dem    Capellmeister    Graun   zur    Unter- 

haltung  des  Paulino  zur  Berechnung  400  „ 

dem  Joseph  Benda 250  „ 

dem  Seifarth 300  „ 

dem  Freydenberg 200  „ 

Yor  den  Russen,  welchen  Seine  Kongl. 

Maj.  informiren  lassen,  an  den  Concert- 

meister  Grann 360  „ 

dem  Franz  Benda  dem  Jiingeren      .    .  150  „ 

dem  Eicke 140  ,. 

dem  Gebhardt 150  „ 

dem  Rolle 150  „ 

dem  B  a  ch 800  „ 

dem  Hesse 300  „ 

dem  Speer 300  „ 

dem  Schaule 900  „ 

dem  Contra- Yiolon  Richter 160  „ 

14360  Thlr. 

Denen  letzteren  Capell-Bedienten,  so  anno  1742  zugekommen, 

Der  Quantz 2000  Thlr. 

der  neue  Musicus  Mara 600      „ 

der  Mahler  Fabri 700  Thlr. 

der  Hautboist  Dobbert 300      „ 

der  Floteniste  Riedt 300      „ 

der  Pfeiffer,  Scholar  von  Quantz   .    .    300      „ 

2  Souffleurs  a  40  Thlr 80      „ 

2  Notisten  a  30  Thlr 60      „ 

dein  Stimmer  des  Clavicins,  Rost  .    .      30      „ 

1770      „ 

deni  Angelo  Cori .    1200      „ 

5570  Thlr, 


'•'        u£t        V-.--TT  w 

Musik  Friedrich's  des  Grossen  anregt.  Ftir  den  be- 
sonderen  Zweck  dieses  Werks  ist  nur  hcrvorzuheben,  dass 
Emanuel  Bach,  niclit  in  vorzugsweiso  hervorragender 
Stellung  engagirt,  dasselbe  Gehalt  erhielt,  welches  der 
Mehrzahl  der  eigentlichen  Kapellisten  zukatn,  von  donen, 
abgesehen  yon  den  Gebriidern  Graun,  nur  Ben  da  als 
erster  Violinist,  ferner  Schardt,  Ems  und  der  Jlarfenist 
Petrini,  endlich  der  Contra- Bassist  Jan  its  eh  nnd  die 
Cellisten  Hock  und  Mara  hohcre  Gagen  orhieltcn,  wahrend 
15  Musiker  geringer  besoldet  waren.  Gewiss  war  ein 
Gehalt  von  300  Thlr.  selbst  in  jener  Zeit,  in  der  das  Gold 
einen  so  viel  hoheren  Werth  hatte,  die  Bedurfntsse  der 
mittleren  Classen  aber  ungleich  einfacher  und  eingeschr^nk- 
ter  waren,  nicht  iibermassig.  Es  ist  abcr  nicht  aussor 
Acht  zu  lassen?  dass  bei  solchen  Anstcllungon  das  Gehalt 
nur  die  feste  Basis  des  Einkommens  ausxumachcn  pflegte, 
und  dass  Unterricht  und  Composition  dazu  dienen  mussten, 
diesein  diejenige  Hohe  zu  geben,  welche  zum  wohlaus- 
kommlichen  Leben  erforderlich  war.  Dass  Bach  seine 
Anstellung  nicht  als  eine  schlechte  angesehen  hat,  geht  zur 
Gemige  daraus  hervor,  dass  er  keincn  Augenblick  dariiber 
in  Zweifel  war,  sie  anzunehmen. 

Bekanntlich  war  Friedrich   der  Gros.se,    wahrend 
er  als  Kronprinz  seinen  Hof  in  Rheinsborg  hielt,  keineB-  ' 

Denen  Danseurs  und  DaBseuses. 

dem  Lany 2000  Thlr. 

der  Baibeimi 3000     „ 

ferner  in  15  Positionen     .    .  13565     „     22  ggr.  9  Pi 
demKaramer-Muslcant  Sydow 
in  Potsdam 400 

18965  Thlr,  22  ggr.  9  Pf. 
Recapitulation :    .    .     8432  Thlr. 
14360     „  ' 
5570     „ 

18965     ,r__j2jggr.  9  Pf . 
47327  Thlr.  22"ggrflTpf. 

Eigenhandig  gezeichnet :     F  r  i  e  d  r  i  ch. 


—    23    — 

wegs  in  der  Lage,  fiber  grosse  Sumraen  verfugen  zu  kon- 
nen.  Und  obschon  auch  dort  Kammer-Concerte  zu  den 
regelmassigen  Unterhaltungen  seiner  Mussestunden  gehorten, 
so  war  seine  Kapelle  docli  nnr  von  geringerem  Umfange. 
Ihr  gehorten  damals  an:  Grraun,  (seit  1735)  Franz  und 
Johann  Benda,  Schardt,  Blume,  Grruner  als  Violi- 
nisten,  Hock  als  Violoncellist,  Janitsch  ffir  das  Lauten- 
Violon,  Petrini  fur  die  Harfe,  Baron  ftir  die  Theorbe, 
Reich  fur  die  Bratsche,  Horschitzky  fur  das  Waldhorn 
und  S  chaff  rath  fur  den  Flugel1),  Da  letzterer  in  dem 
Etat  pro  1742  nicht  ruehr  vorkommt,  so  ist  es  wahrschein- 
lich,  dass  Bach  in  dessen  Stelle  getreten  ist.  Es  ist 
tibrigens  bekannt,  dass  Friedrich  grade  in  dem  letzten 
Regierungs-Jahre  Friedrich  Wilhelm's  I.  (1739)  viel- 
fach  durch  auswartige  Greschafte  und  durch  die  Begleitung 
des  Konigs  auf  einer  Reise  durch  Preussen  in  Anspruch 
genommen  war.  In  diesen  Omstanden  wird  der  Grund 
der  nicht  sogleich  erfolgten  festen  Anstellung  zu  suchen 
sein.  Man  wiirde  selbst  vermuthen  konnen?  dass  Bach 
zunachst  nur  das  Verspreclien  einer  Anstellung  erhalten 
gehabt  und  dass  die  Zahlung  des  Q-ehalts  erst  mit  dem 
Regierungs-Antritte  des  Konigs  begonnen  habe. 

Dein  steht  indess  die  Aeusserung  seiner  Selbstbiographie 
entgegen,  ??dass  er  die  Gnade  gehabt?  das  erste  Flotensolo, 
was  Friedrich  als  Konig  gespielt;  in  Charlottenburg  mit 
dem  Flugel  ganz  allein  zu  begleiten."  Dieser  Unistand 
spricht  dafur?  dass  die  unvermuthete  Berufung  in  den 
Dienst  des  Kronprinzen  vom  Jahre  1738  bindender  Natur 
gewesen  ist.  Mit  welchen  Empfindungen  mag  der  junge 
Kunstler  sich  damals  vor  dem  Konige  an  den  Flugel  ge- 
sotzt  haben;  urn  ihm  die  ersten  Dienste  in  einer  Kunst  zu 
leisten,  die  in  dieses  grossen  Fitrsten  wunderbaren  Lebens- 
gang  wie  Sonnenschein  durch  dunkle  Wolkengebilde  her- 
niederblicken  sollte. 

i)  Schneider,  Geschichte  der  Berliner  Oper.    S.  51. 


.  _    24    — 

Uelber  die  Dienstpflichten,  die  er  fortan  in  seinem 
Amte  zu  itben  hatte?  ist  direct  nur  Wcniges  bekannt.  Er 
hatte  als  Cembalist  in  den  Privatconcerten  dcs  Konigs  das 
Accompagnement  am  Flligel  auszufiihren.  Was  in  dieser 
Hinsicht  verlangt  wurde,  von  jedem  einigerniassen  gciibten 
Begleiter  geleistet  werden  musste,  das  wird  bei  Ocleg'en- 
heit  der  Besprechung  des  2.  Tlieils  von  Bach's  ,,Vcrsuch 
fiber  die  wahre  Art  des  Claviorspiels"  niitgetheilt 
werden.  Dass  der  Dionst  an  sich  kein  ganz  leicliter  war 
ergiebt  sich  daraus,  dass  der  Konig  in  gowohnlichon  Zeiten, 
mit  Ausnahine  der  Montage  und  Froitago,  an  donon  Oper 
zu  sein  pflegte,  taglich  seine  regelmilssigen  Kainnacr concerto 
Melt,  welche  Abends  von  7  bis  9  Uhr  stattfanden l).  Der 
Konig,  in  alien  seinen  Verzichtungen  von  der  hochatoai 
Punktlichkeit;  durffce  diese  um  so  mehr  von  seinen  Kapel- 
listen  fordern,  die  sich  in  der  Regel  sohon  vor  der  nothigen 
Zeit  vollzahlig  einfanden.  Punkt  7  Uhr  erschicn  er  selbst 
in  dem  Concertsaale,  und  legte  in  der  Regel  die  Concert- 
stimrnen  selbst  auf. 

In  diesen  Concerten  pflegte  er  ;,von  sein  era  eln- 
sichtsvollen  schonen  Greschmack  und  seiner  aus- 
nehmenden  Fertigkeit  auf  der  Flote  Proben  dar- 
zulegen"2);  indein  er  einige  der  FlcJten- Concerto  blies, 
deren  Quantz  nicht  weniger  ak  299  fur  ihn  componirt 
hatte.  Doch  spielte  er  auch  ab  und  zu  Ooncerte  von  seiner 
eigenen  Composition.  Auch  Quantz  Hess  sich  ofter  dort 
horen  und  es  kamen  Violoncellsoli,  so  wie  zwischen  den 
Instrumental -Sachen  hin  und  wieder  Arien  vor?  die  von 
den  Koniglichen  Sangern  gesungen  warden3). 

7?Friedrich  n.",  so  sagt  ein  Zeitgenosse,  der  lange 
Zeit  hindurch  die  Erlaubniss  gehabt  hatte,  den  Concerten 


i)  Doch  wird  die  Eegelmassigkeit  der  Opernbiihno  in  Berlin 
wohl  erst  begomaen  haben,  als  das  Opernhaus  daselbst  (Ende  1742) 
vollendet  war. 

«)  Marpurg,  histor.  krit.  Beitrage,  L  S.  76  ff. 

3)  Preuss,  Gesch.  Friedrich's  IL  S.  371.  372. 


—    25    — 

des  Konigs  beizuwohnen1),  ?;War  gewohnt,  5  Mai  taglich 
auf  der  Flote  zu  blasen.  Noch  gegen  Abend  pflegte  er 
die  6  oder  in  den  letzten  10  bis  15  Jahren  die  3  bis  4 
Concerte,  die  er  am  Abend  mit  seinen  Kammermusikern 
blasen  wollte,  vorher  zu  iiben,  so  dass  diese;  wenn  sie  im 
Vorzimmer  warteten,  ihn  die  schweren  Stellen,  die  sie  ihm 
accompagniren  sollten,  in  seiner  Kammer  iiben  horten." 
Bach's  Dienst  erforderte  also  eine  fast  tagliche  Anwesen- 
heit  von  mehreren  Standen.  Doch  lag  die  Schwierigkeit 
desselben  weniger  in  der  regelmassigen  Zeitbestimmung  als 
in  der  Ausiibung  selbst. 

Es  ist  bekannt,  dass,  ein  so  grosser  Kiinstler  der  Konig 
im  Adagio  war  (und  Fasch  durfte  von  ihm  ruhmen,  dass 
unter  alien  Virtuosen  von  Bang,  die  er  gehort,  sein  Freund 
Bach;  Franz  Benda  und  Konig  Friedrich  II.  das 
ruhrendste  Adagio  vorgetragen  hatten2),  er  sich  doch 
nicht  uberall  streng  an  den  Takt  hielt,  und  dass  ihm 
die  schnellen  Satze  nicht  selten  Schwierigkeiten  berei- 
teten,  Es  gehorte  daher  grosse  Aufmerksamkeit  und 
Uebung  dazu?  ihm  in  dem  Accompagnement  am  Flugel7 
auf  dem  damals  der  Zusammenhalt  der  mehrstimmigen 
Musikausfuhrungen  beruhte;  zu  folgen3).  Audi  ist  es  be- 
kanntlich  ein  Anderes,  ob  man  in  dem  gewohnlichen  Gange 
der  Verhaltnisse  Musik  treibt,  oder  ob  man  hiebei  einen 


1)  Reichardt,  Kunst-Magazin.  1791.   S.  40. 

2)  Zelter,  Biographie  Fasch's.    S.  47. 

3)  Eeichardt  (Musikal.  Almanach,  1796)  erzahlt,  dass  der  Konig, 
wenn  er  aus  dem  Takt  gekommen  war,  selbst  ,,mit  Macht1'  Takt  zu 
schlagen  pflegte.    Ein  begeisterter  Zuhorer  desselben  habe  einst  zu 
Emanuel  Bach,   der   bei  einer  solchen  Gelegenheit  accompagnirt 
hatte,  indem  er  das  Spiel  des  Konigs  gelobt,  ausgerufen:  ,,Und  wie 
viel  Takt!"   worauf  Bach  (in  der  ihm  gewohnlichen  satyrischen 
Welse)  geantwortet  habe:  ,,Ja,  vielerlei  Takt!" 

Eine  ausfiihrliche  und  hbchst  interessante  Beschreibung  eines  der 
Kammer -Concerte  Fried  rich's  des  Grossen  aus  dem  Jahre  1773, 
in  welchem  der  Konig  3  Floton-Conceite  von  Quantz  gespielt  hatte, 
nndet  sich  in  Burney's  musikal.  Reise-Tagebuch  Th.  Ill,  S.  104  ff. 


—    26    — 

Fltrsten  Dienste  zti  leisten  hat,  der  selbst  Virtuose  von 
Rang,  Tonseizer  mid  KLtmstkenner  von  grosser  Uecloutung, 
in  der  Weltgeschichte  den  stolxon  Rang  Friedrick's  den 
Einzigen  einnimmt. 

Bach's  dienstlichc  Stellung  war  dahor  cine  jcdonfalls 
schwierige,  zeitraubende  und  bisweilen  aiigestrengte,  ssuraal 
der  Konig  seine  bleibende  Resident  keineswegs  in  Berlin 
hatte,  sondern  sich  viclfach  und  mit  Vorliebo  in  Potsdam 
und  Sanssouci  und,  wic  obeii  bemerkt  wordeu  lnt?  auch 
in  Charlottcnburg  aufhielt.  Dass  Bach  aber  die  Ehro, 
Cembalist  des  grossen  Konigs  zn  Bcin?  sehr  wohl  zn  schatzen 
wusste,  ergiebt  sich  daraus,  class  or  nocli  in  spateren  Jahron 
bei  Skizzirung  seines  Lebens  als  des  einzigen  Details 
und  2 war  mit  oinein  gewiss  gereehtfevtigten  Stolze  des 
Umstandes  gedenkt,  dass  er  dem  Konige  nach  deasen  Re- 
gierungsantritt  das  erste  Flotonaolo,  und  zwar  alloin  (d.  h. 
ohne  Orchesterbegleitung),  am  Fliigel  accompagnirt  habe. 

Neben  Bach  war  noch  ein  zweitor  Cembalist  in  der 
Koniglichen  Kapelle  angostellt.  Als  soleher  soil  zunadhst 
S  chale  fungi rthaben1),  von  dem  oinigo  Olavior-Coiapositionen 
bekannt  geworden  sind.  In  dem  Etat  von  1744  kommt  sein 
Name  nicht  vor?  da  eine  Verwechselung  mit  dem  unter 
No.  2  mit  einem  Gohalt  von  200  Thlr.  angeffthrten  Schaulo 
nicht  wohl  angenommen  werden  kann.  Er  wird  daher  erst 
spater  auf  den  Etat  gebracht  warden  sein2),  Diesor  zweite 


1)  Schneider,  Geschlcbte  der  Berliner  Oper,  S.  71,  nach  Angabo 
eines  alten  Manuscripts. 

2)  v.  Ledebur   bezeichnet  ihn  in  dem  Berliner  Tonkiinstler- 
Lexicon  (S.  498)  als  Violoncellisten.    Indess  wurdo  cr  1764  Dom- 
Organist,  muss  also  Orgel-  und  Olavierspiclcr  gewesen  soin.    Dies 
bezeugen  auch  die  ,,Wochentl.  Nachrichten  liber  die  Musik  in 
Leipzig  1766",  S.  79,  wo  von  ihm  gesagt  wird,  dass  or  Clavier  und 
Orgel  sehr  gut  gespielt  und  fiir  beide  Instrumente  sohr  viel  schonos 
gesetzt  babe.  Er  war  1713  zu  Brandenburg  geboren  (f  1WO  zn  Berlin) 
und  ein  Scbiiler  Rojle's,  batte  in  Halle  die  Itechte  studirt  und  war 
zuerst  1253* als  Violoncellist  in  die  Kapelle  des  Markgrafen  Heinricb 
zu  Schwedt  getreten,  von  wo  aus  er  1742  in  die  Kgl.  Kapelle  iiber- 
ging. 


—    27    — 

Cembalist  war  gleichfalls  berufen,  FriedrichIL  in  seinen 
Kamrnerconcerten  zu  accoinpagniren.  Spater  fand  ein  regel- 
milssiger  Wechsel  von  4  zu  4  Woclien  zwischen  den  beiden 
Cenibalisten  statt.  Zu  Anfang  der  Regierung  des  Konigs 
scheint  der  zweite  Cembalist  nur  in  Abwesenheits-  oder 
Krankheitsfallen  Bach's  eingetreten  zu  sein,  da  Fried- 
rich,  an  dessen  Begleitung  gewohnt,  ihn  ungern  vemiisste. 
Vom  Jahre  1754  ab  war  die  zweite  Cembalistenstelle  durch 
Nichelmann,  einen  der  spateren  Schiller  Sebastian 
Bach's  besetzt. 

Bis  zum  Jahre  1742  bestand  die  Kapelle  des  Eonigs 
aus  2  Fliigeln,  12  Violinen,  4  Violen,  4  Violoncellis,  3 
Contra -Violons,  4  Floten,  2  Bassons,  2  Waldhornern,  4 
Hautbois,  1  Theorbe  und  1  Harfe,  zusammen  39  Personen. 
Marpurg1)  fuhrt  als  Kapellisten  des  Konigs  irn  Jahre  1755, 
also  15  Jahre  nach  Bach's  Anstellung,  im  Ganzen  42  Per- 
sonen  auf?  unter  denen  sich  ausser  dem  Kapellmeister,  dem 
Concertmeister  und  den  beiden  genannten  Cembalisten 
14  Violinisten,  3  Bratschisten,  6  Violoncellisten  und  Contra- 
Bassisten,  3  Oboisten,  1  Theorbenspieler,  4  Flotisten,  2  Wald- 
hornisten,  2  Fagottisten  und  1  Harfenist  befunden  haben, 
zu  denen  unter  Anderen  noch  immer  zwei  Gtebriider  Bend  a, 
Agricola,  (als  Kammer-Componist)  Hock  und  Mara  ge- 
horten. 

Im  Fruhjahr  1756  zog  sich  Nichelmann,  indem  er 
seine  Entlassung  nahm,  aus  der  Kapelle  des  Konigs  zuriick. 
An  seine  Stelle  wurde  auf  Franz  Benda's  Vorschlag  der 
damals  20jahrige  Carl  Friedrich  Christian  Fasch  be- 
rufen.  Dessen  Vater,  Fiirstlich  Anhalt-Zerbstscher  Kapell- 
meister, ein  nahezu  70jahriger  Greis,  war  dieser  Berufung 
zunachst  sehr  entgegen.  Er  hatte  den  Wunsch,  seine  eigene 
Stelle  von  seinem  einzigen  geliebten  Sohne  ubernommen  zu 
sehen.  Zudem  war  es  fur  ihn  ein  emporender  Gedanke,  diesen 
Sohn  an  einem,  wie  er  glaubte,  irreligiosen  Hofe  zu  wissen, 


Historisch-kritische  Beitrage.  Bd,  1.  S.  76, 


—    28    — 

wo  Voltaire  und  Maupertuis  das  Land  mit  ihren  Irr- 
thumern  erfullten.    Bach's  Vermitfcelung  gelang  os  indess? 
seine   Zustiminung  herbeizufiihren.    Er   war   oin    Freund 
des  alten  Fasch   und   unterstittzte   durch    cincu  ausfuhr- 
lichen  Brief  die  Wunsche  des  Sohnes,  dor  das  lebhafteste 
Verlangen  trug,  iin  Dienste  des  grossosten  Furstcn  seiner 
Zeit  und   in  Gerneinschaft   dor   grossesten   Meister  jener 
Tage,    eines   Bach,    dor   beiden   Graun,    der   Gebriider 
Benda  und  eines  Quanta,  sich  der  Uebung  dor  Kunst 
hingeben  zu  konnen.    Bach  setzte  dem  alten  Fas  eh  aus- 
einander,  ,,dass  man  in  den  Landen  Friedrichs  des 
Grossen  glauben   konne,   woran  man  wolle,    dass 
der  Konig  zwar  selbst  nicht  religios  sei,  aber  des- 
halb   auch    niemand    mehr    oder    weniger   achtc/f 
Er  bot  sich  selbst  an,  den  jungen  Kiinstlor  zu  sich  in  Kost 
und  Wohnung  zu  nehnien  und  ihn  so  viel  wic   moglich 
vor  jeder  Verfuhrung    zu    wahren l).     Dieses    Schreiben 
wirkte  auf  den  alten  Mann,  nicht  weniger  die  Versiche- 
rung  des  Zerbster  Hofes,    dass  seine  Stello  nacli  seinein 
Tode  yorlaufig  unbesetzt  bleiben  solle.     So  trat  denn  der 
junge  Fasch  im  Fruhjahr  1756  in  des  Konigs  Dienst,  der 
darin  bestand,  dass  er  abwechselnd  mit  Bach  von  vier  zu 
vier  Wochen  die  Concerto  des  Konigs  auf  dem  Fltigcl  zu  be- 
gleiten  hatte.   Jedoch  durfte  er  die  orsten  vier  Wochen  in 
Potsdam  (wo  der  K5nig  sich  aufhielt)  nur  zuhorend  bei 
der  Kammermusik  zugegen  sein,  um  Bach's  Accompag- 
nement  zu  horen  und  zu  studiren.    Dann  verliess  diewer 
Potsdam  und  Fasch  begann  seine  dienstlichen  Functionen 2). 
Es   ist   bemerkenswerth,  wie  Bach  in    dioser  Ange- 
legenheit  die  Interessen  des  Konigs  mit  denen  des  Freun- 
des  und  mit  seinen  eigenen  zu  vereinigen,  fur  sic  handolnd 
und  mitwirkend  einzutreten  verstanden  hat.     Dem  jungen 
Fasch  leistete  er  hiedurch  einen  grosson  Dienst  utid  dem 


x)  Zelter,  Fasch's  Biographic,  S.  13. 
2)  A.  a.  0.  S.  14. 


-    29    - 

Konige  wusste  er  einen  vorziiglichen  Cembalisten  zu 
schaffen,  wie  dieser  ihn  nur  wiinschen  konnte.  Ihm  selbst 
aber  musste  daran -  gelegen  seiu,  seine  Stelle  auf  diese 
Weise  ohne  Verlegenheit  fur  die  Koniglichen  Concerte 
besetzt  zu  wissen,  fur  den  Fall  dass  er  den  Dienst  des 
Konigs  verlassen  sollte.  Denn  seine  Bestrebungen  waren 
wohl  schon  zu  dieser  Zeit  darauf  gerichtet,  dermaleinst  in 
eine  freiere,  selbstandigere  kunstlerische  Stellung  tibertre- 
ten  zu  konnen.  Dass  er  Fasch  in  Wohnung  und  Kost 
nahm,  ist  jedenfalls  ein  Zug,  der  ihn  als  den  Sohn  einer 
Familie  von  Musikern  alten  Schlages  charakterisirt,  in  der 
fiir  alles  was  der  Kunst  angehorte,  eine  gewisse  Gegen- 
seitigkeit  und  Gemeinschaftlichkeit  der  Interessen  selbst- 
verstandlich  war. 

Der  Konig  war  bald  an  Fasch's  Accompagnement 
gewohnt.  Bach  war  ein  grosser  Kiinstler,  und  gewiss  der 
erste  Accompagnist,  der  damals  iiberhaupt  existirte.  Aber 
das  immerwahrende  Wiederholen  derselben  Stucke  hatte 
ihm  Ueberdruss  gemacht.  Dies  gab  sich  darin  zu  erken- 
nen?  dass  er  in  denjenigen  Stellen^  in  denen  sich  der 
Konig,  seinem  Gefuhle  nachgebend  iiber  den  Takt  Jbin- 
wegsetzte,  oder  wo  er  im  Allegro  bei  schwierigen  und 
einen  langen  Athem  erfordernden  Passagen  den  Mangel 
an  Fertigkeit  mit  willkuhrlichem  Ausdruck  zu  verdecken 
suchte?  nicht  nachgiebig  genug  war.  Der  Konig  empfand 
dies.  Die  Folge  davoix  war,  dass  er  Bach  weniger 
schatzte,  als  dieser  es  verdiente. 

Faschdachte  und  handelte  hierin  anders;  zur  grossen 
Zufriedenheit  des  Konigs.  Una  so  mehr  lag  es  in  Bach's 
Interesse,  ihn  in  seiner  Stellung  zu  erhalten.  Indess  auch 
Fasch,  so  sehr  er  dem  Konige  personlich  ergeben  war, 
scheint  doch  das  Schwierige  und  Abhangige  derselben 
empfunden  zu  haben.  Nach  dem  7jahrigen  Kriege  war 
es  seine  bestimmte  Absicht,  seine  Entlassung  zu  fordern. 
Man  wird  weiter  unten  sehen,  in  welcher  Weise  Bach  ihn 
daran  yerhindert  hat. 


—    30    — 

Aus    der   vorstehenden   durchweg    auf   authentischen 
Mittheilungen  beruhenden  Darstellung   des    inusikalischou 
Lebens  am  Hofe  Friodricli's  'des  Grrosscn  wird  der  ge- 
neigte  Leser  einen  ungefahrcn   Einblick   in  die  Verbal  t- 
nisse    erlangt    liaben.     Die   Aufmerksamkeit    des    Konigs 
war  nach  dieser   Seite  seines   ineikwiirdigen   Lcbens    bin 
zwischen  der  Pflege  der  grossen  (italienischcn)   Opor  und 
zwischen  der  Kamnaerinusik  getheilt;  in  der  die  Uebimg 
des  Flotcnspiels  weitab  die  bedeutendste  Stelle  cinnahm. 
Dies  hat  oft  genug  Veranlassung  gegeben?  die  Einscitigkeit 
zu   tadeln?    rait  welcher  die  Musik  am  Hofo  don  Konigs 
behandelt  worden  sei.    Doch  sind  auch  dio  Urthcile,    die 
hiertiber   laut   gewordon,  -efed^nicht    olme    Einseitigkeit. 
Friedrich  der  Grrosse  war  ein  besonderor  Vcrehrer  des 
italienisclien  Opernstyls;  aber  die  Opcrn  der  Italiener  Hess  or 
nicht  auf  seine  Biiime  kommen.    Or  aim  und  Basse,  die 
dents ch en  Tonsetzer,  waren  seine  Manner.    Dio  franzft- 
sische  Musik  (Grluck  vielleicht  niit  cingercchnet)  inochte 
er  nicht.    In  der  Kammer  iiberwog  bei  ihni  das  Interessc 
fiir  sein  eigenes  Instrument,    und  er  blies   aussor   seinen 
eigenen   nur   Floten-Concerte   von    Quantz.     Alles    dies 
darf  nicht   hindern   anzuerkennen,    dass  Friedrich    der 
Grosse  einer  der  Haupthebel  der  inusikalischen  Bildung 
seiner  Zeit  gewesen  1st.    Mag  cr  mit  dein  herannahenden 
Alter  hinter  deni  Fortschritt  zuruckgeblicben  sein,  in  wcl- 
chem  wir  die  Kunst  ani  Schlusse  seines  Jahrlumdcrts  bo- 
wundern,   finden  wir  auch  keiuc  Spur  da  von,  das»  er  ftir 
die   Tonwerke    Handel's    oder    G-luck's,    deren    Glanz- 
periode  in  die  Zeit  seiner  Regierung  fiel,  Sympathie  g?» 
zeigt  habe,  so  ist  es  doch  Thatsache,   dass  ausser  don  be- 
deutenden  Musikern  seiner  Uingebimg  Sebastian   Bach 
von  ihm  hochgeschiitzt,  mit  Koniglicher  Gunst  cmp&ngen 
und  behandelt  worden  ist,    Ebenso   ist   cs  imzweifelhaft, 
dass    sein    Beispiel,    sein    Mitwirken,    seine    porflonlieho 
Uebung  einen  bedeutenden  und  nachhaltigen  EiniluKs  auf 
die  musikalische  Bildung  und  die  kiinistlorischon  Ifcatre- 


—    31    — 

bungen  nicht  bloss  seiner  Hauptstadt,  sondern  auch  seiner 
Zeit  iiberhaupt  ausgeubt  haben.  Dies  beweist  schon  der 
Zusammenfluss  und  das  Zusammenwirkert  so  vieler  inusi- 
kalischer  Krafte,  die  sich  unter  ihm,  ungeaclitet  seiner 
grossen  Voz^liebe  fiir  die  italienische  Musikrichtung,  zu  der 
klassischen  Berliner  Schule  zusammen  fanden  und 
fast  ein  halbes  Jahrhundert  lang  wahrlich  nicht  ohne 
Wirkung  und  Erfolg  mit  einander  gewirkt  haben.  Dies 
beweist  ferner  nicht  weniger  der  bedeutungsvolle  Umstand, 
dass,  wahrend  diese  Manner  in  der  Oper  wie  in  den 
Karninerrnusiken  vollauf  thatig  waren?  sich  gerade  dnrch 
sie  nicht  bloss  der  neuere  deiitsche  Styl  zu  entwickeln 
begann?  sondern  dass  sich  zu  gleicher  Zeit  auch  in  ihnen 
f&r  die  Theorie  der  Musik  eine  Pflanzschule  bild6te;  deren 
Result  ate  die  kiinstlerische  Richtung  ihrer  Zeitgenossen 
weithin  uberdauert  haben.  Ware  dies  moglich  gewesen, 
wenn  Friedrich's  des  Grossen  musikalische  Richtung 
nicht  klassischer  Natur  gewesen  ware?  Gehorten  die  bei- 
den  Graun?  die  Benda,  Fasch;  Agricola,  Nichelmann 
und  Bach  nicht  der  klassischen  Schule  an?  Und  bezeugt 
nicht  das  treffliche  Werk  von  Quanta  iiber  die  Flote, 
dass  dieser  grosse  Kunstler  darch  und  durch  von  dem  alt- 
klassischen  Geiste  der  Musik  erf  [tilt  war?  In  Dresden 
hatte  die  grosse,  besonders  reich  ausgestattete  und  von 
Hasse  so  trefflich  geleitete  Oper  unter  August  III.  kei- 
rxen  anderen  Zweck,  als  den  der  Unterhaltung  fur  den 
Konig  und  den  Hof.  Friedrich  II.  diente  mit  seiner 
Oper  der  Kunst  Er  leitete  sie  bis  in  das  Detail  hinein 
selbst.  Wenn  dies  unter  Unistanden  fiir  die  Personen; 
die  dabei  mitzuwirken  berufen  waren,  lastig  sein  konnte, 
so  gab  es  dern  Ganzen  doch  ein  gewisses  Geprage  von 
Bedeutung  und  Grosse,  das  wohl  geeignet  war  jene  per- 
^Snlichen  Uebelstande  als  untergeordnet  und  ertraglzch 
erscheinen  zu  lassen,  zumal  einem  Manne  wie  dem  grossen 
Konige  gegenuber. 


-    32    - 

Auch  fur  die  Kammennusik  war  die  Ruckwirkimg, 
welche  der  nausikalisch  geforintc  Sinn  des  Kdnigs  austibte? 
von  nicht  zu  unterschatzendeni  Gewicht.  Die  itaiienische 
Melodieen-Bildting,  der  Eeiz  geftilliger  Kiangwirkungen?  das 
in  der  deutschen  Musik  bis  dahin  liber  Gebtihr  vernach- 
lassigte  sinnliche  Element  —  dies  alles  verpflanzte  sich 
aus  der  Oper  nnd  Kaninier  dos  Konigs  in  das  allgeracin 
kiinstlerische  Bewusstsein  der  Zeitgenoasen  und  begann 
dort  seine  Verschmelzung  init  dena  altklassischeu  Geiste, 
aus  der  weiterhin  so  schono  Friiclite  orwachscn  sollton. 

Carl  Philipp  Emanuel  Bach  ist  desseu  Zeuge. 
Schwerlich  wttrdc  er  es  vermocht  haben;  die  Schrankcn 
der  alten  Schule,  in  der  er  erzogen  war,  zu  durohbiNjchen 
und  gewissen  Eichtungen  der  Tonkunst  die  noucn  Salmon 
anzuweisen?  die  diese  von  ihm  ab  und  wcsentlich  durcli 
seine  Anregung  schreiten  sollten,  wenn  cr  nicht  am  Hole 
Friedrichs  des  Grossen  jene  Versehmelxung  von  Ge- 
sang  und  klassischer  Wiirde  in  sich  aufgenommen  hattc? 
die  in  seinen  Tonstiicken  so  sehr  benierkbar  ist.  Das 
Gesangsmassige  in  der  Musik ?  die  Melodic  war  os,  die  er 
dort  mit  so  grossem  Glticke  seinen  Instrmnental-Compo- 
sitionen  aufpragen  lernte,  das  lyrischc  Element,  das  ihn 
lehrte  dena  deutschen  Liede  Inhalt  und  Form  zu  ver- 
leihen. 

Es  ist  nicht  absichtslos,  dass  diesc  Thatsaehe  an  den 
Anfang  des  Lebenslaufs  gestellt  wird,  der  von  dem  inerk- 
wiirdigen  Manne  hier  aufgezeichnet  werden  soil  So  wenig 
wie  die  kiinstlerische  Eichtung  seines  grossen  Vntors,  ebon 
so  wenig  ist  seine  eigene  eine  zufallige  gewcsen,  Sie  ist 
aus  der  Eiickwirkung  hervorgegangen,  wclcho  des  Konigs 
wunderbarer  Geist  auf  seine  Umgebung  austiben  musste* 
Bach  lebte  am  Hofe  unter  und  mit  Mannern,  die  init  ihm 
demselben  Ziele  zusteuerten.  Er  iiberwog,  violleicht  mit 
Ausnahme  von  Graun?  ihrer  Alle.  Der  Sehopfer  des 
modernen  Liedes  und  der  neueren  Musiksclmlo  fur  daa 
Clavier  erstarkte  in  seinem  Streben,  in  seiiiom  Wollen 


—    33    — 

und  Konnen  in  jener  Sphare,  die  bewusst  oder  unbewusst 
die  Grundlage  der  Kunst,  den  Ernst  und  die  Strenge  des 
Styls  mit  dem  Wohllaute  der  berechtigten  sinnliclien  Ele- 
mente  in  Uebereinstimrnung  zu  setzen  trachtete.  Emanuel 
Bach  war  sich  Member  keineswegs  unklar.  Oder  was 
hatte  es  sonst  fur  eine  Bedeutung;  wenn  er  in  seiner  inehr- 
erwahnten  biographischen  Skizze  ausdrucklich  sagt: 

,,Meine  preussischen  Dienste  haben  mir  nie  so  viel 
Zeit  iibrig  gelassen,  in  frerade  Lander  zu  reisen.  Ich  bin 
also  bestandig  in  Deutschland  geblieben  und  habe  nur  in 
diesern  rneinern  Vaterlande  einige  Eeisen  gethan.  Dieser 
Mangel  an  auswartigen  Reisen  wiirde  mir  bey  meinem 
Metier  nielir  schadlich  gewesen  sein,  wenn  ich  nicht  yon 
Jugend  an  das  besondere  Grltick  gehabt  hatte,  in  der  Nahe 

das  Vortrefflichste  von  aller  Art  von  Musik  zu  horen 

Von  allem  dem?  was  besonders  in  Berlin  und  Dresden  zu 
horen  war,  brauche  ich  nicht  viel  Worte  zu  rnachen;  wer 
kennt  den  Zeitpunkt  nicht,  in  welchem  mit  der  Musik 
sowolil  iiberhaiipt?  als  besonders  mit  der  accura- 
"testen  und  feinsten  Ausfiihrung  derselben  eine 
neue  Periode  sich  gleichsam  anfing,  wodurch  die 
Tonkunst  zu  einer  solchen  Hohe  stieg7  wovon  ich 
nach  meiner  Empfindung  befurchte,  dass  sie  ge- 

wissermassen  schon  viel  verloren  habe Genug, 

ich  musste  niich  bognugen  und  begnligte  mich  auch  sehr 
gerne,  ausser  den  grossen  Meistern  uns'res  Vaterlandes  das 
Vortrefflichste  von  aller  Art  zu  horen  ?  was  die  fremden 
Sregenden  uns  nach  Deutschland  herausschickten.  Und  ich 
glaube  nicht,  dass  ein  Artikel  in  der  Musik  librig  sei? 
Lwovon  ich  nicht  einige  der  grossten  Meister  g.ehort  habe." 
[;>  Nun  ist  Bach,  abgesehen  von  einer  Badereise  nach 
fTeplitz  irn  Jahre  1743 ,  wohl  nur  als  Knabe  mit  seinem 
feater  in  Dresden  gewesen.  Denn  das  Reisen  war  zu  jener 
&eit  schwierig  und  kostbar.  Es  konnen  daher  die  Ein- 
fciicke,  die  er  empfangen  hat  und  die,  wie  er  selbst  sagt, 

Bitter,  Emanuel  und  Friederaann  Bach.  3 


—    34    ~ 

einen  so  grossen  Einfluss  auf  ihn  ausgeubt  haben,  kauin 
anderswoliin  als  auf  seine  Stellung  in  Berlin  zuriickge- 
fuhrt  werden.  Er  stand  als  Cembalist  des  Konigs  geradezu 
im  Centrum  des  dortigen  nmsikalisehen  Strebens  wie  des 
Drangens  der  Zeit.  Man  darf  hiernaeh  dein  glitcklichen 
Umstande  der  ihn  dort  hin  bcrufen  hatte,  cine  nicht  ge- 
ringe  kunstgeschielitliclie  Bedeutung  beilegen. 

Bei  dem  specielleren  Eingehen  auf  seine  Thutigkeit 
als  Tonsetzer  wird  sich  oft  genug  die  Veranlassung  erge- 
ben?  neben  diesen  Lichtsciten  auch  der  Schatten  zu  geden- 
ken,  an  denen  es?  zumal  bci  deni  auf  praktuche  Erfolgo 
gerichteten  Streben  Bacli's;  keineswegs  gefehlt  Lat. 

Emanuel  Bach  behandelt  in  seiner  Lebens-Skizze 
die  seiner  Anstellung  folgenden  27  Jahre  seines  Lol/ens 
mit  ziernlicher  Ktirze.  Er  sagt  von  ihnon  nur:  ??Von 
dieser  Zeit  an  (1740  bis  1767  im  November)  bin  ich  be- 
standig  in  preussischen  Diensten  gewesen;  ohngeachtet  ich 
ein  paarmal  Gelegenheit  hatte,  vortheilhaften  Rufon  andora- 
wohin  zu  folgen.  Seine  Majestat  waren  so  gnlldig,  alles 
dieses  durch  eine  ansehnlichc  Zulage  meines  Gehalts  zu 
vereiteln."  Weiterhin  sagt  er:  ?JAnno  1744  habe  ich  mich 
in  Berlin  mit  Jungfer  Johanna  Maria  Danncmannin7 
eines  dasigen  damals  lebenden  Womhiiudlcrs  jtingsten 
Tochter,  verheyrathet." 

Diese  einfaehen  Nachrichtcn  genugen  nicht,  um  eine 

Uebersicht   von  seinen  Lebensverhiiltnissen  zu  gewinnen. 

Auch  sonst   sind  kaum   die  notlidtirftigston  Andetttungen 

daruber  aufzufinden(gewescn.    Diesen  lotztorcn  gehort  an, 

,dass  Emanuel  im  Jahre  1743?  also  ein  Jahr  vor  seiner 

^Verheirathung,  ;,aehr  gichtbruchig  war  und  doshalb  da» 

Teplitzer^Bad  gebrauchen  musste." 

Es  ist  ferner  der  besondere  Anthoil  bokannt,  den  or 

an   dem   Besuche   hatte,    den   sein  Vater  im  Jahre  1747 

MFriedrich  dem  Grossen  abgostattet  hat,     Iliomit   mid 

mit  de?  Notiz;  dass  er  auch  einmal  (1758),  nnitlmuwlich 

mit  seinem  Freunde  und  Oollegon  Fascli,   zum  Besuehe 


—    35    — 

bei  dessen  Vater  in  Zerbst  war,  dass  er  in  den  ersten 
Jahren  seines  Aufenthaltes  in  Berlin  dem  nachmaligen 
Herzog  Carl  En  gen  von  Wurtemberg  Musik-Unterricht 
gegeben  und  bei  der  Prinzessin  Am  alia  von  Preussen, 
des  Konigs  jtLngerer  Schwester,  in  besonderer  Qunst  ge- 
standen  hat,  ware  auch  ziemlich  erschopft?  was  sich  von 
seineni  Leben  in  Berlin  sagen  liesse,  wenn  nicht  die  Ar- 
beiten  dieses  ausgezeichneten  Mannes  den  sonst  leeren 
Rahmen  seines  Bildes  in  vollkommener  Treue  und  Voll- 
standigkeit  ausfullen  hulfen. 


Capitel  II. 

Compositioueu  walirend  dieser  Zeit. 


Diese  Arbeitcn  sind  reich  genug?  um  alle  sonst  fehlen- 
den  biographischen  Nachrichten  zu  erganzen,  und  sie  liegen 
zuni  grossen  Theil  in  einer  Vollstandigkeit  und  Correct- 
heit  vor,  wie  diese  sich  in  den  Ergebnissen  der  Thatigkeit 
alterer  Meister  aus  dena  Anfang  und  der  Mitte  des  acht- 
zehnten  Jahrhunderts  nur  selten  vorfindet.  Sie  geben  in 
zienalicher  Grenauigkeit  den  kiinstlerischen  Lebensgang 
Emanuel  Bach's  an  und  gewahren  einen  genauen  Ueber- 
blick  liber  sein  gesamrntes  schaffendes  Wirken. 

A,   Die  Clavier  -  Compositionen. 

Das  Clavier  war  Bach's  Haupt-Instrument,  xnuthraass- 
Jich  das  einzige?  das  er  etwa  nut  Ausnahme  der  Orgel 
uberhaupt  gespielt  hat.  Ihm  hat  er  wahrend  seines  Aufent- 
haltes in  Berlin  den  weittiberwiegenden  Theil  seiner  Tha- 
tigkeit zugewendet.  In  ihm  hat  er  die  besondere  Auf- 
gabe  seiner  kiinstlerischen  Lebens-Entwickelung  gefunden. 


*-   36   - 

Seine  in  Berlin  fur  das  Clavier  geschriebenenen  Com- 
positionen  sind  in  chronologisclier  Reihenfolge  aufgefuhrt 
folgende: 

1738:   Clavier-Concert,  G-dur  2/4  ruit  Quartett-Begieitung. 
1739:   Sonate  fur  Clavier   (gedr.  in   der  1.   SammL    der 

inusikal.  Nebenstunden). 
Clavier-Solo,  B-dur  2/4. 
Clavier-Concert,  C-nioll  2/4  erneuert  1762. 
1740:   Clavier-Solo    (gedr.   in  der  3.   Sauiinl.   von  Mar- 

purg's  Clavierstiicken). 
DesgL  G-dur  2/4. 
6  Sonaten,  Friedrich  II.  gewidmet,  (gestochen  bei 

Schmidt,  Nurnberg  1743). 
Concert  fiir  2  Claviere,  2  Horner,  Quartett  F-dur 

%  in  Potsdam  gesetzt. 

Clavier-Concert  G-nioll  %  mit  Quartett-Begieitung, 
DesgL  A-dur  4/4  mit  Quartett-Begieitung.  """" 

1741:  DesgL  A-dur  %  mit  Quartett-Begieitung. 
1742:   3  Sonaten  (1.,  2.    und  4.   der  Wiirtembergischen 

Sonaten,  1745). 

Concert  mit  Quartett-Begieitung,  G-dur  4/4. 
DesgL  C-dur  2/4. 

1743:   Clavier-Solo,  D-dur  3/i  in  Teplitz  componiri 
Die  3.  und  5.  der  Wurtembergischen  Sonaten. 
Clavier -Concert   mit  Quartett-Begieitung,    D-dur, 

(gest.  bei  Schmidt  in  Nurnberg). 
1744:   Clavier-Solo,  D-dur  %• 

Die  6.  der  Wiirtembergischen,  Sonaten. 
Clavier-Sonate  gedr.  in  den  Oeuvres  indices,  P,  III. 

E-dur  4/4. 

DesgL  gedr.  in  den  Oeuvres  m616es,  P.  IV.  D-inoll  4/4. 
DesgL  C-dur  l2/8  in  der  Coll.  recreative.  Oeuvre  II. 
DesgL  C-dur,  gedr.  im  Musik.  Allerlei,  St.  38. 
Desgl  4  Sonaten  der  2.  Forts,  der  Reprisen-Sonaten. 
Clavier-Concert,  F-dur  4/4  mit  Quartett-Begieitung. 
DesgL  A-dur  4/4  gedr.  bei  Winter  in  Berlin, 


-    37    - 

Desgl.  D-dur  */* 
1745:   Clavier-Solo,  G-dur  %• 

Sinfonie;  auf  das  Clavier  accommodirt,  E-rnoil  4/4« 

Menuett  mit  Veranderungen,  C-dur  3/4- 

Clavier-Concert  mitQuart.-Begleitung  3/4. 

Desgl.  G-dur  2/A. 

Desgl.  D-moll  % 

Desgl.  D-dur  4/4?  (fine  den  5.  April  1745). 
1746:   4  Clavier-Soli,    C-dur   4/4?    G-moll  %,    F-dur  4/4, 
F-dur  Vs- 

Clavier-Concert  niit  Quartett-Begleitung,  A-dur  4/4. 

Desgl.  mit  Quartett-Begleitung,  C-dur  4/4. 
1747:   2  Clavier-Soli,  B-dur  4/4?  F-dur  4/4. 

Arioso  mit  Veranderungen;  F-dur  -/4* 

Sonate  fur  Clavier  niit  2  Tastaturen,  D-moll  3/4- 

1  Sonate  der  2.  Fortsetzung  der  Reprisen-Sonaten. 

Clavier-Concert  mit  Quartett-Begleitung,  A-moll  */4 
erneuert  in  Hamburg  1775, 

Desgl.  mit  2  Hornern  und  Quart  ett,  D-moll  4/4. 
1748:    Clavier-Solo,  G-dur  3/4- 

gedr.  in  Wewer's  Tonstiicken. 


T^      i      v       n  «  vier 

Desgl.  D-moll 


Clavier-Concert  mit  2  Floten  und  Quar-  , 

tett,  D-moll  3/4?  (     am  ^6" 

Desgl,  Quartett,  E-moll  */4,  '      S 

1749:   Clavier  -Solo,    F-dur    4/4    gedr.    in    den    Oeuvres 

me!6es?  P.  I. 

^2  desgl  D-moll  4/47  A-moll  4/4. 
Desgl.  irn  Musik.  Mancherlei?  St.  14.  15. 
Clavier-Concert  mit  Quartett-Begleitung,  B-dur  4/4? 
(gest.    von  Schmidt    in  Ntirnberg),    gesetzt    in 
Potsdam. 
1750:   Allegretto  mit  Veranderungen,  C-dur  2/4  gedr.  im 

Musik.  Allerlei,  St.  3. 
Clavier-Solo,  G-dur  2/4  ebendort  gedr. 
6.  Sonate  der  1.  Fortsetzung  der  Keprisen-Sonaten. 


-    38    - 

Clavier -Concert  mit  Quartett,  2  Honicrn,  Trom- 

peten,  Pauken;  2  Oboen,  2  Floten,  D-dur  *,V 
Desgl.  mit  Quartett,  A-rnoll  %. 
1751:   Suite,  gedr.  iin  Musikal.  Allerlei.  St.  25, 

Clavier-Concert?  A-dur  4/4. 
1752:   Clavier-Solo,  gedr.  in  Marpurg's  raccolta. 
Desgl.  G-moll  2/4. 

Lied  mit  Ver Under ungen,  F-dur  6/s  ,7Ich  sehlief,  da 

tramnte  mir";  gedr.  im  Musik.  Allerlei  u.  Vielorlei, 

1753:   6  Sonaten  fur  Clavier,  zuin  1.  Versuch  iibor  clio 

wahre  Art  das  Clavier  zu  spielen, 
Fantasie  in  C-moll,  ebendazu  gehorig. 
Clavier-Concert  mit  Quartett-BegleitUBg,  A-dur  4/4 

in  Potsdam  gesetzt. 

Desgl.  mit  Quartett-Begleitung,  G-moll  */-i  iu  Pots- 
dam gesetzt. 
Desgl.  C-moll  4/V 

1754:   Clavier-Solo,  gedr.  im  Musik.  Mancherlei. 
Desgl.  Es-dur  4/4. 
4  petites  pieces,  (la  Gauso,  la  Pott,  la  BorchMrardt, 

la  Bohmer). 
Clavier-Concert  mit  Quartett-Begleitung  u,  2  Floten, 

G-moll  2/4- 

Sinfonie  fur  Clavier  imd  Violine,  D-dur  %. 
1755:  6  Fugen  fur  Clavier,  D-moll  3/4?  F-dur  %?  A-dur  V4? 
G-moll  4/4,  Es-dur  Allabr.,  C-moll  */«.  (Die  meisteu 
gedruckt). 

10   petites   pieces,   (la  Philippine,    la  Gabriel,    la 
Caroline,  la  Princette,  1'Aly,  la  Gleim,  la  Stahl, 
la  Bergius,  la  Buchholz,  la  Herrmann). 
Clavier-Solo,  E-dur  %. 
Allegretto,  C-dur  4/4- 
Allegro,  D-dur  V*- 

Clavier-Concert  mit  Quartett-Begleiiung,  F-dur  2/4« 
Concert  ftir  die  O'rgel  oder  Clavier,  G-dur  l/^ 
1756:   Clavier-Solo,  JB-moU  V*- 


—    39    — 

6  petites  pieces,  (la  caprieieuse,  la  complaisante, 
les  langueurs  tendres,  la  journalise,  1'irresolue, 
la  Louise)  gedr.  im  Musik.  Allerlei  und  in  Mar- 
purg's  2.  raccolta. 

Andantino,  D-moll  2/4  gedr.  ebendort. 
Clavier-Solo,  gedr.  ebendort. 
1757:   2  Clavier-Soli,  A-dur  </4,  B-dur  4/4;  gedr.  in  den 

Oeuvres  melees. 
Desgl.  C-moll  44. 

3  desgl.,  gedr.  im  Musik.  Mancherlei. 
5  petites  pieces,  (la  Xenophotf,  la  Sibylle,  la  Sophie, 

rErnestine,  I'Auguste,  gedr.  im  Allerlei  und  in 

Marpurg's  raccolta) 
1758:   Clavier- Solo ,   H-jnoll  4/4,    gedr.  in   der  Collection 

recreative,  Oeuvre  I. 
Desgl.,    gedr.  in  den  Oeuvres  melees  P.  IX.,   in 

Zerbst  gesetzt. 

Desgl.,  gedr.  in  den  Oeuvres  melees  P.  XL 
No.  5  der  Reprisen-Sonaten. 
No.  3  und  4  der  1.  Fortsetzung  derselben. 
No.  6  der  2.  Fortsetzung. 
2.  Son  ate  der  1.  Sammlung  fur  Kenner  und  Lieb- 

haber. 
Sinfonie  F-dur  4/4  im  Jahre  1765  in  Potsdam  fur 

Clavier  eingerichtet,  gedr.  in  den  Clavierstiicken 

verschiedener  Art. 
Sinfonie  G--dur  4/4    1766  fur  Clavier  eingerichtet, 

gedr.  im  Musik.  Vielerlei. 
12  kleine  Stiicke  mit  2  und  3  Stimmen,-  in  Taschen- 

format,  gedr.  Berlin  bei  Winter. 
1759:   Die  1.  2.  3.  4.  und  6.  der  Reprisen-Sonaten. 
Clavier-Solo,  A-moll  2/4- 

5.  Sonate  der  1.  Fortsetzung  der  Reprisen-Sonaten. 
2.  desgl.  der  2.  do. 

3  Fantasien  und  3  Solfeggios,  gedr.  in  den  Clavier- 
stiicken verschiedener  Art. 


_    40    — 

Concert  fur  die  Orgel  odor  das  Clavier  mit  Quartett- 

Begleitung  und  2  Hornern,  Es-dur  a/4. 
Sonate  fiir  Clavier  und  Gainba,  G-moIl  2/4. 
1760:   Clavier-Solo,  B-dur  4/4. 

Sonate  1  und  2  der  1.  Fortsetzung  der  Reprisen- 

Sonaten. 

3  petites  pieces:  Allegro,  Polonaise  und  Verandc- 
rungen  auf  eine  italionischc  Ai'iette,  gedr.  im 
Musik.  Allerlei  und  Vielerlei. 

1761:  3.  Sonate  der  2.  Fortsetzung  der  Reprisen^Sonaten. 
1762:  5.  do.  do. 

Sonate  1  und  5  der  leichten  Clavier-Sonaten. 

6  Menuetten  |    zum  Theil  in  die  Jahre  17(>3;   64 

3  Polonaisen  j    und  65  fallend,  in  Potsdam  gesetzt. 

2  Clavier -Concerte  mit  2  Ilornern  und  Quartett- 
Begleitung,  B-dur  4/4  und  C-moll  V*. 

Sonatine   fur   Clavier ;   2   Homer,    2   Flo  ten    und 

Quartett,  D-dur  %. 
Desgl.  fur  2  Olaviere,    3  Tronipeten?   Pauken,  2 

Homer,  2  Floten,  2  Oboen,  Basson  und  Quar- 

tett,  A-dur  6/8. 

3  desgl.  fur  Clavier,  2  Horner,  2  Flo  ten  und  Quar- 
tett,  G--dur  %,  G-dur  %,  F-dur  %. 

1763:   6.  Sonate  der  3.  Sammlung  fiir  Kenner  und  Lieb- 

haber. 

Clavier-Solo,  H-moll  %. 
Desgl.,  gedr.  in  den  Clavierstiicken  vorschiedenor 

Art, 
5  Clavier- Soli ;   E-moll    4/4,    A-dur    4/4?    B-dur   %, 

D-dur  %,  C-dur  %- 

Clavier  -Concert  mit  Quartett-Begleitung,  F-dur  %. 
4Trii,  H-moll  %,  B-dur  %,  Es-dur  V4und  F-dur  V4 

(Potsdam). 
5  Sonatinen  fur  Clavier,  2  Hornor,  2  Floten,  Quar- 

tett,  B-dur  3/4,  E-dur  Allabr.,  C-dur  V4;  D-dur  %, 

C-dur  6/8. 


—    41    — 

1764:   2.  3.  4.  und  6.  der  leichten  Clavier-Sonaten. 

2  Sonatinen  fur  Clavier,  2  Horner,  2  Floten  und 
Quartett  (Potsdam),  F-dur  4/4,    Es-dur  4/4,  beide 
gedruckt 

1765:    Concerto,  gedr.  in  den  Clavierstiicken  verschiedener 

Art. 
9  Satze  fur  Clavier,  gedr.  in  der  1.  Sammlung  der 

kurzen  und  leichten  Clavierstticke  (Potsdam). 
4.  und  6.  Sonate  der  1.  Samrnlung  fur  Kenner  und 

Liebhaber  (Potsdam). 

2.  3.  und  5.  Sonate  fur  Damen  (Potsdam), 
2.  Sonate  der  4.  Sammlung  fur  Kenner  etc. 
Clavier-Solo,  Es-dur  4/4  (Potsdam). 
Desgl.  A-dur  44  (Potsdam  und  Berlin). 
Clavier -Concert  rait  Quartett -Begleitung,  B-dur  4/^. 
Desgl.  Es-dur  %. 
1766:   3  Clavier-Satze,  gedr.  in  den  kurzen  und  leichten 

Clavierstiicken. 
12  Variation  en   zu   einer   franzosischen  Eomanze, 

Gr-dur  4/4. 

3  Clavier-Soli,  B-dur  %   B-dur  Allabr.,  E-dur  3/2. 
1.  4.  und  6.  Sonate  for  Damen  (Potsdam). 
Clavier-Solo,  gedr.  bei  Breitkopf  1785. 

Desgl.,  gedr.  im  Musik.  Vielerlei. 

3  Fantasien  und  3  Solfeggien,    3  Menuetten  und 

3  Polonaisen,  gedr.  im  Musik.  Vielerlei. 
4.  Sonate  der  3.  Sammlung  fur  Kenner  etc. 
Trio  fur  Clavier  und  Flote,  C-dur  \. 
1767:    12  Satze   fur  Clavier,    gedr.   in  den    kurzen   und 

leichten  Clavierstiicken,  2.  Sammlung. 
Diesen    zahlreichen    Stitcken    aus    der   Berliner    Zeit 
E  in  an  u el   Bach's    sind  noch  anzureihen,    ohne  dass  das 
Jahr  der  Entstehung  bekannt  ware: 

4  abwechselnde  Clavier -Menuetten,  gedr,  im  Musik.  Man- 
cherlei. 


-    42.   ~ 

I  ' 

Ein  canonischer  Einfall,  gedr.  im  3.  Baude  der  Marpurg'- 

scheri  Beitrage. 
Verschiedene  Exempel  und  Canones  zu  Marpurg's  Ab- 

handlung  von  der  Fuge. 
1  Sonate;  abgedr.  im  Musik.  Allerlei. 
1  Duo  im  Contrapunkt,  A-moll  %• 
5  verschiedene  kleine  Clavierstttcko,  gedr.  in  Marpurg's 

raccolta  I. 
Sinfonie  mit  dem  Fiirsten  Lobkowitz,  einen  Takt  urn  den 

andern  aus  dem  Stegreif. 

Will  man  diese  ausserordentliche  Anzahl  von  grosseren 
und  kleineren  Musikstiicken  nach  ihren  verschiedenen  Ka- 
tegorien  classificiren,  so  ergeben  sich 

1.  an  Sonaten  und  Solis  fur  das  Clavier  allein,  wo- 
bei  bcmerkt  werden  mag,  dass  die  nach  dem  Nach- 
lass-Katalog  als  Clavier-Soli  bezeichneten  Stiicke  den 
Sonaten  angehoren 

2.  an  Suiten,  Sinfonien,  freien  Fantasien 
und  Concerten  fur  Clavier  ohne  Begleitung 
anderer  Instrumente g 

3.  an  Clavier- Variationen 4 

4.  an  Fugen  fur  Clavier g 

5.  an  kleinen  Stiicken  jeder  Art,  einschliess- 
lich  der  Menuetten,  Polonaisen,  kleinen  Fan- 
tasien;  Solfeggien '.....     105 

Zusammen    237 
Ferner  mit  Begleitung  von  Instrumenten  ; 

6.  Concerte 90 

7.  Sonatinen jo 

8.  Trii     .    f  . 

«A    55 

292 

Von  diesen  Stiicken  sind  wdhrend  der  Lebzeit  Bach's 
175  gedruckt  worden,  und  es  sind  daher  mehr  als  100  iu> 
gedruckt  geblieben1). 

i)  Selbstverstandlich  sind  in  der  obigen  Nachwoisung  die  ver- 


—     43     — 

Stellt  man  dieser  ausserordentlichen  Thatigkeit  den 
inneren  Werth  der  Arbeiten  gegeniiber,  so  steigt  ihre  Be- 
deutung.  Zwar  findet  man  in  ihr  zunaehst  Emanuel 
Bach  noch  in  dem  Grange,  den  ihm  die  Schule  des  Va- 
ters  angewiesen  hatte;  aber  man  erkennt  auch,  dass  er 
die  Bahn  seiner  Vorganger  sehr  bald  mit  sichereni  Be- 
wusstsein  verlasst.  Die  schonen  und  bedeutungsvolleh  Er- 
folge  des  polyphonen  Styls,  in  denen  er  selbst  begonnen 
hatte  seine  Schwingen  ftir  den  weiteren  Flug  zu  prtlfen? 
werden  von  ihm  aufgegeben.  Aber  nicht  zerschlagen  ward 
.  die  Form,  in  welcher  er  begonnen  hatte  den  Inhalt  seines 
Geistes  darzulegen.  Sie  wurde  von  Grund  aus  erneuert, 
fur  grossere  Erscheinungen  ?  fur  eiiie  neu  belebte  Gestal- 
tung  des  innersten  Wesens  der  Musik  vorbereitet. 

Der  polyphone  Styl  hatte  seinen  Gipfelpunkt  in  Se- 
bastian Bach  erreicht.  Daruber  hinaus  war  ein  Neues 
auf  dem  alten  Wege  nicht  mehr  moglich.  Das  eigen- 
sinnige  Verfolgen  jener  Richtung  wurde  znr  Verknoche- 
rung,  zur  Versumpfung  gefuhrt  haben.  Friedemann 
Bach?  der  grosse,  wie  Wenige  begabte  Contrapunktist, 
der  auf  jenen  Wegen  weiter  wandeln  wollte,  ist  dartlber 
zu  Grrunde  gegangen  und  Kirnberger  wie  Marpurg, 
diese  sich  feindlich  abstossenden  Charaktere;  wiirden  ver- 
gessene  Manner  sein?  wenn  ihnen  nicht  die  Vortrefflich- 
lichkeit  ihrer  theoretischen  Schriften  die  Pforten  fur  das 
Gedachtniss  der  Nachwelt  offen  gehalten  hatte. 

Emanuel  Bach?  als  Theoretiker  jenen  uberlegen? 
trat  mit  kuhnem  und  freiem  Geiste  in  die  neue  M'usik- 
Epoche  iiber  ?  deren  Bltithe  in  das  letzte  Ftinftheil  des 
vorigen  Jahrhunderts  fallt.  Wie  Sebastian  Bach  und 
Handel  fur  den  Kirchenstyl  und  das  Oratorium^  Grluck 
fur  die  Oper?  so  eroffaete  er  fur  die  Clavier-Musik  jene 


schiedeuen  Bearbeitungen  nicht  mit  enthalten,  denen  Bach  eine  grosse 
Anzahl  seiner  Clavierstiicke  itnterzogen,  inclem  er  sie  fiir  audere 
Instrumente  und  zu  Trio's,  umgearbeitet  hat. 


44    

Balm  neuer  Schopfungen,  deren  die  gebildete  Welt  harrte, 
Schon  die  Zeitgenossen  aus  Bach's  Periodc  gewolm- 
ten  sich  daran,  rait  bewunderndem  Erstaunen  zu  dem  bo 
wahrten  Meister  aufzublicken.  Er  hatto  cs?  dcr  orste  un- 
ter  alien  bekannt  gewordcncn  Musikern  gewagt,  populairo 
Musik  zu  setzen,  populair  in  deia  besseron  Sinne  des 
Wortes.  Er  liatte  zugleich  gewagt  den  lliunor  in  die 
Musik  einzufuhren,  und  das  alles  fur  ein  Instrument;  das 
den  weiteren  Kreisen  der  Liebhabev  wio  dor  Kenner  zu- 
ganglich  war.  Er  hatto  dies  gethan,  olmo  deshalb  den 
kunstlerischen  Inhalt,  die  Gediegenhoit  der  Form  und  des 
Satzes  aufzugeben.  Daruni  wirkten  seine  Glavier-Gom- 
positionen?  uni  die  sich  gcwisseriuassen  der  ganze  ubrige 
Inhalt  seines  Lebens  gruppirt,  sehr  bald  win  elcctriscli 
ztindende  Funken.  Odor  was  ware  cs  andores  gewosen, 
was  J.  Haydn  so  lebhaft  angeregt  hatte?  dass  er  noch  in 
seinem  Greisenalter  sein  Bekanntwerden  init  den  BachJ- 
schen  -Clavier-Souaten  als  einen  Wendepunkt  f'iir  seine 
kiinstlerische  Entwickelung  bezeichnet  hat?  Es  war  etwa 
ira  Jahre  1748  !)7  als  er,  damals  16  Jahre  alt,  aus  dem 
Kapellhause  entlassen?  ein  annseliges  Dachstiibchen  zu 
Wien  bezog,  um  sein  Leben  durch  Mitspielen  bei  Nacht- 
Musiken  und  in  den  Orchestern  zu  fristen.  Er  fib  to 
sich  fleissig  in  der  Composition.  ,?Wcnn  ich  an  rneinern 
alten,  von  Wiirmern  zerfressenen  Glaviere  sass,  beneidete 
ich  keinen  Konig  um  sein  Gltick."  Damals  war  es3  als 
ihm  die  ersten  6  Sonaten  von  Emanuel  Bach  (luuthmass- 
lich  die  1742  erschienenen  und  Fried  rich  dem  Grossen 
gewidmeten;  vielleicht  auch  die  Wiirtemborgischcn  Sona- 
ten) in  die  Hande  fielen.  7?Da  kam  ich  nicht  mehr  von 
meinem  Claviere  hinweg,  bis  sie  alle  durchgospiolt  waren, 
und  wer  mich  gnindlich  kennt,  der  muss  finden?  dass  ich 
dem  E  in  aim  el  Bach  sehr  vieles  verdanko,  dass  ich  ihn 
verstanden  und  fleissig  studirt  habe.  Emanuol  Bach 


i)  Griesinger,  biographische  Notizen  iiber  J.  Haydn,  S,  12. 


~    45    - 

Hess  mir  aucff^&rbst  einmal  ein  Compliment  dariibet 
machen."  Und^Haydn  blieb  dieser  Verehrung  treu.  Man 
mag  seine  Clavier-Sonaten  betrachten  von  welcher  Seite 
man  will,  man  findet  in  ihnen  die  Bahn  genau  inne  ge- 
halten,  die  Emanuel  Bach  dieser  Kunstform  aufge- 
pragt  hatte,  ja  man  findet  viele  derselben  in  Schreibart 
und  Charakter  dessen  Clavierstucken  vollkommen  ahnlich. 
Auch  hielt  sich  Haydn,  der  Veranlassung  hatte  Emanuel 
Bach  fur  seine  theoretischen  Studien  dankbar  zu  sein, 
selbst  noch  in  seinen  spatereii  Lebensjahren  mit  des- 
sen neueren  Compositionen  in  Verbindung.  In  einem 
Briefe,  den  er  am  16.  Februar  1788,  dem  letzten 
Lebensjahre  Bach's,  an  Art  aria  in  Wien  schrieb,  bittet 
er  diesen,  indem  er  ihm  ?;fiir  iiberschucktem  kostbarem 
Kas  und  fur  Wiirste"  dankt  zugleich:  ,?Nachstdeni 
auch  ihm  die  letzten  2  Werke  fur  das  Clavier  von 
E.  P.  Emanuel  Bach  zu  iibersenden" 1). 

Wenn  man  auf  die  in  den  deutschen  Landen  durch 
nahe  ein  halbes  Jahrhundert  hin  weit  verbreitete  Ueber- 
zeugung  blickt;  welche  in  Emanuel  Bach  den  Vater  des 
niodernen  Clavierspiels  ehrte,  und  wenn  man  die  Leistungen 
und  Erfolge  derjenigen  betrachtet?  die  zu  gleicher  Zeit  mit 
ihm  in  Lehre  und  Schrift,  in  Theorie  und  Praxis  fur  die 
Musik  gewirkt  haben,  wenn  man  dann  dem  Aufschwunge 
einige  Aufraerksamkeit  zuwendet,  den  mit  und  seit  ihm  die 
musikalische  Bildung  nahm  und  mit  dem  er  fortlebte  und 
fortschritt,  dann  muss  man  zu  der  Ueberzeugung  gelangen, 
dass  Bach's  Lehre,  mehr  noeh  das  Studium  und  die 
Uebung  seiner  zahlreichen  und  so  iiberaus  anziehend  wie 
fur  Jedermann  spielbar  geschriebenen  Claviers tiicke  die 
Ausbildung  und  Vervollkommnung  zahlreicher  Musiker  ge- 
fordert  haben  mxisse.  Denn  es  gab  in  jener  ganzen  Zeit 
ausser  ihm  und  dem  ganz  andereBahnen  verfolgendenDom. 


i)  Nohl,  Kiinstlerbriefe,   S.  102.      Mit  den  bezeichneten  Wer- 
ken  sind  offenbar  die  letzten  Hefte  fur  Kenner  und  Liebhaber  gemeint. 


-—146    — 

*  * 

Scarlatti  (f  1751)  nur  wenige  Tonsotaer  von  Rang  mid 
noch  wenigere  Lehrer  von  Bedeutung,  die  diesein  neueren 
Clavierstyl  gewachsen,  zu  seiner  Verbreitung  und  Fort- 
entwickelung  fahig  gewesen  wliren. 

Drei  Punkte  sind  es  vor  alleni,  durch  die  Bach  in 
der  Formation  seiner  Clavicrstiicke  bildend  und  veredehul 
gewirkt  hat?  namlich: 

1.  durch  die  Einheit  der  Idee,  die  or  in  jede  seiner 
Arbeiten  zu  legen  wusste; 

2.  durch  deren  geistvolle  Behandlung?  vermoge  deixm 
er  den  Spieler  znrn  Denken  und  Einpfinden  nothigte, 

3.  durch  seine  leichte  und  fasslicho  Technik. 

-Was  den  erst  en  dieser  drei  Punkte  betrifft?  so  war 
bei  der  grossen  Mehrzahl  der  Clavier  -  Compositionen  jener 
Zeit1)  der  geineinsame  Ausdruck,  die  Harmonic  der  ein- 
zelnen  Theile  oder  Satze?  deren  innere  Uebcreinsthnmting 
kauni  noch  entfernt  zu  bemerken.  Das  Untereinander- 
mengen  der  Affecte,  einander  widerstreitender  Elemente? 


i)  Selbst  der  gelehrte  Marpurg  charakterisirt  in  seinen  Clavier- 
stiicken  verschiedener  Art  (1762)  noch  die  Senate  folgendennassen: 
,,das  Wort  Soiiate  pflegt  man  In  besonderra  Verslande  alsdann  zu 
gebrauchen,  wenn  die  3  oder  4  aufeinanderfolgonden  Satze  mil  nichts 
als  den  die  Bewegnug  anzeigenden  Wortcrn,  z.  E,  mit  Allegro, 
Adagio,  Presto  charakterisirt  werden,  obgleich  in  manchein  Stiicke 
das  vollkommene  Merkmal  einer  Allemande,  Oourarite  u,  s.  >v.  vor- 
handen  ist.  Das  erste  und  Jetzte  Stiick,  oder  das  mittlero  und  letxte 
wird  in  hurtiger  Bewegung  und  aus  eben  dem  Ton  und  Modo,  und 
in  dem  ersten  Falle  das  mittlere,  in  dem  andcren  aber  das  crste  in 
langsanaer  Bewegung  gesetzt  etc,  Auf  diese  Art  wird  es  ordent- 
licher  Weise  gehalten.  Ausserordentlichor  Weiso  konnen 
alle  3  Stiicke  einer  Sonate  im  Ton  und  Modo  von  einander  tmtor- 

schieden  sein Man  liat  Exempel  an  den  Piobcsiuckou  unseres 

beriihmten  Herrn  C  P.  E.  Bach."  Hiernach  hatto  es  fur  die  Sonate, 
ungeachtet  Bach  deren  schon  seit  mehi  als  20  Jnlireu  gcsetzt  hatte, 
nur  jene  rein  ausserlichen  Bestnnmungsforraen  gegebcn,  Dass  sie,  AVIO 
dies  bei  ihm  von  Anfang  an  der  Fall  war,  cinen  bestimniten  Oedankon 
in  durehgefiihrter  Einheit  enthalten  musse,  und  dnss  eben  die  Stiicko 
Bach's  in  diesem  Punkte  eine  Neuerung  von  grosstor  Bedeutung  ent- 
bielten,  dies  scheint  Marpurg  vollig  entgangen  zu  sein, 


"  — '  '47  -  — ^ 

welches  den  Zweck  hatte,   den  verschiedenen  Vortrag  zu 
zeigen,  war  iiberwiegend  gewordenl 

Diesena  Unwesen  trat  Bach  in  seinen  Arbeiten  ent- 
gegen.  Unter  alien  seinen  zahlreichen  Clavierstiicken  wird 
sich  kaum  eines  finden,  in  dem  nicht  der  durchgehende 
einheitliche  Charakfcer  xnit  JDeutlichkeit  erkennbar  ware. 
Hierin  lag  ein  ungeheurer  Fortschritt. 

Ueber  die  Auffassung,  die  er  in  der  Ausfiihrung  seiner 
Glavier-Compositionen  forderte,  hat  er  sich  am  klarsten  in 
seinem  Versuche  fiber  die  wahre  Art  des  Clavierspiels 
ausgesprochen :  ,,Ein  Musikus  kann  nicht  anders 
ruhren,  er  sei  denn  selbst  geriihrt".  Alles  bloss 
Bravourinassige,  der  Charlatanismus  in  der  Kunst  war  ihm 
verhasst.  Das  Clavierspiel  sollte  ein  singendes  sein.  Da- 
her  seine  melodieuse,  klare  Behandlung  der  Tonstticke, 
das  gefuhlvoll  riihrende,  das  er  in  sie  zu  legen  wusste/  das 
geistvoll  spielende,  humoristisch  neckende  derselben;  das 
in  alien  Verwickelungen  und  Verbindungen  klare  Hervor- 
treten  der  Haupt-  und  Neben-Gedanken.  ?;Mich  daueht", 
sagt  er  ana  Schlusse  seiner  Lebensskizze;  ,;die  Musik  musse 
vornehmlich  das  Herz  riihren?  und  dahin  bringt  es  ein 
Clavierspieler  nie  durch  blesses  Poltern,  Trommeln  und 
Harpeggiren;  wenigstens  bei  mir  nicht."  Diesem  Grund- 
satze  entsprechen  alle  seine  Claviersachen?  so  wo  hi  di^  aus 
der  ersten  als  die  aus  der  letzten  Zeit  seines  Lebens. 

Was  endlich  die  Technik  anlangt,  so  ist  sie  oft  gfeug 
brillant  und  erfordert  durch weg  eine  zierliche,  feine  Jiind 
saubere  Hand.  Aber  wer  sich  durch  gehaufte  Schwierig- 
keiten  und  glanzende  Kunstfertigkeit  im  modei^nen*  Slhne 
zur  Geltung  bringen  will,  wird  hier  seine  Kechnung  nicht 
finden.  Baches  Sonaten  und  Goncerte  konnen  in  tech- 
nischer  Beziehung  von  jedem  Spieler  bewaltigt  werden; 
der  die  Finger  so  weit  in  der  Gewalt  hat?  um  massigen 
Forderungen  zu  geniigen.  Aber  Niemand  wird  sie  spielen 
konnen ,  der  nicht  zugleich  auch  die  Fahigkeit  hat,  den 
in  ihnen  liegenden'Sinn  durch  den  Vortrag  auszudriicken. 


-    48    - 

Wie  wohl  Bach's  Clavierstiicke  sehr  oft  cine  popul&re 
Farbe  tragen,  so  findet  man  doch  in  ihnen  Unterhaltungs- 
Musik  in  dera  gewohixlichen  Sinne   des  Wortes  nirgends, 
;;Bach  vereinte  in  scincn  Clavier- Compositionon  die  strexxge 
Schule  seines  Vaters,  dessen  kunstvolle  Architektonik  und 
harmonxschen  Eeichthuin  mit  dem  Schmelz  der  italienisclieu 
Cantilene1).    Wie  Sebastian  Bach  in  seinen  Olavierwer- 
ken   franzosxsche    Eleganz,    italienischon  Wohlklang   und 
deutsche  Greinuthstxefe  211  vereinigon  wusstc,  so  war  der  Sohu 
sich  bewusst;  ;;das  Propre  und  Brillante  des  fVanzosischen 
Geschmacks  niit  dem  Schmcichelhafteu  dor  welschexx  Art 
zu  vereinigen.""    Viele  seiner  Zeitgcuosscn  hielten  ihn  fur 
barock.  In  jedem  Falle  war  er  in  alien  Clavierschopfungen, 
die  nicht  einen  vollig  sccundaren  Charaktor  tragen,  genial, 
ktihn   in  seinen  Harmonien,    unorscliopflich    in  Erfmdung- 
und  Gedankenfiille.  Wenn  Kirnberger2)  von  Sebastian 
Bach's  Fugen  sagen  konnto,  jede  dersolben  trage  oinon 
genau  begrenzten  Charakter  an  sicli,    durclx  welchen  sie 
sich  von  alien  iibrigen  unterscheide,  so  konnte  Hoi  char  dt3) 
mit  nicht  geringerem  Rechte  von  Emanuel  Bach's  Sonaten 
behaupten:    ,;Jede  hat  etwas  Besondex^es,  wodurch  sie  'siclx 
von    alien   anderen    deutlich    unterschoidet.      Ohnmoglich 
ware   es?    zu    sagen:    ;?die   beiden   Sonaten    gchox^exi   z\i~ 
sammen,  das  ist  ein  Paar." 

Seine  Zeit  war  die  des  Uebergaugs  der  alten  Instru- 
mental-Technik  fur  das  Clavier  in  den  Gebrauch  der 
anderen  Instrumente;  des  verbesserten  FltigeLs  und  dos 
Pianoforte.  Obschon  Bach  selbst  bis  an  schx  Lebeusendo 
dem  Clavichord  ;?dem  Instrumente  der  Bache,"  und 
seinem  Silbermann'schen  Clavier e  imbesondcre  treu  ge- 
blieben  i^t?  auf  diesen  Instrumenten  Wundcr  der  Ausiibmxg 
vollbringend;  so  war  er  doch  geistig  froi  genug?  um  auch 

1)  E.  F.  Baumgart,  Vorredo  zu  dor  neueu  Ausgabe  der  Sonaten 
fiir  Kenner  etc.    Breslau  bei  Leuckart, 

2)  Kunst  des  rexnen  Satzes.    Tlx.  I.    S.  203 

3)  Briefe  eines  aixfmerksamen  Reisendon,    Th.  11    S.  10. 


4Q     

rtts     -  - 

der  neueren  lustrum  en  tal-Technik  Geniige  zu  leisten.  Und 
so  sind  seine  Clavierstiicke  niclit  bloss  fur  seine,  scmdern 
auch  noch  flir  unsere  Zeit  geschrieben. 

Emanuel  Bach  hat  bei  diesen,  wie  auch  bei  manchen 
seiner  anderen  Conapositionen,  nicht  uberall  den  absoluten 
Standpunkt  im  Auge  gehabt,  den  die  Kunst  streng  genommen 
erfordert  und  den  man  in  den  Arbeiten  seines  Vaters  und  in 
denen  Beethoven's  so  unverriickbar  fest  gehalten  findet. 
Er  war  ein  praktischer  Kopf und  schrieb  fur  Bedurfnisse  und 
Forderungen,  die  nicht  imiaer  mit  den  Bedingungen  rein 
ktinstlerischer  Zwecke  in  Uebereinstimmung  waren.  E-och- 
litz  behauptet1),  Bach  habe  seine  Musikstiicke  fur  ver- 
schiedene  Klassen  von  Spielern  gearbeitet  und  diese  immer 
streng  geschieden.  Zur  ersten  Klasse  hatten  die  Schuler 
gehort,  fur  die  er  Uebungsstiicke  gesetzt  habe;  zur  zweiten 
Klasse  habe  er  die  Virtuosen  gerechnet,  fiir  die  er 
schwere,  oft  ungewohnliche  Sachen  geschrieben;  die  dritte 
Klasse  habe  die  Musik  bezahlen  niiissen?  damit  er 
von  der  Einnahme  aus  derselben  bequem.  und  angenehm 
habe  leben  konnen;  in  der  vierten  Klasse  endlich  seien 
diejenigen  gewesen?  die  er  auf  den  Titeln  als  ,,Kenner 
und  Liebhaber"  bezeichnet  habe.  Diese  Klassificirung 
moge  man  im  Auge  behalten,  wenn  man  aus  Bach's  Ar- 
beiten Resultate  ziehen  will,  die  fur  die  Kunstgeschichte 
von  Werth  sein  sollen. 

Von  den  Arbeiten  Bach's  aus  seiner  fruheren  Zeit 
(in  Frankfurt  und  Leipzig)  ist  nur  Weniges  bekannt.  Es 
mag  gestattet  sein?  seines  Erstlingswerkes  fiir  die  Oeffent- 
lichkeit,  der  im  Jahre  1731,  also  in  seinem  1-7.  Lebens- 
jahre  von  ihm  selbst  in  Kupfer  gestochenen  Menuett  mit 
ubergeschlagenen  Handen  als  einer  Arbeit,  welche  mit 
seinem  kunstlerischen  Charakter  in  keinem  weiteren  Zu- 
samnienhange  steht  und  etwa  als  ein  gelungener  Schiller- 


i)  Dialogen  iiber  musikal.  Zeit-Gegenstande.     Leipz.  Allg.  M.-Z, 
Jahrgang  25.    S.  90, 

Biiter,  Emanuel  und  Pnedemann  Back.  4 


—    50    — 

versuch  zu  betrachten  1st,  voriiborgekend  Erwiihnung  zu 
thun.  Er  selbst  nannte  diese  von  D.  Scarlatti  vielfach 
in  Anwendung  gebracktc  Cornpositionsart  spiiter  7?eine 
natiirliche  und  damals  sekr  eingeris.sene  Hexerei  *)." 
Den  grosseren  Theil  seiner  gleickzeitigon  and  sputeren 
Clavier- Arbei ten,  welche  in  die  Leipziger  Sehulzeit  und 
in  die  Frankfurter  Studicnjahre  fallen  (von  1731  bis  1738) 
hat  er  selbst  spator  uxngcarbeitet.  Seine  eigontlioke 
Thatigkeit  als  Clavier-Componist  begann  in  Berlin  (1743 
bis  1746)  wo  er?  was  er  in  seinen  Studienjakren  zn 
Leipzig  und  Frankfurt  a  /  0.  an  Sonaten  und  Concor- 
ten  componirt  katte;  erneuerter  Umarbeitung  unterzog. 
Von  ihrer  ersten  Conception  hat  man  nichts  kennen 
gelernt.  Bach  hat  in  einem  Brief e  an  Fork  el  voni 
10.  Fcbruar  1775,  der  weiterhin  mitgetlaeilt  werden  wird; 
anerkannt,  dass  die  nieisten  seiner  ungedruckten  Clavier- 
Compositionen??entweder  sehralte  oder  leichte  Sacken 
fiirAnf anger"  gewesen  seien.  Damit  hat  er  wohl  sagen 
wollen,  dass  die  sehr  alten  Sacken  eben  Anfangerarbeiten, 
oder  solcke  gewesen  seien,  deren  bleibender  Werth  von  ihm 
selbst  fur  zweifelkaft  eracktet  werden  miisse.  Die  erste  seiner 
bekannt  gewordenen  Compositionen  ans  der  Berliner 
Periode  ist  eine  Senate  VOID  Jakre  1739;  gedruckt  in  dem 
ersten  Hefte  der  7;musikaliscken  Nobenstunden."  Ihr  folgte 
aus  dem  Jahre  1740  eine  Senate,  gedruckt  1760  in  der 
3.  Sammlung  von  Marpurg's  Clavierstiicken.  Diese  Sonate 
(D-dur  1)  verdient  sckon  deskalb  eine  besondere  Aufinerk- 
samkeit,  weil  in  ihr,  als  der  zweitaltesten  der  bekannt  gewor- 
denen Clavier-Sonaten,  die  spatere  Sonatenform  Emanuel 
Bach's  vollstandig  ausgeprkgt  ist.  Die  Gedanken  treten  in 
einer  Freiheit  und  Ungezwungenheit  auf,  welche,  wenn  das 
Jahr  des  Ursprungs  nicht  bekannt  ware,  leickt  auf  eine  spa- 
tere Zeit  sckliessen  lassen  witrden.  Nur  an  wenigen  Stellen 
kverrathen  leise  Andeutijngen  die  Alt-Bach'sche  Schule. 


Burney.    Mus,  Beisen  III.    S.  203, 


—    51    — 

Das  Andante  hat  jene  gesangvolle  feine  Melodik,  welche 
des  Meisters  beste  Zeit  kennzeichnet  und  im  dritten  Satz 
zeigt  sich  der  Humorist,  der  spater  in  den  Clavier-Sachen 
eine  so  bedeutende  Rolle  zu  spielen  besthnmt  war;  in  seinen 
Anfangen. 

Die  erste  bedeuteridere  Ai^beit,  niit  der  Bach  vor 
die  Oeffentlichkeit  trat  7  war  eine  in  grosser  Zeit  ge- 
jschriebenc?  niit  einein  grossen  Namen  verkniipfte  Sonaten- 
Sammlung,  Iin  Jahre  1740 ,  dein  Jahre  des  Regierungs- 
antritts  Friedrich/s  des  Grrossen  coinponirt,  erschienen 
1742  zuni  Schlusse  des  ersten  ruhnivollen  Krieges  in 
Schlesien : 

9>Sei  Senate  per  Cembalo  die  aU  Augusta  Maesth 
di  Federico  II.  Re  di  Prussia  D.  D.  D.  Vautore  Carlo 
F Hippo  Emamiele  J3ach}  Musico  di  Camera  di  S,  M. 
Alle  spese  di  Saltliasar  Sclimid  in  Norimberga." 

Die  cleutsche  Sprache  war,  wie  bekannt;  nicht  die 
Sprache  des  Hoftons  bei  dem  grossen  Konige.  Und  so 
sehen  wir  denn?  dass  EnianuelBach,  ein  Kiinstler  von  so 
deutschem  Urtypns?  wie  es  nur  je  einen  gegeben  hat;  seinena 
Konige?  ein  em  deutschen  Fiirsten;  sein  Erstlingswerk  in 
der  Sprache  eines  fremden  Landes,  desjenigen  Landes  iiber- 
reichte?  das  zu  jener  Zeit  fur  die  Musik  als  das  gelobte 
Land  betrachtet  wurde,  Dem  Werke  war  folgende  Dedi- 
cation vorangeschickt: 

,,Sire. 

El  genio  singolarissimo  con  cui  la  MaestkVostra 
risguadar  suole  le  musical!  coinposizioni,  unito  alia 
umilissima  mia  gloriosa  servitu?  nii  obligano  a  presentare 
con  ossequio  le  present!  Sonate  a  Vostra  Mae>sta;  per 
1'unico  fine  che  essendo  questo  dal  debolissinio  Talento 
mio  quivi  ne'  fortunati  servigi  di  Vostra  Maes t a  state 
composte;  portassero  un  contrassegno  sincerissimo  di  quel 
vivo  desiderio,  per  cui  tuttora  branierei  di  rendermi 
sempre  maggiorniamente  capace  d'essere  trk  quei  che 
Tonore  godono  di  satisfare  il  fino  gusto  di  si  rinomato 


—    52    ~ 

Monarcha  con  vantaggio  annoverato.  Degrrisi  per  tanto 
1'Augusta  Clemenza  della  Maestk  Vostra  di  benigna- 
mente  qualunque  elle  sieno;  accoglierle;  montro  con 
il  piu  profondo  rispetto  d'Animo  umile  e  rivcrente  mi 
pregio  di  protesharmi *) 
Sire 

Umilissimo;  Devotissimo,  Ossequissimo 

Servo 

Carlo  Filippo  Eroanuele  Bach." 

Wenn  man  das?  was  von  dieser  Dedication  dem  her- 
gebrachten  Curialstyl  mid  der  nothwendigcn  Form  ange- 
hort?  abzieht,  so  bleibt  ein  Ausdruck  von  ehrerbietiger 
Bewunderung  fiir  den  grossen  Fiirstcn  iibrig,  dem  Ema- 
nuel  Bach  die  Erstliuge  seiner  Kunstblutlieii  opferte,  ein 
Zeugniss,  welches  fur  des  Ktmstlers  damals  noch  bcschei- 
denen  Sinn  und  fur  des  Kdnigs  uberlegene  Greistesgrdsse 
gleich  ehrend  war.  Leider  weiss  man?  dass  ini  Laufe  der 
Zeit  zwischen  dem  Letzteren  und  seinem  Cembalisten  eine 
Entfremdung  eingetreten  ist;  an  der  Bach  wohl  nicht  ohne 
Schuld  war. 

Die  Sonaten  selbst  verleugnen  die  Spuren  seines  zu 
jener  Zeit  noch  unfertigen  Styls  nicht.  Sie  sind  im  Ver- 
haltniss  zu  der  D-dur-Sonate  von  1740  ein  Riickschritt. 


!)  Zu  deutsch. 

Der  ganz  besondere  Qeist,  mit  welchem  E.  M.  musikalische  Ton- 
•schopfungen  zu  betracliten  pflegen  an  Verein  mit  meiner  ebonso  tiefen, 
als  fiir  mich  ruhmvollen  Ergebenlieit,  verpflichien  mich,  E.  M.  in 
Ehrerbietung  die  vorliegenden  Sonaten  zu  uberreichen.  Ich  habe 
hierbei  keinen  anderen  Zweck,  als  den,  dass?  da  sie  von  uieinem 
schwachen  Talente  in  dem  so  glucklichen  Dienste  E.  M.  componirt 
wozdensind,  sie  em  aufnchtiges  Zeugniss  mcines  lebhaften  Verlaugens 
ablegen  sollen,  vermoge  dessen  ich  uberall  darnach  trachten  mochte, 
mich  m  immer  boheren  Grade  wurdig  zu  erweisen,  urn  denen  anzu- 
gehbren,  die  sich  der  Ehre  erfreuen,  dem  feinen  Geschmacke  eines 
so  ruhmvollen  Monarchen  mit  crueutem  Gliicke  Geniige  zu  leisten. 
Moge  deshalb  die  erhabene  Milde  E.  M.  geruhen ,  sie  gnadig  anzu- 
nehmen,  wie  sie  auch  beschaifen  sein  niogen. 

Indem  ich  mit  der  tiefsten  Ehrerbietung  etc.  etc. 


Greschrieben  in  strengem,  meist  dreistimmigein  Satze,  sind 
sie  in  den  Motiven  weniger  bedeutend  als  man  es  yon 
dem  Sohne  Sebastian  Bach's  erwarten  sollte,  dessen 
Schule  sonst  deutlich  erkennbar  ist.  Zwar  finden  sicli 
iiberall  Ziige  geistvollster  Behandhmg  und  zunial  in  den 
langsamen  Satzen  eine  Fiille  gesangreicher  Motive,  die 
schon  hier  die  Haupt-Tendenz  des  Meisters  nach  gefuhl- 
vollem  Ausdruck  beinerkbar  werden  lassen.  Doch  macht 
sich  aucli  eine  gewisse  Breite  der  Beliandlung  geltend,  die 
nicht  uberall  Interesse  erregt. 

Abweichend  von  dem  sonstigen  Style  der  Zeit,  an 
einzelne  Wendungen  an  die  Claviersachen  seines  Vaters 
erinnernd,  in  gewissem  Sinne  in  eine  viel  spatere  Zeit 
vorgreifend  ist  das  sicli  zweinial  wiederholende  Eecitativ 
des  Andante  in  der  1.  Sonate: 


Rccit. 


dessen  declamatorischer  Charakter  recht  deutlich  auf  die 
singende  Art  zuriickweist;  die  Bach  bei  seinen  Clavier- 
sachen,  wie  bei  dem  Clavierspiel  uberhaupt  als  nothwendig 
voraussetzte. 

Das  Adagio  in  Cis-moll  in  der  3.  Sonate  mit  den  in 
dreistimmigem  Satze  nach  Alt-Bach'scher  Art  sehr  schon 
durchgefiihrten  Motiven  verdient  besondere  Erwahmmg. 
Die  5.  Sonate  (C-dur)  war  bei  J.  C.  Westphal  u.  Com  p. 
unter  dem  Titel  ?,C-dur-Sonate  per  il  Cembalo  Solo 


—    54    — 

von  Johann  Sebastian  Bach"  besonders  herausgegeben, 
und  1st  vielfach  fur  cine  Arbeit  cles  Valors  gehalten 
worden. 

Im  Q-anzon  ist  bei  dor  Beurtheilimg  dicsor  Samiulung 
festzuhalten,  dass  Enianuel  Bach,  dauiala  2(5  Jalirc  alt, 
sich  in  einem  Entwickelimgsstadio  beiand,  welches  ihm 
die  voile  Entfaltung  seiner  Erfindungsgabe  in  Melotlio  und 
Form  noch  nicht  gestattete.  Demnach  sincl  dicse  Sonaton, 
so  hoch  ihr  kunstgeschichtliohe»s  Intercsse  EU  schiiteen  ist, 
doch  nicht  denjenigen  Arbeiten  znzuzahlen ,  dercn  Wesen 
sich  liber  das  Mveau  dessen  eraporhob,  was  in  seiner 
Zeit  gut  und  bedeutend  genaimt  werden  konntc. 

Ungleich  hoher,  wenngleich  noch  in  doinselbeu  Gauge 
der  vaterlichen  Gedankenfolge  und  Schule  ^tchcn  die, 
1743  iin  Druck  erschienenen  sogenanntcn  Wiirteuibor- 
gischen  Sonaten: 

Sei  Senate  per  Cembalo  dedicate  })Alf  Altezza  Serc- 
nissima  di  Carlo  Eugenlo  Due  a  di  IVirteuAenj  t>  Tvckh, 
Gonte  di  Montbeliard,  S ignore  dl  Heidetihcim,  Cavalier  dvl 
Tosou  d'Oro,  e  Jlaresdallo  dt  Gampo  supremo  dell'  inclito 
Ctrcolo  di  Suevia  etc.  Composts  da  Carlo  Filip^o  Etna-nude 
Back,  MttSLco  di  Camera  di  S.  M.  il  Ifr  di  Pnitwia  etc.  etc. 
Opera  II  do.  Alle  sppse  di  Gloianiu  Uh'Ico  Ha  (filer.  In- 
tagliatore  in  ramc  e  Virtuosi  di  Liitto  fit,  NoriinLercja." 

Es  scheint,  dass  die  italienische  Bprache  in  Berlin  fiir 
niusicalisehe  Dedicationen  unentbehrlich  gehalten  worden 
sei.  So  ist  in  ihr  auch  die  Zueignnng  vorfiisst,  mittclst 
deren  diese  Sonaten  an  einen  Fiirsten  golnngen  solltcn, 
der  bald  genug  in  einem  unriihmliehen  Fcldiaugo  gogen 
Friedrich  II.  verwickelt,  durch  seme  Kiimpie  mit  den 
Wiirtembergischen  Standen,  durch  die  Einkorkerung  Mo- 
ser's  auf  clem  Hohentwicl  und  Schubarth's  auf  deui 
Plohenasperg  und  durch  sein  gttnzliches  Verkennen  der 
gottlichen  Funken,  die  die  Natur  in  den  grosson  deutschen 
Dichter  aus  dem  Schwabenlande  gelegt  hatte,  eine  traurige 
Beruhmtheit  erlangen  sollte,  und  der  doch  schliesslich  in 


—    55    — 

der  Liebe  wie  in  der  Erinnerung  seines  Volks  durch  einen 
Schimmer  von  Popularitat  verklart  worden  ist,  wie  er 
selbst  besseren  Fiirsten  selteii  genug  zu  Theil  wird. 

??Altezza  Serenissinia. 

Le  niie  Senate  di  Camera  nel  comparir'  in  publico 
coll7  Augustissimo  Nome  di  V.  A.  S.  mi  prornettono  due 
grandi  vantaggi;  il  primo  clie  le  medesime  appoggiate  o 
protette  da  si  nobil  sostegno,  sperar  ne  possono  un  compia- 
cimento  commune;  1'altro  chc  dedicandole  a  V.  A.  8. 
faccio  al  mondo  palese  il  gran  rispetto  che  umilmente 
le  professo,  e  le  devo  in  gratitudine  de?  nioltiplicati  favori 
compartitimi  benignamente  in  tempo  in  cui  ebbi  1'onore 
di  darle  Lezzione  di  Musica  in  Beiiino.  Anibi  questi 
vantaggi  clie  mi  risultano  nelF  offerhie  quest  o  tenue 
tribute  della  mia  piu  ossequiosa  osservanza,  e  clie  mi 
lusinge  sark  gradito  dalP  Alma  generosa  di  V.  A.  S. 
furono  sempre  sospirati  dalla  mia  ambizione,  ed  ora 
ringrazio  la  fortuna  tanto  a  me  propizia?  che  mi  appresta 
con  tal  mezzo  Foccasioue  opportuna,  per  dichiarar  al 
publico  che  sono  e  saro  sempre  colla  maggior  vene- 
razione l) 

di  V,  A.  S. 
Berlino.  Umilissimo?  Devotissimo  Obligatissime 

Servitore 
Carlo  Filippo  Emanuele  Bach.u 


A)  In  deutscher  Uebersetzting. 

Indem  meine  Kammei-Sonaten  ofiVntlich  rnit  deni  durchlauchtig- 
sten  Namen  E.  D.  H.  erscheinen,  versprechen  sie  mir  zwei  grosse 
Vortheile.  Der  erste  ist,  dass  ich,  da  sie  von  so  holier  Seite  gehoben 
und  beschiitzt  warden,  fiir  sie  eiuen  unwiirdigen  Verlauf  nicht  fihch- 
ten  darf,  der  andere,  dass,  indem  ich  sie  E.  D.  PL  widmete,  ieh  der 
Welt  die  hohe  Achtung  kund  thue,  zu  der  ich  mich  in  Ehrerbietung 
bekenne  und  die  ich  Ihnen  in  Dankbaikeit  fur  die  zahlreichea  Be- 
weise  von  Gunst  verschulde,  welche  Sie  mir  in  gnadiger  Weise  zu 
jener  Zeit  haben  zu  Theil  werden  lassen,  als  ich  die  Ehre  hatte, 
Ihnen  in  der  Musik  Unterricht  zu  geben.  Diese  beiden  Vortheile, 
welche  mir  entstehen,  indem  ich  dieses  schwache  Opfer  meiner  ehr- 


—    56    — 

Aus  dieser  Zueigmmg  erfahrt  inan?  was  man  ohnehin 
schwerlich  wissen  wiirde,  dass  Emanuel  Bach  der  Lchror 
des  darnals  erst  15jahrigen  Carl  Eugen  gewesen  ist,  der 
bekanntlich  einen  Theil  seiner  Erziehung  am  Hofe  Frie- 
drich's  II.  genossen  und  sich  noch  in  spkteren  Jahren 
den  Ruf  eines  niclit  unbedeutenden  Olavierspielers  bewahrt 
hatte. 

Von  den  6  Sonaten,  um  die  es  sich  hier  handclt,  sind 
die  1.  2.  und  4.  nach  deni  Kataloge  der  Bach'schen  Nach- 
lassenschaft  im  Jahre  1742,  die  3.  5.  und  6.  1743  ent- 
standen.  Aus  dern  bereits  erwithnten,  iin  Anhango  I.  ab- 
gedruckten  Briefe  an  Fork  el  vom  10.  Februar  1775  ergiebt 
sich;  dass  ,,6  Sonaten  iin  Toplitzer  Bade  von  ihm; 
der  damals  selir  gichtbruchig  war,  auf  einem 
Clavichord  niit  der  kurzen  Octave  verfertigt 
sind.a  Da  nun  unter  den  nach  der  Katalogangabe  im 
Jahre  1743  componirten  Sonaten  Stucke  in  B-dur  und 
H-nioll  gewesen  sind?  und  Bach  in  obigem  Briefo 
zweier  Sonaten  ,;aus  dem  H-moll  und  aus  dein.  B^ 
erwahnt?  welche  zu  zwei  anderen,  damals  an  Forkel  ge- 
'sandten  und  J?2  Hafner  Wurtembergischen"  ziisammen- 
gehort  hatten  und  ;;die  einzigen  von  dieser  Art  seien; 
die  er  jemals  geinacht?"  da  er  ferner  hinzuftlgt,  dass 
sie  alle  6  in  Teplitz  entstanden  seien?  endlich  unbestreitbar 
ist?  dass  sie  in  Styl  und  Conception  genau  einem  Stand- 
punkt  angehoren:  so  wird  man  wohl  annehmen  konnen? 
dass  alle  6  Sonaten  1743  componirt  seien,  auch  wenn  dies 
mit  dem  Nachlasskatalog  nicht  genau  iibereinstimmt. 

Auch  diese  Sonaten  zeigen  in  der  contrapunktlschen 
Behandlung  des  meist  dreistimmigen  Satzes,  in  seiner  poly- 


erbietigsten  Gesinmmgen  darbringe  und  von  dem  ich  mir  sclimeichle, 
class  ea  von  E.  D.  H.  hohem  Geiste  gewiirdigt  werden  wird,  habe 
ich  von  jeher  fur  meinen  Ehrgeiz  ersehnt,  und  ich  danke  jetzt  dem 
Geschick,  das  mir  in  so  giinstiger  Weise  diese  ghickliche  Gelegenheit 
darbot,  offentlich  kund  zu  thun,  dass  ich  in  der  grossten  Ehrerbietang 
bin  und  bleiben  werde  etc.  etc. 


__    57    • 

phonen  Gestaltung  und  in  der  Verarbeitung  und  Ausnutzung 
der  Motive  deutlich  die  Schule  des  damals  noch  lebenden 
Vaters.  Dagegen  sind  die  Gedanken  durchweg  rnelo- 
discher  und  einganglicher  als  in  der  Friedrich  II.  ge- 
widraeten  Samrnlung  und  von  einem  gewissermassen  nxo- 
dernen  Charakter.  Sie  bilden  in  ihrer  eigenthiiralichen 
Mischung  von  Schule  und  Fortschritt  ein  sehr  interessantes 
Mittelglied  zwischen  dem  alten  und  deni  Style  der  spateren 
Zeit. 

Reichardt  sagt  von  dieser  wie  von  der  vorhergehen- 
den  Sammlung:1)  ?,Keine  Instrumcntalmusik  war  bis  dahin 
erschienen,    in    welcher    eine   so    reiche    und    doch   wolil- 
geordncte  Harnaonie  mit  so  edlem  Gauge  vereinigt,  so  viel 
Schonheit  und  Anordnung  bei  solcher  originellen  Bauart 
herrschte,  als  in  den  ersten  beiden  in  Niirnberg  gestoche- 
nen    Sonaten  -  Werken    und   den    ersten  Concerten   dieses 
Meisters;  denen  die  folgenden  conventionelleren,  so  schon, 
so  reicHialtig?  so  original  sie  auch  immer  sein  niogen?  nur 
in  einzelnen  Satzen  gleichkommen."  Weist  Reichardt  so- 
mit  beiden  Sammlungen  eine  sehr  hohe  Stufe  an?  so  ver- 
kennt    er  doch?     dass    wenn   Emanuel   Bach    auf    dem 
hier  eingeschlagenen  Wege  geblieben  ware,  er  im  Wesent- 
lichen  nur  den  alten  Styl  weiter  cultivirt  haben  und  in 
etwa  dieselbe  Stellung  zur  Kunst  eiugetreten  sein  wiirde, 
die    die    Nachwelt    seinem    weniger    gliicklichen    Bruder 
Friedemann  zuerkennen  muss.    In  jedem  Falle  gehoren 
diese  Sonaten  in   der  eigenthtimlichen  Art  ihrer  Erschei- 
nung;    wenn  sie  auch  in  gewissem  Sinne  altmodisch  ge- 
kleidet  sind?    zu   den  merkwiirdigsten  Arbeiten;    die  das 
vorige  Jahrhundert    fur    das  Clavier    hervorgebracht  hat. 
Der  Spieler,   dem  es  auf  reiche  Gedanken,  geniale  Zuge 
und  auf  eine  Fiille  feiner  Combiriationen  und  harmonischen 
Reichthums   ankoninit,    wird  sich   ihnen    mit    wahrhaftem 
Genuss  hingeben. 


i)  Musik.  Almanach  von  1796. 


—   58    — 

Diesen  beiden  Sonaten-Werken  schliessen  sicli  in  dor 
Reihfolge  der  Veroffentlichung  zunachst  an: 

2  Concerti  per  il  Cembalo  Concertato  accompagnato  da 

2  Violmij  Violettu  &  Basso, 

bei  B.  Schmidt  in  Niiriiborg  im  Druck  crschionoii,  das 
erste  in  D-dur  Allabr.,  das  ssweite  in  B-dur  */4.  Beido 
Concerte,  in  den  Jahren  1743  und  1749  entstandcu !),  be- 
wegen  sich  in  clem  grossen  Concertstyl,  den  Bach  bei 
alien  seinen  derartigen  Arbciten  in  Anwendung  gcbracht 
hat.  Man  findet  in  iliuen  nicht  die  Gelogenheit  zu  sehim- 
merndem  Virtuosentlmua,  sondevn  zu  kilns  tier  is  cher  Gcl- 
tendmaclmng  dcr  Gcgensiitzc  sswischen  dcm  Clavier  und 
dera  Orchester,  das  tiberall  mit  dcm  Solo  -  Instrument  or- 
ganisch  verwachsen  ist.  Vollcr  Leben,  Geist  und  Feuer, 
entwickelt  sich  in  ilirer  thematischen  Beliandlung,  wie  in 
der  Erfindung  der  Motive  und  der  grossartigen  Behand- 
lung  des  Stoffen  eino  Vollendung,  welche  den  Meister  er- 
kennen  lasst  und  "von  dem  bedeutsainen  Fortschritt  gegen- 
tiber  den  vorangegangenen  Arbeiten  ahnlicher  Art  Zeugniss 
giebt. 

Dass  Bach's  Styl  aber  auch  zu  jener  Zeit  noch 
schwankend  und  unfertig  war,  bezeugen  ferner  drei  Arbeiten 
aus  dem  Jahro  1744;  von  denen  die  eine;  eine  Sonate  in 
F-moll,  die  spaterhin  bei  Golegcnhoit  des  Musik.  A  Her  lei 
besprochen  werden  wird,  obschon  seinen  allerbesten  Clavier- 
stiicken  angeliorend,  doch  entschieden  den  alteren  Styl 
zeigt?  wahrend  zwei  Sonaten  aus  demsolben  Jahre,  in  den 
Oeuvres  m^!6es  abgeclruckt,  sich  jener  Auifassung  zuneigen, 
die  seinen  spateren  Arbeiten  eigen  ist.  Von  diesen  kann 
die  Sonate  in  D-inoll  V4  P.  III.,  in  Bezug  auf  geniale 
Behandlung,  auf  Freiheit  der  Bewegung  und  in  dem  letzten 
Satze  wegen  der  aphoristischen  Kuhnheit,  mit  welohei'' 

i)  Bach  selbst  in  seiner  Biographic  (Buruey  a.  il.  0,  III.  S.  203) 
giebt  die  Jahre  der  Entstehung*  auf  reap,  1745  und  1752  an.  Obige 
Angabe  ist  dem  Nachlasskatalog  eutnommen.  Es  kann  fiiglich  dahin 
gestellt  bleiben,  welche  Bezeichnung  die  richtigcre  sei. 


—    59    — 

durch  dazwischengeworfene  Fennaten  der  Gredanke  abge- 
brochen  und  wiederangekniipft  wird,  seinen  besten  Ar- 
beiten  zugezahlt  werden,  wahrend  in  der  Senate  P.  IV. 
No.  II.  aus  E-dur  die  voile  Kraft  und  Grrosse  seines 
spateren  Sty  Is  ,  in  deni  reizenden  Audantino  (E-inoll  2/4) 
aber  die  ausdrucks voile  Cantilene  vorherrscht,  in  der  Bach, 
zu  seiner  Zeit  imerreicbt,  fur  spatore  Zeiten  ein  Muster 
geblieben  ist. 

Dieser  bedeutungsvollen  Anlaufe  ungeachtet  aber  war 
selbst  in  viel  spateren  Jahren  sein  Styl  noch  nicht  in  sich 
abgeklart  und  feat.  Dies  zeigt  sicli  in  den: 

»Zioey  Trio,  das  erste  far  zwo  Viollnen  wid  Bass,  das 
zweyte  fur  1  Querjtdte,  i  Violin?  and  Bass,  lei  welclien 
leyden  aber  die  eine  von  den  Oberst tinmen  aucli  auf  dem 
Flugel  gesjiielet  werden  kann,  verferfiyet  und  Sr.  Erlaudit 
dem  Hocfigebohrnen  Or  of  en  und  Herrn,  Herrn  Willielin 
des  Heiligen  Romisclien  Reichs,  wie  ancli  regierenden  Graf  en 
von  Scfyauniburg ,  Graf  en  and  edlett  Herni  zur  Lippe  und 
Sternberg  etc.  in  Unterthanigkeit  zngeeignet." 

Diese  Trii7  in  Ntirnberg  bei  Schmidt  (ohne  Angabe 
des  Jabres)  gedruckt,  waren  das  erste  im  Jahre  1749,  das 
zweite  1748  gesetzt  und  tragen  in  Inhalt  und  Form  den 
vollstandigen  Gharakter  des  alten  Styls  an  sich,  wie  er  in 
der  Verktimmerung  der  contrapunktischen  Ueberreste  aus 
der  Vorzeit  mit  Zopf  und  Perrucke  einherschritt.  "Wenn- 
gleicb  zunachst  fur  die  bezeichneten  Instrumente  gesetzt, 
ist  die  Composition  doch  so  beschaffen,  dass  man  sie?  zu- 
mal  wenn  der  Spieler  des  Accompagnements  maehtig  ist, 
am  Clavier  spielen  kann.  Es  ist  daher  kein  Bedenken 
getragen  worden,  sie  unter  den  hieker  gehorigen  Arbeiten 
mit  zu  besprechen. 

Wie  Bach  dazu  gekomuien?  dem  beriilimten;  wie  We- 
nige  ausgezeichneten  Manne  und  grossen  Feldherrn  gerade 
eine  solche  Arbeit  zu  widmen?  wird  schwer  ermittelt  wer- 
den konnen.  Es  ist  wahrscheinlich ;  dass  er  den  Grafen 
Wilhe'hn  von  Schaumburg-Lippe  am  Hole  Fried- 


—     t)U     — 

richs  des  Grossen  begegnet  ist?  wohin  dersclbe  sich 
nach  dem  Tode  seines  Vaters  iin  Jahre  1748  Ibcgcbon 
hatte,  um  dem  Konige  dcssen  schwarzen  Adlor-Orden  zu 
ftberbringon  und  das  fur  den  Soldaten  jener  Zeit  ersteLand 
der  Welt  in  seinem  Oentralpunkto  und  in  dor  Person  des 
grossen  Konigs  kennen  zu  lernen.  Dor  Graf  war  in  alien 
Wissenschaften  liocli  gebildot,  in  der  Musik  sohr  unter- 
richtet  und  hat  spater  in  dom  Engagement  Christ  op  h 
Friedrich  Bach's  zu  soincm  Oonecrtmeistcr  soin  Intoresse 
ffir  die  Kunst  bcthatigt.  Violleichl  dass  durch  seinon  da- 
inaligen  Aufenthalt  in  Berlin  Voranlassung  zu  diesor  Zueig- 
gting  gegobon  worden  sein  mag,  wie  wohl  der  Inhalt  des 
Works  dem  Ernste  und  der  Grosse  des  M'annes  kaum  zu 
entsprechen  scbeint;  dem  es  gewidmet  war. 

Demselben  1st  keine  Dedication  3  wohl  aber  folgender 
umstandlicher  Vorbericht  vorangedruckt: 

,,In  dem  ersten  Trio  hat  man  versuchet,  durch  Instru- 
mente  etwas?  so  viel  als  inoglich  ist,  auszudriicken,  wozu 
man  sonst  viel  bequemer  die  Singstimme  und  Worte  braucht. 
Es  soil  gleichsam  ein  Gresprach  awischen  einen  Sanguineus 
und  Melancholicus  vorstellen,  welche  in  dem  ganzen  ersten 
und  nahezu  bis  ai/s  Ende  des  zweiten  Satzcs  mit  oinander 
streiten,  und  sich  berniihen,  einer  den  andern  auf  seine 
Seite  zu  ziehen;  bis  sie  sich  am  Ende  des  zweiten  Satzes 
vergleichen,  indem  der  Melancholicus  endlich  nachgiebt 
und  des  andern  semen  Hauptsatz  annhnmt." 

;7Im  letzten  Satze  sind  und  bleiben  sie  auch  vollkom- 
men  einig;  wobei  man  aber  aumerken  kann,  dass  der  Me- 
lancholicus den  Anfang  durch  einen  zwar  ziemlich  aumte- 
ren  und  einigermassen  tandelnden,  doch  aber  auch  dabei 
mit  etwas  mattem  vermischten?  und  iiberhaupt  in  etwas 
pathetischen  Hauptsatz  macht:  bei  dessen  Ende  sich  ein 
kleiner  Anfall  von  Traurigkeit  zwar  zeigen  will;  welcher 
aber  sogleich  nach  einem  mit  Fleiss  gesetzten  kleinon 
Stillstand  durch  ein  paar  lebhafte  Triolen  vertrieben  wird. 
Der  Sanguineus,  welcher  des  Andern  sein  Nachgeben  billig 


—    61    — 

findet,  folgt  in  diesern  letzten  Satze,  auch  bei  denen  etwas 
inatten  Stellen,  aus  Hi>f  lichkeit  bestandig  nach,  und  beide 
befestigen  Hire  Freundschaft,  indein  alles?  was  der  eine 
inacht,  auch  sogar  bis  zur  Verwechselung,  nachgemacht 
wird." 

,,Um  das  Zeitmass  im  ersten  Satze  dieses  Trio  recht 
zu  treffen,  belie  be  man  zu  bemerken,  dass  bei  dem  Presto 
ein  Takt  ebenso  gespielt  werden  inuss  als  bei  dem  Alle- 
gretto eine  Triole  von  drei  Achteltheilen  gespielt  werden 
wiirde;  und  dass  folglich  ein  ganzer  Tact  im  Presto 
nicht  mehr  Zeit  emnimmt,  als  bei  dem  Allegretto  ein 
Viertheil." 

7;Man  wird  wohlthun,  wenn  man  dieses  erste  Trio 
ohne  Zusatz  aller  willkiirlichen  Auszierungen ,  so  wie  es 
geschrieben  ist;  spielt.  Und  wenn  man  zwo  Stimmen  da- 
von  auf  dem  Clavier  an.sli.ben  will?  wird  es  gute  Wirkung 
thun?  wenn  man?  theils  um  die  unterschiedenen  Ausdrucke, 
mit  und  ohne  Dampfer,  bei  dem  Melancholicus  beizubehal- 
ten?  theils  der  vielen  Haltungen  wegen?  welche  auf  dem 
Flligel  oder  Clavichord  nicht  so;  wie  es  sein  soll;  gehoret 
werden  konnen,  sich  gefallen  lasst,  die  oberste  Stimrne 
nebst  dem  Bass  zu  spielen.  Diese  kleine  Unbequemlich- 
keit  fallt  bei  dem  zweiten  Trio  weg;  indem  man  allda  die 
zwo  untersten  Linien  vor  dem  Clavier  brauchen  kann." 

3?Man  verbittet  zuna  Voraus  alle  Spottereien;  wenn  man 
fur  nothig  findet?  denenjenigen?  welche  noch  nicht  genug- 
sarae  Einsicht  in  die  musikalischen  Ausdrucke  besitzen, 
zu  gefallen ;  einige  Anmerkungen  uber  alle  vorkommen- 
den  Hauptstellen  der  ersten  zwei  Satze  dieses  Trio's  hin- 
zuzufiigen." 

J?Weil  man  durch  diese  Buchstaben,  so  die  Ausdrucke 
bemerken,  wider  Willen  von  einigen  Arten  eine  Zweideu- 
tigkeit  konnte  verursachet  haben;  so  bittet  man  diejenigen; 
welche  dieses  erste  Trio  spielen  wollen,  solches  zuvor  nach 
Anweisung  des  Vorberichts  und  der  darinnen  befindlichen 
Buchstaben;  durchzusehen. 


a.  Bedeutet  wegen  des  halben  Sclilnsses  in  die  Quinte 
eine  Frage,  ob  der  Sanguineus  mit  clem  Melancho- 
licus  hierin  einig  sey?  Jener  aber  giebt 

b.  durch    die  Verschiedenheit  des  Zeitmasses  sowohl, 
als    durch    den  ganzen  Inlialt    die  Antwort,    und 
nacli  eben  dem,  durch  den  Anfang  in  cineni  ganz 
anderen  Takt?    dcutlich  genug  zu  erkeixnon,    dass 
er  ganz  anderen  Shines  sei. 

c.  Hier  verlicrt  der  Sanguincus  mit  Fleiss  etwas  von 
seiner   Munterkeit,    um    den   Mclaneholicus    desto 
eher  zu  locken;   welcher  aber    in  der  Folge  hier- 
innen  die  Gelegenheit  lindet?  mitten  in  seiner  an- 
scheinenden  Bekehrung  wieder  in  seine  alte  Schwer- 
muth  zu  verfallen. 

d.  Hier  ist  wieder  cine  Frage  durch  die  Quinte,  wo- 
bei  man  durch  eine  klcine  General-Pause  den  an- 
dern  gleichsam  hat  ermuntern  mussen,  auf  diesen 
ihm  unangcnehnien  ganzen  Inhalt  und   die  vorge- 
legte  Frage  YAI  antworten. 

e.  Der  Sanguineus  fallt  dem.  andern?  welcher  bei  sei- 
ner Meinung  bleibt,  aus  Ungeduld  in's  Wort  und 
wiederholet  den  Satz. 

f.  Der  Sanguineus   bricht   hier   fragend  ab;    ob   der 
andre  das  noch  iehlendc  fortsetzon  wolle? 

g.  Welcher  aber  anstatt  dessen  aus  seinem  Hauptsatze 
ein  Stttck  unterschiebt." 

Es  wiirde  zu  weit  fiihren;  wollte  man  alle  speciellen 
Detail  -  Erklarungen  iiber  den  Verlauf  dioser  sonder- 
baren  Unterhaltung  verfolgen.  Fitr  den  vorliegenden 
Zweck  wird  es  geniigen,  wenn  man  erfahrt,  dass  diese 
Erklarungen  in  gleichcr  Weise  nicht  bloss  durch  das  ganze 
ABC,  sondern  in  dern  verdoppelten  ABO  noch  bis  zu  dem 
Buchstaben  xx  fortgesetzt  werden,  und  im  Ganzen  nicht 
weniger  als  42  Punkte  umfassen.  Bach  hat,  wie  der  Ein- 
gang  des  Vorberichts  erweist,  sehr  wohl  das  Bedenkliche 
solcher  Instrumentalschilderungen  gefuhlt,  welche  sioh 


~     63     — 

?,durch  Wort  und  Gesang  so  viel  bequemer  er- 
reichen  las  sen."  Dass  er  den  grossen  Aufwand  von 
Verdeutlichung,  in  dem  er  sich,  selbst  auf  die  Gefahr  von 
Spottereien  hiii,  ergelit?  fiir  nothig  hielt,  zeigt  nur,  wie 
wenig  er  selbst  glaubtc,  sich  durch  die  Musik  verstand- 
lich  gemacht  zu  haben.  Dieser  Aufwand  von  Mitteln  und 
Erklarungen  stand  jedenfalls  ausser  alleru  Verhaltniss  zu 
dem  sehr  untergeordneten  kunstlerischen  Zwec-k,  der  damit 
erreicht  werden  sollte,  und  der  kaum  ein  Kunststdck,  ge- 
schweige  ein  Kuustwerk  za  Stande  zu  bringen  vermocht 
hat.  Der  Zopf  und  eine  gewisse  pedantische  Steifheit  sind 
unverkennbar.  Doch  ist  nicht  in  Abrede  zu  stellen?  dass 
sich  der  beabsichtigte  Ausdruck,  wenn  man  ihn  einmal 
zugeben  will?  an  der  Hand  des  Vorberichts  hinreichend 
verfolgen  lasst. 

Aehnlich  wie  bei  dem  ersten  Satze  verlauft  das  Adagio. 
Der  letzte  Satz  geht  in  keeker  und  munterer  Bewegung 
lustig  vorwarts.  Die  beiden  Hauptstimmen  correspondiren 
mit  einander  in  Nachahmung ;  Umkehrung  und  Ver- 
schmelzung  und  erschdpfen  die  Motive  in  acht  Bach'scher 
Weise  vollstandig?  bis  sie  sich  gegen  den  Schluss  hin  zu 
Terzengangen  vereinen. 

Das  Ganze  inacht  einen  launigen  Eindruck  und  konnte? 
wenn  es  nicht  rait  so  viel  Pathos  in  die  Welt  eingeftihrt 
worden  ware.,  als  ein  anspruchsloser  musikalischer  Scherz 
im  Roccoco-Costiim  gelten.  Das  zweite  Trio,  in  Styl  und 
Schreibart  dem  vorigen  ahnlich?  ist  doch  mehr  allge- 
mein  gehalten  und  erfordert  keine  so  subjective  pro- 
grammartige  Auffassung.  Es  wird  in  seiner  Art  mit 
Interesse  gespielt  und  gehort  werden.  Die  init  einander 
concertirenden  Instrinaente  halten  sich  von  allem  Virtuosen- 
haften  fern. 

Beide  Trii  gehoren  in  vollstem  Maasse  der  alten  contra- 
punk  tischen  Schule  an,  in  der  Bach  erzogen  worden  war, 
von  der  aber  sich  loszulosen  ihm  bald  gelingea  sollte. 

Auf  die  VeroifentlichiiDg  der  vorstehend  besprochen^n 


_    64    — 

Arbeiten  folgt  cine  Reihe  von  Jahren,  in  dencn  cr  seine 
Clavier-Stiioke  fast  nur  in  den  dainals  beliebten  Saminel- 
werken;  insbesondere  in  Wewer's  Tonstucken,  den 
Oeuvres  M£l£es,  dexn  niusikalischen  Manclicrlei  und 
Allerlei,  der  Collection  recreative,  in  Marpurg's 
raccolta  und  in  dessen  Glavierstuckon  vcreinzelt  er- 
scheinen  Hess. 

Unter  diesen  Arbeiten  findet  man  Stiicke  von  iiber- 
raschender  Schdnheit.  Besondere  Erwahnung  erfordcrn 
die  Glavierfugen ;  dereu  Bach  im  Jalire  1750  sechs  ge- 
schrieben,  von  denen  die  in  W ewer's  17G2  erschienene 
und  1774  zuin  zweiten  Male  in  den  Tonstticken  fiir's 
Clavier  von  Herrn  Carl  Philip  Emanuel  Bach  und 
anderen  classischen  Componisten  (Handel,  JStichelnaann, 
Kirnberger)  neben  ciner  Sonate  in  F-dur  3/4*  (vona  Jahre 
1748)  abgedruckte: 

I 


Allegro.  tr  ^L  _J-  j--   -©'-   ^-^ 

____  I 


unstreitig  eines  seiner  interessantesten  Clavierstiicke  ist. 
Hier  ist  der  streng  contrapunktische  Satz  init  einer  solchen 
durchsichtigen  Klarheit  und  mit  so  gefalliger  Klangwir- 
kung  in  Anwendung  gebracht,  wie  dies  bei  derartigen 
Arbeiten  gewiss  zu  den  grossen  Seltenheiten  gehort. 

Bedeutender  noch  in  Hinsicht  der  strengen  Durch- 
fiihrung  sind  die  beiden  grossen  in  dem  1.  und  2.  Heft  der 
Mar  pur  g'  schen  Clavierstiicke  (1762)  veroffentlichtenFugen? 
welche  von  dem  Herausgeber  in  den  Vorreden  mit  Grenauig- 
keit  analysirt  sind.  In  ihnen  finden  sich  die  kunstlichsten  Ver- 
bindungen  der  Motive,  die  Zergliederungen  per  diminutionem? 
niotu  recto  et  contrario,  die  Zusarnmensetzungen  in  canoni- 
scher  Weise?  die  Vergrosserungen,  Umkehrungen;  Nachah- 
mungen,  kurz  alles,  was  im  einfachen  und  doppelten  Contra- 
punkt  und  in  gelehrter  und  strenger  Satzart  geleistet 
werden  konnte?  im  ausdehntesten  Masse  angewendet. 


65 


Von  den  drei  anderen  Fugen  zeichnet  sich  die  in 
D-inoll  ebenso  durch  das  interessante  Anfangsmotiv,  als 
auch  durch  die  graziose  Behandlung  desselben  aus: 


In   strengerem    Style   gcschrieben   ist   die   Fuge   aus 
Q--moll  init  dera  Anfange: 


Weniger  bedeutend  ist  die  sechste  Fuge,  welche  in 
den  ?;Clavierstiicken  verschiedner  Art"  abgedruckt  ist. 

Eine  ziemliche  Anzahl  kleinerer  Clavierstucke  erschien 
in  Marpurg's  im  Jahre  1756  veroffentlichten  Raccolta 
(1.  Sammlung),  namlich: 

Eine  Sonate  in  D-dur  4/A  rait  selir  inelodiosen  Motiven, 
ungewohalich  kurzern  Zwischensatz  und  einem  Schluss- 
satz  von  rnassigem  Werthe; 

Eine  Sonate  in  D-moll  2/47  offenbar  einer  fruheren 
Periode  Bach's  angehorig,  eine  der  schwachsten  Arbeiten? 
die  von  ihm  bekaunt  sind; 

Die  bereits  erwahnte  Fuge  in  A-dur; 
Ein  Rondeau  mit  3  Couplets  (A-moll  6/8)  und  einem 
2 ten  Theil,   gleichfalls  ohne  Zweifel  eine  Jugendarbeit, 
in  der  besonders  der  2te  Theil  unbedeutend  ist; 

Ein  Allegro  j  das  kurz,  aber  von  sehr  anziehendem 
Charakter  das  Hauptmotiv  des  schonen  Es-dur-Rondo 
der  ??6.  Saminlung  fiir  Kenner  und  Liebhaber" 

£55. 


i 


*-Jp ^-Y^.5-13  ^      TT  f  I 


enthalt. 

Bitter,  Emauuel 


Friedemann 


~   66   - 

Erne  Polonaise  und  eine  Menuett; 

Ein  Allegretto  (F-dur  2/4)  von  sehr  geringem  Werth 
und  endlich 

Eine  Polonaise  mit  demNainen;)l'Auguste"  bezeichnet. 
In  seinen  Verzeichnissen  findet  sicli  von  diesen  Stiicken 
nur  eine  Sonate  vom  Jalire  1752  angegebcn,  so  dass  es 
den  Anschein  hat,  als  ob  or  solbst  auf  die  ubrigen,  denen 
in  der  Sammlung  sein  Name  nicht  beigedruckt  war,  keinen 
besonderen  Werth  gelegt  habe.  Hicrin  wiirde  er  vollkommen 
ira  Kechte  gewesen  sein. 

Hohere  Aufmerksamkeit   nohmen   die  im  Jahro  1760 
von  ihm  veroffentlichten: 

jjSecJis  Sonaten  fur's  Clavier,  mit  verdnderten  Re~ 
prisen,  Hirer  Ko nig  lichen  So  he  it  der  Prinzes  sin 
Amalia  von  Preussen  unterth&nigst  zugeeignet." 
in  Anspruch.  Den  drei  Mannern,  wclehen  Bach  bisher 
seine  iin  Brack  erschienenen  Sarmnlungen  gewidtaet  und 
cleren  Jeder  in  seiner  Art  eine  besondere  Bedeutung  er- 
langt  hatte,  tritt  hier  eine  Furstm  hinzu,  welche  zu  der 
Kiinstlergeschichte  des  vorigen  Jahrhunderts  eine  nicht 
wenig  bedeutende  Stellimg  eingenoinDien  hat x).  Schiilerin 
Kirnberger's  im  Contrapunkt,  componirte  sie  in  deni 
strcngen  Style  ihres  Lehrers,  war  dabei  eine  vorzugliche 
Clavierspielerin  und  hielt  bis  an  das  Ende  ihres  Lebens 
an  den  Grrundaatzen,  dem  Wesen  und  den  Eigenthiimlich- 
keiten  der  alten  Schule  der  Contrapunktisten  rait  einer 
Beharrlichkeit  fest,  welche  von  Schroffheit  wenig  entfernt 
war2).  Als  Bach  ihr  diese  Sonaten  widrnete;  (cs  war  in 


!)  Amalia  Anna,  Prinzessin  von  Preussen,  Sch wester  Frie- 
drich's  des  G-rossen,  geb.  am  9.  November  1723,  starb  zu  Beilin 
am  30.  Marz  1787. 

2)  Die  K  Bibliothek  zu  Berlin  enthalt  hieriiber  aus  der  Feder 
des  Kapellm  Schulz  einige  Mittheilungen  der  eigenthiimliehsten  Art. 
In  einem  Briefe  an  Cramer  fuhrt  er  an,  die  Punzessin  habe  ihni  in 
Bezug  auf  eine  Subscriptions-Anzeige  geschriebon:  ,,Ich  verbitte  mir 
sehr,  meinen  Namen  unter  ein  Werk  zu  setzen,  auf  welches  ich  nie 


—    67    — 

der  trubsten  Zeit  des  siebenjahrigen  Krieges)  stand  die 
Prinzessin  in  der  vollen  Kraft  ihrer  Jahre.  Sie  war,  wie 
die  Dedication  mit  Eecht  sagt?  eine  Prau  von  ,?erleucli- 
teten  und  vollkommenen  Einsic]iten  in  das  Wesen 
der  Musik." 

Die  Widmung  lautet  folgendermassen: 

,,Hochwiirdigste,  Durchlauchtigste  Prinzessin ,  Grna- 
digste  Furstin,  Abbatessin  und  Frau. 

3?Ich  nehrne  mir  die  Freyheit,  Ew.  Konigl.  Hoheit 
einige  neue  Clavierversuche  unterthknigst  zu  tiberreiclien. 
Der  huldreiche  Beyfall,  welchen  Hochstdieselben  meinen 
vorigen  Bernuhungeii  jederzeit  zu  ertheilen  geruhet  haben? 
lasst  mich  auch  fur  die  gegenwartigen  die  gnadigste 
Aufnahme  hoffen. 

Wie  sehr  wtinschte  ich  irn  Stande  zu  seyn?  Ew. 
Konigl.  Hoheit  erleuchtete  und  vollkomrnene  Einsichten 
in  die  Grundsatze  der  Music?  und  den  hohen  Schutz? 


unterzeichnen  werde,   und  zwar  aus  dem  Grunde,  weil  die  jetzige 
Musik  keine  Musik  1st." 

Ausserdem  befindet  sich  dort  in  Abschrift  von  Schulz  und* 
geschrieben  in  Bezug  auf  dessen  Musik  zur  At h alia  folgender 
merkwiirdige ,  vielleicht  sonst  schon  friiher  veroffentlichte  Brief: 
7,Icn  stelle  Mir  vor,  Herr  Schulz!  dass  er  sich  vcrsehen  und  statt 
seiner  Arbeit  Mir  das  musikalische  Notengeklackere  seines  Kindes  ge- 
schickt  hat-,  dieweil  Ich  nicht  die  allergeringste  wissenschaftliche  Kunst 
darin  bemerke,  hingegen  vom  Anfang  bis  zu  Eude  durchgangig'  fehler- 
haft,  sowohl  in  dem  Ausdruck,  Sinn  und  Verstand  der  Sprache,  als 
auch  in  dem  Ritinus ;  der  Modus  contrarius  ganz  hintenangesetzet,  keine 
Harnioiiie,  kein  Gesang,  die  Terze  ausgelassen,  kein  Ton  festgesetzt, 
man  muss  rathen,  -aus  welchem  es  gehen  soli,  keine  canonische  Nach- 
ahmungen,  nicht  den  allermindesten  Contrapunkt,  lauter  Quinten  und 
Oetaven,  und  das  soil  Musik  heissen?  Gott  wolle  Diejenigen,  welche 
eine  so  heftige  Einbildungskraft  von  sich  besitzen,  die  Augen  offnen, 
den  Verstand  erlautern  und  erkennen  lehren,  dass  sie  nur  Stumper 
und  Fuscher  sind.  Ich  habe  horen  sagen,  dass  das  Werk  den  Meister 
rlihmen  miisse,  aber  anitzt  ist  Alles  verkehrt  und  verworren,  die 
Meister  sind  die  einzigen,  die  sich  loben,  wenn  auch  ihre  Werke 
stinken.  Hiernit  genug. 

.  -Berlin,  den  31.  Janner  1785,  Araelie. 

5* 


-.    68   - 

welchen   Sie   derselben   angedeihen   lassen,    bey   dieser 
Gelegenheit  wurdig  zu  erheben!    Abor  wiirdc  ich  inich 
unterstehen   durfen,    zu   riihinen,   was   sich    die  Musen 
selbst  zu  besingen  vorbehalten  haben? 
Ich  bin  mit  deni  tiofsten  Respect 

Ew.  Konigl.  Holieit 
unterthanigst  gohorsainer  Diener 

Bach." 
Berlin,  den  1.  September  1759. 

Das  Werk  ist  durch  folgende  Vorrede  eingeleitet: 
?7Das  Veriindern  beyni  Wiederholen  ist  hcut  zu  Tage 
unentbehrlich.  Man  erwartet  solchos  VOB  jedem  Ansfuhrer. 
Einer  meiner  Freunde  giebt  sich  alle  mogliche  Miiho,  ein 
Sttickj  so  wie  es  gesctzt  ist,  rein  und  den  Regeln  des 
guten  Vortrags  geniass  herauszubringen.  Sollte  man.  ihm 
wo  hi  den  Beyfall  versagen  konncn?  Ein  anderer,  oft  aus 
Noth  gedrungen,  ersetzt  durch  seine  Kiihnheit  im  Ver- 
andern  das,  was  ihni  ani  Ausdruck  der  vorgeschriebenen 
Noten  fehlet.  Nichtsdestoweniger  erhebt  ihn  das  Publikum 
vor  jenena.  Man  will  beynahe  jeden  Gedanken  in  der 
Wiederholung  verandert  wissen,  ohne  allezeit  zu  unter- 
suchen;  ob  solches  die  Einrichtung  des  Stiicks  und  die 
Fahigkeit  des  Ausfiihrers  erlaubt? 

7?Blos  dieses  Verandern,  wenn  es  zunial  xnit  einer 
langen  und  zuweilen  gar  zu  sonderbar  verzierten  Cadenz 
begleitet  ist,  presst  oft  den  ineisten  Zuhorern  das  Bravo 
aus.  Was  entsteht  nicht  daher  fur  ein  Missbrauch  dieser 
zwo  wirklichen  Zierden  der  Ausfiihrung!  Man  hat  nicht 
mehr  die  Gedult,  beyni  erstenmahle  die  vorgeschriebenen 
Noten  zu  spielen;  das  zu  lange  Ausbleiben  des  Bravo 
wird  unertraglich.  Oft  sind  diese  unzeitigen  Verandei^ungen 
wider  den  Satz;  wider  den  Affect  und  wider  das  Verhalt- 
niss  der  Gedanken  unter  sich;  eine  nnangenehme  Sache 
fiir  manchen  Componisten.  Gesetzt  aber?  der  Ausfiihrer 
hat  alle  nothigen  Eigenschaften,  ein  Stuck,  so  wie  es  seyn 


—   69    — 

soil,  zu  verandern:  1st  er  auch  allezeit  dazu  aufgelegt? 
Ereignen  sich  nicht  bey  unbekannten  Sachen  desswegen 
neue  Schwierigkeiten?  1st  niclit  die  Hauptsache  beym  Ver- 
andern diese:  dass  der  Ausfuhrer  sich  und  zugleich  dem 
Stiicke  Ehre  mache  ?  Muss  er  nicht  folglich  beyni  zweyten 
mahle  eben  so  gate  Gredanken  vorbringen?  Jedoch  dieser 
Schwierigkeiten  und  des  Missbrauchs  ohnerachtet  behalten 
die  guten  Veranderungen  allezeit  ihren  Werth.  Ich  be- 
ziehe  mich  ubrigens  auf  das,  was  ich  ain  Ende  des  erst  en 
Theils  meines  Versuchs  hievon  angefuhrt  habe. 

,,Bey  Verfertigung  dieser  Sonaten  habe  ich  vornehm- 
lich  an  Anfanger  und  solche  Liebhaber  gedacht,  die  wegen 
gewisser  Jahre  oder  andrer  Verrichtungen  nicht  mehr  Ge- 
duld  und  Zeit  genug  haben,  sich  besonders  stark  zu  uben. 
Ich  habe  ihnen  bey  der  Leichtigkeit  zugleich  auf  eine  be- 
queme  Weise  das  Vergntigen  verschaffen  wollen,  sich  mit 
Veranderungen  horen  zu  lassen,  ohne  dass  sie  nothig  haben? 
solche  entweder  selbst  zu  erfinden,  oder  sich  von  anderen 
vorschreiben  zu  lassen  und  sie  mit  vieler  Muhe  auswendig 
zu  lernen.  Endlich  habe  ich  alles,  was  zuin  guten  Vor- 
trag  gehoret,  ausdrttcklich  angedeutet;  damit  man  diese 
Stttcke,  allenfalls  auch  bey  einer  nicht  gar  zu  guten  Dis- 
position, mit  aller  Freyheit  spielen  konne. 

??Ich  freue  mich?  meines  Wissens  der  erste  zu  seyn? 
der  auf  diese  Art  fur  den  Nutzen  und  das  Vergmigen 
seiner  Gronner  und  Freunde  gearbeitet  hat.  "Wie  giiicklich 
bin  ich,  wenn  man  die  besondere  Lebhaftigkeit  meiner 
Dienstbeflissenheit  hieraus  erkennt. 

Berlin,  im  Monat  Julius  1759. 

G.  P.  E.  Bach." 

In  diesem  nach  mehr  als  einer  Seite  hin  bemerkens- 
werthen  Schriftstiick  findet  man  den  Verfasser  vor  allem 
auf  dem  Standpunkt,  der  dem  Kiinstler  ziemt  und  von 
dem  aus  der  Versuch  iiber  die  wahre  Art  des  Clavier- 
spiels  geschrieben  ist.  Ihm  steht  die  Einheit  der  Gedanken, 
ikr  richti^es  Verhaltniss  zu  einander  hoher  ak  die  Kulm- 


70    • 

heit  iin  Verandcrn,  die  sich  auf  Koston  des  Ausdrucks 
geltend  macht,  als  die  sonderbaron  Verzicrungen  einer 
Cadenz,  die  nur  um  des  Beifalls  willen  geschaffen  worden 
1st,  holier  als  das  Jagon  mid  Haschen  nach  dem  Bravo 
des  Zuhorerkreises.  Man  ersieht  aber  auch  aus  dieser  Vor- 
rede,  was  fur  die  Beurtlieilung  der  Clavier tcchnik  des 
vorigen  Jahrhunderts  von  Bedeutung  ist;  dass 

1.  bei  den  Wiederholungcn  das  Verandern  und  Ver- 
zieren  fur  ebenso  unentbehiiich  gehalten  und  von 
dern  Publikum  erwartet  und  verlangt  wurde?  wie 
dies  bei  den  Wiederholungen  der  Arien   der  Fall 
gewesen  1st; 

2.  dass  ein  gleich  hoher  Worth  anf  die  Einflechtung 
langer;  mit  Ausschmuckungen  reichlich  vei'sehener 
Cadenzen  gelegt  wurde; 

3.  dass  die  Claviervortragc  stark  geiibt  zu  werden 
pflegten,   womit   die   Vorbereitung   auf  das  Ver- 
andern und  Verzieren  sowie  auf  die  Cadenzen  vcr- 
bunden  worden  sein  wird; 

4.  dass  das  Jagen  nach  dem  Beifall  des  Publikums 
nicht  erst  ein  Product  der  neueren  Zeit  ist. 

Dass  gleichzeitig  mit  der  deutschen  Ausgabe  ein  zweiter 
Abdruck  mit  franzosisch  geschriebener  Vorrede  erfolgen 
musste,  ist  nebenbei  ein  Zeichen;  dass  der  deutsche  Kunstler, 
dessen  Arbeiten  schwerlich  bis  Frankreich  vordrangen;  nicht 
hatte  hoffen  durfen;  in  seinem  Vaterlande  in  der  Mutter- 
sprache  von  Allen  verstanden  oder  tnindestens  geschatzt  zu 
werden, 

In  jedem  Falle  hat  man  in  dem  vorliegenden  Werke 
den  Versuch  eines  Kampfes  gegen  den  Ungeschmack  und 
die  Vordringlichkeit  schlechter  Virtuosen  zu  erkennen? 
dessen  Aufnahme  einem  Manne  von  der  kiinstlerischen 
Bedeutung  Bach's  nicht  hoch  genug  angerochnet  werden 
kann.  Da  diese  Sonaten  Sir  ;?Anfanger  und  solche 
Liebhaber^  gesetzt  waren;  7?denen  es  an  Greduld  und 
Zeit  zur  Uebung  und  zum  Studium  fehlte/'  so  ist 


..     71 

"  4  JL        *— 

ihre  Spielart  auch  im  Ganzen  leicht.  Hie  and  da  begegnet 
man  in  ihnen  dem  eigenthiimlichen  Stempel  ihrer  Zeit  Die 
Wiederholungen  sind  mit  grossem  Geschmack  verandert, 
ohne  dass  sie  sich  von  dem  Styl  und  Charakter  der  Ton- 
stucke  entfernten.  Fur  den  Ausdruck  fordern  sie  grossere 
Reife  und  sorgsauaere  Ausfuhrung,  als  es  bei  bloss  fliichtiger 
Betrachtung  den  Anschein  hat.  Man  sieht  deutlich?  dass 
Bach  ftir  seine  Clavierstiicke;  selbst  wenn  sie  far  Anfanger 
(in  seinem  Sinne)  geschrieben  waren,  Stadium  und  reife 
Ueberlegung  vorausgesetzt  hat.  Edle  Melodie?  Einheit  der 
Gedanken,  Eleganz  und  harmonische  Meisterschaft  sind 
hier,  wie  in  alien  Bach'schen  Claviers  tucken,  in  reicheni 
Maasse  niedergelegt.  Von  den  Fesseln  der  Schule  hat  er 
sich  nahezu  vollig  freigemacht.  So  beginnt  er  mit  dieser 
Sammlung  den  praktischen  Theil  der  Entwickelungsperiode 
fur  die  Claviermusik,  der  en  Schopfer  er  war.  Niemand 
wird  Stiicke  wie  die  3te  Senate  in  A-moll,  die  4te  in 
D-moll,  die  geistvolle  und  reizende  Menuett  der  5ten 
Sonate  oder  die  6te  Sonate  anders  als  mit  vollster  Befrie- 
digung  spielen,  wenngleich  den  langsamen  Satzen  nicht 
iiberall  jene  Breite  der  Gedanken  innewohnt^  die  gerade 
Her  so  wirkungsvoll  hatte  sein  kounen.  Um  diese  Stiicke  in- 
dess  so;  wie  sie  gedacht  sind,  zur  Erscheinung  zu  bringen,  1st 
deren  harmonische  Ausfullung  unerlasslich.  Ohne  eine 
dieser  Anforderung  entsprechende  Bearbeitung  wird  ihre 
Benutzung  in  heutiger  Zeit  nur  dem  Musiker  und  durch- 
gebildeten  Kenner  vorbehalten  bleiben. 

Diese  Betrachtung  fuhrt  zu  der  Erorterung  eines 
Punktes,  der  sehr  verschiedenartigen  Auffassungen  unter- 
liegt.  Derselbe  ist  wichtig  genug,  urn  nicht  mit  Still- 
schweigen  ubergangen  zu  werden1).  Streng  genommen 


i)  Eine  wesentliclie  Mitveranlassung  zar  Erorterung  dieser  Frage 
hat  fiir  den  Verfasscr  die  folgende  Bemerkung  gegeben,  welche  in 
der  so  vorziiglichen  Vorrede  zu  der  neuen  Baumgart-Leuckart'schen 
Ausgabe  ,,der  Sonaten  fiir  Kenner  und  Liebhaber"  (S.  4)  niederge- 
legt ist:  ,,Wir  haben  alle  harmonische  Ausfullung  vermieden,  die  von 


hatte  Bach  in  die  Vorredo  zu  diesen  Sonateti  folgonden 
Satz  einftigen  sollen:  ,,Dic  harmonische  Ausfiillung 
derjenigen  Stellon,  in  dcncn  die  Accorde  nicht 
angegeben  sind,  die  aber  gleichwolil  bei  der  ein~ 
fachen  Ausftihrung  der  geschriebenen  Noton  zu 
leer  klingen  wiirden?  ist  Saclie  des  Spielers."  Er 
hat  diesen  Satz  nicht  aufgenommen,  weil  er  dessen  Inhalt 
offenbar  fiir  selbstverstandlich  gehalten  hat. 

Es  ist  bekannt?  dass  die  alten  Contrapunktiston,  deren 
Schule  Bach  entsprossen  war,  sich  keineswcgs  mit  der 
mageren  und  diinnen  Begleitung  begntigt  haben,  die  man 
hie  und  da  in  der  Instrumentirung  ihrer  Tonstiicke  findet. 
Sie  verlangten  vielmehr  iiberall  eine  sehr  voile  Harmonie, 
welche  nach  der  besonderen  Sitte  der  Zeit  durch  die  be- 
gleitenden  Ins  train  ente  am  Clavier  oder  durch  die  Orgel 
geleistet  wurde.  Nun  handelt  es  sich  keineswcgs  um  irgend 
eine  Veranderung  in  der  Composition,  um  Einfugung  selbst- 
standiger  Mittelstimmen,  um  ein  harmonisches  Gewebe,  das 
im  Stande  ware,  den  klaren  Gang  der  Melodie  und  der 
sich  an  sie  kniipfenden  Gedanken  zu  unterbrechen  oder 
zu  verdecken,  sondern  lediglich  um  eine  begleitende 
Harmonie-Ausfiillung,  welche  die  zwischen  Melodie 
und  Bass  so  oft  bemerkbar  werdende  Leere  deck  en  soil. 


manchen  an  die  orchestrale  Fulle  der  Clavierbehandlung  Gewohnten 
voraussichtlich  sehr  vermisst  werdenwird.  Wo  Bach  — nach  seiner 
Weise  —  massenhaftes  Accordwesen  haben  will,  hat  er  es  Mnge- 
schrieben;  wo  es  nicht  steht,  will  er  es  auch  nicht  haben.  Grossen- 
theils  sind  diese  Compositionen  wie  Duette  anzusehen,  fiir  cine  melo- 
diefiihrende  und  eine  begleitende  Stimme;  drei-  und  mehrstiinmige 
Behandlung  wird  haufig  genug  gebraucht,  wo  der  Gedanke  sie  zu 
verlangen  schien.  Die  Einfachheit  ist  Absicht  so  gut  wie  die  Voll- 
stimmigkeit.  Unsre  weit  fortgeschrittene  Technik  hisst  tins  allerdings 
Vieles  ungehindert  auch  bei  grosserer  Harmonienfulle  herausbringen, 
was  damals  schwer,  ja  unmoglich  war;  aber  wir  mtissen,  wenn  wir 
aus  der  Geschichte  lernen  wollen,  die  geschichtlichen  Erscheinungen 
nehmen  wie  sie  sind,  nicht  wie  wir  sie  heute  wiinschen.  So  war 
auch  Bach  nicht  zu  arrangiren,  sondern  in  seiner  Art  durchaus  zu 
belassen. 


—    73    -, 

Man  kann  hierbei  sehr  wohl  ?,die  Hand  verschonen, 
die  den  herrschenden  Gesang  fuhrt."  Dem  inelodi- 
schen  Charakter  des  Stucks  thut  die  vollere  JBegleitung  so 
wenig  Schaden  als  dem  gesangsreichen  Vortrag. 

Freilich  sagt  Bach  in  seiner  Selbstbiographie1):  Mein 
Hauptstudium  ist  besonders  in  den  letzten  Jabren 
(vor  1773)  dahin  gerichtet  gewesen,  auf  dem  Clavier, 
ohngeachtet  des  Mangels  an  Aushaltung,  soviel 
moglich  sangbar  zu  spielen  und  dafiir  zu  setzen. 
Es  ist  diese  Sache  nicht  so  gar  leicht,  wenn  man 
das  Ohr  nicht  zu  leer  lassen  und  die  edle  Einfalt 
des  Gesanges  durch  zu  vieles  Gerausch  nicht 
verderben  will."  Hiemit  hat  er  aber  nicht  die  harmo- 
nische  Ausftillung  der  Tonstucke,  wo  sie  zum  Verstandniss 
und  zur  Einganglichkeit  von  Melodie,  Modulation  und  Satz 
nothwondig  ist,  ausgeschlossen  wissen  wollen.  Er  hat 
dabei  vielinehr  den  Gegensatz  seiner  neueren  Schreibart 
gegen  den  polyphonen  Styl  geineint,  bei  dem  das  Ohr 
nicht  leer  blieb,  bei  welchem  aber  die  Melodie  oft  genug 
durch  die  Verschlingungen  des  kunstreichen  Satzes  und 
durch  die  die  Aufmerksamkeit  in  Anspruch  nehmenden 
Toncombinationen  und  Mittelstiminen  in  den  Hintergrund 
gedrangt  wurde.  Er  wollte  eben,  dass  das  Ohr  nicht 
leer  gelassen  und  nur  der  Gesang  der  Melodie  nicht 
durch  zu  viel  Tonwerk  verdeckt  werde. 

Ware  Bach's  oft  harmonielose  Begleitung  nur  d^es- 
halb  so  aufgesetzt,  wie  man  sie  bei  ihm  findet,  weil 
zu  seiner  Zeit  die  Technik  des  Clavierspiels  fur  eine 
grossere  Harmonienfulle  nicht  genug  fortgeschritten  ge- 
wesen  sei:  so  lage  hierin  wahrlich  kein  Grund,  jetzt, 
wo  dieser  Umstand  nicht  mehr  maassgebend  sein  kann, 
den  offehbaren  Mangel  aufrecht  zu  erhalten,  der  in  der 
leeren  Schreibart  mancher  Sonaten  liegt.  Aber  diese 
ganze  Voraussetzung  trifft  nicht  zu.  Denn  bei  aller  hohen 


Burney,  Musik.  Reisen.    Th.  El.    S.  209. 


_  4    74    *— 

Verehrung  fur  die  ausgezeichneten  Clavierspieler  imserer 
Zeit  wird  man  doch  anerkenncn  uuissen?  dass  die  dcutsche 
Clavier  -Schtile  des  vorigen  Jahrhunderts  (von  D.  Scar- 
latti fzu  schweigen)  in  Sebastian,  Friedeniann  und 
Emanuel  Bach  und  in  Handel  ihrcr  Zeit  Manner  auf- 
zuweisen  hatte,  von  denen  jeder  einzelne  wohl  im  Stande 
gewesen  sein  wtirde,  der  neueren  Technik  die  Spitze  zu 
bieten.  Aber  selbst  die  weniger  hervorragenden  Clavier- 
spieler  des  vorigen  Jahrhunderts  batten  die  durch  die 
harmonische  Ausfiillung  in  den  Accordeu  vervollstandigten 
Sonaten  Bach's  sehr  wohl  spielen  konnen,  zunial  sie  ja 
meist  diese  Ausfiillung  hinzuzusetzen  vermochten,  ohne 
dass  sie  vorgeschrieben  gewesen  ware. 

Unzweifelhaft  komrnen  in  Bach's  Sonaten  Satze  vor; 
bei  denen  eine  weitere  als  die  angegebene  Begleitungs- 
harmonie  nicht  erforderlich  ist.  Es  giebt  auch  dergleichen, 
in  denen  wirklich  die  Arbeit  in  zweistimmigem  Satze  vor- 
liegt,  Doch  darf  man  nicht  ausser  Acht  lassen,  dass  solche 
Stticke  kaum  anders  als  ausnahmsweise  vorkomrnen.  Grade 
bei  den  langsamen  Satzen  findet  man  nicht  selten  Stellen, 
die  eine  Ausfiillung  ganz  unbedingt  fordern.  Als  eine 
solche  ist  beispielsweise  der  Schluss  des  sonst  durchweg 
dreistimmigen  Andante  der  1.  Sonate  der  1.  Fortsetzung 
der  Reprisen-Sonaten  zu  bezeichnen: 


~"~  ~~         "bj  "~~^      ^""""w."""  ""  ""'"""  "~"~"i  •••-'•  ~—     —  . 


75 


welcher  mit  dem  iiberraschenden  Uebergang,  aus  der  herr- 
schenden  Tonart  Gr-dur  durch  F-moll  nach  C-moll  fiihrt, 
und  ohne  Accord-Ausfullimg  nur  schwer  zu  verstehen  sein 
wiirde;  ebenso  das  gleichfalls  meist  dreistimmige  poco  An- 
dante der  4.  Reprisen- Senate  2.  Fortsetzung,  dessen  erste 
7  Takte?  wenn  sie  gespielt  werden  sollten;  wie  sie  ge- 
schrieben  sind, 


,. — JW*-H — s — ra. 


-Or 

£  — £=s4=qrL_,»     arv*  -,_< — -£p_TF:L — j 

:=:s^r.^«i^^t»— r-r-M^rJ:3^dg«i;^a=: 
— ^.JT5 — a — i.ijj[!q^i_pj^p — H.|i-[:_€a_^i.*_^T«_i«»«.—h~jAj. — 
£i — , s__]_i — jj3 u»u««wF-l— ^- s TT — [•«• 

u-H^      dEicr      \^  L,H 

"1*^         '"-•-."•••""!       i'a^A     "P".*          . .'     "1         !!!_ — _"I — +-» — 1ZJ 


ziemlich  nichtssagend  klingen  warden 7  wahrend  die  Aus- 
fullung  derselben  gewissermassen  von  selbst  in  die  Hand 

suit. 

Auch  bei  den  in  schnelleni  Tempo  gesetzten  Stiicken 
witrde  es  schwer  sein  zu  glauben,  dass  Emanuel  Bach? 
der  grosse  Harmoniker;  der  Zogiing  einer  Schule?  in  wel- 
cher die  Vollstimrnigkeit  der  Harmonie  bis  zu  den  aussersten 
Consequenzen  getrieben  und  vorzugsweise  durch  die  Clavier- 
Instrumente  vermittelt  worden  war?  Stellen  wie  z*  B. 


Allo,  moderato  ma  innocenie. 


t^S  ^  <s> 


—f—     !SZCtI3™' 
aus  der  3.  Reprisen-Sonate,  oder 

Allo.  moderate.  ft 


fl 


aus  der  6.  Reprisen-  Senate  in  der  kahlen  Einfachheit  ge- 
dacht  und  gespielt  haben  sollte,  in  der  sie  aufgeschrieben 
sind.  Dass  dies  nicht  der  Fall  gewesen  sein  konne,  ergiebt 
sich  aus  dem  in  der  alien  Schule  sonst  so  strong  verponten 
plotzlichen  Auftauchen  voller  Harmonien,  wo  diese  nicht 
der  Willkur  des  Spielers  iiberlassen  bleiben  sollten. 

Nun  konnte  man  freilich  einwenden?  dass  Bach,  wenn 
er  die  ohne  ausfullende  Harmonie  aufgeschriebenen  Satze 
in  der  Ausfiihrung  am  Clavier  anders  hatte  behandelt 
sehen  wollen,  dies  durch  Bezifferung  der  Basse  zu  erkennen 
gegeben  haben  wiirde.  Nothwendig  war  dies  aber  nich^ 
da  hier  die  Harmonie  etwas  an  sich  Gegebenes  war  und  es 
sich  keineswegs  urn  ein  freies  Accompagnement  handelte. 


—    77    - 

Die  Kunst  des  letzteren  erforderte  freilich  ganz  andere 
Studien  und  Vorkenntnisse,  als  die  einfache  Ausfiillung 
einer  Harmonie  durch  Accorde.  Auf  der  andern  Seite  gab 
es  zur  Zeit  Bach's  ein  blosses  Lernen  des  Clavierspiels 
ohne  gleichzeitigen  Unterricht  in  der  Musik  nicht,  und 
alle  seine  Claviersachen  waren?  wie  sich  aus  dem  Zu- 
sammenhange  seiner  darauf  beziiglichen  Aeusserungen  er- 
giebt,  nur  far  solche  Personen  geschrieben,  die  in  der 
Musik,  auch  abgesehen  von  dem  blossen  Clavierspiele,  ge- 
niigende  Kenntnisse  erlangt  batten. 

Dass  die  schonen  Sonaten,  an  deren  Betrachtung  diese 
Erorterungen  haben  angekniipft  werden  miissen,  nicht  ohne 
Eindruck  an  dein  Publikum  vorfiber  gegangen  sind,  fiir 
welches  sie  bestimmt  waren,  lasst  sich  aus  der  doppelten 
Nachfolge  schliessen,  die  ihnen  zu  Theii  wurde.  Es  er- 
schienen  nanilich  zunachst  im  Jahre  1761  die  erste,  dann 
im  Jahre  1763  die  zweite  Portsetzung  derselben,  jede  zu 
6  Sonaten.  Von  diesen  waren 

a.  die  Sonaten  der  ersten  Fortsetzung  und  zwar 
die  6.  schon  im  Jahre  1750,  die  3.  und  4.  1754,  die  5. 
1759  und  die  1.  und  2.  1760  entstanden. 

Schon  in  dem  altesten  dieser  Stucke,  der  im  Jahre  1750 
geschriebenen  6.  Senate,  findet  man  den  vollkommen  aus- 
gepragten  Styl  der  spateren  Zeit,  hie  und  da  nicht  ohne 
Fremdartigkeit,  die  bei  dem  Streben  Bach's  nach  melo- 
discher,  gesangsreicher  Wirkung  iiberrascht,  in  dern  letzten 
Allegretto  aber 


—    78 


in  eine  vollig  moderno  Melodienbildung  ubergeht. 

Docli  hat  Bach  die  fur  den  Anfang  dieser  Sonaten- 
sarnmlung  so  sorgfaltig  motivirtc  Vcrjindcning  dor  Re- 
prisen  wieder  fallen  lassen.  Hatte  man  im  Publikum  kern 
Gefallen  daran?  Konnte  er  mit  ihrer  einfachon  "Woise 
nicht  durchdringen?  Hatte  er  sich  iiberaeugt?  class  diese 
Art  von  Sonaten  keine  Anfangersliicko  seien,  und  dass 
gebildete  Liebhaber,  die  sie  spielen  wollten,  des  Studiums 
und  der  Uebung,  ungeachtet  der  cinfachcn  Technik  der- 
selben?  doch  nicht  entbehren  konnten?  Der  Verfasser 
mochte  sich  der  letzteren  Ansicht  zuneigen* 

Auch  die  Sonaten  der  zweiten  Fortsetzung  ent- 
halten  die  Repi'isen-Veranderungen  nicht, 

Diese  Sonaten ,  von  denen  die  in  Fis-inoll  3/»  ilberaus 
geistreich,  lebendig,  voll  von  Wechsel  und  Farbe,  in  oinern 
dem  Verfasser  vorliegenden  alten  Excmplare  init  Rothstift 
sehr  bezeichnend  ,,der  Apriltag  nach  der  Natur  ge- 
zeichnet"  uberschrieben  ist,  die  in  E-dur  */4  an  die 
1.  Sonate  des  1.  Hefts  fur  Kenner  und  Licbhaber  erinnert 
und  die  in  E-inoll  4/4  mit  einein  schonen  Adagio  in  E-dur, 
L'Einschnitt  betitelt,  so  wie  mit  dem  raerkwiirdigen 
Allegro  di  molto 


—    79    — 


sind  von  nicht  geringerem  Interesse.     Sammtlich  in  ver- 
schiedenen,  zmn  Theil  weit  auseinander  liegenden  Jahren 
entstanden,  die  4.  hn  Jahre  1744,  die  1.  1747,  die  6.  1758, 
die  2   1759,  die  3.  1761,  die  5.  1762,  geben  sie  ein  deut- 
liches  Bild  von  deni  Clavierstyl  Bach's,  wie  er  sich  nun 
za  seiner  eigenthiimlichen  Selbstandigkeit  ansgepragt  hatte. 
Es  wiSrde  schwer  sein,  einen  besonderen  Unterscliied 
in  der  Beliandkngsweise  der  einzelnen  Stucke  festzustellen. 
Insbesondere  wiirde  man  glauben  konnen,  dass  die  viel- 
leicht  nicht  ohne  Absicht  neben  einander  gestellten,  ihrem 
Entstehen  naeh  18  Jahre  von  einander  getrennten  Sonaten 
4  und  5  demselben  Zeitabschnitt  angehorten,  und  nur  das 
gesangreich  fliessendere,  in  gewissein  Sinne  vollkommenere 
Larghetto  des  Stiicks  in  E-dur  und  der  weniger  streng 
gehaltene   Sate    desselben    konnten    ein    Unterscheidungs- 
merkmal  abgeben. 

Noch  vor  dem  Beginn  des  Jahres  1761,  in  welcheni 
diese  bedeutende  Sammlung  der  Eeprisen-Sonaten  beendigt 
wurde,  erschien,  ebenfalls  zu  Berlin  bei  Fr.  Wilhelm 
Birnstiel,  ein  Sammel-Werk  von  nicht  minder  Interesse 
erregendem  Inhalt,  zu  welchem  der  weitab  erheblichere 
Theil  der  Beitrage  von  Bach  geliefert  worden  war. 

Es  war  dies  das  ,,Musikalische  Allerlei  von  ver- 
schiedenen  Tonkunstlern",  an  dessen  Redaction  Bach 
offenbar  einen  sehr  wesentlichen  Antheil  gehabt  hat.  Diese 
Sammlung  sollte  alle  Sonnabend  in  einzelnen  Heften  er- 
scheinen  und  die  Bestimmung  haben:  ,,Die  neusten  musi- 
kalischen  Versuche  guter  Tonmeister  in  Sing-  und  - 


—    80     ~~ 

sachen,  Clavier -,  Violin-  und  Flotenstticken,  kleinen  und 
grosseren  Aufsatzen,  Oden,  Arien,  Polonaisen,  Menu- 
etten,  Marschcn,  Duetten,  Trios,  Pugcn  und  Sinfonien, 
charakterisirten  Stuck  en  und  Sonaten  in  deutschein,  italie- 
nischem  und  franzosischem  Gesclnnack  zu  samineln  und  be- 
kannt  zu  rnachen."  Der  Verleger  machte  noch  besonders 
darauf  aufmerksarn,  ,,dass  diese  Sammlung  mit  Wahl  und 
Priifung  unternommen  und  nicht  jeder  Aufsatz  ohne  Unter- 
scliied  in  selbige  werde  aufgenonimen  wcrden". 

Das  Unternchmen;  welches  sicli  an  ein  lihnliches  Musik- 
werk,  den  ?7iausikalischenZeitvertrcib",  angeschlossen 
liatte?  begann  im  November  1760.  Es  sind  davon  9  Hefte 
mit  36  Musikstitcken  erschienen  und  es  haben  daran  die 
ersten  Tonsetzer  der  daraaligen  Berliner  Schule  Antlieil 
genonimen;  und  zwar: 

1.  Kirnberger  mit  Veriindcrungen   liber   die   Arie 
7?Icli  schlief;  da  trauinte  rnir",  2  Marsclien;  3  Po- 
lonaisen,  1  Allcmande?  1  Gique7  1  Corrente7  9  Me- 
nuetten?  1  Clavier  -Praludium;  vier  Stiicken  fur  die 
Orgel:    7;Gelobet  sefet  du  Jesu  Christ ",  77Herzlich 
thut  rnich  verlangen",  3?Wer  nur  den  lieben  Gott 
lasst  walten",  ?,Was  Gott  thut,  das  ist  wohlgethan", 
2  Liedern  (??das  unschuldige  Kind"  und  ??Lob  des 
Weines")7    1  Allegro  fur  einen  Singchor,   2  Soli 
flir  die  Trayersflote, 

2.  Marpurg    mit  verschiedenen   Liedern,    Psalrnen, 
Oden,  1  Musette,  4  Menuetten,  3  Rondeaus, 

3.  Graun  (der  Kapellmeister)  init  dem  23.  Psalm  fur 
Gesang  und  einem  Liede, 

4.  Quantz   mit  einem  Solo  fur   die  Traversflote  in 
Sonatenform, 

5.  Agricola  mit  einem  Liede  (,;das  Erdbeben^), 

6.  Pasch  mit  dern  1.  3.  und  5.  Psalm  fur  resp.  47  2 
und  3  Stimmen  rnit  Bass, 

7.  Rameau  mit  einer  Phantasie, 

8.  Rolle  mit  2  Clavier -Sonaten, 


oi     U_,,T 

o  j.      • 

9.    Fr.  Benda  mit  einem  Violin-Solo, 
10.    C.  P.  E.  Bach  mit  folgenden  Arbeiten: 

a)  la  Xenophon,  Allegretto  I.  Cis-dur  Allabr.? 

b)  la  Sibylle,  do.          I.  C-dnr         do. 

c)  la  Complaisante,  Allegretto  grazioso  B-dur  3A7 

d)  la  Capricieuse,  Allegro  D-dur  %, 

e)  les  Langueurs  tendres,  poco  Allegro,  F-moll  2/4? 

f)  rinresolue,  Allegro,  G-dur  3/8? 

g)  la  Journalise,  Allegro,  C-moll  %, 
siimmtlich  musikalische  Kleinigkeiten  fur  das  Clavier,  die 
letzten  5  aus  dern  Jahre  1756,  die  ersten  beiden  von  1757, 
Salonstucke    von    besonders    ausgepragter    Charakteristik, 
wie  sie  damals   sehr   beliebt  waren  und  zum  Theil  noch 
jetzt  mit  Vergnltgen  gespielt  werden  konnten; 

.     h)   der  4.  Psalm  (von  Cramer)  zweistimmig  fiir  Ge- 

sang  mit  Bass, 

i)   der  2.  Psalm  desgl.  vierstimmig  ohne  Bass, 
k)   eine  Suite  (E-moll  4/4)  aus  dem  Jahre  1751  und 
drei  Clavier-Sonaten  (G-dur  %,   F-moll  4/4  und 

H-dur  V*), 
1)   17  Veranderungen  fiber  die  Arie  ,,Ich  schlief, 

da  traumte  inir"  vom  Jahre  1752, 
m)  ein  Clavierstuck  mit  Veranderungen  v.  J,  1750. 
Unter   den  Variation  en  waren  zwei  von  Fasch. 
Man    sieht,    dass  Bach   an  der  Arbeit   dieses  Unter- 
nehmens  weitaus  das  meiste  gethan,  in  Bezug  auf  eigent- 
liche  Solo-Compositionen,   fur  Clavier  aber  neben  Rolle 
allein  Beitrage  von  Bedeutung  geliefert  hatte. 

Ihm  zunachst  steht  Kirnberger,   dessen  contrapunk- 
"tistischer  Geist  sich  in  vier  zum  Theil  sehr  schonen  Orgel- 
stiicken  bewahrt  hat. 

Unter  den  drei  Sonaten  Bach's  ist  die  in  F-moll  (No. 38) 
1744  componirt  und  also  seinen  alteren  Arbeiten  angehorig 
weitab  die  bedeutendste,  ein  vollkommenes  Meisterstiick 
im  Styl  der  alten  Schule,  in  Erfindung  und  Einheit.  Der 
erste  Satz  (3  stimmig) ,  in  welchem  beide  Hauptinotive  in 

Bitter,  Emanuel  und  Friedemann  Bach. 


der  rechten  uud  linken  Hand   unniittelbar  hintereinander 
eintreten 


Allegro. 


nnd  in  aussergewohnlich  kunstreicher  Weise  in  beiden 
Handen  verarbeitet  werden,  erhebt  sich  weit  hinaus  tiber 
das  Niveau  selbst  dessen,  was  Bach  in  der  Mehrzahl 
eigenen  Compositionen  geleistet  hat.  Mehr  noch  ist 
von  dena  auf  das  dreistimniige  scheme  Andante  folgenden 
Spirituoso  e  staccato  zu  sagen7  das  in  streng  zweistimmigem 
Satze  das  Geprage  eines  grossartigernsten ,  von  tiefeter 
Tragik  erfiillten  Charakters  in  sich  tragt.  Das  Ganze  ist? 
wie  das  leidenschaftliche  Drangen,  die  dustre  JErregung 
einer  deni  Ringen  gegen  feindlich  anstiirnoende  Gewalten 
geweihten  Natur,  welche  nur  vombergehend  von  deni  bald 
wieder  verloschenden  Sonnenglanze  eines  liebeerfullten 
Augenblicks  iiberstrahlt  wird. 

Sehr  schon,  wiewohl  von  geringcrer  Bedeutung,  sind 
die  beiden  anderen  Clayier-Sonaten.  Deren  Entstehungs- 
zeit  ist  nur  far  No.  43  bekannt,  welche  schon  173]  zu 
Leipzig  geschrieben,  1744  in  Berlin  neu  bearbeitet,  das 
klteste  der  bekannten  Clavierstiicke  Bach's  ist.  Beide 
gehoren  seiner  schulmassigen  Periode  an. 

Zu  seinen  weniger  bedeutenden  Arbeiten  inochte  man 


die  variirten  Themata  dieser  jSammlung  zahlen,  die  ur- 
sprunglich  wohl  fur  Unterrichtszwecke  gesetzt  sein  diirften, 

Nicht  ohne  grosses  Interesse  ersieht  man  im  Uebrigen 
aus  dies  em  Sainmelwerke,  wie  die  Manner,  die  der  Kapelle 
des  grossen  Konigs  angehorten;  oder  ihr  doch,  wie  Kirn- 
berger  und  Marptirg,  nalie  stanclen,  hier  niiteinander 
kunstleriscli  vereint  arbeiteten.  Ebenso  sieht  man  iiier 
die  bedeutenden  Theoretiker  ihrer  Zcit,  Bach;  *Quantz? 
Marpurg,  Kirn  berg  or,  unter  denen  die  letzteren  drei  viel- 
fach  in  Fehde  init  einander  standen,  sich  auf  diesem 
praktischen  Boden  friedlicli  zusammen  finden. 

Die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  kannte  den  unbe- 
sclirankten?  da>s  glaubige  Publikuni  wahrliaft  tiberfluthenden 
Strom  musikalisclier  Erzeugnisse  nicht,  der  die  Jetztzeit 
charakterisirt.  Die  Musik  war  noch  nicht  Genieingut  aller 
Stande  und  Klassen  der  Bevolkerung  geworden?  wie  sie  es 
jetzt  ist;  so  wenig  in  De\itscliland?  wie  in  Frankreich  und 
Italien.  De^  Verleger  von  Musikwerken  gab  es  wenige 
imd  diese  waren  bei  deni  zweifelhaften  Absatze  nicht 
weniger  schwierig,  als  sie  es  jetzt  bei  der  gesteigerten 
Nachfrage  sind.  Wie  sollten  die  Tonsetzer  ihre  Arbeit 
verwerthen,  wenn  sie  nicht  zu  Untcrnehmungen  wie  das 
obige  ihre  Zufhicht  nahnien?  *  . 

Dies  letztere  muss  nian?  wenn  man  den  biographischen 
Boden  neben  der  kunstlerischen  Seite  der  Sache  festhalten 
will,  eben  auch  in's  Auge  fassen.  1st  der  specielle  Erfolg 
des  A  Her  lei  aueh  nicht  bekannt?  so  kann  er  doch  kein 
ungiinstiger  gewesen  sein,  da  sich  daran  weitere  Unter- 
iiehmungeii  ahnlicher  Art  geknupft  habeii.  Bloss  vom  Unter- 
richtgeben  und  von  einein  Gehalt  von  300  Thlr.  Hess  pich 
selbst  in  dem  damaligen  Berlin  nicht  leben1). 

Als  die  unmittelbar  nachste  Fortsetzung  des  Allerlei 


i)  Zumal  wahrend  der  Kiiegsjahre,  wo  die  Gehalte  nicht  baar, 
sondern  in  fast  werthlosen  Anweisungen  Ibezahlt  wurden.  Zelter 
sagt  in  der  Biographie  Fasch's,  der  unter  diesen  Verhaitnissen  sehr 

6* 


—    84    — 

kann  das  Musikalisclie  Mancherlei  (Berlin  bei  Winter 
1762)  betraclitct  werden. 

Auch  hier  war  Bach  offenbar  die  bewegende  Trieb- 
kraft.  Ein  dieser  Sammlung  vorgedruckter  Vorbericht 
spricht  sich  in  einer  etwas  uberschwenglichen  Ausdrucks- 
weise  iiber  den  Zweck  derselben  folgenderrnassen  aus: 

??Die  Musik  dient  entweder  dem  Kenner,  er  mag  nun 
naturlicher  oder  gelernter  sein,  mit  ihrer  Kunst  bloss  nur 
zu  ergotzen?  so  wie  ein  wohlgebautes  Haus?  ein  regelmassig 
angelegter  Garten  vergnuget,  oder  sie  ist  die  [Sprache  der 
Empfindung.  So  rauschen  racheschwangere  Tone  7  so 
schleppt  sich  die  Traurigkeit  auf  den  Saiten7  so  wirft  der 
Zorn  feurig  die  Luft?  so  wallet  die  Freude  im  Aether,  so 
seufzet  der  zartliche  Ton  der  Freundschaft  und  Liebe7 
und  so  bringen  die  belebten  Tone  Lob  und  Dank  aus  dem 
vollen  Herzen  und  auf  die  Zungen  der  Menschen  zu  dem 
Sitze  der  Allmacht  und  theilen  die  Wolken." 

?;Die  vornehmste  Absicht  dieses  Wochepblattes  ist, 
einige  Versuche  von  dieser  letzten  Art  der  Musik  zu  geben, 
und  werden  darin  deutsche,  franzosische  und  italienische 
Arien  mit  kurzen  Recitativen  und  Stucke  fur's  Clavier  und 
andre  Instrumente  vorkojaamen." 

Dieser  hoclitonenden  Phrasen  ungcaclitet  fielen  die  Bei- 
trage  der  anderen  Tonsetzer  von  Rang  sparlicher  aus  als 
im  Allerlei.    Wir  finden  von  solchen  darin  nur 
Kirnberger  mit   einer   Polonaise ,    einem  Andante   und 

einem  Moderato; 
Fasch  mit  einem  Allegretto; 
Agricola  mit  einer  Clavier-Sonate. 

Dagegen  hatte  Bach  mit  seinem  gewohnlichen  Fleiss 
Folgendes  geliefert: 


litt.  ,,Bach,  der  urn  diese  Zeit  (1758)  schon  einen  grossen  Ruf  in 
Deutschland  hatte,  war  hierin  (in  der  Veiworthung  seiner  Arbeiten) 
glucklioher.  Seine  Arbeiten,  und  besonders  seine  Lectionen,  wurden 
ihm  so  gut  bezahlt,  dass  er  dabei  sein  gutes  Auskonjmen  hatte".  (S.  16.) 


—    85    — 

a.  vier  Sonaten  fur  Clavier,  namlich  B-dur  4/o  Gr-dur 
4/6,  A-dur  4/4  und  C-dur  V4,  gesetzt  in  den  Jahren 
17497  1754  und  1757. 

b.  ein  Menuett  fur  3  Trompeten,  Pauken,    2  Geigen 
und  Bass. 

c.  ein  dergl.  fur  2  Floten,  2  Fagott,  2  Geigen  und  Bass. 

d.  eine  Senate  fur  2  Violinen  und  Bass,  F-dur  V*. 

e.  an  kleineren  Clavierstiicken :  rHerrmanu,  la  Buch- 
holz,  la  Boehmer,  la  Stahl,  TAly  Rupalich 

gewissermassen  musikalische  Portraits  oder  Silhouetten,  den 
kleinen  Stucken  des  All er lei  ahnlich,  deren  Darstellung 
aus  dem  Streben  der  Zeit  nach  charakteristischer  Zeichnung 
in  der  Musik  hervorging,  von  dena  das  J?Mancnerlei"  zahl- 
reiche  andre  Beispiele  von  mehr  als  zweifelhafter  Natur 
enthalt.  Sollte  man  diese  Stticke,  wenn  auch  nur  in  ganz 
allgemeinen  Ziigen  analysiren,  so  wiirde  man  sagen  konnen, 
dass  1' Herrmann  (G-moll  2/4?  Allegro  moderato)  eine  Frau 
von  sanftem  gefiihlvollen  Charakter,  niit  einem  Anfluge 
von  sehnsuchtiger  Grazie  und  nicht  ohne  leidenscaaftliche 
Anwandlungen  darstelle,  dass  in  der  laBucliholz  (D-moll 
3/4?  Allegro)  eine  etwas  melancholische  sentimentale  Stim- 
mung  vorkeiTsche?  in  der  eine  Brregbare  Phantasie  zu 
cliolerischen  Anwandlungen  fuhrt;  der  aber  zugleich  ein 
feiner  Humor  nicht  fremd  ist^  la  Boehmer  (D-dur  6/8? 
Prestissimo)  entwickelt  eine  feurige,  kraftige  und  schwung- 
volle  Hatur,  die  ruhelos  fortstiirmt,  roll  leidenschaftlicher 
Wallungen,  aufbrausend,  aber  ohne  Anwandlungen  tieferen 
Gefuhls;  la  Sfcahl  (D-moll  3/i?  Grave)  zeigt  ein  ernstes 
Gemuthj  eine  elegische  Stimmung.  Eine  gewisse  Eomantik 
und  eine  aus  innerster  Tiefe  quellendes  Gefiihl  sind  nicht 
zii  verkennen.  Es  ist  ein  Stuck  von  vorziigiicher  Schonheit. 
In  der  Aly  Rupalich  (C-dur  Vt?  Allegro  assai)  da- 
gegen  ist  eine  unruhige3  nach  aussen  drangende  Natur 
veil  wechselnder  Leidenschaften  und  Neigungen  darge- 
stellt,  die  stolz  ohne  Hoheit,  ohne  Innerlichkeit  und  Tiefe, 
kaum  des  Schmerzes  fahig  ist;  der?  wo  er  sich  zeigt,  schnell 


wieder  verschwindet.  Hier  und  in  der  Boehmer  hat 
Bach  die  bei  ihm  sehr  selten  vovkommenden  Trommel" 
basse  wohl  nicht  ohne  bosondere  Absicht  angewondet '). 

Die  Sonaton  dieser  Samralung  geho'ron  sammtlich  dou 
weniger  ausgezeichnoten  an.  Das  Trio  fiir  2  Violinen  und 
Bass  (D-moll  '-/*)  'l^  angenehm  melodisch;  aber  gioiclifalls 
nicht  von  irgend  weicher  Bedeutung. 

Der  Rest  des  Mancherlei  ist  durch  Tonsetzer  zwcitcn 
Ranges  angefiillt.  Von  langorer  Dauer  war  dies  Unlcr- 
nehinen  nicht.  An  innerem  Werthe  steht  es  dom  ?,Allerlei" 
bedeutend  nach.  Bach  hat  in  ihni  sein  Bestes  in  den 
Portraitstiicken  geleistet. 

In  jedeni  Falle  boten  diese  Sammlungen  den  Ton- 
setzern  eine  yortrefflicho  Gelcgenheit,  um  geoignote  Com- 
positionen  in  das  Publikum  einzuftihrcn,  und  £>ach  hat 
sich  durch  seine  Theilnalmie  damn,  abgesehen  von  der 
Verbreitung  eigner  Arbeiten,  schon  darum  kein  goriugcs 
Verdienst  envorben,  well  er  der  vergleichenden  Beurthci- 
lung  seiner,  inehr  noch  unsrer  Zeit  ein  weitcs  und  ergiobigcs 
Feld  geoflnet  hat.  Es  wiirde  unrecht  sein,  dem  Vcrdicn«to 
seiner  Mitarbeitor  in  vielen  der  von  ihnen  gelieibrten 
Stitcke  Abbruch  thun  zu  wollcn.  Dennoch  steht  Bach  in 
dem  Clavierfache  auf  einer  ihncn  bei  Weitcin  iiberlegonen 
Stufe;  selbst  unter  Berucksichtigung  dessen,  dass  seine  im 
??Mancherleia  aufgenorainenen  Arbeitcn  nicht  das  Vor- 
zuglichste  von  seinen  Leistungen  onthalten.  Dies  wirtl  den 
Musikverstandigen  seiner  Zeit  wohl  schweiiich  ontgangon 
sein;  und  so  erklart  sich  schon  aus  der  Durchsicht  clioser 
Sammelwerke,  warum  Emanuel  Bach's  Name  so  weit 

i)  ,,Karl  Philipp  Emanuel  Bach  charakterisirte,  wio  cr  noch 
in  Berlin  war,  mehrere  Frauenziminer,  die  cr  kannte,  durch  angc- 
uiesseno  Clavierstiicke;  und  mehrere  Personon,  die  jedes  Individinim 
damals  kannten,  versicherten  mich,  ihr  Humor  und  Bcnchiuon  im 
Umgange  sei  glucklich  in  denselben  ausgedvuckt  gewesen;  nur  habc 
man  sie  von  Bach  selbst  spielen  horen  imissen." 

Ephemeriden  der  Mensohheit.    Stk.  6,   p.  6-18. 


—    87    —      ' 

in  unsjre  Zeit  hertiberreichen  konnte,  wahrend  die  Namen 
seiner  Kunstgenossen  in  ihrer  Eigenschaft  als  Instrumental- 
Coniponisten  mehr  und  mehr  der  Vergessenheit  anheimge- 
fallen  sind. 

Diesen  beiden  Sainmelwerken  folgten  im  Jahre  1764 
zu  Berlin  bei  Winter  die  1762/64  geschriebenen  III.  So- 
n  a  tine  per  Cembalo  concertato,  2  flauti  tr  aver  si,  2  Violini, 
Violetta  et  Basso. 

Die  Bezeichnung  Sonatine  andert  in  der  allgemeinen 
Eintheilung  und  in  dem  sonatenartigen  Charakter  der 
Stiicke  nichts.  Die  Instruinente  dienen  theils  zur  Ver- 
starkung  von  Melodie  und  Harmonie,  theils  sind  sie 
orchestermassig,  ausnahmsweise  hie  und  da  auch  obligat 
behandelt. 

Eine  alte  Zeitschrift  enthalt  bei  Gelegenheit  ihrer  Be- 
kanntmachung l)  folgende  Bemerkungen:  ,7Man  kann  mit 
Grund  voraussetzen,  dass  die  Schreibart  und  die  Grestalt 
dieser  concertirenden  Sonatinen  schon  aus  den  beiden  vor- 
hergegaugenen  bekannt  sei;  denn  wir  wiirden  einen  nach- 
theiligen  Schluss  auf  den  Geschmack  eines  Musikliebhabers 
machen?  wenn  er  die  brillanten  und  rilhrenden  Schonheiten 
einer  Bach'schen  Composition  -  dem  gefirnissten  Grlanze 
einiger  neuen  Mode-Componisten  nachsetzen,  oder  sie  nicht 
wenigstens  eben  so  gern  besitzen  wollte?  als  jene.  Es  ware 
eine  wahre  Versundigung  am  guten  Geschmack  in  der 
Musik,  und  an  der  eigentlichen  Art,  das  Clavier  zu  spielen, 
wenn  man  sich  nicht  alle  Arbeiten  dieses  grossen  Meisters 
wollte  zu  fleissiger  TJebung  empfohlen  sein  lassen.  Immer 
reich  an  Erfindung;  gefallig  und  feurig  in  den  Melodien, 
prachtig  und  klthn  in  der  fiarmonie  kennen  wir  ihn  schon 
aus  hundert  Meisterstiicken,  und  kennen  ihn  noch  nicht 
ganz ;  ein  Vorrecht,  das  die  nicht  verschwenderische  Natur 
nur  wenigen  gllicklichen  Genien  verliehen  hat?  dass  sie 


i)  Wochentliche  Nachrichten  iiber  Musik  (von  Hiller).    Leipzig 
1766.    S.  35. 


nach  einer  Menge  hervorgebrachter  vortrefflicher  Werke 
doch  irnmer  noch  neue  Schonheiten  irn  Vorrath  haben. 
Wie  viel  Vergnligen  wird  uns  niclit  cine  fleissige  Fort- 
setzung  dieser  Sonatinen  inachen.  Gegenwartige  als  die  3. 
isfc  aus  dem  Es  oder  Dis  niit  ben.  Sie  besteht  ans  3  Hatzen, 
einem  Largo,  Allegro  und  Tempo  cli  Minuetto.  Eiiie  artige 
Verstarkung  der  Melodic  durch  Octaven  in  der  Clavier- 
stimnie  ist  im  ersten  Largo  bald  iin  Anfang  und  gegen 
das  Ende  angebracht,  welclie  eine  unvergieichliche  Wirkung 
thut  Die  begleitenden  Stimmen  sind  ubrigens  so?  wie  bei 
den  beiden  ersten  Sonatinen,  alle  obligat." 

Man  sieht,  dass  die  eigene  Zeit  Bach  schon  in  seiner 
Berliner  Periode  nicht  unterscbatzt  hat,  dass  er  vielmehr 
als  der  bedeutendste  Clavier- Componist  jener  Epochc  be- 
trachtet  wurde.  Obige  Aeusserungen  gewinnen  nicht  wenig 
dadurch  an  Werth,  dass  sie  der  Feder  eines  Mannes  ent- 
stammen,  der  wahrlich  nicht  d'en  schlechtesten  Musikern 
des  vorigen  Jahrhunderts  angehorte,  der?  abgesehcn  von 
seinen  Leistnngen  auf  dem  Felde  der  musikalischen  Kritik? 
im  Stande  war,  eine  Mara  zur  ersten  Sangerin  der  Welt 
auszubilden  und  der  das  nicht  genug  zu  schatzende  Ver- 
dienst  hat,  das  deutsche|  jSingspiel  zuerst  zur  Kunstform 
erhoben  zu  haben. 

Weiter  folgten,  im  Jahre  1765  in  Berlin  bei  Winter 
herausgegeben; 

Clavierstticke  verschiedener  Art; 
bestehend  in  einem  Concerto  (C-dur  V4  Allegretto, 
Largo ,  Allegro)  das  in  den  Motiven  und  ihrer  Au- 
wendung,  in  der  Freiheit  der  Formen  und  in  der 
harmouischen  Behandlung  den  besten  Arbeiten  Bach's 
angehorig,  1765  gesetzt  war, 

drei  Fantasien,  6  Menuetteu,  3  IS  olfeggien  und 
3  Polonaisen,  von  denen  die  3  Fantasien  und  Hol- 
feggien  (unter  welchen  letzteren  nur  kurze  Finger- 
Uebungen  zu  verstehen  sind)  im  Jahre  1759  gesetzt 
waren, 


einer  JSonate  (D-moll  %)  gesetzt  1763, 

einer  Sinfonie  (G-dur  4/4);    in  der  besonders  der  erste 

Satz    vortrefflichj    voll   von  Feuer,    und   das  Adagio 

(H-moll  6/8)  roller  Geftthl  und  feiner  Wendungen  ist, 

(componirt  1758  und  in  Potsdam  1765  fur  Clavier  ein- 

gerichtet)  endlich 
einer  Fuge?  die,  zieralich  fein  gearbeitet,  an  den  strengen 

tityl  der  alten  Schule  nicht  heranreicht,  ziemlich  kurz, 

aber    flir    die   Fassung    und  Spielart    weiterer  Kreise 

geeignet  ist.     (Siehe  oben  S.  64  ff.) 

Im  Jahre  1766  erschienen  ferner  bei  Breitkopf  in 
Leipzig 

Sechs   leichte  Clavier-Honaten 

in  der    bekannten  Form  und   nicht  ohne    brillante  Wen- 
dungen,  sowie  bei  Winter  in  Berlin 

Kurze  und  leichte  Clavierstiieke 
mit  veranderten  Reprisen    und  beigeftigter  Fingersetzung 
flir  Anfanger. 

Davon  waren  9  Satze  1765  in  Potsdam  ?  3  in  Berlin 
1766  gesetzt  Auch  uber  diese  hat  Hiller  sich  in  einer 
Weise  geaussert1),  die  fur  die  Wlirdigung  des  Bach'schen 
Geistes  bezeichnend  genirg  ist 

Mit  diesen  Werken  und  der  im  Jahre  1767  erschie- 
nenen  zweiten  Sammlung  kurzer  und  leichter  Cla- 
vierstiieke ist  die  ofientliche  Wirksamkeit  Bach's  fiir 
die  Clavier  -  Composition  in  Berlin  abgeschlossen.  Ein 
nicht  geringer  Theil  seiner  Arbeiten  der  Berliner  Zeit 
ist  ungedruckt  geblieben.  Was  davon  bekannt  geworden, 
eine  Reihe  grosser  Clavier- Concerte,  deren  z.  B.  die  Ber- 
liner Bibliothek  alleiii  10?  ein.schliesslich  zweier  Orgel- 
Concerte  enthalt  (von  denen  zwei  auch  als  Oboen-Concerte 
bearbeitet)  und  deren  auch  in  Leipzig  rnehrere  abschrift- 
lich  vorhanden^sind,  lasst  im  hochsten  Maas.se  bedauern, 
class  Stiicke  von  solcher  Vorziigiichkeit  weiteren  Kreisen 


i)  Wochentliche  Nachrichten  etc.    Leipzig  1766.    S.  52. 


-    90    — 

vorenthalten  bleiben.  Die  Sonate  a  Cembalo  e  Viola 
da  Gamba(1759)  ist  ein  Meisterstiick  in  ihrer  Art.  Nicht 
minderen  Werth  haben  die  im  Jahre  1763  iinter  der  Be- 
zeichnung  von  Trios  gesetzten  Sonaten  mit  Violine  in 
F-dur,  B-dur,  H-moll  und  C-moll.  Von  diesen  gehdrt  das 
Trio  in  H-moll  mit  dem  Anfange: 


Atlo.  moderate. 


dem  schonen  Einsatz  der  Violine  im  10.  Takte: 


I 


&^==^^&---t^~i~- 

und  mit  dem  ausserst  gesangvollen,  weit  ausgefiihrten  An- 
dante in  D-dur,  so  wie  dem  Allegretto  Siciliano  von 
reizendster  Art  und  Farbung  weitaus  zu  den  besten  Ar- 
beiten  Bach's  ans  der  Berliner  Zeit.  Die  ausserst  ge- 
schickte  Verwebung  der  Motive  in  den  beiden  mit  einander 
concertirenden  Instrumenten  halt  das  Interesse  an  der  Aus- 
iuhrung  fortwahrend  in  Spannung. 

Das  Trio  in  0- ID  oil  enthalt  ein  Adagio  (As-dur  %) 
von  besonders  hervorragender  Schdnheit?  von  seltenem  me- 
lodischen  Reiz  und  einer  Freiheit  und  Vollendung  der 
Form,  die  weit  uber  die  Zeit  der  Composition  hinaus- 
greift J). 

Allen  diesen  Stiicken  wlirde  fur  ihre  gegenwartige 
Venvendbarkeit  eine  Bearbeitung  mit  harmonischer  Aus- 
fullung  des  Mittelgrundes  nothwendig  sein. ' 


i)  Diese  heiden  Stncke  sind  neuerdings  (Leipzig  imd  Winlerthur, 
J.  Eieter-BIederman)  im  Druek  erschienen. 


Q1       

v/o.          •    — 

Bin  grosser  Irrthum  ware  es,  wollte  man  glauben,  dass 
Bach's  Thatigkeit  fur  sein  Haupt- Instrument  allein  in 
seinen  Compositionen  fiir  dasselbe  und  in  deni  Unterricht, 
den  er  ertheilte,  beruht  habe.  Er  ging  vielinehr  einen  nicht 
geringen  Schritt  welter,  indein  er  neben  der  praktischen 
Uebung  des  Clavierspiels  als  Kunstler,  dor  Thatigkeit  als 
Tonsetzer  unrl  der  ohne  Zweifel  nicht  unbedeutenden  Be- 
sehaftigimg,  die  ihin  als  Lehrer  oblag?  sich  den  theoretischen 
Auseinandersetzungen  zmvendete,  die  ilnn  fiir  eine  voli- 
kommene  Ausiibung  seiner  Kunst  nothwQndig  erschienen. 

B,   Die  tbeoretischen  Arbeiten. 

Im  Jahre  1752  hatte  Quantz  in  seinein  ?JVersuch, 
die  Flote  traversiere  zu  spielenu?  eiri  vortreffliclies 
Werk  herausgegcben?  dessen  Trohlgeordneter  und  reieher 
Inhalt  weit  liber  dasjenige  tinausgriff,  Aras  der  Titel  ver- 
mutheii  liess  l]  Dies  Werk?  das  drei  Anflagen  erlebte|?  luit 
offenbar  einen  grossen  Einfluss  auf  Bach's  Eutschluss  geubt, 
eine  Theorie  des  GlavierspieLs  zu  veruffentlichen.  Sei 
es?  class  er  init  Quantz  naeli  einein  in  den  Hauptzugen 
gerneinsehaftlich  verabredeten  Plane  gearbeitet,  sei  e^7  dass 
dessen  Werk  liber  das  Flutenspiel  ihni  die  Lust  erweckt 
hat?  eine  ahnliehe  Arbeit  fiber  das  Clavierspiel  zu  unter- 
nehmen,  sei  es,  dass  dies  sehon  friiher  in  seiner  Absieht 
gelegen  hatte  und  jene  Arbeit  des  grossen  Flotisten  ihru 
nur  yon  Neuem  dazu  Anregung  gab?  gewiss  ist,  dass  nicht 
nur  der  Titel  seines  Werkes?  ;?Versuch  tiber  die  wahre 
Art  das  Clavier  zu  spielenfc-?  dein  Titel  des  QuantzJ- 
schen  Buches  vollig  analog  gewahlt  ist?  sondern  dass  auch 
Eintheilung  und  Disposition  ini  Grossen  und  Ganzen,  so 


i)  Johaiin  Joachim  Quanta  ens,  Kuiiigl.  Preuss.  Kammer- 
Musicus,  \reisuch  einer  Anleitung,  (lie  Flute  traversiere  zu  spielen, 
imt  verschiedenen  zur  Befoideiuog  ties  guteri  Geschinackes  in  der 
praktischen  Musik  dienlichen  Anmerktiugeu  begleitet  und  mit  Exem- 
peln  erlautert  nebst  XXI\7  Kupfertafeln,  Berlin  bei  J.  F.  Voss  1752, 


-    92    - 

wie  die  Ausfuhrung  irn  Einzelnen  aus  einem  und  demsel- 
ben  System  hervorgegangen  erscheinen.  Hauptstiicke,  Ab- 
schnitte  und  Paragraphen  sind  in  beiden  Werken  in  ahn- 
licher  Weise  eingetheilt.  Auch  die  anf  den  kiinstlerischen 
Inhalt  der  Musik  im  Allgemeinen  gerichteten  Bestrebungen 
haben  beide  gemern,  obschon  die  Arbeit  von  Quantz  von 
mehr  universeller  Eichtung  ist  als  die  Bach'sche.  Beide 
Manner  waren  Kiinstler  im  grossen  Styl.  Beide  wollten 
in  ihren  Werken  der  Kunst  dienen  und  beide  behan- 
delten  das  blosse  Virtuosenthurn,  obschon  jeder  von  ihnen 
auf  seinem  Instrumente  Virtuose  ersten  Banges  war,  rait 
Geringschatzung. 

Bach  trat  mit  seineni  Buche  iiber  das  Clavierspiel 
vor  ein  Publikum,  dern  bis  dahin  durch  den  Druck  und 
die  Oeffentlichkeit  wenig  theoretischer  Unterricht  geboten 
worden  war.  Ausgeriistet  mit  allem  Wissen^  das  .sein 
Unternetmen  erforderte,  Herr  jeder  Fertigkeit^  die  iin  Be- 
reiche  seines  Kunstkreises  raoglich  war,  war  er  durch  wis- 
senschaftliche  Bildung  und  naannliclie  Reife  vor  vielen  An- 
deren  zu  einein  solchen  Unternehmen  befahigt.  Vorganger 
bafc  er  wenige  gehabt,  keinen  von  einiger  Bedeutung. 
Couperins  ,,1'art  de  toucher  le  clavecin"  war  wohl 
das  einzige  Buch  von  Werth,  das  schon  vor  dem  sein  en 
vorhanden  war.  Um  so  grosser  ist  sein  Verdienst,  ein  Werk 
geliefert  zu  haben;  das  als  ein  durch  und  durch  klassisches 
bezeichnet  werden  muss  und  das  noch  bis  heut,  nachdem 
mehr  als  ein  Jahrhundert  der  freiesten  und  kuhnsten  Ent- 
wickelung  dariiber  fortgegangen7  sein  en  Werth  behauptet 
hat  Dasselbe  fiihrt  den  Titel  ??Versuch  itber  die  wahre 
Art  das  Clavier  zu  spielen,  rnit  Exempeln  und  acht- 
zehn  Probestucken  in  6  Sonaten  erlautert  von  Carl  Phi- 
lipp  Emanuel  Bach,  Konigl,  Preuss.  Kammer-Musikus, 
Berlin^  in  Verlegung  des  Autoris,  1753."  Zunachst  erschien 
der  erste  TheiL  In  der  Vorrede  wird  bemerkt;  wie  der 
Verfasser  Willeus  sei,  die  wahre  Aii?  das  Clavier  mit 
dem  Beifall  vernfinftiger  Kenner  zu  spielen,  auseinander- 


—    93    — 

zusetzen,  wobei  er  auch  die  Lehrer  iin  Auge  habe,  welche 
ihre  Schiiler  bisher  nicht  Bach  den  Gruiidsaten  der  Kuiist 
gelehrt,  und  worin  er  das  Erforderliche  in  kurzen  Lehr- 
satzen  ohne  weitlaufiges  Lehrgebaude  darstellen,  dabei  kein 
Phantastenstudiuni  uiid  keinen  Generalbass  lehren  wolle. 

Die  Eiiileitung  bezeichnet  als  wesentliehe  Gegen- 
stande  der  Bespreehung  die  rechte  Fingersetung,  die 
guten  Manieren?  den  guten  Vortrag.  Es  werden  die 
Fehler  der  Clavierspieler  durchgcnommen  ?  ebenso  die 
Fehler  der  Lehrer  in  den  Methoden  des  Unterrichts,  ferner 
iiber  die  unterscheidenden  Merkmale  des  Claviers  und 
Clavichords,  sowie  liber  den  Fliigel  das  Nothige  niitgetheilt; 
wobei  besonders  verlangt  wird ,  dass  jeder  Clavierspieler 
sowohl  ein  gutes  Clavichord  als  einen  gtiten  Fliigel  haben 
solle  (§  1  —  15).  Darauf  geht  er  (§  16  —  20)  zu  dem 
System  des  Unterrichts  selbst  liber. 

Das  eigentliche  Werk  ist  in  Hauptstiicke?  diese  sind 
in  Abtheilungen  und  Paragraphen  eingetheilt 

Das  erste  Hauptstuck  handelt  von  der  Finger- 
setzung  (wobei  einige  Riickblicke  auf  die  friihere  Art 
des  Clavierspiels  von  besonderem  Interesse  sind)7  indeni 
Stellung  und  Haltung  vor  deni  Claviere7  sowie  die  Hal- 
tung  der  Hande  und  Finger  (nacli  der  Methode  Sebastian 
Bach's)  ausfiihrlich  behandelt  werden. 

Hierauf  geht  er  auf  die  Applieatur  liber,  fiir  welche 
zahlreiche  Beispiele  in  alien  Tonarten  durchgegangen  und 
spater  zu  mehrstimmigen  Exempehi  ausgedehnt  werden. 
Er  beleuchtet  die  sainmtlichen  Intervalle  nach  alien  Sei- 
ten,  urn  zu  den  Drei-  und  Vierklangen  uberzugehen. 

Dann  folgt  die  Lehre  von  dem  G-ebrauch  des  Dau- 
mens,  von  deni  Ueberschlagen  der  Finger  und  deren 
Wechsel. 

Das    zweite    Hauptstitck    zerfallt    in    neun    Unter- 

abtheilungen. 

Die  erste  Abtheilung  handelt  von  den  Manieren 
iiberhaupt.  Bach  spricht  zuerst  von  dem  Nutzen  der- 


—    94    — 

selben,  ihrer  Nothwendigkeit,  der  UnterscLeidung  guter 
von  den  schlechten  Manieren,  und  theilt  sie  dann  in  zwei 
Classen:  a.  in  solche,  welclie  man  durcli  gewisse  Kenn- 
zeidhen  oder  Notchen  zu  bezeichnen  pflegt,  b.  in  solche, 
welche  nicht  durch  Zeichen,  sondern  durch  viele  kleine 
Noten  dargestellt  werden.  Er  behandelt  dann  deren  An- 
wendung,  ihr  Verhaltniss  znr  Musik  selbst;  den  verschie- 
denen  Geschmack  im  Gebrauch,  endlich  ihre  Anwendbar- 
keit  fur  beide  Hande. 

Dann  folgt  die  zweite  Abtheilung  von  den  Vor- 
schlagen;  ferner 

Die  dritte  Abtheilung  von  den  Trillern  und 
zwar  von  den  ordentlichen?  den  en  von  unten;  denen  von 
oben;  dem  halben  und  dem  Prall-Triller?  ihrer  Uobung, 
den  Fehlern,  die  dabci  zu  Tage  kornmen,  und  von  ihreni 
Vortrage, 

Die  vierte  Abtheilung  handelt  voii  den  Doppel- 
schlagen,  ihrer  Bezeichnung,  Verscluedenheit  und  An- 
wendung,  sowie  ihrer  Verbindung  mit  dem  Triller, 

Die  fiinfte  Abtheilung  von  den  Mordenten; 

Die  sechste  Abtheilung  von  deni  Anschlage, 

Die  siebente  Abtheilung  von  den  Schleifern, 
in  ihrer  verschiedenen  Art  und  ihrer  Auwendung  im  Adagio 
und  uber  Dissonanzen, 

D*ie  achte  Abtheilung  von  dem  Schneller, 

Die  neunte  Abtheilung  von  den  Verzierungen 
der  Fermate,  der  Fermate  selbst  uber  der  vorletzten 
oder  letzten  Note  des  Basses,  oder  nach  dieser  liber  einer 
Pause. 

Das  dritte  Hauptstiick  beschaftigt  sieh  in  hochst 
anschaulicher  und  bedeutender  Weise  mit  dem  Vortrage. 

Nachdeni  darin  zunaehst  mit  Nachdruck  ausgesprochen 
ist;  dass  Fertigkeit,  Wissen  und  gelaufge  Manieren  nicht 
den  guten  Spieler  ausmachen?  geht  Bach  auf  den  Vor- 
trag  selbst  uber.  Er  bespricht  die  Starke  und  Schwache 
der  Tone,  ihren  Druck,  ihr  Schnellen,  Ziehen,  Stossen, 


—    95    — 

Beben,  Brechen,  Halten?  Schleppen  und  Fortgehen  und  ent- 
wickelt  die  Kennxeichen  des  guten  Vortrags.  Die  Fehler 
desselben,  die  Schwierigkeit,  atif  den  damals  gebrauchlichen 
Instruraenten  ein  Adagio  singend  zu  spielen  oder  dasselbe 
durch  zu  yiele  oder  zu  wenige  AusMlungen  zu  verderben, 
die  Nothwendigkeit,  den  Vortrag  nach  dem  luhalt  des  Stacks 
einzurichten,  die  Art,  wie  man  das  Stadium  desselben  am 
besten  zu  betreiben  habe?  alles  das  wird  in  klarer  und 
erschopfender  Weise  dargestellt.  Dann  gent  er  zu  der 
eigenen  Vertiefung  in  die  Masik  iiber  (indem  ein  Mu- 
sikus  nicht  anders  riihren  kann?  er  sei  denn  selbst 
geruhrt),  zu  der  Spielart  und  ilirer  Verbindung  mit  dem 
Inhalte  der  Musik,  den  Bezeichnungen,  welche  fur  den 
Ausdruck  gebrauchlick  sind?  der  Anwendung  der  Verzie- 
rungen  und  Cadenzen. 

Dies  ist  der  kurzgefasste  Inhalt  des  TVerks?  welches; 
einem  edlen  und  achten  Kunststreben  entsprossen;  kein 
anderes  Ziel  hatte  als  die  Verbreitung  der  wahren  Regeln 
des  Clavierspiels  und  des  Abweisens  alien  Dessen?  was 
lediglich  formeller  Natur  war  oder  sich  als  Charlatanismus 
doc^mentirte.  Ueberaus  lehrreich  und  interressant  sind  die 
dazwischen  eingestreuten  Benierkungen  fiber  die  *  Spielart 
and  die  Schreibweise  der  Franzosen?  insbesondere  Cou- 
perins?  dem  Em.  Bach  grosse  Anerkennung  zu  Theil 
werden  lasst.  Von  noclistem  kiinstleriscben  wie  niusikali- 
schen  Werth  ist  der  erste  Artikel  des  dritten  Hauptstiicks. 

Em.  Bach  hat  dieses  Werk  kurz  nach , dem  Tode  sei- 
nes beriihmten  Vaters  verfaast,  auf  dessen  Lehrweise  und 
Zeugniss  er  wiederholt  verweisst.  Es  ist"  hier  eine  Dar- 
stellung^der  Grundsatze  yon  Seb.  Bach's  Unterrieht  im 
Clavierspiel  gegeben  und  insofern  ist  dies  Buch?  auch  ab- 
gesehen  von  seinem  materiellen  Inhalt,  von  dem  hochsten 
ktinstgeschichtlichen  Werthe.  Es  tragt  vor  Allem  zum 
Versta^ndniss  der  Art  und  Weise  bei?  wie  Seb.  Bach's 
Clayierstucke  gespielt  werden  miissen?  und  yeranschaulicixt 
deutlich  den  Greferaach  and  die  Verwendung  der 


—    96    - 

Clavier  -  Instrumente.  Seb.  Bach  war  unbestritten  der 
Schopfer  der  modernen  Art  des  Claviers|)iels.  Seine  Schule 
bildet  die  Grundlage  dieses  durch  spatere  grosse  Meister 
in  so  ausserordentlichem  Masse  erweiterten  Kunstzweigs. 
Es  ist  kein  geringes  Verdienst  des  Sohnes,  dass  er 
die  Theorie  jener  Schule  fur  alle  Zeiten  festgestellt  hat. 
Schon  diese  einzige  Arbeit  wiirde  ihm  einen  ehrenvollen 
Platz  in  der  Kunst-Geschichte  sichern.  Die  zahlreichen 
beigefugten  Beispiele  bestandea  in  mehr  als  200  Exempeln, 
ferner  in  6  Soriaten  und  einer  grosscn  Fantasic,  den  en 
bei  der  3.  Auflage  irn  Jahre  1780  noch  6  kleine  Stiicke 
mit  der  Bezeichnung  Sonatine  nuove  hinzutraten. 

Die  sechs  Sonaten  geben  ein  Bild  sammtlicher  Schreib- 
arten  Emanuel  Bach's,  wie  sie  Rochlitz  (S.  49)  seiner 
Zeit  charakterisirt  hat,  von  deni  ganz  leichten  zweistimmig 
gesetzten  Uebungsstiicke  fiir  Anfanger  (Senate  1  in  C-dur) 
in  stufenweiser  Erhebung  zu  der  dreistimmigen  Senate 
Nro.  4  in  G-moll,  welche  schon  eine  gereiftere  Auffassung 
mid  wegen  des  strengen  Satzes  eine  sehr  accurate  Aus- 
fuhrung  erfordert,  und  der  5ten  Senate  in  Es-dur  mit  dem 
ausserordentlich  schonen  Adagio  in  B-moll  bis  zu  der 
Sonate  in  F-moll;  deren  leidenschaftlich  bewegte,  in  beiden 
Handen  wechselnde  Motive  einen  Schiller  von  grosser 
Ueberlegenheit  erfordern.  Das  4 stimmige  Adagio  aflfettuoso 
sostenuto  ist  ein  Meisterstuck  von  klarer?  dnrchsichtiger 
Polyphonic. 

Die  Phantasie  in  C-nioll  ist  eines  von  den  wunder- 
baren  Tonbildern^  in  denen  sich  die  bluthenreiche  Seele 
Bach's  von  jeder  Form  'entfesselt  in  ruhelosein  Stiirmen 
und  Wogen,  in  Gedanken  voller  Kiihnheit  und  in  feurigein 
Schwnnge  ergiesst.  Hier  leise  ersterbend;  dort  in  die  Hphe 
brausend?  mit  scharfen  Schlagen  die  klingenden  Motive 
durchbrechend  ist  dieses  Stiick  eines  der  geistvollsten 
und  grossartigsten,  die  uberhaupt  fiir  das  Clavier  geschrie- 
ben  sind.  Wohl  konnte  der  fast  draniatisch  zu  nennende 
Aufbau  von  Stellen  wie  die  nachfolgende: 


—    97    — 


£=k=&=£3b*&: 


rgg^^Ei^s^^feSi^^^E^ 

, , ^  JFL-3-;          j  g^ 


auf  den  Gedanken  Iiinleiteri7  dass  hier  das  poetisclie  Wort 
sich  yon  selbst  Mnzudrangen,  um  deutlicher  die  Bewegung 
zn  enthiillen,  in  der  sicb  die  Seele  des  Tondichters  erhoben 
hatte. 

Erst  sieben  Jabre  spater  (1760)  seben  wir  Bach  mit 
der  Fortsetzung  seines  Werks  beschaftigt?  und  im  Jahre 
1761  erscbien 

;7Des  Versuchs  iiber  die  wahre  Art  das  Clavier 

zu  spielen?  zweiter  Theil/' 
i&  welctem    die  Lebre   yon    dem   Aecompagnement 

Bitter,  Emannel  una  Frleaemana  Bach.  7 


—    98    — 

der  freien  Phantasie  abgehandelt  wird,  Dieser  Theil 
des  grossen  Werks  enthalt  eine  Generalbasslehre?  wie  es 
wenige  giebt. 

In  der  Vorrede  weist  Bach  darauf  hin?  dass  seine 
Arbeit  nicht  aus  Speculation  entstanden  sei,  sondern  dass 
die  Erfahrung  sie  hervorgebracht  habe.  In  der  Einlei- 
tung  werden  die  Orgel,  der  Fliigel,  das  Fortepiano  und 
das  Clavichord  als  die  fur  das  Accompagnement  gebrauch- 
lichsten  Instrumente  bezeichnet  und  die  Begleitungsarten 
charakterisirt.  ?;Das  vollkominenste  Accompagnement  beim 
Solo,  dawider  Nieinand  etwas  einwenden  kann;  ist  em 
Clayier-Instrument  nebst  deni  Violoncell."  Er  spricht  dann 
von  der  Erlernung  des  Generalbasses  ?  von  der  Nothwen- 
digkeit,  gute  Musiken  zu  horen  und  zu  studiren,  von  dem 
ein-;  zwei-?  drei-  und  vierstimmig en  Accompagnement, 
von  der  Reinheit  und  geschickten  Fortsetzung  der  Inter- 
valle,  der  Deckung  der  Oompositionsfehler  durch  die  Be- 
gleitung,  von  der  Art  des  Unterrichts  und  von  der  Trans- 
position. 

Dann  folgt  in  Cap.  1.  die  Lehre  von  den  Inter- 
vallen?  der  Nothwendigkeit  des  richtig  und  hinlanglich 
bezifferten  Basses?  der  Erlernung  der  Ziffern  und  der  Eia- 
zelheiten  uber  die  Intervalle.  Es  wird  deren  Verschieden- 
heit?  ihre  Bezeichnung,  ihre  Fortschreitungen,  die  Regeln 
fur  die  letzteren  (Quinten  und  Octaven)?  die  geraden  und 
Gregenbewegungen,  die  vollkommenen  und  unvollkommenen 
Consonanzen?  die  Dissonanzen?  deren  Grebrauch?  Vorbe- 
i^eitung  und  Auflosung,  die  Vorausnabne  der  letzteren  aus- 
einandergesetzt?  und  es  werden  dann  die  durchgdbeMen 
Noten,  so  wie  die  Vorschriften  fur  den  regulareiE- tfnd  irre- 
gularenDurchgang  besprochen.  Alsdann  folgen  in  Cap.  2. 
zwei  Abschnitte?  deren  erster  vom  narmonischen  Drei- 
klange  handelt.  Die  Lehre  vom  Accorde;  dem  harten? 
weichen?  verminderten  und  vergrosserten  Dreiklang^  von 
den  offenbaren  und  verdeckten  Quinten?  der  Zul^ssigkeit 
der  Letzteren  unter  gewissen  Bedingungen  (zumal  des 


—    99    — 

Folgens  der  falschen  auf  eine  reine  Quinte)  und  der  Aus- 
dehnung,  in  welcher  beide  Hande  an  Qtiinten  und  Octaven 
gegeneinander  wirken  diirfen?  wird  entwlckelt. 

Der  zweite  Abschnitt  ha.ndelt  von  den  Gesamnit- 
bewegungen  und  ihren  Regeln  iin  2-,  3-  und  4-stImmigen 
Accompagnement  und  von  der  Art  der  aufzugebenden 
Uebungs-Exempel. 

Cap.  3.  spricht  vom  Sexten-Accorde,  uud  zwar  yon 
der  Beschreibung;  Bezeichnung?  dem  2-  und  3-stimmigen 
Sexten-Aecorde,  von  der  Verdoppelung  der  gehenden  und 
springenden  Bassnoten?  von  der  iibermassigen  und  der  ver- 
minderten  dissonirenden  Sexte,  ihrer  Vorbereitung  und 
Auflosung,  ferner  von  der  Sexte  in  den  Cadenzen,  der 
doppelten  Sexte?  den  Noten  mit  vielen  Sexten?  die  stufen- 
weise  herauf-  und  beruntergehen ;  der  Nothwendigkeit  der 
Verdoppelung  zur  Vermeidung  von  Fehlern?  den  Eegeln 
der  Verdoppelung  uberhaupt  und  der  Zulassigkeit  der  An- 
wendung  der  iibermassigen  Secun'den. 

Cap.  4.  entlialt  die  Regeln  vou  dem  uneigentlieh 
verniinderten  Dreiklange,  den  falschen  Quinten,  ihrer 
Bezeichnung  und  Anwendung. 

Cap.  5.  handelt  von  dem  uneigentlieh  vergrosser- 
ten  harmonischen  Dreiklange,  der  iibermassigen 
Quint,  der  grossen  Terz  und  Octave  und  der  Verdoppelung 
der  Terz. 

Cap.  6.  Vom  Sext-Quarten-Accorde. 

Cap.  7.  Vom  Terz-Quarten-Aecorde  (in  2  Ab- 
schnitten)?  und  zwar  von  den  Intervallen,  bei  denen  er 
vorkommtj  und  von  der  nothwendigen  Vorbereitung  ?  so 
wie  von  der  Art  und  Weise ,  bei  der  Anwendung  Fehler 
zu  vermeiden. 

Cap.  8.    Vom  Sext-Quinten-Accorde. 

Oap.  9.  Vom  Secunden-Accorde,  dessen  Signatu- 
ren7  den  dabei  vorkommenden  Intei*vallen ,  dem  Finden 
und  Verstirken  desselben  mit  versehiedenen  Beispielen. 

Cap.  10.    Von  dem  Secund-Quarten-Accorde, 


—    100    — 

Cap.  11.  Von  dem  Secund-Quint-Quarten- 
Accorde. 

Cap.  12.   Von  dem  Secund-Terzen-Accorde. 

Cap.  13.  Von  dem  Septimen-Accorde,  dessen 
dreifacher  Zusammensetzung,  den  Intervallen,  die  dabei 
vorkommen  und  dazu  klingen,  wobei  mehrere  Exempel 
mit  verscHedener  Modulation  gegelben  werden. 

Cap.  14.  Vom  Sext-Septimen-Accorde,  dessen 
Verschiedenheit  und  den  dabei  vorkommenden  Intervallen. 

Cap.  15.  Vorn  Quart-Septimen-Accorde,  der  Art 
des  Gebrauchs  und  dem  Vorkommen  desselben. 

Cap.  16.  Vom  Accorde  der  grossen  Septiine, 
seiner  Signatur,  dem  Vorkommen  und  der  Verwendung  der 
Quinte  bei  diesem  Aecorde. 

Cap.  17.  Vom  Nonen-Accorde,  dessen  Signatur 
wad.  Intervallen,  der  Vorbereitung,  Aufiosung  und  Zu- 
saramenstimmung  mit  dem  Secund-Terzen-Accorde. 

Cap.  18.  Vom  Sext-Nonen-Accord,  dessen  Be- 
standtheilen?  Signatur  und  Vorkommen. 

Cap.  19.    Vom  Quart-Nonen-Accorde. 

Cap.  20.    Vom  Septimen-Nonen-Accorde. 

Cap.  21.     Vom  Quint-Quarten-Accorde. 

Cap.  22.  Vom  Einklange;  der  Art  seiner  Ver- 
wendung und  des  Accompagnements  nebst  verschiedenen 
Fallen  des  Vorkommens. 

Cap.  23.  Von  der  einstimmigen  Begleitung 
mit  der  linken  Hand  allein,  insbesondere  der  Art  der 
Aawerrdung. 

Cap.  24.  Vom  Orgelpunkt,  Begriff  und  Art  der 
Anwendung,  dem  drei-  und  mehrstimrnigen  Satze  desselben 
und  den  Grunden,  weshalb  er  nicht  beziffert  werden  kann. 

Cap.  25.  Von  den  Vorschlagen,  deren  Wesen 
und  Anwendung,  dem  Aufhalten  der  Harmonien  durch  sie? 
der  Signatur7  den  drei  Gattungen  von  Secunden  als  Vor- 
schlagen  zum  Septimen-  und  Secunden- Accord,  zum  Sexten- 
Accord?  zum  Dreiklang;  zum  Sext-Quinten- Accord,  zum 


-  ioi  - 

Accord  der  grossen  Septiine,  zum  Sept-Quarten- Accord, 
zuni  Terzen-  und  zum  Nonen- Accord.  Hier  werden  ferner 
die  Regeln  fur  die  Vorschlage  beim  Accompagnement  des 
Solo  angegeben  imd  die  kurzen  und  unveranderlichen  Vor- 
schlage besprochen. 

Gap.  26.  Von  den  ruckenden  Noten,  deren  Be- 
griff;  den  langsamen  und  geschwinden  Riickungen  und 
deren  Begleitung. 

Cap.  27.  Voni  punktirten  Anschlage,  dessen  We- 
sen  und  Vorkommen.  Eintreten  der  Harmonie.  *  Beispiele. 

Cap.  28.     Vom  punktirten  Schleifer. 

Cap.  29.  Vom  Vortrage,  dessen  Anwendung  und 
Nothwendigkeit  beim  Accoinpagnementj  zumal  beim  Solo? 
den  Schwierigkeiten  desselben,  der  Nothwendigkeit  der  Ver- 
standigung  mit  dem  Musiker,  der  die  Hauptstimme  ftilirt;  und 
der  Behandlung  der  Instrumente;  insbesondere  des  Fliigels. 
Hier  werden  noch  einmal  die  Vorztige  des  Clavichords 
und  des  Fortepiano  vor  jenem  entwickelt  und  die  Regeln 
wegen  des  Forte  und  Piano  fur  den  Fliigel  mit  zwei  Tasta- 
turen  und  fur  die  Orgel  angegeben.  Bach  bespricht  den 
Unterschied  des  Forte  beim  Tutti  von  dem  beim  Solo  und 
giebt  specielle  Vorschriften  fiir  besondere  Falle,  indem  er 
schliesslich  die  Verwerflichkeit  des  Mitspielens  der  Gesangs- 
stimme  hervorhebt. 

Cap.  30.  Von  den  Schluss-Cadenzen,  der  Art  des 
Accompagnements  bei  mehr  als  zweistimmigen  Stiicken, 
nach  einer  verzierten  Cadenz  oder  nach  dem  Triller;  im 
Andantino  und  Allegretto,  im  Triller?  bei  halben  Cadenzen? 
bei  dem  Uebergange  aus  einer  Tonart  in  die  andere. 

Cap.  31.    Von  den  Fermaten. 

Cap.  32.  Von  gewissen  Zierlichkeiten  des  Ac- 
compagnements?  zumal  von  der  Nothwendigkeit?  zu  wis- 
sen?  wo  und  wann  dergleichen  angebracht  werden  diirfen, 
von  der  Discretion  in  der  Begleitung?  den  gleichen  Fort- 
schreitungen  in  Terzen  mit  den  Grundnoten?  der  Ver- 
mischting  der  Terzen  mit  Sexten?  von  gewissen  Sprungeii 


—    102    — 

mit  der  Harmonie,   dem  getheilten  Accompagnernent  und 
der  Ausfiillung  langsamer  Noten. 

Cap.  33.     Von  der  Nachahmung. 

Cap.  34.  Von  einigen  Vorsichten  bei  der  Be- 
gleitung?  behandelt  gewisse  Hilfsmittel  zum  Vermeiden 
von  Fehlern?  Hlirten  ocler  Unbequemlichkeiten  in  der 
Spielart. 

Cap.  35.  Von  der  Nothwendigkeit  der  Bezif- 
feruiig;  worin  bewiesen  wird?  dass  eine  Begleitung  ohne 
Ziffern  nur  schlecht  ausfallen  ko'nne. 

Cap.  36.  Von  den  durchgehenden  Noten,  weist 
die  Nothwendigkeit  ihrer  Andeutung  und  die  Regeln  fur 
dieselben  nach.  Ihr  Vorkommen,  Abfertigung  vieler  in 
einem  Tone  bleibender  und  durchgehender  Gruudnoten  im 
langsamen  Tempo,  Largo,  Larglietto,  Andante,  iin  Siciliano, 
Allegro  assai  und  prestissimo  wird  besprochen. 

Cap.  37.  Von  dem  Vorschlagen  init  der  rechten 
Hand. 

Cap.  38.  Vom  Recitativ  und  der  Nothwendigkeit 
grosser  Aufmerksamkeit  im  Aceoinpagnement,  dem  Ent- 
halten  des  Harpeggirens  bei  schneller  Declamation ,  der 
Starke  des  Anschlagens?  der  Begleitung  auf  der  Orgel, 
im  Theater  und  bei  Unsicherheit  der  Sanger. 

Cap.  39.     Von  den  Wechselnoten. 

Cap,  40.  Vom  Basstherna,  Begriff  und  Bedingungen 
eines  guten  Bassthemas,  sowie  von  den  Versehen,  welche 
bei  der  Einrichtung  vorkommen,  endlich  der  Begleitung 
desselben. 

Cap.  41.  Von  der  freien  Phantasie?  dem  Begriff  und  den 
Bedingungen  derselben;  den  dafurgeeignetstenlnstrumenten? 
der  leichtesten  Art  fur  kurze  Ausdehnnng,  den  Ausweichungen 
in  andere  Tonarten,  der  Benutzung  der  Figuren  und  aller 
Arten  des  guten  Vortrags,  der  Brechung  der  Accorde, 
den  NacLahmungen  und  Gegenbewegungen  in  verschiedenen 
Stimmen,  endlich  vom  Schlusse  im  Orgelpunkt. 

Es  hat  dem  Verfasser  nothwendig  geschienen,  diesen 


—    103    — 

Abriss  aus  dem  Inhalt  des  so  umfangreichen  und  bedeu- 
tenden  Werkes  mitzutheilen ,  damit  man  dadurch  eine 
wenn  auch  nur  oberflachliche  Anschauung  von  der  grfind- 
liclien  Ausfuhrlichkeit  erhalte?  mit  welcher  Em.  Bach  sei- 
nen  Gegenstand  behandelt  hat. 

Bezieht  sich  derselbe  zunachst  auch  nur  auf  das  Ac- 
coinpagnement  nach  dem  bezifferten  Bass?  und  -wiirde  er 
jetzt,  wo  diese  Art  die  Musik  zu  setzen?  nieht  mehr  in  Ge- 
brauch  ist;  nur  noch  ausnahins-weise  anwendbar  sein?  so 
sind  doch  die  Grundsatze  und  Regeln,  die  hier  zuin  ersten 
Male  in  der  Form  praktischer  Lehrsatze  festgestelit  wer- 
den,  noch  heut  dieselben?  die  sie  vor  100  Jahren  waren? 
und  werden  kaum  spaterhin  deutlicher  und  in  innigerem 
Zusammenhange  mit  der  ausubenden  Kunst  dargestellt 
worden  sein. 

Freilich  konnte  das  t-'ogenannte  feine  Accompagne- 
ment  von  Niemandeni  besser  beleuchtet,  in  alien  seinen 
Theilen  grundlicher  und  yornehmer  erfasst  werden ,  als 
von  Carl  Philipp  Emanuel  Bach,  der  neben  seiner 
theoretischeii  wie  praktisehen  Ausbildung  in  dem  Musik- 
salon  F r  i  e  d  r  i ch '  s  d  e s  G r  o  s  s  e n  20  Jahre  hindurch  die  voll- 
komnienste  Gelegenheit  gefunden  batte,  Voi*trag?  ]Sfuancen? 
Feinheit  der  Auffassung  und  schnelltreffende  Combinationen 
praktisch  zu  liben. 

Auch  hier  ist  es  die  Schule  Seb,  Bach's,  die  sich 
in  der  griindlichen  Kennmiss  und  Verwendungsbefahigung 
fur  die  Grund&atze  der  Harmonie  kund  giebt,  Mit  Er- 
staunen  erkennt  man  aus  dies  em  Werke?  \relche  ungeheu- 
ren  Anspruche  jene  Zeit  an  die  Cembalisten?  an  ihre  Auf- 
fassung7  ihre  Fertigkeit  und  Sicherheit  in  der  Anwendung 
der  Lehren  vom  Generalbass  und  an  ihre  kunstlerische 
Ueberlegenheit  tiber  alle  musikalischen  Verwickelungen7 
Schwierigkeiten  und  Formen  stellte.  Wie  W^enige  mochten 
sich  heut  wohl  unterstehen,  vom  Blatte  weg  aus  dem  blossen 
bezifferten  Bass  eine  Begleitung  fttr  Musikstiicke  zu  im- 
provisiren,  in  denen  sich  die  sehwierigsten  Probleme 


—    104    — 

des  Satzes  dargestellt  finden,  indem  sie  nicht  nur  der  Com- 
position folgen,  diese  sttitzen  und  verschonen,  sondern  da- 
bei  auch  den  Anspruch  auf  eigne  kiinstlerische  Bedeutung 
keineswegs  bei  Seite  setzen  sollen?  Eine  iibergrosse  Menge 
von  Musikstiicken  aus  dein  vorigen  Jahrhundert  erscheint 
leer,  trocken;  kahl;  well  die  dazu  nothwendige  ausfullende 
Begleitung  fehlt  und  jene  spiel ende  Leichtigkeit,  mit  der 
sie  dainals  hingestellt  werden  konnte,  verloren  gegangen 
ist.  Dies  Buch  lehrt  tins,  wie  die  alten  Partituren  gelesen 
und  gespielt  werden  miissen. 

Bei  aller  Trockenheit  des  Details,  bei  aller  Muhsam- 
keit?  welche  die  Systematisirung  und  Durcharbeitung  dieser 
ganzen  Materie  erfordert  hat,  entgeht  dem  Leser  des 
Werks  doch  nirgends,  wie  sehr  classelbe  von  wahrer  Liebe 
zur  Kunst  getragen  war,  und  welche  Ftille  von  Wissen 
und  Erfalirung  darin  niedergelegt  ist.  Dabei  ist  die  Dar- 
stellung  von  eirier  Klarheit,  einer  uberzeugenden  Deutlich- 
keit,  welche  sie  ausserst  vortheilhaft  vor  dem  unklaren 
Schwulst  ahnlicher  Arbeiten  der  spateren  Zeit  auszeichnet. 

Neben  dieser  Schrift  haben  Kirnberger  und  Kittel, 
jener  durch  seine  ,,Kunst  des  reinen  Satzes",  dieser 
durch  den  ,,Angehenden  Organisten",  die  ubrigen 
Materien  der  Schule  ihres  grossen  Lehrers  der  Nachwelt 
iiberliefert.  Durch  diese  Werke  ist  Sebastian  Bach's 
ganze  Lehrmethode  unserer  Zeit  erhalten  und  klar  gelegt. 
Wir  ersehen  daraus,  dass  tier  die  Grundlagen  alles  musi- 
kalischen  Wissens  nachgewiesen  sind,  dass  die  nachfolgende 
grosse  Musik-Epoche  nur  die  kimstlerischen  Consequenzen 
aus  ihnen  ziehen  und  sie  auf  neue  Form  en,  veranderte 
Ideenkreise  und  erweiterte  Mittel  der  Darstellung  an- 
wenden  konnte. 

Quautz,  Em.  Bach,  Kirnberger  und  mit  ihnen 
Majrpurg  und  Sulzer  haben  das  damalige  Berlin  zum 
Haupt-  und  Vorort  ftir  die  Theorie  der  Musik  erhoben. 
Freilich  machten  sie,  wie  Reichardt  sich  treffend  aus- 
di*uckt,  den  harmonischen  gelehrten  Theil  der  Musik  (eine 


—    105    — 

Folge  der  Uebertreibung  der  Principien  aus  der  Bach'schen 
Schule)  fast  zur  Hauptsache  in  der  Knnst  und  ,,bearbeiteten 
diesen  dann  mit  einer  uberfeinen,  haarscharfen  Kritik,  auf 
welche  die  Speculation  nur  durch  das  Auge  kommen 
konnte"1).  Aber  alle  ihre  theoretischen  Nachfolger  haben 
sich  auf  sie  gesttitzt.  Und  wenn  sich  auch  Marpurg  und 
Kirnberger,  eben  um  ihrer  Subtilitaten  willen,  mit  Bitter- 
keiten  jeder  Art  verfolgten,  so  sind  ihre  und  ihrer  Zeit- 
genossen  Lehren  doch  fur  alle  Folgezeit  massgebend  ge- 
blieben2). 

Von  grossem  kunstgeschichtlichen  Interesse  ist  ein  be- 
reits  anderweit  veroffentlichter  Brief,  den  Em.  Bach  zwan- 
zig  Jahre  spater  am  10.  April  1780  an  den  Buchhandler 
Schwickert  in  Leipzig  gerichtet  hats).  Es  ergiebt  sich 
daraus,  dass  damals  von  den  27  Jahre  friiher  in  seineua 
Selbstverlage  erschienenen  Auflagen  vom  ersten  Theile  des 
vorbesprochenen  Werkes  noch  260;  vom  zweiten  564  Exem- 
plare  vorhanden  waren?  fur  deren  Ueberlassung  er  180 
Louisd'or  forderte.  Bach  betont  hierbei  besonders  die  Zu- 
sammengehorigkeit  beider  Theile,  die  er  aufreeht  erhalten 
wissen  will.  Der  Brief  zeigt  aber  auch?  in  wie  gewandter 


1)  Allg.  Mus.-Zeit    1818.    No.  41. 

2)  Wie  weit  beide  Kiinstler  in  dieser  Beziebung  gingen,  zeigt  das 
deinBriefe  Bach's  vom  16,  Decbr.  1797  (AnhaDgll.)  anKirnberger 
angehangte  Lied,  welches  nur  gemacht  und  veroffentlicht  worden  war, 
um  R-eichardt,  der  eben  zum  Kapellmeister  an  dei;  Konigl.  Oper  er- 
nannt  worden  war,  zu  argern. 

Marpurg  hatte  einen  Canon  gemaeht: 
,,Kirn-  Kirn-  Kirn- 
berger  hat  kein  Gehirn!" 
Kirnberger  antwortete: 

,,Mar-  Mar-  Mar- 
Marpurg  ist  ein  Narr!" 

,,Unter  solchen  Streitereien",  sagt  Zelter  (in  seinen  Nachlass- 
Notizen),  „ hatte  Bach  schon  friiher  in  Berlin  eine  centrale  Stellung 
genommen.  Badurch  gewann  er  sich  das  Zutrauen  der  Partheien, 
und  in  diesem  heiteren  Sinn  ist  jenes  Epigrarnm  (KirnTberger^s  vom 
Genie)  ein  Meisterstiick  genannt." 

3)  Nohl,  Ktinstlerbriefe.    S.  68, 


—    106    — 

Form  er  derartige  Geschafte  zu  erledigen  wiisste.  Uebrigens 
war  der  von  iiim  erstrebte  Greldvortheil  ini  Vergleich  zu 
dem?  der  dem  neuen  Verleger  mit  3  zu  1  geboten  wurde? 
nicht  erheblich. 

So  erschien  im  Jahre  1780  bei  Schwickert  die  dritte 
Auflage  des  ersten  Bandes,  dem  alsbald  die  zweite  unver- 
anderte  Auflage  des  zweiten  Theils  folgte.      Dem    ersten 
Bande  waren  die  Sonatine  nuove  neu  beigefiigt  worden. 
Wichtiger  als  der  aussere  Erfolg  war  der  Nutzen,  den 
diese  verdienstliche  Arbeit    in   der  Kiinstlerwelt  gestiftet 
hat.     Wer  wurde  sich  nach  Verlauf  einer  so  langen  Zeit 
unterfangen  konnen?  hiefur  einen  naheren  Nachweis  fuhren 
zu  wollen,    wenn  nicht   die  Kunstgeschichte  das  Zeugniss 
J.  Haydn's  aufbewahrt  hatte?  der  in  seiner  Jugend  schon 
an  Philipp  Emanuel  Bach's  Sonaten  seine  Fahigkeiten 
geiibt^  seine  Erfindungskraft  geregelt  hatte.    Dem  Mannes- 
alter   naher   geruckt,    wollte  er   durch    das  Studium    der 
Theorie  Ordnung  in  seine  Ideen  und  deren  Durcharbeitung 
bringen  und  entschloss  sich?    nach  einem  guten  Buche  zu 
suchen.    wAber  welches?    das  wusste  er  nicht.    Er  liess  es 
auf  das  Ungefahr  ankommen^  mit  dem  Vorsatze,  zuyor  in 
dem  Buche  ein  wenig  herumzublattern    und  es   zu  beur- 
theilen,  ehe  er  vielleicht  die  Einkiinfte  eines  ganzen  Monats 
vergeblich   dafur   ausgabe.     Haydn  wagte  es;    in    einen 
Buchladen  einzutreten    und   ein  gutes   theoretisches   Buch 
zu  fordern.     Der  Buchhandler   nannte    C.  P.  E.  Bach's 
Schriffcen    als    die  neuesten    und   besten.      Haydn    wollte 
sehen,  sich  uberzeugen,  fing  an  zu  lesen;  begriff,  fand  was 
er  suchte?  bezahlte  das  Buch  und  trug  es  ganz  zufrieden 
fort." 

??In  der  Folge  der  Zeit  schaffte  er  sich  die  spateren 
Bach'schen  Schriften  (den  2tenTheil)  an.  Sobald  Haydn's 
musikalische  Producte  durch  den  Stich  bekannt  wurden, 
bemerkte  Bach  mit  Vergnugen;  dass  er  ihn  unter  seine 
Sehuler  zu  zahlen  habe.  Nachher  machte  er  ihm  selbst 
das  schmeichelhafte  Compliment,  er  sei  der  Einzige,  der 


—    107    — 

seine  Schriften  ganz  verstanden  babe  und  Gebraueh  davon 
zu  machen  wisse.  Haydn  hatte  bei  dem  Kauf  des  Werks 
viel  auf  den  Zufall  ankommen  lassen.  Das  Gliick  war  ihra 
besonders  hold.  Es  spielte  Ihm  unter  so  vielen  den  hochsten 
Treffer  in  die  Hande." 

7,H&tte  ihm",  setzt  der  Biograph  hiuzu,  der  diese  Mit- 
theilung  nach  Haydn's  eigenen  Angaben  auf  tins  gebracht 
hat1),  ;?der  Zufall  Kirnberger's  Schriften  statt  derjemgen 
Bach's  in  die  Hande  gespielt,  vielleicht  ware  sein  Bildungs- 
Gang  ein  anderer  geworden."  Welche  grossere  Genug- 
thuung;  welch'  hoherer  Lohn  konnte  seiner  miihsamen 
und  schwierigen  Arbeit  zuTheil  werden2)?  Ware  ernieht 
auch  sonst  ein  Mann  gewesen?  dessen  schopferischem  Geiste? 
dessen  liebenswlirdiger  Phantasie;  dessen  reicher  Erfindungs- 
gabe  Bewunderung  und  Verehrung  im  reichstfo  Masse  ge- 
biihrten,  dieser  eine  Erfolg-  von  so  ausserordentlicher  Be- 
deutung  uud  Tragweite  wiirde  hingereicht  haben,  sein 


A)  Dies,  Biographische  Nachrichten  von  J.  Haydn.    S.  37. 

Uebrigens  studirte  Haydn  anch  noch  Matthesons  vollkommenen 
Kapellmeister  und  das  Lehrbuch  von  Fux,  Kirnberger  fand  er 
zu  Jingstlich,  ,,zu  viele  unendlich  kleine  Fesseln  fiir  einen  freien  Geist*4 

2)  Auch  Eeichardt,  in  dessen  Jugendzeit  das  Erscheinen  dieses 
Werkes  fiel,  darf  als  einer  derjenigen  genannt  werden,  die  ihm  einen 
grossen  Theil  ihres  theoretischen  und  praktischen  Wissens  verdankt 
haben. 

J.  A.  P.  Schulz  sagt  in  seiner  Selbstbiographie  (von  Ledebur, 
Berliner  Tonkiinstl.-Lex.  S.  529):  ,,SehmugeI  (sein  Lehrer  1761) 
hatte  eine  artige  Sammlung  Musikalien  von  den  neuesten  Berliner 
Gomponisten,  die  damals  in  Deutschland  fur  die  Muster  der  Kunst 
galten.  Er  hatte  auch  raehrere  zu  der  Zeit  in  Berlin  geschriebene 
Biicher  (darunter  offenbar Bach's  Yersucb  und  Kirnberger'sKunst 
des  reinen  Satzes)  iiber  die  Musik  und  was  dazu  gehort.  Icb  ver- 
schlang  das  Alles  mit  der  grossten  Begieide.  Bach  und  Kirnberger 
wurden  meine  Helden  fiir  die  praktische,  so  wie  Marpurg  flir  die 
theoretische  Musik." 

Die  Leipziger  Allg.  Mus.  Zeit  Jahrgang  13.  S.  667,  in  dem  sie 
Haydn's  Worte  bestatigt:  ,,AlIes  was  ich  weiss,  habe  ich  von 
Emanuel  Bach,a  fiigt  hinzu:  ,,Ebens<>  dachten  die  iibrigen  jiingeren 
KUnstler  der  Zeit,  von  denen  Gluek,  der  Harfenist  Krumholz,  der 
Flotist  Dulon7  Glementi  und  Pleyel  zu  nennen  sind." 


—    108    — 

Leben;  Wirken  und  Schaffen  vor  der  Nachwelt  zu  recht- 
fertigen. 

Bei  seinen  Lebzeiten  wurde  mit  diesem  seinem  Werke 
vielfacher  Missbrauch.  getrieben.  Seln  Erscheinen  gab  das 
Signal  zu  einer  wahren  Sundflutli  von  Lehr-  und  Unter- 
richtsbucliern  fiir  das  Clavier,  welche  den  Nutzen,  den 
Bach  durch.  seine  Arbeit  hatte  stiften  wollen,  in  Frage 
stellten.  Seichtigkeit,  oberflachliches  Wesen,  Nachahmungs- 
trieb  thaten  das  ihrige  dabei.  Dies  veranlasste  ihn,  nach- 
dem  er  in  Hamburg  festen  Fuss  gefasst  hatte,  zu  folgender 
offentlichen  Kundgebung l] : 

,,Die  Yeranderung,  welche  seit  der  Herausgabe  meiner  beiden 
Versucbe  Im  Eeiche  der  Clavierspieler  vorgegangen  1st,  habe  ich  mit 
dem  grossten  Vergnrtgen  wahrgenommen.  Ich  kann  ohne  Ruhmredig- 
keit  behaupten,   class  seitdem  richtiger  gelehrt  und  besser  gespielt 
wird.    Allein  eben  so  sehr  bedauere  ich,   dass  meine  so  gute  Ver- 
anlassung  unschuldiger  Weise  Gelegenheit  geben  muss,  in  die  alte 
und  eine  noch  argere  Barbarei  zu  fallen.    Der  Stolz  und  Eigennutz 
miissiger  Kopfe  begniiget  sich  jetzt  nicht  mehr  damit7   dass  sie  ihr 
eigenes  Machwerk  vorziiglich  spielen  und  ihren  Schiilern  aufdringen; 
nein!  sie  miissen  auch  durch  die  Atitorschaft  sich  unsterblich  machen. 
Dadurch  sind  seit  meinen  Versuchen  so  viele  Lehr-  und  Schulbiicher 
liber^s  Clavier  herausgekommen,  dass  man  das  Ende  davon  noch  nicht 
absehen  kann.    Unter  alien  diesen  sind  diejenigen  meiner  Ehre  am 
nachtheiligsten,  worin  ausgerissene  Stellen  aus  meinen  Yersuchen  bald 
unter  meinen  Namen,  bald  ohne  denselben  eingenickt  sind.    Dass  sie 
ausgeschrieben  haben,  stehet  ihnen  frei,  und  ich  wiirde  nichts  dagegen 
haben:  dass  sie  aber  das  Ausgeschriebene  aus  seinem  nothigen  Zu- 
sammenhange  herausgenommen,   unrichtig  erklaii   und  angewendet 
haben,  dies  1st  so  schadlich  wie  moglich.    Wer  kennet  nicht  den 
Schaden,  den  eine  unrichtige  Fingersetzung,  unrechte  Erklarung  und 
Anwendung  der  Manieren,  und  eine  ganze  falsche  Harmonie  anrichten 
kann?    Ich  kann  ohne  Passion  und  mit  Wahrheit  sagen,   dass  alle 
Lehrbiicher  iiber's  Clavier,  welche  ieh  seit  meinen  Versuchen  habe 
entstehen  sehen,  und  mir  bekannt  sind  (ich  glaube  aber,  dass  ich  sie 
alle  kenne),  voller  Fehler  stecken,  und  warne  also  die  Liebhaber 
unsers  Instruments  davor.    Was  ich  jetzt  sage,   kann  ich,   wenn  es 
verlanget  wird,  beweisen.    Will  jemand  behaupten,  meine  Versuche 
waren  zu  weitlauftig,  so  hat  er  nichts  gesagt,  und  verrath  zugleich 
eine  grosse  Unwissenheit.  Ich  theile  alle  Clavierspieler  in  zwo  Klassen: 
in  die  erste  gehoren  diejenigen,  deren  Hauptwerk  die  Musik  ist,  und 
alle  Liebhaber,  welche-  griindlich  unterrichtet  sein  wollen.    Fur  die 

2)  Hamburger  unpartheiischer  Correspondent.    1773.    Nro.  7. 


—    109   — 

erste  Klasse  gehoren  meine  Versuche,  und  kein  Paragraph  1st  lur  sie 
iiberfliissig.  Aus  den  Beitragen  zu  meinen  Lehrbiiehern,  welche  kiinftig 
erscheinen  werden,  wird  man  sehen,  dass  ich  nichts  Ueberfliissiges 
sondern  noch  nieht  alles  gesagt  habe.  Ein  Lehnneister  muss  alles 
wissen,  was  in  meinen  Versuchen  stehet,  und  so  viele  Gescbicklich- 
keit  haben,  diejenige  Art  und  Ordnung  des  Vortrags  zu  wahlen, 
welche  der  Person,  die  er  unterricbtet,  am  zutragliehsten  1st.  Die 
Feinigkeiten  bleiben  zuletzt,  so  wie  ich  in  der  einen  Vorrede  ange- 
fiihrt  habe.  Ohne  Geduld  und  Zeit  lasst  sich  nichts  Griindliches 
lernen.  Das  Clavierspiel  ist  keine  sehr  compendiose  Sache,  und  darf 
es  auch  nicht  sein,  wenn  man  griindlich  verfahren  will.  Was  soil 
ich  aber  von  denjenigen  unrichtigen  Lehrbiichern  sagen,  die  bei  ihrer 
vorgegebenen  Kiirze  beinahe  eben  so  weitlaufig  sind,  als  die  meinigen? 
Fur  die  Liebhaber  der  zweiten  Klasse  gehort  eigentlich,  und  wenn 
es  der  Lehrmeister  iiber  sein  Gewissen  bringen  kann,  gar  kein  Lehr- 
buch,  sondern  man  verfahrt  so,  wie  ich  vor  diesem  zuweilen,  zwar 
sehr  ungerne,  doch  aus  Noth;  namlich,  ich  schrieb  vor  jeder  Stunde 
die  Lection,  auf ,  die  ich  geben  wollte,  und  beschaftigte  mich  bloss 
mit  den  nothigsten  Grundregeln.  Die  Feinigkeiten  und  Sitze  der 
Manieren,  die  Feinigkeiten  im  Accompagnement,  das  getheilte  Accom- 
pagnement  u.  s.  w.  musste  wegbleiben7  man  verlangte  es  auch  nicht; 
bei  allem  dem  durfte  der  S  chiller  keinen  einzigen  falschen  Griff  thun, 
dergleichen  viele  in  manchem  Lehrbuche  zur  Annehmung  vorgeschrieben 
sind.  Wenn  der  Scholar  in  seiner  Art  f  ertig  war,  so  fand  sich's,  dass  der 
ganze  aufgeschriebene  Unterricht,  ohne  Exempel  und  dem  musikalischen 
A.  B.  C,7  welches  jeder  Dorfschulmeister  eben  so  gut  lehren  kann, 
wie  der  grosste  Kiinstler,  und  welches  also  zum  Voraus  gesetzt  wird, 
ungefahr  einen  halben  Bogen  Papier  vollfullete.  Man  siehet  also 
deutlich,  dass  eine  Verkiirzung  eines  Lehrbuches  fiir's  Clavier  zur 
griindlichen  Erlernung  desselben  allezeit  eher  schaden  als  nutzen  kann, 
wenn  diese  Yerkiirzung  auch  sonst  keine  Unrichtigkeiten  hatte.  Alle 
die  Herren  Compendienschreiber,  die  ich  kenne,  baben  in  gewissem 
Verstande  zu  wenig,  und  in  gewissem  Verstande  zu  viel,  und  was 
das  Schlimmste  ist,  in  aller  Eelation  ein  Haufen  Unrichtiges  gesagt 
Was  fur  erbarmliches  Zeug  trifffc  man  nicht  bei  einigen  an!  Die  Ur- 
saehe  davon  ist  diese:  Naeh  den  Biichern  zu  urtheilen,  haben  ihre 
Verfasser  nie  die  Composition  gelernet,  welche  sie  doch  schleehter- 
dings  wissen  miissen,  um  vom  Accompagnement  richtig  schreiben  zu 
konnen.  Die  Lehre  hievon  enthalt  nicht  allem  die  Grundregeln  der 
Composition,  sgndern  sie  hat  auch  einen  starken  Einfluss  in  die  tiefere 
Einsicht  derselben.  Mit  einem  Worte:  man  kann  zu  einem  Jjehrbueh 
vom  Clavierspielen,  und  besonders  vom  Accompagnement,  kein  Ver- 
trauen  fassen,  wenn  der  Autor  davon  sich  nicht  vorher  durch  richtige 
Ausarbeitungen  bekannt  und  wiirdig  gemacht  hat,  ihn  fiir  einen 
griindlichen  Componisten  zu  halten. 

Hamburg,  den  11.  Januar  1773.  C.  P.  E,  Bachtu 


-   110   - 

Die  dem  grossen  Meister  folgende  Zeit  muss  jenen 
Lehrbuchfabrikanten  Dank  wissen,  dass  sie  ihra  durch 
ihre  seichten,  seitdem  vergessenen  Arbeiten  Veranlassung 
gegeben  haben?  mit  dieser  kernigen  Aeusserung  hervor- 
zutreten1). 

Der  Verfasser  mochte  diesen  Abschnitt  ungern  schliessen? 
ohne  auf  ein  Curiosum  zuriickzukommen,  das  niit  eineni 
Theile  des  so  eben  besprochenen  Werks,  der  oben  er- 
wahnten  0-inoll-Fantasie;  in  naher  Verbindung  steht. 

Wie  man  Gfedichte  in  Musik  setzt7  so  ist  diese  Musik 
in  Worte  ubersetzt  worden,  und  Gerstenberg  war  es, 
der  sich  dieser  sonderbaren  Arbeit  unterzogen  hat2).  Sie 
wurde  in  der  Flora3)  v eroffentlicht 4)  und  enthalt  nicht 

1)  Erne  sehr  ausfiihrliche  Analyse  des  oben  besprochenen  Werks 
erschien  1763  in  der  Bibliothek  der  schbnen  Wissenschaften  und  freien 
Kiinste;  (Leipzig)  10  Bd.  1  Stck.  S.  49-65  und  2  Stck.  S.  270—292. 
In  n  en  ester  Zeit  (1853)  hat  dieses  ebenso  eigenthiimliche  als  merk- 
wiirdige  JBuch  in  neuer  Bearbeitung  eine  vierte  Auflage  erlebt. 

2)  EL  W.  T.  Gerstenberg,  geb.  1737  in  Schleswig,  starb  erst 
1823*    Er  war  zuerst  Officier,  dann  Consul  zu  Liibeck  in  Danischem 
Dienste7  und  lebte  von  1785  ab  in  Altona.  Er  hat  zahlreiche  Gedichte 
und  Dramen,  daranter  das  sehr  merkwiirdige  Trauerspiel  Ugolino 
ge&chrieben  und  war  besonders  als  Kritiker  yon  heivorragender  Be- 
gabung. 

3)  Herausgegeben  von  C.  If.  Cramer.  (Kiel  und  Hamburg  1787.) 

4)  Man  liest  dariiber  in  der  Vorrede  der  Flora: 

,,Diese  hdchst  originale  musikalische  Idee  bedarf  vielleicht  rnehr 
als  irgend  ein  Stiiek  der  Flora  eines  Commentars.  Sie,  deren  ich 
schon  im  musikalisehen  Magazin  (Jahrg.  I.  Th.  II.  S.  1253)  erwahnt 
habe,  kommt  wenigstens  einem  unserer  grossten  Tonkiinstler  —  ich 
nenne  ihn  —  Schulzen,  als  ein  hochst  merkwiirdiges  Meteor  vor; 
und  so  wagte  ich's,  ihren  Urheber,  der  vielleicht  befiirchtet,  dass  nnr 
wenige  sie  verdauen  diirften,  um  ihre  Bekanntmachung  zu  bitten. 
Er  gestand  sie  mir  halb  ungern  zu.  Ihre  Genesis  ist  folgende: 

Es  war  gestritten  worden,  ob  auch  blosse  Instrumental-Musik,  bei 
der  der  Kiinstler  nur  dunkle,  leidensehaftliche  Begriife  in  seiner  Seele 
liegen  gehabt,  einer  Analyse  in  helleren  bestimmteren  Ziigen  fahig 
sein  sollte?  Gerstenberg^  und  auch  er  nur  der  einzige  Mann  dazu, 
versuchte  es  und  nahm  zu  der  Probe  grade  ein  Schwerstes,  was  sich 
nur  denken  lasst,  die  bekannte  Bach'sche  Clavier -Phantasie,  deren 
Yerfasser  sich's  wohl  nie  hatte  traumen  lassen,  dass  der  ungebundene 


—  ill  _- 

weniger  als  zwei  Versionen,  namlich  einmal  Worte  zn 
dem  Moment,  wo  Socrates  den  Giftbecher  trinkt,  und 
dann  eine  Philosophie  Hamlets  tiber  den  Selbstrnord. 
Gerstenberg  hat  mit  dieser  Curiositat  eine  erhohte  Pro- 
gramm-Musik  ohne  Nutzen  und  Zweck  geschaffen,  welche 


Flug  seiner  erhabenen  Einbildungskraffc  znm  Einsehlage  eines  poe- 
tischen  Gewebes  und  zur  Darstellung  der  Empfindungen  eines  Ge- 
sangstiicks  fahig  ware.  Aus  alien  den  nicht  einmal  in  Takte  und 
Rhythmen  zwangbaren  Schwingen  und  Spningen  dieses  dnrch  alle 
Gefilde  der  Modulation  einherziehenden  Wolken-Gebildes  hob  sein 
plastischer  Genius,  gleich  dem  Lesbi'schen  Tragelaph,  hier  einen 
Fuss,  dort  einen  Arm,  hier  eine  Nase  und  wieder  ein  Auge  heraus, 
und  setzte  Euch  so  diese  Gestalt  tiefer  Empfindung  zusammen,  die 
freilich  nicht  einem  jeden  gleich  anschaulich  sein  diirfte,  aber  den 
Weisen  belohnen  wird,  sie  zu  studiren. 

Und  nicht  genug  an  einer  Gestalt!  —  Aus  ganz  verschiedenartigen 
Phrasen  dieser  Phantasie  bildete  er  eine  doppelte  sogar,  und  knetete 
so  kiinstlich  am  widerstrebenden  Stoffe,  dass  er  die  zweifache  Situation, 
Hamlet,  der  iiber  den  Selbstmord  rasonnirt,  und  die  des  Socrates, 
der  im  Begriff  steht  den  Giftbecher  zu  trinken,  vor  dem  verwunderten 
Horer  auspunkttrte. 

.  .  .  Ich  glaube  fast,  dass  dieser  excentrische  Yersuch  zu  den 
wichtigsten  Keuerungen  gehort,  auf  die  je  ein  Kenner  verfallen  ist, 
und  dass  er  einem  denkenden  Kiinstler,  der  sich  nicht  immer  unter 
die  Sklaverei  des  Hergebrachten  schmiegt,  eine  Wiinschelruthe  sein 
mag,  manche  tiefliegende  Goldader  in  den  geheimen  Schachten  der 
Musik  zu  erspahen,  indem  er  durch  die  That  beweist,  was  fiir  ganz 
andere  Effecte  noch  aus  dieser  dithyrambischen  Verbindung  von  In- 
strumental- und  Yocal-Musik  resultiren  konnen,  als  bei  der  bisherigen, 
in  eigensinnigen  Formen  und  Ehythmen  eingezwangten  moglich  sind. 

Schulz,  der  zuerst  auch  hier  Licht  sahe  und  in  verschiedenen 
Gesangstiicken  die  Taktstriche  und  das  willkiirlich  angenommene 
Joch,  das  sie  mit  sich  fiihren,  abwarf,  ware  der  Mann,  sie  zu 


Man  sieht,  auch  das  Ende  des  18.  Jahrhunderts  hatte  seine  Zu- 
kunftstheorien.  Ist  es  nicht  grade  als  ob  man  hier  den  Lehren  eines 
Muslkers  der  neueren  Schule  lauschte,  die  in  dem  Zerbrechen  der 
Form,  dem  Abstreifen  der  als  lastiger  Zwang  verschrieenen  Eegelm, 
die  den  freien  Flug  kiihner  Seelen  hindern,  das  Weeen  der  Kunst 
suchen  naochten?  Und  doch  war  Cramer  ein  Mann  von  eminent 
klassiseher  TUchtung  und  sein  Zukunfts-Musiker  war  Philipp 
Bach! 


—    112    — 

die  subjective  Auffassung  fur  das  schone  Musikstiick  beengt 
und  stort.  Dabei  sind  die  Worte,  die  man,  je  nachdein 
man  sich  mehr  zu  Socrates  oder  Hamlet  hingezogen 
fuhlt?  im  deklamatorisclaen  Tenor  singen  soil,  ohne  jedes 
musikalische  Greprage  geblieben. 
Ob  Socrates  ausruft: 

Nein;  nein!  die  ernste  hohe  Grestalt, 
Die  nahe  Stunde  soil  euch  nicht  schrecken, 
Der  Verwesung  nahe  Stunde! 
Und  ich  kenne  Dich! 
Grenius,  Gestalt,  Geist;  etc,  etc. 

oder  ob  Hamlet,   nachdem  er  mit  dern  unvernaeidlichen 
Sein  oder  Niohtsein  begonnen  hat;  griibelt: 

0  nein;  o  nein!  erwiinschter  ware  dir;  Seele, 
In's  Nichtsein  hiniiber  zu  schlummern, 
In's  Licht  zum  Sein  zu  erwachen? 
Zur  Wonne  liinaufwM,rts  schauen? 
Die  Qnscliuld  sehen?  die  Dulderin^ 
Wie  sie  enger  in's  Leben  bliilit 
Der  Ewigkeit! 

Nirgends  ist  ein  lyrischer  Ton  darin  angeschlagen, 
Alles  ist  abgerissene  Ehapsodie  ohne  inneren  Zusammen- 
hang  mit  der  Musik;  zu  einer  Art  von  recitativischer  De- 
clamation aufgeputzt.  Dennoch  ist  es  von  grossem  Inter- 
esse  zu  sehen;  wie  anregend  Bach's  Clavier-Werke  auf 
seine  Zeitgenossen  gewirkt  haben,  mag  diese  Wirkung  im 
vorliegenden  Falle  auch  eine  verkehrte  gewesen  sein. 

Eine  andere  Arbeit  theoretiseher  Natur?  welche  wah- 
rend  Em.  Bach's  Berliner  Zeit  veroffentlicht  wurde?  ist 
von  geringerer  Bedeutung  und  nur  deshalb  der  Betrach- 
tuBg  werth?  weil  sie  zeigt,  wie  in  ilun  das  Blut  seines 
Vaters  noch  fortlebte,  der  bekanntlich  an  subtilen  contra- 
punktischon  Kunststiicken  eine  grosse  Freude  hatte. 

Es  ist  dies  ein  ?7Einfall3  einen  doppelten  Contra- 
punkt  in  der  Octave  von  sechs  Takten  zu  machen. 


—    113    — 

ohne  die  Regeln  davon  zu  wissen"1),  mit  dem  Motto 
des  Horaz:  wlnterdnm  Socrates  equitabat  arundine  longa". 
Die  iiberaus  gelehrte  und  sinnreiehe  Berechnung, 
welche  in  dieser  Arbeit  liegt,  hat  freilieh  einen  anderen 
Zweck  nicht,  als  eben  den?  gelehrt  zu  sein.  Die  Berech- 
nung  des  Contrapunkts  gescliieht  durcli  Annahine  je  zweier 
Reihen  einfacher  Zahlen  zwischen  1  bis  9.  Dieser  Zahlen 
diirfen  nicht  mehr  als  sects  sein.  Die  obere  Eeihe  ent- 
halt  die  Zahlen  der  Oberstimme  des  Contrapunkts,  die 
andere  die  Unterstiinine.  Das  Finden  der  Noten  gescliieht 
durct  eine  bestimnite  Art  des  Abzahlens.  Auf  diese  Weise 
sind  9  Contrapunkte  in  der  Octave  iiber  derselben  Grund- 
harmonie  entworfen.  So  entsteht  beispielsweise  der  aus  den 

3.  1.  5.  2.  7.  9.     ,      . 

846128      bcstimmte     doppelte    Contra- 


r/  _. 

-6anien 


punkt  in  der  Octave  wie  folgt: 


m 


i 

Der  Kunst  war  durch  diese  Spielereien  nicht  geholfen. 
Man  ersieht  aus  ihr  nur?  wie  sehr  das  contrapuuktische 
Wesen  der  alten  Schule  Unberufene  zur  Kunstlichkeit  ohne 
Inhalt  fiihren  konnte.  Em.  Bach  war;  wie  sein  Vater, 
ein  grosser  Liebhaber  von  solchen  Kunststuekchen.  Er 
und  Kirnberger  schickten  sich  gegenseitig  Rathsel- 
Canons  zu;  und  noch  in  spaterer  Zeit  wird  man  einer  Me- 


i)  Marpurg,  hiistor.-krit.  Beitra^e.    Bd.  ILL    B.  167.    No.  10* 

Bitter,  Emairael  und  Friedomajin  Baeh.  g 


—    114    — 

nuett  begegnen,  die  vor-  und  riickwarts  gespielt  werden 
konnte1).  Yon  Kirnberger  niochte  man  sich  soldier 
Dinge  wohl  versehen,  da  sein  ganzes  Wesen  meiir  deni 
formellen  Theile  der  Musik  zugeneigt  war2).  Bei  Bach  ei*- 
halten  dergleichen  Tendenzen  einen  gewissermassen  liebens- 
wiirdigen  Charakter.  In  ihnen  zeigte  sich  ein  Theil  der 
hmnoristischen  Seite  seines  Wesens,  den  er  gegen  seine 
stronger  denkenden  Knnstfreunde  wie  gegen  sich  selbst 
und  seinen  eignen  Ursprung  spielen  liess. 

Somit  dienen  dieselben  in  gewissem  Sinne  zur  Ergan- 
zung  der  sonst  so  sehr  fehlenden  Nachrichten  uber  sein 
ganzes  Wesen  und  sein  Leben;  deren  grosserer  Theil  aus 
seinen  uns  hinteiiassenen  Arbeiten  kunstlich  zusamrnen- 
gefugt  werden  niuss. 

C.   Orgel-  und  reine  Instrumental-Compositionen* 

Obgleich  es  bekannt  1st,  dass  Em.  Bach  sich  seiner 
Zeit  als  ein  Orgelspieler  ersten  Ranges  bewahrt  hat?  so  ist 
die  Zahl  der  yon  ihm  fur  dies  Haupt-  und  Lieblings- In- 
strument seines  Vaters  componirten  Stticke  ini  Ganzen 
doch  nur  unbedeutend.  Eigentliche  Orgel -Compositionen 
hat  er  erst  vom  Jahre  1755  ab  gesetzt  und  zwar: 
1755:  2  Allegri  fur  die  Orgel, 

3  Soli  fur  die  Orgel,    F-dur  %,    D-dur  4/4   und 
A-moU  %, 


1)  Siehe  welter  nnten  iiber  das  Vielerlei. 

2)  Kirnberger's  Charakter  ist  vielfach  ungiinstig  benrtheilt  wor- 
den.    Doch  sind  auch  gewichtige  Stimmen  zu  seinem  Gtmsten  auf- 
getreten.    Ueber  ihn   endgiiltig  zu  iirtheilen  ist  hier  nicht  der  Ort. 
Dass  vielfache  Sorgen  auf  ihm  lasteten,  sein  Geraiith  verbitterten  und 
reizten,  mag  weniger  bekannt  sein.    Vielleicht  tragt  es  zur  richtigen 
Wilrdigung  dieses  sonst  so  ausgezeichneten  Mannes  einiges  bei,  wenn 
im  Anhange  eine  Reihe  von  Briefen  veroffentliclit  wird,  deren  Origi- 
nalien  sich  in  deni  Archive  des  v.  Decker'schen  Verlags  zu  Berlin 
befinden,  und  die  liber  seine  personliche  Lage  einigen  Aufschluss 
geben. 


—     115     — 

Concert  fur  die  Orgel  oder  Clavier,  G-dur  4/4,  auch 
fur  die  Flute  gesetzt,  unter  den  Claviersachen 
mit  aufgenoinmen, 
1756:   Praludium  fiir  die  Orgel,    2  Claviere  und  Pedal, 

D-dur  4/4, 

1758:   Solo  fur  die  Orgel,  B-dur  44,  gedr.  von  Hafner, 
1759:   Concert  fur  die  Orgel  oder  das  Clavier  mit  Quar- 

tett  und  2  Eornern,  As-dur  4/4. 

Die  Zeit,  in  welcher  diese  Arbeiten  gefertigt  sind,  be- 
schrankt  sich  auf  einen  ausserordentlich  kurzen  Zeitraum. 
Muthinasslich  liatten  ihn  besondere  TJmstande  darauf  hin- 
gefiihrt. 

Bedeutender   war   seine  Thatigkeit   als   Instruinental- 
Coinponist.     Hier  findet  man  von  ihm: 
1738:   Soli  fiir  die  Flote,  B-dur  4/47  D-dur  %, 
1739:   Desgl.  G-dur  V4? 

1740:   2  Desgl.  A-moll  l%,  D-dur  % 
1741:   Simphonie  fur  Streich-Quartett,  G-dur  4/4? 
1745:   Trio  fiir  Flote  oder  Clavier  mit  Violine  uud  Bass, 

C-dur  4/4  (Potsdam), 
Solo  for  die  Flote,  C-dur  4/4? 
Solo  fur  die  Viola  da  Gamba,  C-dur  %? 
1746:  Solo  for  die  Viola  da  Gamba,  D-dur  %7 

Desgl.  far  die  Flote,  B-dur  3/8, 

1747:  Trio  fiir  Flote,  Violine  und  Bass,   G-dur  %  (Pots- 
dam), 

Desgl,  in  D-dur  %? 
2  Desgl.  fur  2  Violinen  und  Bass,   F-dur  %  und 

E-moll  2/4  (Potsdam), 
Solo  fur  die  Flote,  D-dur  %, 
Desgl.  ohne  Bass  (gedruckt), 
1748:   Trio   fiir  Flote,   Violine   und  Bass,    gedruckt   bei 

Schmidt  in  Niirnberg  (Potsdam), 
Duett  fiir  Flote  und  Violine,  gedruckt  im  Musik. 
Vielerlei. 


-   116   - 

1749:  Trio  fur  2  Floten  und  Bass  (Potsdam), 
auch  fiir  Flote  und  Clavier,  E-dur  %, 
Desgl.  far  2  Violinen  und  Bass  (Potsdam),  gedr. 

bei  Schmidt  in  Niirnberg, 
1751:   Clavier -Concert,  auch  fiir  Violoncell  und  Flote  ge- 

setzt,  JB-dur  4/4, 

1752:   Duett  fur  2  Violinen,  D-moll  %, 
1753:   Clavier -Concert  init  Quartett-Begleitung,  auch  fur 

Violine  und  Flote,  A-dur  4/4  (Potsdam), 
1754:   Trii  fur  2  Violinen  und  Bass,   auch  fiir  Flofce  und 
Clavier,  desgl.  fur  Flote,  Violine  und  Bass,  Gr-dur 
%  daselbst, 

Sinfonie  fur  2  Violinen  und  Bass,  A -moll  4/4, 
Desgl.,  gedr.  im  Musik.  Mancheiiei, 
Trio  fiir  Clavier  und  Violine,  D-dur  %, 
1755:  Trio  fiir  Bass,  Elote,   Viola  und  Bass,    auch  fur 

2  Violinen  und  Bass,  F-dur  %, 
Desgl.  fur  Flote,  Violine  und  Bass,  auch  fiir  Flote 

und  Clavier,  Gr-dur  %, 

Sinfonie  fur  3  Trompeten,  Pauken,  2  Hornern, 
2  Oboen,  2  Floten,  D-dur  4/4  (natiirlich  auch 
mit  Streich- Quart ett), 

Desgl.  mit  Floten  und  Hornern,  C-dur  4/4  (Potsd.), 

Desgl.  mit  Floten,  Hornern  und  Bassons,  F-dur  4/4; 

1756:   Trio   fiir   2  Violinen  und  Bass,    gedr.  im  Musik. 

Mancherlei, 

Sinfonie  in  E-moll  4/4,  ohne  nahere  Bezeichnung, 

als  dass  sie  gedruckt  ist  (vielleicht  fur  Clavier), 

1757:   Sinfonie  mit  Hornern  und  Oboen  (und  Quartett), 

C-moll  3A? 

•    1758:  Desgl.,  G-dur  4/4, 
1762:   Solo  fur  die  Harfe,  G-dur  %, 

Sinfonie  mit  Hornern,  Floter  und  Oboen,  F-dur  4/4. 

Dem  diirften,  als  muthmasslich  der  Berliner  Zeit  an- 

gehorig,     noch    hinzuzurechnen  sein,    zwei   abwechselnde 

stark  besetzte  Menuetten  mit  3  Trompeten,  Pauken,  2  Hor- 


—    117    — 

nern,  2  Oboen,  2  Floten  und  Quartett,  gedr.  im  Musik. 
Mancherlei.  Auch  tier  blieb,  der  relcheren  Ausbeute  mi- 
geachtet,  Bach's  Thatigkeit  gegen  seine  Arbeiten  im  Faehe 
der  Clavier-Composition  weit  zuriick  und  horte  in  den  letzten 
Jahren  seines  Berliner  Anfenthalts  so  gut  wie  ganz  auf. 

Dagegen  findet  man  in  diesen  Instrumental -Sachen 
seine  Vorliebe  fur  das  Instrument  des  Konigs  bewahrt. 
Nahe  an  V3  der  obigen  Instrumental- Nummern  sind  fur 
die  Flote  gesetzt,  oder  doch  nachtraglich  fur  sie  bearbeitet. 
Vielleicht  hat  dabei  raitgewirkt,  dass  der  Dilettantismus 
jener  Zeitperiode  sich  mehr  der  Flote,  als  anderen  schwerer 
zu  behandelnden  Instrumenten  zuneigte. 

Ueber  cinige  der  angeftihrten  Trii  ist  oben  gesprochen 
worden.  Es  niag  erlaubt  sein,  (iber  die  anderen  Instru- 
mental-Arbeit  en  hier  vorlaufig  fortzugehen.  Eine  hervor- 
tretende  Rollo  in  dein  Leben  und  Wirken  Bach's  nelimen 
sie  niclit  ein. 

Grossere  Aufmerksamkeit  erfordern  seine  Arbeiten, 
die  deni  Kreise  der 


D.    Kirchen-Musiken 

angehoren,  und  welche  insofern  em  bcsonderes  Interesse 
bieten,  als  sie  die  ersten  Schritte  auf  einer  Bahn  zeigen, 
auf  der  sich  Bach  in  spaterer  Lebenszeit  in  ausgedehute- 
steni  Gange  bewegt  hat.  Zu  diesem  gehort 

1.  Das  Magnificat, 

mit  dem  er  in  einer  "Weise  den  Boden  der  kirchiichen 
Composition  betrat,  der  zu  den  hochsten  Erwartungen  be- 
rechtigen  dtirfte.  Der  Titel  des  in  der  K.  Bibliothek  zu 
Berlin  befindlichen  Originals  lautet 

/.  J.  (Jesu  jui'aj  Magnificat,  a  4  Voci>  2  Gornt,  2  Trai\, 
2  Hautl.y  2  Violini,  Viola  v  ContimfOy  3  Troupe  e  Tiittjjani. 
Ani  Schlusse  der  Origmal-Partitur  stcht  geschriebcn : 

,,Fine.    S.  D.  Gl.    Potsdam,  25.  Aug.  1749," 


—    118    ~- 

Man  wird  in  diesen  Bezeichnungen,  den  ?,Jesu 
juva"  und  den  ,,Soli  Deo  Gloria",  die  ehrwurdigen 
Traditionen  aus  dem  Hause,  und  der  Schule  Sebastian 
Bach's  wiederfinden.  Man  findet  aber  auch  den  Geist 
des  Vaters  in  dem  herrlichen  Werke  selbst,  das  sich  dessen 
beruhmten  Magnificat  an  die  Seite  stellen  darf;  und  von 
dem  aus  die  Desorganisation  nicht  hatte  erwartet  werden 
diirfen?  die  in  den  spateren  Kirchen-Arbeiten  Bach's  so 
haufig  sichtbar  ist. 

Rochlitz  erzahlt  liber  die  Entstehung  dieses  Werkes 
folgendes1):  ,,Die  beruhmten  Sohne  Sebastian  Bach's 
wollten,  als  sie  sich  zu  fuhlen  anfingen  und  einstmals  (so 
viel  ich  weiss?  in  Hamburg)  zusammentrafen,  eine  Ge- 
dachtnissfeier  ihres  grossen  Vaters  veranstalten,  wozu  jeder 
ein  Stuck  zu  schreiben  gedachte,  das  dessen  wiirdig  ware. 
Die  Ausfuhrung  der  Feierlichkeit  unterblieb,  wahrscheinlich 
aus  Mangel  an  hinreichender  Theilnahme.  Philip p  Em  a- 
nuel  Bach  aber  hatte  das  Magnificat  in  8  grossen  Satzen 
schon  vollendet.  Er  hielt  diese  Arbeit  selbst  so  hoch?  dass, 
als  er  darauf  die  Stelle  eines  Musikdirectors  an  den  Haupt- 
kirchen  in  Leipzig  zu  erlangen  Avunschte;  er  dies  Werk 
als  Probestuck  einsandte,  jedoch  ohne  damit  seinen  Zweck 
zu  erreichen,  indem  das  Vorztiglichste  darin  der  damaligen 
Zeit  zu  hoch  stand  und  weit  weniger  Eingang  finden 
konnte,  als  Doles  populares  Concertstuek?  sein  rauschender 
munterer  Psalm  ??Warum  toben  die  Heiden,"  welcher  den 
Preis  erhielt  und  dem  Verfasser  jenes  Amt  erwarb." 

Selten  hat  sich  wo  hi  eine  so  grosse  Anzahl  von  Irr- 
thiimern  und  Unrichtigkeiten  in  einer  so  kurzon  Notiz  zu- 
sammengefunden.  Zunachst  lebte  Sebastian  Bach  noch 
in  Gesundheit  und  voller  Kraft,  als  Emanuel  am  25.  Aug. 
1749,  nach  seiner  eigenhandigen  Bemerkung,  das  Magnifi- 
cat beendete.  Zum  Zwecke  einer  Geclachtnissfeier  fur  den 
noch  lebenden  Vater  konnte  er  die  Arbeit  also  unmoglich 


Leipz.  Miis.  Allg.  Zeit.    9t.  Jahrg.    S. 


—    119    — 

gefertigt  haben.  Dann  aber  ist  bekannt,  dass;  als  er  sich 
sogleieh  nach  dem  Tode  desselben  um  das  Oantorat  zu 
Leipzig  bewarb,  er  nicht  mit  Doles,  sondern  mitHarrer 
um  diese  zu  eoncurriren  hatte.  Dass  er  ein  Magnificat 
als  Probe-Arbeit  eingereiclit  habe,  ist  niclit  bekannt.  Harrer 
hatte  zwar  die  Absicht,  schon  zu  Lebzeiten  Sebastian 
Bach's  eine  Probe -Musik  in  Leipzig  aufzufuhren.  Fiir 
seine  Wahl  aber  und  fur  die  Nichtberucksichtigung  Ema- 
nuel  Bach's  waren  ganz  andere  Motive  vorwiegend,  als 
inusikalische  Popularitat  oder  gelehrte  und  tiefsinnige 
Schopfungen1).  Dass  sich  Einanuel  Bach,  nach  dem 
1755  erfolgten  Tpde  Harrer's,  rait  Doles  zugleich  noch 
einmal  um  das  Cantorat  der  Thomas-Schule  beworben  habe, 
ergiebt  sich,  rnindestens  aus  den  Leipziger  Eaths-Acten, 
nicht. 

Ein  Zusainmentreffen  der  Grebrlider  Bach;  bei  welchem 
die  Uebung  der  Musik  in  die  erste  Linie  getreten  ware, 
hatte  wohl  dein  alten  Familienbrauch  entsprochen.  Aber 
die  Bedingungen  nahen  Bei^ainrnenlebens,  welche  dies 
frliher  so  sehr  erleichtert  hatten,  waren  nicht  rnehr  vor- 
handen.  Auch  deutet  nichts  darauf  hin,  dass  die  in  Italien 
(spater  London),  Biickeburg,  Halle  und  Berlin  (spiiter 
Naumburg)  verstreuten  vier  Bruder  wirklicli  jeinals  alle  zu- 
gleich bei  einander  gewesen  waren.  Dies  ist  um  so  weni- 
ger  wahrscheinlich ,  als  in  spaterer  Zeit  alle  Beriihrungs- 
punkte  zwischen  Friedemann  und  Einanuel  Bach  auf- 
gehort  hatten.  So  wird  denn  die  Erzahlung  von  Roch- 
litz  tiber  das  Entstehen  des  vorliegenden  Werks  in  den 
Bereich  jener  zahlreichen  Anecdoten  fallen,  deren  Bedeu- 
tung  sich  bei  naherer  Prufung  in  nichts  auflost.  Wie  dem 
auch  sein  mag,  das  Werk  selbst  ware  wlii^dig  gewesen, 
bei  Gelegenheit  einer  Erinnerungsfeier  fur  Sebastian  Bach 
zur  Ausfuhrung  gebracht  zu  werden.  Denn  es  ist  in  sei- 


Siehe  Johann  Sebastian  Bach.    Th.  II.    S,  365. 


—    120 


nem  Geiste  geschrieben  l).  Ein  glanzendes,  21  Takte  lan- 
ges  Vorspiel  (Allegro  D-dur  4/i)  fu'hrt  in  die  Hauptmotive 
des  Chors  ein.  Die  Violinen  fliegen,  von  den  Floten  und 
Oboen  unterstutzt,  in  jubelnden  Passagen  herab  und  her- 
auf.  Die  Blech-Instruraente  folgen  ihnen  und  die  Basse 
schreiten  in  lebhaft  ab-  und  aufsteigender  Bewegung  vor- 
•warts: 


Bass,  I 


^3 


•*-    U 


B3j  FE 

d  »..  I.   .  0  -jj 


EEgEEgEE 


Dieser  glanzenden  Tonniasse  des  Orchesters,  welche 
sich  in  wechselnden  Formen  bis  zum  Schlusse  hin  gleieh- 

i)  Das  Magnificat  Em.  Bach's  ist  hn  Stich  erschienen  bei  Sim- 
rock  in  Bonn.  Der  Titel  desselben  ist.  Magnificat  a  4  voci, 
3  Trombe,  Timpani,  2  Corni,  2  Plauti,  2  Oboi,  2  Violini,  Viola  e  Con- 
tinuo  di  Carlo  Pilippo  Emanuele  Bach,  Maestro  di  Capella  de  S.  A. 
E.  M  la  Principessa  Amalia  da  Prussia,  Badessa  da  Quedlinbmg, 
Diiettore  di  Masica  della  llepublica  di  Hamburgo.  Dopo  laPartituia 
autografa  dell'  autore. 


—    121    — 

massig  fortbewegt,  wird  der  4stimmige  Chor  ^Magnificat 
amma  mea  Dominum  et  exult  avit  spiritus  mem  in  Deo  salu- 
tari"  eingefiigt,  zum  Theil  in  homophon  gefiihrten  breiten 
Massen,  zum  Theil  in  polyphonen  Gestaltungen,  hie  und 
da  in  canonische  Porraen  abweichend, 


Et  exulta  -  vit    spi  -  ritus  me 


us 


—  w—  ^-(  —  [_,  ™~i  A  ~  "?""^t*.^^j 

^^ 


Et  esul-  ta  -  vit     spiritns  me 


tis  iii  Deo 


Et  exul-  ta-vit      spi  -  ritus  me    -    us 


Et  exnl-  ta-vit     spiritns  meus 


ohne  dass  eine  eigentlich  thematische  Verarbeitung  statt- 
fande.  GrQgen  den  Schlusa  bin  hebt  sich  der  Chor  in 
schwtmgvoller  Steigerung  auf  der  Tonleiter  empor,  und 
eine  Umkehrung  der  canonischen  Eintritte  des  ersten  Ab- 
schnitts  fuhrt  zu  einem  fest  auftretenden  kurzen  Abschluss. 
Das  G-anze  charakterisirt  sich  als  ein  gliinzender  Jubel- 
Gesang. 

Ihm  unmittelbar  folgt  die  Arie  No.  2  fur  Sopran: 
vQuia  respexit  humilitatem  ancillae  siiae,  ecce  enim  me  dicent 
leatam  omnes  generationes"  (fl-moll  3/47  Quartett-Begleitung), 
ein  uberaus  gesaagvolles,  von  dem  Gefuhle  der  innigsten 
Prommigkeit  durchwehtes  Musikstiick. 


I.  a.  2.  Viol  J 


Basse. 


—    122    — 


raicfiteSE 

draBa^=====z 


Bei  Betrachtung  dieser  und  cler  spateren  Arie  fur  Alt 
No.  7  ,;Suscepit  Israel"  drangt  sich  unwillkliiiich  die 
ITrage  auf:  waruin  hat  Emanuel  Bach,  der  sich  hier  auf 
dem  unzweifelhaft  einzig  richtigen  Wege  befand,  die  Form 
des  Musikstucks  nach  deni  Inhalt  desselben  zu  beinessen, 
sich  in  spaterer  Zeit  fast  ausschliesslich  zu  der  alten  zwei- 
theiligen  Arienform  (mif  cler  Wiederholung  des  ersten 
Theils)  zuruckgewendet?  Ware  er  auf  der  hier  einge- 
schlagenen  Balm  geblieben! 

Deni  melodiosen  Anfange  der  Arie  tritt  bald  ein 
zweites  kraftiger  geformtes  Motiv  gegenuber: 

:=r±p:rarfz:p     ~" 

^-=±^yE^=^ 


Gregen  den  Schluss  hin  ist  eine  im  Oharakter  der 
Hanpt-Melodie  gehaltene  iiberaus  grazidse  Passage  einge- 
flochten.  Das  Ganze  ist  ein  vollendetes  Musikstiick  im 
lyrischen  Style.  Ihm  folgt  No.  3,  eine  zweite  Arie,  fiir 
Tsnor,  Allegro  assai  G-dur  4/4;  ^roni  Quartett  und  zwei 
Hornern  begleitet:  ^Quia  fecit  milii  magna,  gid  potens  est, 
et,  sanctum  nomen  ejus.u  Ein  kraftiges,  grossartig  geformtes 
Motiv  geht  bald  in  glanzende  Triolen-Passagen  iiber?  die 
bravourmassig  und  sehr  sangbar  gesetzt  sind.  Das  Or- 


—    123    — 

Chester,  das  die  einzelnen  Satze  der  Arie  durch  lange  den 
Motiven  angehorige  Ritornells  einleitet  und  verbindet;  zeigt, 
wo  es  nicht  als  Begleitung  des  Gesangs  auftritt,  eine  be- 
wegte,  oft  feurige  Haltung.  Audi  in  dieser  Arie,  wiewohl 
sie  die  Grenzen  der  zu  jener  Zeit  gebrauchlichen  Schreib- 
weise  innehalt,  steht  Emanuel  Bach  freier  und  hoher  als 
in  der  grossen  Mehrzahl  seiner  Arien  aus  spaterer  Zeit. 

No.  4.  Solo-Quartett  (Andantino  E-moll  %.  Streich- 
Quartett,  2  Flaut.  trav.,  2  Oboe):  ,,Et  misericordia  ejus  a 
progenie  in  progeniem  timentibu*  eum.u  Die  4  Solostimmen 
treten  ohne  Vorspiel  sogleich  mit  dem  zweiten  Viertel  ein: 


Et  mi  -  se    -    ri  -  cor-di-  a    e 


x1  i   i     i        ^  ^  i 

I      I      I         I  I  -0 9—  IL  Vs*      V' 


a    pro- 


a  pro  -  ge-nl-e 


ge-m-e 


Dies  Quartett  bietet  eine  schon  gefornite,  die  warmste 
Innigkeit  athmende  Folge  harinonischer  Melodien-Bildungen, 
deren  seltener  Wohllaut  den  Genius  des  Tonsetzers  in  seiner 
vollen  Eigenthiimlichkeit  offenbart.  Die  Violinen  und  Violen 
begleiten  in  stetig  fortschreitenden  Achtel-Noten  die  Modu- 
lation der  Singstimmen,  wahrend  die  Blaser  zur  Yerstarkung 
derselben  dienen  und,  wo  der  Gesang  schweigt,  die  Melodie 
fortfiihren.  Wahrend  des  ruhigen  Fortschreitens  tont  plotz- 
lich  wie  heller  Lichtschein  die  Melodie  des  alten  Kirchen- 
liedes;  ??Meine  Seele  erhebt  den  Herrn"?  von  den 


_    124    — 


Oboen  intonirt,  liber  den  Gesang  fort.  Unwillkiirlich  wird 
die  Erinnerimgauf  Sebastian  Bach's  ,,Suscepit  Israel" 
zuriickgelenkt.  Was  der  Vater  in  seiner  tiefsinnig  ernsten 
Weise  aus  der  Fulle  der  ihm  in  so  reicheni  Maasse  dienen- 
den  Kunstmittel  gestaltet  hatte,  das  sieht  man  hier  den 
Sohn  in  der  ihm  eigenen  reizvollen  Weise  wiederholen. 

Zweimal  wird  der  Gresang  in  die  beiden  Sopranstimmen 
verlegt,  deren  Duos  voller  Zartheit  und  Siisse  den  vier- 
stimrnigen  Satz  unterbrechen: 


Et  mi  -  se    -    ri-cor  -   di-a      e-jus 
Et    mi-se-ri-cordia 


-i=s=v=tt=m—£F3tt 
r|:zzt=^—  ^tzr^^ztr: 

ge-cie  in    pro  -  ge  -  ni  -  em, 


f~H^r 


/  \ 


ti  -  men-  ti-  bus     e 

ti  -  men  -  ti-bus 


ti-bus 


Es  ist  wenig  Besseres  im  Bereiche  der  geistlichen 
Musik  geschrieben  worden.  Die  Selbstandigkeit  in  der 
Fiihrung  der  Stimnie  wirkt  der  bei  Emanuel  Bach  sonst 
so  haufig  angewendeten  Homophonie  gegenfiber  auf  be- 
sonclers  wohlthuende  Art. 

Merkwiirdiger  Weise  scheint  dieser  sclione  Satz  dem 
Meister  nicht  geniigt  zu  haben.  Er  hat  ihn,  gleichfalls  als 
Solo-Quartett,  noch  einmal  (E-moll  Allabr.  Adagio)  com- 
ponirt  und  dabei  dem  Orchester  noch  zwei  Horner  in  g 


125    — 


hinzugesetzt.  Laut  jener  mit  der  zitternden  Handschrift 
seiner  spateren  Lebensjahre  gesehriebenen  Bemerkung 
Bach's  unter  der  Original-Partitur  dieses  S  tucks  ist  diese 
zweite  Composition  in  Hamburg  zwischen  1780  und  1782 
entstanden. 


Sopran  L 

Sopran  II. 
Tenor, 

Bass. 


et  ml-se-rz-cor-di-a,         mi  -  se    -   ri-cor-di-a 


Ernster  als  das  ursprungliche  Stuck,  zugleich  in  der 
Form  gedrungener,  ist  sie  in  Fulle  und  Schonneit  des 
Inhalts  demselben  ebenbtirtig.  Sie  ist  reich  an  den  iiber- 
raschendsten  harmonischen  Combinationen  ?  reicher  nocli 
an  eindringlicher  Erhebung  und  Steigerung  des  Ausdi-ucks. 
Besonders  wirkungsvoll  Ist  der  zweite  Einsatz  der  Stinime 
im  20.  Takt  mit  dern  Fortissimo  und  deal  festen  Eintritt 
aller  Instrumente?  wobei  wie  in  den  ersten  Takten  die  drei 
Unterstirnrneh  in  rhythmischen  Gegensatzen  deni  flehenden 
Gesange  des  Sopran  gegeniiberstehen. 

Dies  Stuck  zeigt?  dass  eine  mehr  als  dreissigjahrige 
weitere  Uebung  der  Kunst  die  Krafte  des  zum  Greise  ge- 
wordenen  Meisters  nicht  erschopft  hatte;  dass  ihu  das  Alter 


—    126    — 

vielmehr  noch  in  der  Frische  jugendlicher  Empfindungen 
und  kiinstleriseher  Erzeugungsfahigkeit  gefunden  hat. 

Dasselbe  Stuck  zeigt  aber  auch,  dass  der  Mann,  der 
nach  vieljahrigem  Schaffen  fiir  die  Kirche  in  spaterer  Zeit 
die  Bahn  verlassen  hatte,  auf  der  er  allein  den  ernsten 
Forderungen  des  religiosen  Cultus  gerecht  werden  konnte? 
weit  da  von  entfernt  war  die  Grimdsatze,  in  denen  er  er- 
zogen  und  gross  geworden  war,  zu  verleugnen.  Von  Zeit 
zu  Zeit  handelte  er  wiederuin  nacli  ihnen,  gleichsain  uin 
das  Band,  das  ihn  niit  einer  grossen  Vcrgangenheit  ver- 
kniipfte,  nicht  zerrcissen  zu  lassen.  So  sehen  wir  hier 
den  Greis  auf  die  Grundsatze  seiner  Jugend  und  seiner 
mannlichen  Thatigkeit  zuriickgreifen. 

No.  5.  Arie  fiir  Bass  A-dur  2/4?  Allegro,  Quartett- 
Begleitung,  3  Trompeten  und  Pauken.  ?,Fecit  potentiam  in 
Irachw  suo.  Disjjersit  superbos  mente  cordis  sui.u  Ein 
stolz  geformtes  und  in  sehwungvoller  Kuhnheit  durchge- 
fiinrtes  Stuck;  welches  insbesondere  diuwch  die  in  beiden 
Geigen  wechselnden  Figuren  einen  hohen  Grad  von  Leben- 
digkeit  erhalt.  Diese  Arie  erfordert  eine  sehr  kraftige, 
bravourmassig  ausgebildete  Stimnae  in  hoher  Lage  und 
einen  declamatorischen  Vortrag,  vermoge  dessen  der  Sanger 
im  Stande  ist  einzelne  Schwierigkeiten  zu  iiberwinden,  die 
sich  aus  dem  JStreben  der  Bach'schen  Schule  nach  male- 
rischer  Wirkung  ergeben. 

Man  findet  hier  zugleich  ein  bemerkenswerthes  Bei- 
spiel  der  Art  und  Weise?  in  der  die  Zeit  Emanuel  Bach's 
den  vorgeschriebenen  Gang  der  Partitur  durch  das  Accom- 
pagnenaent  ana  Fliigel  illustrirt  wissen  wollte.  Man  be- 
trachte  die  Bezifferung  zu  dena  folgenden  unisono  artigen  * 
Gange  der  Instrumente  und  der  Gesangsstirmiie: 


—    127    — 


Tore.   f'9*i£:;=, 


j  I  £^s  •  P'~r      -      sit      su   -  per      -      bos,    su- 

"-.r"  { 


I  P^^;^gH;=3§^^EgE:'g^£g=F^E^EiEE 

5        e  T        6          ~^C""1"""—  ""J1  """"""11"" 


fi 

Hier  ist  die  harinoni^che  Wirkung  im  Gegensatz  zu 
cler  Wirkung  cles  Orchesters  allcin  in  das  Accompagnement 
gelegt;  ohno  de=isen  MitTvirkung  die«e  Stolle  eine  gewisse 
Trockenheit  haben  Tvurde,  dick,  ilir  naeii  der  Partitur  keines- 
wegs  eigen  ist. 

No.  6:  jyDepOkitif  j^nfe/ttes  cle  &ed?7  et  e,cffltfrvtt  liumiles. 
Esimentes  un^leiit  bow's,  et  cltviti'ft  dimisif  htanps."  Duo  fur 
Alt  tind  Tenor,  Allegretto,  A-moll  V1?  2  Corni  in  e?  Streich- 
Quartett.  Ein  etwas  langes  Stuck,  aber  doeli  im  1.  Theile 
von  anrcgendein  Tnteresse  dureh  die  Gegenwirktmg  der 
Triolenfigureri  der  Violinen  gegen  dif  in  declamatorisch- 
melodiseheni  Styl  imd  figurirtem  Gesange  fortschreitenden 
Singstinimen,  welclie  wiedernm  ehiauder  eoneertirend  gegen- 
itbertreten.  Der  rl'ytlmusehe  Gang  ist  hie  and  da  durch 
die  gleiclifall^  in  Triolen  tibertretende  Gegenbewegung  der 
Bratschen  und  Bil^se  z\v  eckma^ig  uwtcrbroclien. 

Der  2.  Satz  ,?Esurientes*fc  in  F-dur  ist  einfacher  gebalten 
und  konnte  in  jedem  Falle  gedrungener  gefasst  sein. 


—    128    — 

Diesem  Duo  schliesst  sich  No.  7  Arie  fur  Alt  (Andante, 
D-moll  %}  2  Flaut.  trav.?  Quartetto  con  sordini.  Continuo 
sempre  piano)  an,  ^Suscepit  Israel  puerum  suum,  recordatus 
misericordiae  suae,  Sicut  locutus  est  ad  jjatres  nostros  AbraJiae 
et  semini  ejus  in  secula",  in  Styl  und  Charakter  der  Arie 
No.  2  ahnlich,  JDas  in  dem  remsten  Gefuhls-Ausdruck  sich 
bewegende  Motiv  wird  von  dein  Orchester  eingefiihrt,  die 
breit  angelegte  Melodie  von  den  Violinen  und  Floten  in 
der  Octave  begleitet.  Ungeachtet  der  Weichheit  der  For- 
men  tragt  dieselbe  den  Charakter  des  Declamatorischen. 
Ungeinein  schon  wirkt  deren  Wiederliolung  im  Orchester 
als  Nachspiel. 

Die  bishieher  behandelten  Numniern  des  vorliegenden 
Werks  zeigen?  inancher  Annaherungen  in  dem  Grund- 
charakter  ungeachtet,  doch  die  durchgreifende  Verschieden- 
lieit  der  nausikalischen  Ziele  zwischen  Vater  und  Sohn. 
Der  polyphone  Styl?  der  bei  jenem  iiberall  in  seiner  hoch- 
sfen  Strenge  festgehalten  ist;  wird  bei  diesem  durch  die 
Neigung  zum  Wohlklange,  zur  nielodioseu  Rhythinik,  zur 
weicheren  Gefiihlsrichtung  weit  tiberwogen. 

Zum  ersten  Male  tritt  Her  ein  Merkmal  des  Em.  Bach7- 
schen  Styls  als  ein  ihm  tiberhaupt  eigenthumliches  auf; 
das  sich  weiterhin  als  ein  Hauptmerknial  seiner  Besondei-- 
lieit  zeigt.  Es  ist  dies  die  vorherrschende  Neigung  zur 
Lyrlk?  zum  Gesanglichen ,  deren  Uebergewicht  ja  auch  in 
semen  Claviercompositionen;  zumal  der  spateren  Zeit,  un- 
verkennbar  ist. 

Was  das  vorliegende  Werk  von  dem  seines  Vaters 
vor  Allem  unterscheidet?  ist  das  Fehlen  jenes  symbolischen 
Elements,  das  in  dem  Magnificat  Sebastian  Bach's  eine 
so  hervortretende  Stelle  einnimmt.  Bei  Emanuel  Bach 
findet  sich  hievon  keine  Andeutung.  Denn  die  Einfuhrung 
des  Chorals  in  dem  7,Miserieordia"  kann  kaum  anders  als 
nnter  dem  Gesichtspunkt  einer  Nachahmung  des  ??Susce- 
pit  Israel"  bei  Sebastian  Bach  betrachtet  werden. 


—    129    — 


Ein  anderes  nicht  minder  unterscheidendes  Moment 
beider  Werke  liegt  darin,  dass  bei  Sebastian  Bach  der 
Schwerpunkt  der  Musik,  das  Entscheidende  derselben,  in 
den  Choren  liegt?  wahrend  Emanuel  Bach  diese  nur  als 
Ausgangs-  und  Schlusspunkte  betrachtet  hat.  Bei  ihm  liegt 
das  Hauptgewieht  in  den  Solo-Gesangen,  vorzugsweise  in 
den  Arien.  Es  war  dies  wohl  nicht  allein  ein  Ausfluss 
des  lyrischen  Triebes,  der  in  ihm  lag;  sondern  ohne  Zweifel 
auch  eine  Kiickwirkung  der  italienischen  Gesangsmusik, 
die  ihn  im  Dienste  Friedrich's  des  Grossen  so  vielfach 
beschaftigte,  und  welche  auf  die  nielodisch  rhythmische 
Behandlung  seiner  Arbeiten  nicht  ohne  den  grossten  Ein- 
fluss  geblieben  ist.  So  finden  sich  in  dem  Magnificat 
Sebastian's  unter  12  Nuinniern  5  Chore,  zum  Theil  in 
gewaltigen  Dimensionen,  in  ziemlich  gleichmassiger  Ver- 
theilung  zwischen  die  Solosatze  eingereiht.  Emanuel 
giebt  deren  nur  drei,  einen  am  Anfang  und  zwei  am 
Schlusse. 

Der  vorhin  besprochenen  Arie  No.  7  folgt  namlich 
zunachst  ein  Chor  (No.  8)  7;Gloria  patri  et  filio  et 
spiritui  sancto",  der  nur  eine  Wiederholung  des  Ein- 
gangschors  ist.  Der  helle  jubelnde  Klang  desselben  -\\irkt 
dem  zarten  Gesange  der  Arie  gegenuber  mit  lebendiger 
Elraft.  Da  wo  in  dem  ersten  Chore  die  Stimmen  in  die 
Umkehrung  des  Themas  iibergehen,  briciit  der  Gesang 
plotzlich  ab  und  fallt  in  ein  kurzes,  kraftiges  Largo: 

Largo. 


Bitter,  Emaimel  tend:  Friedemann  Baclu 


130    — 


1 ^-  ~r- 1 (- 

spi-ri-tui    sane      -      to. 


ri  -  tu  - 


auf,  welches  unmittelbar  der  fugirte  Chor  No.  9:  ?,Sicut 
erat  in  principle,  et  nunc  et  semper,  in  saecula 
saeculorum,  Amen"  (Allabr.  D-dur)  rait  deni  Bassthenia 
einsetzt. 

Die  Gesangsstiminen,  welche  dies  breite  Motiv  in  ihrer 
vollen  Kraft  durchfuhren,  werden  durch  die  nach  und  nach 
hinzutretenden  Instrumente,  von  denen  die  Bratsche  mit 
dem  Bass,  die  beiden  Floten  und  die  2.  Violine  mit  dem 
Tenor,  die  1.  Trompete  und  das  1.  Horn  mit  dem  Alt, 
und  die  2.  Trompete,  das  2.  Horn,  die  1.  Oboe  und  die 
1.  Violine  mit  dein  Sopran  gehen,  in  mehr  und  rnehr  sich 
steigernder  Wirkung  verstarkt.  Vom  Eintritt  des  Alt  im 
9.  Takt  geht  die  Bratsche  zu  dem  Tenor,  die  2.  Violine 
mit  der  2.  Oboe  zu  dem  Alt  fiber.  Beim  Eintritt  des 
?,Amena  tritt  die  3.  Trompete  mit  der  Pauke  hinzu,  so 
dass  von  da  ab  alle  Stimmen  und  das  ganze  Orchester  in 
Thatigkeit  sind. 

Schon  aus  diesen  Arigaben  ersieht  man,  welch  eine 
Steigerung  des  Gresammt-Effects  durch  diese  Benutzung  der 
Tonmassen  bedingt  wird.  Mit  deni  Amen  tritt  dem  Haupt- 
thema  ein  glanzendes  Gregenthema  hinzu,  dessen  streng 
fugirte  Behandlung  sich  durch  alle  Stimmen  in  reichen 
und  stark  ausklingenden  Tonmassen  hindurcKschlingt.  In 
ausserst  kiinstlicher  Verarbeitung  und  in  sich  hoher  und 
holier  steigerndem  Schwunge  arbeiten  die  beiden  Themata 
gegen-  und  verbinden  sich  miteinander.  So  thiirmt  sich 
der  Chor  zu  riesenhaften  Dimensionen  auf,  bis  er  plotzlich 


—    131    — 

in  der  Dominante  abbricht.  Alle  Mittel  des  Grlanzes  und 
der  Wirktmg,  welche  die  Kunst  zuliess,  sind  erschopft. 
In  einem  kurzen  contrapunktiseh  gehaltenen  Schlussfall 
von  8  Takten  endet  dieser  ungeheure  Tonsatz  und  mit 
ihm  das  Werk. 

Em.  Bach  hat  hier  ein  Meisterstiick  polyphoner  Schreib- 
art  geliefert;  wie  der  en  ausser  den  fugirten  Choren  seines 
Vaters  nur  wenige  existiren  diirften.  Er  hat  darin  gezeigt? 
dass  er  die  strenge  Schule  seiner  Vorganger  nicht  bloss 
in  ihrem  ganzen  Uinfange  griindlich  durchniessen  hatte? 
sondern  dass  er  sie  auch  zu  beherrschen  verstand.  Hit 
diesem  ?7Magnificat"  und  seineni  doppelchorigen  7?Heilig" 
wiirde  er  sich  in  die  vorderste  Reihe  der  kirchlichen  Ton- 
setzer  aller  Zeiten  gestellt  haben?  wenn  diese  Werke  nicht 
in  einer  gewissen  Vereinzelung  geblieben  waren?  durch 
die  ihr  Werth  nicht  gehoben  werden  konnte. 

Eine  zweite  Kirchen-Musik?  im  Jahre  1756  entstan- 
den;  ist 

2.    Die  Oster-Cantate7 

?;wovon  die  Poesie  von  Herrn  Hofprediger  Cochius?  die 
Musik  von  Carl  Philipp  Emanuel  Bachen  ist.  Beydes 
im  Jahre  1756  verfertiget"  J)« 

Aus  welcher  besonderen  Veranlassung  diese  Gantate 
entstanden  und  wie  Bach;  der  zu  jener  Zeit  sonst  der 
geistlichen  Musik  wenig  zugewendet  war,  zur  Composition 
eines  Gedichts  veranlasst  werden  konnte?  das  keinerlei  An- 
ziehungskraft  ausziiiiben  im  Stande  ist?  dariiber  hat  sich 
leider  nichts  ermitteln  lassen.  Man  betrachte  den  nach- 
folgenden  Text: 

No.  1.  Ohor. 

Gott  hat  den  Herrn  auferwecket,  und  wird  aucb  uns  aufenveeken. 
No.  2.  Kecit  (secco)  Bass. 

So  wird  mein  Helland  nun  erhoht, 

Bes  Vaters  festes  Wort  besteht 


Original  in  der  K0nigL  Bibliotliek  zn  Berlin. 


—    132    — 

t)er  HeiPge  soil  nieht  die  Yerwesung  sehn, 
Er  sieht  sie  nicht.    Die  Bosheit  todtet  ihn, 
Die  Allmacht  spricht:  Er  muss  siegreich  auferstehn. 
Accomp. 

Ei  standener  Menschen  -  Solm, 

Nun  bleibet  dir  das  Lob  der  ganzen  Schopfung  eigen, 
Dieh  preist,  dich  betet  alles  an. 
Die  Engel,  die  sich  dir  anbetend  bengen, 
Und  deren  Angesicht  vor  deines  Yaters  Thron 
Sieh  demuthsvoll  verhiilit,  wenn  sie  das  Lob  der  Gottheit  singeu, 
Die  lassen  jetzt  dies  Lied  dureh  alle  Himinel  dringen. 
Arioso. 

Der  Menschen  Heiland  lebt! 
Lobsingend  kommen  sie  auf  Erden, 
Um  Bote  des  Triumphs  zu  werden, 
Durch  den  die  finstre  Nacht  des  Todes  fallt. 
Frohlockend  singen  sie  der  neu  erlosten  Welt, 
Dein  Heiland  lebt.  — 
Secco. 

Erloste  Welt 

Yerstarke  denn  ihr  Lied  durch  deine  Lieder, 
Gieb  diese  Jubeltone  zwiefach  wieder, 
Und  singe  frok  Dem,  der  da  lebt. 
No.  3.   Aria. 

Dir  sing'  ich  froh,  erstandner  Fiirst  des  Lebens, 
Dir  sei  niein  ganzes  Lob  geweiht. 
Dich  Melt  der  Tod,  das  Grab  vergebens, 
Dein  Wort,  das  der  Natur  gebeut, 
Gebietet  auch  der  Sterblichkeit. 
No.  4.  Kee.  secco  (Tenor). 

So  sei  nun,  Seele,  sei  erfreut. 
Der  Herr  der  Herrlichkeit, 
Hat  sich  und  mich  dem  Tod  entrissen. 
Nach  so  viel  Angst,  nach  so  viel  Finsternissen, 
Mit  welchen  mich  des  Todes  Furcht  bedroht, 
Strahlt  mir  nunmehr  der  Eofrhung  helles  Licht 
Besiegter  Tod,  nun  sehreckest  du  mich  nicht. 
Mein  Heiland  offnet  sich  das  Grab, 
Yerherrlicht  gehet  er  herfiir. 
0  Wort  des  Trostes  und  der  Freude! 
Er  offnet  es  auch  mir! 
No.  5,  Arioso  (Tenor). 

Auch  ich  soil  mit  dir,  mein  Jesu,  leben. 

0  Wort,  das  meinen  Geist  entziickt, 

Der  hoffnungsvoll  nach  jenen  Hohen  blickt, 

Wo  Glanz  und  Herrlichkeit  dieh,  Lebensfiirst,  umgehen. 


—    133    — 

Sopran. 

"Was  ftihlt  mein  seePger  Geist  fiir  nie  geftihlte  Freuden, 

Ich  sehe  schon,  die  Graber  offnen  sich, 

0  Majestat,  o  nie  gesehene  Pracht! 

Verklarter  Mensehensohn,  Ich  sebe  dich! 

Du  kommst,  und  jedes  Grab  weicbt  deiner  Macht! 

Du  rufst,  und  jeder  Todte  wacht. 

Welch  eine  ungezahlte  MeBge 

Yersammclt  sich  urn  Deinen  Thron! 

Sie  fullt  den  weiten  Rauin  mit  Danken  und  mit  Lober, 

Sie  wird  durch  einen  sanften  Zug  gehoben, 

Sie  steigt  mit  dir  ID'S  Heiligthum. 
No.  6.   Aria.    Sopran. 

Wie  ireudig  seh  ich  dir  entgegen, 

Tag,  der  die  Welt  und  micb  ernent. 

Entschlafet  ruhig,  matte  Glieder, 

Mein  Heiland  lebt  und  weckt  mich  wieder 

Zu  sein'  und  meiner  Herrlichkeit 
No.  7.  Choral. 

Der  dritte  Vers  aus  dem  Liede: 
Heut  triuinphiret  Gottes  Sohn. 

0  siisser  Herre,  Jesus  Christ, 

Der  du  der  Sunder  Heiland  bist, 

Piihr'  uns  durch  dein'  Barmherzigkeit 

Mit  Freuden  in  dein7  Herrlichkeit! 

Hallelujah! 

Hier  ist?  wie  man  sieht,  in  grosser  Weitschweifigkeit,  des 
Trockenen  nndBreiten  vlel  gegeben.  Dem  Gedichte  fehlt  das 
fiir  die  kirchliche  Erbauung  so  nothwendige  Vermittelungs- 
Glied  des  Chorals  ganz.  Die  pietistische  Anschauung  der 
besonderen  Betrachtung  im  Gegensatze  zu  dein  gottesdienst- 
lichen  Zusaminenwirken  in  der  Gemeinscliaft  der  Liebe 
spricht  sieh  in  den  langen  Recitativen,  den  Arien  und  in 
dem  Zuriiektreten  des  mehrstimmigen  Gesanges  deutlSch 
aus.  Emanuel  Bach  war  nach  allem  wasvonihm  bekannt 
1st,  kein  Pietist,  Dass  er  sich  fiir  seine  erste  Arbeit  auf 
dem  eigQntlich  praktisch-kirchlichen  Gebiet  einen  solehen 
Text  wahlen  konnte?  das  zeigt,  wie  wenig  er,  im  Gegensatz 
zu  den  Bestrebungen  seines  Vaters,  die  Wirkung  des  kireh- 
lichen  Gesanges  richtig  zu  schatzen  wusste.  Die  Einzek- 
wirkung  stand  ihm  iiber  der  naenhaltigea  Tiefe  des  Eia- 


—    134    — 

drucks.  Sehon  im  Magnificat  hat  sich  die  erste  Spur  einer 
Richtung  nach  dieser  Seite  hin  gezeigt,  welche  der  Kunst 
gegeniiber  im  hoheren  Sinne  ohne  Berechtigung,  aus  der 
sinnlichen  Verflachung  der  Zeit  herausgewachsen  war.  In 
der  vorliegenden  Arbeit  ging  Emanuel  Bach  auf  dieser 
Bahn  einen  Schritt  weiter,  indem  er  sich  von  den  grossen 
Errungenschaften  seines  Vaters  entfernte.  Nicht  als  hatte 
er  streng  in  dessen  Schule  verbleiben.  sollen.  Wo  ware 
da  der  Fortschritt  geblieben,  dern  er  zu  dienen  bestimmt 
war?  Aber  jene  grossen  Prineipien,  die  bei  Sebastian 
B  a  ch  so  in  Fleisch  und  Blut  iibergegangen  waren, 
dass  sie  selbst  in  seinen  geringfiigigsten  Arbeiten  ans 
alien  Ecken  und  Winkeln  hervorschauten,  hatten  auch 
bei  ihm  das  Streben  nach  augenblicklichem  Erfolge  iiber- 
wiegen,  ihn  in  seiner  kiinstlerischen  Entwickelung  leiten 
sollen.  Vielleicht  ware  er  der  eignen  Zeit  weniger  gross 
erschienen,  aber  die  Nachwelt  wiirde  dankbarer  gegen  ihn 
gewesen  sein.  Man  kann  urn  diese  Betrachtungen,  welche 
sich  bei  dem  Studium  der  Kirchen- Arbeiten  Enianuel 
Bach's  immer  wieder  in  den  Vorgrund  drangen  und  welche 
bei  Erorterung  der  grosseren  Anzahl  von  Kirchenwerken, 
die  in  Hamburg  entstanden  sind;  einer  weiteren  Motivirung 
unterliegen  werden?  nicht  herunikommen.  Den  Verfasser 
leitet  bei  ihrer  Aufaeichnung  und  Wiederholung  der 
Wunsch;  dass  jiingere  Kunstlernaturen,  wenn  ihnen  zufal- 
lig  diese  Blatter  durch  die  Hande  gehen  sollten,  an  jenem 
Manne  von  so  seltener  Begabung  und  so  aussergewohnlichern 
Wissen;  der  wie  wenige  berufan  war;  die  hochsten  Stufen 
der  Kunst  zu  erringen,  erkennen  mochten,  wie  alles  Talent 
und  Wissen,  alle  Schopfungskraft  und  Ideenfulle,  wie  der 
Ruhm  und  die  Bewunderung  einer  langen  Generation?  wie 
alles  das  dem  Staube  und  der  Verganglichkeit  anheimfallt; 
wenn  nicht  die  Eeinheit  und  Grosse  der  kiinstlerischen 
Grrundprincipien  uberall  den  Griffel  fiihren,  bewusst  oder 
unbewusst  den  Schopfungen  ihren  Stempel  aufdriicken. 
Der  Chor  No.  1.  (Allegro  dimoltoC-dur  %:  3Trombe? 


—    135    — 

Timpani  ?  2  Oboen,  Streich-Quartett  beginnt  mit  einer  30 
Takte  langen  feurigen  Einleitung,  welche  nach  Alt-Bacii'- 
scher  Weise  die  Hauptinotive  entlialt.  Mit  dein  zweima- 
ligen  Ausrufe  ;>Gott !"  tritt  der  vlerstimmige  Clior  in  den 
ersteu  Abschnitt  seines  melodios  rhythmischen  Ganges  ein. 

Der  zweite  Satz  7;Und  wird  auch  uns  aufer- 
wecken,"  in  canonischen  Einsatzen  beginnend,  ftihrt  nach 
wenigen  Takten,  in  denen  der  Bass  sieh  unter  den  lang- 
gehaltenen?  in  harmonischem  Wechsel  gefitlirtenOberstimmen 
in  die  Holie  bewegt?  zu  dein  ersten  Satze  zuriick.  In 
seiner  Gresarnnitheit  ist  der  Clior  von  einer  gewissen  feier- 
liclien  Pracht7  die  Instrumental-Begleitiing  selir  bewegt. 
Die  Oboen?  hie  und  da  in  selbstandige  Ton -Gauge  ab- 
weichend,  yerstarken  nieist  die  Melodic.  Die  Trompeten 
und  die  Pauke  sind  lebhaft  beschaftigt. 

Das  bei  deni  Recitativ  Nro.  2.  eintretende  Accoinpag- 
nement  in  A-moll  enthalt  eine  interessante  Begleitungsfigur 
der  Violinen,  wclche  bei  den  Worten 

Der  Men-schen  Hei-land    lebt 

auf  bezeichnende  Weise  in  harpeggirende  jubehide  (range 
iibergehen. 

Sehr  schon  ist  der  Abbruch  des  Accoinpagnements 
zu  deua  Secco- Recitativ  bei  den  Worten  J?Erl6ste  Welt," 
auf  welches  der  Gesang  der  Arie  (C-dur  3/4,  Allegro  niit 
Quartett  -  Begleitung)  Nro.  3.  an  die  obigen  Worte  an- 
klingend; 


Dir     sing*  ich  froh 

mit  der  an  das  Accompagnernent  des  vorhergehenden  Re- 

citativs  erinnernden  Violin-Begleitung  ohne  Vorspiel  eintritt. 

Nach  diesen  Andeutungen  wiirde  mart  in  dieser  Arie 

ein  Stuck  von  interes&anter  Bedeutung  erwarten 


—    136    — 

Dieselbe  1st  im  ersten  Satze  melodisch  gehalten,  die  Motive 
oft  wiederkehrend  in  lebhafter  Coloratur,  die  Violin -Be- 
gleitung  mit  der  Stimme  concertirend  und  den  Character 
der  Passagen  des  Accompagnernents-Recitativs  nicht  ver- 
lassend.  Der  Mittelsatz  J7Dich  halt  der  Tod"  etc.  ist 
dagegen  breit  und  ohne  Interesse.  Das  Ganze  der  Arie 
erinnert  in  der  Form  und  Weise  an  Sebastian  Bach's 
Arien,  ohne  dessen  anregende  Eigenthiirnlichkeit  zu  zeigen 
und  ohne  die  alte  Form  dnrch.  Nenheit  und  Reiz  der  Gre- 
danken  zu  beleben.' 

lioher  steht  das  auf  das  Secco -Recitativ  des  Tenor 
;;So  sei  nun  Seele"  unter  Nro.  5.  eintretende  Arioso 
(Largo?  G-inoll,  V^)?  dessen  Cantilene  in  ahnlicher  Weise 
•vvie  in  den  begleiteten  Recitativen  der  Sebast.  Bach'schen 
Matthaus- Passion  gehalten  ist  und  von  Enianuel  Bach's 
besonderer  Grabe  der  Melodik  im  lyrischen  Styl  Zeugniss 
ablegt  Dieses  Aiioso  geht  weiterhin  in  ein  Sopran-Reci- 
tativ  mit  Accompagnenient  iiber.  Mit  den  Worten  }J Welch' 
eine  ungezahlte  Menge"  beginnen  die  Streich-Instru- 
mente  in  Via  No  ten  gebrochene  Accorde?  die  sich  mit 
der  recitativischen  Declamation  fortbewegen;  wahrend  die 
Orgel  die  Tone  des  Grundbasses  tiberall  so  lange  aushalt, 
bis  der  Harnionien-Wechsel  eintritt.  Das  Recitativ  ge- 
winnt  hiedurch  ein  phantastisch  lebendiges  Colorit?  das  die 
gewohnlichen  Grrenzen  der  hergebrachten  Fornien  tiberragt. 

Dagegen  fallt  die  Arie  Nnx  6.  Andante  fur  Sopran, 
C-dur  $/4y  2  Floten?  Quartett  mit  Sordinen,  in  die  interessen- 
lose  breite  Behandlung  der  alten  Arien-Form  zuriick  und 
erreicht  im  Inhalt  die  Arie  Nro.  3.  keineswegs.  Den  Schluss 
bildet  Choral  Nro.  7.  ;?Heut7  triumphiret  Grottes 
Sohn",  der  aus  Sebastian  Bach's  Choralen  (Nro.  79.  der 
2.  Ausgabe)  unverandert  iibernommen  ist  Es  scheint?  dass 
Emanuel  Bach  fiir  den  Schluss  kein  grossere  Wirkung 
schaffen  zu  konnen  glaubte  als  dadurch,  d'ass  er  auf  eine 
Arbeit  seines  Vaters  zuruckgi-iff. 

Die    vorliegende   Musik    reprasentirt    wesentlich    die 


—    137    — 

alte  Form  der  Kirehen-Cantateu  Sebastian,  Bach's,  ohne 
dass  zugleich  deren  Inhalt  mitgegeben  wurde.  Was  jener 
fur  die  Kirchen-G-enieinde  vorzugsweise  geeignet  erachtete. 
Choral  und  Chor?  sind  Her  nur  in  geringem  Maasse  vertreten. 
Was  ausserlich  nnterhalten,  reizen,  bestechen  konnte,  die 
Arie  und  der  Gesang  im  Allgemeinen,  liberwiegt,  ohne 
dass  der  Ernst,  die  Grosse  und  Witrde  der  alteren  Schule 
darin  erkennbar  ware.  Mit  dieser  Cantate  in  der  Hand 
als  Empfehlungsbrief  wurde  Emanuel  Bach,  ungeaehtet 
des  Schonen,  was  in  derselben  anzuerkennen  ist?  schwerlich 
den  Weg  der  Unsterblichkeit  gefunden  iiaben.  Sieben 
Jahre  Jagen  zwischen  ihr  und  dem  Magnificat.  Ein  Fort- 
schritt  lasst  sicii  bier  nicbt  erkennen.  Es  war  die  von 
der  Opernbuhne  in  die  Kirclie  versetzte  Lyrik?  die  an  die 
Stelle  der  alten  Wiirde7  Kraft  und  Erhabenheit  getreten 
war.  Auf  diesein  falschen  Wege  schritt  Emanuel  Bach 
fart,  als  er  in  der  Stellung  als  Musikdirector  zu  Ham- 
burg berufen  wurde,  flir  die  Kirclie  zu  arbeiten. 

Von  eineni  dritten?  in  Berlin  componirten  Kirchen- 
stiicke,  einer  Trauungs  -  Cantate  aus  dem  Jaln-e  1765 ;  ist 
Naheres  nicht  bekannt. 

E.   Die  weltlichen  und  geistlichen  Lieder. 

Von  dem  Magnificat  aus  entwickelte  sich  Bach's 
Thatigkeit  nicht  allein  fiir  die  spatcre  Ausdehnung  der 
Kirchencompositionen,  sondern  wesentlich  auch  fiir  den 
Einzelngesang  in  dem  deutschen  Liede.  Man  begegnet 
In  den  Urtheilen  uber  ihn  vielfach  der  Ansicht,  dass 
er  kein  Talent  und  Interesse  fur  den  Gresang  gehabt 
habe.  Selbst  Eeichardt?  der  doch  im  Jahre  1773  mit 
grossem  Enthusiasmus  einige  seiner  mittelmassigen  Arien 
aus  den  Israeliten  in  der  Wiiste  fur  grosse  lleisterstucke 
erklart  hatte,  liess  nach  Bach's  Tode1)  von  ihm  drucken, 


i)  Musik.  Almanaeli  v. 


—    138    — 

dass  er  in  seinen  Gesangs-Werken  mehr  als  ein 
grosser  Instrumental-Componist  zu  betrachten  sei, 
,,welehem  Studium  der  Spraehe  und  Poesie,  feines 
tiefes  Gefuhl  und  der  aus  ganger  JBildung  des  in- 
neren  Menschen  hervorgehende  Geschmack  fur  dajs 
hoch  einfaclie  Schone  mangle."  Alles  dies  ist  falseh. 
Grade  die  innere  Bildung  Bach's,  sein  reger  Sinn  fur  die 
edlen  poetischen  Erscheinungen  in  seiner  Zeit,  der  har- 
monische  Geschmack  der  in  ihm  lebte,  waren  es,  vermoge 
deren  er  ein  Gebiet  beschreiten  konnte,  auf  dessen  wenig 
betretener  Bahn  er  neue  Kunstfonnen  erstehen  liess. 

In  sein  em  Entwickelungs-Gange  lag  vor  Allem  das 
Talent  fur  den  einfachen  Gesang,  Wie  er  es  als  seine 
besondere  Aufgabe  betrachtete,  fur  die  Instrumental-Musik 
sangbar  zu  schreiben,  weil  er  dadurch  rithren?  ergreifen 
wollte,  so  war  die  Cultur  der  Melodie  seiner  Besonderheit 
gemass.  Desshalb  war  er  beniuht,  ihr  das  Barocke,  Herbe, 
Ungefugige,  das  sie  aus  der  contrapunktischen  Schule 
uberkommen  hatte;  abzustreifen.  Der  italienische  Gesangs- 
stjlj  den  er  in  Berlin  kennen  gelernt  hatte;  war  an  ihni 
nieht  ohne  Wirkung  voriibergegangen.  Graun  und  Hasse, 
deren  Compositionen  bei  Konig  Friedrich  vorzugsweise 
in  Gunst  standen;  waren  grosse  Meister  in  den  Kunstformen, 
die  den  Gesang  als  solcken  zur  Geltung  brachten. 

In  seiner  fruhesten  Jugend  hatte  Bach  wohl  einige 
Arien  gesetzt.  Von  grosseren  Gesangswerken  aus  alterer 
Zeit  ist  aber  nichts  von  ihm  bekannt  geworden.  Seine 
weiteren  Arbeiten  bis  zuin  Jahre  1749  unifassen  vielmehr 
lediglich  das  Feld  der  Instrumental-Composition.  In  dem 
gedachten  Jahre  erschien  das  Magnificat  mit  seinen  iiber- 
aus  gesangvollen  Solosatzen.  Vier  Jaln-e  spater,  1753,  be- 
gegnen  wir  den  ersten  deutschen  Liedern  Em.  Bach's  in 
einer  Sammlnng  (Berlin  bei  Birnstiel)  unter  deia  Titel; 

»0d&n  mit  Mekdien", 
yon  denen  die  drei  ifummern; 


—    139    — 

10.  ,,Sie  flieliet  fort",  von  Kleist, 

14.  ??Dass   ich  bey    meiner   Lust   durch   keinen 
Zwang  mich  qualeu, 

18.  ??Den  fllichtigen  Tagen  wehrt  kerne  Gewalt", 

von  Gleiin, 

aus  seiner  Feder  sind.  Sonst  finden  sich  darin  noch  Lieder 
vonAgricola,  Gratin?  Nichelmann,  Quantz,  F.  Benda, 
Teleinann  und  J.  J.  Graun.  Im  zweiten  Theile  ist  No.  3 
von  Bach. 

Diese  Oden  -vvaren  so  sclmell  vergriffen,  dass  im  Jahre 
1754  eine  neue  Auflage  gedruckt  werden  musste1).  ?3Sie 
hielten,  wieMarpurg  von  ihnen  sagt;  das  Mittel  zwischen 
deni  gekrauselten  und  zu  glatten  Styl  und  waren  dem 
Inhalte  der  wohlgewahlten  Poesien  angemessen,  bey  wel- 
chen  man  weder  errothen  noch  gahnen  durfte!" 

Im  Jahre  1756  erschienen  bei  Breitkopf  in  Leipzig 

Berlinische  Oden  mit  ^lelodim, 

wovon  die  Nummern  11.  17.  21  des  ersten  und  4  und  6 
des  zweiten  (erst  1759  erschienenen)  Theils  ihm  angehoren, 

Eine  andere  Sammlung?  bios  Lieder  von  Em.  Bach 
enthaltend,  in  der  zum  grossen  Theile  die  obigen  Lieder 
wieder  aufgenominen  waren?  erschien  gleichfalls  unter  dem 
Titel: 

7?0den  mit  Melodien" 

iin  Jahre  1762  bei  Wewer  in  Berlin.  Sie  enthielt  zwanzig 
verschiedene  Gesange?  meist  in  der  damaligen  Liederform? 
welche  sich  fur  die  jetzige  Auffassung  nicht  iiber  ein  ge- 
wisses  Niveau  mittleren  Werths  erheben.  Die  einfache 
Setzart  lasst  diese  Ai^beiten  ziemlich  durchsichtig  erscheinen. 
Lieder?  wie  das  folgende: 


Kritische  Biiefe  liber  die  Tonkunst.    Bd.  I.    S.  243. 


—    140    — 
Der  Morgen. 


In  tier  Bewegung  der  Reveil 


Tins 


:K 
LLJ 


L.LJ 


^--x-f — +|- — p — ^ 

ro   -   the    in  Bnsch  und     WaH, 


==fg=*=i!*=!Sa 
^iM^^S^i 

wo  schon  derHir-ten 


-/— 


i  t 

Flo  -  te    in's  Land    er   -    schallt.  Die    Ler     -     che 

l-to--,— T^W^=^-H<ta|fe=j 


steigt  und  schwir  -  ret  von  Lust  erregr,  die  Taube  lacht  und 


H-«rj-3-=i-«=yqT:?T. 

— j--«— *   • — tfTH {__} 1_ 

»  -t-  -j-        -^i 

gir    -    ret,    die      Wach     -    tel     schlagr. 


sind  zwar  noch  setr  viel  spater,  zumal  als  sogenannte 
Jagdlieder  in  Melodic  und  Rhythmus  hundei;tfach  wieder- 
holt  worden;  aber  den  ungeheuren  Forttschritt,  den  das 


—    141    — 

deutsche  Lied  Em.  Bach  verdankt,  lassen  sie  docli  nicht 
entfernt  ahnen. 

Die  in  dieser  Sammlung  enthaltenen  Lieder  waren 
folgende: 

1.  Herr  Bruder,  meine  Schone. 

2.  Eilt,  ihr  Schafer. 

3.  Noch  bin  ich  jung. 

4.  Dass  ich  hei  meiner  Lust. 

5.  Den  fliichtigen  Tagen. 

6.  Uns  lenkt  die  Morgenrothe. 

7.  Amor  sagte  zu  Cytheren. 

8.  Ein  fauler  Feind. 

9.  Als  Amor  in  goldenen  Zeiten. 

10.  Entfernt  von  Grain  und  Sorgen. 

11.  Sie  fliehet  fort. 

12.  Ihr  niissvergnugten  Stunden, 

13.  Ein  Kiisschen,  das  ein  Kind  mir  schenket, 

14.  Ehret,  Briider. 

15.  Serin?  der  hochberiihmte  Mann. 

16.  Das  Fest  der  holden  Ernestine. 

17.  Es  war  ein  Madchen  ohne  Mangel. 

18.  Die  Tugend. 

19.  Des  Tages  Licht. 

20.  Heraus  aus  deiner  Wolfesgruft. 

Einige  Lieder  ahnlicher  Art  erschienen  spater  unter 
der  Bezeichmmg  ?3Sing-Oden"  unter  den  1766  zu  Berlin 
herausgekommenen  Clavierstiicken  verschiedener  Art. 

In  diesen  ist  bereits  ein  Fortschritt  zum  spezielleren 
Ausdruck  benierkbar.  Es  moge  eines  von  ihuen  folgen? 
welches  die  geistvolle  Art,  in  der  Bach  selbst  so  nichts- 
sagende  Texte  zu  behandeln  wusste7  erkennen  lasst: 

Etwas  lebhaft. 


Bass  Damon      me      Be  -   lin    -    den 


—    142 


den  doeh  Ver   -    stand    und      Tu     -     gend 

Jplp 


zieret, 


-«-!«• 


das  \vundert  Euch?  Wie  kdnn-ten 


ihm  Ver-dien-ste    nutzen?  Ihm  fehlt  sehr  viel,   sie    zu      be- 


Er    ist  nicht 
-*- 


reich, 


Jf 

er  ist  nicht  reich! 


Alle  diese  metr  oder  weniger  vereinzelten  Versuche 
wiirden  wohl  okne  Bedeutung  geblieben  sein?  wenn  es 
nieht  die  dents che  Literatur  gewesen  ware,  die  Em.  Bach 
in  einer  ihrer  edelsten  Bltithen  zu  Hilfe  kam.  Im  Jahre 

1757  hatte  Christian  FtLrchtegott  Grellert  seine  geist- 
lichen  Oden  und  Lieder  herausgegeben.   Noeh  in  demselben 
Jahre  waren  sie  yon  Bach  in  Musik  gesetzt  und  kamen 

1758  bei  Gr.  L.  Winter  in  Berlin  heraus.     Es  hatte  nur 
einer  geeigneten  Anregung,    eines  glucklicheu  Ungefahrs 
bedurft,  um  ihn  in  eine  Bahn  eintreten  zu  lassen,  auf  der 
er  sein  grosses  Talent  fiir  Melodie  und  Gesang  in  einer 
seiner  wurdigen  Eichtung  entfalten  konnte.    Mit  dies  em 
schonen   und  edlen  Werke  ist  Em.  Bach  der  Be- 


—    143    — 

grunder  und  Schopfer  des  deutschen  Liedes  in  sei- 
ner jetzigen  Bedeutung  geworden. 

Die  Composition  weltlicher  Lieder?  d,  h.  soldier, 
welche  nicht  unraittelbar  den  Beruf  hatten,  der  Kirehe  als 
Chorale  zu  dienen,  war  von  den  Musik-  und  anderen  G-e- 
lehrten  jener  Zeit  mit  iiberwiegender  Geringsehiitzung  be- 
traehtet  worden.  Dass  die  ersten  Versuche  in  dieser  Bich- 
tung  zuni  nicht  geringen  Theile  anonym  erschienen,  ist 
nicht  ohne  Bedeutung.  Freilich  findet  man  auch  in  den 
Liedern  selbst  der  besseren  Tonsetzer  zu  altmodischeiij  der 
Zopfperiode  der  deutschen  Literatur  angekorigen  Texten 
noch  lange  Zeit  hindurch  jenen  steifen  Charakter,  der, 
durch  die  Kindheit  der  Musikform  begrtindet,  Melodie 
ohne  Leben  und  "Warme,  Begleitung  ohne  Barmonischen 
und  charakterischen  Zusamnienhang  mit  dem  Inhalte  des 
Liedes  gab. 

Es  muss  als  ein  besonderes  Verdienst  der  Berliner 
Scliule  geriihmt  werden,  dass  sie  zuerst  dem  Liede  eine 
specielle  Aufmerksamkeit  widmete.  Em.  Bach?  beide 
Grraun,  Kirnberger?  A  gricola?  Niche Imann,  Quantz, 
Marpurg  und  Fasch  scheuten  sich  nicht?  dem  alten  Vor- 
urtheile  entgegen  einfache  Melodien  in  der  bezeichneten 
Manier?  zu  einfachen  hie  und  da  bezifferten  Bassen  zu 
setzen  1),  Freilich  war  die  Melodie  eben  ohne  Tiefe  und 
Inhalt;  ohne  Verschnielzung  mit  dem  begleitenden  Clavier. 
Es  waren  rhythmische  Gesange  zu  allerhand  Worten,  die 
ebensogut  auch  auf  andere  Teste  hatten  gesuugen  werden 
konnen  und  kaum  einem  anderen  Zwecke  dienen  konnten 
und  sollten,  als  dem  Dilettantisms  jener  Tage.  Zwar 
hatten  Emanuel  Bach,  Grraun  und  Kirnberger  den 
Versuch  gemacht?  iiber  das  Maass  des  Hergebrachten  hin- 
aus  ansprechendere  Form  en,  inhaltsvollere  Gedanken  in 


i)  Auch  von  Sebastian  Bach  undTelemann  wissen  wir,  dass 
sie  zu  ihrer  Zeit  Lieder  gesetzt  haben.  Fried.emann  Bach  bat  siek 
zu  solcher  Niedrigkelt  »ie  bmabgelassen. 


—    144    — 

das  Lied  zu  legen.    Aber  es  waren  eben  vor  Allera  die 
Dichtungen,  welche  fehlten. 

Wohl  hatte  die  schone  Riickwirkun'g,  welche  die  zur 
Bliithe   aufschwellende   Volkspoesie    auf  die    musikalische 
Behandlung  dieser  Kunstform  hatte  ausuben  konnen,   der 
innere  Zusammenhang  zwischen   beiden  schon   fruher  ei*- 
kennbar  werden  sollen,  jener  Volkspoesie,  mit  der  Burger, 
Hagedorn,   GHeim,    Herder,   Claudius,    Holty,   Uz, 
Voss,  Overbeck  und  Andere  das  deutsche  Publikum  zu 
besehenken  begonnen  batten.  Ihre  Gedichte  waren  mit  Be- 
gierde  und  Beifall  aufgenommen,  gelesen,  gelernt,  gesungen 
worden.     Aber   diese  Lieder   selbst    gehorten    noch   ihrer 
Zeit  an.    So  viel  Schones,  Anregendes  sie  boten,  es  feblte 
ihnen  das  Eine?   das  ihrer  Verwendbarkeit  fur  die  Musik 
nothwendig  war:  die  Allgenieinlieit  des  poetischen  Grehalts, 
der  auf  Alle  gleichrnassig  wirken  konnte,    aber  auch  zu- 
gleich  dahin  drangte,  der  darauf  verwendeten  Musik  den 
Stempel  innerlicher  Besonderheit  zu  yerleihen.    Die  Zeit, 
von  der  hier  die  Rede  ist,  war  eben  noch  eine  nach  Stan- 
den  und  Vorurtheilen  vielfach  zerkliiftete,  auf  dem  Grebiete 
der  inneren  Bildung  und  der  socialen  Stellung  zahlreiche 
Abstufungen  und  Trennungen  zeigend.     Und  dies  sprach 
sich  theils  in  dein  Grehalt  der  Lieder,    theils   in  der  Art 
und  Weise  aus,  wie  diese  von  den  verschiedenen  IQassen, 
auf  die   sie   zu  wirken   bestimmt  waren    oder  iiberhaupt 
wirken  konn ten,  aufgenommen  wur den.   Jed er  Stand  suchte 
sich  aus  der  neu  aufsprossenden  Poesie  jener  Tage  einzeln 
heraus,  was  ihm  zusagte. 

Konnte  da  die  Musik,  welche  den  Inhalt  verallge- 
meinern  sollte,  anders  als  nur  ganz  oberflachlich  verfahren? 
Konnte  sie  gleichzeitig  die  Melodie  und  deren  liarmonische 
Unterlage  fur  ein  Publikum  individualisiren ,  das  sie  zum 
einen  Theil  nicht  verstanden,  zum  anderen  Theile  nicht 
gemocht  haben  wiirde? 

Anders  stand  es  mit  dem  geistlichen  Liede,  das  in 
der  zweiten  Halfte  des  Jahrhunderts  in  grosserer  Reife 


—    145    — 

und  Qediegenheit  auftrat  Der  geistliehe  Stand,  das  hohere 
und  niedere  Biirgerthunij  deijenige  Tlieil  des  Adels,  der 
Ton  der  religiosen  Zerfahrenheit  der  Zeit  unberfihrt  ge- 
blieben  war?  standen  zu  diesen  Dichtungen  in  einem  un- 
mittelbaren  Verstandniss,  drangen  mit  Lebhaftigkeit  in 
deren  inneren  Kem  ein.  Der  Antheil,  den  sie  an  der  geist- 
lichen  Liederpoesie  zu  nehinen  begannen,  wirkte  auf  den 
Adel  und  die  Frachtbarkeit  der  dahin  gerichteten  Be- 
strebungen  zuriick,  in  denen  Grellert,  die  Stolberg, 
Klopstock,  Cramer,  Hunter,  Sturm  und  Andere  mit 
so  yieler  Liebe  und  Begeisterung  thatig  waren. 

Von  diesem  Gesicntspunkt  aus  muss  man  das  Er- 
scheinen  der  geistlichen  Lieder  Grellert's  betrachten.  Die 
Allgemeinheit  der  in  ihnen  niedergelegten  Poesie?  ihre 
tiefe  Innerlichkeit  und  fgomme  Zuversicht?  ihre  jedem 
cnristlichen  ^Herzen  gleich  zugangliche  Stimmung  heben 
sie?  inancher  einseitigen,  zum  Theil  hyperorthodoxen  Seiten 
ungeachtet  uber  die  Verganglichkeit  des  bin-  und  her- 
scnwankenden  Modegeschmacks  hinaus,  dem  so  viele  ihrer 
weltlichen  Zeitgenossen  zum  Opfer  fallen  mussten. 

Bach  war  es?  der  sich  ihrer,  der  erste  in  seiner  Zeit, 
mit  richtigem  Blicke  bemachtigt  hat.  Durch  die  Musik 
geschmiickt,  yerschont,  wollte  er  sie  in  noch  weitere  Kreise 
hineintragen.  Dass  er  so  handelte?  zeugt  von  seiner  grossen  • 
Begabung  fiir  den  klinstlerischen  Fortschritt.  Was  er  in 
diesem  ersten  Ergreifeii  eines  ganz  neuen  Kunstzweiges 
geleistet  hat,  stellt  ihn  in  die  Reihe  der  grossen  Erschei- 
nungen,  durch  welche  die  Kunstgeschichte  in  ihrer  stetigen 
Entwickelung  gefordert  worden  ist.  Der  Dank?  den  die 
Nachwelt  grossen  Mannern  verschuldet,  benxisst  sich  nicht 
nach  der  Frage:  Ob?  wenn  sie  nicht  gewesen  wiiren,  irgend 
ein  anderer  an  ihrer  Stelle  das  Namliche  geleistet  haben 
wtirde?  Ihre  Anerkennung  bindet  sich  an  Thatsachen  und 
nicht  an  Voraussetzungen. 

Gern  mag  zugegeben  werden7  was   eine  spHtere  Zeit 

Bitter,  Bwwrael  «o4  Friederaann  Bach.  10 


—    146    — 

an  seinen  Liedern  zu  tadeln  gefunden  hat,  dass  er  des 
Wortausdrucks  nicht  vollig  Herr  geworden  1st.  Dies  1st 
der  schwaclie  Punkt,  der  dem  deutsclien  Liede  noch  bis 
in  das  jetzige  Jahrhundert  hinein  gefolgt  1st,  obschon  der 
gewaltige  Fortschritt  in  der  Poesie  zu  einer  eingehenderen 
Pragnanz  der  Melodien  hatte  auffordern  konnen.  Dass 
Bach  den  Mangel,  der  hierin  lag,  wohl  gefuhlt  hat,  wird 
man  weiterhin  sehen.  Die  Walirbeit  der  (Jesammtstimniung 
aber,  wie  sie  sich  in  der  neu  gescliaffenen  Gesangsforni 
ina  Allgemeinen  ausdriickte  und  wie  sie  ja  aucli  seinem 
Streben  nach  kiinstlerischer  Einheit  in  der  Senate  ent- 
sprach,  war  eine  uberraschende  Erscheinung,  die  vor  Bach 
noch  nicht  beobachtet  worden  war. 

Das  religiose  Lied,  mit  dem  er  den  Boden  dieser 
neuen  Stimmungs-Bilder  betrat,  war  seinem  Streben  und 
Charakter  giinstig.  Ihm  hat  er  sich  daher  auch  mit  beson- 
derer  Vorliebe  zugewendet.  Das  weltliche  Lied  beschaf- 
tigte  ihn  nur  noch  nebenbei.  Seine  Lieder  ,,Fiir  das 
Herza  bekunden  erst  in  ihren  alleiietzten  Ansgangen, 
hart  am  Ende  seines  langen  Lebens  einen  bemerkbaren 
Fortschritt  Mit  den  geistlichen  Liedern  ist  er  unmittelbar 
auf  den  Boden  tibergetreten,  von  dem  aus  er  uns  die  schone 
Grabe  des  deutschen  Liedes  in  unser  dankbares  Jahrhun- 
dert  hiniibergereicht  hat.  Was  andere  Tonsetzer  von  Be- 
detitung  (es  niogen  als  solche  hier  vorzugsweise  seine 
nachsten  Nachfolger  Eeichardt  und  Schulz  genannt  wer- 
den)  unmittelbar  nach  ih-m  geschaffen  haben7  geschah  in 
der  von  ihm  gegebenen  Richtung,  auf  dem  von 
ihm  gewonnenen  Terrain.  Er  verliess  die  magere, 
jneist  zweistimmige  Behandlung  der  Melodie,  stellte  sie 
selbstandig  in  den  Charakter  des  Gredichts  und  gab  ihr 
eine  bestimmt  geformte  harmonische  Begleitung. 

In  dieser  Thatsache  Kegt  der  Wendepunkt,  den  das 
deutsche  Lied  durch  ihn  genommen  hat.  Em.  Bach  hatte 
das  voile  Bewusstsein,  mit  der  Composition  der  Gellert'- 
schen  Lieder  etwas  Bedeutsames  geleistet  zu  haben. 


—    147    — 

In  der  Vorrede,  mit  der  er  deren  Herausgabe  "beglei- 
tet,  sagt  er: 

,,Es  wiirde  iiberfllissig  sein,  zum  Lobe  des  beriihmten  Herrn  Yer- 
fassers  dieser  Lieder  etwas  anzufiihren,  da  der  allgemeine  Beifall,  den 
seine  Arbeiten  iiberhaupt  erhalten  haben,  viel  zu  bekannt  ist.  Ab- 
sonderlich  kann  man  ihm  fiir  die  Mittheilung  dieser  Sammlung  nicht 
genug  danken,  well  man  von  dem  ausnehmenden  Nutzen,  welchen  er 
dadnrch  gestiftet  hat,  vollkommen  Uberzeugt  Ist.  Ich  fiir  mein  Theil 
bin  von  der  Yortrefflichkeit  der  erhabenen,  lehrreichen  Gedanken, 
wovon  diese  Lieder  voll  sind,  dergestalt  durchdrungen  worden,  dass 
ich  mich  nicjit  habe  enthalten  konnen,  ihnen  alien,  ohne  Ausnahme, 
Melodien  zu  setzen.  Man  weiss,  dass  Lehioden  zur  Musik  nieht  so 
bequem  sind,  als  Lieder  fiir  das  Herz;  jedoch  wenn  die  ersteren  so 
schon  sind,  wie  sie  Herr  G-ellert  machet,  so  empfindet  man  einen 
angenehmen  Beruf  bey  sich,  alles  mdgliche  beizutragen,  damit  die  Ab- 
sieht,  in  der  sie  gemacht  sind,  erleichtert  und  folglich  der  Nutzen 
davon  allgemeiner  werde. 

Diese  fromme  Absicht  ist  es  ganz  allein,  welche  diese  Melodien 
veranlasst  hat.  Ich  habe  besonders  denen  Liebhabern  der  Musik  diese 
Lieder  gemeinniitziger  machen  und  ihnen  dadurch  Gelegenheit  geben 
wollen  sich  zu  erbauen. 

Bey  Verfertigung  der  Melodien  habe  ich  so  viel  als  moglich  auf 
das  ganze  Lied  gesehen.  Jch  sage,  so  viel  als  moglich,  weil  keinem 
Tonverstandigen  unwissend  sein  kann,  dass  man  von  einer  Melodic, 
wonach  mehr  als  eine  Sti'ophe  gesungen  wird,  nicht  zu  viel  fordern 
musse,  indem  die  Verschiedenheit  der  Unterscheichmgszeichenj  der  ein- 
und  mehrsylbigen  Worter,  oft  auch  der  Materie  u.  s.  w.  in  dem  musi- 
kalischen  Ausdrucke  einen  grossen  Unterschied  machet.  Man  wird 
ans  meiner  Arbeit  ersehen,  dass  ich  auf  verschiedene  Art  vielen  der- 
gleichen  Ungleichheiten  auszuweichen  gesucht  habe. 

Ich  habe  meinen  Melodien  die  nothigen  Hannonien  undManieren 
beigefugt.  Auf  diese  Art  habe  ich  sie  der  Wilkiir  eines  steifen  Gene- 
ralbassspielers  nicht  uberlassen  ^  diirfen ,  und  man  kann  sie  also  zu- 
gleich  auch  als  Handstiicke  brauchen,  da  die  Singstimme  allezeit  in 
der  Hohe  liegt,  so  werden  ungeiibte  Halse  dadurch  eine  grosse  Er- 
leichterung  spur  en. 

Ich  lief  re  sie  in  der  Ordnung,  in  der  ich  sie  geschrieben  habe. 
Bey  einem  Paar  Liedern  habe  ich  zur  Yeranderung  ein  angenommenes 
Thema  mit  eingemischt:  hoffentlich  wird  dieser  Umstand  ebensowenig 
afflstdssig  seyn,  als  bei  ausgefiihrten  Choralen,  wo  er  noch  weit  ofterer 
vorkommt.  Die  Melodien,  woriiber  man  die  Worter  lebhaft,  mun- 
ter  und  dergl.  antrifft,  erfordern  eine  massige  Greschwindigkeit; 
widrigenfalls  kann  man  gar  leicht  in  einen  frechen  Ausdniek  verfallen, 
wobey  man  vergisst,  dass  man  geistliche  Lieder  vor  sich  hat. 

Zuletzt  wfesdfee  ieh  mir  auch  bey  diesen  Yersuchen  den  Beyfallt 

10* 


—    148    — 

womit  Kenner  meine  bisherigen  Arbeiten  beehrt  haben,  und  will  mich 
gliicklich  schatzen,  wenn  Ich  meine  gute  Absichten  errreicht  habe. 
Berlin,  den  1.  Febraar  1758. 

C.  P.  E.  Bach." 

Hieraus  ergiebt  sicli  vor  AUern,  dass  diese  Lieder  ihre 
Entsteliung  keinero  anderen  Motive  zu  verdanken  haben, 
als  der  Bewunderung  und  dem  holien  Werthe,  welche 
Bach  den  Gellert'schen  Gedichten  beirnass.  Die  fromine 
Religiositat,  die  in  ihnen  lag,  hatte  offenbar  in  seinem  In- 
nern  einen  verwandten  Ton  anklingen  lass  en.  Die  Tradi- 
tionen  seiner  Jugend,  seiner  Familie  wurzelten  in  den  Be- 
trachtungen  religiosen  fnhalts,  in  der  Uebung  der  alten 
Sitte?  die  den  Choral  zum  Mittel-  und  Ausgangspunkt  der 
Musik  gemacht  hatte.  So  hatte  er  seine  Kunst  gelernt, 
geubt,  verehrt.  War  er  selbst  auch  aus  den  Ansehauungen 
einer  der  Elirche  und  ihrem  Dienste  geweihten  Kunst- 
iibung  herausgetreten,  so  lebten  die  Keinie  dieser  Bestre- 
bungen  doch  noch  tief  in  ihm.  Darum  hatte  er  den  Nutzen 
jener  schonen  Dichtungen  allgemeiner  raachen  wollen; 
darum  hatte  er  sie  alle  componirt.  Dies  ist  bedeutsam 
fur  die  Zeit,  in  der  das  Bedtirfniss  der  hauslichen  Ar^- 
dachten  noch  nicht  ganz  verloren  gegangen  war.  Bach  ver- 
birgt  sich  dabei  nicht?  ;?dass  die  geistlichen  Lieder  dem 
G-esange  weniger  bequem  seien?  als  die  Lieder  fiir  das 
Herz."  Mit  anderen  Worten:  die  sentimentale  Bichtung 
hatte  auch  schon  zur  Zeit  jenes  ersten  Uranfangs  fiir  das 
Lied  ihre  weitgreifende  Wirkung  geiibt.  Dennoch  liess 
er  sich  nicht  abhalten?  ihr  diese  seine  ernsteren  Tondich- 
tungen  gegenuberzustellen.  Es  war  eben  der  Drang  des 
Berufs,  den  er  in  sich  ffihlte;  ein  Beruf,  der  sieher  seine 
Frfichte  getragen  hat. 

Eine  andere  nicht  weniger  interessante  Bemerkung? 
die  sich  aus  dieser  Vorrede  aufdrangt  ist  die?  dass  Bach 
sehon  damals  sehi%  wohl  die  Uebelstande  gefuhlt  hat?  mit 
welchen  das  Lied  zu  kanipfen  hatte  7  wenn  alle  Strophen 
eines  Gedichts  nach  einer  und  derselben  Melodie  gesungen 
werden  mussten.  Er  hatte  >7auf  das  ganze  Lied" 


—    149    — 

sehen  rau.«sen.  liiedurch  war  ihm  der  Wortlaut  im  Ein- 
zelnen  in  die  zweite  Linie  getreten.  Es  ist  bernerkens- 
werth,  dass  er  diesen  Uebelstand  ?  den  E.  Schneider1) 
gerade  an  seinen  Gellert'schen  Lieder  so  streng  tadelt, 
so  bestimmt  als  solchen  signalisirt  hat. 

Die  Frage  liegt  nahe?  warum  ein  so  genialer  Musiker 
wie  er  es  war?  nicht  dadurch  auf  den  Gedanken  gebracht 
worden  1st,  die  Lieder  durchzucomponiren?  Denn  dass 
die  Strophenforai  dem  grossen  Inhalt  der  Texte  gegenuber 

oft  sehr  eng  war,  ist  nicht  zu  verkennen.  Aber 

die  Kunst  Lieder  zu  setzen,  war  eben  noch  gar  Jung. 
Bach  hatte  ihr  auf  die  Beine  geholfen,  sie  frei  und  fest 
gehen  gelehrt.  Berge  zu  ersteigen,  steile  Hohen  zu  erklim- 
men?  dazu  war  sie  noch  nicht  kraftig  genug.  Dennoch 
war  es  eben  Em.  Bach?  der  weiterhin  auch  liber  diese 
Grenze  fortstieg  und  mit  durchcomponirten  Liedern  geist- 
lichen  und  weltlichen  Inhalts  die  eiiimal  beschrittene  Bahn 
erweiterte. 

Er  setzt  endlich  ausdriicklich  hinzu,  dass  ?Jer  den  Melo- 
dien  die  Harnaonien  und  Manieren  beigefiigt  habe?  um 
sie  nicht  der  Willkiir  steifer  General-Bassspieler  zu  iiber- 
lassen."  Bis  dahin  waren  die  Lieder  nur  mit  dein  beziffer- 
ten  oder  unbezifferten  Bass  gesetzt  worden.  Was  derAc- 
compagnist  aus  der  Begleitung  weiter  rnachen  wollte?  war 
seine  Sache.  Bach  hatte  auch  hier  zuerst  richtig  erkannfc, 
welchen  Werth  gerade  fiir  das  Lied  eine  ihm  angeDiessene 
Begleitung  haben?  wie  sehr  der  Eindruck  auf  den  Zuhorer- 
kreis  da  von  abhangig  sein  musste?  dass  diese  Begleituug 
nicht  bloss  der  Melodic  die  generalbassmassige  Harmonie 
geben?  sondern  dass  sie  auch  den  Charakter  des  Liedes 
heben  und  verstarken  konne.  Er  hat  grade  mit  dieser 
Neuerung  (denn  eine  solche  war  es  uud  als  solche  bezeich- 
net  er  sie  selbst)  den  Bo  den  des  modernen  Lie  des  bctretefi. 
Mit  Recht  sagt  E.  Schneider2)  hieriiber:  ??durch  solche 

1)  Das  mosikalische  Lied.  HI.  S.  214. 

2)  Ebendort,  Band  III.    S.  215. 


—    150    — 

Mittel  stellt  er  die  lyrischen  Hohepunkte  in  das  moglichst 
helle  Licht  und  giebt  den  wechselnden  Gemuthsstimmungen, 
dem  Leidenschaftlichen,  deni  Majestatischen,  dem  Zarten, 
dem  Klagenden  das  angemessene  Colojrit." 

JFreilich  war  in  der  Begleitung  zu  seinen  Liedern 
deren  harmonische  Ausfullung  ebenso  wenig  gegeben,  als 
in  seinen  Sonaten.  Diese  muss  vielmehr  hinzugesetzt  werden, 
wie  dies  auch  dort  geschehen  muss.  Er  war  zu  sehr 
gewohnt,  vieles  als  selbstverstandlich  vorauszusetzen, 
was  wir  jetzt  schwarz  auf  weiss  vor  uns  zu  sehen  ver- 
langen;  als  dass  er  da;  wo  in  der  Harmonie  an  sich  nicht 
mehr  gefehlt  werden  konnte,  diese  in  ihrer  ganzen  Voll- 
standigkeit  geben  zu  miissen  geglaubt  hatte.  Man  darf 
diesen  Umstand  bei  der  Beurtheilung  dieser  Lieder  nicht 
iibersehen,  well  die  Begleitung  sonst  inagerer  und  dunner 
erscheint;  als  dies  sein  darf  und  als  es  bei  der  Vollstimmig- 
keit?  mit  der  die  alte  Schule  vermoge  des  Accompagnements 
selbst  ihre  einfachsten  Stucke  zu  horen  gewohnt  war;  ge- 
meint  sein  konnte. 

Was  die  Manieren  betrifft,  so  bestehen  diese  meistens 
in  den  Vorhalten;  He  und  da  in  Melismen.  Auch  in 
dieser  Hinsicht  war  friiher  das  Meiste  den  Sangern  iiber- 
lassen  gewesen.  In  der  Oper  wurde  der  Missbrauch  den 
man  mit  der  Verzierung  der  Arien  trieb,  noch  lange  fort- 
geschleppt.  Fiir  das  Clavier  hatte  Sebastian  Bach  zu- 
erst  die  Manieren,  welche  er  far  zulassig  oder  nothwendig 
hielt,  nicht  ohne  heftigen  Widerspruch  zu  finden,  vorge- 
schrieben.  In  dem  einfachen  Liede  war  freilich  der  Spiel- 
raum  fur  Verzierungen  geringer  als  in  der  Arie  und  in 
anderen  Tonstticken.  Uin  so  storender  konnte  deren  un- 
passende  Anwendung  werden. 

Die  Melismen  wurden  im  vorigen  Jahrhundert  als 
der  wahre  und  hochste  Schmuck  fur  Arie  und  Lied  ange- 
sehenf  Noch  Nageli  sagt  von  ihnen1):  ,;Jedes  gut  ange- 

*)  Leipz.  Allg.  Mus.-Z.    Jahrg.  19.    S.  764. 


—    151    — 

braclite  Melisma,  auch  nur  von  zwei?  drei  oder  vier  Tonen, 
ist  in  der  Liederkunst  elne  Perle?  die  gleichsaui  an  einer 
goldenen  Kette  hangt."  Er  fiigt  hinzu:  ;?Einanuel  Bach 
hat  sie  am  ausdruckvollsten  und  zugleich  zwanglosesten 
in  die  Form  der  Lieder  verwebt.  In  seinen  Compositionen 
zu  Cramer's  Psalmen  und  Sturm's  Gedichten  finden  sich 
mitunter  Melismen,  die  ein  wahrer  Perlenschmuck  sind." 
Wenn  dies  als  richtig  bestatigt  werden  darfy  so  muss  auch 
hinzugefugt  werden,  dass  Bach  in  der  Anwendung  dieser 
Verzierungen  vorsichtig  und  massig  gewesen  ist?  und  da<?s 
dieselben?  zumal  in  den  Gellert'schen  Liedern,  nur  selten 
vorkommen. 

Diese  Lieder  aber  sind  selbst  einer  Schnur  von  Perlen 
edelster  Art  zu  vergleichen.  Ihr  tiefer  Inhalt  und  die 
Schonheit  und  Abrundung  ihrer  Form  bewahren  noeh  jetzt? 
nachdem  110  Jahre  glanzvoller  und  grossartiger  Ver.voll- 
kommnung  seit  ihrein  Entstehen  dahingegangen  sind?  ihre 
Probehaltigkeit.  Nur  wenige  aus  der  reichen  Sammlung 
von  54  Liedern  konnten  als  unbedeutend  und  veraltet  be- 
zeichnet  werden.  Die  meisten  sind  in  Melodie?  Declama- 
mation  und  Harmonie  voll  von  dem  treffendsten  Ausdruck? 
dabei  von  einer  Einfachheit  und  Naturlichkeit7  die  in  Er- 
staunen  setzt. 

Sollte  Einzelnes   besonders    hervorgehoben  werden,    »o 
wiirden  zu  bezeiehnen  sein: 

Das  Abendlied:  Fur  alle  Giite  sei  gepreisst;  Ge- 
duld:  Ein  Herz7  o  Gott;  Bitten:  Gott,  Deine  Gute 
reicht  so  weit;  Gottes  Gross e  in  der  Natur; 

Es  mogen  ferner  erwalmt  werden: 

Giite  Gottes;  Das  Passions -Lied:  Erforsche  mich? 
erfahre;  Die  Ehre  Gottes:  Die  Himmel  erzahlen-, 
Das  Gebet:  Dein  Heil,  o  Christ  7  nicht  zu  ver- 
sch^rzen;  Trost:  Du  klagst,  o  Christ;  Preis  des 
Schopfers:  Wenn  ich,  o  Schopfer,  Deine  Macht;  Buss- 
lied;  ferner  die  Warnung  vor  der  Wollust:  DerWollust 
Reiz  zu  widerstreben.  Abendlied:  Herr,  der  Du 


—    152    — 

das  Leben.  Das  naturliche  Verderben:  Wer  bin  ich 
von  Natur?  Weihnachtslied:  Das  ist  der  Tag;  den 
Gott  gemacht;  Am  neuen  Jahr:  Er  ruft  der  Sonn'; 
Wider  den  Uebermuth:  Was  ist  mein  Stand,  mein 
Gliick;  Vertrauen  auf  Gott:  Auf  Gott  und  nicht  auf 
liieinen  Rath;  Kampf  derTugend:  Oft  klagt  meinHerz. 

Die  Geilert'schen  Lieder  sind  nach  jener  Zeit  oft 
genug  von  Neuein  coniponirt  worden,  von  Nieraandem  mit 
gleichem  Gliick  und  gleicher  Hingabe,  Da>s  Publikum  er- 
wies  ihnen  die  gebiilirende  Aufmerksainkeit.  Noch  bei 
Lebzeiten  Bach's,  im  Jahre  1784,  erschien  die  funfteAuf- 
lage1).  Beethoven  liat  etwa  funfzig  Jahre  spater  sechti 
Lieder  aus  derselben  Sammlung  gesetzt?  und  zwar: 

Bitten:  Gott,  Deine  Gute  reicht  so  weit;  Liebe 
des  Nachsten:  So.  jemand  spricht;  ich  Hebe  Gott; 
Voin  Tode:  Meine  Lebenszeit  yerstreicht;  Die  Ehre 
Gottes:  Die  Himmel  erzahlen  die  Ehre  Gottes; 
Gottes  Maeht:  Gott  ist  mein  Lied;  Busslied:  An  Dir 
allein,  an  Dir  hab'  ich  gesiindigt. 

Wer  kennt  diese  herrlichen  Gesange  nicht?  Ware  es 
niitzlich;  der  Kunst  forderlich,  zwischen  ihnen  und  den 
Melodien  Emanuel  Bach?s  eine  Paralelle  zu  ziehen? 
Bach  hat  mit  diesen  geschaffen,  was  Beethoven  fertig  x 
vorgefunden,  mit  seinem  schopferischen  reichen  Geiste  aus- 
gebaut  hat.  Was  jener  mit  seinen  Liedern  wollte,  das  hat 
er  in  seiner  Vorrede  klar  und  bestirnmt  gesagt  und  eben- 
so  klar  und  bestimmt  geleistet.  Beethoven  hat  die  Auf- 
gabe  nach  seiner  Besonderheit  aufgefasst  und  seine  Ge- 
sange in  gross  em,  dramatisch  ausgepragten  Charakter 
dargestellt  Nicht  hausliche  Andacht?  fromme  Versenkung 
in  die  Aufgaben  des  Christenthums  sollten  damit  gefdrdert 
warden:  sie  sind  fur  Sanger  von  hoher  Begabung  und  von 
grossen  Stinim-Mitteln  gesehrieben.  Wenn  man  ihnen%Be- 


i)  Eine  Auswahl  clieser  Lieder  ist  kiirzlich  bei  Si  in  rock  in  Ber- 
lin herausgegeben  worden. 


—    153    — 

wunderung  nicht  versagen  kann,  so  darf  man  sich  darum 
die  Freude  nicht  verktimmern  lassen,  die  in  Bach's  em- 
facheren  Tonbildern,  in  ihrer  kindlichen  Frornmigkeit,  in 
ihreni  innigen  Gesange,  in  deni  Reichthum  imd  Adel  ihrer 
Melodien  niedergelegt  ist. 

Im  Jahr  1764  gab  Bach  bei  Winter  in  Berlin  ander- 
weit  Zwolf  geistliche  Oden  und  Lieder;  als  einen 
Anhang  zu  Gellert's  geistlichen  Oden  und  Liedern 
mit  Melodie  heraus. 

Es  lasst  sich  bezuglich  dieses  Anhangs  nur  alles  wieder- 
holen,  was  von  der  Haupt-Sammlung  gesagt  worden  ist. 
Alle  diese  Lieder7  deren  einige  in  choralartigem  Charakter 
gesetzt  sind  (so  der  88.  Psalm:  ??Mein  Heiland?  meine 
Zuversicht;  Ermunterung  zur  Busse:  Mein  Heiland 
nimmt  die  Kinder  an  und  an  Gott:  ErhebJ  aiif  mich 
Dein  Angesicht,"  stehen  auf  der  vollen  Hohe  der  vor- 
hergehenden.  Einige  sind  von  besonderer  Bchonheit,  so 
das  letzte  Lied  (Morgengesangj  ?  dessen  Biehtung  von  der 
Musik  wie  mit  dem  Rosenschimmer  der  aufsteigenden 
Morgenrothe  ivberhaucht  ist. 

Gellert  selbst  war?  wie  ein  Zeitgenosse  berichtet1}, 
liber  Baches  Composition  seiner  Lieder  entziickt.  Mit  Be- 
zug  darauf  schrieb  er  ihin:  ?,Das  beste  Lied  ist  ohne  die 
ihm  eigne  Melodie  ein  liebendes  Herz.  dem  seine  Gattin 
mangelt,  die  seine  Empfindungen  beseelt,  in  dem  er  die 
ihrigen  erweckt." 

Der  Melodien  zu  den  Stolberg'schen  Liedern?  gleich- 
falls  Bach's  Berliner  Zeit  angehorig,  hat  der  Verfasser  zu 
seinem  grossen  Bedauern  nicht  habhaft  werden  konnen. 

Emanuel  Bach's  grosses  Verdienst  um  das  deutsche 
Lied,  dem  er  uiizweifelhaft  zuerst  Parbe  und  Leben  ge- 
geben  hat?  ist  bisher  keineswegs  richtig  gewiirdigt  worden, 
E.  Schneider^  der  in  dem  mehrgenannten  Werke  insbe- 


i)  Siehe  weiter  iraten  dieKritik  iiber  die 
vom  Jahre  1774. 


—    154    — 

sondere  Graun's  Verdienste  uin  diese  Musikgatttmg  her- 
vorhebt,  tadelt  an  Bach's  Melodien  rait  besonderm  Hin- 
weis  auf  die  Gellert'schen  Lieder,  dass  sie  steifund 
trocken  seien1).  ,?Auf  diese  Melodien  konnte  man  jeden 
beliebigen  Text,  auch  einen  frivolen  singen;  und  liier  sollen 
dazu  sehr  fromme,  sehr  ernste  Lieder  gesungen  werden. 
Das  ist  der  Widerspruch,  die  innere  Unwahrheit,  an  der 
Bach's  Lieder  leiden."  Dies  ist  gradezu  unrichtig.  Viel- 
leicht  ware  der  Verfasser  des  ?;Musikalischen  Lie  des," 
das  so  viel  Verdienstliches  enthalt,  zu  einem  andern  Re- 
sultate  gelangt,  wenn  er  ausser  den  Gellert'schen  Liedern 
anch  Bach's  weltliche  Lieder  aus  seinen  letzteu  Lebens- 
jahren  und  die  Sturm'schen  uud  Cramer 'schen  Lieder 
und  Psalmen  berucksichtigt  hatte,  die?  wenn  man  Baches 
Stellung  zum  deutschen  Liede  richtig  beurtheilen  will,  nicht 
ausser  Acht  gelassen  werden  diirfen. 

A.  Eeissmann2)?  der  gleichfalls  Graun  und  neben 
ihrn  Agricola  und  Marpurg  eine  bedeutsanae  Stellung 
fiir  das  Lied  eingeraumt  hat;  ohne  Kirnberger's  nur  dem 
Namen  nach  Erwahnung  zu  thun,  sagt  von  Enianuel 
Bach:  ?;Sein  verstandig  praktischer  Sinn  richtete  sich  auch 
bei  deni  Liede  mehr  auf  eine  Zersetzung  der  Stimmung 
und  auf  die  Darstellung  der  einzelnen  Ziige  desselben  mit 
den  vorhandenen  Mitteln,  so  dass  wir  ihn  den  Vater 
des  durchcomponirten  Liedes  nennen  warden,  wenn  uber- 
haupt  die  lyrischen  Momente  bei  ihrn  zu  unmittelbarer 
Erscheinung  kamen.  So  wird  er  weniger  durch  seine 
Arbeiten  auf  diesem  speciellen  Gebiet,  als  vielmehr  durch 
sein  gesamintes  Wirken  einflussreich  auf  die  Weiter-Ent- 
wickelung  des  Liedes.^  Nach  allem  bisher  Besprochenen 
kann  auch  diese  Bemerkung,  die  einzige7  welche  der  frucht- 
bare  musikalische  Schriftsteller  fiber  Emanuel  Bach  zu 
machen  weiss,  bei  der  er  indess  keine  seiner  bedeutenderen 


1)  A.  a.  0.  III.    S.  215. 

2)  Das  deutsche  Lied.    S.  86. 


—    155    — 

Liedersammlungen  nur  dem  Namen  naeh  anftihrt  and 
dessen  Liedern  er  in  den  Notenbeilagen  zwischen  Graun; 
Agricola,  Marpurg  und  Nichelinann  kein  Platzchen 
reservirt  hat,  nur  fur  unzutreffend,  wenn  nicht  fur  ober- 
flachlich  erachtet  werden. 

Das  deutsche  Lied  in  seiner  jetzigen  Gestalt  ist  eine 
Schopfung  Bach's,  und  den  Anfang  zu  derselben  bilden 
seine  Gellert'schen  Lieder.  Wenn  mit  diesen  ftir  den 
Einzelgesang  gesetzten  Melodien  seine  Thatigkeit  in  Berlin 
fiir  diesen  Kunstzweig  geschlossen  ist,  so  ist  sie  es  doeh 
nicht  fiir  den  Gesang  (iberhaupt.  Er  hat  sich  namlich 
noch  auf  das  Feld  der 

F,   Weltiichen  Cantaten 

begeben. 

Zu  diesen  gehort  in  erster  Linie  sein  Antheil  an  einem 
Werkchen  von  halb  theoretischer  Natur,  das  dem  Jahre 
1760  angehort  unddenTitel  fiihrt l):  Drey  verschiedene 
Versuche  eines  einfachen  Gesanges  ftir  den  Hexa- 
meter. 

Dasselbe  wird  mit  der  Nachricht  eroffnet,  dass  ?;die 
grossten  Meister  der  Kunst"  an  diesen  Versuchen  ge- 
arbeitet  und  dass  diese  mit  Fleiss  ganz  verschieden  seien, 
so  dass  immer  einer  um  einige  Grade  einfacher  sei  als  der 
andere.  Es  wird  hinzugefugt,  dass  der  erste  Text  aus  dem 
Messias?  der  andre  aus  einer  Hymne  des  Herrn  Wieland? 
der  dritte  aus  einem  kleinen  epischen  Gedicht  des  Herrn 
Bodmer  „ Jacobs  Wiederkunft  aus  Haran"  entnommen  sei. 

Bach  ist  weder  auf  dem  Titel  des  Werks  noch  in  der 
Vorrede  als  Verfasser  eines  der  drei  Versuche  genannt  wor- 
den.  In  seinem  Nachlass-Kataloge  sind  dieselben  ak  von  ihm 
herrtihrend  bezeichnet.  In  seiner  Helbstbiographie2)  sagt 


#  i)  Berlin,  foei  Winter. 
2)  Bnrney,   Musik  Reisen.    Tk  HI. 


-    156    - 

er  dagegen:  ??Der  zweite  Versuch  in  Hexametern  ist  auch 
von  mir."  Somit  ist  kaurn  anzunehrnen,  dass  er  an  dem 
Werkchen  einen  weitergehenden  Antheil  gehabt  habe.  Dem 
entspricht  auch  die  Vorrede,  indem  sie  sagt;  dass  die  Com- 
ponisten  der  drei  Versuche  ?Jden  grossten  Meistern  der 
Kunst"  angehorten,  welche  dse  freundschaftliche  Gefallig- 
keit  gehabt  batten,  sich  zu  ihnen  herabztilassen. 

Wer  die  Stiicke  No.  1.  und  3.  gesetzt  habe?  ist 
nicht  bekannt  Dem  oben  gedachten  Epitheton  gemass 
wiirde  man  auf  Grraun  schliessen  konnen;  wenn  dieser  im 
Jahre  1760  noch  gelebt  hatte.  So  bleibt  die  Wahl  zwischen 
Agricola;  Kirnberger,  Fasch  und  Quantz,  die  unter 
don  Berliner  Tonsetzern  mit  besonderem  Interesse  fur  den 
Ge«ang  geschrieben  haben.  Heryorragendes  haben  sie 
ebeiiso  wenig  geleistet;  als  Emanuel  Bach.  Somit  ist  die 
Entscheidung  dieser  Frage  nicht  von  grosser  Bedeutung. 

Die  Musik  dieser  Versuche  bewegt  sich  auf  dem  Boden 
der  melodiosen  Declamation,  wie  wir  ihr  bei  Bach  in  seinen 
spateren  Werken,  zumal  den  Oratorien  und  dem  Morgen- 
Gesange  wieder  begegnen  werden.  Jedoch  verschwindet 
in  ihr  die  eigenthiimliche  Scandirung  des  Hexameters  so 
gut  wie  ganz.  Es  ist  aus  ihm  eine  gewohnliche  Declama- 
tionsform  geworden,  somit  der  eigentliche  Zweck  der  Arbeit 
nicht  innegehalten.  Hie  und  da  durch  Wiederholungen 
gescharft,  von  Recitativen  durchflochten?  im  h^ufigen 
Wechsel  der  Tempi;  ohne  eigentliche  Steigerung  und  Schluss- 
Erhebung  bieten  diese  Versuche;  die  man  kaum  anders  denn 
als  Solo-Cantaten  bezeichnen  kann,  ein  g*ewisses  buntes 
Hintereinander  und  Ineinander  von  Melodie  und  Declama- 
tion ohne  organische  Gliederung  und  ohne  dass  ein  Ge- 
danke  sich  von  dem  anderen  durch  besondere  Kennzeichen 
und  Merkmale  unterschiede.  Mag  Einzelnes  als  schon 
hervortreten,  wie  in  dem  ersten  Versuch  aus  dem  Messias 
das  Allegretto: 


—     157     — 


< 


ar-mung  g-e-hil-det  zu  werden,  Dem  zu 


sein,  Dezn          zn      sein        und  Dlch  e- 

gfg^  - — -j*1^!*  ~jl-i  -yiy— a>:ziz^:d~»:«— 0 .'jfzpzii 


r  IT        J 

sein        und  Dlch  e-wig,      Dicb 

i^zir^:?1^ 


/  e    -    wig,         Dich      e-wig  zn  lie    -    ben 

yg^^^g^|: 


oder  aus  dem  zwelten  (Bach'schen)  Versuch  der  Schlusssatz 

Mlegretto. 

i 


mf.  •*     ^T  '  i 

Die  du  dort      ii-ber  die       Bin  -  men    bin  -  gleitest,     kry- 


stal  -  le    -    ne  Quel  -  le,     ransch" 


158    — 


es       den          Blu 


men  zu 


fe 

\i         C 


P •.•!•• '.ITT :_i) 


=Eb£*iE=i=3=^ 


le    zur     an-    dern. 


der  selbst  in  der  aiisgefiilirtereii  Begleitung  eine  schon 
mehr  dramatisclie  Farbung  anniinmt  und  si-cli  dadurch 
liber  das  Niveau  der  anderen  beiden  Nummern  erhebt;  das 
Ganze  wird  wohl  nur  als  ein  erfolgloses  Bestreben  be- 


—    159    — 

zeichnet  werden  konnen.  Ungeachtet  dieser  Erfolglosigkeit 
dient  Bach's  Theilnahme  daran  als  Beweis,  wie  unablassig 
und  yielseitig  er  bestrebt  war,  bei  Allem  initzuwirken,  was 
sich  irgend  als  ForderuDg  der  Kunst  charakterisiren  liess. 
In  spateren  Jahren  1st  er  auf  diese  Arbeit  zuriickgekorumen. 
Denn  in  seinen  Gesangs-Compositionen  vom  Jahre  1770 
findet  sich: 

??Der  Friihling,  eine  Tenor-Cantate  mit  den 
.gewohnlichen  Instrumenten"  und  der  Bemerkung auf- 
gefuhrt:  ?;Aus  dem  zweiten  Versuch  des  einfachen  Gesanges." 
Es  kaiin  sich  hier  nur  uni  die  Ueberarbeitung  und  Instru- 
mentirung  des  Wieland'schen  Hyimrns  ?,Preude?  die 
Lust  der  Gutter  und  Menschen"  gehandelt  haben. 

Indem  wir  dies  Werkchen  von  zweifelhaftem  Werthe 
verlassen?  wenden  wir  uns  noch  zwei  anderen  Gesangs-Com- 
positionen  von  ahnlichem  Charakter  zu?  die?  ihres  geringen 
Umfangs  ungeachtet  eine  bei  Weiteni  hohere  Bedeutung 
in  Anspruch  nehnien  und  einige  Jahre  spater  entstanden 
sind. 

Es  ist  dies  zunachst  Phillis  und  Thirsis?  eine 
Cantate  fiir  zwei  Gesangsstiminen7  ini  Jahre  1765 
gesetzt,  im  nachstfolgenden  Jahre  in  Partitiir  bei  Winter 
zu  Berlin  im  Druck  erschienen,  ein  "Werk  voll  von  Schon- 
heiten.  Es  besteht  aus  3  Satzen,  ist  fur  2  Soprane  oder 
auch  fur  Sopran  und  Tenor  geschrieben  und  wird  von 
2  Floten  und  dem  Bass  begleitet.  Die  ausfiillende  Har- 
monie  wird  durch  den  Fliigel  vermittelt?  ohne  den  bei  der 
damaligen  Art  zu  setzen  keine  befriedigende  harmonische 
Verbindung  moglich  war.  Der  Text  ist  sehr  einfach. 

Nro.  1.  Arie.  Phillis.  E-moll  */*. 
Thirsis?  willst  du  mir  gefallen? 
Singe  mir  nur  Klagen  vor. 
Here  doch  die  Nachtigallen, 
Itis,  Itls  horst  du  schallen. 

?  fflagen  reizt  das  Ohr. 


—    160    — 

Nro.  2.  Rec. 

T  Mr  sis.    Ach,  Phillis,  lass  mich  scherzen. 
Phillis.     Ich  habe  dir  gesagt,  nur  Klagen  ruhren  mich. 
Thirsis.    Suchst  du  Vergniigen  in  den  Schnierzen? 
Phillis.     Ja;  denn  es  reget  sicli 

Ein  altes  Leid  in  meinem  Herzen, 

Und  stellt  mir  den?  den  ich  verlor, 

Mit  aller  seiner  Reizung  vor. 
Thirsis.    Die  Vogel,  die  du  ruhmst,  ruhrt  kein  verjahrtes 

Leiden, 
Phillis.     Was  sagt  ihr  Lied  denn  sonst;    wenn  es  nicht 

klagt? 
Thirsis.    Das,  was  ich  oft  zu  dir  gesagt, 

Das  sagen  auch  die  Vogel  zueinander. 
Nro.  3.  Arie.  (C-dur). 

Der  Vogel  rufet  ohne  Ruh? 

Iin  Walde  seiner  Gattin  zu: 

Ach  Hebe  doch;  acli  liebe! 

Die  Gattin  hort  des  Q-atten  Lieder; 

Ihr  sehnlich  Girren  sagt  ihm  wieder, 

Ich  liebe! 

Die  Musik  ist  ganz  in  dem  zartlich  sentimentalen 
Charakter  dieses  Gedichts  gehalten.  Bezeichnend  fur  die 
Zeit  und  for  die  Richtung,  welcher  Bach  in  seinen  Ge- 
sangs-Conapositionen  folgte,  ist?  dass  den  Schluss  der  Cantate 
nicht  wie  doch  so  nahe  gelegen  hatte  ein  zweistimmiger 
Satz,  sondern  eine  Arie  bildet.  Wie  zur  Zeit  der  ersten 
Entstehung  des  musikalischen  Dramas  der  Einzelgesang 
erst  neu  erfunden  werden  musste,  so  drangte  die  Geschmacks- 
richtung  jener  Zeitperiode  den  Ensemble-Gesang  aus  dem 
Bereiche  der  Musik  so  zienilich  heraus  und  die  in  der 
Bliithezeit  der  Madrigalen  alles  andere  iiberwuchernden 
raehrstimoiigen  Solo-Satze  mussten  erst  wieder  yon  Neuem 
geschaffen  werden. 

Schon  durch  die  oben  angezeigte  Art  der  Begleitung, 
welche  wesentlich  in  2  Floten  gelegt  ist,  und  worin  man 


—    161    — 

die  besondere  Vorliebe,  die  Bach  von  jeher  fur  dieses  In- 
strument gezeigt  hat  wiedererkennt,  erhalt  das  kleine  Werk 
einen  ungemein  sanften,  schwarmerischen  Charakter.  Mehr 
noeh  ist  dies  der  Fall  durch  die  melodische  Behandlung, 
die  in  der  That  zu  dem  Eeizendsten  gehort,  das  die  Zeit 
Bach's  schaffen  konnte.  Stellen,  wie  die  folgende  in  Nro.  1. 


tftfi 3^ | j 1] -.L       ....    .-t~t.^m_Z 

A— — _^,^-c..^ — 3_ — — « — iymjy  Jiiz_  m 
p££=?=f3zt^r=S5? 

Ho  -  re        doch       die  Nachti 


3tf*EJ5§ 


Hen,     itis,  itis 


f 

-^-C 


p 

p.  tasto* 


lljT 


_ =* 

-•—"-^-ErrriE^f-Jt 


hSrst  da's  schallen,     Klagen,    Kla-gen       reizt  das         Ohr. 


rrtrd!^=(^±^-|:-frg?rir5rr^^z±r:>^:^:r:t=fi: 


:=^==f=3z^=i=^=»=1=ft=3r==»=c: 


""^~~f~~r*i^3f" — "t~^j^3^ 1  — %  — sn 


oder  die  folgende  No.  3: 


Der  Yo  -  gel  ru  -  fet  oh    -    neRuh'         im  Walde  sei-nem 


r.—^^=*.-f.-fy,~^ 

3&&2^ES3 


K.r^_^_, 

I ^ — ' 

l=lr=S=iq 


Bitter,  Emanuel  and  Frieniemaan  Bach. 


11 


Gat  ten      zu,  ach    lie      -      be  doch,  ach  lie     -      be  doch,  ach, 


/  *  ^^E5^Ea^E=3=E 


rfr— =*~— • i— f — l~-r\    i       — ~Tt; 


-tp«  --  IX- 

lie-be  dooh,  ach 


lie-be  doch. 


lassen  sich  niclit  zarter  und  inniger  wiedergeben. 

Das  Ganze  wird  durch  die  Musik  zu  einer  Idylle  der 
edelsten  Art  erhoben.  Die  kleine  Arbeit  wiirde  noch  mehr  von 
Wirkung  sein,  wenn  Emanuel  Bach  es  liber  sich  ver- 
inocht  hatte?  am  Schluss  beide  Stinimen  zu  einem  Zwei- 
gesang  zu  vereinigen.  Diesem  Mangel  Hesse  sich  fur  die 
heutige  Zeit  durch  die  Einrichtung  der  letzten  Arie  zum 
Duett,  welches  als  Wiederholung  gesungen  werden  konnte, 
abhelfen.  Dadurch  wiirde  auch  der  sentimentale  Gregen- 
stand  etwas  mehr  aussere  Abrundung  erhalten. 

Nahe  der  Zeit;  wo  diese  Cantate  entstanden  war,  liegt 
eine  andere  Arbeit  von  ahnlichem  Charakter,  aber  von 
noch  grosserer  Vollendung,  ein  Mittelding  zwischen  Cantate 
und  Lied,  namlich  der  im  Jahre  1766  gesetzte  und  bei 
G-.  L.  Winter  in  Berlin  ini  Druck  erschienene 
nach  Grleim's  Worten 


—    163    — 

,,Der  Wwili  und  die  Gaste", 

em  Stuck  roller  Leben  und  Melodie,  voller  Feinheit  und 
edler  Declamation,  in  welchem  eine  Solostimrne  mit  eineni 
allenfalls  zwei-  und  dreistimmig  zu  singenden  Chore  wech- 
selt.  Wer  mochte  nicht  in  folgender  Stelle 

Wdssig  geschwind. 


/    DerWirth.  Brlnge    von   dem  Wei-ne,        Jtmge,  der  wie      B«i  -  TIA 

1 


Wan-ge 


glubt,  feu-rig      ist  er     uiid  anf  derZunge  Keb- 

-,__H_^-_-^_i,^.. 


li    -     cher,  Iieb-11  -  cher,  lieb-li-cher  als   Uzens 


^ 


Ein  Gast. 


Lied.        Unser        lie-ber  Wirth  soil       le-ben! 


eine  fiir  jene  Zeit  vollig  neue  Behandlung  der  Melodie 
neben  einer  graziosen  Art  des  Vortrags  erkennen,  die 
Haydn  und  Mozart  zur  Ehre  gereictt  haben  wiirde? 
So  unbedeutend  die  Arbeit  an  sich  ist,  so  verdient  sie  doch 
um  ihrer  b^onderen  Gestaltung  willen  eine  specielle  Er- 
wahnung,  Denn  der  Zusammenbang  zwischeB  diesef 

II* 


—    164    — 

Art  der  Composition  und  dein  Verdienste  Bach's  urn  das 
deutsche  Lied  ist  unyerkennbar. 

G.    Sebastian  Bach's  vierstimmige  Chorale, 

Wahrend  auf  solche  Art  Em  an  u  el  Bach  sich  in  eine 
wahrhafte  Fluth  von  Clavier-,  Instrumental-  und  Gesangs- 
Sachen  vertieft  hatte,  arbeitete  er  gleichzeitig  an  eincr 
anderen  Aufgabe,  deren  Betrachtung  den  aufmerksamen 
Beobachter  aus  deni  glanzvollen  breiten  Strome,  in  dern 
der  Meister  sich  zu  Berlin  bewegte;  in  die  stillen  Raume 
des  Cantorats  der  Thomas-Schule  zu  Leipzig  zuriickversetzt, 
in  denen  der  ernste  und  grosse  Sinn  seines  Vaters  so  lange 
Jahre  zur  Ehre  Gottes  gearbeitet  hatte.  Sei  es  dass  die 
religiose  Innigkeit  der  Gellert'schen  Lieder,  deren  Com- 
position er  in  den  12  Nachtrags-Oden  so  eben  beendet 
hatte,  dazu  beigetragen  haben  mochte?  seinen  Blick  dem 
Kirchenliede  wieder  niehr  zuzuwenden?  sei  es  dass  die 
buehhandlerische  Speculation ;  die  sich  der  vierstinimigen 
Chorale  seines  Vaters  bemachtigt  hatte  ?  ihn  veranlasste, 
die  Herausgabe  derselben  in  die  Hand  zu  nehmen:  gewiss 
ist,  dass  er  dem  Andenken  seines  Vaters  kein  ehrenvolleres 
Denkmat  errichten,  seinem  eigenen  Kunstlernanaen  kerne 
erhohtere  Bedeutung  hatte  schafifen  konnen,  als  durch  eine 
Arbeit,  welche  der  Nachwelt  den  in  jenen  Choralen  nieder- 
gelegten  Schatz  von  frommer  Gesinnung  und  von  harmo- 
iiisehera  Reichthum  zuganglich  machen  sollte.  Ueber  deren 
Wichtigkeit  und  inneren  Werth  ist  an  dem  geeigneten  Orte J) 
ansfiihrlich  gesprochen  worden.  Ohne  Ernanuel  Bach's 
sorgfaltige  Bearbeitung  wtirde  diese  Sammlung  zahlreicher 
und  bewundernswerther  Meisterwerke  wohl  kaum  anders 
als  unvollstandig  und  zumeist  in  verstummelter  Gestalt 
vorhanden  sein. 

Der  erste  Theil,   100  Chorale  enthaltend,  erschien  im 


Seb.  Bach.  Th.  H.  S.  92  £ 


—    165    — 

Jahre  1765  zu  Berlin  nnd  Leipzig    mit  folgender  burner- 
kens  werthen  Vorrede: 

,,Die  Besorgung  dieser  Saminlung  wuide  mir  von  deni  Henn  Yer- 
leger  aufgetragen,  nachdem  schon  einige  Bogen  davon  gechuckt  waren- 
Daher  ist  es  geschehen,  dass  man  vier  Lieder  hat  eingeriickt,  welche 
nicht  aus  der  Feder  meines  seeligen  Yaters  gekommcn  sind  Man 
findet  diese  4  Lieder  xmter  dcr  6.,  15.,  18  und  31.  Nunimer.  Die 
iibrfgen  Lieder,  sowohl  m  diesein,  als  den  nachfolgenden  Theilcn  sind 
alle  yon  meinem  seligen  Vater  verfertiget  und  eigentlich  in  vier 
Systemen  fiir  vier  Singstiminen  gesetzt  Man  hat  sie  den  Liebbabern 
der  Orgel  und  des  Claviers  zu  gefallen  auf  zwei  Systerae  gebracht? 
weil  sie  leichter  zu  iiberseben  sind.  Wenn  man  sie  vierstinimig  ab- 
singen  will,  und  einige  den  Cmfang  gewisser  Halse  iibersehreiten 
sollten,  so  kann  man  sie  iibeisetzen  Bey  den  Stellen,  wo  der  Bass 
so  tief  gegen  die  iibrigen  Stirnmen  einhergehet,  dass  man  ibn  ohnf* 
Pedal  nieht  spielen  kann,  nimmt  man  die  hohere  Ootav  alsdnnit,  wenn 
der  Bass  den  Tenor  iiberschreitet.  Der  seelijre  Yoifasser  hat  wcg"en 
des  letzteren  Umstandes  auf  ein  sechzehnfiissiges  bassiiendes  Instru- 
ment, welohes  diese  Lieder  allezeit  mitgespielt  bat,  gesehcn.  Den 
Schwacbsicbtigen  zu  gefallen,  welchen  einige  Satze  imrichtig  scheinen 
mochten,  hat  man  da,  wo  es  nothig  ist  die  Fortsrhieitung  der  Stim- 
men  durch  einfaclie  und  doppelt  sclinige  Striche  deutlich  apgezeiget. 
Ich  hoffe  aucb  duich  diese  Sammlung  vielen  Nutzen  und  vieles  Yer- 
gniigen  zu  stiften,  ohne  dass  ich  noting  hatte,  zum  Lobe  der  Har- 
nionie  dieser  Lieder  etwas  anztifuhren.  Der  seclige  Yerfasaer  hat 
meiner  Empfehlung  nicht  nothig.  Man  ist  von  ihra  gewohnt  gewesen, 
nichts  als  Meisterstiicke  zu  sehen.  Diesen  Nahmen  werden  die  Kenner 
der  Setzkunst  gegenwartiger  Sammlnng  ebenfalls  nicht  versagen 
konnen,  wenn  sie  die  ganz  besondere  Einriehtung  der  Harmonic  und 
das  natiirlich  fiiessende  der  Mittelstimmen  und  des  Basses,  wodurch 
sich  diese  Choral -Gesange  voiziiglich  unterscheiden,  mit  gehfJrigor 
Aufmerksamkeit  betrachten.  Wie  nutzbai  ^kann  cine  solelio  Betraeh- 
tung  den  Lelirbegierigen  der  Setzkunst  werden,  und  wer  lengnet 
wohl  heut  zu  Tage  den  Yorzug  der  Unterweisung  in  der  Setzknnst, 
vennoge  welcher  man  statt  der  steifen  und  pedantischen  Contrapunkte 
den  Anfang  mit  Choralen  machet?  Znni  Beschluss  kann  ich  den  Lieb- 
habern  von  geistlichen  Liedern  iiberhaupt  naelden,  dass  diese  Samm- 
Jsng  ein  vollstfindiges  Choralbuch  ausmachen  wild  Es  werden  die- 
sem  Theile  noch  zwey  andrc  folgen  und  iiberhaupt  iiber  dreyhundert 
Lieder  enthalten 

C.  P.  E.  Bach.'- 

Der  Verleger  hatte?  wie  man  hierans  ersiebt?  die  Her- 
ansgabe  des  Werks  begonnen?  ohne  dass  Eraanuel  Bach 
darum  wusste  tmd  dabei  zugezogen  worden  war.  Vielleielit 
erkannte  Birnstiel  ntxslx  zu  rechter  Zeit,  dass  di 


—    166    — 

fiihrung  dieser  Arbeit  oline  Emanuel  Bach  grosseSchwierig- 
keiten  fin  den  werde,  yielleicht  auch  hatte  letzterer  selbst 
hiegegen  Verwahrung  eingelegt,  da  die  Herausgabe  dieser 
Chorale  ohne  eine  durchaus  kenntnissvolle,  alle  Schwierig- 
keiten  der  Form  wie  der  Materie  beherrschende  Redaction 
nur  zu  einem  verfehlten,  das  Andenken  und  die  Wiirde 
seines  Vaters  blossstellenden  Resultate  hatte  fiihren  miissen. 
Mit  vollein  Rechte  hat  er  deshalb  auch  spater  gegen  die 
ohne  sein  Vorwissen  erfolgte  Herausgabe  des  zweiten  Theils 
energischen  Protest  erhoben. 

Eine  andere,  tiberaus  wohlthuende  Bemerkung,  die 
sich  aus  dieser  Vorrede  aufdrangt,  ist  die?  dass  Emanuel 
Bach,  der  seinerseits  bereits  iin  49.  Lebensjahre  stand  und 
selbst  zu  einem  Manne  von  grosser  Bedeutung  fur  die 
Kunst  eniporgewachsen  war,  noch  15  Jahre  nach  dem 
Hinscheiden  seines  Vaters  yon  der  tiefsten  Pietat  fur  sein 
Andenken  und  seine  Arbeiten  erfullt  war.  Man  wird  bald 
erfahren,  wie  schwer  er  durch  den  Verkauf  der  Kupfer- 
tafeln  zur  Kunst  der  Fuge  das  Andenken  des  gross  en 
Meisters  yerletzt  hat.  Hier  spricht  sich  im  Gegentheil  die 
Verehrung  fur  ihn  nicht  allein  in  der  Anerkennung  der 
meisterhaften  Arbeit,  sondern  mehr  noch  in  der  sorgsamen 
Art  und  Weise  aus,  wie  er  bemiiht  war?  diese  in  Bezug 
auf  die  Ausfiihrung  yor  Missyerstandnissen  zu  bewahren. 
Die  spatere  Generation  weiss  davon  zu  erzahlen?  dass 
nicht  bloss  ?7Schwachsichtige";  sondern  auch  Manner  yon 
heryorragender  Bedeutung1)  den  Werth  jcind  die  Einrich- 
tung  dieser  Chorale  ganzlich  yerkannt  haben. 

Endlich  spricht  sich  gegen  das  Ende  der  Vorrede 
Emanuel  Bach  als  der  wahre  Sohn  Sebastians  aus. 
Die  ?;Lehrbegierigen  der  Setzkunst"  sollten  aus  diesen 
Choralen  lernen;  mehr  als  aus  dem  steifen  Contrapunkt. 

Welche  noch  so  sorgsame  biographische  Notizen  hatten 


x)  C.  M.  v.  Weber,  AbtVogler  und  in  neuester  Zeit  auch 
Chrysander.    Siehe  Bitter,  J.  S.  Back  Th.  n.  S.  99. 


—    167    — 

wohl  so    sehr  zu  seiner  Charakteristik  beitragen  konnen, 
als  es  diese  wenigen  Worte  thun! 

Inzwischen  war  naeh  dem  Erscheinen  des  era  ten  Theils 
ein  zieinlich  langer  Zeitraurn  verlaufen,  ohne  dass  das 
Unternehmen  Fortgang  gehabt  faatte.  Dein  Verleger  mochte 
der  Wunsch  nahe  liegen  es  fortgesetzt  zu  seiien.  Er  scheint 
hiebei  wiederum  ohne  Vorwissen  Bach's,  der  inzwischen 
seinen  Wohnsitz  nach  Hamburg  verlegt  hatte,  zu  Werke 
gegangen  zu  sein.  Denn  es  erschien  bald  nachher  fol- 
gende 

Nachricht  fiir  das  Publikujca. 

,,Es  hat  der  Herr  Birnstiel  in  Berlin  kiirzlich  mit  eben  so  vieler 
Dreistigkeit  als  Unwissenheit  in  der  Musik  den  zweiten  Theil  von 
Johann  Sebastian  Bach's  vierstimmigen  Choralgesa'ngen,  woven 
ich  der  eigentliche  Sammler  bin,  ohne  mir  das  geringste  davon  wijssen 
zu  lassen,  heiausgegeben.  Ich  habe  etwas  davon  angesehen,  nnd  eine 
grosse  Menge  von  Fehlern  von  allerlei  Art  darinnen  gefunden.  Der 
Verdruss  und  Eckel  hielt  mich  ab,  alles  durchzugehen,  weil  ich  zu- 
letzt  sogar  Fehler  fand,  dergleichen  ein  Anfanger  in  der  Compositien 
nicht  leicht  machen  wird.  Ich  bin  im  Stande,  jedem  der  es  verlangt, 
die  Fehler  zu  zeigen,  und  ihm  mein  Original  dagegen  zu  halten  Da 
nun  durch  diese  Ausgabe  die  Ehre  des  seeligen  grossen  Mannes,  und 
meine  eigene,  als  Samniler,  aufs  empfindlichste  angegrififen  word  en 
ist:  so  eiklare  ich  hiemit  offentlich  *8^m  Publico  raeme  Unsehuld,  und 
warne  es  auf  a  treueste,  sich  dnrch  AnscharfuDg  dieses  zweiten  Theiles 
nicht  hintergehen  zu  lassen;  alle  Freunde  meines  seligen  Vaters  bitte 
ich  besonders,  die  Bekanntmachnng  dieser  ihm  nach  seinem  Tode  znr 
Schande  gereichenden  veistiimmeJten  Aibeiten  auf  alle  niogliche  Art 
zu  hindern,  urn  so  viel  mehr,  da  diese  Sammlung  nunmehro  nngleich 
mehr  Schaden  verursachen  kann,  wahrend  es  als  ein  praktisches  Lehr- 
buch  von  den  vortrefflichsten  Mustern  den  en  Studirenden  in  der  Setz- 
kunst  von  ungemeinem  Nutzen  hatte  sein  konnen.  Doeh  —  wie  reich 
sind  wir  nicht  jetzt  an  Lehrbiichera  olme  richtige  Grundsiitze  und 
Muster! 

Hamburg,  den  29.  May  1769, 

C.  P.  E.  Bach." 

Es  ist  unzweifelhaft  Back's  Absieht  gewesen,  die 
weitere  Herausgabe  der  Chorale  selb.-st  zu  leiten.  Doeh 
mogen  ihn  die  gehauften  Geschafte  seines  neuen  Amts 
daran  verhindert  haben.  Erst  im  Jahre  1771  entschloss 
er  sich  die  Arbeit  aa  Kirnberger  zm  Hb£rtrageB7  der  Otr 


—    168    — 

ausser  ihin  selbst  (und  seinem  zu  solchen  Geschaften  nicht 
mehr  befahigten  Bruder  Fried  em  ann)  allein  gewachsen 
und  wegen  seiner  genauen  Kenntniss  des  Alt-Bach'schen 
Greistes  dazu  vorzugsweise  geeignet  war.  Aber  Kirn- 
berger  liess  die  Saclie  liegen  und  erst  kurz  yor  seinem 
Tode  wurden  die  Chorale  an  Breitkopf  abgeschickt,  der 
den  Verlag  dbernommen  hatte.  So  ersehien  denn  erst  im 
Jahre  1785  die  zweite  Ausgabe  derselben,  370  Nummern 
enthaltend?~  unter  denen  docli_noch  einige  fibrig  geblieben 
sind,  die  eine  blosse  Wiederholung  enthalten,  ebenso  cin 
funfstimmiger  Choral ;  der  nieht  von  Sebastian  Bach 
sondern  von  Ko  sen  mil  Her  gesetzt  ist. 

In  der  Vorrede,  welche  weiterhin  wortlich  die  Vor- 
rede  zum  ersten  Theil  dor  ersten  Ausgabe  wiederholt, 
heisst  es: 

,,Diese  Samm-Iung  der  Chorale  Ist  iiach  clein  vorigen  Drucke  von 
mir  nochmals  mit  vieler  Sorgfalt  dnrchgesehen  und  von  eingeschliche- 
nen  Fehlern  geroinigt  worden.  Von  Herrn  Kirnberger,  dem  ich 
solche  bereits  im  Jahre  1771  iiberiassen  hatte,  sind  sie  kurz  vor  seinem 
Tode  an  den  jetzigeii  Herrn  Veileger  gekommen.  Bey  diesem  neuen 
Drucke  sind  also  auch  die  Tbey  dem  vorigen  elngeroischten  freraden 
Lieder  ausgelassen  woiden  und  die  neu  abgedruckten  sowohl  in  die- 
sem  als  den  nachfolgenden  Theilen  sind  alle  von  meinem  seligen 
Vater  verfertigt." 

Welclien  besonderen  Antheil  Kirnberger  an  die- 
ser  zweiten  Ausgabe  gehabt  haben  rnochte,  ist  schwer 
zu  bestimmen.  Dass  er  deven  Bearbeitung  12  Jahre  lang 
(bis  1783)  hatte  liegen  lassen,  spricht,  selbst  unter  Beriick- 
sichtigung  der  langen  und  schmerzhaften  Krankheit  seiner 
letzten  Jahre;  nicht  fur  ein  besonders  lebhaftes  Interesse 
an  derselben.  Der  Zusammenhang,  in  welchen  die  Mit- 
theilung  hieruber  zu  der  Angabe  Bacnys  gesetzt  ist,  dass 
er  die  Sammlung  der  Chorale  ,?nochnials  mit  vieler 
Sorgfalt  durchgesehen  und  von  eingeschlichenen 
Fehlern  gereinigt  habe";  scheint  erkennen  zu  lassen,  " 
dass  eine  Bearbeitung  dureh  Kirnberger  entweder  gar 
nicht  stattgefunden  habe;  oder  doch  dass  diese  nicht  zu- 
friedenstellend  ausgefallen  sei,  Es  war  Emanuel  Bach 


—    169    — 

beschieden,  die  Beendigung  dieses  Werks  zu  erleben,  dessen 
letzte  Abtheilung  im  Jahre  1787 ,  also  kurz  vor  seinem 
Tode  erschienen  ist. 

Mit  der  Besprechung  der  Herausgabc  des  ersten  Theils 
dieser  Chorale  Sebastian  Bach's  1st  der  Kreislauf  der 
Betrachtungen  abgesehlossen,  die  sich  an  Emanuel  Bach's 
Wirksamkeit  als  Tonsetzer  und  Schriftsteller  wahrend  seines 
Aufenthalts  in  Berlin  kniipfen.  Wird  es  eines  zusammen- 
fassenden  Riickblicks  auf  dieselbe  bediirfen?  Emanuel 
Bach  war,  als  Rich  diese  Periode  fiir  ihn  abschloss,  ein 
Mann  von  54  Jahren,  in  der  yollen  Kraft  und  Reife  seines 
Lebens.  In  der  grosseren  Halfte  dieses  Zeitrauins  hatte 
er  seine  feste  Stellung  zur  Kunst  bereits  genonimen.  So 
trat  er  in  sein  neues  Amt  als  ein  beriihniter  Tonsetzer 
ein,  dessen  Specialitat  die  Mit-  iind  Nacliwelt  in  seiner 
Wirksamkeit  fur  das  Clavier  gefunden  hat.  Und  so 
erkennt  ihm  die  Nachwelt  auch  noch  besonders  das 
Verdienst  zu,  dena  deutscheu  Liede  Gestaltungsfahigkeit, 
neue  Fornien  und  inneren  Gehalt  gegeben  zu  haben.  Diese 
grossen  Eigenschaften  sind  ihm  bis  an  sein  Ende  treu  ge- 
bliebeD. 


Capitel  III 

B  i  a  g  r  a  p  h  i  s  eh  e  s, 


Bach  hatte  laut  seiner  eigenen  Mittheilung  niehrfache 
Gelegenheit  gehabt,  vortheilhaften  Rufen  in  andere  Stel- 
lungen  zu  folgen.  Es  ist  leider  ebensowenig  moglich  ge- 
wesen  zu  ermitteln,  an  welche  Orte  hin  er  berufen  worden 
war,  noch  durch  welche  ansehnliche  Gehaltszulage  der 
Konig  seinem  Abgange  yon  Berlin  vorgebeugt  habe.  Un- 


—    170    — 

erwahnt  hat  er  gelassen,  class  er  sich  im  Jahre  1750  nach 
seines  Vaters  Tode  um  das  erledigte  Cantorat  der  Thoinas- 
Schule  beworben.  In  der  Enge  des  Raths  zu  Leipzig1) 
wurde  am  29.  Juli  jenes  Jahres  angezeigt;  dass  sich  fur 
die  Stelle  des  am  28.  1.  M.  verstorbenen  Cantors  oder 
vielmehr  Capell-Directors  Bach  J?des  Defuncti  Sohn? 
Herr  Bach  in  Berlin,  gemeldet  habe." 

Er  erhielt  aber  die  Stelle  nicht.  Dass  er  sich  damals 
nach  Leipzig  begeben  hatte,  ist  wohl  zweifellos.  Die  trau- 
rige  Lage  der  Familie  nnd  die  Nothwendigkeit  einer  that- 
kraftigen  Aenderung  der  Verhaltnisse  batten  seine  An- 
wesenheit  so  wie  so  erfordert.  Es  ist  fur  die  Kunst- 
geschichte  von  nicht  geringem  Belange,  dass  Em.  Bach 
bei  dieser  Gelegenheit  den  nmsikalischen  Nachlass  seines 
Vaters  mit  seinem  alteren  Brader  Wilhelm  Friede- 
mann  und  zwar,  wie  Forkel2)  mittheilt,  in  der  Weise 
iibernahm,  dass  er  etwa  den  dritten  Theil  desselben  erhielt. 
Auf  diese  Art  sind  bei  der  grossen  Ordnungsliebe  Bach's 
und  der^sorgsamen  Pflege,  welche  er  den  ehrenvollen  Tra- 
ditionen  seiner  Familie  widmete;  eine  sehr  grosse  Menge 
werthvoller  Arbeiten  seines  Vaters  der  Nachwelt  erhalten 
worden,  zu  denen  ausser  zahlreichen  Cantaten  und  Instru- 
mentalsachen  vor  alien  die  grosse  Messe  in  H-nioll;  die 
beiden  grossen  Passions  -  Musiken ,  das  Magnificat ,  das 
Weihnachts  -  Oratoriam  und  die  Kunst  der  Fuge  gehort 
haben. 

Aus  deni  Nachlasse  seines  Vaters  stammte  auch  ohne 
Zweifel  die  Mehrzahl  jener  zahlreichen. und  merkwurdigen 
Arbeiten  der  Vorfahren  der  Familie  Bach  her,  welche 
Emanuel  unter  dem  Namen  des  Alt-Bachischen  Archivs 
besessen  hat  und  die  sich  jetzt  zum  nicht  geringen  Theile 
in  der  K,  Bibliothek  zu  Berlin  befinden  3). 

1)  Acta  des  Ratbs  zu  Leipzig,  VIII.  63,  fol.  238. 

2)  Ueber  Joh.  Seb.  Bach,  S.  61. 

3)  Bitter,  J.  S.  Bach,  Th.  I.  S.  31 

Dieser  Saaanlttug  Alt  BachischerStucke  nabe  verwandt  ist  die 


—    171    — 

Bei  dleser  Gelegenheit  waren  auch  die  Kupferplatten 
zu  Seb.  Bach's  Kunst  der  Fuge  in  seinen  Besitz  iiber- 
gegangen,  zunachst  wohl  zu  keinem  anderen  Zwecke7  als 
um  den  Abdruck  und  die  Herausgabe  dieses  wunderbaren 
Werks  zu  ermoglichen.  Em.  Bach  war  es,  der  auf  das 
Original  unter  die  bereits  begonnene  letzte  Fuge?  in  wel- 
cher  zu  den  zwei  ersten  Motiven  noch  ein  drittes  in  den 
Ton  en  bach  tritt?  gesetzt  hatte:  7,Ueber  dieser  Fuge, 
wo  der  Name  Bach  im  Contrapunkt  angebracht  worden? 
ist  der  Verfasser  gestorben." 

Marpurg  gab  dies  grosse  Werk  zwei  Jahre  spater 
heraus.  Es  waren  nur  wenige  Abztige  gemacht  worden, 
und  diese  deckten  die  Kosten  nicht.  Bisherlgen  Mitthei- 
lungen  zufolge  hatten  deshalb  die  Erben  die  Kupferplatten 
als  altes  Metall  verkaufen  muss  en. 

Dieselben  waren  aber  in  Em.  Bach's  personlichem 
Besitz  geblieben.  Er  selbst  ist  es?  der  im  Jahre  1756  iiber 
der  en  Verkauf  folgendes  bekannt  macht:  l) 

,,Den  Herrn  Verlegern  practischer  musicalischer  Werke 
wird  hiemit  bekannt  gemacht,  wie  ich  gesonnen,  die  sauber 
und  accurat  gestochnen  Kupfertafeln  zu  dem  vor  einigen 
Jahren  angemeldeten  Fugenwerke  meines  >sel.  Vaters,  des 
Capellmeisters  Joh.  Seb.  Bach,  ftir  einen  billigen  Preiss  aus 
der  Hand  zu  verkaufen.  Es  belauft  sich  die  Anzahl  der- 
selben  auf  etliche  sechzig,  und  sie  betragen  an  Gewicht 
einen  Centner,  Von  dem  inneren  Werthe  dieses  Werks 


in  der  K.  Bibliothek  zu  Berlin  befindliche  Genealogie  der  Bachisehen 
Familie,  welche,  ,,mit  eigenhandigen  Zusatzen  und  Verbesserungen 
von  C.  PhiL  Emanuel  Bach"  versehen  und  fiir  Forkel  bestimmt, 
seiner  spateren  Lebenszeit  entstammt.  Den  Ursprung  und  Zweck 
dieser  interessanten  Zusammenstellung  ergiebt  die  auf  dem  ersten 
Blatte  befindliche  Bemerkung  von  der  Hand  Em.  Bach's:  ,3ringen 
Sie  diese  Nachrichten  in's  Eeine,  und  nehmen  Sie  daraus,  was  Sie 
wollen.  Ben  ersten  Aafsatz  machte  mein  seliger  Vater  vor  vielen 
Jahren.  Burch  eine  saubere  Feder  kann  ein  Stammbaum,  wenn  alten- 
falls  etwas  feblet,  binzugesehrieben  werden.u 

i)  Marparg,  HislOT*  krik  BeMarage,  Bd  H.  S.  am 


—    172    — 

wird  es  unnothig  seyn,  vlel  zu  sagen;  da  das  Andenken 
der  Kunst  meines  sel.  Vaters,  besonders  in  der  Fuge,  von 
was  fur  einer  Art  und  Gattung  sie  auch  seyn  mochte,  bey 
den  Kennern  dieser  Arbeit  nocli  nicht  erloschen  ist.  So 
viel  wird^mir  davon  anzumerken  erlaubt  sein?  dass  es  das 
vollkommenste  practische  Fugemverk  ist  und  dass  jeder 
Scliiiler  der  Kurast  mit  Zuzieliung  einer  guten  theoretischen 
Anweisung,  dergleichen  die  Marpurg'sche  ist;  nothwendig 
daraus  lernen  muss  eine  gute  Fuge  zu  machen?  und  also 
keinen  mimdlichen  Lehrrneister,  der  sick  das  Greheimniss 
der  Fuge  oft  theuer  genug  bezahlen  lasst?  zu  seinem  Unter- 
riehte  bedarf.  Dieses  Werk  wurde  bisher  4  Thaler  das 
Exemplar  verkauft  Es  sind  aber  nur  ungefahr  30  Exern- 
plare  davon  abgesetzt  worden;  weil  es  noch  nicht  uberall 
bekannt  ist;  und  da  rnir  nieine  Verrichtungen  iin  Dienst 
Sr.  Majestat  nicht  gestatten,  inich  in  viele  und  weitlaufige 
Correspondenzen  einzulassen?  una  es  gehorig  uberall  bekannt 
zu  machen?  so  ist  dieses  die  Ursache,  warum  ich  mich  ent- 
sclilossen  habe?  mich  davon  ganzlich  loss  zu  sagen.  Die 
Herrn  Liebhabor  kdnnen  sich  schriftlich  allhier  nach  Ber- 
lin an  mich  adressiren,  und  versicliert  seyn;  dass  ich  auf 
das  erste  annehmliche  Gebot,  das  jemand  thun  wird;  ihm 
ohne  alle  fernere  Weitlaufigkeit  und  Umstande7  die  Ta- 
bellen  iiberlassen  werde;  daniit  durch  desselben  weitlau- 
figere  Bekanntschaften  zum  Besten  des  Publici;  das  Werk 
uberall  bekannt  werde. 

Berlin  den  14.  Sept.  1756. 

Carl  Philipp  Einanuel  Bach." 

Allerdings  scheint  es  nach  der  Form  und  Fassung 
dieser  langen  Anzeige;  als  ob  der  Verkauf  der  Kupfer- 
platten  nur  beabsichtigt  worden  sei,  uin  die  Vervielfal- 
tigung  und  Verbreitung  der  letzten  gross  en  Arbeit  seines 
Vaters  zu  ermoglichen.  Doch  schiininert  nicht  undeutlich 
das  Verlangen  bindurch,  die  60  Kupferplatten  um 
jeden  Preis  und  ohne  die  geringste  Sicherstellung  einer 
kunstlerischen  Verwendung  loszuschlagen.  Welchen  ande- 


—    173    — 

ren  Zweck  hatte  wohl  die  Angabe  des  Kupfergewichts 
auf  1  Ctr.  sonst  Labcu  konnen?  Und  waruru  hatte  er 
ausdriicklich  gesagt?  dass  die  Tabellen  auf  das  erste  an- 
nehmliche  Gebot  ohne  Weitlaufigkeit  und  Um- 
stande  zugeschlagen  werden  sollten? 

Era.  Bach  war  zu  Berlin  in  einer,  wenn  nicht  wohl- 
habenden,  doch  gut  situirten  Lage.  Er  bedurfte  fiir  seine 
Person  und  Familie  des  Erloses  jener  kostbaren  Tafeln 
offenbar  nicht.  Dass  er  dadurch  seiner  Stiefmutter  und 
seinen  in  Leipzig  wohnenden  Geschwistern,  die  allerdings 
in  Diirftigkeit  lebten?  habe  zu  Hilfe  kommen  wollen?  ist 
nach  der  Fassung  der  Bekanntaaehung,  welche  den  kunst- 
lerischen  Zweck  in  den  Vordergrund  schiebt7  kaum  anzu- 
nehmen. 

So  steht  man  liier  vor  einem  Fragezeichen  in  der 
Charakteristik  Em.  Bach's,  das  man  ungern  zu  seinen 
Ungunsten  beantwortet  sehen  mochte.  Sollte  Reich ardt, 
der  ihn  doch  lange  Zeit  hindurch  so  hoch  gesehatzt  hatte 
und  sich  seiner  Freundschaft  ru'hmen  durfte,  Recht  gehabt 
haben;  indem  er  von  ihm  sagte:  x)  ;.Er  war;  selbst  gegen 
junge  lehrbegierige  Kunstler?  die  sich  ihm  nahten,  in  hohein 
Grade  gewinnsu'chtig.  Diese  Gewinnsucht  erzeugte  auch 
manche  seiner  neueren  Arbeiten  etc."  Im  Hause  seines 
Vaters  hatte  er  keine  Gelegenheit  gehabt  Grundsatze 
kennen  zu  lernen?  die  ihn  zu  einem  so  hasslichen  Fehler 
hatten  verleiten  konnen.  Der  Ru£,  der  in  ihm  einen  Mann, 
von  jovialer  Laune  und  seltner  Liebenswlirdigkeit  schildert? 
und  das  gastfreie  "\Yesen  seines  Hauses,  wie  es  sich  spater 
in  Hamburg  gestaltet  hat?  sprechen  im  Ganzen  nicht  da- 
ftir?  dass  er  in  solchern  Masse  gewinnsiichtig  gewesen  sei. 
In  jedem  Falle  mochte  man  wiinschen?  dass  er  die  Kupfer- 
tafeln  zur  Kunst  der  Fuge,  auch  wenn  ihm  deren  Gewieht 
•and  gross^  Zahl  zeitweise  lastig  geworden  sein  sollte,  aus 


Belcfaardt,  Musik-Almaaach  von  1796. 


-    174    - 

Ketat  fur  die  letzte,  so  miihsame  und  grossartige  Arbeit 
seines  erblindeten  Vaters  aufbewahrt  hatte. 

Als  Seb.  Bach,  starb,  war  dessen  jiingster  lebender 
Sohn  Johann  Christian,  geb.  17357  15  Jahr  alt  Ema- 
nuel  Bach  nahm  ihn  mit  sich  nach  Berlin,  erzog  und 
unterrichtete  ihn.  Bald  aber  verliess  Johann  Christian 
ihn  wieder,  um  mit  einer  italienischen  Sangerin  nach 
Italien  zu  ziehen.  Ungeachtet  seiner  ausserlich  glanzen- 
den  Laufbahn  haben  Vater  und  Bruder  mit  seiner  Er- 
ziehung  keine  Ehre  eingelegt.  Emanuel  hat  sich  in  der 
Familien-Chronik  hieruber  in  seiner  hunioristischen  Weise, 
doch  ganz  klar  ausgesprochen,  indeni  er  sagte:  *)  „  Johann 
Christian  Bach  etc.  ging  nach  des  seligen  Vaters  Tode 
zu  seinem  Bruder  Carl  Philipp  Enianuel  Bach?  welcher 
ihn  erzog  und  informirte.  Reiste  anno  1754  nach  Italien. 
1st  jetzt  in  Engelland  bey  der  Konigin  in  Diensten  (inter 
nos,  machte  es  anders  als  der  ehrliche  Veit)"  der  um  seines 
Grlaubens  willen  sein  Vaterland  verliess  und  wenn  er  sein 
Getreide  zur  Muhle  brachte;  sich  auf  der  Zither  ubte. 


Capitel 

Anstellnng,  Aufenthalt  und  Lebensverhaltnisse 
in  Hamburg. 


Die  freie  Reichsstadt  Hamburg  war  von  dem  Ende  des 
17,  Jahrhunderts  ab  eine  Statte  der  Pflege  und  Uebung 
fur  die  deutsche  Musik  gewesen.  Hier  hatte  die  Schule 
der  alten  Contrapunktisten  und  Orgelspieler  in  dem  "feis 


i)  In  der  K.  Bibl.  zu  Berlin. 


—    175    — 

tief  in  das  18.  Jahrhundert  heruberragenden  Adam 
Re  in  eke  einen  ihrer  er.3ten  und  bedeutendsten  Reprasen- 
tanten  verehrt,  hier  hatte  die  deutsche  Oper  in  langer  und 
glanzender  Entwickelungsperiode  ihren  Aufschwung  ge- 
noramen,  hier  batten  R.  Keiser  uud  Handel  gelebt  und 
gewirkt  und  hier  hatte  Mat  the  son,  der  unerniiidliehe,  stets 
schreibelustige  und  schreibefertige  Kritiker?  die  Presse  zu 
einem  Kampf-  und  Tumrnelplatz  fur  die  Kunst  und  Musik- 
geschichte  seiner  Zeit  erhoben.  Hieher  war  Sebastian 
Bach  als  arrner  Knabe  von  Ltineburg  aus  gewandert,  urn 
zu  lauschen,  zu  horen,  zu  lernen,  und  hieher  war  er  als 
ein  Kiinstler  von  hohein  Range  zuruckgekehrt,  um  die  Er- 
fahrung  zu  machen?  dass  in  Hamburg  eine  Organistenstelle 
nicht  nach  dem  Maassstabe  der  Thatigkeit  und  der  Kennt- 
nisse,  die  sie  erforderte,  vergeben  werden  sollte,  sondern 
nach  dem  zufalligen  Vorrath  an  Geld3  der  auf  ihre  Be- 
zahlung  verwendet  werden  konnte.  Spaterhin  hatten  zahl- 
reiche  Manner ?  deren  Nanien  die  deutsche  Literatur  init 
dankbarer  Erkenntlichkeit  aufbewahrt  hat,  sich  nach 
Hamburg  gewandt  oder  doch  dorthin  ihre  Verbindungen 
eroffnet.  Hagedorn,  Lessing,  der  hier  seine  Drama- 
turgie  geschrieben,  Neumeister,  Klopstock,  Reima- 
rus,  Gerstenberg,  Voss,  Claudius,  Sturm  machten 
die  grosse  Handelsstadt  zu  einem  geibtig  belebten  und  in- 
teressanten  Aufenthalt.  Ihr  Umgang,  ihre  E"ahe  konnten 
einem  kiinstlerisch  und  lebendig  fuhlenden  Sinne  reiche  Be- 
friedigung  gewahren.  Dazu  kam  die  herrliche  Lage  des 
Orts,  der  nahe  Verkehr  mit  der  See,  die  grossartige  Be- 
wegung,  die  dadurch  fur  das  aussere  Leben  herbeigefuhrt 
wurde,  jenes  seltsame  Gemisch  von  grossstUdtischem  Luxtis 
und  von  speculative!'  Berechnnng,  das  noch  jetzt  das  Em- 
porium des  deutschen  Handels  an  der  Elbe  charakterisirt, 
und  das  sich  mit  jenen  Bestrebungen  auf  dem  Felde  der 
Literatur  und  Poesie  zu  einem  eigenthiimlich  schimmernden 
Ganzen  yereinigte. 

Das  Berlin  VOB  1768  vermochte^  des  grosaea 


—    176    — 

ungeachtet  der  dort  regierte,  nicht,  sich  in  seinem  ausseren 
Erscheinen,  in  deni  Reize  und  der  Annehinlifchkeit  des 
Lebens,  in  seiner  Lage  und  seinem  ganzen  Wesen  mit  deni 
damaligen  Hamburg  zu  messen. 

Dazu  kam  die  grossere  Freiheit,  deren  der  Kilns  tier 
doch  endlich  bedurfte,  das  Aufhoren  jenes  Zwanges,  der 
wie  ehrenvoll  er  inmierhin  sein  niochte,  doch  nach  fast 
dreissigjahriger  Dauer  das  innere  Leben,  die  geistige  Kraft, 
die  Elastizitat  des  Denkens  und  Schaffens  dem  Formalis- 
raus  nnd  der  Steif  heit  zu  ubeiiiefern  drohte,  die  naturgemass 
uberall  da  eintretcn?  wo  kein  Wechsel  die  Atmosphare  be- 
lebt  und  wo  die  Selbststandigkeit  der  Anscliauungen  und 
Empfindungen  sich  den  Ordnungen  wandelloser  Zustande 
fugen  muss?  die;  wle  hoch  und  gross  ihr  Inhalt  und  ihre 
innere  Nothwendigkeit  an  sich  sein  mdgen?  doch  imnaer 
einen  Zwang  bilden.  Bach's  Greist  verlangte  nach  jener 
Freiheit  des  Schaffens  und  der  Bewegung,  welche  ihin  in 
Berlin  nicht  zu  Theil  werden  konnte. 

In  Hamburg  hatte  vor  Kurzeni  Teleniann,   ehemals 

Sebastian   Bach's   Mitbewerber    um   das    Cantor  at    der 

Thomas-Schule  zu  Leipzig,  sein  arbeitsames?  langes  und 

ehrenvolles  Leben  beschlossen.     Dieser  grosse  und  fruckt- 

bare  Musiker,  zu  Magdeburg  am  14.  Marz  1681  geboren, 

also  4  Jahre  alter  als  Sebastian  B&ch,  den  er  doch  um 

17  Jahre  iiberlebt  hatte,    und    ebenso  viel   alter    als    sein 

Jugendfreund  Handel,    der  8  Jahre    vor  ihin   gestorben 

war,    hatte  am  10.  Juni  1721  die  Stelle  als  Cantor   und 

Musikdirector  am  Johanneum  zu  Hamburg  ubernominen, 

und  war  in  ihr  his  zu  seinem  am  25.  Juni  1767  erfolgten 

Tode,    also  46  Jahre  lang  verblieben.     Diese  Stelle   war 

es,  die  nun  auf  Sebastian  Bach's  zweitaltesten  Sohn  liber- 

gehen  sollte",  den  die  Prinzessin  Am  alia  noch  vor  seinem 

Abgange  von  Berlin  zu  ihrem  Hof- Kapellmeister  ernannt 

hatte,  einer  Wiirde,  die  ihn  ausserlich  zu  dem  Range  erliob, 

der  seinem  grossen  Vater  vom  Konig  August  III.  verliehen 

worden  war.     Die  Hamburger  Zeitungen  melden,  so  weit 


—  111  — 

der  Verfasser  hat  ermitteln  konnen,  von  Teleinann's 
Tode  und  der  Berufung  Einanuel  Bach's  nichts.  Die 
einzige  offentliche  Nachricht  daruber  ist  folgende  Anzeige1); 
?>Dle  durch  den  Tod  des  seel.  Kapellmeisters  Telemania 
erledigte  Stelle  eines  Musikdirectors  an  der  Michaelis- 
Kirche  zu  Hamburg  ist  mit  dem  beriihmten  Herrn  Carl 
Philipp  Emanuel  Bach  wieder  besetzt  worden.  Wir 
freuen  uns?  diesen  grossen  Meister  des  Clavierspiels,  dem 
wir  so  viele  yortreffliche  Sachen  fur  dieses  Instrument  zu 
danken  haben,  in  einem  Posten  zu  sehen,  wo  er  seine  vor- 
zuglichen  Talente  nun  noch  von  einer  andern  Seite  wird 
zeigeii  konnen,  und  wunschen  dem  deutschen  Vaterlande 
Gliick?  dass  der  Gesang  desselben  aus  der  Feder  eines 
Bach  klinftighin  neue  Schonheiten,  neue  Vollkommenheiten 
erhalten  soil." 

So  weiss  man  denn  auch  nicht,  auf  welche  Veranlassung 
hin  die  Stadtbehorden  von  Hamburg  dazu  gekonimen  sind, 
den  Ceinbalisten  Friedrich\s  des  (Jrrossen  dorthin  zu 
berufen,  Indess  war  sein  Ruhm  begrundet  und  verbreitet 
genug.  Vielleicht,  dass  er  bei  der  Nachricht  von  Tele- 
mann's  Tode  sich  fur  dessen  Stelle  gemeldet  hatte.  Denn 
dass  er  bei  geeigneter  Yeranlassung  von  Berlin  fortgeheu 
wollte?  stand  wohl  langst  bei  ihm  fest.  Er  selbst  sagt: 
,?1767  erhielt  ich  die  Vocation  nach  Hamburg  als  Musik- 


^)  Wochentliche  Naehrichten,  die  Musik  betr.  Leipzig  1767.  S.  204. 

^Doch  findet  sich  folgendes  Gedicht:  ,,Anf  Telemann's  Tod,  in 
Hamburg  im  Juni  1767U  vor: 

,}Ruh.?  der  geweihten  Gruft!   IJnd  den  Gebeinen  Friede. 

Erst  spat  entschlief  der  Geist,  des  ird'schen  Lebens  miide, 

Und  dock  fiir  seine  Kunst  zu  friib! 

Ihr  Weste,  kiihlt  sein  Grab,  feyrt  es,  der  Weisen  Chore, 

Kein  Laut  des  ranhen  Nords,  kein  Lob  des  Schwatzers  store 

Ben  Mann  der  Harmonie." 

Anch  eine  Grab-  oder  Leichen-Eede  fur  den  beriihinten  Tonsetzer 
ist  meat  aufeufinden  g-ewesen.  Die  Programme  des  Johanneums  ana 
jener  Zeit  erwahnen  dieses  Todesfalls  und  des  der  Anstalt  dadurch 
ervrachsenen  Yerlustes  ebenso  wenig,  als  sie  iiber  den  Eintritt  B  a  cb  J» 
an  Telemann's  Steile  eine  Bemerkung  enthalten. 

Bitter,  Emamiel  uM  Friedemaim  Baeb.  12 


—  178    — 

director  an  die  Stelle  des  seeligen  Herrn  Kapellmeisters 
Telenaann!  leh  erhielt  nach  wiederholter  allerunterthanigster 
Vorstellimg  meinen  Abschied  vom  Konige,  und  die  Schwester 
des  Kdnigs,  die  Prinzessin  A  mail  a  von  Preussen  Hoheit, 
thaten  mir  die  Gnade,  mich  zu  Hochst  Dero  Kapellmeister 
bei  meiner  Abreise  zu  ernennen." 

Gewiss  war  es  dem  Konige  schwer  geworden,  sich 
der  Dienste  ernes  Mannes  zu  entschlagen,  der  in  seiner 
Stellung  wie  wenige  ausgezeichnet  ihm  seit  27  Jahren  ac- 
compagnirt  hatte  nnd  an  dessen  Begleitung  er  claher  sehr  ge- 
wdhnt  war.  Der  Kdnig,  zwei  Jakre  alter  als  Bach,  trat 
in  die  Lebensperiode  ein,  wo  man  seine  Umgebung  ungern 
zu  wechseln  pflegt.  Es  scheint,  dass  er  Back's  Gesuch 
uni  Entlassiing  aus  seineai  Dienste ,  wie  dies  schon  fruher 
einige  Male  geschehen  war,  zunaclist  zuruckgewiesen  habe. 
Man  hat  nicht  unterlassen,  dies  so  darzustellen,  als  habe 
sich  Bach  seiner  Zeit  zu  Berlin  in  einein  gewissen  Zustande 
von  Unfreiheit  befunden?  als  habe  Frie-drich  der  G-rosse 
ilin  wider  seinen  Willen  in  gewissermassen  gewaltsamer 
Weise  zuruckgehalten,  an  der  Uebernahme  andrer  Stellen, 
die  ibm  mehr  Freiheit  der  Bcwegung  gelassen  haben  warden, 
gehindert.  Diese  Auffassung  ist  offenbar  unrichtig.  In 
friiheren  Fallen  hatte  der  Kdnig  seinern.  Abgange  3?durch 
namhafte  Zulagen  zu  seinem  Grehalte"  vorgebeugt. 
Es  wiirde  schlecht  urn  das  Ansehen  Emanuel  Bach's  vor 
der  Nachwelt  stehen,  wenn  ein  Mann  von  der  kirns tlerischen 
Grosse  und  der  personlichen  Bedeatung  Kdnig  Friedrichs, 
seiner  geringen  personlichen  Voiiiebe  far  ihn  angeachtet  die 
erste  Veranlassung  benutzt  hatte,  ihm  seinen  Abschied  zu 
geben.  Dass  er  auch  jetzt  dies  zu  vernieiden  suchen  musste, 
lag  auf  der  Hand  und  ehrt  den  Kdnig  wie  den  Diener. 
DassBachaber  denWunsch  hegen  musste,  in  freiere  Ver- 
haltnisse  uberzutreten?  ist  begreiflich,  und  so  war  es  ihm 
nicht  zu  verdenken,  wenn  er  auf  seiner  Entlassung  bestand? 
die  ihm  denn  auch  bewilligt  wurde. 

Es  war  fur  Bach's  Absichten  misslich,   dass  Fasch, 


—    179    — 

sein  College  fur  das  Floten-Accompagnement  des  Konigs, 
grade  als  er  im  Jahre  1767  selbst  damit  umging,  seine 
bisherige  Stellung  aufzugeben,  den  festen  Entschluss  gefasst 
hatte,  seinen  Dienst  zu  verlassen.  Z  elter  *)  erzahlt  hieriiber, 
dass  Bach  ihm?  wie  er  dies  sclion  friiher  gethan,  von 
dieseni  Schritte  abgerathen,  und  als  er  ihn  nicht  habe  be- 
wegen  konnen;  gebeten  habe,  ihm  zu  Gefallen  mit  seinem 
Gesuche  an  den  Konig  nur  14  Tage  zu  warten.  Fas  eh 
sei  hierauf  eingegangen  und  Baeh  habe  in  dieser  Zeit 
seinerseits  seinen  Abschied  gefordert  und  aueh  erhalten. 
Er  habe  seine  Verhandlungen  mit  Hamburg  sehr  geheiin 
gehalten  und  der  Konig  sei  hieriiber  sehr  empfindlich  ge- 
wesen.  Fasch  habe  nun  gleiehfalls  seine  Entlassuug  bean- 
tragt7  aber  zunachst  gar  keine  Antwort  bekommen.  Denn  der 
Konig  habe,  da  auch  Salimbeni  abgegangen  sei?  geglaubt? 
alie  seine  Leute  batten  sich  verabredet?  Zulage  von  ihm 
zu  erpressen  und  sei  der  Meinung  gewesen,  dass  Hasse 
die  Ursache  hiezu  sei2j.  Denn  dieser  sei  vor  deni  Kriege 
in  Potsdam  gewesen,  habe  dort  Bach  kennen  gelernt  und 
bewundert  und  dessen  Talent  gegen  den  Konig  sehr  ge- 
ruhmty  so  dass  dieser  auf  den  Gedanken  gekommen  sei, 
er  wolle  ihm  seine  besten  Leute  abwendig  maehen?  um 
sie  nach  Dresden  zu  ziehen. 

Bach's  personliches  Verhaltniss  zu  Friedrich  dem 
(rrossen  scheint  kein  besonders  vortreffliehes  gewesen  zu 
sein?  so  sehr  auch  die  lange  Dienstzeit7  seine  ausserordent- 
liche  kiinstlerische  Begabung  und  der  Umstand7  dass  der 
Konig  ihn  offenbar  ungern  aus  seinem  Dienste  sciieiden 


1)  C.  F.  Chr.  Fasch.    S.  20. 

Hienach  bericlitigen  sich  aueli  die  in  der  Gazette  musicale  de 
Paris  von  1854  in  einem  ,,Musikalisehe  Fiirsten"  iiberschriebenen 
Anfsatze  enthaltenen  Angaben  iiber  Bach's  Abgang-  von  Berlin, 
welche  eher  einer  novellistischen  als  einer  auf  wissenschaftllcher  Prii- 
futg  bernhenden  Darstellung  nngehoren  diirften. 

2)  Zelter  sagt  in  seinen  nachgelassenen  Papieren :  „ Hasse  hatte 
von  Emanuel  Bach  gesagt:  er  sei  der  gros&te  Componist  und  Ma- 
sikus  in  der  Welt44 


—    180    — 

&ah  und  vorher  schon  ihn  niehrfach  durch  Zulagen  in 
demselben  festgehalten  hatte,  fur  das  Gegentheil  zu  sprechen 
scheinen.  Bach's  Natur  war  ini  Allgeineinen  eine  nach 
freier  und  selbstandiger  Entwickelung  strebende.  Die  un- 
geheure  Ueberlegenlaeit  des  grossen  Konigs  in  alien  poli- 
tischen  und  militarischen  Dingen,  sowie  auf  dem  Grebiete 
der  geistigen  Bewegung  tiberhaupt  hatte  naturlicher  Weise 
dazu  gefiihrt,  dass  er  nach  alien  Seiten  hin  bestimmend, 
allein  entscheidend  auftrat.  Dies  konnte  Bach  nicht  zu- 
sagen.  So  mag  im  Laufe  der  Jahre  wolil  Manches  vor- 
gekommen  sein?  was  zur  Entfremdung  beitrug. 

Es  wird  erzahlt,  dass  Bach  sick  eine  Zeit  lang  in 
formlicher  Ungnade  befunden  habe  und  in  seinem  Dienste 
durch  einen  gewissen  J.  C.  Fischer  aus  Freiburg  ini 
Breisgau  ersetzt  worden  sei. 

Die  Ursache  soil  gewesen  seinL)7  dass  Bach;  mit  an- 
deren  Musikern  nach  Sanssouci  fahrend,  durch  die  schlechten 
Wege  so  aufgebracht  worden  sei7  dass  er;  was  wohl  kein 
General  habe  wagen  diirfeii,  einem  Kdniglichen  Haus- 
offizianten  gesagt  habe:  ,;Sagen  Sie  unserm  Herrn;  dass 
nicht  Ehre  noch  Gewinn  uns  eine  hinlangliche  Entscha- 
digung  fur  solch'  einen  lebensgefalirlichen  Dienst  bieten 
konnen.  So  lange  die  Wege  nicht  verbessert  sind,  wird 
man  uns  nicht  dazu  bringen,  wieder  hieher  zu  kommen." 
Moglich  ware  ein  solcher  Vorfall  wohl  gewesen.  Was  ihn 
aber  unwahrscheinlich  mackt  ist,  dass  liber  die  Person 
des  Fischer,  insbesondere  uber  seinen  jedenfalls  nur  vor- 
iibergehenden  Dienst  in  der  Kapelle  Friedrich's  II.  nir- 
gends  etwas  aufzufinden  gewesen  ist2). 

Auch  des  Konigs  Sparsamkeit  nach  dem  siebenjahrigen 
Kriege  scheint  den  Anschauungen  Bach's  nicht  entsprochen 
211  haben.  Die  Gehalte  waren  wahrend  der  Kriegszeit  in 


!i)  A.  Eees,  Cyclopaedia, 

-}  v  Ledebur's  Berliner  Tonkiuistler-Lexicon  enthalt  iiber  deu 
J.  C  Fischer  nichts. 


—    181    — 

Besoldungs  -  Scheinen  statt  in  baarem  Gelde  ausgezahlt 
worden,  welche  etwa  nur  V5  cles  wirklichen  Worths  batten 
und  oft  in  Zahhtng  gar  nicht  angenommen  wurden.  Afe 
der  Friede  abgeschlossen  war  und  Friedrich  sein  friiheres 
Leben  und  seine  kiinstlerischen  Uebnngen  wieder  begann, 
erwarteten  die  Kapellisten,  die  inzwischen  ihre  Ersparnisse 
aufgezehrt  und  vom  Unterricht  und  dem  Ertrage  ihrer 
Arbeiten  batten  leben  miissen,  dass  ihnen  fur  ibre  Verluste 
Entschadigung  gezahlt  werde.  Aber  davon  war  keine 
Rede.  Hieriiber  soli  Bach  sehr  aufgebracht  gewesen  sein 
und  dies  auch  haben  merken  lassen.  Dies  hat  schwerlich 
dazu  beigetragen,  ihn  dem  Konige  angenehm  zu  maehen  *). 
Sein  Missbehagen  an  dem  von  ihm  auszuiibenden  Dienste 
wurde  in  spaterer  Zeit  noch  dadurch  erhoht,  dass  als 
Friedrich  seine  Concerte  nicht  mehr  regelmassig  hielt, 
alle  Musiker  dennoch  piinktlich  und  in  der  vorgeschriebenen 
Kleidung  an  alien  den  Tagen  und  wkhrend  aller  Stunden, 
wo  nach  fruherem  Gebrauch  hatte  Concert  sein  konnen? 
im  Vorzimmer  gegenwartig  sein  und  ganzlich  unbeschaftigt 
die  Befehle  des  Konigs,  die  racist  ausblieben?  abwarten 
mussten.  Denn  nienials  wurde  ein  Concert  abgesagt2). 

In  Bach's  ganzem  Wesen,  seiner  sarkastischen  Natur 
und  seineni  auf  voile  Selbstandigkeit  drangenden  kilns t- 
lerisehen  Streben  mag  ausserdem  noch  manches  gelegen 
haben  ?  was  ihm  eine  Dienststellung,  wie  er  sie  in  der 
Kapelle  Friedrich's  II.  einnahm,  auf  dieDauer  unerwtinscht 
erscheinen  lassen  musste. 

Zelter,  der  ihn  sehr  hoch  schatzte,  hat  in  einer  Rede, 
die  er  zu  Konigsberg  i.  Pr.  am  17.  Januar  1809  zum  Ge- 
dachtnisse  Friedrich's  II.  gehalten  hatte,  iiber  Bach's 
Verhaltniss  zu  dem  Konige  auf  Grand  von  Fasch's  Mit- 
theilungen  Folgendes  ausgesprochen 3) : 


1)  Zelter,  C.  F.  Chr.  Fasck   S.  19. 

2)  Rochlitz  a.  a.  0.  I.  $,  288. 
»)  v.  Ledebur  a.  a.  0.  S.  19. 


—    182    — 

,,Carl  Philipp  Emanuel  Bach  hatte  einen  G-raun 
entgegengesetzten  ktinstlerischen  Charakter.  Dieser  geisi- 
reiche  und  originelle  Componist  liebte  den  Konig  auch 
als  einen  schdnen  Geist  und  grossen  Konig,  aber  er  Hess 
demselben  keine  seiner  machthabenden  Anspriiche  an  Genie 
und  Kunst  gelten.  Er  behauptete,  der  Konig  sei  zwar 
gebietender  Herr  in  seineni  Lande,  doch  nicht  im  Reiche 
der  Kunst;  wo  Gotter  walten,  von  denen  alles  Talent  aus- 
gelie  und  wieder  dahin  zuriickgehe.  Ein  Ktinstler  sei  ein 
von  hoherer  Hand  ausgestatteter  Sohn  des  Himmels,  der 
der  Welt  angehore,  wie  die  Welt  ihm,  und  daher  keiner 
Beherrschung  unterworfen  sei.  Eine  solche  Gesinnung  lag 
mm  kaum  in  den  Grenzen  der  Toleranz  des  grossen 
Friedrich;  auch  Bach's  Compositionen  fanden  seinen 
Beifall  nicht,  aber  der  Konig  achtete  ihn  und  sah  ihn 
sehr  ungern  nach  Hamburg  gehen." 

In  der  Biographie  Fasch's  (S.  46)  sagt  Zelter  hier- 
liber:  ,,Der  Konig  war  dafur  bekannt,  dass  er  die  Kirchen- 
Musik  nicht  liebte,  weil  er  einmal  in  der  Oper  gesagt 
hatte:  Das  schineckt  nach  der  Kirche!  Man  wollte  ihni 
ferner  die  Eigenschaften  eines  feinen  und  edlen  Herzens 
absprechen.  Seine  Ansprttche  auf  den  besten  Geschmack 
in  der  Literatur  und  in  den  Ktinsten?  sein  Macht-Regiment 
hier,  wie  in  der  iibrigen  Welt,  war  vielen  unertraglich 
und  verhasst.  Unter  diesen  war  Bach,  Faschens  Freund, 
einer  der  heftigsten,  und  es  fielen  wohl  zwischen  beiden 
Freunden  kleine  Streitigkeiten  daruber  vor.  Der  Konig 
merkte  es  Bach  en  an,  hatte  eine  personliche  Abneigung 
gegen  ihn  und  schatzte  diesen  grossen  Kiinstler  deswegen 
nicht  nach  Verdienst." 

Vielleicht  niochte  auch  Emanuel  Bach's  grosse  Nei- 
gung  zu  spottischeni  Scherze  das  ihrige  dazu  beitragen, 
ihni  eine  weniger  nahe  Stellung  zu  dem  Konige  zu  geben, 
als  sie  anderen  Kapellisten,  z.  B.  Graun,  Franz  Benda 
und  auch  Fas  oh  zu  Theil  geworden  war.  Fiir  seinen 
Oharakter  und  seine  Umganglichkeit  ist  es  aber  bezeich- 


—    183    — 

nend,  class  er  mit  Quantz,  der  auf  den  Konig  ausser- 
ordentlichen  Einfluss  hatte  und  sich  dessert  auch  In  hohern 
Grade  bewusst  war,  auf  dem  freundschaftlichsten  Fusse 
gelebt  hat.  Doch  gab  er  einst  einem  Freunde  folgendes 
Rathsel  auf:  ?;"Was  ist  das  ftirchterlichste  Thier  in 
der  Preussischen  Monarchic?"  DaNiemand  das  Rathsel 
errieth,  sagte  er  endlicli:  ,,Das  ist  der  Schoosshund 
der  Had.  Quantz.  Er  ist  so  furchterlich,  dass  sich 
sogar  Mad.  Quantz  vor  ihm  fiirchtet.  Vor  dieser 
aber  flirehtet  sich  Herr  Quantz,  und  vor  diesem 
selbst  der  grosseste  Monarch,  den  die  Erde  besitzt." 
Marquis-  d'Argens  erzhhlte  deni  Konige  diesen  Scherz, 
der  daruber  lachte  und  nur  sagte:  ??Hutet  euchja,  lieber 
Marquis?  dass  Quantz  diese  Gresehiehte  uicht  er- 
fahrt?  sonst  jagt  er  uns  alle  aus  deni  Dienst"1). 

Bach  verliess  Berlin.,  wohin  er  als  Jiingling  gekonimen 
und  zum  Manne  gereift  war.,  als  ein  beriihmter  Kun.stler. 
Dass  sein  Scheiden  von  dort  nicht  unbenaerkt  voriiberging, 
bezeugt  ein  Gedicht  der  Karschin: 

?7An  den  Herrn  Kapellmeister  Bach  bei  selnem  Heim- 
zuge  nach  Hamburg"2), 

Berlin,  den  24.  Februar  1768. 

Der  Du  bisher  mit  siissern  Saytentone 
Den  grossten  Erdengott  entziickt, 
Seitdern,  dass  er  auf  vaterlichern  Throne 
Regieret  und  beglttckt, 

O  Bach,  der  Du  seit  Friedrich's  ersten  Kiegen, 
Bey  Koniglicher  Sorgenlast, 
Sein  Herz  so  oft  dem  fiihlenden  Vergniigen 
Sanffc  aufgeschlossen  hast, 


1)  v.  Ledebur,  Tonkunstler-Lesicon.    S,  166. 

2)  Hambui^er  UaterfialtiHigen  1762.  p.  4SB. 


—    184    — 

Du  gehst,  wohin  Dein  giinstig  Gltick  Dich  ziehet^ 
In  jene  schiffunigeb'ne  Stadt, 
Die  gleich  dera  alten  Tyrus  wachst  und  bliihet, 
Und  fromme  Burger  hat. 

Daselbst  wirst  Du  dern  Gottergott  gefalleu, 
Der  alien  Konigen  gebeut, 
Dein  Ton  wird  dort  in  jedem  Ternpel  schallen 
Dem  Herrn  der  Herrlichkeit. 

Du  wirst  geliebt,  gepriesen  und  verehret, 
Doch  hier,  wo  Dir  so  lange  Zeit 
Die  stille  Spree  und  Havel  zugehdret, 
Erregst  Du  Bangigkeit. 

Hier-  klagen  Dich  die  Edelsten, "  die  Weisen, 
Mit  denen  Du  gewandelt  bivst, 
Die  nebst  der  Kunst  an  Dir  Dein  Herze  preisen. 
Das  gut  und  redlich  ist. 

Wie  Friedernann  Bach  seiner  Zeit  die  Stelle  an 
der  Liebfrauen-Kirche  zu  Halle  annahin?  die  sein  Vater 
im  Jahre  1713/14  abgelelint  hatte,  so  war  es  seinem  Bruder 
Emantiel  vergonnt;  Musik- Director  an  der  St.  Jacobi- 
Kirche  zu  Hambui-g  zu  werden;  deren  Organistendienst 
Sebastian  Bach  nicht  hatte  erlangen  konnen.  Die  Stelle, 
welche  Emanuel  Bach  zu  bekleiden  berufen  war,  hatte 
im  Uebrigen  viel  Aehnliches  mit  dem  Cantorate  der  Thomas- 
JSchule  zu  Leipzig.  Das  Johanneum,  dessen  Oantorat  init 
dem  Amte  eines  stadtischen  Musik-Direktors  fur  die  5  Haupt- 
Kirchen  der  Stadt,  die  St.  Nicolai-,  die  St.  Catharinen-j 
die  St.  Jacobi-?  die  St.  Petri-  und  die  St  Michaelis-Kirche 
verbimden  war,  war  im  Jahre  1529  in  einem  Theile  des 
ehemaligen  St.  Johannis  -  Klosters  nach  Vertreibung  der 
dort  befindlichen  Domini caner-Monche  errichtet,  d.  h.  in 
eine  Stadtschule  umgestaltet  und  unter  die  besondere  Auf» 


—    185    — 

sicht  mid  den  Schuiz  der  Stadt-Behorden  gestellt l)  worden, 
ganz  ahnlieh  wie  die  Leipziger  Thomas-Schule  urn  dieselbe 
Zeit  (1531)  aus  dem  ehemaligen  Thomas -Kloster  hervor- 
gegangen  war. 

Als  Bach  in  scin  Ami  trat,  gait  ain  Johanneuin  im 
Wesentlichen  noch  die  revidirte  Sclmlordnung  vom  30.  April 
1634.  der  gernass  der  Rector  und  Coiireetor  allein  in  Prima, 
der  Subrector  und  Cantor  allein  in  Secunda  unterrichten 
sollten.  Dies  und  der  Umstand,  class  in  die  letztere  Stelle 
grundsatzlieh  nur  studirte  Personen  berufen  wurden,  er- 
giebt,  dass  ihr  Inhaber  urspriinglich  zur  Theilnahme  an 
dem  wksensehaftlichen  Uuterriebte  bestimmt  war.  Im 
(ranzen  hatte  friiher  das  Lebrer- Personal  der  Anstalt  nur 
aus  dem  Rector,  Conrector,  ISnbrector,  Cantor  und  aus  vier 
Padagogen  bestanden.  Im  Jahre  1635  waren  indess  drei 
neue  Lebrer  hinzugetreten  und  das  Institut  in  acht  Classen 
getheilt  worden.  So  fand  e^  Bach  bei  seinem  Eintritt  vor. 

Die  Besoldungeii  waren  sehr  gering;  denn  es  erhielten 
der  Rector  nicht  mehr  als  jabrlich  1000  Mark2),  der  Con- 
rector  800  Mark,  der  Subrector  700  Mark,  der  Cantor 
600  Mark?  jeder  der  iibrigen  Lehrer  gleichfalk  600,  der 
Schreibelehrer  aber  nur  400  Mark. 

Die  Schule  war  vielleicht  in  Folge  mangelhafter  Lei- 
tung  durch  den  sehr  yerdienten.  aber  inzwisehen  sehr  alt 
gewordenen  Rector  M tiller  iin  Zuritckgehen  begrifFen. 

Der  Cantor  nahin  seit  der  durch  Telernann  einge- 
fiihi^ten  Praxis  ?  die  diesem  auch  in  Leipzig  hatte  zuge- 
standen  werden  sollen?  an  dem  wissensehaftliehen  Unter- 
richte  in  der  Secunda  nicht  inehr  Theil. 

Was  den  Musik-Unterricht  am  Johanneuni  anlangt?*so 
hatte  schon  die  Schulordnung  vom  15.  Juni  1629 3)  fest- 
gesetzt:  77Die  Musik  soil  von  dem  Cantor  zur  gehorigen 


J)  Ausfiihrliche   Nachrichten    liber  siimmtliche   evangel,  protest. 
Kirchen  tind  €reistliche  in  Hamburg.    S.  358  if. 
2}  Hamburger  Mark  =  15  Sgr.  1,82  Pf. 
3]  Gesehi<jhte  des  JoJbanneum  YOD  Calernberg,  S,  ItB. 


-   186   — 

Zeit,  d,  h.  urn  1  Uhr,  mit  Fleiss  getibt  und  nicht  ver- 
saumt  werden,  es  sei  denn:  dass  Gott  ein  Hinderniss  in 
den  Weg  lege." 

Die  verbesserte  Schulordnung  von  1634,  welche  noch 
zu  Bach's  Zeit  Geltung  hatte,  bestimnate  dagegen:  J) 
?>Weile  die  Musica  nicht  all  ein  fur  niitzlich  und  dienlich, 
sondern  auch  fur  ein  besonderes  Ornament  in  einem  wohl- 
bestellten  fiegiment  billig  gehalteii  wird,  soil  der  zu  der 
Musica  bestellte  Cantor  nebst  seinen  ordinariis  lectionibus 
auch  die  Musica  besten  Fleisses  treiben,  vermoge  des  or- 
dinarii  und  dass  in  den  Kirchen  der  Gottesdienst  sowohl 
an  "Werkel-  als  an  Sonn-  und  Feiertagen  ordentlich  moge 

begangen  werden Wenn  sonnsten  an  Sonn-  und 

Feiertagen  in  den  vier  Kirchspielen  soil  figurirt  werden, 
alsdann  sdll  sich  der  Cantor  am  gebiihrenden  Orte  unge- 
sauint  einstellen,  und  sollen  alsdann  dem  Cantori  die  Kna- 
ben  der  Schule  nicht  allein  fleissig  folgen,  sondern  auch 

die   Padadogi dem    Cantori   fleissig   aufwarten 

helfen Jedoch  soil  der  Cantor  wohlzusehen,  dass 

die  anderen  Kirchen  nicht  zn  sehr  geblosset  und  dadurch 

in  dem  Gesang  turbiret  oder  behindert  werden 

Der  Cantor  soil  wegen  der  Cantorei  stets  aufwarten.  Bei 
Begrabnissen  der  Verstorbenen  sollen  christliche  lateinische 
oder  deutsche  Gesange  und  Psalmen  mit  gebtihrender  Re- 
verenz  oder  Andacht  gesungen  werden,  bis  alle  Manns- 
personen,  die  der  Leiche  folgen,  in  die  Kirche  gegangen; 
und  das  Grab  wieder  zugescharrt,  und  wenn  einmal  ein 
Psalm  zu  Ende  gesungen,  soil  das  letzte  Versicat  nicht 
wiederholt,  sondern  ein  anderer  Psalm  neu  angestimmt 
werden. ff 

Im  Jahre  1732  endlich  war  bestimmt  worden2),  dass 
der  Cantor  die  Stunden  von  1  bis  2  zu  geben  habe,  ,,dabei 
er  auch  die  Theorie  und  Historic  der  Music  zu  treiben 


1)  Ibid.  S.  127  ff. 

2)  Schetelig's  Materialien,  L  d.  stadtischen  Bibl.  zu  Hamburg. 


—    187    — 

und  dahin  zu  sehen  hat?  dass  in  den  Kirehen  der  Grottes- 
dienst  ordentlich  nidge  begangen  werden." 

Dies  war  en  die  Amtsobliegenheiten  Telemann's  ge- 
wesen,  und  hienach  war  auch  Bach  in  seiner  neuen  Stel- 
lung  allein  auf  den  Musikunterrieht  angewiesen,  der  beson- 
ders  den  Freischiilern  des  Instituts  ertheilt  werden  musste. 
Daneben  hatte  er  die  rnusikalisehen  Aufftihrungen  ini  Jo- 
lianneum  und  in  den  fiinf  Hauptkirchen  Hamburgs  an  den 
Sonn-  und  Feiertagen  zu  leiten,  wofiir  ihm  von  jeder  Kirche 
jahrlich  eine  gewisse  Summe  ausgezahlt  wurde;  dies  hat 
wohl  wesentlich  zur  Verbes.serung  seiner  EinkommeBs?  der 
Stellung  in  Berlin  gegenuber,  beigetragen. 

??Der  Hauptgottesdienst  an  den  Sonn-  und  Festtagen 
wurde  abwechselnd  in  den  verschiedenen  Hauptkirchen  der 
JStadt  durch  eine  Musik  unter  Leitung  des  Musikdirectors 
ausgezeichnet.  Doch  wurden  diese  Auiffihrungen  von  Ora- 
torien  ihrer  Kostbarkeit  wegen  iin  Jahre  1790  (also  erst 
2  Jahre  nach  Bach's  Tode)  auf  30  im  Jahre  beschrankt. 
Man  wiinschte  die  Kirchenniusiken  den  Fortschritten  der 
Zeit  genaass  vollstandiger  zu  inaclien  5  allein  diese  neue  Ein- 
richtung  diente  iiur  dazu?  sie  ganz  aufhoren  zu  machen"  J). 
Da  nun  das  Kirchenjahr  mindestens  60  >Sonn-  und  Fest- 
tage  hatte  ?  so  war?  wenn  man  die  Zahl  der  Festmusiken 
spaterhin  auf  30  beschrlinkte;  zur  Zeit  Bach's  wohl  die 
grosse  Mehrzahl  der  Festtage  dureh  Kirchenmusiken  ge- 
feiert  worden?  was  eine  recht  ansehnliche  Beschaftigung 
fur  ihn  herbeigefulirt  haben  wird. 

Die  Kirchenmusiken  waren  schon  bei  der  Einrichtung 
des  Johanneunis  eingefuhrt  worden.  Ausserhalb  derselben 
lag  es  alien  Lehrern  der  unteren  Classen  sowie  dem  Can- 
tor und  den  Schuicollegen  ob?  mit  den  Freischiilern  in 
einer  der  altstadtischen  Hauptkirchen  an  alien  Sonn-  and 
Festtagen  und  so  oft  darin  Gottesverehrung  gehalten  wurde? 
auf  dem  Chore  gegenwartig  zu  sein  und  an  dem  Gresange 


E.  Mockeberg,  Die  St.  Nikolai kirehe  zu  Hamburg,  S.  ($6; 


—    188    — 

Theil  zu  nehmen.  Aueh  inussten  die  Sclmlcollegen  mit 
dem  Cantor  im  Predigerornat  bei  alien  Leichen,  welche 
"bei  den  Hauptkirchen  der  Altstadt  am  Nachmittag  oder 
Abend  mit  Gresang  und  Orgelspiel  zur  Erde  bestattet  wur- 
den,  singen,  wofur  sie  besondere  Bezahlung  erhielten,  die 
friiher  betrachtlich  gewesen  sein  soil,  wahrend  weiterhin 
haufige  Klagen  iiber  das  Zuruckgeten  der  Leichengelder 
und  Bitten  um  Erhohung  derselben  und  urn  Unterstutzung 
vorkommen  l). 

Wie  bereits  erwahnt,  inussten  die  Cantoren  des  Jo- 
hanneums  Universitatsstudien  gemaclit  haben.  Sie  hatten 
sich  wohl  ineistens  znvor  dem  Studium  der  Theologie  ge- 
widmet,  bis  sie  in  der  Folge  die  Musik  zu  ihrem  Haupt- 
beruf  machten.  Bei  Emanuel  Bach  war  die  Stadt- 
behorde  an  einen  studirten  Juristen  gekommen.  Als  er 
am  3.  November  1767  in  sein  Amt  eintrat,  war  er  der 
neunte  Cantor  an  der  seit  238  Jahren  bestehenden  Anstalt. 
Jeder  seiner  Vorganger  war  durchschnittlich  gerechnet 
fiber  ein  Yierteljahrhundert  in  seinem  Amte  thatig  gewesen, 
und  auch  Bach  sollte  diesen  Zeitraum  seines  vorgertickten 
Alters  ungeachtet,  nahezu  erreichen.  Am  19.  April  1768 
ward  er  von  dem  Senior  Groeze  durch  eine  offentliche 
Rede:  De  Harmonia  coelesti  in  sein  neues  Amt  ein- 
gefuhrt,  bei  welcher  Gelegenheit  er,  dem  dortigen  Ge- 
brauche  gemass,  eine  lateinische  Antrittsrede  ??de  nobi- 
lissimae  artis  musicae  fine  hielt 2) ,  deren  naherer 
Inhalt  leider  nicht  erhalten  geblieben  ist. 


i)  Die  Leiclicn-Crebiihren  betrugen  friiher  fiir  eine  kleine  Leiche 
8,  fiir  eine  grosse  12  Schilling. 

In  Schetelig's  mehrfach  genannten  Materialien  findet  sich  eine 
Aufforderung  des  Senats  zu  Hamburg  an  die  Einwohner,  zn  piinkt- 
licher  Zahlung  der  Leichen-Gebiihren.  Es  scheint  viel  Neigung  vor- 
handen  gewesen  zu  sein,  sich  dieser  Zahlung  zu  entziehen. 

2]  Hamburg.  Nachr.  ans  dem  Eeiche  der  Gelehrsamkeit  v.  1768 
Stck.  37.  S.  304. 


—    189    —  " 

Bald  nach  Antritt  seines  Aintes  erhob  sich,  wieSche- 
telig  in  den  angefuhrten  handschriftlichen  Materialien  zur 
Geschichte  des  Johanneurns  erzahlt  x),  ein  Conflict  uber  den 
Vorrang  zwischen  ihm  und  dem  Lehrer  der  Tertia;  well  in 
dem  Staatskalender  der  Name  Bach's  vor  dem  jenes  Lehrers 
(Schetelig)  aufgefuhrt  gestanden  liabe.  Bei  der  Anstel- 
lung  Seb.  Bach's  in  Leipzig  war  der  Streit  zwischen  deni 
dortigen  Rath  und  der  Kirchenbehorde  gefuhrt  worden. 
Hier  entschied  das  Scholarchat  die  wichtige  Frage  dahin: 
dass  der  Name  des  Lehrers  in  Tertia  kiinftig  im  Staats- 
kalender nur  dann  voranstehen  solle,  wenn  der  Lehrer 
fruiter  erwahlt  worden  sei  als  der  Cantor,  sonst  aber  urn- 
gekehrt.  Bei  dieser  Entscheidung  ist  es  geblieben?  und 
wir  ersehen  daraus,  dass  der  Cantor  ani  Johanneum  im 
Range  keineswegs  den  Lehrern  der  oberen  Classen  gleich- 
gestellt  war.  Doch  ist  es  wohl  unzweifelhaft,  dass  hier 
wie  in  dem  Cantorate  zu  Leipzig  der  Mann  und  nicht  das 
Amt  gait,  und  dass  Stellungen,  die  von  einem  Telemann 
und  Em.  Bach,  eingenomrnen  werden  konnten?  nicht  nach 
dem  btireaukratisch  beschrankten  Massstab  eines  pedantl- 
schen  ftchulnieisterreglements  beurtheilt  werden  durften. 

Zur  Zeit7  als  Bach  in  dieses  sein  neues  Amt  eintrat, 
war  J.  S.  M tiller  Rector  der  Anstalt.  Seit  1731  in  dieser 
Stellung  fungirend,  erhielt  er  bald  nachher  (1769)  Alters- 
halber  einen  Adjuncten  in  seineni  Sohne  J.  M.  Muller? 
der  bei  dem  1773  erfolgten  Tode  seines  Vaters  zum  Rector 
ernannt  wurde.  Dieser  starb  in  seineni  Amte  1781,  so  dass 
er  wahrend  des  grosseren  Theils  der  Dienstzeit  Bach's 
dessen  Vorgesetzter  blieb.  Er  hat  das  Verdienst7  in  die- 
ser seiner  Amtsfiihrung  das  Johanneum,  mancher  Schwierig- 
keiten  ungeachtet,  zu  neuer  Bltithe  erhoben  zu  haben. 
Ihm  folgte  in  dem  Rectoramt  A.  H.  Lichtenstein?  der 
dasselbe  bis  iiber  Bach's  Lebensende  hinaus  bekleidet  Rat. 
Als  Conrector  fungirte  bei  seinem  Diensteintritt  Gr.  Fr. 

2)  Auf  der  stMtlsehen  Bibliotbek  zu  Hamburg, 


—    190    — 

Richertz,  der  gleichfalls  1773  starb,  Subrector  war  seit 
1746  Volkmar,  der  bis  1783  im  Amte  blieb.  Die  an- 
deren  Lehrer,  die  Bach  als  Collegen  vorfand,  waren: 
Schetelig,  Lelirer  in  Tertia  seit  1761,  (ward  1773  Con- 
rector  und  lebte  bis  1807),  Heerwagen  starb  1783,  Wessel- 
hoft  bis  1798,  Raspe  bis  1809,  Mohl  bis  1771,  Wahn, 
Schreiblehrer,  bis  1795,  Witte,  Zeichenlehrer,  bis  1779, 
dem  1780— 1784  T is chbein  gefolgt  ist. 

Die  musikalische  Thatigkeit  Bach's  fur  das  Johan- 
neum  selbst  war  keineswegs  auf  den  blossen  Musikunter- 
richt  beschrankt.  Nach  der  bestehenden  Sitte  hatte  der 
Cantor  mit  den  Schulern  die  offentlichen  Prufungen  mit 
einer  kurzen  Musik  zu  eroffnen.  Aber  auch  sonst  gab 
das  Leben  an  der  Sclmle  oft  genug  Veranlassung  zu 
eingreifender  Thatigkeit,  wie  z.  B.  bei  Einffihrung  des 
jiingeren  M tiller  als  Kector  und  Schetelig's  als  Con- 
rector  am  7.  December  1773.  Letzterer  theilt  iiber  diese 
Feierlichkeit  Folgendes  mit:  ,,Etwas  nach  101/.,  Uhr-traten 
zuerst  die  beyden  Biii^germeister  aus  der  Kirche  in  die 
achte  Klasse  der  Schule  und  von  da  gingen  sie  in  Primam, 
und  bey  ihrern  Eintritt  nahm  sogieich  eine  von  dem  be- 
riihmten  Bach  verfertigte  schono  vollstimmige  Instrumental- 

und  Vocalmusik  ihren  Anfang Nach  der  Rede  des 

Oonrectors,  der  sich  wahrend  der  beyden  ersten  Reden 
(des  ersten  Biirgermeisters  und  des  Rectors)  auf  einen 
Stuhl  an  einem  Pfeiler  in  der  Nahe  der  Herren  Prediger, 
dem  Katheder  schrage  gegeniiber  gesetzt  hatte,  welchen 
Platz  unter  des  Conrectors  Rede  der  Herr  Rector  einnahm, 
ward  der  zweite  Theil  der  Musik  aufgefuhrt x).  Wie  die 


i)  Den  Text  clieser  zweitheiligen  Cantate  entlialten  Scheteligs 
Materialien  unter  deni  Titel:  ,,Text  zur  Finfiihrnngsmusik  der  Hoch- 
edleji  und  Hochgelahrten  Herren,  Herrn  Johann  Martin  Mtillers 
als  Rector  und  Herrn  Johann  Andreas  Gottfried  Scheteligs 
aufgefiihrt  von  Carl  Philipp  Emanuel  Baeh,  des  Hamburgisehen 
Musikchors  Director.  Die  Poesie  ist  von  Herrn  Christian  Heinrich 
Ernst  Miiller,  Herrn  Sohne  des  Rectors/'  Biehe  das  Yerzeichniss 
der  Werke  Bach's  im  Anhange  II. 


Musik  geendigt  war,  so  stunden  zuerst  die  Herrn  Burger- 
meister  auf."  etc.  etc. 

Die  Cantate  I.  Theil  ??Vor  den  Reden",  enthieit  einen 
Chor:  J?Freuet  euch?  ihr  Kinder  Zions/'  ein  langes 
Eecitativ  und  eine  Arie,  der  II.  Theil  ,7Nach  den  Keden" 
eine  Arie:  J7Frohlich  nimm  den  Lehrstuhl  ein,  theu- 
res  Paar  vereinter  Lehrer?"  ein  Eecitativ  und  einen 
Chor:  ?,Auf  zu  Gott,  du  Jubelchor,  steigj  in  heilgen  Har- 
monien  glanzend  auf  und  sehweb'  empor3  dein  Gresang  sei 
Hamburgs  Flor!"  Der  Musik ,  in  Charakter  und  Styl 
vermuthlich  den  Prediger  -  Einfiihrungscantaten  (yergl. 
Kap.  V.  C)  entsprechend?  wurde  in  den  offentlichen  Blat- 
tern  mit  besonderem  Lobe  gedacht J).  Sie  ist  bei  der 
Einfuhrmig  des  Conrectors  Lichtenstein3  Schetelig's 
Nachfolger,  am  9.  December  1777  noch  einmal  aufgefuhrt 
worden. 

Auch  bei  den  dramatischen  Aufriihrimgen?  in  welchen 
die  Schtiler  des  Johanneums  offentlich  vor  einem  geladenen 
Publikum  auftraten?  fehlte  die  Musik  nicht 2).  Schon  im 
Jahre  1756  hatte  eine  solche  Auffdhrung  des  Dramas: 
,?Das  durch  die  Romer  eroberte  Macedonien"  sfcatt- 
gefunden.  In  den*  Jahren  1758  und  1760  war  ein  Trauer- 
spiel  ??Nero"  zur  Darstellung  gelangt?  und  am  12.  ?  13.7 
14  und  15.  Miirz  1776  fand  abermals  eine  solcbe  ,,Rede- 
tibung"  statt,  welche  mit  einer  Instrumentalmusik  (Ou- 
verture)  begann,  demnachst  in  fiinf  Handlungen  die  Gre- 


1)  Der  Hamburger  Corresp.  von  1773  No.  196  sagt:  ,,Vor,  zwwchen 
imd  nach  geendigten  Eedea  liess  sieh  erne  vollstandige  Vocalistisik 
Mren,  deren  Composition  trasern  beriihmten  Herrn  Mosik- Director 
Bacfeen  gar  bald  errathen  liess."    Die  Hamburger  Adress-Comptoir- 
Nachrichten  (B,  St.  96)  sagen:  ,,Unser  verdienstvoller  Hr.  Kapellmeister 
Bach  halte  zu  dieser  Handtag  die  Musik  gesetzt,  eioe  Composition, 
welche  von  dem  grossen  Talent  dieses  Mannes  einen  abermahligen 
Beweis  gab.n 

2)  Die  vollstandigen  Programme   zu    diesen  AuffuhrangeB  emt- 
halten  die  Schetelig'seiien  Materialiea. 


—    192    — 

schichte  Caesar's  bis  zu  seiner  Ermordung  drarnatiseb  be- 
handelte^  und  nachdern  zwischeii  den  ersten  Abtheilungen 
Arien1)  von  Bach's  Composition  gesungen  waren,  mil 
einer  wahrscheinlich  aus  einzelnen  Satzen  seiner  Svmpho- 
nien  bestehenden  Instrumentalniusik  schloss. 

Die  Auffu'hrung  erregte  ein  ungewdhnlich.es  Interesse, 
sowolil  wegen  der  ihr  zu.  Grunde  liegenden  Dichtung  als 
auch  hinsichtlich  der  Ausfuhrung.  Die  Vorstellung  war 
sehr  besucht,  weim  auch  in  der  Programm-Einladung  die 
fruher  stets  figurirende  Bitte,  ,;die  Damen  werden  er- 
sucht,  ohne  Reifrocke  zu  erscheinen",  nicht  mehr  Auf- 
nahme  gefunden  hatte.  Auch  die  Musik  erregte  die  Aufmerk- 
samkeit  der  zahlreichen  Zuhorer.  Ein  gleichzeitiges  offent- 
liches  Blatt2)  sagt  von  ihr:  ,,Von  der  Musik,  die  bei  dieser 


1)  Zu  den  Arien  waien  besondere  Texte  gedmckt,  deren  Ueber- 
schrift  lautete:   „  Alien,  von  dem  Herrn  Cantor  und  Musik -Director 
'Bach  in  die  Musik  gesetzet  und  bey  der  am  12,,  13.,  14  und  15  Marz 
1776  zu  haltenden  Eede-Uebung  abgesungen". 

Der  Text  der  Ai'ien  war  foJgender: 

Erste  Arie.  Arioso. 

Z^-schen  der  1   u.d  2   Handlung  $^  rp          fliessen 

Edle  Freiheit,  Gottergluck.  ™      .    «  .,  v      .     ,    ,  , . 

TV,       j.  ,   .  1  m  i  w»  j         Wie  em  Fruhlmgsbach  dahin 

Ohne  dich  ist  Glanz  und  Wurde       „  ...    «         -     °.  ."lil- 

Nur  ein  schiinmernd  Missgeschick,  f  ^  Tuf "?'  ^n  Begteter, 

Eine  Sklayenbiirde.  Lasst  auf  semem  Pfade  Rosen 

Fur  den  Liebling  ihrer  Brust  n' 

Hat  die  G-ottheit  dich  erkoren,  . 

Und  der  Mann,  der  dick  verloren,  r/  .  .      ,,         .' 

T      v    ,  \         v        T        T      ,  Zwischen  der  4.  und  5.  Handlung 

Lecnzt  urasonst  nach  andrer  Lust.      t>  .  >     , ,  nr  .. 

Reiche  bis  zum  Wolkensitze, 

Zweite  Arie.  Noch  ist  Demuth  deine  Pfiicht. 

Zwischen  der  2.  und  3  Handlung.  Dich  beschirmt  vor  naheni  Blitze 

Himmelstochter,  Euh  der  Seelen,  Ruhm  und  Gold  imd  Hoheit  nicht, 

Ewig  wirst  du  Fiirsten  fehlen,  Gestern  Herr  von  sieben  Reichen, 

Denn  dich  schi*eckt  des  Purpurs  Heut  ist  kaum  ein  Hugel  dein 

G-Ianz.  Fhichtiger  als  Krafte  reichen, 

Ungewinkt,  mit  leisein  Schritte,  Kann  dein  Gllick  entwichen  sein. 
Eilst  du  zu  des  Schafers  Hiitte, 
Windest  mit  an  seinem  Veilchen- 
kranz. 

2)  Beitrage  zum  Reichs-Postreuter  v.  1776,  St.  24 


—    193    ~ 

Gelegenheit  aufgefiihrt  ward,  braucht  man  zu  ihrem  Ruhm 
welter  nichtsjsu  sagen,  als  dass  sie  von  der  Composition 
des  Herrn  Oapelbn.  Bach  1st."  Auch  andere  Blatter  be- 
schaftigten  sich  eingehend  mit  dieser  Auffuhrung1),  welcher 
mit  gleichem  Erfolge  und  mit  denselben  Bach'schen  Arien 
im  Jahre  1778  eine  Vorstellung  des  Tode*  cles  Seneca 
folgte. 

Ob  ahnliche  Redeiibungen  noch  spater  stattgefunden 
haben,  ist  dem  Verfasser  nicht  bekamit  geworden,  Doeh 
zeigen  die  yorhergehenden  Mittheilungen  ?  dass  in  dem 
Johanneum  za  jener  Zeit  ein  lebendiger  Geist,  voll  von 
kiinstlerisch  anregenden  Elenienten  gewaltet  hat?  und  dass 
die  Stellung  Bach's  an  demselben  nicht  bless  die  eines 
trocknen  Lehrmeisters  der  Musik  gewesen  iat.  Auch  er- 
giebt  sich  aus  den  kritischen  Aeusserungen  uber  jene 
Feierlichkeiten?  wie  sehr  er  in  naheren  und  weiteren  Elrei- 
sen  als  ein  Mann  von  grosser  Bedeutung  und  hohem  Kunst- 
range  anerkannt  ward,  aus  dem  ganzen  Zusammenhange 
aber  auch?  wie  seine  Steliung  zu  Lehrern  und  Schiilern 
eine  vertraute  und  geachtete  gewesen  sein  muss. 

Dennoch  war  es  den  Lehrern  der  Anstalt  nicht  leicht 
gemacht  worden?  sich  mit  dem  Uebermuthe  und  der  Un- 
gezogenheit  der  jungen  Leute  abzufinden.  Die  Schetelig'- 
schen  Hefte  sind  reich  an  Klagen  hiertiber  und  auch  Bach's 
Stellung  scheint  dabei  nicht  ganz  frei  ausgegangen  zu  sein. 
Das  wiederholte  strenge  Einschreiten  des  Rectors  scheint 
nicht  immer  gefruchtet  zu  haben?  und  so  erschienen  im 
Jahre  1778  neue  disciplinarische  Schulgesetze,  welche  neben 
strengen  Vorschriften  uber  die  Haltung  und  das  Benehrnen 
der  Schuler  in  den  Classen  unter  Anderem  festsetzten? 
??dass  Niemand  mit  Degen  in  die  Schule  kommen  solle?a 
und  namentlich  in  Bezug  auf  die  dem  Cantor  zufkllendeia 
Theiie  des  Unterrichts  und  der  offentlichen  Ordnung  be- 
stimmten: 


2)  GemeiHnfita%0  Hamburger  Anzeigen  T.  1176,  St.  34, 

Bitter,  Emnnuel  uad  Priedemann  Bach,  13 


-    194    - 

Art.  19.  Beim  Gesange,  mit  welchem  die  Selml- 
Lections  anfangen  und  geendigt  werden;  pollen  sie,  (die 
Sehuler)  nicht  auf  unanstandige  und  baurische  Weise  ein 
Geschrei  und  Gebolke,  viel  weniger  Possen  treiben. 

Art.  20.  In  der  Kirche  soil  sich  ein  jeder  zum  Ge- 
sang  bestimmter  und  gehoriger  Schuler  andachtig  beneh- 
men  und  nach  Anweisung  des  Vorsangers  vor  dem  Pulpet 
absingen. 

Art.  23.  Die  sich  bei  offentlichen  Leichenbegangnissen 
einfinden,  sollen  nach  der  Ordnung,  wie  sie  in  der  Schule 
sitzen,  paarweise  gehen  und  sich  alles  Larmens  nnd  Aus- 
tretens  enthalten,  bei  der  Leiche  selbst  aber  fleissig  mit- 
singen. 

Es  scheint,  dass  diese  Vorschriften  eine  Zeit  lang  vor- 
gehalten  haben;  denn  weitere  Bemerkungen  uber  die  Un- 
gezogenheiten  der  Schuler  finden  sich  nicht  vor. 

So  yiel  von  Em.  Bach's  ausserer  dienstlicher  Stel- 
lung  mit  ihren  Eechten  und  Pflichten.  Die  letzteren  waren 
im  Ganzen  genommen  nur  hinsichtlich  des  Einstudirens 
und  der  Auffiihrung  der  Kirchenmusiken  von  kiinstlerischer 
Bedeutung,  boten  ihm  aber  gerade  hier  die  reichste  Ge- 
iegenheit  zur  Entfaltung  einer  nutzlichen  und  fruchtbrin- 
genden  Thatigkeit.  Man  wird  spater  sehen,  in  welchem 
Maasse  er  &ich  dieser  Grelegenheit  bedient  hat. 

Ueber  sein  ferneres  Leben  in  Hamburg  theilt  Bach 
selber  nur  Folgendes  mit:  ,?Ich  habe  seit  meinem  Hierseyn 
wiederum  ein  paarmal  &ehr  vortheilhafte  Rufe  anderswohin 
gehabt;  ich  habe  sie  aber  jederzeit  abgeschrieben,"  Diese 
wenigen  Worte  sagen  deutlich  genug,  dass  er?  anerkannt 
und  geehrt  von  alien  Seiten,  mit  seiner  Stellung  zufrieden, 
sich  in  seinen  dortigen  Lebensverhaltnissen  glucklich  fuhlte 
und  dass  er  bis  an  sein  Ende  dort  verbleiben  wollte.  So 
konnte  er  zu  Burney  sagen:  77Wenn  auch  die  Hamburger 
nicht  alle  so  grosse  Kenner  und  Liebhaber  der  Musik  sind; 
als  Sie  und  ich  es  wtinschen  mochten:  so  sind  dagegen 
die  rneisten  sehr  gutherzige  und  umgangliche  Personen, 


—    195  •  — 

mit  denen  man  ein  angenehmes  und  vergniigtes  Lefcen 
fiihren  kann;  und  ich  bin  mit  meiner  gegenwartigen  Si- 
tuation sehr  zufrieden-,  freylieh  mochte  ich  mich  zuweilen 
ein  wenig  schamen,  wenn  ein  Mann  von  Geschmack  und 
Einsicht  zu  uns  koinmt,  der  eine  bessere  musikalische  Be- 
wirthung  verdiente?  als  womit  wir  ihin  aufwarten  konnen." 

Wohl  mochte  ihm  der  Unterschied  in  der  musikali- 
schen  Bildung  und  im  Geschmaeke  an  der  Kunst?  so  wie  der 
Mangel  an  Umgang  mit  so  ausgezeiehneten  Kunstgenossen 
gegen  Berlin,  bei  aller  Einseitigkeit,  die  dort  nach  und 
nach  hervorgetreten  war,  recht  fiihlbar  geworden  sein. 
Dennoch?  wie  vereinzelt  er  in  Hamburg  stehen  mochte, 
hat  doch  seine  dortige  Stellung  ihni  nicht  bloss  die  directe 
Veranlassung  geboten,  eine  sehr  grosse  Anzahl  umfang- 
reicher,  zum  Theil  bedeutender  Arbeiten  fur  kirehliche 
Zwecke  zu  schreiben,  sondern  ihm  auch  die  Musse  gelassen, 
in  voller  Ruhe  und  Freiheit  seiner  Vorliebe  fur  die  Instru- 
mental-Composition zu  gentigen.  lSTebenbei  konnte  er  dem 
geistlichen  und  weltlichen  Liede  in  einer  nicht  zu  unter- 
schatzenden  Weise  seine  Aufmerksamkeit  zuwenden  und 
den  ihm  ganz  neuen  Zweig  des  geistlichen  Oratoriums 
betreten.  Ausserdem  war  ihm  die  Gelegenheit  gegeben, 
im  Unterricht  wirksam  zu  sein  und  als  Virtuose  von  hoch- 
stem  Range  sich  vor  dem  dankbaren  Zuhorerkreise  einer 
grossen  und  durch  einen  sehr  ausgedehnten  Fremdenver- 
kehr  belebten  Stadt  geltend  zu  machen. 

So  in  seiner  ausseren  Stellung  auf  die  Kunst  hinge- 
wiesen?  in  seinen  Bewegungen  und  Lebensverhaltnissen 
ungehindert  und  frei?  in  einer  Lage?  die  ihm  jedenfSalls 
driickendere  Sorgen  fern  Melt,  in  der  reichen  Gelegenheit 
zu  anregendet  Thatigkeit  und  zu  interessantem  person- 
lichen  Verkehr  mit  geistvollen  und  hochgebildeten  Man- 
nern,  auf  ein  L«eben  voll  von  ausserem  Glanz  und  von  reichen 
ktostlerischen  Erfahrungen  und  Geniissen  zuruckschauend, 
wie  hatte  wohl  eine  andere  Lebensstellung  fur  ihn  gliick- 
licher  und  befriddigender  sein  konnen? 

13* 


—    196 


Capitel  V. 

Compositionen  in  der  Hamburger  Periode. 


Ba  ch  hat  diese  neue  Periode  seines  Lebens  fiir  die  Kunst 
in  hohem  Grade  nutzbar  zu  machen  gewusst. 
Folgendes  sind  seine 

A.    Clavier-  Compositionen 

der  Hamburger  Periode. 

1769:   Senate  mit  veranderten  Reprisen,  gedr.  im  musik.  Vielerlei, 
Clavier- Concert  mit  2  Hornern,  2  Floten  und  Quartett,  Es- 

dur  *!*, 
12  kleine  Stucke  mit  2  mid  3  Stimmen,  gedr   bei  SchSne- 

mann,  in  Taschenformat, 
1770:   Concerto  fur  Clavier,  F-dur*/4, 

Clavier -Concert  init  2  Hornern  und  Quartett,  F-dur4/4, 
1771:    6  Clavier  -Concerte  mit  2  Hornern  und  Quartetr,   gedr.  in 

Hamburg, 

1772:   Sonate  5  der  L  Sammlung  fur  Kenner  und  Liebhaber, 
1773:        „       1    „    1.  desgl., 

1774,        „       1    „    3.  desgl., 

„       2    „    2.  desgl., 

„       3    „    1.  desgl., 

1775:   Clavier -Solo,  C-dur  %, 

6  leichte.  Clavier  -Sonaten  (for  the  Harpsichord  or  Piano), 
Sonate  1,  2,  3  der  1.  Sammlung  der  Clavier-Trii  (mit  Violine 

und  Cello),  gedr., 

1776:  2  Sonaten  der  2.  Sammlung  fur  Kenner  etc., 
1777;  4  Sonaten  der  Clavier-Trii  (mit  Violine  und  Cello), 
1778:  Folies  d'Espagne,  Variationen, 

Rondo  1,  2  und  3  der  2.  Sammlung  fiir  Ke-nner  etc., 

2  Clavier -Concerte  mit  2  Hornern  und  Quartett,  Gr-dur  %, 

D-dur  A/*, 

1  desgl.  mit  2  Floten,  2  Hornern  und  Quartett,  Es-dur  4/4> 
6  Sonaten  fur  Clavier,   Violine  und   Cello   (bei   Humnxel 

gedr.)? 
1779:  Rondo  3  der  3.  Sammlung  fur  Kenner  Trad  Liebhaber, 


—    197    — 

Rondo  3  der  4.  Sammlung  fur  Kenner  und  Liebhaber, 
1780:  Senate  1  und  2  der  2.  Samml.  fur  Kenner  und  Liebhaber, 

Eondo  2  der  3.  SamraL  fur  Kenner  und  Liebhabei; 
1781:   Abschied  von  meinem  Silberman'schen  Clavier,  in  einem 

Rondo,  E-molI  24, 

Rondo  1  der  4.  Samrnl.  fiir  Kenner  etc., 
Sonate  1  derselben  Sammlung, 
Canzonette   der  Herzogin   von  Gotha,   mit  Veninderungen, 

F- dm:  2/4, 

Trio  fiir  Clavier  und  Violine,  A-dur^/4, 
1782:  Die  1.  Fantasie  der  4  Samml.  fur  Kennei  etc., 

Die  1.  und  2.  Fantasie  der  4.  Samml.  iiir  Kenner  etc., 
Das  1   Rondo  der  4.  Samml.  fur  Keuner  etc., 
1783:   Sonate  fur's  Bogen- Clavier,  G-flurH 
1784:  Die  2.  Fantasie  der  5.  Samml.  fur  Kenner  etc., 
Die  1,  2.  und  5.  Sonate        desgl, 
Das  2.  Rondo  desgl., 

1785:   Die  1.  und  2.  Sonate  der  6.  Samml.  fur  Kenner  etc., 
1786:  Das  1.  Rondo  der  6.  Samml.  fiir  Kenner  etc., 
2  Clavier -Soli,  gedr.  bei  Schwiekert, 
Clavier -Solo,  C-moll  % 
Desgl.  mit  einem  Rondo,  G-dur  6^ 
Die  1.  und  2.  Fantasie  der  6.  Samml.  fiir  Kenner  etc., 
1787:   Clavier -Fantasie,  Fis-dur-1^  auch  zum  Trio  umgearbeitet, 

Clavier -Fantasie  mit  Violine, 
1788:  3  Quartetten  fiir  Clavier,  Flote,  Viola  und  Bass,  C-dur  % 

D-dur-tyt,  G-dur  % 

Clavier-Concert  mit  Hornern,  Floten  und  Quartett,  Es-dur  •*  j 
Es  gehoren  ferner  der  Hamburger  Periode  ohne  ge- 
nauere  Zeitbestimmung  an: 

Variarionen  zur  4.  Sonate  des  2.  Theils  der  Trii  (No.  34—36), 
Sonatine  nuove,  6  einzelne  Satze  zu  der  3.  Ausgabe  des  Versnchs 

iiber  die  wahre  Art  das  Clavier  zu  spielen, 
6  kleine  Sona'en  fiir  Clavier,  B-Clarinette  und  Fagott, 
Eine  Menuett,  die  vor-  und  riickwarts  gespielt  werden  kann,  gedr. 

im  Musik.  Vielerlei, 
Bin  Clavierstiick  fiir  die  rechte  oder  linke  Hand,  gedr,  ebendas. 

Diese  Stiicke  vertlieilen  sieh  im  Eiczelnen  wie  folgt: 

a.  Sonaten   und  Clavier -Soli  einschliesslicli   der  Rondos  und 
einesConcertsobneBegleitung  so  wiederfreien  Fantasien,      57 

b.  Variationen, 3 

c.  kleinere  Stiicke, 14 

<t  Concerte  mit  Begleitung, 

e.  Trii  und  Sonaten  mit  Instnimenten  and  Quartetten,     . 


—    198    — 

Von  diesen  Claviersachen  sind  zur  Lebenszeit  Bach's 
75  im  Druck  erschienen. 

Fasst  man  bei  dieser  Gelegenheit  Bach's  gesammte 
Thatigkeit  fur  das  Clavier  zusammen,  so  ergiebt  sich;  dass 
er  Alles  in  Allein  an  bekanntgewordenen  Clavier -Com- 
positionen  gesetzt  hat: 

A.  an  Sonaten,  Rondos,  Soils,  Concerten,  Suiten,  Sinfonien,  Sona- 
tinen  und  freien  Fantasien  fur  Clavier  allein: 

in  Leipzig 11 

in  Frankfurt  a/0 6 

in  Berlin 116 

in  Hamburg 53 

zusammen  .    .    .  186 

B.  an  Variationen: 

in  Frankfurt  a/0 1 

in  Berlin 4 

in  Hamburg 3 

zusammen  .    .    .          >••  8 

C.  an  Fugen  fur's  Clavier  in  Berlin 6 

D.  an  kleinen  Stiicken  jeder  Art: 

in  Frankfurt  a/0 1 

in  Berlin 105 

in  Hamburg 14 

zusammen  .    .    .  120 

E.  an  Concerten  mit  Begleittmg: 

in  Leipzig 3 

in  Frankfurt  a/0 1 

in  Berlin ,  38 

in  Hamburg 12 

zusammen  .    .    .  — — -          54 

F.  an  Sonatinen,  Quartetten,  Triis,  Sonaten  mit 
Begleitung  von  Instrumenten: 

in  Leipzig 2 

in  Fiankfurt  a/0 — 

in  Berlin 18 

in  Hamburg 24 

znsarninen  .    .    .  408 

Hierzu  treten  ohne  jede  Zeitbestimmung: 

kleine  Duetten  fiir  2  Claviere 4 

Ergiebt  in  Allem    ...  412 


—    199    — 

Von  dieser  Zahl  der  Clavierstiicke  sind  zu  Lebzeiten 
Bach's  gedruckt: 

a.   Sonaten  und  Soli  fur  Clavier; 

in  Berlin 82 

in  Hamburg 39 


b*  Concerte:  in  Berlin 3 

in  Hamburg .       6 

— —  9 

c.  Kleinere  Stiicke: 

in  Leipzig 1 

in  Berlin ,      71 

in  Hamburg 20 

__  92 

d.  Fugen:  in  Berlin 6 

e.  Variationen:  in  Berlin 3 

f.  Sonatinen,  Trii,  Sonaten  mit  Begleitung: 

in  Berlin 0 

in  Hamburg 13 

zusammen  .    .    .  250 

oder  grade  5/8  dessen,  was  er  geschrieben  hat1). 

Diese  Thatigkeit,  die  immerhin  als  sehr  bedeutend 
anerkannt  werden  darf,  steht  der  seines  Vaters  fur  das 
Clavier  etwa  gleich.  Seb.  Bach  hatte,  ohne  die  Qrgel- 
Compositionen  zu  rechnen;  in  einem  45jahrigen  Zeitraum 
etwa  350  Clavierstiicke  mit  und  ohne  Begleitung  ge- 
schrieben. 

Em.  Bach's  Claviersachen  vertheilen  sich  auf  sein 
langes  Leben  in  ziemlich  gleichroassiger  Weise.  Nur  in 
zwei  Jahren  erschienen  gar  keine  Clavier-Compositionen 


i)  Bach  selbst  hat  im  Jahre  1773  die  Zahl  seiner  bis  dahln 
componirten  Clavier -Werke  folgendennaassen  angegebeB: 
30  Trios  fur  Clavier  und  andere  Instrumente, 
12  Sonatinen,  desgl., 

50  OoBcerte  mit  Instrumental -Begleitung, 
170  Soli  fur  Clavier. 

Diese  Zahlen  stimmen  bis  auf  unbedeutende  Differenzen  mit  den 
vorhergehet&ba  AwfetelltaigeiL  Nar  die  Zahl  seiaar  Clavier- Sola  wk 
bedeutender,  aJs  er  safest  sie  angiebt 


T-    200    — 

von  ihrn,  nainlich  1768,  in  welchem  Jahre  er  von  Berlin 
nach  Hamburg  itbergesiedelt  war?  und  1776,  wo  er  iiber- 
haupt  ungewolmlich  wenig  componirt  hat,  was  bei  seiner 
sonstigen  rastlosen  Thatigkeit  anf  eine  dauernde  Stoning, 
vielleicht  auf  Krankheit  scliliessen  lasst.  Sonst  treten  noch 
die  Jahre  1772  7  wo  er  krank  gewesen  1st,  und  1773  und 
1783  init  nur  je  eiuem  Claviers  tuck  zuriick.  In  dies  en 
Jaliren  hatte  ihn  die  Vocalinusik  inehr  als  sonst  in  An- 
spruch  genoinmen. 

Seine  iin  Druck  erscliienenen  Clavier-Compositionen, 
soweit  sie  ausserhalb  dor  zahlreichen  Saininelwerke  jener 
Zeit  veroffentliclit  warden,  sind  folgende: 

1731:    Menuett  mit  uberschlagenden  Handen,  in  Leipzig  von  ihm 

selbst  gestochen, 
1742:    6  Sonaten,    Friediich   II.   gewidmei:    bei    Schmidt    in 

Nlirnberg, 

17-44:    6  desgl.,  die  Wiirtembergischen,  ebecdort, 
1745/52:    2  Fliigel-Concerte,  in  D-dur  und  B-dur,  ebendort, 

1753:    6  Sonateu  und  eine  freie  Fantasie  zum  Versuch  liber  die 

wahre  Art  des  Clavierspiels,  in  Berlin/ 
2  Trii  fur  2  Yiolinen  und  Bass,  und  fur  FJote,  Violine  und 
Bass,  auch  fiir  den  Fiiigel  zu  spielen,  bei  Balth.  Schmidt 
seel.  Wittib  in  Niiraber^,  ohne  Jahveszahl,  1748  und  1749 
coinponiit, 
1758:    12  kleine  zwei-  und  dreistlmmige  kurze  Saicke  (in  Taschen- 

format,  bei  Winter  in  Berlin), 
1759:    der  1.  Theil  der  Eeprisen-Sondten,  ebendas., 
1760:    Fiiigel -Concert  aus  E-dui,  ebendort  (comp.  1744), 
1761:    Die  1.  Fortsetzung  der  Reprisen- Sonaten,  desgl., 
1762:    Die  2.         do.  desgl. 

1764:  j  1  Sonatine  fur  Clavier  und  Instrumente,  C-clur,  ebendort, 
1765:  i  die  2.  und  3.  Sonatine  in  D-moll  und  Es-dur.       desgl , 
/  6  leichte  Clavier -Sonaten  (bei  Bieitkopf  in  Leipzig), 
\  1.  Samralung  der  CJAvierstucke  verschiedener  Art  (bei  Win- 
1766:         tor  in  Berlin), 

1 1.  Sammlung  der  12  kleincn  und  ku^zen  Aufaugsstiieke  fur 
[       Clavier,  ebendoit, 
1768:    2.  SammluDg  desgl, 

16  S  iiiiton  fur  Damon,  bei  Hummel  in  Amsterdam, 
1770:  \  12  zwei-  und  clieistimmige  kleine  Stiicke  (in  Taschenfornwt. 

'       bei  Schoneniann  in  Hamburg^, 

1772:    6  Concert!  per  il  Cembalo  concertato  (im  Selbstverlage  des 
Autors  zu  Hamburg,  * 


-    201    — 

1773:    6  Sonate  all'  tiso  delle  donne,  Ri#i  bei  Hartknoch, 

(Dieselben,  welche  im  Jahre  1770  bei  Hummel  zu  Amster* 
dam  erschienen  waren.) 

1776:    Six  Senates  for  the  Harpsichord,  London, 


3  Clavier -Sonaten  mit  Violine  und  Cello, 
desgl.  2.  Sammlung, 


1776: 

{Beide  Sammlungen  im  Verlage  des  Autors  in  Leipzig.) 
1778:    6  Sonaten  mit  Violine-  und  Violoncell-Begleitung  (Oeuvre  2), 

bei  Hummel  in  Amsterdam, 
1779:    6  Klavier- Sonaten   fiir  Kenner   und  Liebhaber   (im  Selbst- 

verlag,  Leipzig), 

1780:  desgl.  2.  Sammlung  desgl., 
1781:  desgl.  3.  ,,  desgl., 
1783:  desgl.  4.  „  desgl., 
17QV  \  desgl.  5.  „  desgl,, 

*  Sonata  per  H  Cembalo  Solo,  Leipzig  bei  Breitkopf, 
1786:    2  Sonaten,  bei  Schwickert, 
1787:    6.  Sammlung  fiir  Kenner  und  Liebhaber,  Leipzig  im  Selbst- 

verlage. 

Als  Bach  von  Berlin  in  seine  neue  Heiaiath  iibertrat 
hatte  er  den  Euf?  der  erste  Tonsetzer  seiner  Zeit  fiir  das 
Clavier  zu  sein. 

In  Hamburg  hat  er  mit  nicht  minder  redlichem  Fleisse 
und  mit  nicht  geringerer  Auszeichnung  daran  gearbeitet, 
sich  diesen  Ruf  zu  erhalten.  Dass  er?  der  die  Pforten 
zu  der  neueren  Claviertechnik  ersehloss,  in  seinen  Com- 
positionen  nicht  das  Hochste  erreicht  liat,  das  wir  von 
unserm  Standpunkt  aus  kennen ,  ist  gevisa.  Ob  dies 
Hochste  ohne  ihn  erreicht  worden  ware,  ist  jedenfalls 
zweifelhaft.  Wer  eine  Kunstperiode  abschliessen  zu  dur- 
fen  glucklich  genug  ist,  dem  fallt  zugleich  der  Preis  fur 
dasjenige  mit  zu?  was  Andere  vor  ihm  miihevoll  errungen 
haben.  Mochte  man  desshalb  ihr  Verdienst  schmalern? 
Haydn?  Mozart,  Oiementi  waren  als  Clavierspieler  und 
als  Clavier-Componisten  das  gelauterte  blfithenrelche  Pro- 
duct der  klassischen  Entwickelimgsperiode ?  die  Bach  we«= 
sentlich  allein  begonnen  hatte.  Auch  sie  standen  noeh 
nicht  an  deren  Ende.  Erst  Beethoven  und  nach  ihm 
F.  Mendelsohn  war  es  vergonut,  sie  in  voller  Grtee  m 
schliessen. 


—    202    — 

In  der  ersten  Zeit  seines  Hamburger  Aufenthalts  fin- 
det  man  Bach  nur  mit  kleineren  und  vereinzelten  Arbei- 
ten  fur  das  Clavier  beschaftigt.  Die  Passionsmusiken,  die 
Israeliten  in  der  Wuste  und  verschiedene  Kirchenmusiken 
nahrnen  ihn  vollauf  in  Anspruch.  Dennoch  trat  er  schon 
im  Jahre  1770  wieder  mit  eineni  Sammelwerke  hervor, 
dessen  Herausgabe  er  diesmal  selbst  ubernahin.  Wie  in 
Berlin  im  ?;Musikalischen  Allerlei  und  Mancherlei"  so  liess 
er  auch  hier  einen  Theil  seiner  Compositionen;  fur  die  ihm 
wohl  im  Augenblick  eine  andere  vortheilhafte  Verwerthung 
nicht  zu  Grebote  stand,  in  dem  „  Musikalischen  Vie- 
lerlei" abdrucken,  das  in  dem  gedachten  Jahre  zu  Ham- 
burg bei  M.  Chr.  Bock  erschien. 

,,Seit  dem  musikalischen  Zeitvertreibe,  der  i.  J.  1760 
den  Anfang  maehte,  und  seit  dem  musikalischen  Allerley 
und  Mancherley,  die  in  Berlin  darauf  folgten,  haben  wir 
keine  ahnliche  Erscheinung  gesehen.  Urn  so  viel  angeneh- 
mer  muss  es  den  Liebhabern  der  Musik  sein,  eine  solche 
Sammlung  jetzt  von  unserm  grossen  Meister  des  Claviers, 
dem  in  einer  Menge  von  Compositionen  fur  dasselbe  be- 
wunderten  Herrn  Kapellmeister  Bach  veranstaltet  und  be- 
sorgt  zu  sehen;  der  hohere  und  richtige  Greschmack  dieses 
vortrefflichen  Mannes  ist  uns  fiir  die  Griite  der  Stiicke,  die 
in  dies  em  musikalischen  Vielerlei  ersch einen  werden, 
Biirge1)."  Schon  i.  J.  1769  war  eine  erste  Ankundigung 
eben  dort  (S.  158  7  1769)  erschienen.  In  dieser  war  das 
Vielerlei  als  em  ;7praktisch  niusikalisches  Werk" 
bezeichnet  und  dabei  gesagt  worden,  dass  3?Herr  Bach 
die  Direction  iibernommen  und  mehrere  grosse  und  sich 
schon  beruhnit  gemachte  Manner  beredet  habe;  mit  ihm 
gemeinschaftlich  zu  arbeiten.  Der  ganze  Jahrgang  sollte 
4  Thlr.;  bei  Pranumenation  3  Thlr.,  die  einzelnen  Stiicke 
2  Grgr.  oder  4  Ggr.  kosten.  ?;Mcht  langer  als  bis  zu  Ende 


i)  Wochentliche  Nachrichten  etc.  die  Musik  betr,    Leipzig  1770. 
S.  5,    (Hiller.) 


—    SOS    — 

dieses  1769  Jahres  wird  Pranumeration  angenornmen  und 
wird  zugleich  ersticht;  die  Pranumerations-Gelder  dem  Ver- 
leger  franco  einzusenden." 

Den  zienilich  reichen  Inhalt  von  78  Stucken  bildeten 
Sonaten,  Sinfonien,  Marsche;  Polonaisen,  Instrumentalsoli, 
Trii?  Lieder,  Fantasien,  Solfeggien,  Menuetten  und  Fugen. 
Als  Mitarbeiter  von  Bedeutung  finden  wir  wiederum: 

1.  Kirnberger:  init  2Choralen  flir  die Orgel,  3Liedern  undemem 

Allegro  fiir  Clavier  (G-dur  %), 

2.  Graun  (der  Concertmeister):  mit  1  Canzonette, 

1  Trio  fiir  Clavier,  Yioline  und  Bratsche  (B-dur^'i), 
1  Trio  fiir  2  Violinen  und  Bass  (G-dur  %}, 
1  Ariette:  Donne,  se  avete  in  me  pietate, 

3.  Fasch:  mit  La  Cocehina,  Sonata  per  il  Cembalo  (F-dur*/4), 

1  Clavier- Sonate  (C-dur  %), 

2  Liedera, 

1  Dio:  Chi  vuol  trovar  la  pace. 
Von  neu  hinzugetretenen  Mitarbeitem  sind  zu  nennen: 

4.  J.  C.  F.  Bach,  der  Biickeburger,  mit: 

a.  1  Menuett  zuni  Tanz, 

b.  2  Polonaisen  (G-dur  %  und  F-dur  %), 

c.  1  Sonata  per  il  flauto,  Violino  e  Basso  (A-dnr  24  )? 

d.  2  Clavier -Sonaten  (F-dur  %  und  C-dur  2/4), 

e.  1  Violoncell-Solo  (A-dur  %), 

f.  1  Fuge,  C-moll  Allabr., 

g.  1  Trio  fur  Clavier,  Yioline  und  Flote  (A-dur  %\ 
h.  2  abwechselnden  Menuetfen  zum  Tanz, 

i.  5  Liedern  (vom  Herrn  Leasing:  Die  Geschwister,  Die 
Zeit,  Der  Sieg  iiber  sich  selbst,  Siciliana). 

5.  J.  E.  Bach,  Gapellmeister  in  Eisenach  i): 

mit  einer  kiteressanten  Fantasie  und  Fuge  fur  Clavier  und 

einem  Liede. 

Von  Em.  Bach  enthalt  die  Sammlung: 
20  Stiicke  versehiedenster  Art,  namlich: 

1  Clavier -Sonate  mit  veranderten  Eeprisen  vom  Jahre  1769 
(F-dur  */*), 

1  Clavier -Donate  (n  G-molI  V*)  v.  J. 

2  Fantasien,  G-moil  * 4  und  G-dur  4/4,  beide  v.  J. 

3  Solfeggios,  gleichfalla  v.  J.  1766, 


Geb.  1722  f  1777,   stammte  in  directer  Llaie  von  J.  BaeiiT 
r  *d€3r  RatteniEelk  ^i  Er&irth  ffi  16?^  j^t>T 


~    204    — 

Emige    unbekannte   Veranderungen    iiber    das   Lied:    Ich 

schlief,  da  traumte  inir,  v.  J.  1766, 
Erne  Menuett,  die  auch  von  riickwarts  gespielt  werden  karm, 


-t--1—^^^^ 


2  Polonaisen, 

Vier  abwechselnde  Menuetten, 

1  Duo  fur  Flote  und  Violine  (H-moll  %)  v.  J.  1748, 

1  Sinfonie  (F-dur  */4)  v.  J.  1728,  fur  Clavier  eingerichtet  1766, 

Einige  Veianderungeu  liber  eine  Ariette  (A-dur  2/J, 

1  Clavierstiick  fiir  die  leebte  oder  linke  Hand  allein, 

1  Lied:  Bacchus  an  Venus. 

Die  raeisten  dieser  Stiicke  gehoren  in  die  Kathegorie 
der  Kleinigkeiten,  denen  ein  besonderer  Werth  nicht  zu~ 
zusprechen  ist.  DocK  sind  in  der  ersten  Fantasie  (Gr-moll) 
bereits  alle  Elemente  der  spateren  grossen  Fantasien  Bach's 
in  reichstem  Maasse  und  ausgepragtester  Eigenthuinlich- 
keit  niedergelegt  und  die  erste  Solfeggio  in  C-moll  ist 
gleichfalls  eine  Arbeit  voll  Geist  und  Leben. 

Die  grosseren  Clavier -Stiicke  (2  Sonaten  und  1  Sin- 
fonie) sind  keineswegs  untergeordnete  Arbeiten.  Insbe- 
sondere  ist  die  Sinfonie  ein  Werk  voll  von  Feuer  und 
Bewegiing3  ausserlich  in-  der  Form  der  Sonaten  geschrieben, 
in  Styl  und  Inhalt  aber  grosser  und  ktihner  als  die  meisten 
derselben  und  den  scnonen  Orchester-Sinfonien  vom  Jahre 
1780  vollkommen  ebenbiirtig. 

So  kann  auch  diese  Sammlung   als  ein  interessantes 


—    205    — 

Denkmal  des  Fleisses  gelten,  mit  dem  Bach  fur  seine  Kunst 
thatig  war. 

Auch  hier  erscheint  er  bedeutender  als  die  iibrigen 
Kiinstler,  welche  mitgewirkt  haben,  so  schon  einige  der 
von  diesen  gelieferten  Arbeiten,  vorzugsweise  J.  Chr. 
Friedrichs,  des  Biickeburger  Bach  immerhin  sein  inogen. 

Wenn  man  atis  der  hier  vorliegenden  Zusannnenstellung 
von  Musikstiicken  so  verschiedener  Art  einen  allgemeinen 
Riickschluss  auf  die  nm-sikalische  Bildungsstufe  der  Zeit 
und  auf  die  der  Stadt  Hamburg  insbesondere  machen  sollte, 
so  wurde  dieser  jedenfalls  sehr  zu  deren  (runsten  ausfallen3 
so  zweifelhaft  sich  auch  Bach  selbst  dariiber  ausgesprochen 
haben  mag.  Denn  wiirde  die  Herausgabe  grade  einer 
solchen  Sammlung  moglich  gewesen  sein?  wenn  si§  kein 
Publikum  gefunden  hatte?  das  sich  fur  diese  Art  der  Musik 
inter  essii'te? 

Den  Clavierstiicken  de>s  Vielerlei  folgten  in  deniselben 
Jahre  1770:  Sei  Sonate  per  il  Clavicembalo  Solo  aW 
uso  delle  donne,  Oeuvre  premier ,  (in  Amsterdam  bei  J.  J. 
Hummel,  im  Jahre  1773  bei  Hartknoch  in  Riga  noch 
einmal  gedruckt)  von  denen  die  3te  und  5te  Sonate  im 
Jahre  1768;  die  1?  2,  4  und  6te  1776  gesetzt  waren. 

Diese  Stiicke,  im  Ganzen  ziemlich  knapp  gefassi^  von 
der  gewohnlichen  Form  hie  und  da  abweichend?  sonst  le- 
bendig,  zum  Theil  brillant,  ohne  schwer  zu  sein?  fiir  die 
Auffassung  massiger  Kraffce  berechnet;  mogen  wohl  einer 
personlichen  Concession  fur  gewisse  Kreise  ihre  Entstehung 
verdankt  haben.  Sie  geben  Zeugniss  von  Bach's  fruchtr 
barem  und  elastischem  Geiste?  sind  aber  an  sich  nur  als 
Stiieke  von  massigem  Werthe  und  von  voriibergehendem 
Interesse  zu  betrachten. 

Der  Zusatz  „ Oeuvre  premier"  auf  dem  Titel  der 
HummeTschen  Ausgabe  lasst  darauf  schliessen;  dass  Bach 
gelegentlich  wohl  noch  eine  zweite  Sammlong  habe  wollen 
folgen  lassen. 

Im   nachstfolgenden  Jahre  1771    erscfaien  aus 


—   206   — 

Feder  folgende  Bekanntmachtmg  l) :  „  Auf  Verlangem 
vieler  Liebhaber  werden  Sects  leiclite  Fliigel-Con- 
certe.  von  dem  Kapellmeister  C.  Pb.  E.  Back  im 
Drucke  herauskominen.  Diese  Concerte  werden  sick  bei 
ihrem  gehorigen  Glanze  von  des  Verfassers  iibrigen  Con- 
certen  hauptsachlich  dadurch  unterscheiden,  dass  sie  der 
Natur  des  Fldgels  mehr  angepasst,  fiir  die  Hauptstimme 
sowohl,  als  fiir  die  Begleitung  leichter,  in  den  langsamen 
Satzen  hinlanglich  ausgezieret  und  init  ausgeschriebenen 
Cadenzen  versehen  sind.  Auf  kiinftige  Ostern  werden  sie 
fertig  ersckeinen.  Bis  Weihnachten  nehmen  ausser  dem 
Verfasser  folgende  Herren  fiinf  Thaler  Vorschuss  darauf 
an  etc.  etc.  Hamburg,  >den  29.  April  1771." 

Aus  den  Ostern  wurde  nichts.  ?7Da  eine  unvermuthete 
-Krankheit  den  Druck  meiner  6  leichten  Fliigel- Concerte 
verzogert  hat,  so  werden  die  resp.  Herren  Pranunieranten 
urn  eine  kleine  Geduld  ersucht 

Hamburg,  den  25.  April  1772 2)." 

Man  sieht  hieraus,  wie  gewissenhaft  Bach  seinen  Ver- 
sprechungen  nachzukoinmen  bemiilit  war.  Am  11.  September 
1772  machte  er  bekannt3):.  ,,Meine  Fliigel-Concerte  kommen 
zu  Ende  d.  M.  aus  der  Presse  und  konnen  gegen  die  Mitte 
des  kiinftigen  Monats  October  denen  resp.  Pranunieranten 
eingehandigt  werden."  So  erschienen  denn  gegen  das  Ende 
dieses  Jahres  die: 

yjSei  Concerti  per  il  Cemibala  Goncertato  accompagnato 
da  due  VMim,  Violetta  e  Basso  con  due  Corni  e  due  Mauti 
par  rinjfQTzot*  Dedicati  All  'Altezza  Rerenissima  Di 
Pietro  Duca  regnante  di  Curlandia  etc.  etc.  e  oompa&ti  da 
Carlo  Filippo  Emanuele  JBac7i?  Maestro  di  Capella  de 
S.A.  j5.  M.  la  Principessa  Amalia  di  Prussia,  Badessa 
di  QuedlinburgOj  e  Direttore  di  Musica  delta  Republica  di 
Hamburgo.  In  Hamburgo}  Alle  spese  dell  'Autore. 


1)  Hambg.  unparth.  Correspondent.    1771.    Nro.  69, 

2)  A.  a.  0.    1772.    Nro.  67. 
3}  A.  a,  0.    Nro.  147. 


—     207     — 

Man  sieht,  dass  Bach  in  dem  Augenblick,  wo  er  den 
von  ihm  sonst  verlassenen  Hofkreisen  wieder  naher  tritt, 
sich  auch  veranlasst  sieht,  dem  Gebrauch  der  deutschen 
Sprache  zu  entsagen  und  auf  das  Italienische  zuriickzu- 
gehen.  Er  dedicirte  dem  letzten  der  Herzoge  von  Garland 
seinWerk  in  folgenderZuschrift:  ,,Altezza  Serenissima.  H 
Sovvenir  clemente,  del  quale  Vostra  Altezza  Serenis- 
sima  m'ha  favorito,  mi  spinge  di  consecrarle  quest7  Opera; 
tanto  per  esser  il  frutto  d'una  scienza,  alia  quale  devo  il 
di  Lei  Patrocinio,  quanto  per  palesar  i  miei  rispettuosi 
sentimenti  di  Gratitudine.  Condoni  V.  A.  S.  che  di  tante 
altre  Dedicazioni  segua  lo  stilo  ordinario  e  1'unico  Tenore. 
Ho  stimato  giusto  di  rinviare  alia  Veritk  quel  che  tante 
altre  volte  ha  servito  all'  Adulazione  degli  autori.  Per 
questo  bramo  che  sii  accetta  1'Opera  e  Tintenzione  5  e  con- 
sacrandole  insieme  col  Libro  tutto  me  stesso  con  mnil 
Inchino  rimango  di  V.  A.  S.  devotissimo  ossequissimo  ed 
nmilissimo  Servitore  C.  F.  E.  Bach. 

Die  eleganten  Redewendungen  dieser  Zueignung  geben 
zu  erkennen,  dass  sich  Peter  III.  fur  Musik  im  AlJge- 
meinen  und  fur  den  Componisten,  wie  es  scheint?  anch 
personlich  interessirt  hat,  wie  denn  derAbsatz  von  Bach's 
Musik  in  nicht  unbedeutendem  Maasse  nach  Curland  ge- 
richtet  war1). 

Im  Ganzen  hatte  er  fiir  diese  Concerte  nur  159  Pra- 
numeranten  erlangt,  unter  diesen  Agricola7  Kirnberger 
und  Fasch,  seinen  Bruder  Bach  in  Buckeburg,  den  Kapell- 
meister Bach  in  Weimar,  Breitkopf?Burney  in  London, 
Ebeling  in  Hamburg,  Eschenburg  in  Braunschweig  und 


i)  BreitkopTs  Magazin  des  Buch-  und  Ktmst-Handels.  1782. 
10.  Stck.  p.  788. 

„  Sr.  Hochfiirstl.  Burehl.  der  Herzog  von  Curland  habea 
geruht,  dein  Herm  Kapellmeister  Bach  zura  Zeichen  Dero  gnad%en 
Andeukens  eine  goldene  Medaille  dorch  einen  Curlandischen  Kaufmaan 
zu  ubersenden,  welclbe  bei  Grelegenheit  der  Anwesenheit  Sr.  Kouigl 
Hoheat  des  Pnm&n  v&m  Freusses  zu  Mitaa  gepragt  worden," 


—    208    — 

den  in  der  Beforderung  der  Musik  unermiidlichen  Baron 
von  Swieten,  der  zu  jener  Zeit  noch  Oesterreichischer 
Gesandter  ani  Hofe  zu  Berlin  war. 

Die  Ooncerte  waren  rnit  besonderer  Sorgfalt,  obwohl 
fur  die  Ausfuhrung  4eicht  geschriebcn.  Das  Clavier  con- 
certirt  niit  dena  in  breiter  Behandlung  und  grosser  Selbst- 
standigkeit  auftretenden  Orchester.  Der  Styl  erhebt  sich 
in  Grosse  der  Gedanken  und  ini  Charakter  des  Zusaminen- 
hangs  weit  uber  den  gewohnlichen  Sonatenstyl.  Die  Soli 
sind  brillant  gesetzt,  die  Wendungen  in  ihnen  frappant 
und  neu?  oft  von  iiberraschender  Feinlieit  und  grosser  Ele- 
ganz.  Es  fehlt  nicht  an  jenen  geistreichen  Pointen,  die 
Bacli  so  sehr  liebte,  und  sein  humoristischer  Geist  blickt 
hie  und  da  niit  blitzendem  Lacheln  durch  das  Gewebe  der 
Tone  bin  durch. 

Mit  besonderem  Interesse  wird  man  die  thematische 
Arbeit  betrachten,  die  sich  in  einigen  dieser  Concerte? 
insbesondere  denen  in  F-dur?  D-dur  und  C-moll;  in  einer 
fur  Bach  sonst  neuen  Weise  tiberaus  reich  und  wirksani 
geltend  macht.  Man  sieht  daraus,  dass  der  alternde  Meister 
sich  keineswegs  an  den  Erfolgen  seiner  grossen  Vergan- 
genheit  genugen  lassen  wollte;  dass  er  vielnaehr  in  stetigem 
Vorwartsstreben  begriffen  war. 

Es  scheint?  als  ob  der  Herausgabe  dieser  Concerte 
mancherlei  Weiterungen  und  Unannehmlichkeiten  voran- 
gegangen  seien.  Die  iui  Anhange  unter  No.  4.  abge- 
druckten  Briofe  ergeben  einige  Andeutungen  hierilber. 

Mcht  weniger  bedeutend  sind  die  in  den  Jahren  1776  — 
1777  erschienenen  „$  Clavier -Sonat en  niit  einer  Violine  und 
ein&m  Violoncell  zwr  Begleituny ,"  fur  deren  Herausgabe  er 
gleichfalls  den  Weg  des  Selbstverlags  und  der  Pranurae- 
ration  eingeschlagen  hatte.  Hiedurch  waren  ihm  390  Abon- 
nenten  mit  534  Exemplaren  gesichert.  Dnter  dies  en  finden 
sieh  von  bekannten  Namen  und  bedeutenden  Personlich- 
keiten  Blumenberg,  Professor  in  Gottingen,  Breitkopf 
und  Sohn?  Barney?  Cramer  in  Kiel?  Homilius  in 


—    209    — 

Dresden,  Marpurg,  van  Swieten1)  (mit  12 Exemplaren } 
und  bis  in  die  neueste  Zeit  hineinreichend,  von  Bismarck ? 
Rittmeister  in  Schonhausen, 

Die  Instrumental -Begleitung  dieser  Sonaten  ist  ohne 
jeden  concertirenden  Charakter  wesentlich  nur  be,stimmt, 
das  Hauptinstrument  zu  heben.  So  konnten  sie,  wenn  der 
Spieler  die  Fiillstimnien  ersetzt?  allenfalls  auch  ak  Clavier - 
Solostiicke  gespielt  werden.  Bach  selbst  schreibt  dariiber 
am  20.  September  1775  an  Forkel:  ,,Ich  habe  doch  endlicfa 
miissen  Jung  tibun  iind  Sonaten  fur's  Clavier  maclien,  die 
man  allein,  ohne  etwas  zti  vermissen,  und  aticli  mit  einer 
Violine  und  einem  Violoncello  begleitet  bloss  spielen  kann, 
und  leicht  sind."  Docli  ist  dies  niclit  wortlich  zu  nehrnen; 
denn  bei  mancnem  wie  z.  B.  bei  dern  Allegro  der  3.  Se- 
nate, wtirde  die  Begleitung  stark  vermisst  werden. 

Die  Sammlung  entbalt,  zumal  in  den  3  ersten  Sonaten? 
in  der  bekannten  Form  alle  Vorziige  mid  Schonlieiten? 
durch  welche  sich  B  a  en's  beste  Clavierstiicke  auszeichnen, 
in  einem  ganz  besondern  Maasse,  Es  ist  in  ihnen  eine 
Eleganz  und  Feinheit  niedergelegt;  wie  kaum  in  einer  sei- 
ner alteren  Arbeiten.  Melodien,  wie  die  folgende  der  Se- 
nate II  (grazioso  poco  allegro)  in  rondeauartiger  Bearbei- 
tung? 


i)  Van  Swietes,  bis  znm  Jahre  1777  K.  K,  Qesterr.  Gesaudter 
m  Berlin,  war  eia  warmer  Yerebrer  derMusik  und  stand  mit  Haydn 
and  Mozart  wg&o&Tiem  Verkehr.  Er  war  der  Verfasser  des  deutscbea 
Texts  def  Sefcopfuflg,  dereu  Composition  er,  wie  die  der  Jahreszeiteu 
dadiarch  mogKeb  maebte,  dass  er  die  dafiir  ndtbigen  Summen 


Bitter,  Emanuel  und  Friedeumiin  Bach, 


—    210    — 

werden,  auch  wenn  man  dadurch  an  eine  Stelle  des 
Morgengesangs  erinnert  wird ,  fur  alle  Zeiten  dem 
Schonsten  angehoren,  was  in  der  Melodik  erfunden  wor- 
den  ist.  Eine  vortreffliche  Analyse  iiber  diese  Sonaten 
hat  Fork  el  in  seiner  mnsik.  Bibliothek  Bd.  U,  (1778) 
g.  275—300  geliefert1)- 


i)  Der  Hamburger  Unpartheiische  Correspondent,  welcher 
In  den  Nros.  15  nnd  149  von  1777  das  Erscheinen  dor  beiden  Trio- 
sammlungen  ankiindigt,  sagt  in  No.  31  desselben  Jahres  (22.  Februar) 
iiber  die  1.  Sammlung'  ,,0riginal  und  Geistvoll,  wie  alle  iibrigen 
Werke  nnsres  grossen  C.  Ph.  Emanuel!  Die  Begleitung  der  Violine 
nnd  des  Violoncell  kann  zwar  wegbleiben,  besser  aber  ist  es,  wenn 
die  Sonaten  mit  selbiger  gespielt  werden.  Besonders  wird  man  das 
in  dem  letzten  Presto  der  1.  Sonate  gewahr.  Der  2.  Senate  aus  G-dnr 
ist  em  Eondeau  hinzugefugt,  das  unter  den  haufigen  Rondeaux  leuchtet 
ut  luna  inter  Stellas  minores.  Doch  welcher  Liebhaber  der  Tonkunst 
kennt  diese  herrlichen  Stiicke  nicht.  Diesen  sagen  wir  die  angenehme 
Nachricht,  dass  die  neulich  angekiindigten  Sonaten  des  Herrn  Kapell- 
meisters, die  zu  Ende  dieses  Jahres  erscheinen  werden,  4  an  der  Zahl 
ausmachen,  ebenso  trefflich  als  die  gegenwartigen  sind,  wenn  Recen- 
sent,  der  das  G-liick  gehabt  hat  sie  von  Herra  Bach  selbst  spielen 
zu  horen,  seinen  Ohren  trauen  darf."  Bei  Gelegenheit  der  zweiten 
Sammlung  bemerkt  derselbe  Berichterstatter  (No.  166  de  1777)}  indem 
er  anf  die  ganze  Sammlung  zuriickgeht  und  ihr  eine  ausfuhrlichere 
Beurtheilung  widmet:  ,,Diese  Bach 'schen  Sonaten  mit  Begleitung  etc.  s 
siud,  \vie  man  leiclit  denken  kann,  voller  Geist  und  Feuer,  und  ob- 
gleich  in  der  Schicibart  von  den  bekannten  trefflichen  Sonaten  ohne 
Begleitung  etwas  veischieden,  dennoch  ganz  original  und  des  grosser 
Meisters  vdllig  wtirdig.  Man  gerath  in  eine  angenehme  Verwunde- 
rung,  wenn  man  in  jedem  neuen  musikalischen  Werke  dieses  uner- 
schopflichen  Genies  immer  neue  Gedanken,  ktihne  aber  sehr  richtige 
Ausweichungen  und  Gesang  antrifft,  der  die  Seele  des  richtig  Empfin- 
denden  desto  starker  riihrt,  weil  er  noch  in  keinen  Opern  Arien 
hundertrnal  vorgeleiert,  und  von  Nachbetern  noch  ofters  nachgeleiert 
worden.  Es  sind  in  dieser  2.  Sammlung  4  Sonaten  enthalten.  Man 
kann  diese  Sonaten  zwar  ohne  Begleitung  der  Violine  und  des  Violon- 
cells  spielen,  allein  man  wird  wohl  thun,  wenn  man  beide  Instru- 
mente  dabei  nimmt.  Das  Yioloncell  hat  an  verschiedenen  Stellen 
grossen  Antheil  an  dem  guten  Effect  des  Stiicks.  Vorziiglich  nimmt 
es  sich  bei  der  Vaiiation  aus  C-molI  in  der  letzten  Sonate  aus.  Re- 
censent  hat  das  Vergniigen  gehabt,  diese  Sonaten  von  dem  Herrn 
Kapellmeister  selbst  auf  einem  Clavier  von  Friederici  spielen  zu 
horen ,  wo  eine  gedampfte  Violin  und  ein  mit  Discretion  gespieltes 


—    211    — 

Die  2.  Sammlurg,  welche  3  Sonaten  und  1  Theiim 
init  Variationen  enthalt,  steht  gegen  die  3  ersten  Stiicke 
etwas  zuriick.  Namentlich  sind  die  langsanien  Satze  sehr 
kurz  und  die  Schlusssatze,  besonders  der  1.  und  3.  Senate 
zu  aphoristisch  behandelt. 

Die  Variationen  der  Arie  am  Schluss  des  2.  Hefts  er- 
ftillen  nicht?  was  man  heut  yon  dieser  Art  von  Compo- 
sition verlangen  wurde.  8ie  sind  niehr  gesangreich  als 
bravourmassig  geschrieben.  Doch  sind  sie  voller  Geist 
Gegen  das  Ende  hin  in  rondeauartige  Wendtingen  iiber- 
geleitet;  schliessen  sie  in  der  bei  Bach  so  beliebten  TVeise 
in  starken  Gegensatzen  vom  if.  zuin  piano  abfallend. 

Unendlich  geringer  an  Werth  sind  die  im  Jahre  1778 
bei  Hummel  zu  Amsterdam  als  ??0euvre  second^  er- 
schienenen  6  Sonaten?  gleichfalls  mit  Violine-  und  Cello- 
Begleitung.  Ueber  der  Vignette  des  Umschlags  entfaltet 
ein  auf  Wolken  schwebender  Engel  eine  Pergamentrolle 
mit  dem  Worte  ?;Eternel"?  wahrend  am  Fusse  des  Piede- 
stals,  das  den  Titel  der  Sammlung  tragt,  ein  Lorbeerbaum 
emporschiesst,  der  an  seinem  Gipfel  merkwiirdigerweise 
von  Blattern  ziemlich  kahl  in  einen  diirren  Ast  auslauft. 

Es  seheint  fast,  als  seien  diese  Sonaten  von  dem  Ver- 
leger  bestellt  gewesen,  und  deshalb  schnell  hmtereinander 
geschrieben  worden.  Kaum  anders  als  so  lasst  sich  die 
Gleichheit  in  ihrem  Character  und  die  iibereinstinimende 
Mattigkeit  der  darin  herrschenden  Schreibweise  erklaren. 

Der  geneigte  Leser  wird  damit  einverstanden  sein? 
dass  diejenigen  der  in  Hamburg  entstandenen  Clavier- 


Viokmeell  die  Begleitung  hatten.  Er  wiinscht  alien,  die  diese  Sona- 
ten spielen  oder  spielen  faoren,  BUT  einen  Theil  seines  empfundenen 
Yergniigens,  tuid  sie  werden  alsdenn  ein  selir  angenehme  Stnnde  ge- 
bafct  haben." 

Hiezu  ist  zu  bemerken,  dass  Bach,  wie  sich  aus  einem  friiheren 
Schreiben  an  Porkel  (vom  10.  November  1773,  Anhang  Nr  .3)  ergiebt, 
die  Friederici'sefaen  Claviehorde  alien  anderen  ,,wegen  des 
Traetaments*und  weges  des  Basses  ohne  Octave,  welehe 
jefa  nicbt  leiden  kanmru  vorzog. 


~    212    — 

Arbeiten  Em.  Bach's,  die  nicht  zu  den  besonders  hervor- 
ragenden  gehoren  (so  eine  1785  bei  Breitkopf  veroffent- 
liclite  Senate  in  C-moll,  ferner  die  in  London  herausge- 
komnaenen  ,,Six  Sonates  for  the  Harpsichord",  zwei  Clavier- 
Soli,  bei  Schwickert  erschienen,  und  einiges  Andere), 
nicht  einer  speciellen  Besprechung  unterzogen  werden,  son- 
dern  dass  seine  Aufmerksamkeit  alsbald  auf  die  6  letzten 
grossen  Samnilungen  Bach's, 

Die  Sonaten  fur  Kenner  und  Liebliaber 

geleitet  wird,  deren  erste,  der  ?JMadarae  Jernitz,  geb. 
Deeling  aus  besondrer  Hochachtung  und  Freund- 
schaft  gewidmet"  im  Jahre  1779  zu  Leipzig  im  Selbst- 
verlage  des  Autors  erschienen  ist.  Sie  hatte  519  Abon- 
nenten  gefunden;  welchc  sich  mit  nahe  an  600  Exemplaren 
betheiligten.  Diese  vertheilten  sich  au£  Berlin  (mit  Kirn- 
berger  und  Marpurg),  Braunschweig,  Kopenhagen;  Cur- 
land,  Danzig,  Dresden,  Grottingen  (mit  Forkelj,  Grothar 
Hamburg,  Hannover,  Holstein,  Leipzig,  London  (mit 
Burney),  Ludwigslust,  Nyburg,  Petersburg,  (54  Exempl.), 
Prag  (mit  Dussek),  Reval,  Eiga,  Schlesien,  Stendal  (von- 
Bismarck-Schonhausen),  Stettin,  die  Ukermark,  Ulm, 
Ungarn  (B  a  thy  any,  Cardinal  Ffirst  Primas),  Warschau  und 
Wien  (van  Swieten  mit  12  Exemplaren).  Man  sieht  dar- 
aus,  wie  Bach's  Werke  nach  alien  Seiten  hin,  besonders 
aber  in  den  nordischen  Landern  Verbreitung  gefunden 
hatten. 

Die  Sonaten  dieser  ersten  Sammlung  waren,  die  erste 
1773,  die  zweite  1758,  die  dritte  1774,  die  funfte  1772,  die 
sechste  1765  gesetzt.  Die  Zeit  der  Entstehung  der  vierten 
ist  nicht  bekannt. 

Fast  alle  sind  von  einem  eigenthiimlichen  Reiz.     So 
gleich  die  erste  Sonate  mit  ihren  schnell  dahin  perlenden 
lelchtfliissigen  Gangen  und  den,  dem  in  die  Hohe  streben- 
den  Basse  eigensinnig  entgegenarbeitenden  Passagen    der 
rechten  Hand?  dem  melodiosen  Andante   und  dem  leicht 


—    213    — 

vorbeirauschenden    Allegretto    ist    eine    iiberaus    liebens- 
wiirdige  Composition. 

Die  zweite  Sonate  beginnt  mit  einem  gesangvollen 
Andante,  dessen  Vortrag  zum  Theil  auf  dem  nur  bei  dem 
Olavicliord  ausfiihrbaren  Beben  der  Tone  beruhte?  und  das 
in  leisein  Gange  nach  F-moll  in  ein  Larghetto  iibergeht, 
welches  in  Melodie  und  kunstvoller  Bearbeitung  ,  so  wie  „ 
in  seelenvollern  Gesange  dem  ersten  Satze  noch  iiberlegen 
ist,  Ein  feuriges  Allegro  (F-dur)  von  feinem  Humor  und 
voll  keeker  Wendungen  schliesst  das  Stuck. 

In  der  dritten  Sonate  zeichnet  sich  ein  Uantabile  (H- 
moll  2/4  )  als  eines  der  reizendsten,  gesang-  und  melodien- 
reichsten  Stticke  aus,  die  man  horen  kann.  Es  ist  ein  Liebes- 
gesang7  in  dena  sehnsiichtige  Grazie  und  schwarmerische 
Traumerei  niit  einander  wechseln. 

Der  erste  Satz  der  vierten  Sonate  ist  von  ieuriger 
Bravour.  Der  2.  Satz  (po«o  Adagio  ?  Fis-moll)  erfbrdert 
in  seiner  sanften  Farbung  und  den  zwischen  der  rechten 
und  linken  Hand  wecnselnden  Figuren  einen  besonders 
zarten  und  gesangvollen  Vortrag.  Das  ihm  folgende  Allegro 
ist  ausgefuhrter  als  die  Mehrzahl  der  Bach'scken  Schluss- 
satze?  glanzend  und  voll  von  Leben. 

Die  funfte  Sonate  ist  besondei^  durch  den  sehoaem 
Mittelsate  (Adagio  maestoso  D-inoll)  ausgezeichnet,  dessen 
Anlage  imd  Ausfuhrung,  Chaxakter^  Melodie  und  harmoni- 
scher  Gang  nur  schwer  auf  das  Jahr  seiner  Entstehung 
(1772)  schliessen  lassen  wiirden. 

Die  sechste  Sonate  endlich,  in  ernstem  Schwunge  be- 
ginnend  und  in  reichsterLebhaftigkeit  durchgefiihrt.  mit  dem 
eigenthumlich  geformten  Andante  in  G-moll  schliesst  mit 
einem  brillanten  Allegro  in  frischer,  keeker  und  kraftiger 


Diese  6  Soaaten  sind  vor  alien  geeignet  den  Gesammt- 
typus  der  Em.  Bach'schen  Clayier-Sonate  zu  veraBschaB- 
lichen.  Ifar  lebhafte  Feuar?  ihre  Grazie,  iiir  gefahlwikr 
Gesang,  ihr  brillaates  Spiel,  ihr  spielender  Humor  und  die 


~    214    — 

reichen  Schatze  harinonischer  Schonheiten,  die  in  ihnen 
niedergelegt  sind,  recapitulirengleichsaminwenigenBlattern, 
was  vorher  in  einer  langen  Reihe  von  Jahren  von  ihm 
geschaffen  war.  Erscheinen  die  Finales  in  einigen  derselben 
unseren  jetzigen  Anforderungen  gegeniiber  auch  nur  skizzen- 
haftj  kurzjgeistvollen  Aphorismen  ahnlich,  so  sind  doch  im 
,  Uebrigen  Form  und  Inhalt  der  einzelnen  Stiicke  und  der 
einzelnen  Satze;  vorzugsweise  der  langsainen,  so  vollendet, 
wie  man  dies  nur  von  eineni  so  gross  en  Meister  erwarten  darf. 

Die  zweite  Sammlung,  ?,8r.  K.  Hoheit,  dern 
Markgrafen  Friedrich  Heinrich  zu  Schwedt"  ge- 
widmet,  erschien  1780.  Sie  hatte  nur  330  Abonnenten 
gefunden,  darunter  118  in  Berlin?  68  in  Dresden  und  60 
in  Hambui'g. 

Sie  enthalt  3  Sonaten,  von  den  en  die  beiden  letzten 
1780  componirt  waren,  und  3  Rondos,  1778  gesetzt. 

Em.  Bach  tritt  hier  ZUBI  erst  en  Male  niit  dieser 
Gattung  von  Clavierstiicken  vor  das  Publikum.  Dieselbe 
war  grade  damals  im  hochsten  Schwunge  und  es  hatte  den 
Anschein,  als  wollte  sie  die  Sonaten  ganz  verdrangen.  Das 
Publikum  wurde  niit  einer  Menge  meist  ganz  seichter, 
reiz-  und  interesseloser  Stiicke  formlich  iiberschiittet. 
Bach^  der  sich  hier  wie  so  oft  in  seinem  Leben  der  herr- 
sehenden  Mode  bequemte,  betrachtete  seine  derartigen 
Arbeiten  als  Kleinigkeiten.  Zu  Cramer  sagte  er  einmal? 
indeni  er  von  seinen  Rondos  sprach:  ;;Wenn  man  alt 
wird?  legt  man  sich  aufs  Spassen!"  Forkel?  der  bei 
Gelegenheit  der  Bekanntinachung  dieser  zweiten  Sammlung 
ausrief;  ??Auf  die  geringste  seiner  Schopfungen  ist  ein 
Stempel  gedruckt,  welcher  gieich  der  ganzen  Welt  zuruft: 
Ich  bin  Bach's!  und  wehe  der  fremden  Schonheit?  die  das 
Herz  hat,  sich  neben  ihn  zu  stelien!"  war  doch  sehr  unzu- 
frieden,  dass  Bach  sich  zur  Herausgabe  von  Rondos  ver- 
standen  hatte:  ?!Bach  scheint  sich  in  Riicksicht  auf  die 
Ungeubteren  zu  der  jetzt  so  beliebten  und  bis  zum  Ekel 


—    215    ~ 

in  alien  Clavier-Compositionen  vorkommenden  Gattimg  der 
Rondos  herabgelassen  zu  haben." 

Was  die  Sonaten  der  vorliegenden  Sammlung  betrifft, 
so  stelien  sie  raerklich  gegen  die  fruheren  zuriick.  Schon 
die  erste  Sonate  in  Gr-dur  ist  denen  der  ersten  Sarnm- 
lung  keineswegs  gleich;  das  Jalir  ilires  Entstehens  i&t 
ausnahrnsweise  nicht  bekannt,  und  so  wird  sie  wohl 
denjenigen  fruheren  Arbeiteh  angehoren?  die  bis  dahin  aus 
irgend  eineni  Grande  zuriickgestellt  gewesen  waren.  Die 
zw,eite  Sonate f  ein  Andantino  und  ein  Presto  enthaltend, 
steht  wenig  hoher;  das  Presto  ist  seb.r  kurz  und  etwas 
bizarr.  Die  dritte  Sonate  besteiit  nur  aus  eineni  Satze,  ist 
gefallig  und  brillant,  aber  ohne  besondere  Tiefe.  Es  macht 
den  Eindruck?  als  ob  dieser  eine  Satz  nur  den  Anfang 
einer  di^eitheiligen  Sonate  habe  bilden  sollen.  Dagegen 
sind  die  Rondos  xnit  besonderer  Vorliebe  gearbeitet  und 
voll  von  rnelodischem  und  liarmouischein  Reize.  Wie  sie 
flilcktig  und  leicht  dahin  eilen,  hat  Bach  in  ihnen  gezeigt, 
dass  die  achte  Kiinstlernatiir  jeder  Kunstform  den  Stempel 
der  Schone  aufzudrucken  irn  Stande  isty  auch  wenn  er  da- 
bei  eine  gewisse  Rucksicht  auf  Ungeiibtere  genommen 
haben  sollte.  Ein  lebhafter  Wechsel  der  Tempi  und  der 
Modnlationen  geht  in  ihnen  mit  der  reizenden  Behandlang 
und  Grestaltung  der  Motive  Hand  in  Hand.  Auch  hier 
finden  sich  wie  in  den  friiheren  Coinpositionen  Bach's  recita- 
tivische  Bildungen  eingestreut,  so  in  dem  2.  Rondo  ein  poco 
adagio: 


«  -  I    V-  j\         "V^  _jJ 


—    216    — 


In  dem  dritten  tiberaus  anmuthigen  Rondo  nait  dem  Anfange: 

JPoco  Andante  x*~*»v  ^e?z»  N 


{|__  *"b vp- -^__,_^1  ^_J«L_ 


das  voll  von  wechselnden  Farbentonen  in  einem  unauf- 
hoiiichen  Grlanze  liin  und  her  schiinmert,  findet  sicli  eine 
Reihe  von  Modulationen3  mit  denen  der  alte  Meister  bis  dicht 
an  den  Beethoven'schen  Charakter  lierantritt  und  durcli 
die  er  dabei  in  vollendeter  Einfachheit  einen  ganzen  Kreis- 
latif  innerster  Seelenstimniungen  voriiberfiihrt. 


\  |^~|.    "^    "-  """""1~3fe?     '•-"' 


*~~~~'-~'-,..-^-"^t"^S^     --   ""     ~\ 


ten' 


t€n' 


pp. 


_f__^_f  ___  ^  , 

I 


Sonach  wiirde  es  schwer  sein  in  den  Klageruf  ForkeTs 
einzustimmen. 


—    217    — 

Im  naehsten  Jahre  (1781)  folgte  die  3.  Sammlung, 
demaltenBeschfitzer  derKunst,demFreiherrn  van  S wieten, 
zugeeignet. 

Die  Zahl  der  Abonnenten  war  auf  307  herunter- 
gegangen;  tmter  ihnen  war  Hamburg  nur  in  it  39,  Leipzig 
mit  17  vertreten. 

Diese  Sammlung?  wiederuin  3  Sonaten  aus  den  Jahren 
17747  1766  und  1763,  ferner  3  Rondos  von  1779  und  1780 
enthaltend,  hat  sich  bis  in  die  neuestc  Zeit  hinein  besondrer 
Aufmerksarnkeit  zu  erfreuen  gehabt.  Ein  im  Ganzen  nicht 
imbedeutender  Kritiker  des  Musikalnianachs  von  1783  r) 
sagt  von  ihr:  7?Der  3.  Theil  der  Bach'schen  Sonaten  fur 
Kenner  und  Liebhaber  gefallt  mir  im  Ganzen  genommen 
weniger,  als  die  beiden  ersten  Theile.  Besonders  wollen 
mir  die  Rondos ;  gegen  die  im  2.  Theil  verglichen?  gar 
nicht  recht  behagen.  Jene  sind  so  edel?  natiirlich  und  doch 
reich  und  mannigfaltig.  Diese  hingegen  (halten  Sie  mein  Ur- 
theil  ciicht  fiir  verwegen)  finde  ich?  das  erste  in  E-dur  aus- 
genommen,  in  vielem  Betracht  gemein^  bizarr." 

Von  den  Sonaten  ist  hier  freilich  nicht  speciell  die 
Rede.  Von  diesen  glaubte  Reich ardt-)  die  3.  Sonate 
in  F-rnoll,  mit  der  ihn  Bach  einst  beschenkt  hatte,  ??die 
vortreffliehste  aller  seiner  Sonaten  nennen  zu  konnen. 
Redender,  singender,  durch  jede  Anwendung  des 
Genies  ttnd  der  Kunst  hinreissender  kann  ich  mir 
nichts  denken."  Forkel  hat  derselben  Sonate  eine  lange 
Besprechung  gewidmet s).  Er  findet  in  dem  ersten  Allegro 
den  Ausdruck  eines  gewissen  Unwillens?  in  dem  Andante 
Betrachtung  und  Ueberlegungj  in  dem  letzten  Andantino 
grazioso  die  darau.s  entstandene,  fast  rnochte  man  sagen 
melancholische  Beruiugung.  Er  sagt  ferner  (S.  38):  3?Bie 
haben  vielleicht  diejenige  Stelle  im  zweiten  Theile  des 


^  Schwiclcert,  Ku&  Alman.  1783.    S.  141. 

2 1  Knnst-Ma^aziB.    1782.    S.  87. 

3;  Leipziger  Mus.  Almsu^<^  (Sc&wl^kert),    1783^    S.  522 


—  218    — 


1,  Allegro  nicht  schon  gefunden,  wo  die  Modulation  in's 
As-moll,  Bes-dur  and  von  da  auf  etwas  harte  Art  in  F-moll 
wieder  zuriickgeht  l],  Ich  muss  gestehen,  dass  ich  sie, 
ausser  ihrer  Verbindung  rait  dem  Granzen  betrachtet,  eben- 
so  wenig  schon  gefunden  habe.  Aber  wer  findet  auch 
wohl  die  harten,  rauhen  und  heftigen  Aeusserungen  eines 
zornigen  und  unwilligen  Menschen  schon?  Ich  bin  sehr  ge- 
neigt  zu  glauben,  dass  Bach,  dessen  Gefuhl  sonst  uberall 
so  ausserordentlich  richtig  ist,  auch  hier  von  keinem  un- 
richtigen  Grefiihl  geleitet  sei?  und  dass  unter  solchen  Um- 
standen  die  erwahnte  harte  Modulation  nichts  anders  ist, 
als  ein  getreuer  Ausdruck  dessen,  was  hier  ausgedrtickt 
werden  sollfce.u 

In  neuerer  Zeit  hat  H.  v.  Bulow  in  der  Bearbeitung 
einiger  der  Em  Bach'schen  Sonaten  die  Folge  dieser 
Modulationen  geandert2)  und  in  dem  Andante  unmittelbar 


I  \$\ v~b~~~P~~~~~~  . .-— i7y"^]"fl  — ?-d  -^ !__*_--. J — %l~--* ^^•"^•"a)^~~^;  ~^    •" 


ip:  :p  ^-       -H-       -fc -F 

^£====^=t=z==^ 


^ ,-,-, 


-    219    - 

vor  dem  Wiedereintritt  des  Themas  154  Takte  hinzu- 
gesetzt  B  a  urn  g  art,  in  dein  Vorwort  zu  dein  3.  Heft  der 
neuesten  Ausgabe  der  vorliegenden  Sonaten  bei  Leuckart 
(Sander)  in  Breslau,  hat  dein  gegenilber,  vri&  Forkel? 
die  ursprungliche  Fassnng  unter  Mitwirkung  derselben 
aus  dem  Charakter  der  Em.  Bach'schen  Schreibart  auf- 
recht  erbalten.  Und  dies  mit  vollem  Recbte,  da  man  selbst 
an  den  Sehwachen  grosser  Meister?  zu  denen  die  hier- 
genannten  Stellen  nicbt  einmal  zu  rechnen  sind?  noch 
weniger  an  cleren  besonderen  Eigenthiimlichkeiten  Aende- 
nuigen  vornehmen  clarf.  Was  wltrde  avis  Beethoven 
werden,  wenn  jeder  Musikgeneration  das  Recht  zugestanden 
werden  sollte?  hier  imd  dort  nach  individuellem  Ennessen 
Harten  zu  verwischen,  Eigenthiimliehkeiten  abzuschleifen? 
selbst  Spitzen,  die  hie  und  da  auffallend  beriihren7  stumpf 
zu  rnachen?  Man  muss  Kunstwerke  eben  so  hinnehmen?  wie 
sie  sind.  Wo  eine  Vervollstandigung  derselben  nach  ver- 
anderten  Zeitverhaltnissen  nothwendig  TOd?  da  darf  sie 
eben  nicht  zuAbanderungen  iibergreifen?  sondern  muss 
sicb  darauf  beschranken;  nachzutragen  ?  was  und  wie  der 
Meister  muthmasslich  selbst  nachgetrageu  haben  wiirde, 


—    220    — 

wenn  er  in  der  Lage  gewesen  ware  die  Nothw&idigkeit 
hierfiir  anzuerkennen. 

Was  die  beiden  anderen  Sonaten  dieser  Sammlung 
anbetrifft,  so  durfte  es  schwer  sein,  die  erste  in  A-inoll  % 
mit  dem  eigenthiimlich  lebhaften  Allegro  di  molto 


nicht  den  besten  Sonaten  Bach's  zuzahlen  zu  wollen. 

Die  2.  Senate  in  D-moll?  sehr  ernst  beginnend,  rait 
dern  schonen  Cantabile  e  mesto  und  dem  freilich  etwas 
kurz  gefassten  dritten  Satze  (Allegro)  steht  dieser  keines- 
wegs  nach. 

"Wegen  der  Rondos,  welch  e  den  en  der  vorigen  Samm- 
lung nicht  vollig  gleich  sind;  mochte  man  dem  Beurtheiler 
Tom  Jahre  1783  Recht  geben.  Das  erste  derselben  zwar, 
mit  dem  iiberans  melodischen  Thema 


Poco  Andante. 


ist  ein  Meisterstiick  von  harmonischer  Behandlung  der  Ge- 
danken.  Das  2.  Rondo  dagegen  (Gr-dur  2/4  poco  andante) 
mit  dern  unsclmldig  naiven  Charakter,  dem  man  bei  Haydn 
so  vielfach  begegnet,  durfte  gegen  dieses  sowie  gegen  die 
frliheren  Rondos  zurucktreten.  Bei  dem  3.  Rondo?  F-dur 
2/4  Allegretto,  kommt  es  freilich  vor  Allem  auf  die  rich- 
tige  Auffassung  und  Wiedergabe  an.  Doch  bleibt  in  je- 
dem  Falle  das  Thema 


—    221    — 

Allegretto. 


Allegretto.  ,    •         4. »  ^^ 

±C£^==+:^?:::!^^ 

f**  P  ^    C*~ 


etwas  diirftig  und  alle  Genialitat  der  Bearbeitiing,  welche 
zudem  hie  und  da  nicht  ohne  Bizarrerie  ist?  liilft  nicht 
ganz  dartiber  fort.  / 

Die  4/Sammlung  erscbien  1783  zum  ersten  Male 
obne  Zueignung.  Sie  zaiilte  388  Abonnenten,  unter  denen 
Duscbeck?  Burney,  von  Bisinark->Sehonbausen  und 
van  Swieten  zu  nennen  sind. 

Sie  enthalt  ausnahmsweise  7  Stacker  3  Rondos  von 
1782,  1781  und  1779;  2  Sonaten  von  1781  und  1765  (in 
Potsdam,  gesetzt)  und  2  Fantasien  von  1782. 

Von  grosseren  Fantasien  hatte  Bach  bisher  nur  die 
eine  in  C-moll  aus  dem  Versucb  iiber  die  wahre  Art 
das  Clavier  zu  spielen,  einige  kleinere  in  deni  musi- 
kaliscben  Vielerlei  veroftentlicbt.  Wesshalb  der  alte  Meister 
erst  in  spateren  Jabren  an  diese  Form  der  Clavierstiicke 
gegangen  ist,  erklart  dessen  Brief  an  Fork  el  (Anbang  I.) 
vom  10.  Februar  1775:  7?Man  will  jetzt  von  mir  6 
oder  7  Fantasien  baben7  wie  das  18.  Probesttick  aus  deia 
C-moll  ist;  icb  laugne  nicht 7  dass  ich  in  dieseni  Facbe 
gern  etwas  tbun  mochte.  Vielleicht  ware  ich  auch  nicht 
gaaz  und  gar  ungeschickt  dazu?  iiberdem  babe  ich  einen 
Haufen  Collectanea  da#u?  welcbe?  wenn  ich  Zeit  hatte  sie 
in  Ordnung  zn  bringen  und  sie  allenfalls  zu  vennekren, 
besonders  was  den  Grebrauch  aller  dreyer  Generum  be- 
trifft,  zu  der  Abbandlung  von  der  freyen  Fantasie  meines 
zweyten  Versucbs  gehoren:  allein  wie  viele  sind  deren?  die 
dergleichen  lieben?  verstehen  und  gut  spielen?  Der  Herr 
von  G^rsteiiberg  unS  Herr  E.  M.  Sehreiber  i 
hagen  u.  a.  KU  wunsebten  dergleichen  und  offeriren 


_    222    — 

bona  officia:  Allein  noch  habe  ich  wenigLust  dazu  etc.  etc." 
Diese  Lust  1st  in  der  That  erst  7  Jahre  spater  ge- 
'konunen  und  sie  hat  jene  herrlichen  Tongemalde  in  hin- 
und  herschillernder  Farbenpracht  geschaffen?  in  denen 
Sonnenblicke  und  diistre  Wolkenschatten  iiber  reiche  und 
bltihende  Fluren.  dahinzuziehen  scheinen.  Offenbar  dachte 
Bach,  der  stets  danach  fragte?  was  dem  Publikuni  wohl 
angenehm  sein  werde,  durch  den  Reiz  der  Abwechselung, 
durch  Neuheit  und  die  tiberraschende  Form  zu  gewinnen. 
Vielleicht  auch  mochte  er  zeigen  wollen,  dass  das  hohe 
Alter  seiner  Erfindungskraft  keinen  Abbruch  gethan  habe. 
Forkel1)  analysirt  die  Rondos  aus  diesena  Heft  sehr 
ausfuhrlich,  indem  er  seinen  Unwillen  gegen  diese  Musik- 
gattung  von  Neuem  zu  erkennen  giebt2).  ;?Wie  viel  Spieler 
und  Kaufer  wiirde  Bach  wohl  noch  haben?  wenn  er  nicht 
sich  hierin  ftigte?  Man  vergleiche  nur  zur  Schande  des 
herrschenden  Geschmacks  das  sparsame  Subscribenten-Ver- 
zeichniss  vor  diesen  Meisterstiicken  von  Sonaten  mit  den 
fetten  Registern  eben  derselben  bei  einigen  gleichzeitigeu 
leichtfiissigen  Werken."  An  den  Fantasien  ruhmt  er:  7?Die 
Wahrheit  der  Modulatiouen?  der  Abschweifungen  und 
Wiedereinlenkungen,  die  Unerschopflichkeit  an  Gangen 
und  Wendungen,  die  Mannigfaltigkeit  der  einzelnen  Fi- 
guren,  aus  denen  das  Ganze  zusammengesetzt  ist,  und  das 
Brillante  im  Spiele  der  Hand"  und  fligt3)  hinzu:  ??Die 
zweite  Phantasie  z.  E.,  weiss  ich?  hat  er  zu  seinem  Ver- 
gniigen  an  einem  Tage  verfertigt,  wo  ihn  ein  verdriess- 
licher  Rheumatismus  plagte?  und  er  pflegte  sie  daher  scher- 
zend  gegen  seine  Freunde  die  Phantasie  in  tormentis  zu 
nennen;  nach  der  Analogie  der  bertihmten  Genialde  des 
hochseligen  Konigs  yon  Preussen4)."  In  der  That  ist  diese 

1)  Magazin  f.  Mus.    Jahrg.  1783.    2.  Halfte.    S.  239. 

2)  S.  1247. 

3)  S.  1252. 

!)  In  doloribus  pinxit.  Fridericus7  was  Friedricli  Wil- 
helm  I.  unter  seine  bei  Podagra -Anfallen  gemalten  sonderbaren  Bil- 
der  zu  setzen  pflegte. 


—    223    — 

Fantasie  ein  wunderbares  Gemisch  brillanter,  hie  und  da 
an  das  Bizarre  streifender,  nicht  selten  von  dein  erwarteten 
Gange  weit  abspringender  Gedanken,  bei  denen  die  klare 
Melodie 


Audante* 


ante.  l  X5 

i — -3 — •  • "-  r?- 


sich  aus  den  bin-  und  berstiirnienden  Tonflutlien  heraiis- 
windet,  wo  die  Harnionienfolge  in  seltsamem  Weclisel  der 
Mpdulationen  dock  stets  in  sorgfaltigster  Beachtung  der 
Gesetze  erfolgt,  die  den  Maassstab  des  Scbonen  abgeben? 


Allegretto. 


Adagio,         ten*        Allegretto, 


=te=»d£iff=£i!lfc:8!f2SS 


mB^^^&^=^ 


und  wo  es  auch  an  Harten  nicKt  fehlt,  wenn  nian;  wie  bei 
der  F-moll-Sonate  der  3.  Sammlung,  anf  diese  zuriiek- 
gehen  wollte: 


In  der  ersten- Fantasie  (Es-dur)  werden  schnell  dahin- 
rauschende  Passagen  von  reeitativischen  Melodiebildungen 
und  grossen  harmonischen  Tongangen  durchflochten,  wah- 
rend  der  niit  Poco  adagio  bezeichnete  Mittelsatz  in  klagend 
weichen  Klangfornien  daJierfliesst ,  die;  erst  nachdeni  ihr 
Inhalt  vollig  erschopft  ist;  in  die  unruhigbransende  Gang- 
art  der  Anfangsmotive  zuriickfLihren. 

Diese  Fantasien  zeigen  ganz  detitlich;  dass  Bach  bei 
seinen  Spielern  die  Fertigkeit  yoraussetzte;  die  liarmonische 
Ausftillung,  wo  sie  von  ihni  nicht  gegeben  war,  zu  er- 
ganzen. .  Was  konnten  bezifferte  Stellen  wie  die  folgende 
der  Es-dur-Fantasie?  wie  solclies  anch  am  Schluss  der 
A-dur-Fantasie  vorkoinmt; 


A  -J. 


rzi2--fefe-^r"feaLau-i; 
BldcS=-.2=z«zzH|=fc2g: 


wohl  anders  bedeuten? 

Die  2.  Senate  dieses  Hefts  in  E-inoll  2/4  mit  der 
schonen  Andantine  in  G-dur  gehort  zu  den  besten  Arbeiten 
Bach's  und  ist  der  ersten  in  Gr-dur  weit  tiberlegen. 

Die  Rondos  dagegen  sind;  was  auch  Forkel  dagegen 
eifern  mag,  yon  vorzuglicher  Schonlieit.  Bogleich  das  erste 
derselben  in  A-dur  (Andantino)  mit  seinem  sanften  Thema, 
niehr  noch  das  dritte  (B-dur  Allegro)  das  iiberaus 


—    225    — 

ist  und  durchweg  eine  feine  Auffassung  und  einen  von 
humoristischen  Anwandlungen  gewiirzten,  perlenden  Vor- 
trag  erfordert,  bezeugen  dies.  Wie  sehr  ware  es  zu  be- 
dauern,  wenn  Bach  urn  einer  schulniasslgen  Pedanterle 
will  en,  als  welche  Fork  el's  Abneigung  gegen  das  Rondo 
betrachtet  werden  inuss,  sieh  hatte  verleiten  lassen,  von 
dieser  Musikform,  mag  man  sonst  von  ihr  denken  wie  man 
will,  Abstand  zu  nehmen. 

Die  5.  Sammlung,  1785  gedruckt  und  ,,Sr.  HerzogL 
Durchlaucht  Peter  Friedrich  Ludwig,  Herzogen 
zn  Holstein  und  Ftirstbischofen  zu  Ltibeck  gewid- 
niet"?  welche,  nm  mit  Fork  el  zu  reden,  ein  noch  spar- 
sameres  Subscribenten-Verzeichniss  (es  waren  deren  diesmal 
nur  308)  aufzuweisen  hatte,  enthielt: 

2  Sonaten,  beide  1784  componirt, 
2  Rondos,  von  denen  das  erste  1779,  das  zweite 
1784  gesetzt  war,  und 

_      2  Faifasien  von  1782  und  1784. 

C.  F.  Cramer  nennt  Bach  bei  Beurtheilung  dieser 
Sammlung1)  ,,wegen  der  Versehiedenheit  und  Originalitat 
der  Stticke  und  Gedanken'fc  den  Unvergleichlichen. 
Er  analysirt  die  beiden  Sonaten  und  sagt,  indem  er  auf 
die  Fantasien  iibergeht:  ,,Wer  den  Herrn  Kapellmeister 
auf  dem  Pianoforte  phantasiren  gehort  hat  und  BUT 
etwas  Kenner  ist,  wird  gerne  gestehen,  dass  man  sich 
kaum  etwas  Vollkommeneres  in  dieser  Art  denken  kann. 
Die  grossten  Virtuosen,  welche  hier  in  Hamburg  ge- 
wesen  und  neben  ihm  standen,  wenn  er  grade  in 
aeiner  Laune  war,  und  ihnen  vorphanta«sirte,  erstaimten 
tiber  die  Einfalle,  Uebergange,  ktihne,  nie  gehorte  und 
doch  sachrichtige  Ausweichungen,  mit  einem  Worte  liber 
die  grossen  Reichthiimer  und  Schatze  der  Harmonie,  die 
ihnen  Bach  darlegte,  und  deren  viele  ihnen  selbst  noch 
•unbekannt  gewesen,  rieben  sich  die  Stirne  und  bedauerten, 


i)  Magaain  f.  fawk.    1786.    2.  Hllfle.    S.  870. 

Bitter,  JEmanuel  trad  FriederoAim  Baeli.  15 


—    226    — 

* class  sie  nicht  auch  solche  Kenntnisse  besassen.  Der 

Verfasser  dieser  Anzeige  ist  verschiedene  Male  ein  Augen- 
zeuge  soleher  Auftritte  gewesen,  "and  er  konnte  diejenigen 
Virtuosen  nennen;  die  dieses  Bekenntniss  ablegten,  und 
die  zu  den  beruhnitesten  in  Europa  gehoren.  So  seine 
Phantasien,  die  einen  ungefahren  Begriff  dayon  geben,  durch 
welche  besondere  Wege  Bach  hier  von  einer  Tonart  in 
die  andere  schleicht,  dort  gleichsam  durch  einen  Salto 
mortale  hinuberspringt,  wie  er  ktihne  Ausweichungen  vor- 
bereitet  und  die  Tempi  andert,  wie  es  sein  Grenius  gut 
findet  etc.^ 

In  der  That  enthalt  diese  KSanimlung?  deren  Composi- 
tion dem  letzten  Decenniurn  seines  Lebens  angehorte,  nur 
Meisterstticke.  Schon  die  Sonate  in  H-moll,  deren  erster 
Satz  in  bewegten  Motiven  von  melancholischem  Charakter 
schnell  vorbeirauscht,  und  deren  durch  ein  kurzes  Adagio 
von  ausdrucksvollern  Gteprage  eingeleitetes  Andantino  in 
E-dur  mit  seinen  phantasievoll  zarten  Melodien  wie  ein 
Trauni  verrinnend  schliesst;  lasst  nicht  erkennen?  dass  ein 
70jahriger  Grreis  sie  geschaffen.  Noch  bedeutender  erscheint 
die  Sonate  in  (J-dur,  deren  gesangvolles  Largo  nicht 
weniger  als  das  abschliessende  Andante  grazioso  den  Clavier- 
stucken  aus  Bach's  Berliner  Zeit?  die  Reich  liar  dt  so  viel 
hoher  stellte?  in  keiner  Weise  nachstehen. 

Die  Rondos  sind  sehr  ausgefuhrt,  das  erste  in  Gr-dur 
von  dera  reizendsten  Charakter,  voller  Anmuth  und  Grazie 
und  in  einem  Reichthum  und  Wechsel  der  thematischen 
Verwendung,  wie  sie  kaum  in  einer  der  fruheren  Arbeiten 
Baches  vorkommt.  Noch  ausfiihrlicher  behandelt  ist  das 
2.  Rondo  in  C-moll,  dessen  Ausfuhrung  der  leichten  Tech- 
nik  ungeachtet,  ein  sorgfaltiges  Studium  erfordert.  Sehr 
schon  wirkt  die  in  die  harpeggirenden  Figuren  plotzlich 
einfallende?  iibrigens  so  einfache  \md  klare  Melodie; 


—    227    — 


J^    p'    '    '~S~*'~s          '-*—    *    •  g 

I  -*-*-*-»-*-*-*-*-»-»-*-    -»-    -*_*--0- 

'  5EgEEE£F?^-gF^-^rrF^L^E^^r:^?:^F=E^ 


***  ^  N 

,     _«  ___  |W_  __  .W  _  /W         ,  _  __          -,-t^7_-     »         -1  ^  _      i***          _1 

gp—  MW-  —  ^z  ---  1:  ^zzi^^B^_^-zz±gr3Tr,1.STxqr^T^r:r-.jr^ 


Die  Wirkung  der  Fantasien  hangt  von  der  mehr  oder 
werdger  geistyollen  AusfuhriiBg  ab?  die  ihnen  zu  Theil 
wird.  Ihre  poetische  Tiefe?  die  nach  alien  Seiten  wechseln- 
den  Modulationen?  deren  Kiihnheit  in  Erstaunen  versetzt, 
and  der  bluhende  Eeichthum  der  Gedanken  fesseln  und 
reizen  die  Auftnerksamkeit  des  Spielers7  wie  wenige  andre 
Tonstiicke. 

Der  6.  Theil  der  Saumilungen  endlich  wurde  im  Jahre 
1786  dureh  den  Hamburger  Unpartheiischen  Correspon- 
denten  angekiindigt1). 

Gleichzeitlg  erseliien  von  Bach  selbst  folgende  Anzeige: 
7?der  6.  Theil  meiner  Sonaten  fur  Kenner  und  Liebh&ber, 
mit  Eondos,  Sonaten  tind  freien  Fantasien,  wird  auf  Pranu- 
meration  gedruckt.  Ich  ersuche  meine  Freunde7  die  Herrn 
BuchMndler  und  wer  sonst  die  Gute  haben  will,  von  jetzt 
an  bis  kunftigen  Ostern  giitigst  Pranumeration  auf  diesen 
Theil  anzunehmen,  In  der  Ostermesse  wird  die  Ausliefe- 


Hamb.  Uoparft, 


No,  168. 


16* 


—    228    — 

rung  in  zweierlei  Schliisseln  geschehen.  Der  Pranumera- 
tionspreis  1st  vier  Mark  Liibisch,  oder  1  Rthlr.  10  Gr.  in 
Louisd'or,  oder  1  Rthlr.  20  Gr.  in  Preuss.  Courant  Die 
Gelder  werden  auf  Ostern  eingezahlt.  Wer  10  Exemplare 
sammelt,  erhalt  das  11.  und  wer  5  sammelt,  ein  halbes 
frei.  Nachher  wircl  der  Preis  erhoht.  Hier  in  Hamburg 
kann  bei  mir  pranumerirt  werden.  Hamburg,  den  17. 
October  1786.  C.  P.  E.  Bach." 

Die  Sammlung  erscliien  etwa  8  Monat  spater  und  war 
Ihro  Hochgrafl.  Gnaden,  Maria  Theresia,  Eeichs- 
grafin  zu  Leiningen-Westerburg  gewidmet,  einer 
Dame?  die  nach  einer  Mittheilung  voni  Juli  1787  ^  ??niit 
ihren  tibrigen  liebenswurdigen  Talenten  aueh  eine  vorzUg- 
liche  Einsicht  in  die  Tonkunst  verband  und  die  Bacii- 
schen  Clavierstucke  mit  ebenso  vielFertigkeit  alsGeschmaek 

vortrug." 

Die  Abonnenten-Zalil  war,  der  vorangegangen  Ankiin- 
digungen  ungeachtet  auf  288  gesunken,  Baron  van  S.wieten 
hatte  durch  alle  6  Sammlungen  hindurch  seine  12  Exem- 
plare genomrnen.     Leipzig  war  diesmal  nur  mit  2  Unter- 
schriften  vertreten.    Und  docli  hatte  der  Werth  der  Sonaten, 
so  weit  dies  moglich  war,  von  Heft  zu  Heft  zugenornrnen. 
Die  vorliegende  Sammlung  bestand  wiederum  in 
2  Sonateu?  beide  von  1785. 
2  Rondos          j    17g6  t 

2  Fantasien      j 

Die  Sonaten,  obsclion  interessant  genug,  stehen  vielleicht 
nicht  auf  der  vollen  Hohe  derjenigen  der  5.  Sammlung. 
Sie  sind  kurz  und  knapp  gefasst  und  mehr  als  die  meisten 
anderen  clavichordmassig  gesetzt. 

Die  Rondos  sind  in  ihrer  Art  wahrhafte  Meisterstticke 
und  strafen  das  Verdict  Forkel's  wiederholt  Liigen.  Das 
Rondo  in  Es-dur  mit  seineni  reizenden  Thema 


Hamb.  unparfh.  Corresp.    1787.    Nro,  105. 


—    229    — 


n-±J=fiti 
P 


3*=£=Z^* 


wird  wohl  fur  alle  Zeiten  als  ein  Muster  fiir  cliese  Form 
der  Claviermusik  gelten,  und  das  in  D-moll  1st  von  solcher 
Netiheit  und  ilberraschenden  Eigenthumlichkeit,  dabel  voll 
von  so  feinen  Wendungen,  in  denen  Ernst  und  Humor 
gegen  einander  contrastirend  wirken?  dass  es  dem  vorlier- 
gehenden  keineswegs  nachsteht. 

Die  Fantasien  gleichen  in  genialer  Zusainnienstellung 
denen  der  vorhergehendcn  Samnilungen.  Die  letzte  Fan- 
tasie  mit  ihrem  humoristischen  Thema 


und  den  schonen  melodischen  Zwischensatzen,  unter  denen 
besonders  das  Larghetto  sostenuto  hervortritt: 


—    230    — 

weicht  von  dein  ineist  diisteren  und  wilden  Charakter  der 
iibrigen  Fantasien  wesentlieh  ab. 

Diese  und  die  Rondos  dieser  Samrnlung  sind  nahezu 
die  letzten  Clavier- Arbeiten,  die  Bach  geschrieben,  jeden- 
falls  die  letzten  die  bekannt  geworden  sind,  und  das  Inter- 
esse  an  ihnen  ist  schon  aus  diesem  Grunde  nicht  gering. 

Will  nian?  was  der  seinem  Ende  nahe  Meister  in  die- 
sen  sechs  Sonatensammlungen  geleistet  hatte,  zusarninen- 
fassen,  so  muss  man  anerkennen,  dass  in  ihnen  neben  ver- 
haltnissmassig  Wenigem,  das  als  schwach  bezeichnet 
werden  muss,  das  Beste  und  Yorziiglichste  dessen  ent- 
halten  ist?  was  er  in  einer  46jahrigen  Lebens-  und  Arbeits- 
periode  zu  leisten  im  Stande  war  und  dass  in  ihnen  sein 
schopferisches  Talent,  die  Feinlieit  und  Eleganz  seines 
musikalischen  Wesens,  seine  Erfindung  und  der  melo- 
dische  Eeiz  seiner  Gredanken  am  vollkommensten  und  rein- 
sten  dargestellt  ist.  Alle  Vorzuge  seines  Clavierstyls,  deren 
im  Laufe  dieser  Betrachtung  gedacht  worden,  finden  sich 
in  diesen  Sonaten,  diesen  Rondos  und  Fantasien  vereinigt, 
deren  Entstehungszeit  nicht  weniger  als  28  Jahre  umfasst, 
und  deren  letztgeschaffene  den  mehr  als  70jahrigen  Greis 
von  gleicher  Frische,  gleichem  Feuer  und  gleicher  Erfin- 
dungsksaft  zeigen,  wie  sie  den  44jahrigen  Mann  beseelten, 
der  im  Jahre  1758  die  alteste  derselben  gesetzt  hatte. 
Mit  diesen  sechs  Sammlungen  hatte  Bach  den  wesentlich- 
sten  Theil  seiner  Lebensaufgabe  beendet.  Sie  haben  ihn 
auf  jene  hohe  Stufe  ernporgehoben,  auf  der  die  Nachwelt 
ihn  als  eine  der  bedeutendsten  Erscheinungen  in  deni  Ge- 
biete  der  schaffenden  Musik  erkannt  hat.  Was  er  theoretisch 
33  Jahre  frtiher  gelehrt,  das  hat  er  durch  diesen  Sonaten- 
cyclus  zum  kiinstlerischen  Abschluss  gebracht,  uns  als  ein 
Vermachtniss  bleibender,  grosser  und  edelster  Bedeutung 
hinterlassen. 

Nach  diesen  Souaten  hat  er  nur  nocli  wenig  geschaf- 
fen,  im  Jahre  1787  zwei  Clavier-Fantasien,  im  Jahre  1788 
drei  Quartette  fur  Clavier^  Flote,  Viola  und  Bass.  Diese 


—    231    — 

Stfieke  sind  dein  Verfasser  leider  unbekannt  geblieben.  Als 
das  letzte  was  Bach  fur  das  Clavier  gesetzt  hat?  wiirde 
die  Kenntniss  ihres  Inhalts  von  hochstein  Werthe  sein.  Nach 
dem  Katalog  der  am  19.  Februar  1827  in  Altona  verstei- 
gerten  Gahler'schen  Buchersammlung  (No,  9327)  sind  die 
Originalien  damals;  Grott  weiss  wohin,  verkauft. 

In  alien  seinen  Clavier-Compositionen,  seien  sie  mit  oder 
ohne  Instrumentalbegleitung  gesetzt,  findet  man  jene  Ele- 
ganz?  die  feine  poetiscbe  Farbe,  welche  den  markigen,  tief- 
sinnigen,  alle  Combinations -Moglichkeiten  der  Motive  er- 
schopfenden  Arbeiten  des  Vaters  zunachst  fehlt.  Geistiges 
Leben,  Fiille  der  Gedanken,  Kuhnheit  iind  iiberraschende 
Wendungen  der  Harmonie,  Originalitat  in  der  Technik 
sind  beiden  gemein.  Seb.  Bach  reprasentirt  den  voll- 
endeten  Clavierspieler  der  alten  Schule.  Em.  Bach  hat 
die  neuere  Technik  fiir  dieses  Instrument,  die  sein  Vater 
begriindet  und  gelehrt  hatte?  in  seinen  Tonstiicken  zum 
Ausdruck  gebracht.  Anch  er  hat  meist  noch  fiir  das 
Clavichord  geschrieben.  Er  bedurfte,  wie  Nageli  von 
ihm  sehr  treffend  sagte J)  ?  eines  Minimums  von  Materie7 
urn  ein  Maximum  von  Geist  zu  offenbaren.  Aber?  wie 
schon  oben  erwahnt,  componirte  er  auch  fur  den  Fliigel 
und  das  Pianoforte.  Er  wusste  sehr  woh!7  dass7  wer  jenes 
eigenthiimliche  und  sinnige  Instrument  zu  spielen  im  Stande 
sei?  auch  die  andern  zu  behandeln  lernen  werde. 

Manches  in  seinen  Compostionen  erscheint  bizarr. 
Vieles  in  den  Formen  und  den  oft  gehauften  Verzierungen 
ist  veraltet.  Hie  und  da  sind  seine  Satze?  zumal  die 
Schlusssatze  der  Sonaten?  kurz  hingeworfen,  ohne  eigent- 
liche  Durcharbeitung,  mitunter  selbst  ohne  Tiefe.  Nach 
jetziger  Auffassung  wiirde  man  auch  die  Kleinheit 
mancher  Motive,  deren  kurze  Struktur  tadeln  konnen. 
Was  fur  die  jetzige  Zeit  ihnen  am  meisten  fehlt,  ist  die 
Vervollstandigung  der  Harmonie,  auf  deren  Nothwendig- 


i)  Leipz.  AUg.  Maa-Zeitni^3  Jab^.  13,    a  666. 


—    232    — 

keit  bei  Gelegenheit  der  Reprisen-Sonaten  (Absctmitt  I. 
8.  71  ff.)  hingewiesen  worden  ist. 

Die  vieleii  bei  Bach  vorkorninenden  Pausen  waren 
fur  seine  Zeitgenossen  eine  tiberraschende  Neuerung.  Der 
Horer,  der  sonst  den  mehrstirmnigeii  Tonsatzen  mit  Auf- 
merksamkeit  hatte  folgen  naiissen,  um  den  Faden  des  niu- 
sikalisehen  Gedankens  nicht  abreissen  zu  lassen,  wurde 
hiedurch  plotzlich  aus  einer  Fulle  yon  Melodie  und  liar- 
monischer  Wirkung  vor  sein  eigenes  Innere  gestellt?  seine 
Phantasie  frei  geniaeht  und  er  aufgefordert,  fur  einen 
Augenblick  selbstandig  weiter  zu  gelaen3  bis  Bach  es  fur 
gut  fand?  den  abgebrochenen  Gang  des  Stiickes  wieder 
aufzunehmen.  Darum  nannte  man  zu  seiner  Zeit  Bach's 
Melodiengang  nicht  selten  einen  ??zerhackten".  Die 
Olayierspieler  jener  Periode  aber  warden  durch  die  Eigen- 
thtimlichkeit  clieser  Tonstticke  formlich  gezwungen,  rait 
Ueberlegungj  Ausdruck  und  Grazie  zu  spielen. 

Schubafth;  der  sich  sehr  eingehend  mit  Em.  Bach 
beschaftigt  hatte,  sagte  von  dessen  Clavier-Compositionen l] : 
??Sie  tragen  alle  das  Geprage  des  Ausserordentlichen.  Bo 
reich  an  Erfindungen,  so  unerschopflich  in  neuen  Modu- 
lation en  ?  so  harmonisch  voll  ist  keiner  wie  dieser.  Was 
Rafael  als  Maler  und  Klop stock  als  Diehter;  dass  ist 
so  ungefahr  Bach  als  Harraoniker  und  Tonsetzer.  Was 
man  an  seinen  Stiicken  tadelt;  ist  eigensinniger  Notensatz? 
wo  er  z.  B.  dem  mittleren  Finger  immer  seine  eigne 
Sphare  giebt;  und  Unbeugsamkeit  gegen  den  Mode- 
geschmack.  Wenn  auch  etwas  an  diesen  Beschuldigungen 
wahr  ist?  so  ist  doch  noch  wahrer;  dass  der  wirklich  grosse 
Mann  sich  zwar  bticken;  aber  nie  zur  Zwergheit  seiner 
Zeitgenossen  herabmirdigen  kann.  Bachpflegte  zu  sagen: 
Wenn  meine  Zeitgenossen  fallen,  so  ist  es  meine  Pflicht 
sie  aufzuheben,  aber  nicht;  zu  ihnen  in  den  Koth  zu  liegen. 
Daher  bemerkt  man  in  seinen  neuevsten  Stiicken  imrner 


Aesthetik  der  Tonkunst,  S.  177. 


—    233    — 

efrvvas  Anschniiegen  an  den  Geist  der  Zeit,  aber  nie  ein  Her- 
absinken  zum  lierrschenden  Geiste  der  Kleinheit  Alles  Tan- 
deln  auf  dein  Clavichord,  alles  sussliche,  Geist  eutnervende 
Wesen,  alles  Berlocken-Geklingel  der  heutigen  Tonineister 
ist  seinein  Riesengeiste  ein  Grauel.  Er  bleibt  trotz  der 
Mode,  was  er  ist,  Bach!"  Reichardt  r)  tadelte  seine 
Arbeiten  aus  der  spf teren  Zeit  und  war  der  Meinung,  dass 
die  bessere  Periode  seiner  (vlavier-Compositionen  in  Berlin 
abgeschlossen  sei. 

Indem  er  von  Bach's  (jrewinnsncht  (ksiehe  S.  173) 
spricht,  fiigt  er  hinzti:  ??Diese  Gewinnsucht  erzeugte  auch 
manclic  seiner  neuen  Arbeiten,  in  welchen  er  strebte,  sich 
den  llodeformen  zu  nahorn,  die  unter  seinen  Handen 
wieder  eine  ganz  eigne  Gestalt  gewannen?  welche  er  aber 
im  bessereu  Gefiihl  seiner  inneren  Werths  bei  der  offent- 
liclien  Bekanntinachnng  mit  alter  en  besseren  Arbeiten  aus 
seiner  sclionsteu  Berliner  Epoehe  zu  vermisclien  pflegte/' 

Dass  in  den  Arbeiten  seiner  letzten  Jahre  ein  inerk- 
licher  Abstand  gegen  die  Berliner  Zeit  lieirortrete,  kann 
in  keinem  Falle  zugegeben  werden.  Deninach  liat  Rei- 
chardt in  diesem  Punkte  Unrecht.  Dass  Bach  dem  Mode- 
geschmack  und  den  Anforderungen  des  Publikums  gern 
nachgab?  ist  richtig.  Er  arbeitete  nicht,  wie  sein  Vater, 
vorzugsweise  zu  seiner  inneren  Befriedigung.  Ware  er 
dieser  seiner  Neigung  iveniger  gefolgt,  man  wiirde  viel- 
leicht  nianche  schwache  Arbeit  weniger  von  ihni  kennen 
und  von  den  besseren  wdrde  Manches  noch  vollendeter 
geworden  sein.  Er  selbst  war  sich  hierin  vollkommen 
klar.  In  seiner  biographischen  Skizze  sagt  er  iiber  diesen 
Pnnkt,  indern  cr  der  Kritik  vorwirft,  dass  sie  unbarmher- 
zig  urtheile,  ohne  die  Um-stande,  Vorschriften  und  Ver- 
anlassungen  zu  kennen?  durch  welche  die  Musikstlicke  ent- 
standen  seien:  ?7  Unter  alien  ineinen  Arbeiten?  besonders 
fiir's  Clavier?  sind  bloss  einige  Trios,  Solos  und  Concerte, 

i]  Musik-Ateuaadi  v.  17S6, 


—    234    — 

welche  ich  mit  aller  Freyheit  und  zu  nieinenT  eignen  Ge- 
brauch  gemacht  habe."  Hieraus  wiirde  sich  folgern  lassen, 
dass  Bach  uberhaupt  nur  Weniges  in  voller  und  reiner 
Hingabe  an  die  Kunst  gesclirieben  habe.  Die  genaue  Prii- 
fung  seiner  Arbeiten  bestatigt  dies  mindestens  fiir  das 
Clavier  nicht. 

Wie  steht  es  nun  mit  den  von  ihm  hinterlassenen 
Clavier- Arbeiten,  die  bei  seinemLeben  nicht  gedruckt 
worden  waren?  Fetis  in  seiner  Vorrede  zu  den  von  ihni 
herausgegebenen  Pianofortestiicken  Bach's  sagt:  ,;Soixante 
dhc  morceaux  in  edits  pour  piano  seul  avaient  ^te  laisse 
en  nianuscrit  par  cet  homme,  dont  1' imagination  fut  infa- 
tigable."  Diese  70  Stuck  beliauptet  er  selbst  besessen  zu 
haben,  die  Mehrzahl  ini  Original.  Anch  Gerber1)  hat 
eine  grosse  Ansahl  von  Clavierstticken  Bach's  besessen, 
die  nicht  herausgegeben  waren.  Anderes  mag  an  Andere 
gekommen  sein.  Jedenfalls  war  die  wahrend  seines  langen 
Lebens  so  sorgfaltig  gewahrte  Ordnung  in  seinen  Musika- 
lien  nach  dero.  Tode  aufgelost,  deren  Inhalt  verstreut 
worden. 

Die  K.  Bibliothek  zu  Berlin  besitzt  von  ihm  folgende 
noch  nicht  ira  Druck  bekannt  gewordene  Glavier-Ooncerte: 

H-molI  V4  von  1753:  mit  Quartett, 

F-durS/i   von  1755:  desgl., 

G-dur^4      desgl.      Concerto  per  il  Organo, 

Es-dur4/4von  1734:  Leipzig,  mit  Quartett,  ungeniein  fliicfatig  ge- 

schrieben  und  voller  Correcturen ,  im  Jahre 

1743  in  Berlin  erneuert, 
D-moll  %  von  1748:  Potsdam,  mit  der  Bemerkung  7?tnense  May" 

mit  2  Floten  und  Quartett, 
C-dur*4  von  1746:  mit  Quartett, 
B-dur  ¥4  von  1762:  mit  Quartett  (in  dem  Naclilass-Katalog  nicht 

eingetragen), 

F-dur  3/i   von  1763:  mit  Quartett, 
ferner : 

Es-dur  4/4  von  1759:  fur  Orgel  oder  (Clavier  mit  2  Hornern  und 

Quartett. 


Neues  Tonkiinstler-Lexicon  S.  198. 


Am  19.  Februar  1827  noch  wurden  zu  Altona  aus  der 
Gahler'schen  Biichersamrnlung  nach  dem  Katalog  ver- 
steigert: 

No.  9312:         C.  Ph.  E.  Bach,  48  Sonaten,  wovon  die  meisten  nicht 
gedruckt  oder  ID  andere  Musikwerke  eingeriickt  sind 
—  geschriebea,  2  Bande. 
No.  9314:         Desselben  kleine  ungedrtickte  und  aus  musikalischen 

Journalen  gesaminelte  Glavierstucke,  geschrieben. 
No.  9323:         36  Clavier  -  Sonaten ,   die   nicht  offentlich   ersehienen 

sind,  geschrieben. 

No.  9327:         7  Sonaten  mit  1  Viol  oder  Flote,  geschrieben. 
No.  9333—38:  87  Clavier -Sonaten,  grosstentheils  ungedmckt  und  VOB 
dem  Verfasser  geschrieben. 

Woliin  diese  Sachen  gekonimen,  ist  unbekannt.  Indess, 
was  ihr  Inhalt  auch  gewesen  sein  inoge?  auch  ohne  sie  ist 
gewiss,  dass  Emanuel  Bach  als  Clavier -Oomponist  nicht 
bloss  in  seiner  Zeit,  sondern  weit  uber  diese  hinaus  schopfe- 
risch  gestaltend  gewirkt  hat?  und  dass?  was  wir  in  der 
Kunst  des  Olavierspiels  jetzt  wis.sen,  iiben  und  geniessen, 
aus  jener  reichen  ISaat  aufgesprosst  ist,  die  er  nahe  an  ein 
halbes  Jahrhundert  lang  ausgesttt  hatte.  Ist  es  ihm  wie 
Wenigen  vergonnt  gewesen?  ein  langesLeben  fruchtbringend 
zu  gestalten,  so  hat  er  dies  auch  wie  Wenige  nutzen- 
bringend  gethan.  Und  so  kann  denn  dieser  Abschnitt  nicht 
besser  als  mit  jenen  Worten  geschlossen  werden,  die  ein 
tiefer  Verehrer  des  grossen  lleisters  wenig&  Tage  nach 
dessen  Tode  in  dem  vollen  Gefiihle  des  Verlustes,  den  die 
Kunst  erlitten  hatte ,  in  ein  ilim  damals  angehoriges,  jetzt 
in  der  K.  Bibliothek  zu  Berlin  befindliehes  Exemplar  der 
j,Wahren  Art  des  Clavierspiels"  eingeschrieben  hat: 

>?Am  14  December  1788  Abends  tim  8  Uhr  starb  der 
sehr  beriihnite  und  vortreffliche  Kapellmeister  uncl  Musik- 
director,  Herr  Carl  Philipp  Emanuel  Bach  in  Hamburg^ 
im  75.  Jahre  seines  Alters.  JDeutschland  hat  an  ihm  einen 
der  grossten  Musiker  und  Clavierspieler  verloren?  und  ich 
sage  nicht  zu  viel?  wenn  ich  behaupte;  dass  Er  wohl,  in 
seiner  Art,  der  grosste  Clavierspieler  und  der  grosste  Com- 
ponist  vor  dies  iBslrnment  in  dear  Welt  war.  Er  war  <tar 


—    236    - 

wahre  Vater  aller  guten  Olavierspieler  und  hat  sich  durch 
seinen  Versuch  uber  die  wahre  Art  das  Clavier  zu  spielen 
und  durch  seine  vortrefflichen  Compositionen;  welches  wahre 
Meisterstticke  sind  —  beaonders  seine  Glaviersachen,  welche 
gewiss  so  lange,  wie  die  Welt  steht,  bei  Kennern  schon 
bleiben  und  zu  Mustern  dienen  konnen,  —  ganz  unsterb- 
lich  geraacht.  0;  welch'  ein  grosser  Mann,  welch'  ein 
grosser  Original-Componist  war  der  unsterbliche  Bach.  An 
seinen  Claviersachen  kann  man  sich  niclit  satt  spielen,  und 
ohne  Ihn  und  seiner  vortrefflichen  Auweisung  zum  Clavier- 
spielen,  wiirden  alle  Clavierspieler  noch  irn  Fins  tern  tappen, 
denn,  nur  Er  —  hat  gezeigt,  wie  dies  Instrument  init  Ge- 
schmack  behandelt  werden  muss.  Halle,  den  7.  Januar  1789. 
Johann  Friedrich  Lebrecht  Zuberbier." 

So  dachte  Emanuel's  Zeit  uber  ihn.  Er  war  der 
Vater  ctes  guten  Clavierspiels. 

Im  Anhange  1st  eine  Anzahl  von  Brief  en  Ernanuel 
Bach's  abgedruckt,  die  sich  auf  die  Herausgabe  der  37So- 
naten  fur  Kenner"  beziehen  und  bisher  nicht  bekannt 
gewesen  sind.  Einige  derselben  sind  auch  von  all- 
gemeinerem  Interesse  und  werden  zur  notlidtirftigen 
Fertigstellung  des  Bildes  dienen ,  das  der  Verfasser  von 
deni  zweiten  Soline  Sebastian  Bach's  zu  entwerfen  be- 
miiht  gewesen  1st. 

B.    Reine  Instrumental- Compositionen. 

Fiir  die  Orgel  als  Solo-Instrument  hat  Bach  in  Ham- 
burg nicht  mehr  gearbeitet.  Aber  auch  der  Kreis  der 
librigen  Instrumental-Sachen ,  die  er  dort  gesetzt  hat,  1st 
nicht  sehr  umfangreich.  Seine  Thatigkeit  nach  dieser  Seite 
hin,  trat  zuriick  gegen  die  grdssere  Menge  der  ihn  be- 
schaftigenden  Gesangs-  Arbeit  en. 

Seine  Instrumental-Sachen  sind  folgende: 

17T3.  6  Sinfonien  fur  2  Violinen,  Viola  und  Bass  in  G-dur*4, 
G-moll  3/4,  C-dur  s/4j  A-dur  */4,  H-moll  4/4  und  E-dur  % 


—    237    — 

1775.  6  kleine  Sonaten  far  2  Homer,  2  Floten,  2  Clarinetteu  und 
1  Fagott. 

1776.  4  Orchester-SinfonienfurQuartett,  Homer,  Floten  und  Bassons. 
(gedruckt  1780.) 

1780.  Eine  Serenade  zur  Feier  des  Ehrenmahls  des  Heirn  Biirger- 
Capitains  mit  1  Tiompete,  Trommel,  Querpfeife,  Flute  und 
Fagott. 

1783.  Desgl.  urit  Trompeten,  Pauken,  1  Flote,  Oboen  und  Fagott, 

1786.  Solo  fur  die  Flote,  G-dur3/i 

Ausserdem  diirften  der  Hamburger  Periode  noch  an- 
gehorerij  ohne  dass  das  Jahr  ihrer  Entstehimg  bekamit  1st: 
6  Marsche  fiir  2  Homer,  2  Clarinetten,  2  Oboen  und  1  Basson. 
2  kleine  Stiicke  fiir  2  Homer,  2  Clarinetten  und  1  Basson. 
Em  Orehesterstiick  mit  Trompeten  und  Pauken. 

Die  Mehrzahl  dieser  Stiicke  1st  unbekaunt  gebliebeiu 
l^ur  die  Orchester-SInfonien  mit  12  obligaten  Stimmen 
(2  Hornern,  2  Floten,  2  Oboen ,  2  Violinen?  13ratsche7 
Violoncell,  Fagott;  Flugel  und  Violon)r  57Sr.  K.  Hoheit 
dem  Prinzen  von  Preussen  unterthanigst  gewidniet," 
sind  (Leipzig;  bei  Scliwickert)  veroffentlicht  worden.  Die 
Dedication  an  den  der  Musik  mit  besonderer  Voiiiebe  er- 
gebenen,  feingebildeten,  das  Cello  mit  Virtuositat  spielenden 
nachmaligen  Konig  Friedrich  Willie  1m  II.  zeigt?  da&s 
der  Kapellmeister  der  Prinzessin  Ainalia  von  Preussen 
seiner  langen  Entferntmg  von  Berlin  und  seines  so  g&nz- 
lich  veriinderten  Wirkungskreises  ungeachtet  mit  dem 
dortigen  musikalischen  Leben  und  mit  den  in  dasselbe 
verfloclitenen  Hofkreisen  nicht  ausserhalb  jeder  Benilirung 
geblieben  war?  wenngleich  der  mit  ihm  zum  Greise  ge- 
wordene  grosse  Konig  die  Kunst  nicht  mehr  zu  uben 
vermoekte.  Diese  Orcbertersinfonien  sind  ileisterstiicke 
ihrer  Art. 

Aus  der  alten  aber  vervollkommneten  Form  der  Or- 
chester-Suite  hervorgegangen  ?  durch  Verscharfung  dfer 
Gregensatze?  so  wie  durch  selbstiindigere  Behandlung  der 
Blase-Instrumente  gehoben?  waren  sie  im  Wesentlichen  auf 
die  von  Emartuel  Bach  so  vielfach  cultivirte  dreitheiiige 
Sonatenforni  gebaut  Den  von  Haydn  auf  die  jetzige  Am- 


-.    238    — 

dehnung  gebrachten  Sinfonien-Charakter  batten  sie  noch 
nicht  angenommen.  So  waren  sie  im  Grande  von  einfacher 
Natur,  ohne  den  Glanz  blendender  Instramentalwirkungen, 
lediglioh  auf  den  mehr  oder  minder  tiefen  Inhalt  ihrer 
Gedtnken  und  deren  geschickter  Verwendung  gebaut. 

Ihre  Form  ist  uberall  dieselbe.  Doch  sind  sie  in  sich 
von  wesentlicher  Versehiedenheit.  In  der  Sinfonie  Es-dur  % 
ist  der  erste  Satz?  AUegro  di  molto,  der  bedeutendste  des 
Tonstiicks,  von  feurigem  Glanze: 

__^_— --  i  ,.,i — !—!•.,  )•  |  rrrrrr= fl? :J 

-g- 


Die  Floten  und  Oboen  treten  in  anmuthigen  Solosatzen 
in  die  lebhaften  Gange  der  Streich-Instrumente  hinein. 
Ein  kurzes  Larghetto,  nach  F-moU  modulirend  und  von 
dort  in  die  Haupttonart  zuriicktretend  fBhrt  zu  dem  Alle- 
gretto, das  zuerst  leicnt  spielend,  in  schneller  Bewegung 
der  Violinen,  die  eine  Zeit  lang  in  Vsa  harpeggiren,  sich 
nach  und  nach  zu  glanzenden  Tonmassen  aufbaut. 

In  diesen  Umrissen  erkennt  man  hier7  wie  in  den  anderen 
Sinfonien  die  Formen  wieder,  die  der  Zeitgeschmack 
liebte?  den  Eingangssatz,  einen  Mittelsafcz  von  ahnlichem 
Charakter  iind  die  Wiederholung  des  ersten  Satzes,  mit 
gegen  den  Schluss  bin  veranderter  Modulation. 

Die  schwache  Seite  dieser  und  der  anderen  Sinfonien 
liegt  in  der  einformig  trocknen  Behandlung  der  Basse,  die 


—    239 


sich  nur  selten  zu  besonderer  Eigenthumliehkeit  erheben. 
Man  wird  dadurch  daran  erinnert,  dass  Bach?  der  ja  doch 
jeder  contrapunktischen  Aufgabe  wie  Wenige  vor  und  nach 
ihm  gewachsen  war?  in  Bezug  anf  die  individuelle  Be- 
nutzung  der  einzelnen  Instrumente  und  auf  die  Art?  diese 
zur  Wirkung  zu  bringen,  gegen  seines  Vaters  Arbeiten 
offenbar  im  Riickschritt  begriffen  gewesen  ist. 

Die  Sinfonie  in  F-dur  4/i  beginnt  mit  eineni  ernsten 
sehr  bewegten  Motive  ?  das  sich  in  alle  Htimmen  verthellt, 


.  di  motto. 


J3.MO.    ai    mUUO.  •^MMM^  f^f~~^  —MMMMM 

"  j-U-t-   «   '~-l    i    'I'1  •!—-}— f—^H~H — { — i — i m^- 1 1— < — i — i a ,-a 


aJ^?=p=g=p== 


'     '~  '•'"•    ~  •     ....      f  ' 


mit  grosser  Feinheit  und  Freiheit  dureligefiihrt  Ist?  von 
eineni  reizenden  Zwischensatz  der  Violinen  (spater  der 
Oboen  und  Flote) 


Viol.  1. 


^m—f—t^1—^1—^ — / — 


— y-t-m — , 
— *-t~l — ' 


J    Viol.  2. 


^ 


—    240    — 


imterbrochen,  am  Schluss  plotzlich  im  fortissimo  abbricnt 
und  dann  in  den  Solo -Instrument en  des  Streich-Quartetta 
xnit  dem  Fliigel  in  einer  eben  so  fein  gewahlten  als  eigen- 
thfimliclien  Harmonienfolge 


1.  tu  2.  Viol-  {£oto. 
Viola  Solo. 


I  feiH^EE^^fe^^P^ 

•  tr  Vt^  pp. 


Cello  tasto  solo. 


Cello  tasto  soio.  y>t>»     x^^x x- —      77^ « z_ ^ 


leise  verhallt. 

DerzweiteSatz,  Larghetto,  fangt  zweistimmig  im  Tutti 
der  Bratschen  und  CelU  (ohne  Fliigel)  mit  einem  8  Takte 
langen  graziosen  Thema  an;  das  yon  den  anderen  Instru- 
menten  und  dem  Fagott  aufgenommen  wird,  walirend  die 
Violinen  sich  dem  Gregenmotive  der  Basse  anschliessen,  und 
dann  sich  im  zweiten  Duo  mit  diesen  begegnen,  das  in 
gleicher  Weise  von  dem  Orchester  wiederholt  wird;  ein 
hocnst  eigentMmlicher  Satz  von  elegiseher  Farbe  und 
reizender  Tonwirkung.  Das  Presto  bildet  einen  tanzartig 
geformten  lebhaften  Gegensatz? 


—    241    — 


^3^r- -m— — -£-  * ^       —  o -I--  »- — -I-—- 'v~  •• — — *j 


der  kurz  und  knapp  in  fester  Gliederung  schliesst. 

Die  Binfonie  in  D-dur  baut  sicli  im  ersten  Satze 
aus  feurigen  und  zarten  Gegensatzen  zu  eineni  herrlichen 
polyphonen  Tongebilde  auf.  Die  Violinen  sind  concertirend 
behandelt?  die  Floten  und  Oboen  tragen  hie  und  da  sanfte 
Zwischennaotive  hinein.  Der  ganze  Satz,  breiter  angelegt 
und  durchgefiihrt  als  die  iibrigen  Eingange  der  Baeh'schen 
Sinfonien;  bricht,  wie  der  Eingangssatz  der  F-dur-Sinfonie 
plotzlich  ab?  uni  im  pianissimo  nach  Es-dur  modulirend  zu 
schliessen,  Ihm  folgt  ein  Largo  in  einer  reinen?  klar  aus- 
tonenden,  durchweg  von  den  Solo -instrument en  (ohne 
Oboen)  getragenen  Melodie: 


Bitter, 


a»4 


16 


_    242    — 

Von  der  Bratsche  und  dem  Cello,  durch  die  Floten  in  der 
Octave  verstarkt,  begonnen  und  voll  ungemein  siisser 
Empnndung,  steigert  sich  der  ruhige  Gang  des  Gesanges  in 
den  letzten  Takten  zu  schinerzlicher  Erregung,  urn  nach 
E-dnr  modulirend  in  ein  Presto  (%  D-dur)  iiberzugehen? 
das  in  spielender  Leichtigkeit  und  in  graziosen  Wendungen 
schnell  verlauft. 

Die  Sinfonie  in  Gr-dur  beginnt  -mit  einem  feurigen 
Satze,  dessen  lebhaft  bewegte  Violinen-Passagen  durch 
die  Solosatze  der  Floten  und  Oboen  in  anregender  Weise 
durchbrochen  werden.  Das  Andante  in  G-naoll;  wesentlich 
von  den  Streich-Instrumenten  vorgetragen  (oline  Oboen; 
Homer  xind  Fagott)  hat  einen  weichen  melodischen  Fluss? 
der  durcb.  ernste  Zwischensatze  belebtr  sich  zu  tragischer 
Empfindung  erhebt  und  in  den  letzten  Takten -von  dieser 
zariickweichend,  zu  dem  Presto  (G-dur  fi/8)  uberleitet,  mit 
dem  die  Sinfonie  in  heiter  spielender  Weise  schliesst. 

Diesen  4  Sinfonien  gegeniiber  ist  es  vor  Allem  zu 
bedauern,  dass  die  dem  Jahre  1773  angehorigen  6  Orchester- 
Sinfonien  nicht  bekannt  geworden  sind.  Bach  hatte  diese 
fur  den  oftgenannten  Baron  van  Swioten  componirt.  Bei 
der  Abfassung  derselben  sollte  er  sicli,  wie  Reichar  dt;  der 
damals  in  Hamburg  war,  erziihlt,  nach  des  Bestellers  Wunsch 
ganz  gehen  lasson,  ohne  auf  irgend  welche  Schwierigkeiten 
hinsichts  der  Ausftlhrung  Rlicksicht  zu  nehmen1).  Diese 
Siufooien  Avm-den?  ehe  Bach  sie  abschickte,  im  Hause  des 
Professor  Busch2)  probirl  Reichar dt  berichtet  dariiber, 
dass  man  mit  Entziicken  den  originellen  kiihnen  Gang  der 
Ideen  und  die  grosse  Mannigfaltigkeit  und  Neuheit  in  den 

1)  Allgem.  Leipz.  Mus   Zeitung.    1814.    Jahrg.  & 

2)  Busch  ^ar  ein  grosser  Mathematiker  tind  Director  der  Hand- 
lungs  -Akadernie,  ein  Freund  K  lop  stack's.    Er  geh&rte  zu  den  an- 
gesehensten  Mannern  Hainburgs  (t  1800),   denen  die  damalige  Gene- 
ration zu  hochstem  Danke  verpflichtet  war.     Sein  Bildniss  befindet 
sieh  in  dem  Werke:  Hainburgs  denkwiirdige  Manner,   ia  dem 
sich  auch  die  Bilder  von  Cl  Pit.  EL  Bach  und  von  Ebeling,  nicht 
aber  das  von  Telemann  befinden, 


—    243    — 

Fcrrnen  und  Ausweichungen  gehort  habe.  ,,Schwerlich  ist 
je  elne  musikalische  Composition  YOU  hoherem,  beckerem, 
luimoriatiseherem  Oharakter  einer  geuialeren  Seele  ent- 
stromt."  Die  Partitur  derselben  wird  in  dem  v.  fchvieten'- 
bdien  Nachlass  befindlich  gewesen  sein.  Wohin  mag  sie 
alsdaun  gekommen  soin? 

Bach's  Amt  in  Hamburg  war  em  we,<entlich  kireh- 
liches.  Er  war  Musik-Director  an  den  fiinf  Hatipt-Kirehen 
der  Stadt  mid  hatte  in  dicsen  die  Sonntag^-  und  Fest- 
Musiken  zu  dirigiren.  Es  war  daher  Tiatiirlicli,  class  er 
bald  nach  seinem  Amtsautritt  daselbst  auf  das  von  ihm 
sehon  in  Berlin  be<chrittene  Feld  der 

C.   Kirchen-Musiken 

zurucktrat,  deiu  er  sieh  nun  mit  erbohter  Thatigkeit  zu- 
wendete. 

Weiiii  man  die  wahrlich  uieht  geringe  Zahl  seiner 
Kirchenstiicke  betraehtet;  dann  drangt  r^ich  unwillkiirlich 
die  Ueberzeugung  airf?  dass  man  ihm,  wie  Groses  und 
Schone,s  er  auch  auf  anderen  Grebieten  seiner  Kunst  ge- 
dehaffen  haben  inoge?  doch  hier  in  der  ihni  eigensten 
Sphare  seiner  Lebenstliatigkeit  begegnen  miisse.  Als  er 
in  Berlin  sein  Magnificat  schrieb;  war  er  35  Jahre  alt 
Erst  7  Jahre  spater  war,  wiederum  vereinzelt,  die  Oster- 
Musik  entstanden.  Dies  und  die  unbekannt  gebliebene 
Trainings  -  Cantate  war  Alles,  was  Bach  bL  zu  seinem 
53.  Lebensjahre  an  Kircheu-Musiken  geschaffen  hatte,  aller 
dings  in  ciner  Dienststellung,  welche  der  Arbeit  auf  diesem 
Felde  wenig  giinstig  war.  In  Hamburg  Snderte  sieli  dies 
IB  enigegengesetzter  Weise,  denn  die  Kirchenmu^ik  war  von 
mm  ab  in  den  Vordergrund  seiner  Lebens-Aufgaben  ge~ 
treten.  Fur  sie  zu  schaffen  und  zu  wirken  war  sein  Bernf 
gewordea,  tiad  er  hat  e^  an  Erasigkeit  und  Fleiss  darra 
nicht  fehldn  Ismen, 

16* 


„     944     — 

~  M  -i.  J- 

Voin  Jahre  1768  ab  sind  dort  nicht  weniger  als 
21  Passions  -Musiken, 

23  Prediger  - Einf iihrungs  -  Musiken  (Cantaten), 
6  Oster- Musiken  (1771,  1778,  1781,  1782,  1786  mid  1787), 
1  Pfingst-Musik  j     ohne  jalireszahJ, 

1  ordinaire  Kirchen- Musi  k  > 

6  Michaelis-Musiken  (1771,  1774,  1775,  1781,  1785), 

8  kleinere  Kirchen -Musiken,  auf  den  16.  Sonntag  nach  Tiin. 

1774,   10.  Sonntag  nach  Trin,  1775,  18.  Sonntag  nach  Trin. 

1779,   10.  Sonntag  nach  Trin.  1786,  12,  Sonntag  nach  Trin. 

1786,   Misericordias  Dom.  1780,    Maria  Heimsuchung  1786, 

Dankfesi  fur  den  Michaelisthurm  1786, 
4  Weihnachts- Musiken  (1775,  1782,  1784,  3786), 
12  Kirchen -Chore. 

Mein  Heiland,  meine  Zuversicht  1771, 

Wer  ist  so  wltrdig  wie  Du  1774, 

Zeige  Du  mir  Deine  Wege  1777, 

Heilig  1778, 

Gott,  deni  ich  lebe,  dess  ich  bin  1780, 

Amen,  Lob,  Preis  und  Starke  1783, 

Leite  mich  nach  Deinem  Willen  dgl., 

Meine  Lebenszeit  verstreicht  dgl., 

Meinen  Leib  wird  man  begraben  dgl., 

Worn  der  Erde  Grande  beben  ,     ohne  ZeitbestimmuBg) 

Erforsche  rnich,  erfahre,  ' 

Oft  klagt  mein  Herz,  wie  schwer  es  sei  1786, 

2  harinonisirte  Litaneien  fiir  2  Chore 
und  endlich  aus  deniselben  Jahre. 

Neue  Choral-Melodien  zum  Hanaburgischen  Gesangbuch, 
entstanden. 

Ausser  dieser  grossen  Zahl  von  Kirchenwerken  geben 
die  Katalog-e  aus  der  Zeit  nach  dem  Tode  Bach's  noch 
folgende  Arbeiten,  als  von  ihm  herriihrend  an: 

Ein  einchoriges  Heilig,  mit  Trompeten,  Pauken  und  Oboen, 
Sanctus,  mit  Trompeten,  Pauken  und  Oboen, 
Veni  sancte  spiritus,  mit  Trompeten,  Pauken  und  Hornern, 
Antiphonia  fiir  4  Singstimmen, 
Amen  file  4  Singstimmen, 
Motette:  Yeni, 

desgL     Gedanke  der  uns  Leben  giebt, 
desgl.     Oft  klagt  dein  Herz, 
desgl.     Gott  Deine  Giite  reicht  so  weit, 
desgl.     Dich  bet'  ich  an. 

desgl.     Wirf  dein  Anliegen  auf  den  Herru.  Umarbeitung 
der  Motette  eines  Fremden, 


—    245    — 

Cantate  am  30.  Sonntage  nach  Trinit:  Herr,  Deine  Augen 
sehen  nach  deni  Glauben,  zuin  Theil  von  Seb.  Baeh 
(unter  dessen  Tautaten  rait  aufgeflihrt*. 

Nach  dem  ab.soluten  wie  deni  relativen  Werthe  dieser 
nicbt  geringen  Zahl  von  Arbeiten  1st  di<;  kiinstlerische 
Stelhmg  z-u  bernesseri,  welelie  die  Nach  welt  Einanuel 
Bach  als  kirchlichem  Tonsetzer  zuerkenneii  darf.  Die 
Priifung  derselben  wird  inancherlei  bedenkliche  Seiteu  zur 
Erscheinung  bringen.  We  mi  e#  auch  scliwer  genug  ibt 
den  vSohn  YOU  den  Antecedentlen  de,i  Vaters  und  .seiner 
tibrigen  riiliinlioheu  Vorfahren  zu  trennen,  ^u  wird  roan 
doeh  auch  nicht  uiuhin  konnen,  des  Fortschritts  zu  ge- 
denken,  den  eine  namhafte  Entwicklungs  -  Period^  der 
kirchlichen  Muaik,  getragen  durch  Manner  wie  Sebastian 
Bach,,  Handel,  Teleniann,  Grauii,  fiir  die  Kunst  noth- 
wendiger  Weise  hatte  niit  «ich  fiihren  miissen.  Man  wird 
auch  nicht  ausser  Acht  lassen  durfen,  dass  die  Lsolirung, 
in  der  die  Musik  sich  zur  Bluthezeit  jener  Manner  inner- 
halb  der  deutschen  Lande  befmideu  hatte,  nicht  mehr  be- 
standj  da.«.s  Literatur  und  Poesie?  die  in  der  ersten  flalfte 
des  Jahrhunderts  nur  diirftig  zu  sprossen  begannen?  nun- 
inehr  nicht  bloss  kriiftige  Bliithen  trieben?  sondem  dass 
der  Meister  ani  Ende  seiner  Lebenszeit  schon  deren  reife 
Frucht  erblicken  durfte. 

Die  Periode  der  alten  Schule  der  deutschen  (Jontra- 
puuktisten  war  abgelaufen.  Jener  fromme  religiose  Sinn, 
der  uin  der  Lehre  Christ!  willen,  mit  deni  Geringsten 
zufrieden  das  das  aussere  Leben  darbot?  nur  thktig  war. 
nm  den  Grotte.sdien.st  in  wiirdigster  Weise  zu  schraiicken 
imd  zu  verschunen  7  hatte  an  seiner  urspriinglichen 
EeiBheii^  Naivitat  und  Glaubenastarke  erheblicbe  Einbu^e 
erlitten;  Haus  und  Heerd  waren  nicht  mehr  die  alleinigen 
Trager  der  btirgerlichen  Tugenden  geblieben.  Der  Fiiigel- 
.schlag  einer  neuen  Zeit  hatte  zu  rauschen  begonnen.  Wie 
sch5n  uiid  ehrsrardig  das  Alte  gewesen  w^r,  es  wich  vor 
ihm  zuriick  uiid  stfeste  alimalig  in  Trimmer 


, ,    246    

Emanuel  Bach,  der  aus  jener  alten  Schule,  der 
kiinstlerischen  wie  der  btirgerlichen  hervorgegangen  war, 
hatte  zu  lange  am  Hofe  Friedricli  des  Gross  en  gelebt, 
gerade  wahrend  der  Zeit,  als  dessert  Geist  die  leuchtendsten 
Ftinken  sprtihte,  als  Aufklarung  und  Gedankenfreiheit  sich 
in  ihru  zu  verkorpern  begonnen  batten ;  zur  Zeit  seines 
hoehsten  Eulimes,  als  dass  nicht  auch  in  ihin  neue  Ideen, 
neue  Ueberzeugungen  und  Hoffnungen  batten  Wurzel 
sehlagen  solleu.  In  seine  letzten  Lebensjahre  liinein  aber 
tonten  die  Donner  der  franzosiseken  Revolution,  die  den 
Uuasturz  der  alien  Verhaltnisse  vorzubereiten  begannen. 
Sein  Freund  Klopstock  hatte  (1787)  in  einer  Ode  der 
jenseit  des  Rheins  >sich  bildenden  neueii  Weltanschauung 
lobpreisende  Hyinnen  gesungen.  Konnte  unter  diesen  Ver- 
haltnissen  Emanuel  Bach  denken  und  schreiben  wie  seine 
VoVganger  gedacht  und  geschrieben  hat  ten?  Konnte  in 
ikna  jener  kirchlich  frorarne  Sinn  der  Vater  fortwirken, 
der  ihrer  Zeit  550  eigenthiinilich  edle  Werke  hatte  entstehen 
lassen?  Dnd  konnte  er  das  Herrliche  und  Schone,  das  sie 
geschaffen,  uubekiimraert  urn  die  neue  Zeit,  die  ihn  umgab 
und  auf  ihn  \virkte,  fortfiihren? 

Eine  weitere  Frage  ist  die,  ob  Bach  in  der  Kirchen- 
musik,  andertjn  Bahnen  folgend  als  die  Vorzeit,  diejenige 
Stellung  eingenoinmen  habe,  die  er  nach  seinen  eminenten 
Gabon  und  uac*h  seinein  gritndlichen  und  allseitigeii  Wissen 
hatte  einnehmen  miissen? 

Es  ist  bereits  erwahnt,  das«  seine  rnusikalische  Natur 
auf  einer  lyrischen  Grundstinirnung  beruhte.  Er  hatte 
darin  eine  iiicht  geringe  Aehnlichkeit  rnit  Klopstock, 
seinem  beriihrnten  Zeitgenossen  und  Freunde.  Der  Ver- 
fasser  der  Messiade  und  der  deutschen  Gelehrtenrepublik, 
der  Herrmannsdramen,  des  Salorno  und  der  Oden,  war 
nur  in  den  letzteren,  d.  h.  als  Lyriker,  zugleich  auch 
Dichter,  Dichter  in  wirklich  lioherem  Simie.  Vielleicht  hat 
dieser  typische  Grundzug  beider  Naturen  diese  ausgezeich- 
neten  Manner  einander  naher  gefuhrt  und  nahe  erhalten. 


—    247    — 

Aus  der  lyrischen  Natur  Baeh'»s  folgte,  das-?  er  das 
wesentlich  entscheidende  Moment  auch  fur  seine  Kirchen- 
inusik  in  der  Melodie,  d.  h.  im  Einzelngesange  stichte. 
So  gross  und  bedeutend  er  als  Hai*moniker  war,  so  tindet 
man  dock  in  seinen  Arbeiteu  fur  die  Kircbe  die  Harmonic 
fast  uur  als  Mittel  verwendet,  um  die  Melodie  zur  Geltuiig 
zu  bringen.  Nur  selten  ergriff  ihn  hier  die  Lust,  sich 
dariiber  hinaus  in  contrapunktiscbe  Aufgaben  zu  vertiefeu, 
bei  denen  sie  in  die  zweite  Linie  trat.  Seine  Melodie  war 
aber  nicht  jene  strange  crnste  Melodie  der  Viiter.  Es  war 
auch  nicht  die  weich  geforinte  und  doch  so  edle  innige 
Melodie,  welche  die  Kirchenwerke  Graun's  auszeiclmet. 
Nein,  es  war  die  Melodie  der  Oper  und  des  Liedes,  die 
er  in  die  Kirclie  eiiaziifiihren  bestrebt  war.  So  Herrliches 
iind  Grosses  er  in  der  figurirten  Musik7  in  dem  Btrengen 
Styl  der  alteu  Scliule  geschaffen  hat?  so  waren  es  doch 
gerade  seine  Kirehennrusiken ,  in  denen  er,  obschon  hier 
sein  Wissen  und  Konnen  so  sehr  hatte  zur  Geltung  kommen 
sollen,  sich  mehr  und  mehr  von  dern  strengen  Satze  ab- 
wendete?  der  bis  dahin  der  herrschende  gewesen  war.  Er 
verliess  den  polyphonen  Styl  und  schuf  die  Mehrzahl  seiner 
kirchliehen  Arbeiten  in  einer  melodisch  rhythmischen  Ho- 
mophonie,  die  ftir  diesen  Zweig  der  Kunst  ein  Neues  war. 

Diese  Modification  wiirde  an  sich  einen  Tadel  in  keiner 
Weise  begriinden  konnen.  Denn  der  poiyphone  Styl  be- 
stand  nicht  um  seiner  selbst  willen?  und  wurde  nicht  des- 
halb  geschatzt.  weil  es  der  poiyphone  Styl  war?  sondern 
weil  er  tiefe?  edle,  ernste  ^irkungen  erzeugt  hatte,  weil 
sein  Charakter  unmittelbar  in  dem  religiosen  Ideenkreise 
wurzelte,  dem  die  Musik  der  protestantischen  Kirche  ihre 
Erfolge  und  ihre  Verbreitung  verdankte.  Konnten  dies© 
Wirkungen  auf  anderem  Wege  erreicht,  der  Charakter  m 
eiBem  neiien  Ausdruck  gebracht  werden,  wer  ware  be- 
rechtigi  gwese%  dagegen  Einspruch  zu  erheben? 

Aber  maa   fe^^^et   hier   einer  Erscheinung, 
Herr  zu 


_    248    — 

Studium  und  nicbt  geringe  personliche  Ueberwindung  ge- 
kostet  hat. 

Wie  es  keineswegs  ^in  blosser  Zufall  war,  dass  die 
Musik  der  evangelischen  Kirche  in  Deutschland  sieh  so 
gestaltet  hatte,  wie  sie  ini  Laufe  des  vorigen  Jahrhunderts; 
gestaltet  war,  und  wie  es  auch  keineswegs  als  eine  bloss 
zufallige  Erscheinung  betrachtet  werden  darf,  dass  sie  bei 
dem  Eintritt  jener  grossen  Musikperiode,  die  das  Ende 
dieses  Jahrhunderts  heraufluhrte,  im  Wesentlichen  dieselbe 
blieb  und  auch  bis  jetzt  geblieben  ist:  so  war  es  auch 
kein  Zufall,  sender n  eine  innere  Nothwendigkeit,  daws 
Emanuel  Bach  andre  Wege  beschritt  als  seine  Vorganger. 
Fur  ihn  war  die  Kirchenmusik  eine  Pflichterfiillung,  der 
er  gewissenhaft  oblag,  indein  er  coniponirte,  einstudirte , 
dirigirte.  Er  hat  es  an  nichts  von  allem  dem  fehlen  lassen, 
was  die  in  der  Kirche  versammelte  Gemeinde  von  dem 
Ritus  des  tfottesdienstes  und  der  liergebrachten  Aus- 
schmiickung  desselben  durch  die  Musik  in  Anspruch  zu 
nehmen  hatte.  Aber  seine  ktinstlerische  Neigung  folgte 
anderen  Bahnen.  Fehlte  es  ihm  fur  das  Schaffen  wirk- 
licher  Kirchenmusiken  an  dem  Ernst,  den  die  Aufgabe  er- 
fordert  hatte?  Besass  er  die  Tiefe  und  Hingebung  nicht^ 
die  der  kirchliche  Dienst  verlangen  durfte?  Hielt  er  die 
kimstlerische  Durcharbeitung,  zu  der  er  sich  hatte  ver- 
pflichtet  erachten  miissen,  fiir  kein  Grebot  der  Jsfothwendig- 
keit?  Giaubte  er,  mit  einfacheren  geringeren  Mitteln 
dieselbe  Wirkung  erreichen  zu  konnen,  welche  die  ernste 
Arbeit  herbeigeliihrt  haben  wtirde?  Oder  war  es  ihm,  der 
in  alien  seinen  ktastlerischen  Bestrebungen  ein  so  grosses 
Gewicht  auf  die  Stimme  des  Publikums,  auf  den  besonderen 
Erfolg  des  Augenblicks  legte,  nur  daruni  zu  thun,  diesen 
zu  gewinnen? 

Seine  Kirchenstticke,  die  auf  alle  diese  Fragen  Antwort 
zu  geben  haben,  machen  in  der  gros-sen  Mehrzahl  den  Ein- 
druck,  fils  ob  sie  fiir  ein  nur  oberfiachlich  auiBfassendes 
Publikum  fllichtig  und  schnell  hingeworfen  seien.  Es  darf 


—    249    — 

in  dieser  Beziehung  wohl  auf  seine  21  Passions -Musiken 
verwiesen  werden.  Wenn  irgendwo,  so  waren  hier  Ernst 
und  Tiefe  in  Auffassung  und  Durchfuhrung  an  ihrer  Stelle 
gewesen.  Man  findet  dessen  aber  nur  wenig  darin.  Auch 
die  zahlreichen  Einfuhrungs-Musiken  fur  Prcdiger,  welche 
doch  als  nichts  anderes  denn  nls  eine  Art  ausgedehnter 
Kircheri-Cantaten  betrachtet  werden  konnen,  stehen  auf 
eiuem  ahnlicken  Standpurikt. 

So  viel  Schones  im  Uebrigen  in  seiner*  einzelnen 
Kirchen-Choren  lag,  em  Ganzes  tind  Beiriedigendes  hat  er 
nur  in  dem  iiberaiw  grosnartigen  ,?Heilig*;  gegeben.  Alleb 
Andere  war  Stuck werk,  Einzelheit,  bestiniint?  hie  uud  da 
einem  Conglomerat  ver,schiedener  Musikstiicke,  welche  zum 
Theil  von  verscliiedenen  Torisetzern  heiTiihrten,  fiir  irgend 
einen  kirchlichen  Zweek  einverleibt  55 u  werden. 

Wie  in  der  Behaudlung  des  ALIgemeinen  ?  ao  findet 
man  ancli  im  Einzelnen  den  gleichen  Mangel  an  trrnsrera 
Schaffen  wieder.  Xicht  alleiii  der  Styl  im  Grossen  und 
Ganzen  ist  e.s?  der  sich  von  dem  kirchlichen  Wrundtoii,  den 
er  erfordert  hatte,  eutfenit.  Auch  die  Einzelheiten  ?  auf 
denen  er  beniht?  bezeugen  eine  gewisse  Oberflachlichkeitj 
eine  Art  von  Schenaatismtte,  die  sich  mit  dem  Ernst  und 
der  Tiefe*  kirchlicher  Gedanken  und  Stimtnangen  nicht 
vertragt, 

Da«  Orchester  in  Bach's  Kirehensachen  ist  diirt'tig. 
Zu  eigentlichen  Orchester-Siufumen  oder  Ouverturen, 
wie  wir  sie  bei  Sebastian  Bach  und  Hand  el  so  uft  finden, 
und  wie  sie  auch  E'riedemann  Bach  melirfaeh  gesetzt 
hat?  versteigt  er  sich  nicht. 

An  gewissen  Aeusserlichkeitea  lEsst  er  es  nieht  fehlen. 
Die  Tronipeten  und  Paukeii  werden  nicht  geschont.  Ihre 
Verwendnng  Iiort  gewissermas^^ii  atif,  Jlittel  zu  sein?  und 
wird  Selbstzweck.  Die  Minik  mit  dem  Musseren  L&rm  und 
Glanz,  den  die^e  Instrumente  herbeifuhren?  wurde  freilieh 
von  der  Kircheu-Gemeinde  verlarigt  Selbst  bei  A^sr  Eiti- 
fuhrung  von  Leiefctan-GeHchwornen  durften  Trompelea 


—    250    — 

Pauken  niclit  feklen.  Man  liest  in  den  damaligen  Blattern 
beispielsweise  als  offentlicLe  Ankiindigungen1):  ,?Arabevor- 
stehenden  25.  iSonntage  nacli  Trinitatis  wird  zu  St.  Catha- 
linen  wegen  Eiafu'hruiig  eines  Leichnams-Geschwornen  die 
Musik?  «tatt  YorniittagBj,  des  Naehmittags  init  Pauken 
uud  Trompeten  und  voller  Besetzung  aller  Instrumente 
aufgefunrt  werden."  Und  fern  or:  „  Am  inorgenden  Neujahrs- 
tage  (1769)  wie  aucli  heut  in  der  Vesper  wird  von  dem 
Herrn  Kapellmeister  Bach  in  der  St  Catharmen-Kirche  eine 
vortreffliciie  Musik  unter  Pauken  und  Trompeten  aufge- 
fiiln't  werden.  Der  Text  dazu  etc."  Konnte  und  durfte 
aber  diese  kasserliclie  Richtung  dazu  fiiliren7  den  der  Kunst 
geweihten  Tlieil  de>  Gottesdienstes  nur  als  etwas  rein 
Aeu,s«erliches  zu  beiiandeln?  War  en  die  Kirchen-Gemeinden 
Hamburg^  deren  rnu«ikalisehe  Fiihriing  so  lange  in  Tele- 
manu\s  Handeii  gelegen  hatte,  so  entartet,  dass  sie  bei 
dem  Vorhandensein  zureiclieiider  ausserer  Mittel  iiicht 
der  Fortbildang?  der  Erliebung  zu  einem  hoheren  Grade 
von  Auffassung  fahig  gewesen  warenV  Wenn  man  sieht, 
dass  clieselben,  luxi  vor  und  nacli  der  Friih-Predigt  ein 
Passioiis-Oratorium  zu  iioren?  des  Morgens  schon  uin  7  TJbr 
zur  Kirche  wanderu,  «o  1st  die>s  billig  zu  bezweifeln2). 
Auch  weiss  man  ja,  dass  Telemann  dureh  seinen  ?Jhar- 
.moniscken  Gottesdienst^  (Hamburg,  1725)  in  ernsterer  Weise 


1)  HamlD.  Unpaith.  Correbpondent.    1768,  No.  183  u.  210. 

Audi  die  Gemeinniitzigen  Hamburger  Anzeigenvon  1777.  Stk.  13. 
enthalten  eine  aimliche  Nackricht  fiir  das  Pul)likum. 

vAm  1.  Februar  ist  zu  St.  Nicolai  Musikalische  Vesper,  und  den 
Tag  darauf  Yormittag  Musik  daselbst.  Naehmittags  aber  wird  zu 
St.  Catharinen  bei  voller  Musik  mit  Trompeten  und  Pauken  in  einem 
anderen  Stiicke  der  neu  envahlte  Herr  Leichen-Geschworne  einge- 
fnbrt" 

2)  Hamb.  Unpartb,  Correspondent,  1771.    No.  44    ,,Arn   nachst- 
konimenden  Freitag,  als  den  28.  Marz  wird  da.s  Passions  -  Oratorium : 
,,Seeliges  Erwagen"  betitelt,  in  der  heiL  Geist-Kirche,  in  voller  Musik, 
vor  und  nach  der  Predigt  aufgefiihrt  werden.     Der  Anfang  ist  des 
Morgens  7  Uhr.  -    , 


—    251    — 

zu  wirken  bemiiht  gewesen  war,  und  dass  er?  ein  Contra- 
punktist  ersten  Ranges  und  dazu  ein  wie  Wenige  frucht- 
barer  Tonsetzer,  eiue  grosse  Menge  vortrefflicher  Arbeiten 
ffir  die  dortigen  Kirchen  geschrieben  hat.  Diese  haben 
sich  noch  wahrend  der  Zeit  Bach's  dort  erhalten  und  siiid 
inehrfach  YOU  diesera  aufgefuhrt  worden1).  Sie  waren  in 
der  Weise  der  Kirchenmusiken  der  alten  Schule  gesetzt 
und  Yerlatigneten  den  polyphonen  Styl  nicht.  Ihre?  so  wie 
die  wiederholte  Auffiihrung  von  Cantaten  Wilhelm  Frie- 
demann's  und  des  alten  G-rossohenn.s  Johann  Christoph 
Bach;  des  gros,sen  Contrapunktisten  aus  Eisenach,  in  den 
Kirehen  Hamburg^  zeigt?  da.ss  dort  aueh  die  ernste  Ricli- 
tung  in  der  Kunst  nicht  ohne  Anklang  geblieben  war,  und 
dass  Bach  dies  wohl  zn  echatzen  wusste. 


*)  Dip  in  der  K.  BibJiothek  zu  Berlin  befindlichen  Originalien 
einer  grossen  Zalil  von  Kirchen-Cantaten  aus  der  Feder  Telemann's 
sind  vielfach  mit  eigenhandigen  Bemerkungen  und  Aufschriften  YOU 
G.  Ph.  E.  Bach  Yersehfii.  imd  zw<u-  in  Stimmen  und  Partitur.  Daraus 
ergiebt  sich,  das^  sie  YOU  ihm  aufgefiihrt  wordon  sind.  Unter  ihiien 
befindet  sich,  was  dev  Merkwiirdigkeit  wegen  hier  mitgetheilt  werden 
raagT  eine  Captate  .,Aufs  Bankfest  wegen  des  Sieges  bei 
Lowositz,  den  1.  Febr.  1756.'*  ,,Auch  wegen  des  Sieges  bei 
Freiberg,  p.  Tr.  Dom.  XXII.  1762'*  woruns  mch  ergiebt,  in  wie 
hoheni  Grade  das  Hamburg  des  Yorigen  Jahrlnioderts  den  grossen 
Konig  YOU  Preussen  und  seine  Siege  feierte  und  Yerehrte.  Diese 
Cantate  enthiilt  einen  im  polyphonen  Btyl  geuetzten  Chor  mit  Fuge: 
Hallelujali,  Arnen,  in  welchen  niit  dem  Geschnietter  der  Trompeten 
imd  Pauken  der  Satz:  Alles  was  Odera  hat,  lobe  den  Herrn! 
eingeflochten  ist,  ferner  drei  Chorale,  ein  Duett  imd  zwei  Arien.  Sie 
ist,  abgesehen  Yon  ihrer  musikalischen  Bedeutung  ein  werthYoller 
faistorischer  Beitrag  zur  Bemiheilung  der  Geschiebte  Friedrieh's 
dts  Grossen. 

Telemann'js  Kirchen-Cantaten  enthielten  nieist  einen  im  polj- 
phonen  Styl  gesetzten  Chor,  eine  oder  zwei  Arien  roit  dazu  gehorigen 
Recitativen  und  einen  im  einfncb  4-stimmigen  Satze  geschriebenen 
Choral 

Bein  ,,hanflonis ch e r  Gottosdienst**  (Hani burg,  1725)  dagegra 
enthalt  nur  Cufltatan  ohne  Choral  und  Chor,  aas  Eecitativ@n  und 
Arien  bestehead,  die  Sbar  be^ifferten  Bass  »^d  mit  BegleitiEHg  YOU 
einem  oder  zwei  In^mmeaten  geaefet 


—    252    ~~ 

Man  findet  auf  der  auderen  Seite,  dass  fur  die  Kirchen- 
inusikeii  liberLaupt  ein  lebhaftes  Interesse  vorwaltete.  Nicht 
bloss  die  Iminerhin  ziemlich  bedeutenden  Mittel,  welche 
die  Stadt  hierauf  verwendete  and  welche  ersl  nach  Bach's 
Tode  ciner  Einschrankung  untcrworfen  warden,  deuten 
darauf  Lin.  E*  ergiebt  sich  dies  auch  aus  der  Aufmerk- 
samkeit?  init  der  man  von  vornherein  Bach's  Musikauf- 
fuhruugen  gefolgt  ist1).  ??Da  Herr  Kapellmeister  Bach  sdu 
Hamburgische*  Musik-Directorat  auf  Ostern  des  verwichenen 
1768.  Jahre^  angctreten  hat?  so  dient  den  llusikliebhabern 
Mem  it  ziir  Nacliriclit,  das&  nunniehro  von  da  bis  hieher 
ein  complettsr  Jalirgang  der  Texte  zur  Musik,  welche  in 
dieser  Zeit  von  gedaehteiti  Iltrrn  Kapellmeister  in  hiesigen 
flauptkirchen  aufgefuLret  worden.  bei  Herrn  Gruud  ani 
Fisclimarkt  fur  1  Mark  8  Schilling  mi  haben  sind."  Konnte 
eine  >solcli«  Sainmlung  von  blo.^en  Toxten  far  erforderlieh 
erachtet  worden  seiu;  wenn  nicht  das  Interest  an  der  Musik 


ein  verhidtnirfaina&sig  lebhaftes  gewe^en  ware? 

Nun  siiid  zwar  Aeujsserungen  von  Bach  wie  von  Bxirney 
bekannt,  welche  darauf  sehliessen  lassen?  dass  das  Hamburger 
Publikum  keinc  .sondorliche  Neigung  fiir  tiefe  und  ernste 
Musik  gehabt  habe,  und  dass  sich  Bach  seibst  scharnte. 
einem  Fremden  wie  Burney  so  wenig  Vorziigliehe*  bieten 
zu  konnen,  Auch  sagt  Reichardt-)  liber  die  zur  Aus- 
fithrung  von  Musikeu  vorhandenen  Mittel:  7?Die  Ripienisten 
sind  hier  grosstentheils  schlecht  und  die  Sanger  elendj" 
eine  Bebbachtung  }  die  Buruey  bestatigt,  indem  er  be- 
merkt3]:  ,.Nach  diesem  Besuche  brachte  rnich  zwar  Bach 
uach  der  Catharinen-Kirche,  woselbst  ich  eine  schdne  Musik 
von  seiner  Composition  horte,  die  aber  fiir  die  grosse  Kirche 
zu  schwach  besetzt  war  und  die  auch  von  der  Versarnrnlung 
zu  unaufinerknam  augehort  wurde."  Aber  konnte  dies  nicht 


Harnb.  Unparth.  Correspondent.    1769.    48. 
Briefe  eines  aufmerks,  Reiseadeu.    Th.  II.    S  40. 
Reise.    Th.  JJL  S.  191. 


—    253    — 

grade  ein  Zeichen  sein,  dass  die  Mnsik  selbst  nicht  anregeud 
genug  fiir  die  Versaniinluug  gewesen  ware?  Jedenfalta 
konnte  in  der  Schwaehe  der  Ripiemsteu  ,  in  dor  elendeu 
Beschaffenheit  der  Hanger  und  in  der  nicht  geiuigendeii 
Besetzung  des  (Jhors  kem  Grand  Iiegen3  grade  somsehreiben, 
wie  Bach  seine  Kircheninusiken  geschrieben  hat.  Das 
Publikurn  wird  in  der  gro&sen  Mehrzahl  steis  geneigt  .soiu, 
die  sinnliche  Riehtung  der  Kimst  dem  Emste  und  der  Tiefe 
derselben  vurzuziehen.  Die  Aufgabe  de^  schafFenden  wie 
des  darstellenden  Klliistlei's  i-st  e«,  deni  Horerkreise  nicht  in 
jener  falsehen  Richtung  zu  folgen;  sondern  ihn  zu  den 
edleren  Aufgaben?  \relche  die  Kxin^t  KM  losen  hat?  her- 
iiberzuziehen. 

Wenn  man  von  dieser  allgemeinen  Betraehtung  au» 
auf  die  Instrumental-  Verwendung  znriickkommt  ?  wie  man 
sie  bei  Emanuel  Bach  findet?  so  clarfman  den  Fortsehritt 
nicht  imbeachtet  lassen,  der  grade  nach  dieser  Seite  der 
Kirchenmusik  bin  dureh  Sebastian  Bach  bewirkt  wordeit 
war,  Dieser  grusse  Tonsetzer  liatte,  im  Gegensatz  zu  der 
bis  dahin  gebrauchlicheu  8chi%eibart?  dem  Orchestor  eirie 
selbstlindigere  Haltnng  gegeberi?  in  ihni  die  einzehien  In- 
strumente  gleichsam  njitsprcchcn  lassen.  Er  hatte  dadureh 
seinen  Tonsiitzen  ehien  besonderen  Relz  und  eine  Tiefe 
aufzupriigen  ^ewu^t,  die  man  bis  dahin  nicht  zn  ahnen 


ini  Stande  gewosen  war,  Aber  nicht  alluin  in  dieter 
sondern  auch  in  der  ^inureiohen  Verwendung  der  einzehien 
Instrunicate  ,  ihrer  concertirenden  Behaiidluug  und  der 
eharakteristischen  Wirkung,  die  er  durch  ihre  Verbiadung 
init  der  Gresaiig<stimme  herbeizufuhren  suchte,  dutch  das 
eigenthiimliche  Colorit,  welches  er  dadureh  dein  Muaikstiick 
aufprligte?  hatte  er  sich  auf  deu  Standpunkt  eines  Regene- 
rators der  instmuieutalen  Kuust  ge^tellt.  HitndeL  wie- 
-  wohl  weniger  erKchopi*end?  arbeitete  doch  sein  Orchester 
in  dem  Binne  volktandiger  Selbstandigkeit.  In  aeinen  Ge- 
sangswerken?  so  wohl  for  den  Solo-Gesang  als  fur  den  Gh0r? 
war  die  GesammtwirkuBg?  die  imponirende  Grfese  des  dm 


einzelnen  Satze  beherrschenden  Gedankens  das  Wesentliche, 
Im  Festhalten  dieser  Forderung,  in  volliger  Einheit  mit 
dem  Inhalt  des  Stiicks  war  sein  Orchester  behandelt.  Kraft 
und  Kuihnheit  des  Ausdrucks  standen  ihm  wie  Sebastian 
Bach  fiber  der  Siisse  der  Empfindung  and  uber  dem  sinn- 
lichen  Behagen  an  der  Schonheit  des  Wohlklangs.  Bei 
beiden  wurde  es  schwer  geworden"  sein ,  den  Gesang  von 
der  Begleitung  unabhangig  zu  denken,  oder  umgekehrt. 

Nach  dieser  Seite  hin  hatte  Emanu el  Bach's  Aufent- 
halt  in  Berlin  eine  Wandlung  herbcigefuhrt.  Der  erste 
Cembalist  seiner  Zeit  hatte  zu  lange  der  Uebimg  der  general- 
bassmassigen  Flotenbegleitung  Friedrich's  des  Grossen 
obliegen  miissen,  um  nicht  den  Gang  der  Melodie  und  der 
concertirenden  Hauptstiininc,  mochtc  dies  nun  die  Flote 
oder  der  Gesang  sein,  als  das  Wesentliche  des  musikalischen 
Ausdrucks  betrachten  gelernt  zu  haben.  Aus  dem  Concert- 
Salon  und  von  der  Opernbuhne  her  drangte  sich  ihm  dieselbe 
Erscheinung  entgegen.  Er  hatte  sich  daran  gewohnt,  in 
der  Begleitung  der  leitenden  Cantilene  nicht  etwa  ein  gleich- 
massig  wirkendes,  sondern  ein  mehr  oder  weniger  dienendes 
Element  zu  erkennen.  Und  so  kam  es  auch,  dass  er,  ohne 
den  Fortschritt  seiner  grossen  Vorganger  zu  beachten?  das 
Orchester  in  der  friiher  hergebrachten  und  in  der  Oper 
eingebtirgerten  Weise  lediglich  als  Begleitungsform  ver- 
wendet  hat.  Wohl  fuhrte  ihn  sein  reicher,  dem  Fortschritt 
zustrebender  Geist  hie  und  da  fiber  die  engen  Grenzen 
dieser  Behandlungsweise  hinweg.  Auch  in  der  gewohnlichen 
Anwendung  der  Instrumente  sind  nicht  selten  ein  gewisser 
Glanz,  Weichheit  und  Fulle  des  harmonischen  Eindrucks, 
Zuge  der  feinsten  orchestralen  Combination  bemerkbar.  Im 
Grossen  und  Ganzen  aber  ist  nicht  zu  verkennen,  dass 
Emanuel  Bach,  der  mit  seinexi  bedeutenden  Gaben  und 
nach  der  ausserordentlichen  Schule,  die  ihm  zu  Theil  ge- 
worden war,  so  wie  nach  der  besonderen  Richtung  seines 
Geistes,  wie  Wenige  berufen  gewesen  ware,  auch  fur  die 
Orchester-Musik  das  so  nothwendige  Zwischenglied  zwisehen 


—    255    — 

der  alten  und  der  neueren  Kunstschule,  die  sicii  vomibe- 
reiten  begann,  zu  bllden?  diese  Aufgabe  nicht  erfiillt  haf 
So  bedeutend  er  nach  vielen  Eichtungen  bin  dasteht,  so 
hat  er  grade  in  dem  wichtigsten  Punkte  der  modernen 
Kunstentwiekelung,  in  der  Orcliesterbehandlung,  insbe- 
sondere  in  der  Verwendung  der  Instruniente  zu  dem  Oresange, 
so  wenig  geleistet?  dass  man  den  von  ihm  bowirkten  Fort- 
schritt  nur  fur  unerheblieh  erachten  kana. 

Aehnliches  ist  von  ihm  in  Bezug  auf  die  Behaudluiig 
der  Arie  zu  sagen.  Sebastian  Bach  und  Handel  hatten 
ihrerseits  wohl  an  der  alten?  von  Scarlatti  hemihrenden 
dreitheiligen  Form  festgehalten,  Aber  ihre  Arien?  so  sehr 
sie  hie  und  da  veraltet  erscheinen  mogen?  waren  doch  nicht 
bloss  formell  gegliederte  Gesang^tiicke,  sondern  ihrem 
geistigen  Inhalt  nach  mit  den  Werken;  deneu  sie  ange- 
horten,  eng  verwachsen.  Bach,  derVater,  hat  auch  keinen 
Augenblick  geschwankt7  iiberall,  wo  er  df»m  Zuhorer  mit 
noch  grosserer  Unmittelbarkcit  naher  zu  treten  gewillt  war, 
sich  seine  eigne  Form  zu  schaffen,  wie  er  sie  dem  beab- 
sichtigten  Ausdrucke  am  angemessensten  fand. 

Auch  Handel  ging  yon  der  alien  Form  mit  kuhnetu 
Geiste  oft  genug  ab?  oder  legte  doch  in  besonders  hervor- 
tretenden  Fallen  in  den  G-esang  so  ww  In  die  iiberall  bei 
ihm  hochst  charakteristische  Regleitung  eine  Kraft  und 
Fiille  des  Ausdrucks?  welche  die  schablonenmas^ige  Forni? 
wo  diese  beibehalten  war,  loiclit  \  ergessen  liess. 

Bei  Grraun  finden  wir  dies  nicht.  Aber  seine  Arien 
siad  Meistei'stiicke,  theils  von  fliesstrnd  sangharer  Meloclie, 
theils  von  schwungvoller  Pracht. 

Emanu el  Bach's  Arien  dagegen  sind  die  Stief kinder 
seiner  Muse.  So  vielen  Rauiu  or  ihnen  widmet,  so  zart 
und  gesangvoll  mitunter  die  Melodie?  so  gliickllch  die  Mo- 
dulatioB?  hie  und  da  selbst  die  orchestralen  Effecte  sind?  so 
erkennt  man  doch  in  ihrer  sich  fast  immer  wiederholenden 
gleichmamgen  Darstellungsweise,  in  der  vorherrschenden 
Interesselosigkeifc  d^r  Gtedjoiken  and  in  dem 


—    256    — 

stereotypen  Charakter  ihrer  Begleitung?  dass  er  vor  Allein 
nur  darauf  bedacht  gewesen  ist;  dem  versammelten  Kirchen- 
oder  Concertpublikuni  durch  Vorfiihrung  eines  gesang- 
inassigen  Musikstucks  Geniige  zu  leisten.  Der  Chor?  auf 
deni  bis  dahin  die  wesentliche  Wirkung  der  Cantaten- 
Musik  beruht  hatte,  war  damals  kaurn  in  die  Oper  einge- 
fuhrt,  zwei-  und  dreistiminige  Satze  wnrden  in  ihr  ausserst 
selten  angewandt,  das  Ensemble  von  Solostimrnen  aber 
sollte  erst  erfunden  werden1).  Nun  inusste  Einanuel 
Bach  von  Leipzig  her  wohl  die  grosse  Wirkung  kennen, 
die  in  dem  Kirehenc-hore  lag,  zurnal  in  dessen  kunst- 
massiger  Verbindung  mit  dem  Choral  Aber  es  seheint, 
dass  die  Gewohnheit  und  die  Hinneigung  zu  dein  lyrischen 
Theile  der  Musik  bei  ihni  starker  gewcsen  seien?  als  die 
kiinstlerische  Ueberzengung  von  deni,  was  dauerud  und 
nachhaltig  wirken  miisse.  So  snchte  er  den  Schwerpunkt 
seiner  Kirchenniusiken  eben  da;  wo  er  den  Schwerpunkt 
der  Oper  gefunden  hatte?  namlich  in  der  Arie?  und  zwar 
in  der  Arie  in  ihrer  uberkommenen  Form,  in  dem  Solo- 
Gesange,  der  um  seiner  selbst  willen  geschrieben  wurde. 

An  diesem  Fehler  kranken  alle  seine  geistlichen  Mu- 
siken,  Ihm  vorzugsweise  ist  es  zuzuschreiben,  dass  die- 
selben  bald  vergessen  worden  sind.  Er  konnte  oder  wollte 
sich  nicht  dazu  erheben,  das  Ptiblikum?  fiir  welches  er 
schriebj  zu  sich  emporzuziehen.  Er  bequemte  sich  seiner 
ephemeren  Geschmacksrichtung  und  stieg  zu  ihni  herab. 
Bach  sagt  von  sich  selbst-):  7?Weil  ich  meine  meistenAr- 
beiten  fur  gewi&se  Personen  und  fiir's  Publikum  habe  machen 
musseu,  so  bin  ich  dadurch  Allezeit  mehr  gebunden  gewesen? 


1)  Welch1  grosser  Werth  zu  jener  Zeit  auf  die  Arie  gelegt  wurde, 
ergiebt  sich  beispielsweise  daraus,  dass  Friedrich  II.  mit  eigBer 
Hand  zu  einei  Aiie  aus  der  Oper  Cleofide  von  Has se  fiir  den  Sanger 
Porporino  Veranderungen  (und  zwar  von  unglaublicher  Schwierig- 
keit)  gesetzt  hatte,  deren  Original  -  Handschrift  (aus  dera  Nachlasse 
Carl  Philip p  Emanuel  Bach7s   herriihrend  und    von  ihm  be- 
scheinigt)  sich  in  der  K.  Bibliothek  zu  Berlin  befindet. 

2)  Burney,   Musik.  Reisen.    Ill,    S,  20S. 


—    257    — 

als  bei  den  wenigen  Stucken,  die  ich  bloss  fiir  mich  ver- 
fertigt  habe.  Ich  habe  sogar  bisweilen  lacherlichen  Vor- 
schriften  folgen  ntiissen;  indessen  fcann  es  sein,  dass  der- 
gleichen  nicht  eben  angenehme  Uuwtande  mein  Genie  zu 
gewissen  Erfindungen  aufgeforrlert  haben,  worauf  icli  viel- 
leielit  ausserdem  nicht  wiirde  gefallen  sein." 

Dies  sieh  abhangigmachen  von  deru  schlechten  Ge- 
schmack  des  Publikums  und  den  lacherliehen  Vorschriften 
Einzelner  entschuldigt  aber  nichts.  Es  wird  wohl  wenige 
Kiinstler  geben,  die  nicht  inehr  oder  minder  von  ausseren 
Verhliltnissen  abhangig  waren.  Was  wiirde  aus  der  Kunst 
werden,  wenn  alle  nach  den  Grundsatzen  liandeln  wollten, 
denen  Einanuel  Bach  folgen  zu  iniissen  erklart  hat? 
Gliicklieher  Weise  ist  aueh  er  ihnen  nur  in  einem  Theile 
seiner  Arbeiten  gefolgt1). 

Tielleicht  batten  die  Erfahrungen?  an  denen  sein  Vater 
und  Lehrer  von  Arnstadt  aus  gekrankt  hatte,  die  bis  in  seine 
letzte  Zeit  hin  seine  Begleiter  geblieben  waren,  und  ihn  in 
so  naanehen  Conflict  mit  den  iiusseren,  sein  Leben  beherr- 


!)  Auch  die  Zeit  Bach's  hatte,  so  uberaus  hoch  er  von  ihrverehrt 
wurde,  ein  Gefiihl  davon,  dass  seine  ConniveBz  gegen  das  Publiknm  ihn 
Bicht  liberal!  den  rechten  Weg  gefiibrt  habe.  Es  wird  nnter  Anderem, 
gelegentlieh  der  Beiirtheilimg  eines  Hefts  seiner  Sonateu  fiir  Kenner  und 
Liebhaber  (hier  jedenfalls  an  falseher  Stelle)  gesagt:  ,,Daas  doch  ein 
solcher  Mann  aueh  glaubt,  sieh  nach  der  Mode,  d.  h.  nach  dem  ver- 
dorbenen  Geschmack  der  Liebhaber  ricbten  zu  ntiissen  —  ein  Mann, 
dea  keine  besondere  Lage  dazu  zwingt  —  dem  es  viehnehr  das 
SeMieksal  jso  gut  hat  warden  lassen,  dass  er  ohne  alle  Hinderang, 
0hme  alien  Hachtheil  fiir  iseine  Ziirtlichkeit,  rahig  seine  einmal  er- 
wifelte  Strasse  dnrch's  Leben  wandern  konnta,u  Allg.  Hnsik.  Alma- 
uacli  v,  1783  (Schwickert).  S.  141. 

Bersell>e  Vorwurf  hat  aueh  Graun  fSr  seine  Operamusik  getroSen. 
Bieaer  hatte  sicb  einma]  gegen  die  Einmisehang  seines  Konigliehen 
Gebieters  aufgelehnl  In  den  meisten  Fallen  hat  er  dies  meat  ge- 
than.  Hier  lag  di©  Saehe  freilieh  ganz  anders,  denn  die  K.  Oper 
zu  Berlin  wardie<Oper  Friedrieh's  des  Grossen,  und  dieser  hatte 
ein  gewisses  Bedit,  dabei  mitzasprechen,  Und  doeh  an  dem,  was 
Graun  aussera^b  ^ferOper  geieistet,  erkesat  maa,  was  die  Oper  da- 
darch  verloren  tat,  dase  ser  EicM  ia  vote  FrdWt 

Bitter,  Emajmel  and  FTiedeamtaia  Baelu 


&chenden  Verhaltnissen  gesetzt  batten,  einigen  Einfluss  auf 
die  Anschaunngen  des  Bolmes  gelibt,  diesein  eine  grossere 
Geschineidigkeit  nach  aussen  bin  niilzlieh  erscheiuen  3  ass  on. 
Vielleicht  trat  auch  ab  und  zu  das  Sehicksal  seines  Bruders 
Friedeinann  vor  seine  Seele,  der,  vielfach  den  Conces- 
sionen  an  den  Gesehmaek  des  Publikuins  widerstrebend, 
Veranderungen  an  den  uberkonirnenen  Traditionen,  zumal 
in  der  Kirchenmusik  abwei&end,  an  seiner  musikalisehen 
Starrheit  nicht  weniger  wle  an  seiner  inneren  Zerfalirenheit 
zu  Grunde  gegangen  war.  So  gerieth  er  in  seinen  Kirehen- 
musiken  auf  einen  Weg,  der  nicht  uberall  als  der  rechte 
anerkannt  werden  kann.  Seine  Kirchemnusiken  sind  ein 
Gemisch  von  Talent  und  Grosse  und  von  Oberflachlichkeit; 
Breite  und  Intere«selosigkeit?  wie  es  dessen  wenige  giebt. 
In  ihnen  findet  man  nicht  jene  organischen  Gestaltungen? 
mit  den  en  die  alte  Sclmle  die  Kirche  versorgt  hatte.  Pur 
Muster  neuerer  Arbeit  aber  fehlte  ihnen  deijenige  Grad 
mnerer  Vollendung  und  Tiefe;  der  allein  geeignet  gewesen 
wire7  ihnen  eine  bleibende  Stelle  in  dem  Kreise  grosser 
Kunstwerke  zu  schaflfen.  Wohl  inochte  ihre  weiche,  durch- 
sichtige  Form,  der  melodische  Reiz.  der  ihnen  keineswegs 
fehlte,  das  concertmassig  Unterhaltende,  namentlich  in  den 
vielen  Arien,  deni  Publikum,  wie  es  sich  in  den  Kirchen 
Hamburg's  zusammenfandj  zusagen.  Einern  ernsten  Sinn 
aber  konnten  diese  Musiken  auch  zu  ihrer  Zeit  nicht  ge- 


Darum  miiss  man  ihren  absoluten  Werth  fur  sehr  be- 
dingt  erachten.  llatten  sie  einen  relatiy  hoheren  Werth  ? 
insofern  sie  dazu  beitrugen>  aus  der  alten  strengen  in  die 
aeuere  Schule  iiberzuleiten?  Oeffneten  sie  der  folgenden 
Generation  von  Kiinstlern  neue  Bahnen  ?  Ebneten  sie  ihnen 
die  P£ade  fur  iiir  Wirken  und  Schaffen?  Auch  diese 
Fragen  missen  uiit  Nein  beantwortet  werden.  Emanuel 
Bach  hat  in  dem  Neuen?  was  seine  Kirehenmusiken  dar- 
boten?  kerne  Org&uismen  enteugt,  die  fortbildungsfahig 
gewesen  waren,  Sie  waren  aicht  aus  seiner  innersten  Seele 


—    259    — 

hervorgegangen  und  es  lag  in  ihnen  daher  nichts,  das  hatte 
Frueht  tragen  konnen.  Er  hat  daher  zwar  Zeitgenossen 
gefunden,  die  wie  er  arbeiten,  z.  B.  seinen  Freund  Benda? 
dessen  Kircheninusiken  den  seinen  selir  ahnlieh?  von  ihm 
abgeschrieben  und  vielfach  aufgefuhrt  warden;  aber  er  hat 
kerne  Nachfolger  gehabt.  Seine  Werke  aus  diesem  be- 
deutenden  Thelle  seiner  Kiinstlerlaufbahn  sind  vergessen, 
mit  Reeht  rergessen.  Er  hiitte  Grosseres,  Dauernderes 
schaffen  konnen,  Ihm  fehlte  die  Anniuth  und  der  melo- 
dische  Reiz  nicht,  der  Haydn  gross  gemaeht  hat.  Sein 
Genius  war  in  vielen  Richtungen  dem  Mozart's  nahe  ver- 
wandfc.  Er  hat  es  vorgezogen,  einein  beschriinkten  Kreise 
seiner  Zeit  Geniige  zu  leisten,  und  stieg  deshalb  YOH  der 
Hohe  herab?  zu  der  ihni  die  Bahn  offen  lag. 

Die  Betrachtung  des  Einzelnen  fuhrt  zunachst  zu  seinen 

a)    Prediger-Einfiihrungs-IVfusiken, 

einer  ziemlich  bestimmt  nusgepriigten  Gattung  von  Earchen- 
Cantaten. 

Die  Einfiihrung  der  Geiatliehen  in  ihr  Arnt  war  nach 
der  zu  Hamburg  herrschenden  kirchliehen  Sitte  von  jeher 
als  ein  grosses  Fest  betraehtet  worden?  das  init  einem 
gewissen  Ponape  gefeiert  wurde.  Grosse  Mahlzeiten  hatten 
hier  so  wenig  wie  ehedem  in  Leipzig  gefehlt,  waren  aber 
seit  1757  abgeschafft  und  wiu^den  mit  den  dazu  gehorigen 
Emolumenten  (Moblirangs-?  sowie  Reise-  und  Transport- 
Kosten)  in  Geld  (mit  800  Thlr.)  abgefunden ').  So  war 
Bur  der  kirchliehe  Ritus  iibrig  geblieben?  und  an  diesem 
Melt  man  fest.  Bei  der  Einfiihrungs-Ceremonie  solIteB  dem 
alien  Herkommen  gemiiss  alle  anderen  Pastoren,  die  Kirch- 
spiel-Herren  und  die  Geschwornen  zugegen  sein.  Zur  Zeit 
Bach's  geschah  die  Einfiihrung  in  Gegenwort  aller  Derer; 


i)  Moakeuberg,  die  St  NIcolai - Kirehe  IB  Hamborg.  SI  99. 
Ueber  die  Predlg^r-EiafiiteiBg'eii  in  Leipzig,  sle&e  J.  S^  Sadi. 
TL  I,  S.  162. 

JT* 


—    260    — 

die  sum  Ministerio  gehorten,  der  Kirchspielsherren,  der 
Diaconen  und  Subdiaconen  der  Kirche.  Die  Feierlichkeit 
fand  nicht  an  Sonn-  iind  Festtagen,  sondern  nacli  der 
Wochenpredigt  des  Pastors  statt.  Bei  solchen  Gelegenheiten 
wurde  dem  Guttesdienste  erne  iliwik  hinzugefugt,  deren 
erster  Theil  vor,  der  zwelte  Theil  nach  der  Predigt  auf- 
gefuhrt  wurde  und  deren  Text  in  der  allgemeinen  Form 
der  Kirelien-Cantaten  gefertigt,  den  speciellen  Unistanden 
ontsprechen  niusste. 

Das  Publikum  wurde  hieyon  chircli  die  offentlichen 
Blatter  in  Kenntniss  gesetzt,  wobei  naturlich  der  Trompeten 
und  Pauken  ganz  besonders  gedacht  wurde1). 

Bach  hat  soldier  Einfiihrungs-Musiken  eine  grosse 
^lenge  gefertigt,  namlich: 

1.  1769:    fur  Hrn.  Palm,  Pastor  zu  St.  Nicolai, 

2.  1771:    fur  Hrn.  Klefeker,  Pastor  zu  Moorfleath, 

3.  1771:   fur  Hrn.  Schumacher,  Pastor  zu  St.  Jaeobi  (geb.  1738 

zu  Bnxtehufle  und  Nachfolger  von  Erduiann  Gott- 
fried Neumeister2), 

4.  1772:   fur  Hm.  Haeseler,  Pastor  zu  Allersmohe, 

5.  1772:    fiir  Hrn.  HornborstI,  Pastor  zu  St.  Kicolai7 

6.  1773:  fur  Hrn.  W inkier,  seit  1772  erwahlter  Pastor  zu  Sanct 

Xicolai, 

7.  177.^:   fur  Hrn.  Dob  re  n,  Pastor  an  der  Heiligen  Geistkirche, 

8.  1775:   fiir  Hm.  Michaels  en,  Pastor  an  der  Weisenhauskircbe, 

9.  1775:   fiir  Hm.  Friederici,   Pastor  zu   St.  Petri,  geb.  1730, 

fiuher  K.  Preuss.  Feld-Prediger,  seit  1770  General- 
Superintendent  des  Furstenthums  Grabenhagen, 
10.    1777:  fiir  Hrn.  Gerling,  Pastor  zu  St.  Jacobi,  geb.  1745, 
It    1778:   fur  Hin.  Christian  Sturna,  Pastor  zu  St.  Petri,  geb.  zu 
Augsburg  am  1*5.  Januar  1740,  seit  1762  Lehrer  am 
Padagogio  zu  Halls  1765  Conrector  zu  Sorau,  1767 
Prediger  zu  Halle,  1769  zweiter  Prediger  zu  Magde 


*)  So  liest  man  in  dem  Hamburger  Correspondenten  von  1769. 
Nro.lOB;  ,»Ber  neu  veifertigte  und  vom  Herrn  Kapellmeister  Bach 
mil  gji>s8t@®  Fleis^e  componirte  Text  zur  Musik,  so  den  12.  July  bei 
dem  Antritt  des  Amies  des  Herrn  Pastor  Palm  in  der  St.  Nicolai - 
Kirrhe  tmter  Trompeten  und  Panken  aufgefiifait  werden  wird,  ist  bei 
Herrn  C.  Grund  auf  dem  Fisehmarkt  fiir  2  Schillinge  bereits  ge- 
druckt  zu  haben-% 

2j  Bitter,  J.  S.  Bach.    Tb.  1    S.  137. 


—    261    — 

burg,  f  26.  Aug.  1786,  imd  war  fur  unsera  Meister 
von  besonderer  Bedeutung  durch  seine  Geistliehen 
Lieder, 

12.  1780:   fiir  Era.  Eambach,  Haupt-Paator  zu  St.  Michaelis,  geb. 

27.  Mara  1737, 

13.  1782:   fiir  Hrn.  Janiscfa,    Pastor  in   Altendamm   i Hamburger 

Landgebiet),  f  am  5.  Aug.  1818, 

14.  1783:    fiir  Hrn.  Ltittkecs,  Pastor  an  der  Mohrenflether  Kirehe, 

15.  1785:    fiir  Hrn.  Scbaffer,  Pastor  zn  St  Kicolai, 

16.  1785:   fiir  Hrn.  Gasie,  Pastor  ?a  St.  Michaelfe,  geb.  zu  Ham- 

burg 1759  f  1813, 

17.  1786:   fiir  Hrn.  Cropp,  Pastor  an  der  Mohrenflether  Eirche, 

18.  1786:   fiir  Hrn.  Mil  Her,  Pastor  zu  St.  Petri,  Sohn  des  ehe- 

maligen  Rectors  am  Johannoum, 

19.  1787:   fur  Hrn.  Berckhan.  seit  173f]  zum  Pastor  an  der  Sanct 

Catharinen-KIrclte  erwahlt, 

20.  1787:   fur  Hrn.  Willerding,  an  Sturm's  Stelle  zum  Pastor 

am  St.  Petri  erwahlt, 
21    1788:   fiir  Hrn.  Runge,  Pastor  an  der  Billwerder  Kirche, 

21.  1788:   fiir  Hrn,  Stoker,  Pastor  an  der  Alieraohen-Kirche. 
Die  letzten  Belden  sind  erst  im  Jahre  1789,  also  nach 

Bach's  Tode  eingefiihrt  worden1)- 

Diesen  Tonstiicken  wiirden  noch  als  derselben  Musik- 
Gattung  angehorig  anzureilien  sein. 

23.  Aus  dem  Jahre  1773: 

fiir  Hrn.  Hector  Muller  (geb.  1722  zu  Weraigerode,  seit 
1754  Conreetor,  seit  1769  Rector  adjusctus  am  Jo- 
hanneum)  nndHrn.  Eeetor  Sehetelig,  bei  ^rerEin- 
fiihrung  im  Johannenm, 
feraer: 

24.  Aus  dem  Nachlasse  Bach's  eiue  Einfiihrungs-Musik  ohne  Titel*  j. 
Die  Form  dieser  Muaiken  war  eiue  zieralich  bestimmt 

au&gepragte.  Ein  Anfangschor?  zahlreiche  Recitative  urid 
Arien  tind  am  Schlusse  ernes  jeden  Theils  ein  Choral?  der 
im  Ganzen  den  der  gewohnlichen  Cantaten-Musik 


a.  WItie,  siverlisslge  Hachricliten  von  deu  evangelischea  Predigem 
za  Hamburg. 

b.  Hanssem.  Ai^sfihrliebe  Haekiicbten  ilber  die  Kirctei  nod  Geist- 
lichen  zu  HaEokurg. 

c»  Oeffke®.    J^e  gfo^e  Mtcbadis-KIrcbe  zm  Hamburg. 

ie&e  ^|©  2^swfcmw^©HaBg  der  Werke  Em&mml 

II. 


alles  dies  wiederholt  sich  in  ziemlich  be- 
stimniter  Foigc. 

NIcht  alle  diese  Einfiihrungs-Musiken  sind  auf  uns  ge- 
kominen.  Uoeh  sind  ihrer  gemig  iibrig  geblieben,  urn  aus 
ihnen  ein  bestiiumtes  Urtheil  ziehen  zu  konnen. 

Die  Einfuhrungs-Musik  des  Pastors  Schumacher's 
1771.  Die  Originalpartitur  enthiilt  die  Bernerkung:  ??Der 
Anfang  bis  zuui  Recit.  (wie  felsenfest)  vom  Herrn  Ka- 
pellmeister Bach.  Das  folgende  von  mir  (Syndicus 
Schuback  in  Hamburg).  Das  letzte  Recit.  (Er7  den  du 
zu  uns)  vom  Herrn  Kapellmeister  Bach."  Dieser 
Original -Partitur  ist  vorgeheftet  der  ;7Text  zur  Musik, 
als  der  Wohlehrwiirdige,  in  Gott  Andachtige  und 
Hochgelahrte  Herr,  Herr  Otto  Christian  Schuh- 
rnacher,  den  8.  November  1771  als  Diaconus  ah  der  St. 
Jaeobl-Kirche  In  Hamburg  eingesegnet  ward,  aufge- 
jRihret  von  Carl  Philipp, Emanuel  Bach7  des  Hamburgi- 
sehen  Muslk-Chors  Director." 

Dieser  Text,  dem  man  im  Ganzen  eine  gewisse  Wiirde 
und  talentvolle  Behandlung  nicht  absprechen  kann^  war 
von  Ebelingy  dem  Aufseher  der  Handels-Schule  zu  Ham- 
berg,  einem  der  Musifc  mit  Enthusiasmus  ergebenen  und 
Bach  n§he  befreundeten  Mann  gefertigt.  Hamburger  Blatter 
aus  jener  Zeit l)  sagen  dartiber:  7;Da  die  Kirchenmusik  einen 
Theil  unsres  diFentlichen  Gottesdienstes  ausmacht,  so  ware 

W3L  wtoschenj  dass  alle  sogenannten  Mnsiktexte  so  gut 

der  Wurde  der  Religion  so  angemessen  waren?  als 
derjenige  iat,  welchen  wir  heut'  unsern  Lesern  bekannt 
machen.  Der  Herr  M.  Ebeling7  Aufseher  der  hiesigen 
Haudlungs-Akademie?  ist  der  Verfasser  desselben?  wozu 
l&m  die  Einsegnung  des  Herrn  SehumacherTs?  Diaconi 
boi  iwriger  Jacobl -Kirche,  Gelegenheit  gegeben." 

Bk  Masik  war7  wie  oben  erw^hnt,  nur  theilweise  von 
Bach.  Die  von  Schnback  coieponirfcen  Nummern,  von 


Hamb.  Unparth.  CoirfssfKWidaiit  v.  1771.    Kro.  181. 


—    263    — 

denen  einige  aufbewahrt  sind,  sind  unbedeutend  und 
mogen  gegen  die  Bach'schen  Stiicke  stark  zuriickge- 
treten  sein.  Diese  letztereu  bestehen  in 

No.  L  dem  Eingangschor  (D-dur  3/i?  3  Trompeten, 
Pauken  und  Oboen,  Streich-Quartett).  J?Ich  will  den 
Namen  des  Herrn  preisen.  Gebt  unserm  Gutt 
allein  die  Ehre!"  welcher  nach  einem  sehr  feierliclien 
Eingange  durchaus  hoixiophon,  in  rhythmisch  melodischem 
Styl  obne  jede  thematische  Verarbaitung  der  Motive  kurz 
verlauft, 

Ihm  folgt: 

No.  2.  Rec.  fiir  Tenor,  in  welchera  ein  gesangvoll 
schones  Arioso,  Larghetto.  %  D-moll:  Da  warden, 
ewig  Dank  sei  Dir?  Da  warden,  Herr,  auch  wir! 
yerflocliten  ist  und  woran  sich 

No.  3.  Arie  fur  Tenor  (B-dur  */*,  mit  Streieh-Qimrtett) 
anscfaliesst,  deren  Text: 

Religion,  du  Gltick  der  Welt, 
Geschenk  der  Grottheit?  Heil  der  Seelen? 
Du  ew'ger  Trost,  verlass'  uns  nicht; 
Leit'  uns  dureh  dieses  niedre  Leben; 
Lass7  uns  Deine  Wege  w^hlen; 
O?  wie  himmllsch  glanzt  Dein  Licht, 
Grliick  der  Welt?  verlass*  uns  nicht 
der  dein   Gedichte  voraufgegangenen  Lobpreisungen  im- 
geachtet,    troekner  ist,    als   dies    billig  erwartet  werden 
diirfte. 

80  reicht  denn  auch  die  Musik  dieser  Arie  durchaus 
aieht  iiber  jene  grosse  Ziahl  von  Musikstiicken  hinaus,  deren 
s,  nur  der  Routine  folgendes  Hinwerfen 
M^rkmal  der  Bach1  sehen  Arien  bezeich.net  werden 
Bacfa's  ABtheil  an  der  ganzen  Arbeit  war  nur  ge- 
Dass  er  f  foerh&upt  auf  eine  solche  Theilung  der  Coin- 
position  eipging,  gehort  wokl  auch  zu  den  Dingen,  die  Be- 
denkem  mwjgm  dtAm.  Was  fadat  den  franzoslsdben  Opern- 


rand  Vaudeville -Dicntern  gestattet  wird?  konnte  dies  ihm 
in  der  Kirehenuausik  erlaiibt  sein? 

Andere  Ehifiihrungs-Musiken  sind  von  grosserer  Be- 
deutung.  So  die  fur  Prediger  Haeseler  1772,  deren 
Eingangsehor  (Allabr.  moderaix>.  3  Trompeten,  Pauken? 
2  Oboen7  Quartett)  Bach  kurzer  Instrumental  -Emleitung 
in  einer  im  unisono  gasungenen  Choral-Melodie  zu  kraftig 
bewegter  Orchester-Begleitimg  den  40.  Psalm  (10  und  11) 


3  Troaipet 

2  yi»h 


3^ 


|.rft'ft>":r  •""  R.       »  .1 

hg  ^  ^.  - 

I_*         ^!   •      ,  |  -  »            d 

»/                a                v 
Coro  MBW. 

-m--p            •      ,».... 

H—  1  1— 

t=^     H 

,   ; 

Ich 

wiU 

2 

pre     -     di- 

a%1^-*  *~  ,  f  ^ 

-j—  *«  p^— 

T-**  —  r~^-  ^ 

dei  ne      Ge    -     reeh  -  tig     -     keit. 


Breite  aiLsf&hrt,  nnd  der  sehr  durchsichtigen 
mugeachtet  dock  ernes  der  besfen  nnd  eigenthtim- 
SMdke  aus  dieser  Gattung  von  Musiken  Emanuel 
Back's  1st. 

Dem  Clior  folgt  eia  aocompagnirtes  Kecitativ  (adagio 
un  poco).    ?;Die  folgende  Arie  fallt  gleich  ein.rt    Es 


—    265    — 

ist  erne  Arie  in  G-dur  %,  vom  Quartett  lebhaft  begloitet, 
ftir  Bass,  sehr  colorirt?  nicht  ohne  Wiirde.  77HalleIujah! 
Welch'  ein  Bund!"  Nach  elnem  Secco-Recitativ  folgt 
der  Choral:  ??Nun  danket  alle  Grott^?  womlt  der  erste 
Theil?  kiirzer  als  die  Mehrzahl  der  ahnlichen  Musiken? 
schliesst. 

Der  zweite  Theil  beginnt  mit  einem  in  dem  Text  als 
Grebetlied  bezeichneten  Chor?  der  7  Strophen  enthalt^  in 
D-dur  s/i  mit  2  Oboen  und  2  Bassons  sonst  nur  mit  dein 
Grundbass  gesetzt  ist?  und  dessen  erater  Satz  kurz  und 
melodiscli  in  dem  Em.  Bach'sclien  Kirchenstyl  yerlauft. 
Dieter  Satz  wird  nach  ciner  von  den  Holostimmen  des 
Tenor  und  Bass  gesungenen,  nur  von  2  Bassons  und  dem 
Continue  begleiteten  Strophe  wiederhok.  Ein  zweiter  Solo- 
satz7  von  der  Orgel  und  2  Oboen  begleitet,  die  weiterhin 
dutch  die  Violinen  und  2  Bassons  abgelost  werden?  fiihrt 
zum  dritten  Male  auf  den  ersten  Chorsatz  zuriiek,  dessen 
Orehester-Begleitung  3  Troinpeten  und  die  Pauke  hinzu- 
treten.  In  dieaem  Wechsel  und  der  tSteigerung  der  in- 
strumentalen  Wirkung  ist  das  Stiick  von  nicht  unbedeu- 
tendem  Interesse.  —  Zum  Besehluss  wird  der  Anfangs- 
Chor  des  ersten  Theils  wiederholt. 

Jedenfalls  zeichnet  sieh  diese  Cantate  vor  der  Mehr- 
zahl  der  iibrigen  Bach'schen  Einfiihrungs-Musiken  durch 
ihre  Kiirze  und  durch  eine  gewisse  Wiirde  und  feierliehe 
Pracht  ihres  Inhalts  vortheilhaft  aus.  Sie  gehorte  eben 
noch  zu  den  ersten  ihrer  Art.  Der  sonst  so  gewissenhafte 
Meister  hatte  sich  noeh  nicht  in  dem  Grade?  wie  es  spater- 
Mn  der  Fall  war?  einer  stereotypen  Schnellschreiberei  fain- 
g^ebenj  die  seinen  derartigen  Arbeiten  so  weiaig  vortheil- 
baft  |?ew®8e&  ist 

Von  g^rmgerer  Bedeutung  ist  dieEinftihrungs-Musik  ftir 
den  Pastor  Wiukler  (1773),  welche  die  nicht  unbedentende 
Zahl  von  17  zam  Theil  ziemlich  langen  Nummerm  enlhielt? 
unter  denen  ab«r  kaum  m&hf  als  der  Chor  No.  8  des 
Theils  )?Heil  us®,  seim  Fjiedeja  ist 


darin  vorkommenden,  an  Shnliche  Arbeiten  Sebastian 
Bach's  erinnernden  Vermischung  von  Glior  und  Recitativ 
bemerkenswerth  1st.  Ein  schwungvolles  Element  waltet  in 
dieser  Arbeit  nieht  vor.  Sie  ist  im  Ganzen  in  deni  Styl 
routinirter  Mittehnassigkeit  geschrieben.  Am  Schluss  der 
Partitur  findet  sich  die  Bemerknng:  ??Nach  der  Ein- 
fuhrung  wird  der  erste  Chor  wiederholt." 

Wenn  man  die  Lange  der  Musik-Abtheilungen,  der 
Predigt  und  des  langen  Einfuhrungs-Ceremoniels  in  Er- 
wagung  nimint?  so  ersieht  man  darans,  wie  viel  der  musi- 
kalischen  Fassungskraft  der  Horer  bei  solchen  Veran- 
la^tingen  zngcinutliet  werden  durfte. 

Die  K.Bibliotliek  zu Berlin  besitzt  noch  die  Original-Par- 
tituren  von  zwei  Prediger-Einfuhrungs-Musiken,  auf  denen 
weder  das  Jahr  der  Entstehung,  noch  der  Name  des  ein- 
gefahrten  Predigers  verzeichnet  ist.  Die  eine  derselben? 
mit  dem  Anfang  37Herr  Qott;  Du  bist  unsere  Zuver- 
sielit  ftr  und  fiir"  zeichnet  sich  dureh  einen  schonen 
Text  auSj  in  Folge  dessen  die  Musik  eine  grossere  Menge 
liiteressanter  Ziige  bietet?  als  dies  in  den  iibrigen  Musiken 
dieser  Art  der  Fall  ist.  Sie  beginnt  mit  einem  4stimniigen 
Chor.  (D-dur  2/'4?  Trompeten,  Pauken7  Oboen7  Streich- 
Qaartett.)  Eigenthunilieh  fellt  in  das  hierauf  folgende 
Seccso- Recitativ  des  Alt  eine  4stimrnig  gesetzte  recitativ- 
Stelle  ein 


Alt 


Deira  tan  -  send 


Jah  -  re       sind  for 


—    267    — 


welche  in  Ihrer  von  dem  gewolinllchen  Wege  so  sehr 
abweichenden  Htructur  an  Seb.  Bach  ermnnert.  llehr 
noch  zeichnen  slcn  2  Arien  ans?  deren  erste  ftir  Tenor 
f  A-dur  %  Quartett  mit  2  Oboen  mit  der  Bezeickunng 
,,feurig")  sich  in  der  Begleitung  der  Violinen  dutch  in  Vis 
Noten  gebrochene  Accordgange  und  in  einer  selir  scbonen 
Declamation  der  Worte:  ??Wenn  einst  vor  Deinem 
Schelten  Beim  Anbrueh  jener  Eacht  Das  Feuer- 
meer  der  Welten"  etc.  so  wie  in  dem  dieser  Stelle 
g^enxibertretenden  Satze 


YM.Lv.2. 


Ttefau 


268 


/  "j?  TOT  "  t 

=t 

A  .  \j 

h     !    J 

i  ,  

7Tp=vvI 

/w  '  tf  •  '  *  '    « 

Fnnke 

•        -~. 

in 

"-S. 

1   }         F       *       : 

fast        ver    - 

•    losch'-ter 

Son 

s,. 

-    ne     gliiht. 

1  h^Nfvl 

.  IJ1  1  1 

p;   i  r 

1  */ 

T* 

r±=r 

"t-s-?~ 

i  *  * 

L^_ZZZJ1 

*      • 
-^ 

-i    i    ( 

-r- 

i    i    r 

"--)     1     l— 

—  -$—*— 

-        '     •'     '     '     '  

!_  ^r. 

—  \-4-m  »*"  Jjp-r 

-J-J-J- 

gegen  die  bei  Bach  sonst  gebrauchliche  Art  der  Behand- 
Inag  der  Arien  auszeichnet?  wahrend  die  andere  Aiie  fur 
Bass  (Lebhaft  D-dur  %  )  mit  obligater  Trompete, 


Lelhuft. 


2  TW. 

und 


Schoii 


r 


JJ 


feir' 


.  stellt  e.  vor  Oericht. 


sdmaetternd  ife  Woirte  l>€sgleltet: 
Sehon  hor'  Icfa  die  Posaime  schallen! 
Ihr  Menschen  sielH  emch  TOP  Gerlcht. 


—    269    — 


Sehon  fallt  ein  Strahl  vom  ew'gen  Liclit 
In  meine  Gruft!    Die  Adern  wailen 
Schon  neues  Dasein.     Engel  heben 
Den  Leichenstein  von  melner  Gruft. 
Horcli?  Horch,  Posaunensehall!    Er  ruft: 
Du  Staub  ersteh*  zu  neuern  Leben!" 

In  ihrer  feierlichen  Wiircte  und  Pracht  gleiclifalis  weit  fiber 
die  eonventionelle  Arienform  hinausgeht.  Ihr  folgt,  mit  3 
Trompeten  in  gewaltigein  Tone  begleitet,  der  sehr  schon  har- 
monIsirteChoral?7?Springt?  ihrGrabesfesseln?  springt"? 
mit  welcfaem  der  erste  Theil  in  wiirdiger  Weise  schliesst. 
3  [f  r»fii|«lea.  ' 


Sprinyt.  tiu   Gra  -  bes  -  Banden, springt.  Le-ben    fliesst    dureh 


fjrr  rs   f     - 

denn  der       gros-  se        Tag    1st  da. 


Der   zweite   Theil    enthalt  2  Arien?    ein   begleitetes 
mud  den  ScMussdhoral  ?7Gott,  der  Du  Deines 
ge^enkest".    Der  Text  1st  von  weniger  allge- 
Mialt  nnd  b^ieht  slct  yorwlegend  auf  die  Cere- 
moale   der  Einfuhnootg,    Dem  entspreohend  1st  auch  die 
Musik  VOE  geripgerer  Bedeutoug  als  die  des  ersten  Tbeils. 
In  der  audereu  di^er  Einfflirtmgsmiisikeii  o3uie  naliere 


—   271 


Bezeiehimg  ist  nur  em  dem  Andenken  des  verstorbenen 
Vorgangers  gewldmetes  Secco-Recitativ  mit  einer  Tenor- 
Arie  (moderate  A-moli  %  Quartet t)  von  Bedeutnng.  Der 
Text  lautet: 

?7Ruhe  sanft,  verklarter  Lehrer, 

Dort  in  Doiner  kiihlen  Gruft. 

Dein  Gediichtnlss  bleibt  in  Segen, 

In  den  Herzen  Deiner  Horer? 

Bis  Dein  Gott  tins  zu  Dir  raft." 
Diese  Arie  ist  besonders  gesangvoll?  von  schoner  inniger 
Melodie,  nicht  ohne  die  bei  Baeh  hie  und  da  hervortretende 
SentiinentalUat. 


he    sanft         ver 


ter    JLeb  -  rer. 


2^S 


i 


Ru  -  he,       ru  -  he,     dort  in       dei  -  ner  kfih  -  leu  Graft, 
liib- • — fi^PT     . — ErgUEi    1    yj 


kurz,  ohne  Mittelsatz?  in  edler  Form  gesetzl    Eebea  ihr 
seiehnet  sich  noch  ein  Choral: 


B*i   -    %    ist         nn  -  ser     Gatt. 


Hei    -    lig    fct 


g=3?= 


qc 


p—  S 


—    272 


und  erne  Arie  fur  Bzw  (D-dur  8/4,  2  Horner;  2  Oboen? 
Quartctt)  ??Das  Wort  des  Herren  starkt  auct  unter 
Ungewittern"11  aus,  dia  kurz,  sehr  au.sdrucksvoll?  von 
edlem?  melodic  chem  Bchwunge  und  voll  von  reichen  und 
frappanten  Modulationen  ist. 

Es   sei  endlich   noch   einer  dieser   Musiken   aus    den 
ietzteii  Lebensjahreu  Bach's  gedacht,  dcr  Einfiihrungs 
Musik  de«  Pastor  Gasie  (1785). 

Diese  beginnt  mit  einem  kurzen  Chor.  (F-dur  */*)  ??die 
Oboea  apielen  mit  dem  Cant  und  Alt",  mit  dem  An- 
fkage;  Gnadig  und  barmherzig,  Dann  folgt  ein  Eecitativ 
mil  j?Arie  fur  Hrn.Ihlert,  setzt  ohne  Vorspiel  ein." 


*   r 


WennMenschendeinver  -  gessen,         o    Christ,  in    deiner 


noch  bis*  du  fcicht  yer-las-sen,  es  sorgt  fur  dich  ein  Oott. 


r  t 


-     273    — 

In  diesem  Style  geht  es  fort.     Die  Wiirde  und  der  Ernst 
der  musikalisehenDarstellung  waren  hier  vcrloren  gegangen. 

Nacli  einem  zweiten  Recitativ  folgt  die  7JArie  fur 
Hrn.  Schumacher/'  G-dur  2/4  mit  obligater  Flote,  welche 
das  Zwitschern  und  den  Gesang  der  Vogel  malt,  und  naeh 
einem  dritten  Recitativ  „  Arie  fiir  Hrn.  Reicheln"7  G-moll 
%  mit  2  gedampften  Violinen  und  Pagott,  welche  sich  in 
melodisch-rhythniischer  Weise,  ohne  zu  grossen  Ernst  zu 
zeigen  ziemlich  lang  dahinzieht. 

Ein  kurzer  Chor  ?7Trachtet  am  ersten  naeh  dem 
Reiche  Gottes/£  ein  kurzes  Accompagnemcnt  und  der 
einfach  harmonisirte  Choral  ^Ichbinja^  Herr?inDeiner 
Macht"  mit  3  Versen  enden  diesen  ersten  ziemlich  langen 
Theil  von  10  ]Nmnmern?  unter  dessen  Original-Partitur 
die  Bemerkung  steht:  ??Ende  des  ersten  Theils,  den 
14  Juli  1785." 

Der  zweite  kiirzere  Theil  beginiit  mit  einein  Secco- 
RecitatiVy  das  von  einem  Larghetto  und  einem  Accompag- 
nement  unterbrochen  wird?  und  dem  ein  schones  Arioao, 
das  einzige  werthvolle  Stiick  der  ganzen  Arbeit  (?,langsam? 
Hr.  Dallwer"  C-dur  V«  Quartett)  folgt.  ??Da  geht  er 
schon  zur  heiligen  Statte.^ 

Das  Ganze  schliesst  mit  der  vierstimmig  gesetzten  Me- 
lodie  des  alten  Chorals  ??Lobt  Gott?  ihr  Christen  allzu- 
mala  und  ist  unterschrieben  7JEnde  den  16.  Julius  1785. 

Nach    diesen   Mittheilungen   wird    es    kaum   bedauert 
werden  konnen?    dass   ein   grosser  Theil   dieser  Musiken 

geblieben  ist. 

Allgemeinen  wird  es  schwer  sein,  dieae  Prediger- 
eia  anders  denn  als  eine  Art  kirchlicher 
0^Iegeiiheits-Arbeiten  zu  charakterisiren, 

Die  JErgebBie^  eines  aaderen  Theils  der  MrcMichen 
Thatigkeit  B^db's  thnlich  bezeidbnen  zu  muBsen,  ist  m 
nictt  geriug^n  Grade  li^ia.iiei'Ecli,  Es  mA  dfes 

Bitter,  Em^uel  taai  mtiftmnam  Bsgfe.  18 


b)   die  Pfcssions-Musrken 

derail  er  nicht  weniger  als  ein  und  zwanzig,  d.  h.  in 
jedem  Jahre  seines  Aufenthalts  zu  Hamburg  eine  ge- 
sehrieben  liat.  Man  wiirde  Unreclit  thun?  wenn  man 
diese  mit  stehender  Regelmassigkeit  in  ununterbroche- 
nem  Turnus  jeden  der  vier  Evangelisten  5  mal  durch- 
arbeitenden  Musikwerke  mit  jenen  grossen  religiosen 
Gebilden  yergleichen  wollte,  welche  Seb.  Bach  in  seiner 
Matthiius-  und  Johannes-Passion  hinterlassen  hat.  Zu  der 
stolzen  Hohe  dieser  Werke  streben  sie  in  keinem  einzigen 
ihrer  Theile  an.  Aber  so  schwer  es  gewesen  sein  wurde 
jene  Hohe  zu  erreichen,  so  ware  es  doch  wohl  des  Sohnes 
wiirdig  gewesen?  dahin  zu  streben,  dass  er  den  ungeheuren 
Fortschritt,  den  sein  grosser  Vater  in  jenen  Werken  fur 
die  religiose  Oratorien-Musik  herbeigefiihrt,  durch  die  er 
seine  eigne  sehopferische  Thatigkeit  gewissermassen  auf  den 
Culmioationspunkt  ihrer  Bedeutung  erhoben  hatte,  festzu- 
ha,ltett  vetsucht  hatte.  Davon  findet  man  in  diesen  Ora- 
torien  ebenso  wenig,  als  ein  Fortschreiten  auf  der  Bahn 
des  Messias  oder  des  Todes  Jesu. 

Im  Ganzen  ist  von  diesen  Passions-Musiken  wenig  auf 
uns  gekommen.  Was  man  von  ihnen  im  Original  kennt? 
sind  nicht  eigentlich  durchgearbeitete  Partituren,  sondern 
vielmehr  schematische  Andeutungen?  welehe  meist  nur 
wetiige  BlUtter  enthalten?  und  kauin  fur  etwas  Anderes  zu 
eracfalea  sind?  als  fur  eine  Art  ausgedehnter  Notizzettel  fiir 
den  Dirigenten,  in  denen  selir  Vieles?  oft  das  Meiste  als 
bekannt  vorausgesetzt  und  nur  Weniges  in  bestimmter  Form 
niedergelegt  war.  Vielleicht  hatten  sie  die  Bestinamung? 
von  zuverlassigen  und  geubten  Copisten  zu  eigentlichen 
IPartituren  zusamoaengestellt  resp.  umgeschrieben  zu  werden. 
JPreilich  wiirde  es  dann  immerhin  merkwiirdig  genng  sein. 
dass  eine  wirkliche  und  vollstM-ndige  Partitur  von  keinem 
einzigen  jener  zahlreichen  Werke  auf  uns  gekommen  ist 
Doefe  tesst  sich  atts  deto  Vorhandenen  ein  hinreichend 
sieheres  Bild  von  dem  zusammentragen,  was  in  dieseti 


-    275    - 

Passions -Musiken  gegeben  und  geboten  worden  war.  Hie 
bestanden  in  einer  Art  schablonenmassiger  Fabrikarbeit, 
In  der  Bach,  seiner  selbst  keineswegs  wtirdig,  fur  jedes 
Jahr  eine  besondere  Passion  aufzuputzen  sicli  beiniiht  hatte, 
und  der  die  ein-  fur  allemal  componirten  Evangelisten-Texte 
als  Grundlage  dienten.  War  fur  diescn  grossen  Aufwand 
an  unbedeutender  Arbeit  eine  Nothwendigkeit  vorfmnden? 
Man  mochte  meinen,  dass  ein  vierjahriger  Turnus  geniigt 
haben  wiirde;  dem  Bedurfniss  vielfaehen  Wechsels  zu 
gentigen.  Seb.  Bach  hatte,  um  nach  diescr  Seite  hin  das 
Seinige  zu  thun,  mit  seinen  Thomas-Schiilem  neben  seinen 
eigenen  Passlons-Musiken  aueh  solche  von  anderen  Sleistern 
in  den  Kirchen  Leipzig^  zur  Auffuhrung  gebracht.  Der 
Sohn?  weniger  ernst  arbeitend  als  jener?  weniger  gross  in 
seiner  Auffassung  der  kirchlichen  Dinge  und  mit  geringerer 
Tiefe  seine  Aufgaben  erfassend?  konnte  ein  und  zwanzig 
solcher  Musiken  schreiben,  von  denen  eine  einzige,  ini 
Sinne  und  Geiste  des  Vaters  gesetzt,  hingereicht  haben 
wiirde7  ihni  fiir  alle  Zeiten  den  immergriinen  Kranz  des 
Ruhmes  auf  die  alternden  ^chliifen  zu  driicken. 

Welche  Wirkung  er  nach  dieser  Seite  hin  erreieht 
haben  mag?  dariiber  ist  keine  Nachricht  auf  uns  gekoninien. 
Dass  aber  diese  nicht  die  der  Passions -Musiken  seines 
Vaters  sein  konnte,  ist  zweifellos.  Uebrigens  hatte  aueh 
Telenaann  nicht  weniger  als  19  Passions-ilusiken  gesclirie- 
ben,  und  die  Hamburger  Kirchen-Gerneinden  waren  daher 
wohl  daran  gewohnt,  in  der  Charwoche  die  Arbeiten  ihrer 
heimischen  Tonsetzer  zu  horen,  wie  denn  aueh  E.  Bach  nur 
seine  eignen,  fiir  die  Charwoche  jeden  Jahres  componirten 
Passkmen  hat  auffiihren  l^sen. 

V0n  diesen  sind  theils  ganz;  theiis  in  Bruchstiickea 
bekannf: 

1.  Ke  Passion  nach  Matthaus  von  1777. 

2.  77          n         „      Matthaus  von  1781, 
3-     „          n         n     Lucas       von  1783. 
4.     n          n         ??     Johannes  von  1784. 

IB* 


276    — 


5.  Die  Passion  naeh  Matthaus  von  1785. 

6.  „         „          „     Lucas       von  1787. 

Eine  Passion  nach  Marcus  ist  nicht  auf  uns  gekommen. 

Die  Recitative  des  Evangeliums7  von  denen  leider  nur 
Bruchstiicke  iibrig  geblieben  sind  und  deren  erzahlender 
Theil  wie  bei  Seb.  Bach  dem  Tenor  zufiel,  sind  gleich 
dem  Evangelic  der  grossen  Passions  -Musik  als  Secco- 
Recitative  gesetzt.  Die  Chore  der  Juden  waren  offenbar 
chormiissig  behandelt.  Sie  sind  leider  vollig  unbekannt 
geblieben.  Innerhalb  der  Recitative  treten  im  Uebrigen, 
-wie  in  den  Passionen  des  Vaters,  die  einzelnen  Stimmen? 
Christus,  der  Hohepriester,  Pilatus,  Petrus,  Judas  etc. 
Bieist  im  Bass  gesetzt  ?  redend  und  antwortend  ein.  Fiir 
die  Reden  Christi  fehlt  jene  unvergleichliche  Individual!- 
.sirungy  welche  die  Matthaus-Passion  Sebastian  Bach's 
ausxeichiaet.  Das  Evangelium  war  von  zahlreichen  Choralen 
imd  Arien  durchflochten,  von  denen  die  Chorale,  mit  den 
Nttnuoern  und  Versen  des  Hamburger  Gesangbuchs  be- 
zeichnetj  offenbar  auf  den  Gemcinde-Gesang  berechnet  und 
daher  nur  in  wenigen  Fallen  vierstimmig  ausgefuhrt  waren. 
Bezuglich  der  Beschaffenheit  der  Arien  gilt  meist  das  schon 
mehrfach  Gesagte.  Der  Chore  allgemeinen  Inhalts  waren 
nur  weuige  und  diese  meist  seinen  geistlichen  Liedern  ent- 
Boinmen,  vierstimmig  gesetzt  und  instrumentirt. 

Die  ?,Passion  nach  dem  Matthaus  von  1777"  be- 
gmnt  mii  dem  ausnahmsweise  vierstimmig  ausgesetzten 
Choral  118.  1.  ,jO?  Lamm  Gottes,  unschuldig," 


—    277 


dessen  eigenthiimliche  Harmonisirung  eine  Arbeit  von 
hoherem  Werthe  erwarten  l&sst?  als  weiterhin  gegeben 
wird.  Der  ihin  folgende  Anfangschor  No.  1.  fehlt.  Dann 
heisst  es  waiter: 

,,Bec.  Jesus  (Bass):  Der  Geist  ist  willig,  aber  -das  Fleisch  1st 
schwach. 

Chor  No.  2.  (fehlt  gleichfalls). 

Evangelist  (Tenor)  Judas:  Gegrfiaset  seistDra,  Kabbi!  etc. 

Herrn  B  of  mania's  Arie: 

Evangelist:  Da  verliessen  ihn  alle  Jiiuger  und  floben. 
Choral  129.  6. 

Evangelist:  Hohepriester  (Bass).  Was  bediirfen  wir  welter 
ZeugnissV  Siehe,  jetzt  habt  ihr  seine  Gotteslasternng  gebort,  Was 
diinket  euch? 

Evangelist:  Sie  antwortetenetc.  Kaeb  dem Chore der  Juden : 
er  ist  des  Todes  schuldig,  kommt  folgender  Choral: 
Choral  111  I 

Evangelist:  Da  speieten  sie  in  sein  Angesiebt  etc. 

Naeh  dem  Chore:  Weissage  uns  etc.,  bleibt  der  Choral  Ho.  122.  3. 
weg. 

Evangelist:  Petrus  aber  etc. 

Evangelist:  .,.  nans  und  weinte  bitterlieh. 

Hrn.  Eb  el  ing's  Arioso  und  Arie  No.  5. 

Evangelist:   Des  Morgens  aber  etc. 

Naeh  den  Worten  des  Evangelisten:  erhangte  sich  selbst,  Choral 
No.  590.  7. 

Evangelist:   Aber  die  Hohen  Priester  etc. 

Pilatus  (Bass):  Wie  faart  sie  Dich  verklagen? 

Evangelist:  und  er  antwortete  etc." 

In  dem  vorstehenden?  fast  Bur  die  Stichworte  des 
EvaBgelisten  imd  die  Angabe  der  Chorile  nach  dem  Ge- 
saugbuch  ergebenden  diirftigen  Notizen  YOU  Baches  Hand 
ist  alles  enthalten?  was  von  dieser  Passion  auf  uns  ge- 
koiniHen.  Erwigt  man,  dass  die^e  Bearbeltting  nadi 
Matth^us  die  dritta  war,  welcher  sich  Bach  &dit 


—    278    — 

Amtsantritt  in  Hamburg  unterzogen  hatte,  nnd  dass  das 
obige  Fragment  derselben  auf  vieles  Bekannte  nnd  bereits 
Vorhandene  hindeutete>  so  wird  man  die  Vermuthung  be- 
grundet  findeu,  1)  dass  die  Recitative  mit  den  Choren  der 
Juden  fur  jeden  Evangelisten  nur  einnial  gesetzt  und  im 
eintretenden  Turnus  wieder  verwendet  wurden,  2)  dass 
diese  Vermuthung  wohl  auch  fur  einen  Theil  der  Arien 
zutreffe,  3)  dass  die  Chorale  zum  Theil  neu5  wiewohl  nur 
ausserlich  und  willkiirlich  innzugefiigt;  auf  die  mitwirkende 
Theilnahnie  der  Kirchen-Gemeinde  am  Gesange  berechnet 
waren,  muthmasslich  in  der  Mehrzahl  einstimmig  gesungen 
und  nur  yon  der  Orgel  begleitet  worden  sind. 

Wahrscheiiilich  hatte  die  so  eben  betrachtete  Original- 
Disposition  die  Bestinamung;  die  vollstandige  Partitur  zu 
ersetzen.  Demi  da  die  Stimmen?  Recitative  und  Arien  iin 
einzelnen  vorlianden  waren?  konnte  Bach  nach  ihr  die 
AurfQhrnng  wohl  im  Nothfalle  dirigiren.  Stellt  man  die- 
selbe  den  sorgfiiltig  geschriebenen  und  bis  in  die  kleinsten 
Detailbezeichnungen  ausgearbeiteten  Passions  -  Partituren 
Seb.  Bach's  gegentiber?  so  ergiebt  schon  diese  rein  ausser- 
liche  Betraehtung  den  ungeheuren  Unterschied7  der  zwischen 
jenen  und  diesen  Arbeiten  besteht. 

Yonder  ,?Passion  von  1781"  ist  folgendes  bekannt: 

^Choral  No.  110.  l.u,  daranf  ,}No.  1.  Anfangs-Chor"  (fehlt 
ascli  bier,  wie  bei  der  vorhergeheaden  Passion). 

Haeh  den  Worten:  Deis  Wille  etc.,  Choral  No.  S93.  1. 

Kaefa  &m  Worten:  Ben  greifet  etc.,  koxnmt  folgendes  Accomp. 
Reeil  (fur  Tenor)  etc., 

welches  den  Gehorsam  Christi  bis  zum  Tode  scliildert  und 
ohne  wesentliche  Bedeutung  ist 

Arie  (fur Baas)  Poco  andante.  C-dur;  ,}Nun  sterb'  ich  Sunder 
nicbt", 

welch©  ohne  Accompagnement  mit  der  Bemerkung  7?die 
Htinimen  liegen  in  No.  2"  in  der  Partitur  steht,  so 
dass  muthmaqslich  die  Begleitung  ohne  partiturmassige 
Zusammenstellimg  in  die  einzeken  Btimmen  ausgesetzt  war. 
,,Nacb  den  Worten:  Und  flohen,  koiamt  folgende  Arie. 


—    279    — 

Die  Arie  No.  3  mit  der  Singstimme  und  iibrigen  Stimmen  liegt 
in  No.  2  cbenfalls.    Die  Tenorstimme  wird  in  den  Biseant  gesetzt. 
Choral  No.  129.  9. 

Nach  den  Worten:  Der  Dich  schlug:   Choral  No,  122.  5. 

Nach  den  Worten:   Ich  kenne  den  Menscben  nicht,  kommt 
der  Cramcr'sche  Psalm  No.  3  mit  folgenden  Worten: 

Keiner  wird  sieh  schamen  diirfen, 
Welcher  Dich  zum  Schilde  nimmt. 
Wenn  ihn  aneh  die  Feind'  er#rimrat 
Tagelang  darnieder  wiirfen. 
Aber  Schande  failt  aaf  den, 
Welcber  Fromrae  zu  verscbmah'n 
Ohne  Furcht  vor  Gott  sich  waget 

Nacli  den  Worten:    Und  er  hangte   sich  selbst,  folgt  der 
Cramer'sche  Psalm  No,  4  mit  folgenden  Worten: 

Icb  bin  gebeogt,  ich  bin  zerseblagen, 
Ich  schrei  voll  Seelenangst  zu  Dir! 
Herr,  Du  vernimmst  mem  brSnstig  KlageBT 
Und  horst  auf  das  Geschrei  von  mir. 
Mein  Herz  erbebt,  die  Kraft'  entgehen 
Mir  vollig,  und  ich  kann  kaum  seben, 
Denn  mein  unmebelt  Auge  bricht, 
Und  mir  verloscht  sein  dunkles  Licht. 

Gleich  darauf  der  Choral  No,  422.  8. 

Nach  den  Worten:  Landpfleger  sehr  verwunderte,  kommt 
folgendes  Accompaguement." 

Hier  folgt  ein  accompagnirtes  Recitativ  YOB  13  Takten? 
auf  das  Vorbild  und  Belspiel  Christ!  hmweisend. 
,,Gleich  hierauf  folget  der  Chor  auf  der  anderen  Seite." 
DIeser  Chor  (B-dur  Allabr.?  sehr  langsam?  vierBtiminlg 
mit  Quartett-Begleitung)  in  vier  Strophen  lautet  wie  folgt: 


—    280    — 


denken,  mich  in  das  Meer  der      Lie  -  be 


zu    ver- 


sen-ken,      die    dlch     be     -     wog,        von      al-IerSchuld  des 

rtzz^zic 


B6  -  sen    mich      zu    er  -  lo 


Die  zweite  Strophe: 

^Ich  will  nicht  Hass  mit  gleichem  Hass  vergelten, 
Wenn  man  mieh  acbilt,  nicht  rachend  wieder  schelten, 
Du  HeiJger  Du,  Herr  fiaupt  der  Glieder, 
Schaltst  auch  nicht  wieder." 
ist  in  vollstandig  gleicher  Weise  wie  die  erste  gesetzt. 

Bel  dem  wenngieich  melodisch  sanften,  doch  einfachen 
Gauge  di^^  chormfesigen  Liedes  durften  die  4  Mnter- 
emauder  fortgesungenen  Strophes  doch  wohl  ermiidend 
gewirkt  iaben. 

m^  /*  u  f?-  Worten:  Denn  Uebles  e«than?  kommt  der  Choral 
mit  der  Meladie:  Herzliebster  Jenu  mit  folgenden  Worten- 
Unendlieh  Oluck.    Ba  httest  uns  zu  Gute, 
Ich  bin  versdhnt  mat  JDeinem  them  en  Blate 
Du  hast  mein  Hell,  da  Da  far  mich  gestorben, 
Am  Krentz  erworben. 

No.  S"h4den  Wnrten:    DanlU  S6in.  Haupt'  kommt  der  ChOT31 
Naeh  den  Worten:  dass  sie  iha  kreuzigten,  kommt  folgende 
e  fur  Hrn.  Hoffmann.    MR  Die  Stimmen  lieg^  in  No.  fl," 


—    281    — 

Diese  Arie  (poco  Adagio  %  D-dur)  1st  ziemlich  ge- 
wohnlichj  der  alten  Arienform  geniiiss7  ohne  Tiefe  und 
Schwung.  Alles  Audere  fehlt 

Was  zur  Passion  von  1777  beinerkt  wordea,  passt 
auoh  hier.  Nur  maeht  die  vorstehende  Disposition  den 
Eindruckj  als  ob  nach  ihr  von  einem  gettbten  Noten- 
sehreiber  eine  nene  Partitur  habe  aufgestellt  werden  sollen. 

Aus  der  Passion  von  1783  (Lucas)  1st  noch  weniger 
bekannt.  Die  vorhandenen  einzelnen  Stiunnen  deuten  in- 
dess  an?  dass  der  Charakter  und  die  Art  und  Weise  der 
Composition  wohl  im  Wesentlichen  dieselbe  gewesen  sein 
wird;  wie  die  der  vorigen,  Was  wir  davon  kennen,  1st: 

1.  nAccomp.  fur  Hrn.  Ilofmanu  uud  Arie  fiir  Hrn,  Illert  — 
von    C.   P.   E*   Bacb   —   naeh    den   Worten:    Weinte 
bitterlich." 

Das  AccoiBpagnement  ist  in  der  gewohnlichen  Weihe 
der  begleiteten  Recitative  ohne  besonders  hervortretende 
Eigerithiimliehkeit  geschrieben,  die  Arie: 

77Wenn  sich  Einbildungen  thiirnien? 

Hochmuthswellen  brausend  stiirraen." 
in   einer   etwas  gewofanlichen  deelamirenden  Melodie  mit 
in  Vis  iiarpeggirender   stark    bewegter   Violin -Begleitimg; 
das  Ganze  onne  besondere  Tiefe. 

2.  ,,Chor  No.  6  zur  Passion  von  1783  von  C.  P.  E.  Bach 
—  nach  den  Worten;  Am  diirron  werdenV  Aus  Cramer's 
Psahnen:  Jehovah  herrscht,  ein  Konig  il?jer  Alle!" 

Lebhaft  und  glknzend?  F-dur  4/4  mit  2  Hornern? 
2  Oboeny  dem  Streich- Quartet t  (die  Bratsche  mit  deni 
Violon  und  Fagott)7  welches  in  Vte  Triolen  sich  bewegt. 

3.  Herr,  starke  mich.    Ei"9  Cbor  aus  Gellerten  von  C.  P. 
E.  Bach,  in  der  Passion  von  82  und  83.    KB.  Der  S.  und 
a  Vera." 

Es  ist  dies  der  bereits  zu  der  Passion  von  1781  mlt- 

€ 

getheilte  Chor.  — 

Die  Passion  von  1784  (Johannes)  beginnt  (muth- 
masslich  nach  einem  mit  ]STo.  1  beziffertem  Chorale)  mit; 


—    283    ~ 

Axisser  diesem  ersten  Chor  slnd  aus  demselben  Werke 
noch  vorhanden: 

a.  ,,Nach  den  Worten:  Er  verschied,  der  Chor:  Hallelujah! 
Auf  Golgatha  starb  als  em  Missethuter  Jesus.   Der  Gereehte 
stirbt  fur  nns  Uebertreter." 

welcher  ziemlich  kurz  1st  und  dessen  Melodie,  von  dem 
Streieh-Quartett  imd  zwei  wit  den  Violinen  gehenden 
Oboen  begleitet3  unverandert  zu  drei  verschledeuen  Text- 
strophen  gesungen  wird.  Der  Chor  ist  in  seinem  Charakter 
dem  vorigen  zieralich  glelch. 

b.  Einige  Arien  in  dem  Style  des  vorlgen  Jahrhunderts,  obnc 
hervortretende  Bedeutun^, 

c.  Bin  accompagnirtes  Kccitativ  im  ariosen  Styl,  etwas  weiter 
ausgefiihrt,  aber  gleichfalls  nur  von  besclnankter  Wirkung. 

Die  Passion  von  1785  beginnt  mit 

,,dem  Choral  No.  87,   L  (weleher  einea  Ton  herunter  in 

G-moIl  gesetzt  wird." 

,,Nach  dem  Choral  folgt  der  Chor  (sehr  langsaxn,  vler&timiiiig 
E-moll  -1/4  2  Oboec,  Stieich-Quartett),** 

welclier  durcli  ein  sehr  ernstes  Vorspiel  eingeleitet  in 
einen  kurzen  der  1.  Litaney  EID.  Bach's  entnommenen 
Satz  iibergehtj  deni  das  dreimal  wiederholte 

,,0  Du  Lauini   Gottes   das  der  Welt  Siinde  tragt, 

Verleih  uns  sleten  Friedeii.    Amen!u 
folgt. 

Hier  findet  man  zum  ersten  Male  ein  Sttiek?  das  der 
Wiirde  und  deni  Ernst  des  gottesdienstlichen  Zweckes  ent- 
spricht.  Freilieh  ist  dasselbe  nicht  fur  die  vorliegende 
Passion  componirt?  sondem  einfech  einem  anderen  Werke 
entnommen. 

n]^ach  den  Worten:  Den  greifet  Arie  fur  Sopran.  (E-molI2/4, 
StMich  -  Quartett  Andante)  Die  Bosfeeil  giebt  mit  falsdbes 
Kfissen." 

mit  einem  melodiseh  weichen  Mittelsatz  in  E-dur. 

Das  Papier  und  die  Schrift  dieses  Stiickes  sind  von  dem 
ubrigen  Originate  YOQ  1785,  so  wie  von  der  spater  zu  erortern- 
den  Passion  YOU  1787  sehr  versehieden.  Auf  dem  Blatte  ist  die 
Bezeiehniing  1789  ersicbtlicJby  eine^  Jahres,  dessan 
Bach  nicht  mehr  ertebt  liattd.  D»  die  P^ssion&mtzsik 


—    284    — 

dieses  Jahr  bereits  ausgearbeitet  war,  so  konnte  wohl  dies 
Stiiek  eigentlich  jener  letztcn  Arbeit  angehort  haben  und 
nur  aus  Zufall  in  die  Passion  von  1785  gekornmen  sein. 

,,Nach  den  Worten:  Cnd  flohen,u  accompagnirtes  Eecitativ  fiir 
Bass,  daira  eine  Arie  fur  Bats  (C-dur  %,  fiir  Streicb-Qnartett)  in  der 
Weise  der  Mehrzahl  der  Bach 'si-hen  Arien. 


Und  ging  hm  -  aus       nnd  wein  -  te  bit  -  ter-lich. 

zy"~ 


,,Hieranf  folgt  Hrn  Kircbner's  Arie.  Adagio.  SFloten.  Quartett, 
Im  Staub  gebttckt  wein'  Ich  vor  din"  Nacb  den  Worten:  sehr 
verwunderte,"  Arie  fiir  den  Cant.  (Allegro  C-dur  2/4  Quartett) 

Erfrecht  euch  nur,  die  Unschuld  211  verklagen.  ,,Nacli 
clen  Worten:  ,,ihnkreuzigten,u  kommt  die  Arie  fiir  Hrn.Hofmann, 
<lie  in  den  Stimmen  steht.1* 

Hachber  zuletzt  das  erste  Chor  aus  der  Litaney  noch  einmal  und 

der  Choral  No schliesst.u 

Dieser  Sehhisschoral  ist  nicht  bezeichnet  Doch  liegt 
der  besproclienen  Original -Disposition  ein  einzelnes  Blatt 
bei,  auf  welchein  vlerstimnaig  gesetxt  obne  Worte  der  Choral 
?JWo  Gott  der  Herr  nicht  giebt  sein  Grunst"  aufge- 
schrieben  ist.  der  muthmasslich  den  Schluss  hat  bilden  sollen. 
Auch  bei  dieser  Pa&sion  findet  sich  im  Wesentlichen 
wieder  bestatigt,  was  bei  Besprechung  der  ersten  Passionen 
gesagt  worden  ist.  Inzwischen  tritt  hier  bei  dem  mindestens 
m  den  Arien  etwas  reicheren  Material  die  weitere  Beob- 
achtung  binzu,  dass  dem  instrumentalen  Theile  des  Werks 
eine  fast  zu  geringe  Aufmerksainkeit  gewidmet  ist,  Quartett- 
Begleitungj  hie  nnd  da  durch  Floten  oder  Oboem  verstSrkt, 
meist  in  emfachem  Begleitungsgange  als  Unterlage  der 
Singstimuneu,  das  ist  AUes,  was  das  Orchester  in  den 
Passionsmusiken  Emanuel  Bach's  zu  leisten  hat.  Jeaer 
reiche  Weeh^el  der  Instmmentirung,  welcher  Sebastian 
BacL'a  Passionsarien  charakterisirt,  selbst  die  glanzenderen 


—    285    — 

Farben,  die  Emanuel  Bacli  in  semen  Qratorien  hie  und 
da  anzuwenden  liebte?  allcs  das  versinkt  vor  diesem  ein- 
tonigen  Einerlei,  aus  dein  selten  ein  wohlthuender  Zug 
selbstandiger  Bewegung  oder  eigenthiimlicher  Berechnung 
hervorschaut. 

Die  mit  der  zitternden  Hand  Aes  hohen  Alters  iu  dem 
Jahre  vor  Bach's  Tode  geschriebene  ?,Passio  secundum 
Lucae  von  1787"  hat  folgenden  Gang: 

,,Naeh  demAnfaagsehoral:  ,,0  Lamm  Gottes,"  mit  einem  Verse 
folgt  der  Chor  No.  1.  (Largo.  D-moll.  Allabr.)  Die  Oboen  spielen 
mit  dem  Cant  und  Alt. 

Der  Text:  ??Meiu  Erluser,  Gottes  Sohn,  der  Da 
fiir  mich  bittest"  u.  s.  w.  ist  kurz;  rnelodiseh,  weich  be- 
handelt,  der  ganze  Satz  einscHiesslich  des  Vor-  und  Nach- 
spiels  38  Takte  lang. 

,,Nach  den  Worten:  ,7ATjfecbtung  fa  I  let,"  folgt  dieArieNo.  IT. 
(Discant-Arie  No,  II.)  G-nioll  44  mit  Fagott,  ohue  Hoboen,  nicht  zu 
langsam. 

,,Dein  Heil,  o  Christ,  nicht  zu  verseherzen." 

Diese  Arie,  in  der  das  Fagott  merkwiirdiger  Weise 
die  Singstinime  in  der  Octave  begleitet,  hat  eine  cavatinen- 
massige  Form. 

,,Nach  den  Worten:  Weinete  bitterlicb.  Bass-Arie  No.  III. 
(B-dur  %  2  Fluten.  Quartett)  nicht  zu  kugsain. 

,,Mitten  unter  delnen  Schmerzen" 

ist  wie  die  vorlge  Arie  kurz}  ohne  MitteLsatz,  tin  Ganzen 
melodisch;  doch  nicht  ohne  einen  altmodischen  Anstrich. 
,,Accompagnement,  laugsam  und  1m  Tempo. 
Thranen  bittrer  Eeue  fliessen 
Von  sein©m  Angesicht. 
Und  sie  schamt  sich  zu  vergiessen 
Der  gerilhrte  Jiinger  nicht 
Er  enteilet  dem  GetummeIT 
Flehet  briinstig  zu  dem  Himmel, 
Dass  Gott  ihm  die  Schtild  verzeih', 
Und  im  Scfawacben  macbtig  sei." 

erne  hocfast  mittelffifesige  Composition. 

7,Gleich  daranf  foigt  der  Cbor:  (C-dar  *,.*,  -2  FlSten,  gtreiein 
Quartett) 


—   286 


Deinem  Freunde  bin  ich  ahnlieh,      Stets  auf  Deinein  Pfad  zu  wandeln, 
Aeh,  erbarme  ineiner  dicli!  Liebevol],  wie  Du,  zu  handeln, 

Siehy,  ich  fleh'  zu  Dir  so  sebnlieb,      Bis  zura  Tode  treu  zu  sein, 
Stirke,  leite,  bessre  micb.  Dies  sei  meine  Lust  allein.u 

Dieser  Chor  ist  wie  der  Eingangschor  liomophon?  me- 
lodisch,  doch  nicht  von  jener  Wiirde  und  Feierliehkeit, 
die  einer  solchen  Musik  ihren  Charakter  verleihen  sollte. 
Wenn  man  den  Schlusssatz  betrachtet, 


Biszum  To-de  treu  zu      sein. 


Dies    sei      mei   -   ne    Lust      al  -  lein,         meine  Lust  al  -  lein. 


s^  wird  man  sich  sagen  raussen?  dass  em  so  liederartiges 
Muslciren  nicht  in  den  Gottesdienst  der  Oharwoche  passen 
konnte. 

>?Nach  den  Worten:  Der  Kraft  Gottes.  Arie  (fur  Bass.  D-dur  2/4, 
ofane  Hobo^n  mit  Streich-Qnartett)"  Lebbaft  und  niebt  ohne  einen 
gewissen  Crlanz, 

w^ach  den  Worten:  Was  sie  thun.  Arie  (fur  Tenor.  E-moIl  2/4 
ohne  Hoboen  rait  Floten.)  Langsam.    Die  1.  und  2.  Flote  gehen  mit 
der  1.  nnd  2.  Yioline. 

nErstaunend  sen1  ieh  diese  Hal 3." 
^tzt  ohne  Vorspiel  ein;  ist  von  keiner  Bedeutung. 

nllaeli  den  Worten:  im  Paradiese  sein.  Arie  (fur  Bass.  C-dur 
X,  Steieli-Quartett} 

Wenn  sich  zu  jener  Seeligkeit 
Empor  die  Beele  scfawinget" 
eb^nfalls  nieht  von  toher^m  Werlhe  als  die  vorige. 

r,Nacn  den  Worten:  YerseMed  er.  Cfaor- Largo,  enthait  BTIT 
eine  Wiederholung  de^  ersten  Cbors  zu  den  Worten; 


—    287    — 

,,Herr,  dein  Friede  sei  mit  mir, 

Und  auf  mem  Gewisseo, 

Wenn  es  zaget,  lass  ron  DIr 

Trost  und  Freude  fliesseo. 

Trost  ergiesst  In  jedes  Herz 

Sich  aus  jenem  Herzen. 

Auch  den  biingsten,  herbsten  Selimera 

HeileB  Deine  Sehmerzen." 

-Das  Werk  schliesst  mit  Choral  No.  110,  V.  5. 
Die  vorstehende  Passion  ist  diejenige?  aus  welcher 
man  das  Gerippe  der  anderen  am  deutlichsten  erkennen 
kann,  weil  sie  in  der  Disposition  vollstandig  Lst.  Die  Ver- 
gleichung  zwischen  ilir  und  den  vorliergelienden  melir 
oder  weniger  bedeutenden  Bruclistiicken  zeigt  deutlich, 
dass  alle  21  Passionsmusiken  nacli  demselben  Zusclinitt 
gefertigt,  ohne  wesentlichc  innere  organise  he  Verschieden- 
heiten  im  Charakter  einer  geistliclien  Unterfialturigsmusik 
von  vorwiegend  sinnlicher  Bedeutung  geschriaben  waren. 
Mag,  wie  in  dieser  letzten?  die  Arienform  vorlierrsehen? 
oder  mogen?  wie  in  anderen,  die  eingestreuten  Chorale 
und  die  sonst  vorkonimenden  niehrstimniigen  Sktze  eine 
hervorstechendere  Rolle  spielen,  alien  fehlt  die  kirchliche 
Wurde  und  Erhabenheit,  jener  unbeugsame  Ernst,  welcher 
der  Feier  der  Leidenstage  des  Heilands  ziemt  Sonadh 
lasst  sich  iiber  diese  zahlreichon  Arbeiten  nui*  sagen,  dass 
ihr  Schopfer  vor  der  Nachwelt  grosser  dastehen  wiirde? 
wenn  er  sie  nicht  geschrieben  hiitte. 

Eine  andere  Kirchenmusik,  welche  gleichfalls  dem 
letzten  Decennium  d^  Meisters  angehort?  ist  in  dem  Oegen- 
stande  ihrer  Darstellung  den  Passioasmnsiken  rerwandt? 
staht  ihm  aber  der  geringeren  ausseren  Ausdehnuiig'  un- 
geachtet  weit  voran.  Es  ist  dies 

c)  die  Osterquarfal-Musik  von  1784, 

welche  in  der  zu  Berlin  befindlichen  Original-Partitur  mit 
der  Untersetrifi  ^cbn  20,  Januar  1784"  yei^ehen  isi  Sie 
besteht,  wie  die  naeisteii  ffa*  die  Earehen  Hajoaburg®  ge- 
sc^iriebenen  Muaike%  aus  2  TbeHe&j  deren  anste1  mi* 


—    288    — 

No.  1.  Chor.    (Adagio.    D-moll%    2  Oboen.    Streich-Quartett) 

beginnt: 

,,AnbetungT  dem  Erbarmer!    Preis  nnd  Ehre 
Dem,  der  fur  uns  den  Tod  der  Sunder  starb, 
Der  uns  durch  Blut  und  Tod  ein  ewig  Gliick  erwarb,u 
Der   yierstimmige   Satz   1st   geftthlvoll,    etwas    welch, 
dock  von  festgegiiederter  Declamation.      Die  Instrumente 
dienen  im  Wesentlichen  mir  als  Begleitungsgrundlage.  Die 
zweite  Abtheilung  im  Allegro 

,,HalIeIujah!   Jesus  lebet, 
Erluste  Menscben,  o  erhebet 
Des  Gottverso'imers  Majestat!"  etc.  etc. 

1st  der  vieleii  Worte  ungeachtet  kurz,   declamatorisch  und 
nicht  ohne  Energie, 


f     PH  *     ' 


Hal-le-Iu-jah,  Je-sus    le-bet,  er - 16 -  ste  Menscben,  o 

'      S-S-J- 


er- 


he-bet  des  Gottver  -  sohners  Ma-je-stat, 


in  etwas  oberflaehlicher  Schreibweise  gesetzt. 
Dem   gegeniiber   steht  No.  2.  Acconipagnement  (,,fur 
IBariton,    streng  nach  dem  Tabt")    als   ein  Muster    edler 

Lyrik  da. 

Wir  standen  weinend,  tief  in  Sdimerz  verloren, 
Urn  diese  Graft    Sie  deekte  den, 
Ber  fur  die  Sunder  einst  in  Knecbtsgestalt  geboren 
Yon  ihnen  der  Yerfolgnng  Scbwacbe 
Erduldete,  der  in»s  Gericht  dahingegeben 
Fiir  uns  des  Tod,  ein  Raufo  der  Leiden,  sah. 
Wir  sab'n  ihn  sterben!  0  wie  war  nns  da, 
Denn  unsrer  Sehnlden  Opfer  ward  sein  Leben. 


—    289    — 

Eineherrlielie,  an  die  begleiteten  Recitative  derMatthau»- 
Passion  Sebastian  Bach's  erinnernde  melodische  Decla- 
mation zu  einer  Instrumental  -Begleitung  voller  Innigkeit 
und  tiefen  Gefuhls. 

No.  3.  Arie  (ftir  Bass.  F-molI  %7  Viollni  con  sord.) 
mit  dem  Fagott,  das  in  obligatem  Gange  mit  der  Gesangs- 
stimme  concertirt?  und  schon  dureh  die  instrumental 
Wirkung  iiber  den  gewohnlichen  engen  Kreis  der  Arlen- 
form  hinaustritt. 

No,  4.  Accoinpagnement. 

,J)oeh  nun  verwandelt  sicn  der  schiiehterne  Gesang 

Der  Traurigkeit  in  bunte  Jubellieder, 

Der  dem  Vo] lender  singt    Sein  Arm 

Bezwingt  das  Grab,  nnd  seioe  Glieder 

Deckt  nun  nicht  linger  Todea  Nacht. 

Frohlockt!  der  fiir  uns  starb,  erwacht! 

Der  uns  erloste,  lebet  wieder." 

in  einer  deni  vorigen  Acconipagnement  nahe  koniinender 
Weise?  leitet  No.  5.  Arie  (fiir  Sopran,  (J-dur  4/4,  Streicb- 
Quartett)  ein,  *welche  in  der  alten  Form  und  sebr  Iang7 
doch  brillant  und  nieht  ohne  Feuer  ist?  und  in  der  die 
erste  Violine  sich  in  den  bei  Emanuel  Bach  so  hiufig 
angewendeten  Passagen  bewegt. 

No.  6.  Recit  secco  fiir  Alt  ftihrt  zu  No.  7.  Cfaor, 
dem  Haupttheile  des  Werks,  fiber: 

nHerr,  es  ist  Dir  Keiner  gleieh  unter  den  Gotten*,  und  1st  Hienaand, 
der  thun  kann  wie  Du!  Hallelujah!  (Ps.  8<>,  81. 
(Allabr.  D-dur,  Moderato?  3  Troinpeten7  Fauken?  2  Floten 
im  Anfang  mit  dem  Tenor  in  der  hoheren  Octave,  2  Oboen 
im  Anfang  mit  der  2.  Violine ,  Streich-Quartett  mit  den 
Gesangsstimmen)  eine  Doppel-Fuge  im  grossen  Styl,  weiche 
mit  dem  Thema  des  ??Sicut  locutusest"  aus  dem  Schluss- 
cbor  des  Magnificat  als  Hauptthema  im  Bass  begiimt1}, 


i)  Vergl.  Bacfeys  Brief  vom   5,  Mara  1783   aa   die 
Amalie  (im  Asita^)* 

Bitter,  Emannel  and  Pried«Ba*rtn  Baeli.  10 


i  y  fa  fls  w  —  -j 

.  ^  9 

—  ^H  n  

!T    *       c 

—  ©  —  :  1  ' 

—  rf-        J         =3 

Herr,         es 

>^7^  j  j  

1st                dir 

^U  Q  , 
Kei      -      ner 

-«•  v 

!*y'fijj    (p        |      *      e      J  _ 

*-*-*   -j  -1   1 

_i-  Llf_j  •  ^ 

Herr,          es  1st  dir 


gleich        —  un      -      ter  den     Got 


K"i     -     ner          gleich 

_o ^__±r-^>i. 


tern. 


das  IB  reicher  Arbeit  und  stronger  Behandlung 

ist  ^nd  dem  sieb  demnaehst  das  zweite  Haiiptmotiv 


^^sr__«T-r_ 

^-*—  . 

-'JJ.-I  '•-- 

J      |      I      j  j-^  

:    <fa  ^      7  -J-J~-^  * 

'|                    Hal 

- 

*  •*  J  •   *  •  y  "•-'  —  1 

i—  ^J-^g—  ^  )      j      {  j 

,_   -   f 

^ 

^^  '  "^. 

—  =S~T  ' 

y>_. 

—  —  f  —  p—  •  — 

—    291    — 


Hal 


-O .-.:. •-- 


IB  jenem  gllinzenclen  und  uberans  priichtigen  Aufbau  und 
in  so  bewunderiLswertherDurcliarbeitung  und  VerscLlingung 
der  Stimmen  anreilit,  wie  deren  bereits  bei  dem  Slagniticat 
Erwahnung  gescheken^  und  vermoge  deren  diese  Fuge 
wohl  ohiie  Zweifel  zu  den  bedeutendsten  und  vollendetsten 
Leistungen  der  contrapunktischen  Schule  gezahlt  werden 
darf.  Der  Sehluse,  in  welchem  die  Stimmen  in  dem  eraten 
Hauptthema  vereinigt  werden. 


Herr,  ea        ist    dir     Kei  -  ner 


Hal 


le      -     la 


ist  einfoch  snd  grc^sartig.  Die  Instrnmente  gehen  in  ab- 
weehiselnder  Weise  meist  mit  dem  Gesange,  aber  mit  ®ehr 
glClcklicher  Eereehuuiig  im  Einzelnen  und  mit  grosser 
Wirktmg. 


—    292    — 

Der  Choral  No.  1557  9  (des  Hamb.  Ges.-B.)?  n 
sel  Dir7  o  Friedenslurst,"  fur  alle  Instrumente  sehr  sorgsam 
gesetzt,  sehlle.st  den  ersten  TheiL  Die  Musik  211  dem  zweiten 
IVile  ist  nicht  bekannt.  Der  Text  euthielt  4Nurommern  und 
inag  wolil  der  von  Bach  in  seinen  Kirchen-Arbeiten  beliebten 
Hanier  geinkss  von  einem  andern  Tonsetzer  componirt 
worden  sein.  Bach's  eigenhSndige  Bezeichnung  des  Datums? 
wie  sie  oben  angegeben;  bezeugt  oftenbar,  dass  er  seine 
Arbeit  an  dem  Werke  beendet  hatte.  Die  Wirkung  jenes 
prachtvoll  fugirten  Ohors  zu  iiberbieten?  mochte  ihm  selbst 
schwer  geworden  sein.  Wie  sich  sein  Theilnehmer  an 
dem  Werke  damit  abgefunden  habe,  das  zu  erforschen;  lag 
ansser  dem  Bereiche  dieser  Erorterungen. 

Wirft  man  von  den  bisher  besprochenen  Kirchencom- 
positionen  aus  einen  vergleichenden  Riickblick  auf  die  von 
Bach  in  seiuer  Berliner  Zeit  geschriebenen  grossartigen 
Tonwerke,  so  findet  man  ihn  nach  Verlauf  eines  SOjahrigen 
Zeitraums  und  unter  Unistanden,  die  ihm  in  selten  gliick- 
licher  Weise  jede  in  der  Kunst  mogliche  und  berechtigte 
Freiheit  der  Bewegung  gestatteten?  auf  der  Bahn  wieder? 
welcher  die  ersten  Anfange  schon  in  dem  Magnificat  ent- 
Htammten  und  die  in  der  Oster-Cantate  von  1756  deutlich 
erkennbar  war.  Wohl  steht  die  Oster-Cantate  von  1784 
holier  als  alle  seine  Prediger-Einfuhrungs-  und  Passions- 
niusiken  zusanimengenommen.  Auch  ist  er  in  ihr  mindesfens 
theilweise  wieder  zu  der  polyphonen  Schreibart  zuriickge- 
kehrt.  Aber  grade  diese  Betrachtung  und  die  Vergleichung 
niit  den  anderen  Musiken  zeigt,  dass  ihm  bei  seinen  Kirchen- 
stiicken  ein  bestimnites  kunstlerisches  Ziel  nicht  vor 
Augen  lag. 

Dies  fuhrt  auf  die  Frage  zuruck,  aus  welchem  Grunde 
Emanuel  Bach,  der  grade  in  derselben  Periode  seines 
Lebeus  durch  zahireiche  und  vortreffliche  Ai*beiten  gezeigt 
hatte,  dass  ihm  die  Bedingungen  einer  wiirdigeri  kirch- 
lichen  Slnsikiibuug  nicht  fremd  geworden?  den  kircluichen 
Styl  in  dem  Maasse  unbeachtet  gelassen ,  naben  mochte? 


—    293    — 

dass  man  in  der  grossen  Mehrzahl  seiner   fur  die  Kirche 
gesetzten  Tonwerke  kaum  eine  Andeutung  davon  findet? 
Burney1)    hat    bei    Gelegenbeit    seines    Besuchs   in 
Hamburg  gewisse  Aeusserungen  Bach's  aufgezeichnet,  die 
tiber  die  Art  and  Weise;  wie  er  das  streng  contrapunktische 
Wesen  der  alien  Schule  beurtheilte,  Auskunft  geben  sollen. 
.,Er  sprach  mit  wenig  Ehrerbietung  von  Canons,  und  sagte 
es  sei  trocknes,    elendes  und  pedantisches  Zeug,    das  ein 
jeder  inachen  konne,  cW  seine  Zeit  daniit  verderben  wolle. 
Ihm  sei  es  jedesmal  ein  sicherer  Beweis;  dass  es  demjenigen, 
ganz  und  gar  an  Genie  fehle,  der  sich  niit  einem  so  knech- 
tischen  Studircn  abgebe.    Er  fragte  mich,  ob  ich  in  Italien 
viele  grosse  Contrapunktisten  getroffen  habe?  und  auf  meine 
verneinende  Antwort  versetzte  er:    Nun,    es    wttrde   auch 
nicht  viel  sagen;   wenn  sie  auch  batten;    denn  wenn  man 
den  Contrapunkt  auch  recht  gut  versteht,  so  gehoren  doch 
noch  yiel  andere  wesentliche  Dinge  dazu;    wenn  man  ein 
guter  Componist  werden  will.     Er  sagte?  er  habe  einst  an 
Hasse  geschrieben,  er  ware  der  listigste  Betriiger  von  der 
Welt;  denn  in  einer  Partitur  von  zwanzig  vorgezeichneten 
Stimmen  lasse  er  selten  niehr  als  drei  wirkliche  arbeiten; 
und  mit  dieseii  wisse  er  so  himmlische  Wirkungen  bervor- 
zubringen,  als  man  niemals  von  einer  vollgepfropften  Par- 
tiiur  erwarten  durfte." 

Doch  ergiebt  sich  hieraus  nur,  dass  Bach  den  Miss- 
brauch  mit  contrapunkti^chen  Schwierigkeiten  und  Kunst- 
stiicken?  den  Contrapunkt  und  die  Canons,  welche  um 
ihrer  selbst  willen  gesetzt  werden,  verworfen  hat. 
Hiitte  er  hierin  welter  gehen  wollea,  so  vriirde  er  zugleich 
seine  eignen  besten  Compositionen  und  alle  Grundbedin- 
gungen  haben  verleugnen  miissen,  auf  denen  die  Bedeutung 
und  Grosse  seines  Vaters  und  seine  eigue  niusikalische 
Bildung  beruhte.  Selbst  talentvolle  Musiker  ncuerer  Zeit, 
nicht  bloss  diejenigen?  die  mit  geistloser  Ueberschatzung 


Musik.  Reisen.    IU.    S.  192. 


—    294    — 

ikres  eigenen  Schaffungsverinogens  Mangel  an  gritndlichem 
Wissen  und  schulmassiger  Durchbildung  verbinden,  halten 
den  alten  Kirchenstyl  fur  einen  uberwundenen  Standpunkt. 
Emanuel  Bach  that  dies  nicht;  aber  in  den  Passions- 
musiken  hat  er  ihn  verlassen,  ohne  etwas  anderes  gleich 
Berechtigtes  an  seine  Stelle  zu  setzen.  Was  hat  er  damit 
erreicht,  als  dass  er  eine  Reihe  von  mit  Recht  vergessenen 
Arbeiten  gefertigt  hat?  GUaubte  er  vielleicht  auf  dem 
den  grossen  Ideen  seines  Vaters  entgegengesetzten  Wcge 
zu  gleicher;  vielleicht  hoherer  Wirkung  zu  gelangen? 
Wollte  er  der  Kirchengenaeinde  fasslicher  7  verstand- 
liober  sein?  Oder  niochte  er  in  der  Erinnerung  tragen? 
dass  man  die  herrlichen  Musiken  seines  Vaters  in  den 
Kirchen  zu  Leipzig  nicht  ihrem  Werthe  nach  gewiirdigt 
hatte?  In  jedem  Falle  hatte  er  wissen  mussen,  dass  die 
rechte  Wirkung  nur  mit  den  rechten  Mitteln  erzielt 
werden  konne. 

Nicht  den  polyphonen  Styl,  weil  er  polyphon  1st,  nicht 
die  Form  der  F age,  weil  sie  Fuge  ist,  nicht  den  doppelien 
oder  einfachen  Contrapunkt,  weil  er  gelehrt  1st,  mochte 
man  der  Kunst  gewahrt  wissen.  Wohl  aber  hat  der  alte 
Kirchenstyl  das  Empfindungs-Vermogen  der  Menschen  seines 
eignen  Zeitalters  an  der  rechten  Stelle  getroffen  und  triflft 
es  auch  noch  in  heutiger  Zeit.  Darum  sollte  man  ihn  nicht 
aus  kindischer  Furcht;  altvaterisch  zu  erscheinen  oder  des- 

aufgeben?  weil  er  muhsarn  zu  erlernen  und  noch  muh- 
in  der  Ausarbeitung  ist.  Denn  lernen  und  arbeiten 
muss?  wer  schajffend  niitzen  will.  Wem  der  echte  Genius 
mnewohnty  der  wird  stets  im  Stande  sein?  die  Form  dem  Geist 
anziipassen,  durch  den  er  belebend,  erhebend,  begeisternd 
wirken,  in  dem  sich  seine  Individualitat  frei  und  treu  kenn- 
zeichnen  kann.  Hat  denn  uberhaupt  die  Form  einen  anderen 
Zweck  als  den?  den  Inhalt  helfend  und  klarend  zum  Ver- 
standniss  zu  bringen?  Es  ist  ein  nicht  hoch  genug  zu 
schatzendes  Verdienst  Mendelssohn's,  dass  er;  nach  rein 
kimstlerischer  Eingebung  haudelnd,  gezeigt  hat,  wie  der 


—    29&    — 

schopferische  Geist  in  den  Fornien  nicht  zu  Grunde  geht? 
sondern  sich  in  ihnen  klart,  hebt  und  veredelt. 

Das  Beispiel,  das  in  diesem  Abschnitt  der  Biographic 
eines  grossen  Meisters  gegeben  worden,  ist  ebenso  belehrend 
als  tiberzeugend. 

Von  E manual  Bach's  iibrigen  Kirchenstiicken ,  ins- 
besondere  von  den  Musiken  fur  bestimmte  Sonn-  und  Fest- 
tage  ist  verhaltnissmassig  wenig  bekannt  Eine  eigne  Ab- 
theilung  derselben  bilden 

d)   Ore  Kirchen-Chorer 

theils  fur  sich  abgeschlossene  Compositionen  geringeren  Urn- 
fangs,  theils  dazu  bestimmt,  je  nach  dem  Bediirfniss  mit 
anderen  gleichartlgen  Stiicken  zu  einem  cantatenahnlichen 
Ganzen  zusammengestellt  zu  werden. 

In  kiinstlerischer  Hinsicht  stehea  sie  mehrentheils  auf 
einer  hoheren  Stufe  als  die  bisher  betrachteten  Kirchen- 
Compositionen. 

Zu  ihnen  gehort  zunachst  der  schone  Chor:  ??Leite 
mich  nach  Deinem  Willen,"  (2  Violinen^  2  Oboen, 
2  Horner,  Viola,  Bass,  A-moll  4/4)  componirt  am  5.  Mai  1785. 

Bach  sagt  uber  ihn  in  dem  im  Anhange  enthaltenen 
Briefe  an  die  Prinzessin  Amalie,  der  er  diesen  Choral 
unterni  5.Marz  1787  uberreicht  hatte:  >?Im  beigefugten  Choral 
ist  zwar  nichts  kiinstliches.  Ich  habe  aber  der  Worte 
wegen  auf  eine  harmonische  Einkleidung  gedacht,  welche 
ohngeachtet  ihrer  Dreystigkeit  keine  iible  Wirkung  macht. 
Die  Melodie  wird  in  lauter  leichten  Intervallen  von  der 
Harmonie  durch  schmale  und  rauhe  Pfade  geleitet  und 
jsie  folget  kindlich."  Er  hat  hiermit  dies  kleine  Werk  in 
treffendster  Weise  charakterisirt. 

Der  erste  Vers  mit  der  Ueberschrift  ,,Sehr  langsam, 
die  NoteB  gut  ailsgehalten"  lautet  in  der  vierstimnrigea 
HarMonie  nach  einer  Einleitu-ng  vo»  2  Takten: 


296    — 


Lei-  te        mich  nach      dei-nem       Wil-len. 


,  J       _ 

— O         O  -  -I O— Jfe- 


^P 


zpzrJSE 
:f=ifM 


Ganz  ver   -   lass    jch       mich  auf        dich 

,         ,  I      -I          J      J        „    I  ^ 


Dass  ich 


al  -   le        rnei  -  ne  We  -  ge       kind    -    lich,     kind-lich 


3=: 


dir      be    -    fell  -  len       mo  -  ge. 


Dar-in, 


Grott,  er    -    hal  -  te       mich. 

^_d      '  *•' 


Die  Blas-Instrumente  folgen  als  "Verstarkung  den  Stimmen, 
die  Violinen  und  die  Bratsche  in  V4  Noten  von  der  Tiefe 
nach  der  Hohe  springend,  stellen  gebrochene  Begleitungs- 
accorde  dar. 


—    297    — 

Der  Choral  selbst,  niit  seiner  vom  18.  Takte  ab  sich 
erhebenden  Steigerung  bewegt  sich  in  iiberraschenden  und 
feinen  Modulationen. 
Im  zweiten  Verse 

,,Ist  gleich  Deine  Bahn  oft  dunkeL, 

Doch  betret  ich  sie  voll  Muth. 

Deine  Weisheit,  Deine  Gnade, 

Fiihrt  sie  mich  gleich  rauhe  Pfade, 

Dennoch  fuhret  sie  mich  gut." 

schweigen  die  Blas-Instrumente,  die  Violinen  und  Bratschen 
schlagen  auf  dern  2.  und  4.  Viertel  der  Begleitung  nach, 
wahrend  der  Choral  in  seinem  grossen  harmonischen  Fort- 
schreiten  mit  den  in  uberraschender  Folge  auftretenden 
Bassen  wie  der  diistre  Gang  dorch  ein  von  Nacht  erfiilltes 
Leben  erscheint 

Im  3,  Vers   dbernehmen  die  Violinen  eine  anmuthige  . 
den  Gresang  leicht  umspielende  Begleitungsfigur: 


fe 


wahrend  die  Bratsche  zuerst  mit  dem  Tenor  gehend,  vom 
5.  Takte  ab  in  eine  selbstandige  Bewegung  libertritt,  die 
in  zum  Theil  synkopirten  Noten  eine  Gegenbewegung  gegen 
den  Choral  enthalt: 

?7Unyerzagt  will  ich  Dir  folgen? 

Dessen  Weg  nicht  irren  kann. 

Freud7  und  Leiden,  Tod  und  Leben, 

Alles?  wie  Du  mir's  gegeben; 

NehmJ  ich  dankbar  von  Dir  an.^ 
Wie  der  leuchtende  Grlanz  des  anbrechenden  Morgens^ 
so  schreitet  die  Harmonie  in  klarer  lichtvoller  Bewegang 
einher. 

Das  Ganze  bildet  ein  harmonisch  in  sich  vollendetes 


—    298    — 

Kunstwerk  von  eigenthumlich  sanfter  und  kindlich  reiner 
Stimrnung. 

In  diesem  Werke  zeigt  sich  der  Gegensatz,  in  welchem 
E manual  Bach  zu  seinem  Vater  stand,  in  edelster  Form. 
Hier  der  reiche  Wechsel  der  Modulationen,  der  sich  in  den 
drei  Versen  auf  dem  Grunde  homophoner  Fortschreitungen 
cntfaltet,  gehoben  durch  den  melodischen  Reiz  und  die  in- 
strumentale  Begleitung;  dort  die  Vertiefung  in  den  Wort- 
laut  des  Gedichts,  dargestellt  durch  die  wunderbaren  har- 
raonischen  "Wirkungen,  welche  die  contrapunktische  Be- 
wegung  zu  Stimmungs-Bildern  edelster  Art  erhoben  hat. 

Emanuel  Bach  schrieb  das  kleine  Werk  in  einem 
Jahre,  das  fiir  ihn  in  Bezug  auf  den  Chorgesang  besonders 
schopferisch  war,  in  dem  Jahre  der  Entstehung  des  Morgen- 
Gesangs  am  Schopfungstage,  einer  Gelegenheits- Cantate? 
des  Chors  7,Amen,  Lob?  Preis  und  Starke,"  des  Ohors 
77Meine  Lebenszeit  verstreichtr"  einer  Prediger-Einfuhrungs- 
und  einer  Passions-Musik. 

Yon  diesen  Choren  ist  die  Composition  des  ^Amen, 
Lobr  Preis-  und  Starke,"  aus  Sturm's  geistlichen  Liedern 
(I.  No.  4)  entnommen,  fur  den  Sonntag  Quasimodo  geniti 
1783  zur  Auffiihrung  in  der  St.  Catharinen-Kirehe  bezeichnet. 

Der  Ghor  besteht  aus  zwei  Versen  von  vollig  gleicher 
QoN&pasitM»L.  In  der  homophonen  Weise  der  Mehrzahl  der 
Bach'sdben  Chore  gesetzt,  im  Uebrigen  melodio«;  rhythmisch, 
w&  T'r0-fflpeten?  Pauken?  Oboen  und  dem  Streich-Quartett 
begleitet,  tragt  er  den  Charakter  des  ursprunglich  Lieder- 
massigen  an  sich?  der  fiir  kirchliche  Wirkungen  nicht 
passt.  Die  Violinen  begleiten  in  den  bekannten  jubelnden 
Passagen. 

Bei  einer  spateren  Auffiihrung  (an  einem  Michaelis- 
feste)  folgte  ihm  noch  einEecitativ  mit  dem  T^xte:  ??Dich 
sehenwir  g^martert  und  zerschlagen,"  dessenMusik 
nicht  mehr  vwhanden  ist,  und  dann  der  im  Jahre  1774 
eomponirte  Chor:  ?7Wer  ist  so  wiirdig  wie  Du," 

Piese  Michaelis-Musik    war   aus.  MusikstackeB   ver- 


—    299    — 

scbiedener  Art  zusaminengesetzt  und  so  zu  einer  Cantate 
gebildet  worden. 

Konnte  bei  einer  derartigen  Behandlung  der  Kirchen- 
Musik  der  Ernst  ?  die  Wiirde  und  Hoheit  der  Religion, 
als  deren  Schniuck  und  fur  deren  Anregung  sie  doch  be- 
stimmt  war,  gewinnen?  War  nicht  dies  Zusarnmenlesen 
der  Cantaten  aus  verschiedenen  Stticken  verschiedener 
Meister  ein  Nothbehelf  fur  den  mangelnden  Ernst  im  Streben 
und  in  der  Arbeit?  War  diese  Art  der  Musik  nicht  wesent- 
lich  und  vor  Allem  dazu  angethan?  die  Kirchen-Gemednde 
sinnlich  zu  unterhalten  und  so  eher  geeignet,  sie  von  dem 
Hochsten,  das  sie  in  der  Kirche  suchte  abzuziehen,  als  sie 
darauf  hinzuleiten?  Konnte  dabei  der  innere  Zusammen- 
hang  der  Musik  mit  dem  Gottesdienste  des  Ta-ges  erreicht 
werden? 

Der  Gellert'sche  Chor:  ??Meine  Lebenszeit  ver- 
streicht/£  aus  deniselben  Jahre  wie  die  vorigen  lierrfihrend 
(Adagio  Es-dur  %  rait  3  Trompeten,  Panken,  2  Oboen  und 
Quartett),  im  einfachen  Liederton;  doch  in  der  Melodie  voll 
Wiirde  und  Anmuth,  gehort  jedenfalls  dem  Besten  an?  was 
Emanuel  Bach  in  dieser  Art  geschrieben  hat- 

Ein  andrer  der  bereite  erwahnten  Chore:  3?"Wer  ist 
so  wiirdig  etc."  (aus  dem  Jahre  1774)  ist  den  Cramer7- 
schen  Psalmen  (No.  8.)  entnommen.  Ihn  zeichnet  ein  glanzen- 
der  declamatorischer  Styl  aus.  Die  im  Unisono  des  Quar- 
tetts  beginnende,  in  reicher  Pracht  durcbgefiihrte  Orchester- 
figur  von  der  scharf  accent uirten  Begleitung  der  iibrigen 
Instrumente  durchbrochen,  hebt  den  vierstimmigen  Satz.  In 
der  liederartig  declarnatorischen  Behandlungy  die  hier 
gleichwohl  der  Wiirde  des  Satzes  keinen  Eintrag  thut,  be- 
fand  sich  Bach  in  dem  ihm  besonders  zusagenden  Bereich, 
ifnd  so  hat  er  in  diesem  Chorsatz  ein  schones  Musrkstiick 
geschaffen,  das,  wenn  man  einmal  die  Art  an  und  fiir  sich 
anerkennen  will,  jedenfalls  seinen  besten  Arbeiten  fur  die 
Kirche  zuzuzahlen  ist.  Auch  diesen  Chor  findet  man  in 
Texten  aus  jener  Zeit7  welche  fur  die  dortigen, 


—    300    — 

gedruckt  waren,  mit  an  der en  Choren  und  Recitativen  zu- 
r<ammengefugt,  ein  abermaliger  Beleg  dafiir,  wie  Bach 
einzelne  Stiicke  zur  Zusammenstellung  soldier  cantaten- 
artiger  Musiken  zu  verwenden  pflegte. 

Uocb.  sind  zu  nennen: 

;,Trost  der  Erlosung,"  V.  l.;  8.,  14.  und  17.  aus 
Oellert's  ??Gedanke;  der  uns  Leben  giebt"  Sstimmig 
mitBass  (Sopran,  Alt,  Bass)  abweichend  von  Bach's  sonstiger 
Compositions weise  in  vollkommen  polyphonem  Styl  und 
von  herrlicher  Durchfuhrung. 

,,Der  Kampf  der  Tugend,"  V.  1.,  2.?  8.  und  II.  aus 
Qellert's  ,,0ft  klagt  dein  Herz,  wie  schwer  es  sei" 
(H-moll  6/4  4-stimrQigj  ernsthaft).  Der  erste  Vers  hoinophon; 
der  zweite  fur  Sopran  und  Bass  zweistinamig.  V.  8.  fur 
Tenor  und  Bass.  V.  11.  vierstimmig,  durcliweg  von  hoher 
Schonheit^  verdionte  wohl,  der  Vergessenheit  entriickt  zu 
warden. 

Aus  Sturm's  Liedern,  Th.  2?  S.  5.  V.  L,  4.  und  5. 
??Uich  bet'  ich  an,  Herr  Jesu  Christ"  C-dur  jnit  be- 
ziffertem  Bass  far  Sopran  und  Alt,  choralrnassig  dem 
vorigen  Satze  ahnlicL,  eignet  sich  dies  Stuck  vorziiglich 
zu  froinmem  Gesange  in  der  Stille  des  Hauses. 

Bitten.  Vier  Verse  aus  Gellert's  ,,Gott,  Deine 
Giite  reicht  so  weit,"  (G-moll  s/-i  niit  beziffertem  Bass). 
Der  erste  Vers  vierstimmig,  der  zweite  und  dritte  Vers 
im  Wechsel  von  Alt  und  Sopran  gegen  Tenor  und  Bass, 
die  Schlussstrophen  dieser  Verse  gemeinschaftlich.  Der 
vierte  Vers  vierstininiig,  in  langen  Accorden  bis  zum  leisesten 
Pianissimo  verhallend,  wie  die  vorhergehenden  Satze  von 
vorziiglicher  Schonheit. 

In  einem  Kataloge  von  Musik  und  Btichern, 
welche  im  Jahre  1844  in  Leipzig  versteigert  werden  sollten1), 
finden  sich  von  Emanuel  Bach  als  geistliche  Cantateri 
noch  angefuhrt: 


In  der  K.  Bibliothek  zu  Berlin. 


—    301    — 

No.  854:    Grottes  Grrosse  in  der  Natur. 
7J     855:    Gott  Israel,  einpfange  *). 
„     857:    Jesus  Christus,  cler  clas  Leben. 

Es  lasst  sich  aus  dieseii  Angabeii  natiirlich  niclit  er- 
sehen?  ob  es  sich  hier  uni  wirkliche  Arbeiten  Bach's  ge- 
handelt,  oder  welche  sonstige  Bewandniss  es  mit  jenen 
Cantaten  gehabt  haben  mag. 

Allen  diesen  Tonstiicken  weithin  iiberlegen  ist  der 
grosse  Doppelchor 

e;    H  e  i  I  i  g  , 

mit  dern  sich  Bach  unmittelbar  neben  die  ersten  Meister 
seines  Jahrhunderts  gestellt  hat.  In  der  That  scheint  er 
rnitunter  das  Bedtirfniss  gefuhlt  zu  haben,  sich  aus  den 
lyrischen  Grefiihls-Ergussen,  in  die  er  sich  so  sehr  hinein- 
gelebt  hatte,  herauszureissen  und  sich  in  der  kraftig  ernsten 
Weise  seiner  Vorfahren  etwas  zu  Gute  zu  thun.  Er  warf 
sich  dann  rnit  der  vollen  Macht  seines  Genius  auf  die  ver- 
wickeltsten  contrapunktischen  Aufgaben  und  schuf  Werke, 
mit  denen  er  sich  weithin  liber  Alles  erhob,  was  er  sonst 
in  diesem  Felde  zu  leisten  pflegte. 

Das  Heilig;  1778  geschrieben  und  zunachst  einer 
Oster-Musik  angehorig,  ist  schon  irn  Jahre  1779  ina  Druck 
erschienen2).  Dasselbe  besteht  aus  eineni  grossen  von  zwei 
Orchestern  begleiteten  Doppelchore  mit  kurzer  Einleitung 


1)  Yielleicht  den  Israeliten  in  dei  Wiiste  eninommen. 

2)  Das  der  ersten  Ausgabe  vorgedruckte  Verzeichniss  weisst  240 
Subscribenten  nach,  daranter  aus  Berlin  27  (Prinzessin  Amalie  von 
Freussen,  Kirnberger,Schulz,Sulzer  und  SMusiker  und  Cantoren), 
aus  Gottingen  Fork  el,  ferner  37  Namen  aus  Hamburg,  25  aus  Copen- 
hagen,  13  aus  Hannover  und  Holstein,  10  aus  Ludwigstadt  (wobei 
4  von  der  Herzoglichen  Familie),    Moscau,    Beval,   Kiga,    Stettin, 
die  Ukermark  und  Scbiesien  und  in  Suddeutschland  Ulm.   In  Ungarn 
hatte  der  Kardinal  Primas  Ftirst  Batniany  unterschrieben,  in  Wien 
Baron  van  Swieten  25,  Musikhandler  Artaria  12  Exemplare,  auf 
Warschau  kanien  deren  37,  worunter  die  Namen  des  Prinzen  Biron 
von  Garland,  der  Furstin   Czartoriska,   des  Abt  Dufresne,   der 
Grafin  Lubienska,  der  Furstin  Lubomirska,  der  Grafin  Potocka 
und  der  Furstin  Radziwii. 


—    302    — 

durch  ein  Sopran-Solo.    Ein  Allegretto  der  Streich-Instru- 
mente  (G-dur  V*) 


dessen  Oberstimraen  in  gefallige  Violin-Passagen  ubergehen, 

fuhrt  naclx   13  Takten   zu   dem  als   Arlette   bezeichneten 

Solo: 

,?Eerr,  werth  dass  Schaaren  der  Engel  Dir  dienen, 

Und  dass  Dich  der  Glaube  der  Volker  verehrt, 

let  danke  Dir!  Sei  mir  gepriesen  unter  iimen. 

Icli  jauchze  Dir! 

Und  jauchzend  lobsingen  die  Engel  und  Volker  mit  niir." 

Diese  Textvvorte  driicken  den  Grundgedanken  des 
Werks  ans.  Es  ist  die  Anbetung  der  Engel  des  Hinamels 
und  der  Volker  der  Erde,  die  sich  zum  Preise  Q-ottes  mit 
einander  vereinigen.  Der  einleitende  Gesang  des  Engels 
bewegt  sich  in  sanft  melodischer  Declamation,  wahrend 
die  erste  Violine  inn  mit  lebhaft  graziosen  Gangen;  wie 
mit  den  Gewinden  eines  reich  bliihenden  Kranzes  nmflicht? 
bis  er  auf  langer  Fermate  ruhen  bleibt  Nach  kurzer 
Stille  beginnt  darauf  der  Gesang  der  Engel  in  vierstimmigem 
Chore  das  Heilig  (Adagio,  C-dur  2A)-  Wie  aus  ferner 
Hohe  herniederklingend,  nur  von  dem  Quartett  der  Streieh- 
Instrumente  begleitet,  schwillt  derselbe  in  wunderbaren 
Accordfolgen  bis  zum  lauten  Jubelruf  an,  urn  dann  wie  in 
den  Wolken  verhallend,  wieder  leise  zu  verklingen,  Ihm 


303 


antwortet  in  feierlicher  Pracht  der  Chor  der  Volker  (dessen 
Orchester,  gegeniiber  der  einfaclien  Begleitung  des  Engel- 
Chors  aus  3  Trompeten,  der  Pauke,  2  Oboen,  dem  Streich- 
Quartett,  der  Orgel  und  dem  Fagott  besteht). 

Z wisclien  beidenChoren  entwickelt sich  ein  in  den reichsten 
G-egensatzen  sich  erschopfender  Wechelgesang,  in  welchem 
dort  das  Ueberirdische,  aus  den  Wolken  herniedertcinend, 
liier  das  naturlich  kraftige  zum  Himmel  Ernporjubelnde 
dargestellt  ist.  Dreiinal  schallt  dasHeilig  der  Engel  aus 
der  Hslie  herab;  und  ihm  antwortet  zweimal?  zuerst  in  vieo.T- 
stimmigen  langgehaltenen  Accordfolgen^  dann  unter  dem 
schmetternden  Rufe  der  Trompeten  und  dem  Donner  der 
Pauken  in  gewaltigem  Unisono  der  Volkerchor.  Nach 
dem  dritten  Rufe  der  Engel  vereinigen  sich  beide  Chore 
in  inachtiger  Tonmasse  zu  dem  gemeinschaftlichen  Jubel- 
ruf  ;7Herr  Zebaoth!" 

Die  Fiille,  Kraft  und  Majestat  dieses  Wechselgesanges 
und  der  grossartige  Schwung,  der  den  reichen  Grlanz  seiner 
harmonischen  Steigerung  erfullt,  stehen  auf  der  hochsten 
Stufe  dessen,  was  je  die  geistliche  Musik  zu  sehaffen  ver- 
mocht  hat.  Zugleich  ist  der  Ban  des  Ganzen  neu  und  frap- 
pant  Der  Charakter  des  in  bewundernder  Anbetung  auf- 
strebenden  Lobgesanges  ist  mit  erhabener  Wiirde  festge- 
halten.  In  energisch  schwungvoller  Weise  folgt  ihm  in 
dem  gemeinschaftlichen  Chore  der  Engel  und  der  Volker 
der  fugirte  Satz: 


Al  -  le      Lan-de    sind 


sei 


Eh    -    ren 


—    304 


Al-le     Lande        sind      sei    -     -    ner      Eh    -    ren     voll,  smd 


zzz^fr^igi^^-J-y-* 

^S^^^^E^ 


voll,  sind  sei 


Eh 


welcher  zunachst  in  einfacher  Durchfuhrung  die  Haupt- 
Motive  vereinigt  und  von  dem  ersten  Orchester  auf- 
genommen  wird.  Unter  seiner  Bewegung  trennt  sich 
der  Engelchor  yon  dem  Chore  der  Volker,  urn  in 
kraftigem  Unisono  den  Choral:  ,,Herr  Gott,  Dich 
lob  en  wir"7  anzustimmen.  Nach  der  2.  Strophe  desselben 
beginnt  das  Fugenthema,  von  den  Oboen  intonirt,  im 
zweiten  Orchester  und  der  Chor  der  Volker  antwortet 
mit  der  Wiederholung  des  Chorals  in  hoherer  Tonart  unter 
steter  Umflechtung  der  Gesangsstimmen  durch  die  das 
Doppelthema  verbindenden  Instrumente.  In  der  verengerten 
Verbindung  und  Gegeneinanderwirkung  der  beiden  Haupt- 
Motive  ergreift  der  Chor  der  Engel  das  ,,Alle  Lande": 


Al-  le    Lan 


de  smd      sei     -     ner  Eh -re    voll. 

-*- 


Al   -   le     Lande,         —         al     -    le 


Lande 


der  Chor  der  Volker  antwortet ,  von  seinena  glanzenden 
Orchester  begieitet,  in  gleicher  Weise.  Nach  reichem 
Wechsel  <Jer  Modulationen  tritt  diesem  plotzlich  der  Chor 
der  Engel  niit  dem  in  lang  gehaltenen  Accordfolgen  aus- 
tonenden  Heilig  gegeniiber,  wahrend  der  Chor  der  Volker 
in  schwungvoller  Pracht  das  Motiv  7,Alle  Lande"  fort- 
fuhrt,  bis  aach  der  Engelchor  in  dieses  wieder  einfallt. 


—    305    — 

Feurig  und  voll  jubelnden  Lebens  vereinigen  sich  den 
beiden  Choren  beide  Orch  ester.  Ein  wabrbaft  majestati- 
scber  Schiuss  fiilirt  zuletzt  Alle  in  einstimmigen  Gangen 
zusammen. 


Efet2F 


SF 


Al-le    Lande, 


al  -  le    Lande, 


al-le  Lande  sind 


Al-le  Lande, 


al-le,  al  -  le       Lande  sind 


-g-  j  —  J  —  izi 

c 

Dei  -  ner      Eh  -  ren 

J        J          J        «-\ 

,    -isir 

voll 

[. 

1       '     'J=^--*-i 

1—  P- 

Dei  -  ner     Eh  -  ren    voll. 


Eine  seltene  Kunst  des  Satzes,  eine  nur  dem  Zogling 
der  Ba-ch'schen  Schule  mogliche  Beherrsctung  aller  Mittel 
des  polyplionen  Sty  Is  zeichnen  dies  ausserordentliche  Werk 
aus.  Keine  veranderte  Greschinacksriclitung  wird  iin 
Stande  sein;  ibm  etwas  von  seinem  Wertlie  zu  ranben. 

Dasselbe  nat  in  seiner  Zeit  die  ibm  gebubrende  Aner- 
kennung  gefanden  und  banfige  Auffiibrungen  erlebt1). 


i)  In  welchem  Maasse  dies  der  Fall  gewesen  ist,  lasst  sich  aus 
einer  Bekanntmachung  im  Hamburger  Unparthelischen  Con-espondenten 
vom  Jahre  1785  (No.  168.  vom  17.  October)  ersehen?  worin  es  heisst: 

,,Kiinftigen  Sonntag,  als  den  23.  dieses,  wird  das  Heilig  etc. 
nach  der  Composition  des  Herrn  Kapellmeister  Bach  in  der  grossen 
SCchaelis-Kirche  von  2  auf  der  Orgel  nnd  dem  Kirehensaal  befind- 
lichen  Choren  Vor-  und  Nachmittags  aufgefiihrt  werden,  welches 
auch  in  der  Sonnabendschen  Vesper  daselbst  schon  geschehen  wird. 

Welcher  wahre  Musikfreund  wird  es  wohl  versaumen,  eines  der 
vortreiflichsten  nnd  erhabensten  Musikstiicke,  die  jemals  componirt 
worden  sind,  zn  horen,  wobey  sich  diesesmal  noch  eine,  von  dem 
Herrn  Kapellmeister  inlkusik  gesetzte  Arie  mit  einer  obligaten  Txm- 

Bitter,  Emanuel  und  Friedeifiann  Bach.  20 


—    306    — 

Beichardt  rief,  bei  der  Ankundigung  des  Werks1) 
fur  seine  Zeit  vielleicht  mit  volleni  Rechte  aus:  77Konnte 
icli  je  das  Heilig  so  ineisterhaft  ausfnhren  horen,  als  es 
gearbeitet  ist!  Aber  das  wird's  bei  unsern  Sangeru  und 
Geigern  und  Pfeifern  nie!  In  melir  als  in  einer  grossen 
Stadt  hab?  ich's  schon  auffuhren  horen.  Aber  ich  muss 
gestehen,  dass  icli  noch  nicht  einmal  cine  Idee  da  von 
hatte,  ware  nrir  nicht  die  Partitur  zu  Gresicbt  gekoramen! 

f)   Die  Litaneien. 

Ob  die  Litaneien  in  strengerem  Sinn  zu  den  Kirchen- 
musiken  gezahlt  were!  en  konnen,  niochte  zweifelliaft  sein. 
Doch  ist  der  vorliegenden  Bearbeitung  ein  kirchlich-litur- 
gischer  Charakter  nicht  abzusprechen.  Sie  erschienen  unter 
dem  Titel: 

Zwei  Litaneien  aus  dem  Schleswig-Holsteini- 
schen  Gesangbuche  mit  ihren  bekannten  Melodien 
fiir  acht  Singstimmen  in  zwey  Choren  und  dem 
dazu  gehorigen  Fundament-,  in  Partitur  gesetzt 
und  zum  Nutzen  und  Vergniigen  Lehrbegieriger 
in  der  Harmonie  bearbeitet. 

Dies  merkwiirdige  Werk  ist  im  Jahre  1785  entstanden 
und  im  folgenden  Jahre  von  Niels  Schiorr ing  in  Kopen- 
hagen  herausgegeben  worden. 

Man  begcgnet  in  dieser  Composition  dem  Tljahrigen 
Meister  auf  den  Pfaden  seines  grossen  Vaters.  Wie  dieser 
einen  Theil  seiner  vorziiglichsten  Werke  ??zum  Nutzen 
.und  Gebrauch  Lehrbegieriger,"  also  fur  den  Unter- 
richt  geschrieben  hatte;  so  hat  Em.  Bach;  der  Sohn?  ;?hier 
7?zum  Nutzen  und  Vergniigen  Lehrbegieriger"  eine 
Mutt  von  harmonischen  Combinationen  entfaltet,  wie  solche 


pete  befindet,  die   eine  der  prachtigsfen  und  feyeilichsten  In  ihrer 
Artist"  (Wahrscheinlich  die  Bass-Arie  aus  der  Prediger-Einfuhnmgs- 
Musik:   siehe  S.  268.   ,,Schon  hor'  ieh  die  Posaunen  schallen.") 
i)  Kunst-Magazin  Bd.  I,   (1782.)    S.  84.  85. 


—    307    ~ 

bei  den  kurzen  Motiven  der  Litaneien  und  deren  einformi- 
gem  Inhalte  kauin  denkbar  gewesen  1st. 

Bach  hat  dies  Werk  mit  einer  Vorrede  versehen, 
welche  wesentlich  dazu  beitragt,  den  kunstlerischen  Stand- 
punkt,  auf  dem  er  zu  jener  Zeit  stand,  zu  erkennen. 

,,Meinen  Freunden  ubergebe  ich  hierbey  die  alte  und 
neue  Litaney  aus  dein  JBolsteinischen  Gesangbuche  mit 
ihrer  Melodie  und  Harnionie  in  Partitur. 

In  unseren  Kirchen  wird,  so  viel  ich  weiss,  die  Lita- 
ney bloss  von  der  Grenieinde,  ohne  Orgel,  gesungen-,  folglich 
bleibt  die  Ausfuhrung  dieser  Litaneyen  nur  fiir  die  Privat- 
Andacht,  und  ich  habe  aus  dieser  Ursach,  der  nothigen 
Veranderung  wegen?  besondereHarmonien  anbringen  durfen. 

Bei  der  Ausfiihrung  werden  beyde  Chore  Sanger  in 
einem  geraumen  Sale  an  bey  den  Enden  von  einander 
getheilt;  und  zwischen  ihnen,  in  der  Mitte  des  Saals?  wird 
das  Fundament,  oder  der  Grundbass,  mit  der  Orgel,  oder 
eineni  andern  durchdringenden  Klavierinstruniente  nebst 
einem  Contra- Violon  ausgefuhrt. 

Bey  dem  Singen  der  Litaney  in  den  Kirchen  ist  niir 
das  geschwinde  Singen,  oder  vielmehr  Plappern,  besonders 
bey  langen  Perioden?  in  kurzen  vorgeschriebenen  Noten 
allezeit  anstossig  gewesen. 

Ein  Busslied  in  gemeiner  Noth  erfordert  durchaus  ein 
langsames  Tempo  in  gut  ausgehaltenen  Noten;  ich  bin 
deswegen  bey  dieser  Arbeit,  so  viel  als  moglich,  von  der 
Vorschrift  abgegangen;  und  habe  statt  der  kurzen  Noten 
langsanie  genommen  und  Ruhezeichen  da  angebracht,  wo 
sie  die  Sanger  nothig  haben,  ohne  den  Verstand  zu  zer- 
reissen.  Wenn  die  Declamation  zuweilen  kurze  Noten  er- 
forderte,  so  habe  ich  sie  beibehalten,  zumal  wenn  das 
Intervall  zu  oft  auf  einander  folgte.  Langsanie  Noten  und 
immer  dieselben,  ohne  Ruhezeichen,  wurden  alsdann 
widrig  klingen. 

Ueberhaupt  ist  ein  sehr  langsames  Tempo  nothig,  theils 
um  das  Plappern  zu  vermeiden,  theils  um  die  haufigen 

20* 


-    308    — 

forte,  piano  u.  s.  w,  nicht  zu  schnell  auf  einander  folgen 
zu  lassen. 

Den  Lehrbegierigen  zu  Gefallen  habe  ich  gewisse 
Stellen  bezeichnet,  urn  ineine  Riicksicht  auf  die  Worte  da- 
durch  anzudeuten.  Dem.ohngeachtet  laugne  ich  nicht,  dass 
auch  Stellen  vorkommen,  wo  eben  keine  fremde  Harmonie 
nothig  war,  welche  ich  aber  der  Verschiedenheit  wegen  nahrn, 
wenn  es  nicht  wieder  den  Ausdruck  war. 

In  der  neuen  Litaney,  welche  wegen  der  langen  Peri- 
oden  mir  weit  mehr  Arbeit,  als  die  alte?  gekostet  hat,  habe 
ich  zuweilen,  aber  sehr  selten,  den  vielen  H  das  C  mit 
eingemischt  Dieses  letzte  Interval!  kommt  ausserdem 
ebenfalls  in  der  Melodic  vor?  und  ich  habe,  durch  dieses 
Einmischen,  der  Harmonie  mehr  Veranderung  geben 
konnen. 

Die  angedeutete  Schwache  und  Starke  des  Vortrags 
hat,  neben  der  Verminderung  der  Stimmen;  ihre  Beziehung 
zuweilen  auf  die  Worte,  zuweilen  auch  auf  die  Harmonie 
und  war  bey  dein  unendlichen  Einerley  hochst  nothig. 

Wenn  in  der  neuen  Litaney  bey  langen  Perioden  auch 
das  Fundament  mit  den  Singstimmen  da  schweigt,  wo  der 
Verstand  noch  nicht  zu  Ende  ist;  so  ruhet  das  erstere  doch 
alsdann  entweder  mit  einer  Dissonanz,  oder  mit  einer  Sexte, 
ausserdem  aber  nicht. 

Bey  ein  Paar  vorkommenden  enhai*monischen  Stellen 
bin  ich  mit  Fleiss  von  der  rechten  Schreibart  abgegangen. 
Ich  weis  aus  Erfahrung,  dass  man  einen  reinen  und  mehr 
auffallenden  Effect  erhalt,  wenn  die  Intervallen  unycrriickt 
liegen  bleiben.  Sanger  konnen  so  wohl,  als  Instrumentisten 
rein  singen  und  spielen:  aber  bey  enharmonischen  Fallen 
ist  es  beinahe  unmoglich,  dass,  zumal  wenn  mehr  ere  zu- 
sammen  sind,  alle  auf  einem  und  dem  gehorig£n  kleinen 
Punkt  das  Intervall  riicken.  Ein  Ausfuhrer,  oder  viele 
machen  einen  grossen  Unterschied  hierin.  Wenn  die  Inter- 
valle  so  rein,  wie  sie  vor  der  Enharmonic  warcn,  liegen 


—    309    — 

bleiben,  so  erwartet  das  Ohr  keine  Ausweichung,  folglich 
1st  der  Effect  hernach  viel  auffallender.  Auf  dem  Clavier 
lasst  sich  dies  am  besten  probiren.  Die  rechte  Schreibart 
der  Intervalle  sammt  ihrer  Bezifferung  habe  ich  bey  diesen 
enharinonischen  Stellen  unter  dem  Fundament  angedeutet 

Ich  hoffe,  dass  man  durch  diese  Arbeit  von  dem  Reich- 
thum  und  von  der  Wirkung  der  Harmonie  sattsam  tiber- 
zeugt  sein  werde,  ohngeachtet  ich  gewiss  weiss?  bei  weitem 
noch  nicht  alles  erschopft  zu  haben.  Meine  Basse  zu  eben 
diesen  Litaneyen  im  Holsteinischen  Ohoralbuch  sind  merk- 
lich  von  diesen  Bassen  unterschieden.  Je  mehr  man  in 
der  Harmonie  suchet7  desto  mehr  findet  man7  nur  habe  ich 
diesmal  mein  Suchen  nicht  ubertrieben?  und  immer  Alles 
verandern  wollen.  Ich  wiirde  dadurch  zu  widrig^  und 
zuletzt  undeutlich  geworden  sein.  Auf  Wunden  gehoren 
Pflaster, 

Wenn  ich  in  der  Harmonie  mehr  durch  gesunde  und 
mehr  lebhafte  Noten  statt  der  langen  zusammen  anschla- 
genden  hatte  anbringen  wollen  ?  welch  unabsehliches  Feld 
wtirde  sich  gezeigt  haben. 

Unter  den  Sangern  miissen  die  Bassisten  die  ztiver- 
lassigsten  seyn?  obgleich  die  Altisten  und  Tenoristen  auch 
nicht  schlecht  seyn  diirfen.  Die  Fortschreitungen  der  Inter- 
valle sind  zwar  zuweilen  etwas  fremd,  aber  verbotene 
Fortschreitungen  kommen  nie  vor.  Ein  langsames  Tempo 
erleichtert  ungemein  das  Treffen  dieser  Intervalle. 

Kurzlich  hatte  ich  in  meinem  Hause  das  Vergntigen, 
im  Beiseyn  einiger  Kenner  diese  Litaneyen  von  meinen 
Sangern  recht  sehr  gut  ausgefiihrt  zu  sehen. 

Endlich  wunsche  ich:  dass  meine  Arbeit  den  Lieb- 
habern  der  Harmonie  angenehm  und  zum  Theil  nutzbar 
seyn  nioge.  Dieses  sey  die  beste  Belohnung  fiir  die  Muhe, 
die  ich  angewandt  habe;  einen  Gesang?  der  ein  paar 
hnndertmal  keine  andere?  als  nur  zweierley  Modulationen 
hat,  so  zu  bearbeiten;  dass  man  zufrieden  seyn  kann,  und 


—    310    — 

nicht  befurchten  darf,  bey  der  Durchsicht  und  Ausfuhrung 
desselben  einzuschlafen  oder  gar  einen  Ekel  zu  bekommen. 

Hamburg,  den  14  Marz  1785.          (X  P.  E.  Back" 

Hiernacli  ist  diese  so  iiberaus  miihsame  Arbeit  nicht 
fur  den  kirchlichen  Gebrauch,  sondern  fur  die  Privat- 
Andachten  gefertigt  worden,  bei  welchen  ,,in  Zeiten 
gemeiner  Noth"  die  Litaneien  von  denen?  die  sich  da- 
bei  zusammen  fanden,  gesungen  warden. 

Die  Litanea,  aus  der  katholischen  Kirche  herruhrend 
und  dort  in  Zeiten  der  Noth  die  6'ffentliche  Furbitte  ver- 
tretend,  war  von  Luther  in  dentscher  Sprache  und  in 
modificirter  Form  deni  Gottesdienste  der  gereinigten  Kirche 
eingeftigt  worden  und  bildete  an  Buss-  und  Bettagen  lange 
Zeit  hindurch  einen  Theil  der  liturgischen  Feier.  Sie  wurde 
im  Wechselgesange  des  Geistlichen  mit  der  Gemeinde  aus- 
gefuhrt  und  enthielt  eine  Reihe  von  Klagen  und  Gebete 
von  ermiidender  Endlosigkeit. 

Ob  die  Litanei  zu  Bach's  Zeit  noch  in  der  Kirche 
gebrauchlich  war?  oder  nur  in  den  Hausandachten  frommer 
Familien  geiibt  wurde,  ist  eine  Frage,  deren  Erdrterung 
deni  ausgesprochenen  Zwecke  der  Arbeit  gegenuber  ohne 
Werth  ist,  Jedenfalls  war  die  Ausubung  dieses  Rituals 
zu  einem  fornaellen  Acte  von  herabstimmender  Eintonigkeit 
gesunken.  Die  besondere  Veranlassung  zu  dieser  kunst- 
vollen  Arbeit  theilt  der  Herausgeber  derselben  in  einer 
in  hohem  Grade  Interesse  erregenden  Vorrede  mit: 

,,Wer  den  Kennern  ein  klassisches  Werk  iibergiebt,  macht  sich 
der  Ehre,  der  Herausgeber  desselben  zu  sein,  durch  die  stillschwei- 
gende  Voraussetzung  einer  guten  Aufnahme  einigermassen  win  dig. 

Ich  kaim  zu  dem,  was  Bach  iiber  den  Zweck  sowohl,  als  liber 
den  Gebrauch  dieser  seiner  Bearbeitung  eines  der  feierlichsten  Gesange 
der  kirchlichen  Aabetung  sagt,  nichts  hinzuzufligen  haben.  Es  wird 
aber  nicht  iiberfliissig  sein  zu  erwahnen,  auf  welche  Veranlassung  ein 
so  originates  Denknial  der  Kunst  entstanden  und  wie  es  in  meine 
Hande  gekommen  ist. 

Als  vor  einigen  Jahren  ein  neues  Danisches  Gesangbuch  heraus- 
gegeben  ward,  wozu  ich  ein  Choralbuch  besorgte,  wurde  unter  an- 
deren  auch  die  Litaney  der  Lange  nach,  auf  eben  die  Art,  wie  hier 


—    311    — 

geschehen,  mit  Begleitung  der  Orgel  ausgeschrieben ,  und  um  einige 
Mannigfaltigkeit  hereinzubringen,  im  Chor  und  Gegenchor  (wie  es  nr- 
sprunglich  gewesen)  abgelheilt.  Ich  wiinschte  schon  damals  und  war 
nicht  der  einzige,  der  es  wiinschte,  dass  der  Kirchengesang  in  den 
Herzogthtimern  Schleswig  und  Holstein  einer  ahnlichen  Eevision  durch 
die  vorziigliche  Mitwirkung  meines  grossen  Lehrers,  des  Herm 
K.  M.  Bach's,  unterzogen  werde.  Und  ieh  hatte  mein  Augenmerk 
dabei  insbesondere  auf  die  in  dem  dortigen  G-esangbuch  befmdlichen 
beyden  Litaneyen  mitgerichtet,  die  bei  der  bisherigen  Eintonigkeit  des 
Gesanges,  unter  der  selbst  die  ausdauerndste  Andacht  erliegt,  in  einem 
sonderbaren  Contrast  zu  ihrer  poetisehen  Energie  stehen.  Es  ist  auch 
wirklich  in  voriger  Osterrnesse  ein  Schleswig -Eolsteinsches  Choral- 
buch,  sogar  mit  verschieden  sein  sollenden  Originalmelodien  von 
Bach  bereichert,  erschienen.  Dass  aber  dieses  weder  im  Ganzen,  nocb 
durch  die  unglaublich  geinisshandelten  Bach'schen  Lieder  nur  auf  die 
entfernteste  Aehnlichkeit  mit  demjenigen  Anspruch  machen  konne, 
welches  das  deutsche  Publikum  aus  der  vorlaufigen  Naehricht  erwarten 
musste,  die  sich  im  musikalischen  Magazin  des  durch  seine  Thatigkeit 
*und  Einsicht  gleich  verehrnngswiirdigen  Hen*n  Professor  Kramers, 
zweiten  Jahrgangs  befindet,  wird  Kennern  sogleich  auf  den  ersten 
Anblick  eingeleuchtet  haben.  Von  den  wahren  Beduifnissen 
eines  Choralbuchs,  das  mit  den  Gesangen  uns'rer  Zeit  im  Verhaltniss 
stehe,  scheint  der  Herausgeber  kaum  einigen  BegrirT,  von  denen  der 
alten  Litaney  kaum  nur  eine  Ahndung  gehabt  zu  haben;  und  mit  wie 
gerechter  Scharfe  konnte  ich  nicht  seine  ungewdhnliche  Unwissenheit 
in  der  Prosodie  und  Declamation  riigen,  wenn  ich  dazu  geneigt  ware. 

Ich  war  unterdessen  so  gllicklich  gewesen  denHerrnK. M.Bach 
nicht  allein  zu  einer  wiederholten  Durchsicht  der  sammtlichen  Chorale 
bereitwillig  zu  finden,  die  er  mir  mit  einem  Schatze  belehrender 
Anmerkungen  iibersandtej  sondern  auch  durch  diese  Arbeit  selbst  zu 
dem  Gedanken  Anlass  gegeben  zu  haben,  dass  die  Litaney  einer 
neuen  Umarbeitung  in  einen  vierstimmigen  Gesang,  ohne  wesentliche 
Abanderung  ihrer  liturgischen  Beschaffenheit  fahig  sey,  und  von 
dieser  also  bearbeiteten  zweifachen  Litaney  eine  Abschrift  mit  der 
hinzngefiigten  Erlaubniss  zu  erhalten,  dass  ich  sie  durch  den  Druck 
bekannt  machen  diirfe. 

Was  ich  fur  die  Sammlung  des  Ganzen  durch  jene  Ausgabe  eines 
Holsteinischen  Choralbnchs  zu  thun  verhindert  worden,  thue  ich  nun 
wenigstens  mit  einem  einzelnen,  aber  einem  der  wichtigsten  Bestand- 
theile:  Ich  tiberliefere  den  Bach'schen  Doppelchor  denen,  die  ihn 
zu  nutzen  verstehen;  und  ich  wiirde  auch  das  schon  friiher  gethan 
haben,  wenn  ich*  nicht  genothigt  gewesen  ware,  Druck  und  Correctur 
selbst  zu  besorgen,  welches  sich  bey  der  Ueberhaufung  der  hiesigen 
Noten-Pressen  bis  hiezu  verzogert  hat 

Um  es  zu  einem  bequemen  Handbuch  beym  Studium  der  Harmo- 
nien  sowohl,  als  bey  Singe  -Uebttngen  zu  maehen,  habe  ich 


—    312    — 

wartiges  Format  gewahlt  Der  Druck  1st  daher  em  wenig  enge,  die 
f.  und  p.,  die  in  alien  Stinnnen  zugleich  eintreten,  habe  ich,  nm  Raum 
zu  ersparen,  nur  zweyroal  bezeichnet.  Aus  eben  dem  Grande  gilt 
der  Text  der  Obeisthnme  auch  fur  alle  iibrigen,  ausser  wo  es  ndthig 
war  ihn  besonders  Mnzuzusetzen.  Zur  Erleichterung  derer,  die  iiber 
diess  Werk  etwas  lesen  oder  schreiben  wollen,  sind  die  Takte  iiber 
den  Tenor  von  4  zu  4  abgetheilt,  und  was  der  Verfasser  durch  ein 
NB.  unter  dem  Fundament  hat  auszeichnen  woJlen,  wunsche  ich  auch 
meinerseits  der  Auftnerksainkeit  guter  Beurtheiler,  sowie  die  gemein- 
niitzige  Anwenduug  des  Werks  iiberhaupt,  den  Beforderern  der  er- 
habensten  xnusikalischen  Kunst,  empfehlen  zu  konnen, 

Kopenhagen,  den  20.  Mai z  1786.  N.  Schiorring. 

Dieses  interessante  Schriftstiick  ergiebt,  dass  E.Bach 
die  sammtliclien  Chorale  des  Holsteimschen  Gesangbuchs 
einer  Durchsicht  unterzogen  und  tnit  einem  ?;Schatz  be- 
lehrender  Anmerkungen"  versehen  hatte;  die  lei  der  der 
Nachwelt  nicht  tiberwiesen  worden  sind1).  Man  erfahrt 
ferner,  dass  das  1785  erschienene  Schleswig-Holsteiniscne 
Choralbuch  zaiilreiche  Chorale  von  Bach^  Composition 
enthalten  habe.  Die  in  diesem  Choralbuche  befindliche 
alte  Litanei  ist  ihrem  ganzen  Umfange  nach  ohne  bezif- 
fertenBass  abgedruckt,  die  von  Schiorring  ausgesprochene 
entgegengesetzte  Annahme  also  irrig. 

Die  Vorrede  Bach's  lasst  vor  Allein  einen  Einblick  in 


i)  Dies  wird  in  einem  im  2.  Jahrgang  des  Magazin  fur  Musik 
(Hamburg  1784  S.  121)  abgedruckten  Briefe  des  JKammermusikus 
Schiorring  bestatigt,  wo  er  sagt:  ,,Das  deutsche  Choralbuch  (nach 
dem  Schleswig-Holsteinischen  Gesangbuche  Ihres  Herrn  Yaters)  dachte 
ich  in  dieseni  Sommer  drucken  zu  lassen. 

Die  alten  Melodien  habe  ich  mit  giosstem  Fleisse  nach  den 
Gesang-  und  Choralbuchern  von  1529  an  verglichen.  Die  an  der  en, 
z.  B.  die  Halleschen  und  Quantz'ischen  Melodien  zu  Gell  erts  Gesangen 
sind  hm  und  wieder  von  dem  Herrn  Capellmeister  C.  P.  E.  Bach 
verandert  worden,  so  wie  auch  alle  darin  vorkommenden  an- 
deren  Melodien  von  seiner  Composition  sind.  Mem  eigner 
Fleiss  wiirde  mich  nicht  bewegen,  das  Buch  bekannt  zu  machen.  Allein 
Bachs  vortreffliche  Harmonien  dazu,  die  ich  iiber  Alles  schatze, 
haben  mieh  bestimmt,  es  zu  wagen." 

Wie  sehi*  ist  es  zu  bedauern,  dass  diese  Absicht  nicht  hat  zur 
Ausfiihrung  kommen  konnen. 


—    313    — 

die  praktische  Weisheit  des  alten  Musikers  thun,  der  bei 
dern  schwierigen  und  wegen  der  Lange  und  Eintonigkeit 
des  Textes,  des  Silbenmaasses  und  der  Melodie,  die  Ennii- 
dung  des  Zuhorers  keineswegs  ausschliessenden  Werke 
die  sichere  Ausfuhrbarkeit  in  erste  Linie  stellte  und  sich 
wohl  gehtitet  hat?  die  harmonische  Wirkung  derselben 
durch  ?;iibertriebenes  Suchen"  in  Frage  zu  stellen. 
Der  Zweck,  den  er  im  Auge  hatte,  schloss  die  Polyphonic 
aus.  Im  homophonen  Styl;  der  in  dieser  merkwurdigen 
Composition  vorherrscht,  ist  bezuglich  des  harrnonischen 
Reichthums  das  fast  unglaubliche  geleistet  word  en. 

Die  Original-Partitur  ist  mit  der  von  hohem  Alter  zit- 
ternden  Hand,  aber  sehr  sauber  geschrieben. 

Der  umfangreiche  Inhalt  der  ersten  (alten)  Litanei 
enthalt  nicht  weniger  als  58  Satze  und  Gegenchore?  die 
zweite  Litanei  42  Chore  und  Antworten,  welche  mitunter 
bis  zu  37  Takten  langsamen  Zeitmaasses  ausgedehnt  sind. 

Man  findet  in  beiden  Litaneien  Ausdrucks-Bezeich- 
nungen  angegeben.  Wenn  man  deren  geringes  Maass  den 
in  den-Richard  Wagner'schen  Opern  so  beliebten  Be- 
zeichnungen  (man  betrachte  bloss  den  ersten  Act  des 
Lohengrin x)  gegentiberstellt?  so  muss  man  sich  sagen,  dass 
hier?  wie  in  der  klassischen  Musik  tiberhaupt,  die  eigent- 
lichen  Ausdrucks-Bezeichnungen  in  den  Inhalt,  nicht  aber 
in  ausserlichen  Vorschriften  gelegt  sind. 

Die  Motive  der  Musik  sind  sehr  einfach.  Sie  ver- 
andern  sich  nur  selten  in  dem  durch  die  Declamation  her- 
beigeftihrten  abweichenden  Rythmus. 


i)  ,,Mit  Feierlichkeit,  sehr  feierlich,  sebr  wichtig,  mit  sehr  feier- 
lichen  Sckritten,  mit  feierlichem  GraneB,  sehr  geriihrt,  lebhaft  (5  mal 
kurz  hintereinander),  sehr  lebhaft,  mit  feierlichem  Entschluss,  in  feier- 
licher  Stimmitng>  langsam,  sehr  langsam,  sehr  emst,  noch  hestimmter, 
mit  grosser  Feierlichkeit  iind  feierHchster  Andacht,  in  grosser  feier- 
Hcher  Aufregung"  etc.  etc. 


—   314    —    * 

Der  erste  Satz  der  alien  Litanei 


1   Chor. 


2.  Cher. 


I 


Herr  Gott,  Va-ter  im    Himmel!  Er-barm'  dich     u  -  ber   tins ' 

* 

folgt  22  Mai  auf  einander,  der  zweite  Satz 


7,  Chor 


2.  Chor 


Wir      ar  -  men      Sun-  der          bit    -     -    ten,  Du 


-J I 


wol  -  lest    uns     er  -    ho    -    ren.          Herr,  Herr,  un  -  ser     Gott ! 

gar  24  MaL 

Es  wird  nieht  erwartet  werden,  dass  der  ungeheure 
in  diesem  Werke  niedergelegte  Schatz  an  harmoriischen 
Combinationen,  die  in  keinem  Zuge  dem  Charakter  feier- 
licnen  und  tiefen  Ernstes  imtreu  werden?  Her  analysirt 
werden  konne.  Der  wesentliche  Zweck  der  Arbeit  war, 
dem  Studium  eine  Quelle  zu  eroffnen.  "Wer  aus  dieser 
schopfen  will?  muss  selbst  zu  Ihr  herantreten.  Doch.  moge 
eine  kurze  Reihe  von  Beispielen  in  4  Varianten  des  ersten 
Satzes  eine  ganz  allgemeine  Idee  von  ihrer  Haltung  geben. 


L  Chor. 


Herr  Gott,  Va  -  ter  im    Him  -    mel,   erbarm  dich    \i  -  ber  nns. 


~    315 


1.  Chor. 


2.  Chor. 


i    r  i  "i    r 

Herr,  GottSohn,  derWeltHei  -  land,  er-  barm  dich     u  -  ber    uns^ 

a.A.All.*£&  '-UsUH- 

zSsztsz 


Herr  Gott,  hei-li     -     ger      Geist,  erbarm  dich        iiber       nns. 

._4_d^-J  .  *  .i^tSjfiL 


Hilf  nns,     Herr,       Herr,      un  -  ser      Gott. 

_rJ  ^  ,  ^  -d--S. 


/ 


i)  Reichardt  (Kimst-Magazin  von  1791.  S.  30}  fiigt  der  Anzeige 
van  dem  Erscheinen  der  Litaneien  hinzu:  ,,Hie  und  da  erlaubt  sich 
der  Hr.  E.  B.  auch  seinen  reichsten  Witz  mit  Worten  zu  spielen  und 
durch  sonderbare?  oft  anscheinend  falscheFortschreltungen;  Siinden, 
Irrthum,  Uebel,  Teufelsbetrug  und  List,  bosen  schnellen 
Tod,  Pestilenz  UH4  tbenre  Zeit,  Aufrunr  und  Zwietracht, 
letzte  Noth  und  dergleiehen  staitdes:  ^Beliut7  tins"  au 
und  hat  solehe  Stellen  mit  einem  HB,  bezeicbnei  Als 


—    316    — 

Der  unerschopfliche  Reichthnm  an  harmonischen  Ge- 
danken,  die  Gewissenhaftigkeit  und  Strenge  in  der  Dar- 
stellung  und  die  from  me  Vertiefung  in  den  Gegenstand 
derselben  lassen  den  alten  Meister  nahe  den  Marksteinen 
seines  Lebens  in  einem  ehrwiirdigen  Lichte  erblicken,  das 
einen  verklarenden  Schein  auf  den  letzten  Rest  seiner 
Jahre  wirft. 

Unsrer  Zeit  ist  es  nicht  gegeben,  von  dieser  kunst- 
vollen  Composition  praktischen  Gebrauch  zu  machen. 
Mochten  dafur  diejenigen,  die  sicli  der  Kunst  widmen 
wollen,  um  so  mehr  aus  derselben  zu  lernen  such  en,  da 
aus  ihr  so  sehr  viel  zu  lernen  ist.  Dies  wurde  nicht  allein 
7?die  beste  Belohnung  fiir  die  Muhe  sein;  die  der 
Verfasser  sich  bei  der  Ausarbeitung  gegeben>" 
es  wiirde  auch  dieses  eine  Resnltat  schon  den  Versuch 
rechtfertigen,  das  Andenken  Emanuel  Bach7s  nnd  seiner 
Werke  der  lebenden  Generation  in  das  Ged&chtniss  zn- 
riickzurufen, 

g)    Die  Choral -Melodien. 

Bach  hatte,  wie  die  Vorrede  zu  den  Litaneien  sehr 
bestimmt  nachweisst?  dem  Chorale  ein  lebhaftes  Interesse 
zugewendet.  Er?  der  fiir  die  Privat-Andacht,  fur  die  Er- 
bauung  frominer  Gemiither  durch  die  Meisterleistung  seiner 
drei  geistlichen  Liedersammlungen  so  viel  gethan;  hatte 
auch  dem  Eirchenliede,  in  dessen  Uebung  er  gross  ge- 
worden  war?  seine  Thatigkeit  nicht  abgewendet.  Fiir  das 
Schleswig-Holsteinische  Choralbuch  von  1785  hatte  er  zahl- 
reiche  Chorale  gesetzt,  und  zwar  so?  ,?dass  die  dort  abge- 
druckten  Melodien  einestheils  ganz  neue,  grosstentheils 
aber  alte  waren,  wovon  einige  des  Sylbenmaasses  wegen 


trachtet  ist  der  empfindimgsreiclie  Witz  des  Qomponisten  auch  hierin 
bewundernswertb,  und  ich  mociite  niebt,  dass  Hr.  E.  B  diesec  Finger- 
zefg  fiir  junge  Kiinst}er}  die  so  gerne  blindJings  nacbahmen,  als  einen 
hamiscben  Tadel  ansabe;  denu  es  ist  ibm  gewiss  niemand  aufrichtiger 
dankbar  fur  dies  Werk  als  icb." 


—    SIT  - 

auf  die  fasslichste  Art  verandert  worden  waren1)."  Den 
Melodien  sind  dort  aber  leider  die  Namen  der  Componisten 
nirgends  beigefugt,  und  da  unter  denselben  auch  die 
Quantzischen  und  Halle'schen  befindlicli  waren,  so 
-wiirde  es  schwer  sein,  die  yon  Emanuel  Bach  heraus- 
zufinden. 

In  seinen  fur  die  Kirche  bestimmten  Compositionen 
nahm  der  Choral  freilich  die  Stelle  nicht  ein;  die  ihm  ge- 
blihrt  hatte.  In  den  Passionsmusiken  war  dies,  rein  ausser- 
lich  betrachtet,  rnehr  der  Pall.  Aber  hier  war  die  Ver- 
wendung  des  Kirchenliedes  zwischen  der  langen  Recitation 
des  Evangeliums  doch  mehr  zu  einem  losen  Hineinstreuen, 
als  zu  einer  organischen  Zusammengehorigkeit  mit  Text 
und  Musik  geworden.  Dies  hing  offenbar  mit  der  Art  und 
Weise  zusammen,  in  der  Bach  die  Kirchenmusik  betrachtet 
hatte.  Es  war  bei  ihm  nicht  die  ??regulirte  Kirchen- 
musik" seines  Vaters,  die  sich  mit  dem  Inhalt  des  Gottes- 
dienstes  und  mit  dem  religiosen  Bedurfniss  der  kirchlichen 
Gemeinschaft  in  Einklang  zu  versetzen  suchte.  Es  war  fur 
ihn  vielmehr  offenbar  ein  ausserliches  Gegebenes,  eine 
Forderung  des  religiosen  Artstands,  dass  Kirchenmusik  ge- 
macht  werden  miisse.  Darnach  wurde  sie  behandelt. 

Anders  war  es  mit  dem  Choral.  Ihn  hielt  er  in  Ehren? 
fur  ihn  sorgte  und  wirkte  er.  Die  Harmonien,  welche  er 
zu  dem  von  Senior  ring  beabsichtigten  Choralbuch  ge- 
fertigt  hatte,  der  ??Schatz  von  belehrenden  Bemer- 
kungen?"  welche  er  mit  der  Bearbeitung  der  Chorale  an 
diesen  hat  gelangen  lassen^  sind  uns  leider  nicht  aufbe- 
wahrt  worden.  Was  damit  verloren  gegangen,  das  lasst 
sich  am  Besten  aus  einzelnen  Ueberresten  ersehen.  Man 
betrachte  den  folgenden  Choral:  ??Ach  Gott  und  Herr2)," 


!)  Vollstandige  Sammlung-  der  Melodieen  zu  denGesangen  desneuen 
allgemeinen  Schleswig-Holsteinischen  Gesangbucbs,    Leipzig.    1785. 
^j  In  der  E/Bibliothek  m,  Berlin. 


—    318    — 


der  in  seiner  eigenthumlichen  Haltung  ein  Zuriickgreifen 
anf  die  Beaandlungsweise  des  Vaters  zeigt?  dessen  vier- 
stimmige  Chorale  er  ja  grade  in  den  letzten  Jaliren  seines 
Lebens  noch  einnial  iiberarbeitet  hatte. 

Einen  ganz  anderen  Charakter  freilich  haben  seine 
;?N"euen  Melodieen  zu  einigen  Liedern  des  neuen  Ham- 
burgiscaen  Gesangbuchs"  (1787),  14  Chorale  enthaltend, 
von  denen  indess  einer  auf  eine  schon  vorhandene  Melodie 
gesetzt  1st"  Eine  Anmerkung  Bach's  vom  30.  Juli  1787 
sagt:  ;?Damit  die  Gremeinden  die  andern  Melodieen  leicht 
und  bald  mitsingen  lernen?  werden  die  Herren  Organisten 
wohlthnn,  wenn  sie  im  Anfang  diese  aus  leichten  Inter- 
vallen  gesetzten  Melodieen  niit  der  vorgeschriebenen  und 
untergelegten  leichten  Harmonie  stark  nnd  ungekiinstelt 
mitspielen."  Es  hatten  hienach  diese  Chorale  in  den  Kirchen 
Hamburg's  bereits  Eingang  gefunden?  konnten  also  nicht 
wohl  den  allerletzten  Lebensjahren  Bach's- entsprungen 
sein.  Ihrer  sind  folgende: 


—    319    - 

*    1.    Wie  gross  ist  des  Allmacht'gen  Giite  (von  Gellert). 
No.  23  des  Hamburger  Ges.-Buchs. 

2.  DieHimmel  ruhmen  des  Ewigen  Ehre  (v.  Q-ellert) 
No  37. 

3.  Gedanke,    der   uns   Leben   giebt    (von    Gellert) 
No.  66. 

4.  Jauchzt,   ihr   Erlosten    des  Herrn    (von  Gellert) 
No.  120. 

5.  Wcr   ist   wohl   wie   Da    (von   Freilinghausen). 
No.  189. 

6.  Gott  ist  mem  Lied  (von  Gellert).    No.  290. 

7.  Was   ist  mein   Stand,    mein  Gliick    (v.    Gellert) 
No.  264. 

8.  Besitz'  ich  nur  ein  ruhiges  Gewissen  (v.  Gellert). 
No.  296. 

9.  Wohl  dem;  der  bessre  Schatze  liebt  (v.  Gellert). 
No.  308. 

10.  Du  klagst  und fuhlest  die Beschwerden  (v.  Gellert). 
No.  312, 

11.  Was   sorgst   Du   iingstlich   fiir   Dein  Leben    (von 
Gellert).     No.  411. 

12.  Auferstenn;  ja  auferstehn  (Klopstock).    No.  435. 

13.  Bald  oder  spat  des  Todes  Raub  (von  Funk;  geb. 
1751).    No.  437. 

14.  Erhabner  Gott,  was  reicht  an  Deine  Giite.    No.  4 
und  9.    Melodie:  Das  walte  Gott. 

Von  Luther's  Zeit  ab  war  das  Kirchenlied,  dessen 
grossartige  Tiefe  wahrend  der  Reformation  in  der  deutschen 
Literatur  Wurzel  gefasst  hatte,  in  dem  Kreise  der  Dichtung 
in  Geltung  geblieben.  Noch  das  17.  Jahrhundert  liatte 
auf  diesem  Gebiet  reiche  Bliithen  aufzuweisen  gehabt.  Im 
18.  Jahrhundert  hatten  Gellert,  Klopstock,  Sturm, 
Claudius  und  einige  andere  seinen  Kreis  erweitert?  seine 
Art  verschont.  Diese  neuen  Lieder  erforderten  neue  Weisen. 
Einen  Theil  von  ihnen  hat  EmanuelBach  mit  Melodieen 
versehen  und  diese  in  den  Gemeindegesang  der  Hfm- 


-    320   - 

"burger  Kirchen  eingefuhrt,  vorr  wo  sie  theilweise  in  andre 
Kreise  ubergetreten  sind. 

Diese  Melodieen,  obschon  nicht  von  dem  tiefen  Ernst 
und  der  erhabenen  Charakteristik  der  alten  Kirchenchorale 
aus  der  Reformationszeit,  sind  doch  edel?  wiirdig,  fasslich, 
sehon  declamirt,  in  der  Harmonie  vortrefflich.  Zwei  der- 
selben  (No.  1.  iind  No.  9.)  mogen  hier  f9^ 


jujcp^liJD  p-|     -p^p-p 

—  —^  "-^  — 

.&L__L  —  |_  —           |  j±l_            |  p^i_: 

Wie     gross   ist       des    All  -  macht'gen       Gu    -     te! 
der       mit    ver  -  bar  -  te  -   tern    Ge    -    rnu     -     the 

O:L[I    f%  —  R  p—  P  °     P  d~~7^  ~~  ~~~  i~~~  l~1 

\|       fr      l^      '         1     (          '             1                                 ^ 

5                                          2                   6            tt 

-e  e  — 

ist       der   ein  Mensch,  den      sie    nicht    ruhrt? 
den    Dank   er  -  stickt,  der      ihr    ge    -    buhrt! 

^Orr    1        mm             P        ZJJQ        ^     "    -    O             [             ^        ^                                 ._     

67                              6                    b         5 

'fa"                                                             fr 

C'             y 

^^             C*^) 

nein,      sei  -  ne      Lie  -  be        zu       er   -    mes  -  sen, 
der     Herr    hat    mein  nocb      nie      yer   -   ges  -  sen, 

V                                                        1                                                                                                  ^                    1 

^r-,  1  p  —  H  ^  1  1  ©  —  e  1 

^  —  p.  —  ^  —  t:  —  U—  —  2  —  @_  —  ^  —  ^__ 

66                               5 

r  JM    •    p  p—  r—  3—  »;  o    f^ 

-j  1  
J       5 

__  ±  

fe£  j  1  J  -:  —  .  1  s^^  

sei         e  -   wig     mei-  ne        er  -  ste    Pfiicht. 
ver  •  giss,  mein  Herz,  auch     sei  -  ner    nicht. 

66*6                           «           Gs 

J—  —  —  41  

—    321 


/  ~8-ff  ~ 

_P=P= 

|  P  

—  j  

Wohl 
Wohl 

dem,    der 
dem,    der 

—o—  e— 

bess'  -  re 
sich     mit 

Scha  -  tze 
Ei  -  ier 

p 

Hebt,      als 
izbt,        an 

—  p  M  3 

1  =zj 

f  _._ 

6             riff 

6 

•  5?  J 

/i_LLg         j......  , 

I     !  "  IF 

c;       o      p' 

Scha-  tze 
Tu  -  gend 

die  -  se 
reich    zi 

r 

i 

—  e  — 

Er 

wer 

- 

den,            T 
den. 

'nd        in      dem 

1  ]Jf 

j 

~7^1 

t    ^    NI 

°~~f                     1 

{  L_tL__^  j_  — 

_So_g^_  1 

O 

JJl  ---] 

n          4? 


Off       ,     ,,..,  

H- 

Welt     er    - 

hebt 

—  P  ' 

j.  
t  

......    @  — 

}.  

Jene  Eigenschaften  waren  es,  die  den  Choralen  E  ma  B  u  e  1 
B  a  cli's  vor  denen  seines  Vaters  den  Vorrang  gesichert 
haben.  Bekanntlich  hatte  auch  dieser  eine  nicht  geringe 
Anzahl  neuer  Choralmelodieen  gefertigt,  welche  aber  weder 
im  Publiknm  noch  in  den  Kirehen  sich  erhalten  konnten. 
Freilich  batten  ibm  jene  neuen  geistlichen  Lieder  nicht  zu 
Gebote  gestanden,  in  deren  Dichtung  die  zweite  Halfte  des 
vorigen  Jairhunderts  so  fruchtbar  gewesen  ist. 


Bitter,  Emanuel  und  Friedemann  Bach, 


Anhang 
zum  ersten  Bande, 


Inhalt 

I.  Text  dor  Musik  zur  Einweihting  der  Unterkirehe  in  Frank- 
furt a/0.  1736. 

II.  Depgl  bei  Amvesenheit  des  Prinzen  mid  der  Prinzessin 
Friedrich  Wilhelm  von  Preussen  1737. 

III,  DesgL  bei  Anwesenheit  des  Konigs  1737. 

IV.  16  Briefe  Emannel  Bach's  aus  den  Jain-en  1772  bis  1775, 
V*  Facsimile  von  C.  Ph.  E.  Bach's  flandschrift. 


21* 


325    — 


Welches 

Am  Sontage  des  ersten  Advents  1736, 
Bey  der 

Solennen 


Der  FrankfurtMschen 

Unter-Kirche, 

Abgesungen  wurde. 

Frankfurth  an  der  Oder, 
Gedruckt  bey  Sigismund  Gabriel  Alexen. 


VOP   Mittage. 

TUTTI 

Ich  freue  mich  des,  das  mlr  geredet  ist,  dass  wir  werden  ins 
des  HErren  gehen.    Ps.  122. 

VErgniigtes  Israeli 

Auf!  preise  deinen  Gott, 

Den  dreymahl  heilgen  Zebaotli, 

Der  dir  den  Tern  pel,  den  er  liebet, 

Heut  wieder  giebet 

Tritt  vor  den  Danck- Altar, 

Entziinde  deiner  Andacht  Kertzen, 

Und  brlnge  ihm  die  eignen  Hertzen, 

Statt  Weyrauch,  Scliaaf  und  Hinder  dar, 

ARIA 

Blut  und  Kauch  vergniigt  dich  nicht^: 

Reine  Hertzen,  Hoehstes  Wesen, 

Hast  du  dir  zum  Lob  erlesen. 

Brennen  diese  wie  ein  Licht: 

So  erfullen  wir  die  Pflicht. 

Blut  und  Rauch-vergnSgt  dich  niclit 


—    326    — 

Wie  glucklich  ist  dein  Volck! 

Es  kan  in  seinen  Tempel  gehen, 

Wo  cleine  Ehre  wohnt. 

Dein  Zorn,  den  wir  so  ofit  verdienet, 

Hat  uns  bisher  geschont. 

Wir  diirffen  nicht  in  Winckeln  flehen; 

Weil  Fried  im  Lande  griinet. 

HErr!  was  dein  Fliigel  deckt, 

Das  hat  noch  nie  ein  Feind  geschreckt. 

Du  rettest  tins,  o  Gott;  ,h 

So  bald  wir  unsre  Noth 

Dir,  dem  Alhvissenden  bezeigen, 

Und  elufuichtsvoll  die  Kntie  beugen. 

Gelobet  sey  der  HErr,  cler  seinem  Yolcke  Israel  Ruhe  gegeben  hat, 

wie  er  geredet  hat. 
1.  B,  der  Konige  c.  8.  v.  16, 


Nach  Mittage. 

Wie  Lieblich  smd  deine  Wohnungen,  HErr  Zebaoth. 
Ps.  84 

ARIA 

Verdamnie,  Zion,  Leid  und  Nacht, 
Lass  Lust  und  Freude  sich  verneuen! 
Den  Tag  hat  dir  der  HErr  gemacht; 
Drum  lasst  uns  freuen, 
Drum  iasst  uns  frohlich  drinnen  seyn; 
Dem  Heyland  Hertz  und  Ternpel  weyhn, 
Und  seiner  Ankunfft  Palmen  streun! 

Du  sehntest  dicli 

Recht  angstiglich^ 

Wie  Yogel  nach  dem  eignen  Neste, 

Naeh  diesem  Feste. 

Da  hast  du,  Zion,  -nun  dem  Hauss ! 

Hier  schiitte  GOtt  dein  Hertze  aus, 

Hier  danck,  hier  lobe  ihn, 

Hier  kanst  du  deine  Wohlfahrt  bauen, 

Und  stets  dein  Gkicke  steiff  und  griin, 

Wie  eine  Ceder  schauen. 


-  327  - 

GOtt  ist  den  semen  mild, 

Der  HErr  ist  Sonn  und  Schild. 

Dein  Heyland  komt!  auf!  Zion,  schmiicke  dich: 

Dein  Brautigam,  dein  Konig  nahert  sich, 

Sieh  doch,  wie  Sanfftmuthsvoll,  wie  liebreich  ist  sein  Bild! 

ARIA 

Hochster,  wenn  wir  vor  dir  beten, 
Lass  uns  nie  zuriicke  treten, 
Ohne  einen  Gnaden  Blick! 
Welt  und  Siinde  mag  nns  hassen, 
Wilt  du  uns  nur  nicht  verlassen, 
0,  wie  fast  steht  unser  Gliick! 

TUTTI 

Wie  Lieblich  sind  deine  Wohnungen,  HErr  Zebaoth, 

Ps.  84. 


—    328    — 


Da 
Hire  Konigl.  Hoheit 

der 

Durchlauchtigste  Fiirst  und  Herr 
Herr 

Frtedrtch  Willielm, 

Prinz  in  Preussen  und  Markgraf  in  Srahdenburg 

und 

D  er  o 

Frau  Gemahlin 
Konigl,  Hoheit 

die 

Durchlauehtigste  Fiirstin  und  Frau, 
Frau 

Sophia  Dorothea  Maria 

gebohrne  Konigl.  Prinzessin  von  Preussen 
Die  Stadt  Frankfurt 

Mit 


beehrten 
legten  in  nachstehender 

©acutatt© 

ihre  unterthanigste  Freude  an  den  Tag 
Die  auf  der  dasigen  Universitat  studirende, 

Den  18.  Marty  1737. 


Gedruckt  bey  Philipp  Schwarzen,  Konigl.  Preuss.  Univ.  Buchclr. 


A  r  i  a. 

Frankfurt,  lass  in  vollen  Choren 

Dein  Yergniigen,  deine  Lust, 

Deine  Freudenlieder  boren, 

Lass  aus  der  entflammten  Brust, 

Deiner  Eegung  Kraft  zu  zeigen, 

Wunsch  auf  Wansch  zum  Hinrmel  steigen. 


—    329    — 
Recitativ. 

Jetzt  freut  Mcti  alles!   Ja  die  Minen 

Und  jedes  treuen  Unterthanen  Blick 

Kan  fast  statt  aller  Worte  dinen, 

Man  kan  aus  ihren  Augen  deutlich  lesen, 

Dass  selten  wol  fur  sie  ein  gottliches  Geschick, 

So  schon,  und  so  erwiinscht  gewesen, 

Als  dieses  ist, 

Dass  Da,  Dnrchlauchtstes  Paar,  in  Frankfurts  Mauern  bist 

Wir  denken  nock  mit  Lust  daran, 

Wie  reizzend  wir  vordem  geriihret  waren, 

Wenn  wir,  durch  unsres  Konigs  Gegenwart 

Gesehn,  bewundeit  und  erfahren, 

Wie  seine  vaterliche  Art 

Die  Herzen  ihrn  gewinnen  kan. 

Wir  sind  aniezt  fur  Freuden  halb  entziickt, 

Da  wir,  Durchlauchtstes  Paar, 

Dich  kaum  erblickt, 

Und  schon  in  D  ein  ein  hoben  Wesen 

Den  Ahdruck  unsers  Konigs  lesen. 

Wer  kan  dabei  der  Lust  den  frohen  Ausbruch  wehren? 

Wer  kan  den  inuntern  Trieb  verstecken, 

Da  wir  an  Dir  so  bald  entdecken 

Was  Dich  des  grossen  Vaters  Pracht, 

Und  S  ein  em  Ruhm, 

Den  Er  im  Wol  und  Flor  der  Unterthanen  sezzet, 

So  ahnlich  macht. 

Wer  kennt  der  Bninnen  Heiligthnm 

Das  Kleinod  aller  Zeit, 

Wer  kennt  Sophien  Dorotheen, 

Die  grusste  Kdnigin, 

Und  glaubt  nicht  Sie,  in  Dir,  Durchhiuchtste  Markgrafin 

So  wie  in  D  ein  em  Ehgeinal 

Des  grossten  Konigs  Geist  zu  sehen? 

Was  Wunder,  wenn  man  si  eh  von  solchem  Gliick  gestarkt 

Und  ungewohnt  gereizet  merkt, 

Was  Wunder,  wenn  bey  so  annehmlicher  Gewalt 

Die  Luffc  von  Wiinsehen  wiederschallt? 

Aria. 

Man  sieht  durch  Dich,  Durchlauchtstes  Paar, 

In  unsern  tief  und  kuhlea  Grunden, 

Die  allerreinste  Gluth  entzunden. 

Nun  wird  die  Ehrfurcht  offenbar, 

Und  was  in  so  viel  Herzen  sieekt 

Durch  Deine  Wirkung  aufgedecki  Da 


—  330    — 
Recitativ. 

Wo  Dein  gelinder  Blick  durch  unsre  Gassen  dringet, 

Da  wirst  Du  nichts  als  Lust  gewahr, 

Die  Deine  Gegenwart, 

Durchlauchtstes  Paar, 

Nicht  etwa  nur  zurn  Sehein, 

0  nein 

Durch  einen  sanften  Zug  erzwinget 

Die  Musen  sind  wie  ausser  sicb, 

Und  da  sie  Dich 

Vergniigt  gefunden: 

So  scheinen  die  den  Biicheru  abgestohlnen  Stunden 

Vortrefflieh  angewandt 

Denn  weil  sie  unsres  Kdnigs  Hand 

Beschiizzt,  so  halten  sie  davor, 

Du  konntest  sie  unmoglich  hassen. 

Hier  steht  ein  feuriger  Soldat, 

Durch  seiner  Obern  Beispiel  angefiihret, 

Und  wann  er  sich  an  Deine  Fenster  naht 

So  wird  er  so  da  von  geriihret, 

Als  hatt?  er  selbst  den  Mars  gesehn. 

Der  Kaufmann,  den  sonst  nichts,  als  Geld  und  Vortel  riihret, 

Legt  diese  Neigimg  ab,  und  lasst  urn  Dich  zu  sehn, 

Die  Haufen  karger  Kauffer  stehn, 

Die  Liebe  zum  Gewinn  wird  hintenangesezzet, 

Weil  inn  Dein  Anblick  mehr,  als  alle  giildne  Ziel 

Ergezzet. 

Er  stellt  in  Dir  sich  Deine  Enkel  vor, 

Und  sieht  bewegt,  so  vieler  Lander  Flor 

Die  Sie  einmahl  bis  an  den  Fall  der  Erden 

Durch  Bath  und  Arm  beschiizzen  werden. 

Die  Lust  1st  allgemein! 

Aria. 

Lass  Ehrfurcht  und  Freude,  Durchlauchtigstes  Paar, 

Den  Abtrag  so  vieler  gehailigter  Pflichten, 

Durch  Loben,  durch  Bethen,  durch  Wiinschen  entrichten. 

Der  Himmel,  der  Brandenburgs  Adler  bewacht 

Und  der  ihn  den  Sternen  so  nahe  gebracht, 

Erhobe  Dein  Gliicke,  so  lange  die  Welt 

Aus  Brandenburg  Eelden  und  Zierden  erhalt. 

Da  Oapor 


—    331 


Als 

Der  Allerdurchlauchtigste  und  Grossmkchtigste 

Fiirst  und  Herr 

H  err 

Friedrich  Wilhelm 

Konig  in  3?reussen 

Marggraf  zu  Brandenburg,  des  Heil.  Rom.  Eeichs 
Ertz-Cammerer  und  Churf  first,  Souverainer  Printz 
zu  Oranien,  Neufchatel,  und  Vallengin,  zu  Greldern,  Magde- 
burg, Cleve,  Jiilicli,  Berge,  Stettin,  Pominern,  der  Cassuben 
und  Wenden,  in  Meklenburg,  auch  in  Schlesien  zu  Crossen 
Hertzog,  Burggraf  zu  Nurnberg7  Fiirst  zu  Halberstadt7 
Minden?  Cammin,  Wenden,  Sc}iwerin;  Eatzeburg  und  Morss, 
Graf  zu  Hohenzollern7  Tecklenburg,  Lingen7  Schwerin, 
Biihren  und  Lohrdam,  Marquis  zu  der  Vehre  und  Kissingen? 
Herr  zu  Ravenstein,  der  Lande  Rostock7  Stargard, 
Lauenburg,  Butau,  Arlay  und  Breda, 


in  der  Martins  Messe  1737 

Mit  Dero  allerhochster  Gegenwart 

beehrten 
Wollten  ihre  allerunterthanigste  Ehrfurcht  und  Freude 

bezeugen 
Die  auf  der  dasigen  Universitat  Studirende. 


Frankfurt  an  der  Oder,  gedruckt  bey  Sigismund  Gabriel  Alexen. 


Aria. 

Entdeckt  durch  tauseod  frohe  T6ne, 
Was,  Musen   each  ^or  Last  ent^iiefct, 
Pa  ihr  den  grossteit  Held  erbliekt, 
Den  Held  so  vieler  SiegesfalmeB, 
Vater  seiner  Unterttoaneo, 


—    332    — 

Den  Sehutzgott,  der  die  Welt  begliickt! 
Entdeckt  durch  tausend  frohe  Tone, 
Was,  Musen,  euch  vor  Lust  entziickt, 
Pa  ihr  den  grdssten  Held  erblickt! 

Vergniigte  Stadt, 

Dein  Konig  ist  in  Deinen  Mauern, 

Der  grosse  Friederich, 

Auf  dessen  kluge  Vorsicht  sich 

Der  Lander  Wolfahrt  stiiizet, 

Von  Dem  sie  ihren  Ursprung  hat, 

Der  mit  dem  tapfern  Schwerdt 

Die  sichern  Granzen  schutzet, 

Dass  sich  der  Burger  ruhig  na*hrt. 

Erneute  Ehrfurcht,  Lieb'  und  Treu, 

Blick  auf  Dein  bliihend  Wolergehen, 

Lass  sebn,  wie  gross  die  Freude  sey, 

Den  Stiffter  giildner  Zeit  zu  sehen! 

Aria. 

Friedrich  Wilhelms  Muth  und  Waffen, 

Sein  erleuchteter  Verstand 

Konnten  leicht  die  Kuhe  schaffen, 

Misste  sie  das  Vaterland; 

Aber,  da  wir  sie  besitzen, 

Dienen  sie  uns  nur  zu  schiitzen, 

Und  der  hell  geschliffne  Stahl 

Kann  mit  Schimrner,  Glanz  und  Strahl 

Unserm  Held  zur  Freude  blitzen. 

Bey  so  erwiinschter  Zeit 

Kan,  sichres  Brandenburg  uud  Preussen, 

Wie  sehr  der  Neid 

Davon  geriihret,  dreut, 

Dir  nichts  Dein  Gliick  und  Wol, 

Das  ewig  dauren  sol], 

Entreissen. 

Tritt  Gott  und  Konig  vor  den  Hiss, 

So  ist  Dein  Schutz  gewiss. 

Nur  lass  die  Hande  niehmahls  sinken, 

Die  Vorsicht  eifrigst  anzuflehn, 

Damit  sie  Dis  gekronte  Haupt 

Der  Welt,  so  spat  als  moglich,  raubt, 

Der  Welt,  der  sie  es  selbst  zum  Heil  ersehn. 

Sieh,  unsrer  Musen  Chor 

Geht  Dir  hierin  mit  seinem  Beijspiel  vor! 


-   335    - 
Aria. 

Hochster,  schiifcze  Du  don  Konig, 
VeiJangre  Seines  Lebens  ZieH 
Sollst  Du  Flehen,  Wunsch  und  Willen 
Des  Ibegliickten  Volks  erfullen, 
0,  so  waren  hundert  wenig, 
Tausend  Jahre  nicht  zu  viel! 
Hochster,  schiitze  Du  den  Konig, 
Verlangre  Seines  Lebens  Ziel! 


Segne  Friedrichs  Thron  und  Erbenr 
Und  Sein  Durchlauchtigstes  Gemahl! 
Zeucli  die  Vaterliche  Eechte 
Nie  von  Unsres  Helds  Geschlechte^ 
Pieussens  Euhm  kan  nimmer  sterben, 
Sehmiickt  Ihr  Glantz  den  Ahnen-SaaL 
Segne  Friedrichs  Thron  und  Erben, 
Und  Sein  Durchlauchtigstes  Gemahl! 


—    334    ~ 


Sechszehn  Briefe  Einanuel  Bach's  aus  deu  Jahren 
1772  bis  1775. 


(Aus  dem  August  1772.) 

Hochedelgebohrner,  kurzum 
theuerster  Freund1), 

Ich  kann  Ihnen  den  Verdruss  nicht  genug  beschreiben, 
den  ich  wegen  meiner  Concerte  mit  vielem  Schaden  durch 
Herrn  Winter's  Tod  zu  uberwinden-  gehabt  habe,  hatte 
ich  voraussehen  konnen 

Tausendfachen  ergebensten  Dank  sage  ich  Ihnen  von 
Herzen  fur  alle  gutig&t  angebotne  Frcundschaft.  Ich  war 
in  der  Klemme  und  man  hat  niich  nicht  herausgelassen. 
Basta!  Nun  Gottlob  werden  gieich  nach  Michaelis  meine 
Concerte  herauskommen,  so  weit  sind  wir  nun  gewiss. 

Theuerster  Freund,  seyn  Sie  doch  so  giitig  und  mel- 
den  mir,  wie  vicle  Exomplare  von  alien  3  Theilen  nieiner 
Reprisen-Sonaten  und  von  meinem  Concerte  III.  aus  deni 
E-dur  der  seclige  Winter  bey  Ihnen  hat  liegen  lassen. 
Wegen  Dressden  thut  mir  leid,  der  Mann  ist  grundehiiich, 
allenfals  hafte  ich. 

Lieben  Sie  ferner  Ihren  ewig  treuen 

Freund  und  Diener 
Bach. 

•Die  beiden  Fugen- Exemplar e,  so  wie  sie  sind,  sollen 
zu  Ihren  Diensten  stehen.  Wegen  des  Preises  wollen  wir 
schon  fertig  werden. 

Wegen  Pohlen  haben  Sie  Eecht,  noch  kann  pre- 
numerirt  werden. 

Da  Sie  die  Fugen  brauchen  diirften,  so  schicke  ich 
sie  Ihnen  Franco  mit  der  Post. 


Original  im  Besitz  des  Herrn  Director  Klee  in  Dresden. 


An  Hrn.  Breitkopf  in  Leipzig. 


Hochedelgebohrner,  hochgeehrtester  Herr, 
theuerster  Freund1), 

Madame  Winter  hatte  mir  meine  Goncerte2)  verarrestirt, 
ohngeachtet  sie  nach  unserer  Abrechnung  mir  mehr  als 
100  Rthlr.  herausgeben  soil  und  sie  tiberdem  den  ganzen 
Verlag  unserer  gemeinschaftlichen  Biicher3)  in  ihren  Han- 
den  noch  bis  dato  hat.  Zur  Ursache  gab  sie  an:  ich  hatte 
Sie  gebeten,  mir  das  ganze  depot  in  Leipzig  von  den  ge- 
meinschaftlichen  Biichern  hieherzuschicken.  Mein  Wille 
war  nun,  von  Ihnen  zu  erfahren,  ob  von  diesen  Biichern 
noch  viele  in  Leipzig  waren,  weil  ich  voni  seel.  Winter 
in  5  Jahren  keine  Nachricht  davon  kriegen  konnte,  und 
er  auch  znletzt  weder  mir,  noch  andern  etwas  schickte, 
folgl.  glaubte  ich?  es  ist  alles  vergriffen.  Nun  war  zwar 
nicht  nothig;  das  geringste  hiervon  zu  sagen,  was  ein 
Freund  dem  andern  vertraut,  wie  ich  denn  auch  ruhig 
wurde?  da  mir  Winter  den  Bestand  meldete:  Da  es  aber 
doch  geschehen  ist,  so  musste  nicht  mehr  gesagt  werden, 
als  wahr  war.  Seyn  Sie,  verehrtester  Freund,  demnach  so 
gtitig  und  melden  Sie  mir  mit  der  ersten  Post  Ihr  Ver- 
theidungeri,  (?)  und  schicken  mir,  wenn  Sie  ihn  noch 
haben,  meinen  Brief  mit  hieher.  Sie  glaubeu  nicht,  was 
ich  fur  Aergerniss  deswegen  gehabt  habe.  Endlich  sollen 
meine  Goncerte  unterwegs  seyn.  Mit  was  fur  Gelegenheit 


1)  Orig.  im  Besitz  des  Hrn.  Kapellmeister  J.  Rietz  in  Dresden. 

2)  Muthmasslich  die  1772  erschienenen  6  leichten  Fliigel-Goneerte. 

3)  Offenbar  der  Vorratfe  der  ersten  ATW^^  &&  wafaren  Eunst 
Clavier  zu  spielen.  . 


befehlen  Sie  die  Exernplare?   Mein  letztes  Geld  ist  doch 
richtig  eingelaufen? 

Gewohnl.  massen  beharre  ich  mit  aller  Hochach- 
tung  Dero 

ergebenster  Diner 

Bach. 
Hamburg,  d.  14  Nov.  72. 

Zu  meiner  Legitimirung  bitte  ich  uin  Ihre  Erklahrung. 
Wie  kann  ich  denn  Bucher  von  Ihnen  verlangen,  dariiber 
Sie  nicht  disponiren  konnen? 


jjHochedelgebohrner,  Hochgeehrtester 

Herr 
Werthester  Freund, 

Sie  haben  nieine  Bitto  giitigst  genehmigt,  ich  danke 
Ihnen  ergebenst  dafur.  Gegen  Ostern  wird  es  erst  Zeit 
seyn?  die  Anzahl  der  Prilnumeranten  zu  berichten  nnd  die 
Gelder  einzuschicken.  Die  Fridericischen  Clavicorde 
haben  bey  mir  einen  grosseren  Vorzug  vor  den  Fritzi- 
schen  und  Hassischen  wegen  des  Tractaments  tind  wegen 
des  Basses  ohne  Octave,  welche  ich  nicht  leiden  kann. 
Die  Fortbiens1)  sind  sehr  gut  und  ich  verkaufe  Viele 
davon. 

Ich  beharre  inimerwahrend 

Ew:  Hochedelgeb. 

Hamburg  in  der  That  aufrichtiger 

d.  10.  Noveinb.  73.  xi,  ergebenster 

Eiligst, 


!)  Erne  Art  von  Fortepiano  in  Clavierform,  erfunden  von  dem 
OrgelbauerFriedericiinGera;  vgLKoch,  Mnsik-Lexikon.  pag.589. 


—    337    — « 

Hamburg,  d.  26.  Aug.  74. 

Geehrtester  und  Werthester 
Freund, 


&    Q 


g 


-         o 

§5  B    B  Hlerbey  erhalten  Sie  die  2  Biicher.  fur 

S     sj        *"^       i*^;^  "                                                                                               ' 

"*     a    2    ^  deren  richtige  Bezahlung  ich  Ihnen  bestens 

§^  £  §•  Q  danke.     Bey  deni  einen  linden  Sie  die  6 

o"  N    2    gt  gestochenen  Chorale  hinten  in  it  gebunden. 

""  ^    g"  Die  dabey  geschriebcnen  Anmerktmgen  sind 

o"  5*  ^*  B  yon  ^-er  Hand  des  seel.  Autors.     Ausser- 

^  S    2?  *"*  dein  erhalten  Sie  noch  6  Stucke  von  J.  S. 

ef   =f         o  und  eben  so  viele  von  W.  F.     Tinier  den 
ersteren  sind  6  angenehme  Yorspiele,  fur 

6    §    sf  g  Anfane-er  sehr  nntzbar.  und  unter  den  letz- 

p_,    P                O  ^                                                 7 

g.  I"  p  teren  ist  das  verlangte  Stuck  mit  2  Clavieren. 

sl!  ^   o>    §^  Beynahe  ein  Dutzend  Trii  von  J,  S.  und 

£3        ^       p       C/2  .      . 

§    5*        <j  noch  einlge  Pedalstiicke  von  ihm  stehen  zu 

^        ^  §  Dienste.    Dies  ist  alles,  was  ich  ha.be.    Es 

$L  g    ^.  §•  *st  argerlich,   dass    die  Sachen  vom  seel. 

3         §-  B*  Vater  so  herumflattern7  ich  bin  zu  alt  und 

CTQ    g    ^    »  zu   sehr  beschafti^t  um  sie   zusammenzu- 

CD           Hy-        Q  <J 

o"  2  a!    S  treiben.     Lieben  Sie  ferner 

^      CD      ^ 

gf1  cT  |"  Ihren  redlichen  Fr.  u.  Dr. 

Bach. 


Volti 


Bey  Grelege&heit,  da  Sie  zu  sagen  belieben:  wegen 
meiner  gedruckten  Sachen  dtirften  Sie  mich.  nicht  be- 
schwehren?  weil  Sie  sie  von  Breitkopf  kriegen  konnten, 
tabe  ich  die  Ehi*e,  Ihnen  zu  espliciren^  das  Sie  ausser 
den  Psalmen  folgend^  Saehen?  welche  ebenfalls^  NB.  samml- 

^,  Emanuel  and  Friedemann  Badu  °° 


lich  meine  Verlagsbucher  sind,  naher  und  far  eben  den 
Preiss  bey  mir  unmittelbar  haben  konnen,  weil  sie  Breit- 
kopf  YOU  mir  nimnit,  u.  ich  ihm  yielen  Eabbat  geben  muss. 
(1)  Heine  beyden  Versuche,  (2)  meine  letzten  sechs 
Concerte?  (3)  Alle  3  Theile  meiner  Reprisen-Sonaten,  mit 
Winter 'schen  Drucknoten,  (4)  Concerto  III.  init  denselben 
Noten,  aus  dem  E-dur.  Die  geschriebenen  Sachen, 
die  Breitkopf  von  mir  verkauft;  sind  theiis  nicht 
von  mir,  wenigstens  sind  sie  alt  nnd  falsch  ge- 
schrieben. 


(ft;      g*     p^ 

r*       2. 
ft.       £ 


§  1 


w^   fa 


ein  Stiick 
abgerissen.  i 


In  Eil  habe  ich  das  Vergniigen  Ihnen; 
bester  Freund;  den  Rest  meiner  Sebastia- 
nore  zu  scliicken?  nehml  11  Trii,  3  Pedal- 
stucke  und  Yoni  Himmel  hock  etc.    Sollten 
Sie  diesen  letzten  Choral  bereits  haben,  so 
schicken  Sie  ihn  gelegentlich  wieder  zuruck. 
Die  6  Claviertrio,  die  unter  ihren  Nummern 
zusammengehoren;  sind  von  den  besten  Ar- 
beiten  des  seel,  lieben  Vaters.    Sie  klingen 
noch  jetzt  sehr  gut,  und  machen  einena  viel 
Vergnugen?  ohngeachtet  sie  iiber  50  Jahre 
alt  sind.    Es  sind  einige  Adagii  darin,  die 
man  heut  zu  Tage  nicht  sangbarer  setzen 
kann.    Da  sie  sehr  zerlochert  sind,  so  be- 
lieben  Sie  solche  gut  in  Acht  zu  nehmen. 
Eiinftig  kommen  lauter  Emanueliana.    Jetzt 
war  es  unmogl    Lieben  Sie  ferner 


,  d.  7.  Oct.  74. 


Ihren  treuen  Treund 
u.  Diener  Bach. 


—    339    — 

Hamburg,  d.  15.  Sept.  74. 

Greehr  tester  Freurid, 

Sie  liaben  nicht  viel  und  nichts  besonderes  von 
naeinen  Sachen,  wie  ich  sehe.  Das  Concert  aus  dero  B 
1st  nicht  von  mir;  auch  die  3  Fugetten  nicht.  Ich  danke 
Ilmen  herzlich  fitr  ihre  guten  Wunsche.  Grott  segne  Sie 
dafur!  Die  6  Chorale  kosten  nichts.  Ich  werde  Ihnen 
ehestens  einen  Haufeu  meiner  geschriebenen  Arbeiten  liber- 
schicken,  jetzt  bin  ich  ganz  Oratorium?  wie  Sie  aus  der 
Beylage  sehen.  Hr.  K  lop  stock  und  einige  andere 
Frennde  sind  Ursache,  dass  ich  schon  wieder  aufs  Theater 
trete.  Seyn  Sie  so  giitig  und  weisen  Sie  Herrn  Boje; 
nebst  Vermeldung  meines  ergebenen  Compliments  ein  Paar 
hundert  v^ubscribenteu  zu.  Ich  innss  deni  Plane  des 
Hr,  Klopstocks  genau  folgen,  also  1st  der  Hen*  Bojr 
der  alleinige  Correspondent.  Ich  werde  Ihre  giitig e  Be- 
kanntmachung  nieiner  Absicht  mit  thatigem  und  gehor- 
samem  Danke  erkennen.  Ich  habe  nichts  vom  inusi- 
calischen  Opfer?  es  ist  aber  sehr  bekannt  und  leicht  zn 
haben.  Von  Concerten  haben  Sie  nun  alles,  was  ich  yon 
ihm  habe. 

Kommen  Sie  do  eh  bald  einmahl  zu  uns  her.  Jetzt 
bitte  ich  ferner  za  lieben 

Ihren 

aufrichtig  ergebensten 

Freund  u.  Diener 

Bach. 


340    — 


Den  aufrichtigsten  Dank  statte  ich 
Ihnen,  liebster  Freund,  fur  die  schonen 
Metwiirste  und  meine  wiedergeschickten 
Noten  ab. 

Die  2  Sonaten,  welche  Ihren  Beyfall 
vorztiglich  haben,  sind  die  einzigen  von 
dieser  Art,  die  ich  je  gernacht  habe.  Sie 
gehoren  zu  der,  aus  dem  H-ruoll,  die  ich 
Ihnen  mitschickte?  zu  der  aus  dem  B,  die 
Sie  nun  auch  haben,  und  zu  2en  aus  der 
Hafner-Wiirtembergischen  Sammlung,  und 
sind  alle  6  anno  1743,  im  Toplitzer  Bade 
von  mir?  der  ich  damahls  sehr  gichtbruchig 
war,  auf  einem  Claviacord  mit  der  kurzen 
Octav  verfertiget.  Nachher  habe  ich  meist 
furs  Publicum  arbeiten  miissen,  bis  auf 
einige  Sonaten,  von  gewohnlicher  Einrich- 
tung,  welche  ich  Liebhabern  zuweilen  vor- 
spiele  und  unbekannt  sind.  Hierbey  schicke 
ich  Ihnen  6  andere  Sonaten,  welche  etwas 
starker  sind,  als  die  mehresten  andern,  und 
nun  haben  Sie  das  von  meinen  Solos,  was 
ich  furs  beste  halte  zusammen.  Meine  Ar- 
beiten furs  Clavier  allein  enthalten  173 
Stucke,  theils  Sonaten,  theils  kleine  Samm- 
lungen  von  characterisirten  Stacken.  Von 
diesen  173  Stucken  sind  just  99  gedruckt. 
[Inter  diesen  letzteren  sind  einige  in  ein- 
zelnen  Saminlungen,  die  nicht  die  schwach- 
sten  sind.  Die  iibrigen  ungedruckten  alle 
sind  entweder  sehr  alte  Arbeiten  oder 
leichte  Sachen  fur  Anfanger.  Indessen 


—    341    — 

steht  alles  zu  Ihren  Diensten?  was  nur 
halbweg  nlcht  zu  schlecht  ist?  und  was 
nicht  unter  die  wenigen  gehort?  woinit 
nieine  alten  Finger  noch  ein  bisgen  auf- 
geputzt  werden,  wenn  Jemand  zu  niir 
kommt,  Das  nur  und  Unbekaimtes  muss 
jetzt  bey  mir  die  meiste  Freude  machen. 
^  Die  siebente  hier  beygefugte  Sonate 

gl  ist   ein  Mscrpt,  von   mir?    welches  Sie   nair 

^  zuru   Andenken   verwahren   konnen?    wenn 

g_  Ihnen  beliebt,     Sie  werdeii  sie  kennen?  sie 

^  steht  im  musicalisclien  Vielerley?  und  folgl. 

OQ  liabe    ich.    keine    Abschrift    davon    nothig. 

0  Man  will  jetzt  von  mir  6  oder  7  Fantasieu 

B*  haben?  wle  das  aehtzehnte  Probestiiek  aus 

P^  dein  C-moll  ist;  ich  laugne  nicht,  dass  ich 

in   diesem  Fache  gern  etwas  thun  mochte? 
vielleicht    ware    ich   auch   nicht  ganz  und 
^-  gar   ungeschickt   dazu?    iiberdem   habe  ieh 

^  einen    Haufen    Collectanea    dazu?     welche? 

o?  wenn   ich   Zeit  hlitte,    sie   in   Ordnnng   zu 

5*  bringen;   und   sie   allenfalls    zu  vermehren; 

fg  besonders   was    den  Gebrauch  aller  dreyer 

op  Genermn  betrifft?   zu  der  Abhandlung  von 

^  der   freyen  Fantasie   meines    zweyten  Ver- 

d.  suchs  gehoren:  allein;  wie  viele  sind  dereii, 

g  die  dergleichen  lieben,   verstehen   und  gut 

^  spielen?    Der  Hr.  von  Gerstenberg  und 

Hr.  E.  M.  Schreiberin  Copenhagen  u.  a.m. 
wiinschten  dergleichen  und-  offeriren  alle 
bona  officia:  allein  noch  habe  ich  wenig 
Lust  dazu?  eben  so  wenig?  als  zu  Clavier- 
sonaten  mit  ein  em  begleitenden  Instrument 
nach  dem  jetzigen  Schlendrian.  Doch  die- 
ses letztere  Un-  oder  Mittelding  konnte 
lucrativer  seyn,  als  jene  finstere  Faatasle. 


g- 


—    342    -- 

Ich  bin,  wie  allezeit,  nach  1000  Em- 
pfehlungen  besonders  an  Ef  und  M.  Heyne, 
von  ganzem  Herzen 

Ihr  ewig  treuer 

Hamburg,  d.  10.  Febr.  Fr.  u.  Dr.  Bach. 

75. 

An  den  Herren 

Forckel 

Nebst  Noten.  in 

Grottingen. 


Liebster  Herr  Forckel. 

Da  ich  nicht  das  Vergniigen  babe  haben  konnen?  Sie 
hier  zu  sehen,  so  uberschicke  ich  Ihnen  hierbey  wiederum 
ein  musicalisches  Fricassee  von  6  Ingredientien  zur  be- 
liebigen  Absclirift.  Die  2  Stiicke  fiir  die  Orgel,  sind?  wie 
die  vorigen,  niehr  ohne,  als  mit  Pedal,  und  miissen  so  seyn. 
Das  gedruckte  ist  nicht  herausgekonimen,  der  Verleger 
starb  daruber;  dies  Exemplar  war  die  Correktur. 

Ich  beharre;  nach  abgestattetem  gehorsamstein  Com- 
pliment^ an  den  Hr.  Hofr.  u.  Fr.  Hofrathin  Heine,  wie 
allezeit 

Ihr 

ergebenster  Fr.  u. 

Dr.  Bach. 
Hamburg, 
d.  3.  Junius  75. 


A  Monsieur 
Monsieur  Forckel 


(Jottingue. 


B   S   f-  B   ,_,  Hamburg,  d.  20.  Sept.  75. 

fin? 

»    8-  ^  ^  g*  Liebster  Freund, 
Q  ^-^  J3    pu 

o*  §    ^  g-  I-  Ftir  die  giitigst  eingesandten  4  Ducaten 

g    §*  S-"  §    g  danke  ich  Ihnen  verbundenst. 

p    g-  «*-  §.  g  Hierbey  habe  ich  das  Vergntigen,  Ihnen 

£-  §    ~  §    £-  etwas  aus  meinen  alten  Bachischen  Archive 

CC        ^.j     O  ^. 

M.        w    g    g.     zu  iiberschicken.    nebmlich  2  Stiicke  von* 

CJ  a     L^     Q3  t"^«  ' 

^  JT'S.  Q    1     <Jem  braven  Job.  Cbristoph.    und.   von 

ff>_^    i—i«    CD      »-;      ^S  j.       /  / 

§    §    If  !f.  <-•  ^essen  braven  Bruder  Job.  Michel  Bach? 

I""  ^  ^  I  c§  meineni  seel.  Grossvater  miitterlicher  Seits. 

"X  I-  d  "     ?  ^c^   bitte,   sie   gelegentlich  mir;    NB.  gut 

a?"  S"  ^j    S    §  conservirt?     weil    sie    etwas    miirbe    sind? 

gl  o    P^  g    g  wieder  zu  schicken.    Das  22stimmige  Stuck 

a    ^*    o^  g,  ^  ist  ein  Meisterstiick.     Mein  seeliger  Vater 

$*  S"  ST  5    §  ^a^  es  ein:aianl  ^n  Leipzig  in  der  Kircbe 

|    S  22.  ^  |-  aufgefuhrt,  alles  ist   liber  den  Effeckt  er- 

^    p:  PJ  S*  p  staunt.    Hier  habe  ich  nicht  Sander  ffenu^, 

SO*        O      $5* 

g^  F        ^    §"  ausserdem  wiirde  ich  es  gern  einmahl  auf- 

^  cc  ^  ^  c  fuhren. 
aq    2    ^  5*  §  Leben  Sie  vollkommen  wohl  und  lieben 

1  52    |^  §    §"  Sie  ferner 

2  2    co  s^  3  Ihren 

jt    SL.  i-»  Q   p 

5:  ^    g*  g-  treuen  Freund  u.  Dr. 

£      g      CD      CD  T%         T 

S    £-'  B  J3  Bach, 

Salutem  plurimam  Verte. 

(auf  der  andern  Seite!) 

Von  Fischern?   Froberger  etc,  etc. 
habe  ich  nichts,    Der  Himmel  weiss?  wo 
diese  Sachen  hingekommen  sind. 
A  Monsieur 

Monsieur  Forckel 
a 

Gottingue. 


—    344    — 

Hamburg,  d.  9.  Jenner  77. 

Liebster  Freund, 

Vergcben  Sie?  da  die  ganze  Christenheit  jetzt  ein- 
ander  ein  neues  Jahr  wiinschet,  und  einem  das  Haus  mit 
einena  Haufen  Eotas  oder  Laus  Deo  bonibardirt  wird?  dass 
icli  urn  kein  Heide  zu  werden,  Ihnen  von  Herzen  alles 
mogliche  Gute  In  cliesem  neuen  und  vielen  folgenden 
Jahrcn  wunsche  und  auch  mit  einer  Nota  ersclieine. 

Darf  ich  ausserdem  auf  die  2te  Samnalung  moincr  Wo- 
naten  nun  bald  um  Ihre- giitigen  Collecten  wieder  bitten? 
Ich  bin  steif  und  fest,  wie  allezeit 
ganz 

der 

Ihrige 

Bach. 

N  o  t  a 

des  Herrn  Forckels  HochEdelgeb. 
gelieben 

Ftir  4  Psalmon;  a  1  Thlr.  8  ggl.  .  .     5  Thlr.  8  ggl. 

Fiir  die  Zeiclinung  des  Stanimbaums    2   —    12  

Fiir  die  Israeliten 2    —      8   

Fiir  4  erste  Versuche 12    

Ftir  6  Reprisen-Sonaten 8    

Fiir  12  Pranurneranten  .......  12 


Summa  42  Thlr.  4  ggl. 
Eestiren  noch  19  Thlr. 
E  H  Gs  Bch. 

E  G  D  U  Dr. 

Bach. 
Hamburg,  d.  9.  Jenner  1777. 


345    — 


Theuerster  Freund, 

Ich.  komme   schon   wieder  mit  beykornmender  Nach- 
richt  auf  die  Betteley  imd  beharre 

Ihr 

ergebenster 

Bach. 
Hamburg,  d.  28.  Jan.  77. 

Seyn  Sie  so  genuigt,  imd  bitten  den  Herrn  Lodcn  in 
meinem  Nahmen  gleiehfalls  ergebenst. 

Hr.  ForckeL 


Liebster  Freund, 

Ich  bin  jetzt  in  der  Nothwendigkeit,  alles  niogliche 
aufzutreiben.  um  eine  starke  Zanlung  zu  thun,  die  ich 
nicht  voraus  sahe:  haben  Sie  also  fiir  miuh  die  Griite,  und 
tragen  Sie  je  eher  je  lieber  das  Ihrigo  mit  demjemgen, 
was  sie  wissen?  hierzu  bey,  urn  inich  keiner  unangenehmen 
Vorlegenheit  wegen  meiner  zu  leistcnden  Zahlung  bloszu- 
stellen. 

Ich  bin  und  beharre,  wie  allezeit? 

Ihr 

aufrichtiger  Freimd 
und  Diener 

Bach. 

Hamburg;  d.  2.  Aprill 
1777. 


346    — 


CD 


Hamburg,  d.  20.  Juni  77. 


I    I3  Theuerster  Freund, 

&=  E 

B    §  Da  nieine  neuen  Sonaten  bald  erschei- 

cc  nen  werden:  so  wunsche  ich  bald  nun  zu 
wissen,  was  sich  fiir  Pranumeranten  bey 
g  g-  Ihnen  gemeldet  haben.  Die  Nahmen  wer- 
5*  den  wieder  niitgedruckt.  Mein  armer  Sohn 

CD  $_  in  Roin  liegt  seit  5  Monaten  an  einer 
^  |  hochst  schnierzhaften  Krankheit  darnieder, 
|"  p,,  und  ist  noch  nicht  aus  aller  Gefahr.  0 
^  g  O  Gott,  was  leidet  mein  Herz!  Vor  3  Mo- 

g-  fcj  naten  habe  ich  ihni  50  Ducaten  geschickt, 
g  ^  und  in  14  Tagen  muss  ich  wieder  200  Thlr. 
W  ^  ftir  Doctors  und  Wundarzte  auszahlen; 
^  a-  "^C^  ^ann  n^ctt  mehr  schreiben?  als  zu 
P  g  bitten  mit  mir  Mitleyden  zu  haben  und 

mir  wo  moglich  beyzustehen. 
Ich  bin;  wie  allezeit 

Ihr 

Bach. 


—    347    — 

Hamburg,  23.  July  1777. 

Wehrtester  Freund? 

Bios  meine  jetzige  Noth  hat  In  Sie  gedrungen  und 
welter  kein  falscher  Gedanke.  Ich  bin  Ihnen  fur  Hiren 
guten  Willen  bey  eingesandten  3  Louisd'or  und  Musicalien 
sehr  verbunden  und  empfehle  mich  Ihrer  baldigen  fer- 
nern  Gewogenheit  bestens.  Von  den  neuen  Sonaten  werde 
Ihnen  zur  fertigen  Zeit  6  Exeutplare  zuschicken?  von  denen 
xSIe  nur  5  Stiicke  bezahlen.  Ihr  Exemplar  kostet  nichts. 
Es  ist  wohl  das  Wenigste,  dass  Ich  Ihnen  fur  Ihre  Freund- 
schaft  von  meinen  noch  zu  edirenden  Werken  allezeit  ein 
Exemplar  verehre.  Indess  bitte  doch?  das  Geld  ftir  die 
5  andern  Exeroplare  bey  Zeit  einzucassiren^  ich  habe  von 
nieinen  andern  Sachen  noch  so  viele  Rtickstande  die  mich 
sehr  beschwehren.  Bios  aus  Petersburg  soil  ich  noch  fur 
27  Sonaten  der  ersten  Sammlung  einen  Pfennig  sehen?  etc. 
Una  Sie  und  andre  Freunde  keiner  Verlegenheit  im  Ein- 
cassiren  waiter  auszusetzen:  so  wird  von  nun  an?  ohne 
eingeschicktes  Geld,  nichts  von  mir  weggesandt. 

Uebrigens  ist  unsere  in  Ihrem  Schreiben  gemeldete 
Rechnung  richtig. 

Hr.  Loden  antwortet  mir  gar  nicht?  woriiber  ich  rnich 
sehr  wundre. 

Ich  beharre?  wie  allezeit 

Ihr 

treuergebenster 
Bach. 


—    348    — 


Hamburg,  d.  15.  Oct.  77. 


g 


Liebwerthester  Freund, 

<j          Tau 

gelehrtes   Programma  !    Herr  Leister  hat 


1    gf  <j          Tausend  Dank  fur  Ihr  schemes,  fur  Ihr 


&  *  "»    t$    $     es  seilon    ail£e     ey   sc>   lim  es 

CD    §   ^  ^  HH    resP°n(ienten  zu  recensiren.     Nach  ineiner 

^    T  |    I    2^  ^J111"11^?  NB  lim  Liebhaber  zu  bilden, 

^  §    ^    ^"*  ^  konnten  viele  Dinge  wegbleiben,  die  man- 

^  "     2:  o"  CD'  cher  Musicus  nicht  weiss,  auch  eben  noth- 

|:  1.  g:  3-  ^  wendig  nicht  wissen  darf.    Das  Vornehmste, 

&  g.  §-  S"  |"  nehral.  das  analysiren  fehlt.     Man  nehine 

g    ^  ^  g*  g  ^on  aller  Art  yon  musicalischen  Arbeiten 

I"  gl  O  S.  wahrhafteMeisterstucke;  zeige  den  Lieb- 

§-  p^  8-  ^  ^^bern  das  Schcine,  das  Qewagte,  das  Neue 

^   8  <g   ^  darin;    man   zeige  zngleidi,    wenn    dieses 

H-I  <?  I"  cc  a^es    nic^    wfire;    wie    unbedeutend    das 

§"  &  3*  g  Stuck  sein  mirde;    ferner  weise    man   die 

c  °S   ^  E  Collier,    die    Fallbriicken    die    vormieden 

|    §    orj  sind'    und    besonders    in    wie    fern    einer 

^"»  H   y  V0m  Or(iinairen  abgeht  und   etwas  wagen 

S'  |   |]  gl  konne  u.  s.  w.    Doch  Sie  wissen  nun  schon 

^  ^  «*  ^  mehr  als  ich  Ihnen  jetzt  sagen  kann. 
Lieben  Sie  ferner 

Ihren  alten  ehrlichen  Bach. 


—    349 


Hamburg,  d.  22.  Dee.  75. 


Liebster  Freund, 

JEndlich  erscheinen  hierbey  nieine  Israeli  ten.  Von 
den  verlangten  Antiquita'ten  liabe  ich  noeli  nichts  auf- 
trelben  konnen. 

Ich  muss  wegen  der  Feyertagsarbeiten  scliliessen,  icb 
wiederhole  nieine  BItte  wegen  meiner  Honaten?  worauf  NB 
nicht  subscribirt?  sondern  praenumeiirfc  wird.  Sie  belleben 
die  Gelder  dafiir  so  lange  bey  sicli  zu  behalten?  bis  ich 
daruni  bitten  werde. 
Lieben  Sie  ferner 

Ihren 

^yallre^  Freund  und  Dlener 
Bach. 


Druckfehler, 


Seite  21 

„  30 

„  50 

„  53 

„  54 

w  56 

„  87 


„  112 

„  117 

,.  119 

„  142 


Zeile 


29  statt  900  lies:  200  Thlr. 
13  das  Wort  sind  fortzulassen. 

10  statt  1746  lies:  1767. 

12/13  statt  an  einzelnen  Wendungen  lies:  in  ein 

zelnen  Wendungen. 
20  statt  Tosou  lies:  Toson. 
1  statt  ohnehin  lies:  ohnedem. 
7  statt  et  lies:  e. 

9  (von   unten)   statt   hinzudrangen   lies:    hinztt 
drange. 

11  statt  Genius,  Gestalt  lies:  Genius-Gestalt. 
28  statt  diirfte  lies:  durfte. 

23  statt  Naumburg  lies:  Hamburg. 


8  statt 


lies: 


„   161     „       8  statt  lies: 


„  205     „ 


staft 


lies: 


„  224     „     18/19  statt  der  schonen  Andnntuie  lies:  dein  schd 

*  nen  Andantino. 

„  258     ?,     32  statt  Gegenwort  lies:  Gegenwart. 


17  statt 


lies: 


Ma-jestat 


Ma-jestat 


!ft>(rv-.- 


•f  8 


\YltH,   f'RIEDEMANN    ^ACH. 


CML  PfflJPP  EMADEL 


WILHEIlMEDEMiMBACH 

IMD  DEREN  BRUDER. 


VON 


C.  H.  BITTER. 


MIT  POBTRAIT  TJ1SD  FACSIMILE  VON  FRIEDEMANN  BACH,  SOWIE  MIT 
ZAHLKEIC 


BERLIN,  1868, 

VEBLAG  VON  WILE.  M0LLER, 


OBAXIBN-STRASSB  165a. 


Malt 

des  zweiten  Bandes, 


Carl  PMlipp  Eiaauel  Back 

Fortsetznng  des  ersten  Bandes.  Cap.  V. 


D.  Die  Oratorien 1 

E.  Die  geistlichen  und  weltlichen  Lieder  .  .  60 

F.  Die  weltlichen  Cantaten 81 

G.  Gesammte  Uekrsieht  aller  Compositionen  91 
Cap.   VI.  Biographisches 95 

H.  AbseMtt. 

Cap.  YE.  Johann  Christoph  Priedrich  Bach 131 

Cap.  VIE  Johann  Christian  Bach 140 

Cap.  II  Wilhelm  Friedemann  Bach 150 

Anhang  mit  besonderem  Inklts-Verzeiehmss  ...  269 


Fortsetzung  von  Capitel  V.  des  ersten  Bandes* 


Em.  Bach  hat 

D,  Drei  Oratorien 

geschrieben, 

Der  eigentliche  Kirchenstyl  ist  fur  diese  durch  Handel 
zu  so  stoker  Hohe  emporgehobene  Musikgattung  nicht  in 
seiner  vollen  Strenge  anwendbar.  Freiere  Formen,  leb- 
haftere  Farben  werden  fiir  die  mehr  dem  Draraatisclien 
sich  zuneigende  Tendenz  dieser  Werke  nothwendig.  Schon 
nach  dieser  relativen  Seite  bin  iniissen  Bach?s  Oratorien 
einer  hoheren  Stufe  angehoren;  als  die  meisten  seiner 
frir  den  Grebraucb  der  Kirche  geschriebene  Arbeiten.  Aber 
auch  ihr  absoluter  Werfch  ist  bedeutender. 

Ln  Ganzen  ist  Her  der  homophone  Styl  weniger  flach  ak 
dort.  Er  wird  nicht  selten  von  glanzenden  und  wahrhaft 
grossen  Tonsatzen  und  von  einer  Fulle  harmonischer  Schon- 
heiten  unterbrochen?  denen  man  in  den  Bach'schen  Kirchen- 
Mnsiken  nur  selten  begegnet.  Die  Arbeit  ist  sorgfaltiger, 
ernster  und  selbst  in  der  Arie  tritt  vielfach  das  Bestreben, 
blosse  Unterhaltungsnmsik  zu  geben?  vor  einer  charak- 
teristisch  entwickeiten  organischen  Gestaltung  zuriick. 

Bach  zeigt  sich  hfer  yon  seinen  Aufgaben 

Bitter,  Emanuel  uad  Friedemaita  Bac3t  JL  1 


aickt  selten  begeistert.  War  ihm  aucb  nickt  gegeben  das 
Hochste  zu  erreichen,  so  hat  er  dock  das  Verdienst,  in 
•wakrkaft  kunstlerischer  Weise  Grosses  gesckaffen  zu  kaben. 

Die  Zeit  Back's    nannte   das    erste  seiner  Oratorien 
Die  Israeliten  in  der  Wiiste 
,,ein  Sing-Gredickt." 

Es  ist  iin  Jakre  1769 ,  also  sehr  bald  nack  seiner 
Uebersiedeltmg  nack  Hamburg  entstanden.  Das  Gedickt? 
dessen  Text  iin  Ankange  unter  Nr,  V.  abgedruckt  ist;  war 
yon  Sckiebler,  einem  zu  seiner  Zeit  geackteten  Dickter 
in  Hamburg,  gefertigt.  Ein  nock  zu  Lebzeiten  Back's 
sick  tiber  die  Form  und  Bedingungen  von  Oratorientexten 
verbreitender  Aufsatz  sagt  daruber1),  es  konne  alien 
aknlicken  Arbeiten  zum  Muster  dienen.  Man  wurde 
bei  Untersucktmg  desselben  finden,  dass  es  in  Absickt  auf 
aussere  Einricktung  und  innere  Bekandlung  so  besckaffen 
sei?  wie  die  fur  solcke  We?ke  bestekenden  Regeln 
es  bestimmten.  Auck  sei  es  bloss  dieser  Einricktung  zu- 
zuschreiben,  dass  es  weit  nattirlicker  sei  und  weit  mekr 
interessire?  als  die  meisten  ubrigen  bekannten  dramatisirten 
Oratorien2). 

Jene  Regeln,  an  deren  Beacktung  ein  so  giinstiges 
Resultat  gekniipft  worden  ist,  sind  nun  folgende: 

1.  Dass  in  dem  Oratorio  nur  wenig  kandelnde  Per- 
sonen  yorkommen  diirfen, 

2.  Dass  die  Recitative  kurz  sein  und  keine  Dialoge 
oder  forrnlicke  Erzaklungen  entkalten  sollen, 

3.  Dass  alle  Umstande  fortbleiben,  welcke  nui-  einer 
Handlungj  die  auf  dem  Tkeater  vorgestellt  werden 
soll?  angemessen  sind. 

Es  sind  dies  Regeln  yon  rein  negativem  Charakter, 
deren  Beacktung  oder  Nicktbeacktung  im  Wesentlicken 


Fork  el's  Leipziger  Musik-Almanach  y.  1783.    S.  199  ff. 
2)  Ob  unter  diesen  Oratorien  die  von  Handel  mit  verstanden 
sein  mogen? 


stets  von  den  dem  Texte  zu  Grunde  liegenden  Motiven 
land  ihrer  dichterischen  Ausnutzung  abhangig  sein  wird. 
In  jedem  Falle  wird  zugegeben  werden  raiissen,  dass  eine 
auf  den  Concertsaal  beschrlinkte  oratorische  Musik  durch 
ein  gewisses  Maass  von  Gegensatzen  getragen  werden 
rnusse,  und  dass,  wenn  durch  diese  ein  drarnatisehes  Ele- 
ment in  die  Musik  gebracht  wird,  dies  fur  die  kiinstlerische 
Wirkung  und  Eindrucksfahigkeit  des  Ganzen.  nur  von 
Vortheil  sein  konne. 

Es  beruht  grade  hierin  der  innere  Unterschied  zwischen 
der  Cantate  und  dem  Oratoriuin?  dessen  rnehr  in  das 
dramatische  Element  iibergreifende  Gestalt  die  blosse 
Lyrik  des  Gantatenstyls  und  der  Gantatenform  zu  einem 
gi-osseren  Organismus  erhebt.  Dies  hat  sich  bei  der  Mehr- 
zalil  der  Handel'schen  Oratorien  bewahrt. 

Fasst  man  mit  Bezng  auf  die  obigen  Regeln  das  Gedicht 
Schiebler's  in's  Auge,  vergleicht  man,  was  darin  gegeben 
ist  mit  dem  grossen  Reichthum  an  Begebenheiten  iin 
Wtistenzuge  der  Juden^  die  in  den  heiligen  Biichern  dar- 
gestellt  das  Geprage  musikalischer  Bedeutung  und  Gestal- 
tungsfahigkeit  in  sich  tragen,  so  muss  man  zunachst  aner- 
kennen;  dass  ihm  in  den  weuigen  Personen?  welche  seine 
Trager  sind?  Moses  (Bass)?  Aaron  (Tenor),  zwei  Israelitinnen 
(1.  u.  2.  Sopran)?  ein  so  geringer  Reichthum  an  Characteren 
und  Niiancirungen  gegeben  ist,  wie  dies  nur  irgend  moglich 
war.  Aaron  ist  eine  vollig  nichtssagende  Figur.  Die 
Israelitinnen  scheiaen  nur  der  von  ihnen  zu  singenden  Arien 
wegen  in  das  Gediclit  eingeflochten  zu  sein.  Sie  konnen 
^bensowenig  als  Reprasentanten  des  Judenthums  in  Allge- 
memen;  als  der  die  Wtiste  durchziehenden  Juden  insbe- 
sondere  betrachtet  werden.  Das  Personen-Interesse  wird 
lediglich  auf  Moses  concentrirt,  und  dieser  als  der  Trager 
des  Ganzen  mit  der  Aufgabe  belastet,  die  Aufrnerksamkeit 
und  SpanBtmg  des  ziihorenden  Publikums  rege  zu  erhalten. 
So  lange  er  nun  dem  verschmachtenden,  unzufriedenen,  im 

i* 


_    4    

Sturm  der  Emporung  aufbrausenden  Volke,  als  Gegen- 
satz  gegemiber  steht?  so  lange  erhalt  sich  das  Oratoriuin 
auf  der  Hohe  eines  bewegten,  kiinstlerisch  und  nmsikalisch 
anregenden  Lebens7  tritt  aber  dadurch  auch  zugleich  aus  dem 
engen  Rahmen  heraus,  den  die,?Regeln"  sehr  unnothiger 
Weise  Yorzeichneten. 

Mit  dem  ersten  Theile  horen  aber  diese  Gegensatze 
auf.  Die  Handlung  wird  nirgend  mehr  durch  spannenden 
Wechsel  belebt.  Die  gauze  Dichtung  des  zweiten  Theils 
ist  gegenstandslos.  So  steigt  das  Werk  von  der  Hohe 
herab?  auf  der  es  sich  bis  zum  ScUuss  des  ersten  Abschnitts 
erhalten  hatte. 

Der  Dicliter  hatte  geglaubt?  durch  den  prophetischen 
Hinweis  auf  das  Konimen  des  Messias  den  Mangel  an 
Handlung  ersetzen  zti  konnen.  Aber  dieser  Hinweis  wiirde 
nur  von  Wirkung  gewesen  sein;  wenn  es  nioglich  gewesen 
•vyare,  ihn  mit  der  Geschichte  des  Zuges  der  Juden  durch 
die  "Wiiste  in  einen  inneren  Zusamnaenhang  zu  bringen. 
Diesem  Zuge  war  aber  die  nach  mehr  als  tausend  Jahren 
bevorstehende  Erscheinung  Ohristi  vollig  fremd. 

Hatte  der  Dichter;  der  yo^lig  vergessen  zu  haben  scheint, 
dass  das  Mosaische  Gesetz?  dureh  d  ess  en  Verbildung  und 
Verknocherung  die  gottliche  Sen  dung  des  Messias  bedingt 
worden  ist,  damals  noch  gar  nicht  gegeben  war;  nicht 
bloss  den  ausseren  Schwierigkeiten  des  Zuges  in  der  Wiiste 
Eeehnung  getragen,  sondern  auch  die  Gefahr  des  Abfalls 
yon  dem  einigen  Gotte?  die  Verleitung  zuna  Gotzendienste 
in  der  Anbetung  des  goldeuen  Kalbes  und  die  durch  den 
grossen  Propheten  herbeigefuhrte  Gesetzgebung  fur  die 
inusikalische  Darstellung  benutzt,  dann  wtirde  er  zwar 
wohl  gegen  die  Eegeln  seiner  Zeit  verstossen  haben;  er 
hatte  aber  ein  Gedicht  geliefert,  das  den  Genius  des  Ton- 
setzers  nicht  eingeengt,  sondern  gehoben  hatte,  und  das 
muthmasslich  noch  jetzt  fur- sich  selbst  wie  far  die  ihm 
gewidmete  Musik  eine  dauernde  Geltung  in  Anspruch 
nehmen  diirfte. 


_  ,    5 


Ueber  den  Verbleib  der  Original  -Partitur  ist  nichte 
bekannt.  Das  im  Besitz  der  K.  Bibliothek  zu  Berlin  be- 
findliche  Exemplar  der  (1775  im  Selbstverlage  Bach's  ge- 
druckten)  Partitur  war  einst  im  Besitze  der  Gattin  Klop- 
stock's  gewesen,  von  der  es  Polchau  erhalten  hat.  Es 
mag  wohl  ein-Geschenk  Bach's  an  die  Frau  seines  Freundes 
gewesen  sein;  die,  wie  es  scheint,  Sangerin  war.  Mindestens 
finden  sich,  offenbar  fiir  sie  geschrieben,  in  die  S.  21  und 
94  befindlichen  Arien  der  zweiten  Israelitin  von  Bach's 
Hand  Veranderungen  eingetragen?  welche  auf  einen  nicht 
geringen  Grad  von  Coloraturfertigkeit  schliessen  lassen. 
Dieser  an  sich  unerhebliche  Umstand  bezeugt?  dass  der  Par- 
titur-Abdruck  selbst  als  zuverlassig  betrachtet  werden  darfl 

Das  Werk  beginnt  mit  einer  kurzen  Instrumental-Ein- 
leitung  (C-moll,  Allabreve,  Adagio?  2  Floten?  Streich- 
Quartett).  Klagende  abgerissene  Gange  der  gedampften 
Streich  Instrumente,  zuerst  iiber  den  langgehaltenen  Tonen 
der  Basse  ? 


pp 

die  vom  7.  Takte  in  eine  ernste  Gegenbewegung  zu  den 
Oberstimmen  ubergehen?  steigern  sich  mehr  und  mehr  zu 
schmerzlicher  Erregung. 

Der  Chor  beginnt  in  kurzen ;  wie  aus  ausserster  Er- 
schopfung  hervorgehenden?  hie  und  da  abgebrochenen 
Satzen  im  leisesten  Pianissimo:  ??Die  Zunge  klebt  am 
dtirren  Gaumen/4 

Bei  der  Wendung  des  Textes:  ;,Gott!  Du  erhorst 
des  Jammers  Klage  nicht," 


—   6 


i. 1 1 1 _M ) 


G-ott,  du    er-horst  des    Jam    -    mers  Kla  -  ge  nicht 

I 


fj1- 


bricht  der  Schrei  verzweifelnder  Sorge  in  der  frappanten 
Modulatidn  von  As  nach  F-nioll  fur  einen  Augenblick  her- 
yor,  um  mit  deni  nachsten  Takt  wieder  in  den  Ton  der 
Klage  zuriickzuf alien.  Beide  Satze  erscheinen  zweimal, 
bis  die  Klage  leise  erstirbt. 

Das  hoflFmmgslos  schmachtende  Elend  des  Volkes  steht 
dem  hochsten  Gripfel  der  Noth  nahe.  Sein  Muth  ist  ge- 
brochen,  seine  zalie  Energie  zerstort.  Unter  der  -trockuert 
Gluth  der  Wliste  erstirbt  seine  Lebenskraft. 

Eine  polyp  hone  Behandlung  des  Chorsatzes  hat  nicht 
statt  gefunden?  konimt  iiberhaupt  in  dem  ganzen  Oratorio 
nirgends  vor.  Das  Orche&ter  bildet  iin  Wesentlichen  nur 
eine  Ver&tarkung  des  honiophonen  Ganges  der  Gesangs- 
stiinmen.  Das  melodisch-rhythniische  Element,  dem  sich 
Bach  tiberhaupt  so  sehr  zuneigte?  ist  vorherrschend.  Da- 
gegen  ist  die  Charakterisirung  der  Situafion  meisterhaft, 
die  Declamation  der  Worte  in  alien  Stimmen  sprechend, 
der  Ausdruck  ruhrend,  fur  den  orientalischen  Charakter; 
der  hier  dargestellt  werden  soil,  vielleicht  etwas  zu  deutsch 
gehalten. 

No.  2.  Einern  kurzen  Recitativ  mit  ausdrucksvoller 
Declamation  folgt  eine  Arie  der  ersten  Israelitin  (Es-dur 
3/4  Allegro,  Quartett).  wWill  er,  dass  sein  Volk  ver- 
derbe?"  der  en  erster  Satz  lebhaft,  feurig,  in  gedrungenem 
Styl  gesetzt,  der  Form  der  damaligen  Zeit  entsprecheild 
gebaut  ist.  Der  Mittelsatz  (Andante,  0-dur  »/4)  bildet  nur 


eine  kurze  melodische  Unterbrechung  zwischen  dem  ersten 
Satze  und  der  Wiederholung  desselben.  Die  Arie  1st  sehr 
lang.  Melodie  und  Behandlung  des  Orchesters  erinnern 
lebhaft  an  Grraun. 

An  sie  schliesst  sich 

No.  3.  Recitativ  des  Aaron,  vom  Streich-Quartett  in 
langgezogenen  Accorden  begleitet.  Moses  Bruder  mahnt 
z  m  Ausharren  in  der  Priifung  und  zum  Vertrauen  auf 
den  Herrn. 

Es  folgt  dessen  Arie  (D-moll  3/s  Andante  ?  Quartett) 
?7Bis  hieher  hat  er  euch  gebracht,"  der  es  an  jedem 
besonderen  Interesse  erregenden  Zuge  fehlt. 

No.  4.  Auf  ein  kurzes  Secco  -  Recitativ  der  zweiten 
Israelitin  folgt  wiederum  eine  Arie  (F-dur  4/4  Larghetto, 
Quartett  mit  Sordinen):  77O7  bringet  uns  zu  jenen 
Mauern,"  von  der  nur  zu  wiederholen  ware,  was  fiber 
die  beiden  vorhergehenden  Arien  gesagt  ist. 

Bach  hat  fur  die  Gesangsstimme  die  schon  oben  be- 
merkten  Veranderungen  eingeschrieben,  die  der  Arie  ein 
mehr  coloraturartiges  Q-eprage  verleihen,  ohne  ihr en  Character 
zu  heben, 

Durch  die  sich  wiederholende  Grleichartigkeit  der  Form, 
die  durch  keine  Nuance  gemilderte  Eintonigkeit  der  In- 
strumental-Begleitting  und  die  Interesselosigkeit  der  melo- 
dischen  Erfindung  dieser  drei  nach  einander  folgenden  Arien 
wird  die  Aufnierksamkeit  der  Zuhorer  empfindlich  herab- 
gestimmt.  Bach's  Zeit  dachte  hieriiber  zwar  anders-,  den- 
noch  ist  es  zu  verwundern?  dass  einem  so  feinen  Kenner 
der  musikalischen  Mittel  und  Wirkungen?  wie  er  war?  der 
nachtheilige  Einfluss  entgangen  ist,  der  aus  diesem  Uebel- 
stande  for  die  nachhaltige  Wirkung  seines  Oratoriums 
folgen  musste. 

Aaron  verkiindet  in  kurzem  Reeitativ  das  Nahen 
des  Moses. 

No.  5.  Eine  Symplionie  (mit  der  Bezeichnung  7,oiiT^r- 
tmren  massig/^  G-dmr  \,  3  Trompeten,  Pauken,  2  Hom^r, 


2  Oboen,  Quartett)  kiindet  in  majestatischem  Schwunge 
das  zitrnende  Erscheinen  des  Gesetzgebers  an,  der  sein 
Volk  mit  gross  em  Sinn  aus  der  Knechtschaft  der  Pharaonen 
durch  Entbehrimgen  und  Leiden  zur  Freih.eit?  Wiirde  und 
Grosse  zunickzufiihren  unternommen  hatte. 

Mit  Eecht  entfaltet  der  Tonsetzer  bei  dem  ersten  Ein- 
treten  seines  Helden  in  den  Gang  des  Dramas  die  ganze 
orchestrale  Pracht,  deren  er  fahig  war.  So  stellt  er  die  Er- 
scheinung  des  altesten  nnd  ersten  der  Propheten  des  be- 
vorzugten  Volks  in  dem  Glanze  jener  aussergewohnlichen 
Hoheit  dar?  der  dem  Auserlesenen  des  Herrn  gebiihrt. 

Anf  die  einformige  Melodik  der  vorhergehenden  Arien 
wirkt  dieser  kurze  Instrumentalsatz  wahrhaft  erfrischend. 
Moses  fragt  voll  Zorn:  ?7Welch'  Greschrei  tont  zu  dem 
Thron  des  Herrn  empor,  und  reizet  seine  Eache?" 
Da  bricht  die  verhaltene  Aufregung  des  verschmachtenden 
Volkes  in  wilder  Flamme  hervor. 

No.  6.  Mit  sammtlichen  Instrumenten  setzen  die  Ge- 
sangsstimmen  ( Allegro  7  Es-dur  4/4)  in  kraftigem  Unisono 
ein:  ,?Du  bist  der  Ursprung  unsrer  Noth!"  Nur  die 
Violinen  stiirmen  in  lebhaften  Harpeggien  (die  in  tadel- 
loser  Reinheit  ziemlich  schwer  auszufuhren  sind?  und  die 
innere  Erregung  des  sicJi  emporenden  Volkes  malerisch 
darstellen)  nebeu  dem  Gesange  daher. 


Bu  bist     der  Ursprung  unsrer 


i       ,        z=r~zz  —  ITII:  

fc  !»- 

h-,  

Ml 

*/~ 

-k_4  n  1  ^  —  ?  —  „  

Noth.                        Hast           uns      ge  -  fahrt. 

£$—*    ^M^  --  ^iu*  —  i"*^1  — 

•^LTp  — 

9 

Naeh  dem  4.  Takte  schweigen  die  Blaser?  und  indein 
die  Streich-Instrumente  auf  dem  tiefen  B  ruhen;  treten 
Sopran;  Alt  und  Tenor  mit  den  Worten  rGottschiurninert 
durch  einen  herrlichen  Vocal-Effect  m  den  mebrstiramigen 
Satz  fiber. 

Die  Erregung  steigert  sich.  Wahrend  die  Violinen 
ihre  Figur  in  gleicher  Lebhaftigkeit  verfolgen,  die  Oboen 
den  Sopran  und  Alt7  die  Horner  die  unteren  Stimmon  ver- 
starken,  folgen  die  Basse  mit  der  Orgel  dem  Chor  in  der 
unteren  Octave ?  bis  bei  den  Worten  ?7Nein.>  wir  hoffen 
nicht"  alle  in  das  Unisono  zuriickfallen  und  der  Hatz 
nach  kurzem  wild  erregten  Zwischenspiele  des  Orchesters 
von  Neuem  beginnt. 

Hier  ist  ein  Cliarakterbild  gegeben,  das  eines  grossen 
Meisters  wiirdig  ist  und  in  seiner  Grossartigkeit  und  ener- 
gischen  Farbung  daran  erinnert,  dass  sein  Drheber  der 
Sohn  jenes  Mannes  war,  dessen  gewaltiger  Geist  die  Volks- 
Chore  der  Jnden  in  den  Passionsmusiken  geschaffeu  hatte. 

No.  7,  Ein  langes  Secco-Recitativ  des  Moses3  in 
welchem  dieser  den  Jtiden  ilrren  Undank  gegen  den  Gott 
ihrer  Vater  vorlialt?  fuhrt  zu 

No.  8.  Duett  fur  2  Soprane  (E-moll  Vs,  2  Floten, 
Quartettj:  ?JUmdonst  sind  unsre  Zahren,"  das  sonst 
nicht  ohne  melodische  Anmuth  ira  20.  und  21.  Takte  in 
ein  liedartiges  Motiv  fallt, 


Uxn     -     sonst  sind  unsre    Zahren 


das  an  dieser  Stelle  nicht  recht  passend  ist.  Die 
begegnen  sich  zuerst  in  einfacheui  Wechselj  treien  aber  bald 
zu  wohlklingenden  Terzen-  and  Sexten-Gaiigeu  zusamm&i, 
weld  io  gcgen  den  Sehlun*?  des  erst  en  >Satzes  liin  bei  dem 
zweiten  Eintritt  d<T  Worte:  ?;Kein  Trost  senkt 


—    10    — 


herab,"  durcli  eine  fur  deu  ersten  Sopran  wenig  sangbare 
contrapunktische  Steigerung  wohlthatig  unterbrochen  wer- 
den.  Flo  ten  und  Violinen  dienen  aucli  Her  fast  nur  zur 
Verstarkung  der  (jresangsstinmien. 

Der  Mittelsatz  (H-inoll  3/8?  Vivace)  ;;Uns  droht  das 

off  en  e  Grab"   erhebt   sich   zu   tragischeni  Pathos.     Die 

.drei  mit   poco  Adagio    bezeichneten  Takte,  ,,Der   tins 

das  Dasein  gab/'  von  den  Violinen  und   der  JBratsclie 

pianissimo  begleitet,  treten  sehr  schon  hervor. 

No.  9.  Recitativ  Acconip.  (C-moll  4/4?  Molto  Adagio) 
Moses ,  von  den  Leiden  seines  Volkes  tiberwaltigt,  das  da- 
hinsterbend,  mit  dazwischen  gestreuten  kurzen  Chorsatzen 
ihn  unterbricht,  bereitet  sich  zum  Gebet  vor.  Der  reiche 
Wechsel  lyrischer  und  dramatischer  Stirnmung,  das  in  dem 
Gesange  des  Moses  ausstromende  tiefe  Gefiihl;  das  schone, 
sich  den  Worten  und  der  Situation  so  eng  anschmiegende 
Accompagnement,  uberhaupt  die  iiberrasehende  Combina- 
tion des  ganzen  Satzes  erheben  diesen  zu  ungewolmlicher 
Wirkung. 

No.  10.  Diese  Wirkung  steigert  sich  in  der  Arie 
(C-moll  4/4?  Quartett,  obligates  Fagott,  Orgel,  Adagio)7 
welche  in  ihrer  Wiirde  und  edleii  Lyrik  fur  den  Hohe- 
punkt  des  Werks  gelten  kann. 

Das  Quartett  bewegt  sich  in  einer  fest  durchgefuhr- 
ten  Figur,  welche  den1  Charakter  flehender  Bitte  an  sich 
tragt.  Mit  dem  gefiihlvollen  Gesange  des  Moses  coneer- 
turt  das  Fagott  in  edler  Melodie. 


Viol  I.  2. 


Fagott, 


Bass, 


pizz. 


—  11  — 


5 


Man  gewinnt  hier  die  Ueberzeugungj  dass  Bacli?  wo  es 
ihm  darauf  ankam  sich  auf  die  Hohe  seiner  Aufgabe  zu 
stellen,  keineswegs  gesonneu  war;  sick  durch  den  herge- 
brachten  Schematismus  binden  zu  lassen. 

Das  flehende  Gebet  dieses  schonen  Satzes  verleugnet 
in  seiner  weichen  Grrundstimmung  doch  den  priesterlichen 
Erast  des  grossen  Propheten  keineswegs. 

No.  10.    Ckor.    (Es-dur?   3/4  Allegro.    3  Trompeleu, 
Pauken?  2  Borner?  2  Oboen,  Streich-Qtiartett.    Die  1. 
2.  Yioline  vom  4.  Takl  an  im  Uiaisono,) 


—   12    — 

Moses  hat  sein  Gebet  im  Glauben  und  in  der  Zuver- 
sicht  auf  Den;  der  sein  Volk  aus  der  Aegypter  Land  ge- 
rettet  hatte,  beendet.  Dreimal  schlagt  er  mit  seinem  Stabe 
an  den  Felsen. 


Allegro. 


-* *_- 


Und  siehe,  dem  Stein  entquillt  ein  silberner  klarer  Strom, 
der  in  grazios  dahinperlenden  Violinpassagen 


bis  zum  Schluss  durch  Chor  und  Orchester-Massen  hindurch 
seinen  schimmernden  Gang  fortsetzt.  Der  Chor,  durch 
die  Oboen,  die  Bratsche  und  den  Bass  verstSrkt,  wahrend 
die  Blechinstrumente  in  kurzen  festen  Noten  die  rhythmi- 
sche  Bewegung  markiren, 


i 


0        Wunder^         o      Wunder!  Gott  hat  uns     er  -  hort. 


besteht  in  einem  melodisch  declamatorischen  sich  wieder- 
holenden  Satze;  der  in  dem  zweiten  Auftreten  abweichend 
modulirt  ist  Das  ruhige  Fortschreiten  desselben  zu  dem 
queUenden  Gange  der  Geigen,  der  berahigende  Gegensatz 


—    13    — 

gegen  die  angstlich  klagende  oder  wild  aufgeregte  Stini- 
mung  der  vorhergehenden  Chore,  der  zugleich  sinnliehe 
Wohlklang  der  Stinnnfiihrung  ist  von  bezaubernder 
Wirkung.  Keine  Verwickelung  der  Stinimen?  keine  aus- 
weichende  Harmonienfolge  stort  das  ruhige  und  wahrhaft 
schdne  Ebenmaass  dieses  prachtigen  Tonstroines. 

Hiemit  schliesst  der  erste  TheiL  In  ihm  ist  das  lyri- 
sclie  Element  mit  der  dramatischen  Farbung  im  Ganzen 
gliicklicli  verbunden.  Die  Ueberzahl  der  in  der  ei^sten 
Halfte  hintereinander  folgenden  Arien  wirkt  zwar  abspan- 
nend,  doch  konnte  dem,  ohne  dem  Wesen  des  Kunstwerks 
zu  nabe  zu  treten;  durch  Auslassung  abgeholfen  werden. 

Dass  es  mit  dein  zweiten  Tbeile  anders  stehe,  ist  schon 
oben  angedeutet  worden. 

Derselbe  beginnt  obne  jedes  Vorspiel  etwas  zu  schmuck- 
los  mit  No.  12 y  einem  Recitativ  des  Moses,  in  welchem  er 
den  Juden  ibren  Mangel  an  Grlauben  verweist.  Ungeachtet 
der  -yortreffliclien  Declamation  und  fein  berecbneten  Modu- 
tionen  kann  dasselbe  doch  nur  als  iiberfliissig  betrachtet 
werden,  da  eine  unmittelbare  Ursacbe  fur  diese  Straf- 
predigt  nicht  vorhanden  ist.  Aucb  macht  es  eben  keinen 
sonderlich  uberzeugenden  Eindrucky  wenn  dem  in  der 
Wiiste  unter  tausend  qualenden  Leiden  hinsclimachtenden 
Volke  immer  von  neuem  das  Verbrechen  vorgehalten  wird, 
dass  es  fiber  seine  Noth  klage. 

Es  schliesst  sich  an  dieses  Recitativ  No  13  ein  Weehsel- 
gesang  des  Moses,  der  beiden  Israelitinnen  und  des  Chors, 
einem  Hymnus  ahnlicb  (Es-dur,  2/4  Allegretto),  in  dessen 
erstem  Abschnitt:  ,,Grott  Israels,  empfange,"  der  Ge- 
sang  des  Moses  nach  einem  schon  melodiscben  Eingange 
in  einen  reichen  Figurenschmuck  ubergeht. 

Bei  der  2.  Strophe  (der  ersten  Israelitin):  ,,Du  Gott, 
bist  mein  Vertrauen,"  treten  dem  Quartett  2  Floten 
hinzu,  die  in  anmuthigen  Figuren  die  Solostimme  um- 
schweben. 

In  der  dritfcen  Strophe  nimmt  der  Chor 


—    14    — 

Instrumentalglanz  (3  Trompeten,  Pauken,  2  Homer,  2  Flo'- 
ten,  2  Oboen  und  Quartett)  das  Motiv  des  ersten  Satzes  in 
den  prachtvollen  Rhythmen  eines  vierstimmigen  Lobge- 
sanges  wleder  auf,  bis  er  am  Schluss  leise  verhallend  in 
das  Solo  der  zweiten  Israelitin  (in  G-moll):  >,Der  Herr 
ist  mein  Vertrauen,"  iiberleitet;  das  init  den  Floten 
eoncertirend,  ohne  Bass  und  Accornpagnernent  einen  hellen 
strahlenden  Charakter  zeigt 

"V^enn  dieser  prachtige  Ensemblesatz  den  Eingang  zu 
einer  in  draniatischer  Steigerung  sicli  aufbauenden  Hand- 
lung  bildete,  so  wiirde  man  ihn  ohne  Zweifel  sehr  schon 
und  vollig  an  seinem  Platze  finden  intissen.  Aber  an  eine 
solclie  Handlung  ist  nicht  mehr  zu  denken.  Es  folgen 
vielmehr  zunaclist  wiederum  melirere  zum  Theil  vollig 
farblose  Arien?  und  zwar 

No.  14.  der  ersten  Israelitin  (B-dur,  3/4  Andantino, 
,Quartett)?  welche  etwas  lang,  ziemlich  figurirt;  dabei  aber 
melodisch  und  dankbar  ist:  ;;Vor  des  Mittags  heissen 
Stra'hlen".  Eine  Kritik  vom  Jahre  1775 x)  sagt  von  ihr: 
y?Grraun  und  Hasse  baben  nie  schoner  gesungen."  Wenn 
diese  Annalinie  billig  dahingestellt  bleiben  kann?  so  muss 
doch  anerkannt  werden,  dass  diese  Arie  weitab  die  sohdnste 
des  vorliegenden  Oratoriums  ist. 

No.  15.  Accompagnirtes  Recitativ  des  Moses:  ;?0 
Freunde?  Kinder,  mein  Grebet/'  (F-moll,  V4  Adagio, 
Qaartett)  mit  dem  verfehlten  Hinweis  auf  die  Zukunft 
Cliristi  ist  edel  aber  ohne  Grosse,  viel  zu  lang;  nur  der 
Schluss  bei  den  Worten:  ;,das  ist  der  Held,"  ist  von 
hoherem  Gharakter  und  von  dramatischem  Feuer. 

No.  16,  Arie  der  zweiten  Israelitin  (B-dur,  2(4?  An- 
dante, Streich- Quartett):  ,,0  seelig,  wem  der  Herr 
gfewahret,"  von  Bach  in  dem  Berliner  Partitur-Exemplar 
zur  Goloratur-Arie  umgestaltet,  bei  ihrer  Gleichartigkeit 


Hamb.  Unparth.  Corresp;  1775.  WD.  200. 


-    15    - 

mit  den  Arien  des  ersten  Theils  mid  init  der  No.  14  voilig 
interesselos. 

No.  16.  Einem  kurzen  Eecitativ  des  Moses,  in  welchem 
er  wiederum  auf  die  Zukunft  des  Herrn  verweist?  folgt 

No.  17.  Chor:  ?;Verheissener  Gottes,  welcher 
Adams  Schuld"  (F-dur,  44  2  Oboen?  Quartett);  dessen 
innige  Melodie  voller  Wohlklang  und  feierlicher  Frommig- 
keit  es  wahrhaft  bedauern  lasst,  dass  die  verfehlte  Situation 
ihn  wirkungslos  macht.  Er  bildet  einen  edlen  Eingang 
zu  dem 

No.  18.  Choral  (0-moll?  4/4)  auf  die  Melodie:  ,;Nun 
komm  der  Heiden  Heiland"1),  der  in  der  gleichmassig 
fortschreitenden  Weise  der  Chore  dieses  Oratoriums,  die 
auch  den  Choralen  Bach's  uberhaupt  eigen  war?  hanno- 
nisirt  ist. 


Was    der        al  -  ten       Ya    -     ter     Schaar    hoch   -  ster 


Wunsch  und      Seh    -    nen      war      und   was      sie         ge- 


/3fe 

fr— 

"N 

1  1 

—  f-* 

1  —  h 

1     u 

i  j^j  j 

r^~i 

{cpr  ti" 

F=i 

prc 

>  -  phe     - 

zeit, 

ist 

er  - 

ISUt   in 

-y— 

E    -   ^v 

ig 

—  o    I 

keit. 

Nay.  & 

j. 

*n 

-©• 

-^.    . 

CL 

&    •© 

4g—  if 

=? 

I       V.J.J 

=r^  —  ,  , 

-^- 

bo    i 

<r^ 

I 

Yoa 


Sj  Ksdiof  von  Hailand  nm^  Jate 


—    16    — 

Dass  der  Charakter  des  christlichen  Kirchenliedes 
in  die  Umgebung  cles  alien  Judenthunis  passe,  inj[die 
er  hier  so  plotzlich  hineinversetzt  wird;  diirfte  kauni 
behauptet  werden.  Der  Choral  ist  eben  ein  ausschliesslich 
der  christlichen  Kirche  Angehoriges  und  kann  nicht  will- 
kiirlicli  in  jene  Urzeit  verlegt  werden  ?  ohne  dass  das  ihra 
eigenthiimliche  Wesen  verletzt  wird.  An  dieser  Stelle 
kann  er  daher,  so  sinnreich  die  Melodie  gewahlt  ist?  die 
beabsichtigte  Wirkung  nicbt  thun. 

No.  19.  Auf  ein  Recitativ  des  Tenor ,  welches  wie 
das  des  Aaron  hn  ersten  Theil  yon  Quartettaccorden  be- 
gleitet  wird,  dessen  Text  die  Verheissungen  der  Erlosung 
als  erfullt  darstellt  und  der  daher  ganz  ausserhalb  des  ge- 
gebenen  StofFes  steht,  folgt  endlich 

No.  20.  der  Schlusschor  (Es-Dur  3/4  Larghetto,  mit  al- 
ien Instrumenten),  ?JLassDein  Wort,  das  uns  erschallt" 
welcher,  dem  Chore  No.  17  &hnlich3  ohne  besondere  Eigen- 
thomlichkeit  und  eigentlich  ohne  imicre  Nothwendigkeit 
das  Orator ium  schliesst. 

Diese  Darstellung  wird  ergeben?  dass  die  inhaltlose 
Lyrik  des  2.  Theils,  aller  Anstrengungen  ungeachtet,  an 
denen  es  der  Componist  nicht  hat  fehlen  lassen,  dem  Ora- 
torio jede  Moglichkeit  einer  tieferen  Wirkung  abschneidet. 
Dass  Em.  Bach,  diesen  Mangel  nicht  erkannt  und  auf 
eine  veranderte  Bearbeitung  des  Textes  gedrungen  hat? 
wtirde  au£fallen;  wenn  nicht  eben  sein  Streben  vorzugs- 
weise  dem  lyrisohen  Elemente  in  der  Musik  zugewendet 
gewesen  ware. 

Dass  die  Israel iten  zu  ihrer  Zeit  eine  vielbewunderte 
Erscheinung  waren,  dariiber  kann  nach  alien  vorhandenen 
Nachrichten  kein  Zweifel  sein.  Dass  man  aber  auf  die 
Dauer  auch  die  Nothwendigkeit  fiihlte?  das  gegen  das 
Ende  hin  sich  mindernde  Interesse  an  dem  Werke  durch 
besondere  Mittel  wieder  zu  heben;  ergiebt  sich  daraus? 
dass  man  bei  spateren  Auffuhrungen  den  Versuch  geniacht 
hat?  dem  Schluss  das  Heilig  des  Meisters  folgenzu  lassen, 


—    17    — 

wodurch  in  jedem  Falle  nur  ein  ausseres  Correctly  ge- 
schaffen  wurde. 

Anffallend  ist  in  diesem  Oratorio  die  ganzliche  Besei- 
tigung  des  polyphonen  Styls.  Nicht  das  geringste  Zeichen 
darin  erinnert  daran,  dass  Em.  Bach  aus  der  alten  Orga- 
nisten-SchuIe  hervorgegangen  war. 

Ebenso  bemerkbar  ist  die  veranderte  Orchester- 
Benutzung,  welche  mit  Ausnahrne  der  Arie  des  Moses 
im  ersten  Theile  und  der  Violin -Passagen  in  den  Choren 
No.  1,  6  und  11  nur  in  Begleitungsformen  oder  als  Ver- 
starkung  der  Singstimmen  auftritt.  Die  spatere  Zeit  ist 
von  dieser  Neuerung  wieder  abgegangen  und  hat  auf  die 
Grundsatze  der  alteren  Schule  zuriickgegriffen.  Bacli  selbst 
hat  in  seinen  beiden  folgenden  Oratorien  diesen  Weg 
nicht  mit  der  Ausschliesslichkeit  yerfolgt,  in  der  man  ihn 
hier  beschritten  sieht. 

Fiinf  Jahre  nach  der  Composition  der  Israeliten  fand 
er  sich  yeranlasst?  die  Partitur  nnter  lebhafter  Theilnahme 
seines  Freundes  Klopstock  im  Stich  herauszugeben1). 

Im  Jahre  1774  hatte  Reichardt  wahrend  seines  Be- 
suches  bei  Bach  ?;die  Israeliten"  kennen  gelernt  und  darin 
77einen  so  angenehmen  und  fliessenden  Gesang  ge- 
funden3  wie  ihn  Keiser  und  Graun  nur  jemals  ge- 
kannt  hatten."  Er  war  erstaunt?  ??dass  dieser  grosse 
Mann  sich  so  sehr  von  seiner  gewohnlichen  Hohe 
habe  herablassen  und  einen  leichten,  uns  armen 
Erdensohnen  so  fasslichen  Gesang  habe  singen 
konnen2)."  Er  nennt  dieses  Oratorium  ,,ein  solches 
M,eisterstuck?  welches  alle  Einwiirfc  der  bos- 
haften  oder  unwissenden  Neider  Bach's  zu  Boden 
schlage." 


1)  Hamb.  Unparth.  Corresp.  1774.  Mittwoch  14.  September  No.  147, 
Besgl.  von  1775.  No.  79. 

2)  Briefe  ein^  atifoaerksamen  Keisenden,    Tk  n.  P.  14 
Bitter,  Emairael  mnd  Friedemaim  Baob.  IL  2 


_    18    - 

Die  Passions  -Cantate. 

Der  Titel  der  in  der  K.  Bibliothek  zu  Berlin  befind- 
lichen  Partitur  dieses  grossen  Tonwerks  lautet:  7,Passions- 
Cantate  von  mir  Carl  Pliilipp  Emanuel  Bach  Anno 
1769  in  Hamburg  in  Musik  gesetzt," 

Die  Partitur-Abschriffc  ist  schon  und  deutlich  geschrie- 
ben.  In  ihr  finden  sich  yon  der  zitternden  Handschrift 
des  Verfassers  aus  den  letzten  Jahren  seines  Lebens  ver- 
schiedene  Correcturen  und  zwei  Einlagen.  Auf  dem  Titel- 
blatte  befindet  sick  folgende  Anmerkung,  deren  Styl  Ema- 
nuel Bach  als  Verfasser  unschwer  erkennen  lagst: 

;?Diese  Partitur  ist  zwar  nicht  von  der  Handschrift 
des  Autors,  denn  von  dieser  Cantate  in  dieser  Einriehtuiig 
esdstirt  kein  Original,  weil  der  Autor  hernach  vieles  ge- 
andert  hat;  sie  ist  aber  so  correct  wie  moglich,  und  ganz 
gewiss  correeter?  als  alle  librigen  Exemplare,  weil  sie  der 
Besitaer,  nehmlich  der  Autor,  sehr  oft  durchgesehen  hat" 
Es  war  dies  also  Em.  Bach's  eignes  Exemplar  gewesen. 

Aus  dem  Nachlass-Kataloge  (S.  59)  geht  hervor,  dass 
diese  Passions-Cantate  in  der  vorliegenden  Form  nicht  in 
dem  oben  angegebenen  Jahre  1769  entstanden,  sondern 
dass  sie  aus  der  von  Em.  Bach  in  den  Jahren  1768 — 69 
componirten  Passions  -  Musik  ,7nach  Weglassung  des 
Evangelisten  und  verschiedener  gemachten  Ver- 
^nderungen^  im  Jahre  1770  hervorgegangen  ist1). 

(Jeber  den  Verbleib  jener  Passions -Musik  und  deren 
Abweichungen  von  dieser  Cantate  verlautet  nichts.  Dies 
ist,  da  die  letztere  jedenfalls  den  bedeutendsten  Werken 
Bach's  angehort,  zu  bedauern. 

Das  Textbuch  (siehe  Anhang  II.)  ist  von  der  Kar- 
schin  und  von  dem  bereits  friiher  genannten.  Ebeling 


i)  Bies  wird  dureh  dqn  Hamb.  Corresp.  1773.  No.  33.  bejstatigt, 
und  dabei  noch  besonders  bemerkt,  dass  die  Recitative  ,,durch  einen 
verdienten  dortigen  Gelehrten"  nachtraglich  gefertigt  wordea  seien. 


—    19    — 

flem  Freunde   Bach's,    Gehilfen   der  Handels-Schule  zu 
Hamburg^  eine  Arie  darin  yon  Eschenburg  yerfasst. 

Der  Hamburger  Unpartheiische  Correspondent  vom 
22.  Februar  1769  enthalt  folgende  Bekanntraachung: 

,,Der  Kapellmeister  Bach  wird  am  6.  May  mit  hoher 
Obrigkeitlicher  Bewilligung  in  dem  neuen  Concert- Saale 
auf  dem  Kamp  ein  Concert  geben  und  in  selbigem  ein 
vortreffliches  Passions -Oratorium  yon  einem  beriihmten 
Meister  auffuhren.  Bei  dieser  Gelegenheit  wird  Hr.  Bach 
auch  ein  Clay ier- Concert  spielen.  Der  Anfang  ist  urn 
V26  Uhr.  Fur  das  Entree  wird  1  Mark  8  Sh.  bezahlt. 
Die  Billets  sind  sowohl  in  seinem  Hause  in  der  Neustadt, 
dem  Englischen  Bastelhofe  gegenuber,  als  auch  bei  Hrn. 
Grrund  am  Fischmarkte  zu  haben." 

Da  das  Passions-Oratorium  nachweislieh  in  den 
Jahren  1768/69  entstanden  ist?  der  Componist  sich  aber 
nach  seiner  Stellung  zur  Kunst  sehr  wohl  als  einen  be- 
riihmten Meister  bezeichnen  konnte,  so  liegt  die  Ver- 
muthung  nahe;  dass  es  sich  in  jenem  Concert  yom  6.  May 
1769  urn  dessen  erste  Auffiihrung  gehandelt  habe.  Min- 
destens  ist  nicht  ersichtlich?  aus  welchem  Grunde,  wenn 
jenes  Oratorium  yon  einem  andern  Meister  gewesen?  dessen 
Name  yerschwiegen  word  en  ware3  wahrend  es  fur  E.  Baeh; 
der  eben  erst  nach  Hamburg  iibergesiedelt  war;  wohl  yon 
Interesse  sein  konnte?  die  Aufnahme?  welche  sein  Werk 
ohne  die  Bezeichnung  des  Autors  finden  wurde,  mit 
grosserer  Unbefangenheit  zu  beobachten. 

Das  Textbuch?  in  dem  Bach  so  sehr  zusagenden 
lyrischen  Grrundton  gehalten?  hie  und  da  mit  Spriichen 
aus  der  heiligen  Schrift  durchzogen,  stellt  die  Leidens- 
gesehichte  Christi  in  ahnlicher  Weise  dar?  wie  dies  durch 
Eammler's  Tod  Jesu  geschehen  ist.  Das  recitatiyische 
Element  ist  yorherrschend?  aber  wie  dort  durch  die  aus 
dem  Episehen  in  die  Lyrik  iibergehende  Poesie  zu  jerter 
melodios-declamatorischen  Richtung  der  Musik  hindrangen45 
in  welcher  sich  Em,  Bach  so  sehr  gefieL  Eigentliefa  dwt- 

?*  ^  ^ 


—    20    — 

matische  Haltung  findet  in  diesen  elegischen  Gefuhls*- 
ergiessungen  ihre  Statte  nicht,  lag  auch  nicht  vorzugsweise 
in  Bach's  musikalischer  Tendenz.  Es  mag  daher  die  Be- 
zeichnung  dieser  Arbeit  als  ^Cantate"  nicht  ohne  Absicht 
gewahlt  sein?  wahrend  die  Dichterin  sie  ??das  Leiden 
und  Sterben  unsres  Heilands  Jesu  Christi,  musi- 
kalisch  vorgestellt"  betitelt. 

Die  lange  Reihe  von  Recitativen  mit  und  ohne 
Accoinpagnement  und  der  dazu  gehorigen  Arien  wirkt 
im  Ganzen  auch  hier  ermiidend.  Dies  wurde  weniger  der 
Fall  sein?  wenn  ofters  Chorale  und  Chore  eingeflochten 
waren.  Es  ist  auffallend;  dass  Em.  Bach  hierin  nicht  dem 
Vorbilde  seines  Vaters  gefolgt  ist;  er  wurde  sonst  mit  die- 
sem  Werke  unzweifelhaft  eine  Schopfung  yon  grosseti 
und  dauerndeni  Werthe  hinterlassen  haben.  Aber  auch  so 
wie  sie  gesetzt  worden;  ist  die  Passions -Cantate  ein  in 
dem  edelsten  Sinne  geschriebenes  Werk,  voll  von  musi- 
kalischen  Schonheiten,  das  nicht  selten  den  hochsten  Auf~ 
gaben  der  geistlichen  Musik  mit  iiberlegener  Grosse  und 
Gewandheit  gerecht  wird?  das  in  vielen  seiner  Einzelheiten 
jedes  Meisters  vom  ersten  Range  wiirdig;  in  seiner  Ge- 
sammtheit  der  Kunst  und  seinem  Verfasser  zu  hoher  Ehre 
gereicht.  Jenen  gewaltigen  grossen  Ernst,  den  Emanuel 
Bach's  Vater  in  seine  geistlichen  Musiken  zu  legen  liebte, 
mit  dem  er  sogleich  in  den  ersten  Takten  seine  ^uhorer 
in  die  geweihte  Sphare  der  Andacht  zu  erheben  pflegte, 
die  er  far  die  hochste  Aufgabe  des  kunstlerischen  Cultus 
hielt?  wird  man  freilich  bei  dem  Sohne  vergebens  suchen. 
Aber  man  wird  bei  ihm  Gefuhl;  lebhafte  Accente,  einen 
ungemein  feinen  Sinn  fur  melodische  und  harmonische 
Schonheiten  finden?  deren  der  Vater  auch  wohl  machtig 
war,  die  er  aber  nur  selten  in  Anwendung  zu  bringen 
fur  gerathen  hielt.  Sebastian  Bach  hatte  fur  die  Kirche 
und  ihre  religiosen  Zwecke  gearbeitet;  Emanuel  Bach 
schrieb  fur  den  Concertsaal  und  dessen  Publikum.  So  er- 


—    21    — 

reichte   er,   was  der  Vater  nicht  zu   erreichen  vermocht 
hatte,  die  Gunst  und  Bewunderung  der  grossen  Menge. 

Von  den  Traditionen  seiner  Schule  sich  ganz  zu  losen, 
dazn  fehlte  es  ihm  an  eigner  Initiative.  Sie  traten  in  alien 
Perioden  seines  langen  Lebens  bei  ihrn  immer  wieder  in 
den  Vordergrund.  Ebenso  fehlte  ihin  fur  die  Oratorien- 
Musik  jene  schopferische  Erfindungskraft;  vermoge  deren 
er  seinen  Q-ebilden  die  der  veranderten  Zeit  und  den  neuen 
Anschauungsweisen  der  Kunst  enfsprechenden  neuen  For- 
men  und  ein  urspriingliches  Golorit  hatte  geben  konnen. 

Die  Bedeutung,  welche  Em.  Bach  in  der  Kunst- 
geschichte  erlangt  hat?  fordert  nichtsdestoweniger;  dass 
auch  seine  Oratorien,  wenngleich  sie  nicht  uberall  den 
Stempel  hochster  und  dauernder  Vollendung  an  sich  tragen, 
mit  Aufmerksamkeit  betrachtet  werden.  In  jedem  Falle 
ist  in  der  vorliegenden  Arbeit  gegen  ?>die  Tsraeliten  in 
der  Wiiste"  ein  bedeutungsvoller  Fortschritt  zu  erkennen. 

Das  Oratoriuni  fangt  rait  einein  accompagnirten  Keci- 
tativ  No.  1  ;?Du  Gottlicher^  (Molto  Adagio,  Es-dar  %? 
Streich-Quartett)  an.  Ueber  den  pianissimo  auf  dem  tiefen 
B  ruhenden  Violinen  beginnt  ein  sanft  bewegter  melo- 
discher  Gang  der  Bratschen  und  Basse.  Nach  dem  4.  Takte 
tibernehmen  die  Violinen  die  Melodie.  Das  Orchester  be- 
wegt  sich  in  wehmuthiger  Stimmung  bis  zura  Schlusse  des 
Einleitungssatzes  fort.  Das  darauf  eintretende  Recitativ 
zeichnet  sich  durch  eine  edle  elegische  Farbung  aus? 
welche  der  Orchester-Einleitung  entspricht  und  fiir  den 
folgenden  Chor  No.  27  Andantino  D-molI  %7  2  Homer, 
2  Floten>  2  Oboen,  Quartett)  in  die  geeignete  (irund- 
stimmung  iiberfiihrt  In  diesem  ziemlich  ausgedehnten 
Chorsatze  zeigt  sich  der  ganze  Dmfang  der  Verschieden- 
heiten,  in  denen  die  Eigenthiimlichkeit  Bach's  von  der 
strengen  Schule  seines  Vaters  und  der  Vorganger  und 
Zeitgenossen  desselben,  selbst  von  dem  immer  noch  den 
Traditionen  der  alteren  Zeit  sich  anschliessenden  Style  der 


—    22    — 

geistlichen  Compositionen  Graun's  abweicht.  Man  findet 
hier  nicht  mehr  jene  strenge  Polyphonie,  welche  sich  auf 
die  einzelne  Stimrne  und  auf  die  einzelnen  Orchester- lu- 
strum en  te  erstreckte,  auch  nicht  jeren  herben  Charakter 
der  Melodie,  welcher  ohne  Riicksicht  auf  die  sinnlich 
wahrnehmbare  Schonheit  nur  der  Idee  folgte,  die  er  dar- 
zustellen  berufen  war.  Doch  wiirde  grade  die  Eigenart 
dieses  Chores  einen  berechtigten  Gegensatz  gegen  die 
altere  Schreibart  darstellen  konnen,  wenn  sie  fortgebildet, 
vervoilkonimnet?  in  ihrer  Weise  zur  Vollendung  iibergefuhrt 
worden  ware.  Denn  was  hier  gegeben  wird;  ist  bei  aller 
Weichheit  der  Formen,  bei  aller  lyrischen  Gefuhlsstimmung 
doch  durchaus  edel;  voll  von  Gredanken  und  von  harmo- 
nischem  Interesse.  Der  Chor  (vierstimmig)  ist  meloidl^li, 
und  rhythmisch  gehalten;  wesentlich  in  homophonem  StyL 
Die  Instrum&nte  bilden  nur  die  begleitende  Verstarkung 
der  Singstimmen?  das  Quartett  fiihrt  diese  in  Vs  Noten 
durch. 

Nach  ISTakten,  mit  den  Worten  ;7Wir  aber  hielten 
ihn  fur  den,  der  geplaget  und  von  Grott  geschlagen 
und  gemartert  ware"  beginnen  2  Solostimmen  (Sopran 
und  Alt)  in  canonischen  Einsatzen  einen  melodischen 
Zwischengesang;  welcher  durch  das  plotzliche  Abbrechen 
der  Basse  und  den  gleichzeitigen  Eintritt  des  alten  Kirchen- 
liedes  ??Meine  Seele  erhebt  den  Herm"  in  die  durch 
die  Oboen  verstarkten  Sopran-  und  Altstimnien  des  Chors 
zu  einer  hehren  feierlichen  und  sanften  Majestat  erhoben 
wird. 


Flauto  L 


Sopr.SoM. 


>2. 

Sopr.SoI«2. 

Yiola. 


Wir    a  -  ber    hiel  -  ten  ihn         fur 


i 


Wir  a  -  ber    hielten   ihn      fur 


AH.  Sopr.  Coro. 


1^     -     -j 

111   «  

h^  1 

—  Q-  1 
-  L  .,  J 

-    ^~ 

_ 

Mei 


den,  wir          hiel    -    ten       ihn    fur     den,   der  ge- 

tr 


den, 


wir        hie!     -     ten         ihn   fur     den, 


/l-jf-t 

=1 

**       Set 

^  — 

] 

*s» 

le 
W~ 

er 

- 

—  £ 
he 

=:  r 
bt 

d 

t»*b  

den 

Pi 

a 

- 

b 

*^ 

d=t= 

get   und 

->j'  m 

J, 
der       ge   - 

F 

la 

"? 

— 

V^i™ 

get, 

g 

e 

j  *  —  j  * 

pla      - 

I     ,-      ,      j 

ilfc=H 

:  . 

I.  

M 

Ji 

*             J      i 

m 


Her 


ren. 


Gott    ge     -    schla 


n 


e 


i 


get     und  von  Gott    ge     -     schla 


-    gen  und  ge  -  mar    -    tert  ware,  und  ge- 


gen,  von  Gott  ge  -  schla 


•• 

gen  und  ge- 


mar -tert     \va      -     re. 


mar  -  tert 


—    25    — 

Der  Geist  des  alten  Sebastian  klingt  wie  aus  einer 
fernen  Urzeit  in  das  wunderbar  feine  Gewebe  dieses  schonen 
Satzes  heriiber,  dera  die  mit  den  Solostiininen  gehenden 
beiden  Floten  ein  fiberaus  zartes  Gepnige  geben. 

Mit  den  Worten  des  Textes  ??Aber  er  ist  uin  unsrer 
Missethat  willen"  setztder  ganze  Ohor  wieder  in  seinem 
melodisch  rhythmischen  Gauge  ein?  urn  noch  einroal  durch 
die  Fortfuhrung  des  Solo -Satzes  und  des  (Jantus  firinus 
tinterbrochen  zu  werden. 

Ein  neues  Motiv  beginnt  mit  den  Worteu  ??Wir 
gingen  alle  in  die  Irre."  Die  Chorstiminen  gehen  aus- 
einander,  ohne  dass  ihnen  dadurch  ein  malerisches  Colorit 
gegeben  worden  ware.  Die  Worte  werden  in  canonischen 
Einsatzen  wiederholt.  Dieser  zweite  Satz  scliliesst  in  poly- 
phonem  Gesange  den  Chor  ab?  der  in  der  Art?  wie  er  ge- 
schaffen  1st,  als  ein  in  sich  abgeschlossenes  Meisterstiick 
anerkannt  werden  muss.  Seine  Wirkung  ist  voll  und 
kraftig?  in  den  Gegensatzen  ersclieint  er  edel  und  reich. 
In  ihm  entwickelt  sich  des  Meisters  harinonisch  melodiose 
Charakteristik  in  vollkommen  ausgepragter  Weise,  In 
seiner  Totalitat  erinnert  er  an  die  jetzige  Zukunftsschule, 
obne  dass  dem  kiinstlerischen  Gehalt  zu  Gunsten  der 
Formlosigkeitj  der  ausgepragten  festen  Form  zu  Gunsten 
der  melodios  declaniatorischen  Tendenz  des  fortschreltenden 
Gesanges  entsagt  worden  ware. 

No.  3.  Eec.  secco,  in  declamatorischeni  Recitativstyl 
geschrieben,  wird  durch  ein  schones  Arioso: 


Largo. 


m       p            * 

r  r  ^       -?  t  r  f  , 

Q-    (^   —  ,         -7  •  I/     y     ^  •  • 

—  *  —  *—  i  Y'  p    lg  —  ^    ^ 

Ihr  konnet    schlafen  ?  Neln  I      Be  -  tet  and  seid 

—  ^  —  1^f~*"Tjd~"  —  |  '  t1  -j 

.....  f.  '.H     „_..  JJ—i.,,,.  ;_ 

1  —  *  —  z  —  4j0  —  J  —  J  —  y  y  —  J-4 

-y.     -  -\fp-            m 

€H  1      •    4J  h  

**rV^ 

—  ~—  -f.     f    T.     *      '    .f 

^-1&_?<_ 

—  ,  .._  !"  „ 

wach  !      Es   n 
e*  -f  — 

aht     sic 

—7-^-^—^     ^     ^    -t 
der  Versuchung  Stund 

—  ^— 
e.        Der 

h*.          A 

_|_ 

—  «f  _j_  j 

/  B>-J  g     Lz^~*    *"~^c     n 

•f 

7»  ^  B-7-.P* 

Geist            ist  wilhg,  doch 

da^Flelsch  ist  schwa  ch. 

—  m  — 

\         /jirt  «  /-^fl  —  n 

3=  ^     ^^g5z 

\—  10  

f 


unterbrochen  imd  fiihrt  zn  dem  accompagnirten  Recitativ 
No.  4  fur  Bass  (Den  Mensehenfreund  willst  Du  ver- 
rathen?)  iiber7  das  (Presto  A-moll  4/4)  in  einem  bezeich- 
nenden  Orchestermotiv  voll  Feuer  und  Ausdruck 


t&r 


Quartett  uotsono. 

Presto. 


arts  dem  lyrischen  Grundton?  der  bis  dabin  vorwiegend 
war;  heraustritt  und  eine  mehr  dramatische  Farbung  an- 
nimmt.  Der  Zorn  fiber  den  Verrather  Judas  tritt  in  dem 
heftig  bewegten  Accompagnement;  in  diesen  auf-  und 
niederjagenden  Tonfolgen  hervor;  es  ist  das  Brausen  und 
Stiirmen  des  beangsteten  Grewissens?  das  schon  wahrend 
der  That  an  die  harte  Brust  des  Verrathers  klopft,  zur 
Warnung  und  Umkehr.  —  Vergebens!  —  Der  Kuss  ver- 
ratt  den  Herrn,  der  darauf  mit  der  sanften  Frage  ant- 
wortet:  ;;Freund,  warum  bist  Du  kommen?" 


Eine  betrachtende  Arie  fur  Tenor,  No.  5  (C-dur  2/4> 
Quartett,  Andante  grazioso)  mit  ausdrucksvoller  Melodie? 
im  Mittelsatze  lebhaft  an  Grraun  erinnernd,  im  Uebrigen 
die  tiberkornmne  Form  nicht  verlassend,  mit  dem  Anfang 
7?Wie  ruhig  bleibt  Dein  Angesicht"  unterbricht  die 
Erzahlung  des  Ueberfalls. 

An  sie  schliesst  sich  im  Fortgange  der  Leidens- 
geschichte  das  Recitativ  No.  63  dessen  Declamation  durcli 
einen  bewegten  Bass  gestiitzt  wird. 

In  die  Rede  des  Herrn  fallt  Arioso  No.  7  ein  (Alt, 
F-dur  4/4?  Streich - Quartett)  ,,Du,  dem  sich  Engel 
neigen,  Dem  alle  Schopfung  singt(/7  das  in  sanfter 
Melodie  und  wohlthuend  einjEachem  Gange  den  hervor- 
ragenden  Stiicken  des  Werks  angeh^rt. 

Ein  Rec.  secco  No.  8  fiir  Tenor  fuhrt  ferner  zu 
ein  em  accornpagnirten  sehr  schonen  Recitative  B-dur  4/4 
Allegro,  welches  von  E.  Bach  mit  der  zitternden  Hand- 
schrift  seiner  letzten  Lebensjahre  an  Stelle  der  fruher 
arienartigen  Behandlung  desselben  Textes  nachtraglieh  ein- 
gefiigt  worden  ist.  In  der  That  enthalt  der  neuere  Satz 
eine  wesentliche  Besserung  gegen  die  fruhere  etwas  matte 
Declamation  der  Worte:  ;70  Petras,  folge  nicht"  etc. 
Von  besonders  riihrendem  Ausdruck  ist  der  Schluss: 


2  mi 


Larghetto. 


i 


du    sein 


—    28    —  . 


•J&Tf>-*fc  *~ 

ff 

k»           ^,  r—  a— 

1                               C31              '-l^1  B-*- 

-H 

*s                          > 
En    -    gel         hin 

_Q_L                 T~-^              £ 

r-t^- 

^  0  f.  

—  v  V=3&: 
dre,       hm  -  dre  sei 

-*  -hs  P  

=r 

-  nen 

fcr-1 

/  -4#-t4*  h#_L_          jj  _-  —  L  —  —  w  t  —  - 
yKT^  £U^_.£t  j,*_^_^__.*f_p_^i-_^_ 

±-+%-*&-1- 

J^ 

U             ^ 
QT-T  t»i  •  *  *r  J~»~" 

*      ^ 
—  -?.——  tp  p- 

•*h 

1 

\  —  1?  ^«^«*J^^  „...„ 

=db=t=t= 

==l 

o      du    sein     En  -   gel,  hindre    sei  -  nen 


In  Ihm  spricht  sich  die  sanfte  Grefiihlsweise  des  Meisters, 
die  in  seiner  Musik  eine  so  hervorstechende  Seite  bildet, 


so  deutlich  wie  mo^lich  aus. 


No,  10.  Das  folgende  Eecitativ,  das  die  Verhand- 
lungen  vor  dem  Holienpriester  und  Landpfleger  schlldert? 
wirkt  seiner  Lange  wegen  ermxidend.  Die  Worte  ??Ja, 
ich  bin  Go  ttes  Sohn"  sind  yon  majestatischem  Ausdruck. 
Der  Schluss:  ?;Im  innersten  der  Seele  Empfand 


-    29    — 

er'sj-ging  zuriicke,  Und  weinte  bitterlich"  hat 
Bach,  wie  er  dies  auch  in  semen  Passionsnmsiken  ge- 
than,  in  einfach  recitativischer  Cadenz  gesetzt,  was  urn 
so  rnehr  iiberrascht,  als  er  sonst  dergleichen  Motive  mit 
Vorliebe  auszubeuten  pflegte. 

An  diese  Worte  schliesst  sich  ohne  Ritornell,  sogleich 
mit  dem  Gesange  eintretend  No.  11  Arie  fur  Tenor, 
,;Wende  Dich  zu  meinem  Schmerze,  Gott  der 
Huld"?  H-moll  Adagio,  vom  Streich  -  Qnartett  mit  Sor- 
dinen  begleitet,  an. 


Adagio. 


2  Tltl. 
Yiola, 


Basso. 


==^=5=^1=— 1 — 1 


Wen  -  de       !"dich       zu         meinem  Schmerze, 


Gott       der    Huld, 


sieh  mein    zerfleischtes       Her-ze. 


r 


( 


is 


Hier  tritt  die  veraltete  Form  gegen  den  gefiililvollen 
Ausdruck  der  Cantilene  nnd  gegen  die  edle,  sich  dem  Alt- 
Bachisehen  Geiste  anschliessende  Auffassung  der  Situation 
und  des  Gedichts  zuriick. 

Das  Streich-Quartett  verlasst  die   fast 


wehmuthig  melodisehen  Gang 

Burney  horte  diese  Arie  zu  Hamburg  im  Hauil 
Mr.  Ebeling's,  wo  Chore  und  Solostiicke  aus  der  Passions- 
Cantate  aufgefuhrt  wurden,  und  sagt  von  ihr1):  77Eine 
Adagio -Arie,  da  Petrus  innig  weint,  als  ihn  der  Hahn 
zur  Reue  weckt,  war  so  ruhrend,  dass  fast  alle  Zuhorer 
den  Jiinger  mit  ihren  Thranen  begleiteten";  ein  schones 
Zeugniss  fur  die  Wirkung  dieses  Stiicks,  dessen  Aus- 
fuhrung  aber  jedenfalls  keineni  ?>elenden  Sanger"  iiber- 
lassen  gewesen  sein  kann. 

Die  Ai;ie  No.  13  fiir  Tenor  (Allegro  ©on  spirito,  F-dur 
%):  ??Verstockte  Siinder7  solche  Werke  begehet 
ihr"7  vom  Quartett  begleitet,  ist  nicht  ohne  dramatischen 
Sciiwung.  Die  Violinen  haben  eine  eigenthuniliche  oft 
wiederkehrende  Triolen-Figur;  in  welcher  die  Bosheit  des 
Herzens,  das  yerstockte  Grewissen  dargestellt  sein  konnte. 


m 


Bine  ahnliche  Figur  der  Violinen  zeigt  der  M-ittelsatz; 
welcher  gegen  das  Ende  bin  in  die  Figur  des  Hauptsatzes 
zuruckfuhrt. 

Die  Arie  Nr.  15  nimmt  erweiterte  Dimensionen  an. 
Das  Orchester  wird  ausser  dem  Quartett  von  2  Hornern7 
2  Oboen  und  der  Orgel  gebildet.  Das  Stuck  (Allegro  2/4, 
D-dur)  beginnt  feurig  und  gross  mit  einem  breiten  Vor- 
spieI7  das  die  Hauptmotive  enthalt.  Die  Instrumente,  von 
denen  die  Violinen  in  unnnterbrochener  Bewegung  gegen 
nnd  mit  einander  wirkeBj  geben  ihr  ein  glanzendes  Colorit 


Musikal.  Eeise.    Th.  HI.    S.  193. 


Der  Gresang  selbst  ist  dramatisch  und  von  treffendem  Aus- 
druck. 


Attest  o. 


m 


Dorm  -   re  nur  ein    Wort         der         Maclif,         Herr! 

tr 


Dleser  Satz  wlederholt  sich  dreimal  in  seiner  vollen  Ans- 
dehnung  und  mit  breit  gehaltnen  und  glanzend  instrumen- 
tirten  Ritornellen?  dazwischen  tritt  in  zwelmaliger  Wieder^ 
holung  der  Mittelsatz7  zuerst  in  H-moll  %?  dann  in  A-moll  %. 

Ob  die  Arie  durch  ihre  Ausdehnung  ermudend  wirken 
wtirde,  lasst  sich  schwer  bestimmen?  wenn  man  sic  nictt 
in  dem  allgeraeinen  Zusammenhange  horen  kann.  Da^ 
ihr  Selawung  offenbar  anregender  wirken  muss?  als  dies 
bei  der  grossen  Mehrzahl  der  iibrigen  Arien  E.  Bach's 
der  Fall  sein  konnte,  ist  nicht  zu  bezweifeln. 

Nach  einem  Secco-Recitatiy  folgt  ein  Accompagnement, 
7?Nun  fachet  Q-ott  der  Mordsucht  Flamme"  No.  1@; 
dessen  eigenthiimlieh  geformtes;  ausserst  lebhadFfces  Orchestei;- 


-    §2    - 

Presto. 


2  Ytolluw.     f  ^-^ ^*3==£f3rp==zte=?==f=: 

Viola. 


Basso. 


m 


an  die  Orchester-Begleitung  des  Chors  No.  2  aus  Grluck's 
Iphigenia  in  Aulis  ;?C'est  trop  faire  de  resistance"  erinnernd, 
wie  dort  die  Aufregung  einer  durcb  wilden  Fanatismus 
zur  Blutgier  erregten  Volksmenge  in  trefflicher  Charakte- 
ristik  darstellt. 

In  dem  diesem  Recitativ  angehorigen  Ai^ioso  (Adagio  %) 
mit  dei^im  leisesten  pianissimo  verhauchenden  Violine  und 
der  allein  abschliessenden  Gesangsstimine  ;?Kein  Wort!" 
steht  Bach  auf  der  hochsten  Hohe  seines  Werks.  Hier 
treten  Gefithl  und  kunstlerische  Disposition  des  Meisters 
in  entscheidender  Weise  zu  Tage. 

Weniger  lasst  sick  dies  von  dem  Duo  fiir  2  Soprane 
No,  17,  (B-dur  2/4?  Allegretto  moderate  2  Floten?  2  Bas- 
sons,  Streich-Quartett  mit  Sordinen)  sagen.  Es  ist  alt- 
modisch  und  von  ermudender  Lange;  die  mit  den  Floten 
concertirenden  Bassons  und  die  sich  in  Triolenfiguren  und 
kurzen  Gangen  bewegenden  beiden  Singstimmen  geben 
dem  Duo  He  und  da  den  Oharakter  einer  leichten,  etwas 
frivolen  Unterhaltungsmusik. 

Bacb  scbeint  die  Schwache  dieses  Stticks  wobl  er~ 
kannt  zu  haben.  Denn  er  hat  fiir  dasselbe  eine  Variante 
gesetzt,  welcbe  (Andante;  A-dur  %)  etwa  nur  die  Halffce 
der  Lange  der  ursprtinglichen  Nummer  erreichend;  dennochv 


—    33    — 

kein  hoheres  Interesse  als  jene  in  Anspruch  niinrat.  Er 
war  eben  in  der  AufFassung  und  Wiedergabe  des  aller- 
dings  -\venig  inhaltsvollen  Textes  nicht  gliicklich, 

Ein  kurzes  Secco  Kecitativ,  das  mit  den  Worten 
schliesst: 

?7Fallt  nieder;  betet  an  und  seht: 
Das  Lamni  voll  Unsehuld  geht 
Zum  Opfer- Altar  hin." 

ieifcet  zu  deniChorNo.  19:  ;?Lasset  uns  aufsehen  auf 
Jesuni  Christum"  iiber.  Bach  hat  den  in  den  voran- 
gehenden  Worten  dargestellfceii  Gedanken  in  seiner  vollen 
Grossartigkeit  ergriffen.  In  ernsteni  Zuge7  einem  Triunipf- 
gange  ahnlich?  schreitet  der  Erloser  den  letzten  Weg?  den 
Weg  des  Todes  dahin?  wahrend  seine  Gemeinde  ror  ihm 
anbetend  niedersinkt. 

Das  Orchester  beglnnt  im  Ritornell  (Largo  e  pomposo, 
D-dnr  */*,  2  Homer,  2  Floten?  2  Oboen  und  Quartett) 
eine  lebhaft  markirte,  streng  durehgefiihrte  Figur  yon 
feierlich  ernsteni  Charakter,  Ihr  tritt  der  Chor  unisono 
in  choralartiger  Melodie,  gleichsam  einen  cantus  firmus 
darstellend  hinzu. 


Largo  e  fomposu, 

t-C- 


Core  unisono. 


Tiola.  \ 


Basso. 


Bitter,  EniAnuel  und  Friedemftrm 


n. 


-34       - 


i 


set 


uns 


attf 


ijSES^E*^* 

!L_^_L_i r^-t-< 


iizzp-l-LrP 


5b 


Chri 


stum* 


53= r^^=^^===«^ 


1 — r 


umsono. 

-*~ 


—    35    — 

Mit  dem  Beginn  des  Chorals  gehen  die  Homer  im  An- 
schluss an  den  Grund-Bass  in  eine  breitere  Behandlung 
fiber ,  wahrend  die  Floten  und  Oboen  in  langgezogenen 
Accorden  dein  Gesange  folgen?  uber  dem  sie  wie  die  Glorie 
eines  Heiiigenscheins  schweben,  die  Violinen  in  rhyth- 
niischen  Schlagen  ihnen  gegeniibertreten  und  die  Bratsche 
und  der  Bass  die  Figur  des  Ritornells  weiterfiihren. 

Dieser  ungemein  grossartig  angelegte  Satz  wird  zwei- 
mal  unverandert  voriibergefiihrt.  Die  Worte  des  Textes: 
??Lasset  uns  aufsehen  auf  Jesum  Christum,  den  Anfanger 
und  Vollender  des  Glaubens?  welcher  unsre  Siinden 
selbst  geopfert  hat  zu  seinem  Leibe  auf  dem  Holz"7  sind 
wie  zwei  Choralverse  von  gleicher  Bedeutung  behandelt. 
Em.  Bach  stellt  sich  in  diesem  grossen  Chor  und  der  ihm 
folgenden  Doppelfuge  ebenbtirtig  an  seines  Vaters  Seite. 
Er  hat  uber  dem  Ernst  und  der  Erhabenheit  des  Gedan- 
kens?  der  ihn  hier  erfullte,  die  Frage  vergessen?  ob  und 
welche  Wirkung  derselbe  zu  iiben  im  JStande  sein?  ob  das 
der  leichteren  Unterhaltung  zugewendete  Publikum  ihm 
auch  willig  folgen  werde?  Wie  anders  ware  der  Nachwelt 
gegeniiber  seine  Stellung  zur  Kunst  geworden,  wenn  er 
sich  stets  auf  dieser  Hohe  bewegt  hatte,  fiir  die  er  so  recht 
eigentlich^  geschaffen  war. 

Die  Fuge  mit  dem  prS,chtigen  Hauptthema 


Auf      dass    wir  der      Sun  -de         ab  «   ge- 


hyg  —  p  —  p—  1 

[  a  *=| 

tr*  —  ' 

i        i      i        L^ 

t—   <t  _  -  - 

1  !  ,      • 

]i     W      '  j 

'     U     |  

-1== 

stor  -  ben,  der  G-e  -  rech-  tig  -  keit  le        -       ben. 

ist  in  strenger  Fiihning  und  meisterhaft  contrapunktischer 
Eeinheit  behandelt.  Die  Horner  verschwinden  aus  der 
Orchesterbegleitung,  1,  Oboe  und  1.  Violine  gehen  mit 
dem  Sopran;  2,  Oboe  und  2.  Violine  mit  dem  Alt^  dia 

&* 


—    36    — 

Viola  mit  dein  Tenor.  Die  Floten  treten  theils  in  selbst- 
standigem  Gange,  theils  als  Verstarkrrag  der  Oberstimmen 
auf.  Dein  ersten  Motive  tritt  ein  zweites  Tberna 


Alt. 


53335 


m 


m 


durch  Belches    Wunden    wir  sind     heil        —        — 


—  -wor 


den.     — 


gegeniiber,  welcbes  in  nicht  wen:ger  gediegener  Weise 
durchgefiihrt,  sich  mit  dem  ersten  Motive  in  prachtvollen 
Gegensatzen  vereinigt  zu  einer  meisterhaft  aufgebauten 
Doppelfuge  gestaltet,  in  deren  Verscblingungen  doch  jene 
durehsiehtige  Klarheit  herrscht,  durch  die  sich  alle  contra- 
pnnktischen  Satze  Emanuel  Bach's  auszeichnen.  Dieser 
eine  Chor  ware  es  werth,  das  ganze  Werk  nicht  der  Ver- 
gessenheit  anheimfallen  zu  lassen. 

Das  folgende  accoiupagnirte  Recitativ  No.  20  ,,0  Du; 
der  Gott  mit  uns  yersohnt"  (Adagio  4/4),  ist  von 
nicht  geringerem  Werthe.  Die  Behandlung  der  Worte: 
?JWelch  ein  Anblick  voll  Gratten",  die  in  Vie  zittern- 
-den  Gange  zu  der  in  der  chromatischen  Tonleiter  unruhig 
und  kkgend  auf-  und  absteigendeu  ersten  Violine 


1.  YWine. 

2.  Tiuiiue. 

Viola 


m  u'«iii»TIiiSZp»i        '  ^**' 


atzri 


—    37    — 




^-^^*3S^:i:jp^-»^ 


(eine  Figur,  die  sich  spater  bei  den  Worten  ?,Du  zit- 
terst,  zagest"  wiederholt)  geben  in  ihrer  malerischen 
Bedeutung  diesem  Satze?  in  welchem  die  von  Bach  so 
gern  angewendeten  ariosen  Stellen  mehrfacli  den  Gang 
des  Recitativs  unterbrechen  ?  ein  eigenthiimlich  schmerz- 
liches  Geprlige. 

Nach  einer  Arie  (No.  21,  G-dur  %?  Allegro  spiritoso, 
vomQaartett  begleitet)  ,.der  Menschen  Missethat  ver- 
birget  Dir  Deines  Vaters  Angesicht",  welcbe  in 
Melodie  und  Begleitung  nicht  ohne  Interesse  1st,  folgt 
wiederum  ein  Chor  No.  22  ?,Dann  strahlet  Licht  und 
Majestat"?  C-dur  4/4?  Allegro  assai,  von  alien  Instru- 
menten  begieitet.  Die  Melodie  ist  kraftig  und  fest,  die 
Anlage  des  Ganzen  breit  tind  glanzend,  der  Chor  in  sei- 
nem  langsam  majestatischen  Gange  wird  durch  die  farbeii- 
reiche  Benutzung  der  Instrumente,  von  denen  die  Homer 
in  sjncopirter  Gegenbewegong?  die  Floten  mid  Oboen  m 


langgezogenen  Tonwellen,  die  Violinen  in  reich  figurirten 
Gangen  auftreten,  gehoben.  Bei  den  Worten  7,Die 
Freeh  en  beben"  schweigen  die  Blaser  und  die  Saiten- 
Instrumente  gelien  in  kurz  abgerissenen  VB  Noten  neben 
dem  Gesange  her.  Das  Ganze  ist  ein  Musikstdck  veil 
von  Pracht  und  Glanz,  auf  unmittelbar  zimdende  Wirkung 
berechnet  Es  ist  der  Richter,  der  in  seiner  Majestat  daher- 
schreitet,  zu  richten  die  ihn  erwiirgt  haben;  und  die  nun  zit- 
ternd  seines  Spruches  warten.  Ihnen  gegeniiber  harren 
zuversichtsvoll  die  Gerechten  der  gottlichen  Gnade.  Dies 
spricht  sich  in  dem  Solo  flir  Bass  No.  23  aus:  77Wie 
froh  wird  rair  der  Anblick  sein".  Die  Blase -Instru- 
mente  verstummen,  die  Orgel  nimmt  den  Bass  in  lang- 
gehaltenen  Tonen  auf;  zwei  Bassons;  denen  spater  ^ll&s 
Streich-Quartett  mit  Sordinen  hinzutritt,  begleiten  den  Ge- 
sang?  der  in  dunkler  Farbung  das  ziemlich  weit  ausge- 
ftihrte  Arioso  ausftillt. 

Ein  kurzes  Secco  Eecitativ  leitet  zu  dem  Choral  No.  24, 
A-moll  4/4;  tiber,  der  in  dem  bangen  Bufe  nach  dem  Er- 
barmen  Gottes  den  Opfer-Tod  des  Erlosers  in  ernster 
"Weise  beklagt  In  dem  litaneiartig  geformten  Gesange 
offenbart  sich  des  Meisters  wunderbare  Combinationsgabe 
fiir  edle  harmonische  Wirkungen. 


(\Jf.  —  J^J  1 

L          -j  j      .! 

j  

—  1  —  j 

m-n  —  g  — 

Eel     - 

•e- 

li 

O 

—  : 
-  f 

1 
jer 

Scliopfer, 
JO. 

—  g  

Gott!  Hei 

,  -e-  -& 

i-S—  c^—  ^ 

-  li  -  ger 

H-OL-O-  .j 

U.  _  O     ,,J 

* 

L—  ^ 

Eo-Jp 

-^  -1 

(*j£~^  —  :  —  pi 

1  —  rl  —  '  —  H 

-  —  j  —  1~  *q  1 

«x    .^.    .^. 
Mitt-  ler, 
._  —  @  —  —  _  .. 

a*-j=i  —  fsj~ 

Gott' 

•e 

He 

^tef  ^ 

L  -  H  -  ger,  barm 
I_4O-  0.  JO. 

-  her  -  zi  -  ger 

JB-    -p- 

-F  —  h—  — 

1  —  j^-F-1 

—     O          J 

1  

—  '  1  F^jf-Ti 

' 


hilf        nns        in         der      letz-  ten     Noth,  er  -  barm  dich 


/("£"  •       "      "   1  ""  -] 

^-f=  r-r  rf  r^ 

un 

ser. 

'  I  {^  1  L|a  *  —  P-J 

—  -s  —  I 

Es  ist  eine  uberaus  ernste?  tief  in  die  Seele  dringeiide 
Stimmung,  die  dieser  wunderbare  Satz  anregt  und  damit 
zn  dem  kurzen  Eecitativ  (No.  25)  ,,Er  ruft:  Es  ist 
vollbracht!  und  stirbt"  iiberfubrt,  das  von  zwei  Floten 
und  dem  gedampften  Streich-Quartett  in  den  zartesten 
Gangen  begleitet^  wie  der  letzte  Seufzer  eines  Sterbenden 
leise  verhaUt  Aus  dem  kiirzen  symphonischen  Scbfass 
quillt  die  tnranenvolle  Klage  IB  weicEen  Gtogen 


_  -40    — 


fltfei 


2  Plot.,  2  Tiol. 
cone.  Yida,    ^ 


Basso  cord. 


m 


,n 


tr 


— 


cb  (>b  $7 


Er      stirbt  ! 


-       i 


^Hf  -  ««-    - 


T=- 


L     4 

5b  4 


-UiJ- 


J 


*  » 


1 


stirbt, 


pi&s 


—    41    — 

'  In  gleich  sehmerzlicher  Erregung  beharrt  das  folgende 
Arioso  No^26(Quartett-BegleitungohneSordinen),  ,,Mein 
tiefgebeugtes  Herz  wirft  sich  auf  Golgatha",  von 
einem  iiberraschenden  Reiehthurne  der  Modulation  und 
wie  der  vorh-ergehende  Satz  schliesslich  im  leisesten  pia- 
nissimo verhallend. 

No.  27.  77Die  Allmacht  feirt  den  Tod.^  Ein 
symplionischer  Eingang  (F-dur  4/4  poco  Adagio)  beginnt 
in  einer  fur  die  Faetur  einer  geistlichen  Musik  jener  Zeit 
vollig  neuen  und  gegen  die  von  schmerzlichen  Motiven 
gesattigte  lyrisclie  Grunclstimmung  der  vorhergehenden 
Nummern  iiberraschend  feierlichen  Weise.  Die  ernste 
Todtenfeier,  welche  die  in  ihrem  Laufe  gestorte  Natur  dem 
gottlichen  Erloser  bereitet,  beginnt  in  wunderbar  geformter 
Gestaltung  sich  zu  entwickeln. 

Drei  Homer  von  der  Pauke  im  leisesten  Wirbel  be- 
gleitet,  treten  nach  einander  in  canoniscnen  Einsatzen 
ein.  Ihr  ernster  gedeckter  Ton  ruft  wie  aus  nnendlich 
weiter  Feme  die  noch  schlummernden  Katurkrafte  wach. 
Ihnen  folgen  zuerst  die  Oboen.  dann  die  Flo  ten,  spater  die 
Bassons?  bis  endiich  aucb  das  Streich-Quartett  eintritt  und 
im  Unisono  die  Holz-Blaser  mit  sich  fortzieht. 

In  wechselnden  Modulationen?  wie  in  dniupfer  Schwiile 
der  Sonnengluth  vor  dem  Sturm  und  Erdbeben  schwillt 
die  wachsende  Bewegung  zum  lauten  Donner  auf,  um  dann 
wieder  in  leisester  Ermattung  zu  verhallen. 

Dieses  acconipagnirte  Recitativ,  eins  der  genialsten 
Stticke  des  Werks?  zeugt  laut  von  Em,  Bach's  grosser 
Erfindunga-  und  Darstellungsgabe.  Es  ist  ein  Bild?  das 
auf  diisterem  Grunde  mit  Meisterliand  entworfen,  wie 
in  dem  falben  Lichte  der  in  Gewitterwolken  verschwinden- 
den  Sonne  aufgerollt  wird;  lialb  beleuchtet,  halb  in  Dunkel 
gehullt1). 


i)  In  eiu^m  aiteren  krltischen  Aufsatz  iiber  Musik  (Jonraai 
Lnxus  und  der  Modes.    Weimar  179S,    S.  339)  fiadet  sick 


—   42   - 

Das  auf  den  Aufruhr  der  Instrumente  bei  den  Worten: 
,,der  Romer  staunt,  sieht  die  Natur  empSrt",  plotzlich 
eintretende  Largo:  ,,Er  betet  an!"  1st  in  seinem  zarten 
Gegensatze  von  yollendet  kiinstlerischer  Wirkung. 

Mit  dem  Unisono  des  Qnartetts  nach  den  Worten: 
,,der  Sterbende  ist  Gottes  Sohn  gewesen",  beginnt 
die  Figur  der  Eingangssymphonie  von  Neuem,  schwillt  auf 
und  schliesst  dann  leise  verhallend,  um  zu  dem  Schlusschor 
(No,  28.  Allegro  ma  non  tanto,  F-dur  2/4)  iiberzufiihren. 

Der  Hauptsatz  ??Preiset  ihn"  (2  Horner,  2  Floten, 
2  Oboen.  Streich-Quartett)  bewegt  sich  in  homophon-melo- 
diosem  Fluss,  wahrend  zwischen  den  ubrigen  begleitenden 
Instrumenten  die  Violinen  eine  lebhafte  Figur  einfugen. 

Der  zweite  Satz  (Bass-Solo):  ,,Trauert,  wekmBths- 
volle  Liederu?  mit  2  Bassons  und  den  Oboen  begleitet? 
in  schonem  und  ausdrucksvoll  deckmatorischem  Gesarge 
und  in  herrlichen  Modulationen  endet  pianissimo  zu  dem 
Worte  ?JEr  starb".  Nach  einer  Wiederholung  des  ersten 
Satzes  tritt  ein  Duo  fur  2  Soprane,  von  2  Floten,  2  Violinen 
und  der  Bratsche  (ohne  Bass)  begleitet  ein,  dessen  zunacbst 
sich  begegnende  gegeneinander  wirkende  Stimmen  sich 
bald  zu  Terzenpassagen  von  wehrnuthsvollem  Charakter 
vereinigen?  und  wie  der  Solo -Satz  der  Bassstimmen,  in 
leisem  Gesange  verlaufen. 

Nach  der  dritten  Wiederholung  des  Haupt-Satzes  be- 

Bemerkung:  ,,Aus  der  Kirchenmusik,  besonders  den  Passionsmusiken 
war  das  Horn  ganz  verwlesen  und  C.  P.  E.  Bach  war  wohl  der 
erste,  der  es  in  einem  grossen  Passions-Oratorium,  dreifach,  nebst  der 
Pauke,  die  sonstnur  dem  Lobgesang  zukarn,  bei  dem  Accompagnement 
die  Allmacht  feiert  den  Tod,  mit  so  machtigem  Success  brachte." 
Ist  diese  Bemerkung  anch  fur  die  Kirchenmusik  im  Allgemeinen  nicnt 
richtig,  da  scnon  Seb.  Bach  das  Horn,  z.  B.  in  der  Arie  der  H-moll 
Messe:  Quoniam  tu  solns  (No.  10)  so  wie  in  vielen  seiner  Kirchen- 
Cantaten,  in  zwei  seiner  Sonates  wie  in  einer  seiner  karzen  Messen 
verwendet  hat,  so  trifft  sie  doch  unsres  Wissens  fiir  die  Passions- 
musiken zu  und  legt  Zeugniss  davon  ab,  welche  Wirkung  dieses 
Stuck  auf  das  solcher  Mittel  nicht  gewohnte  PubHkum  damaliger  Zeit 
gemacht  hat. 


—    43    — 

ginnt  em  neues  Solo  fiirBass:  ,,Singet  Dank,"  mit  Be- 
gleituug  des  Quartetts,  in  welchem  die  erste  Violine  die 
Violinfigur  a  us  dem  Hauptsatze  aufnirmnt  und  so  in  diesen 
zuriickleitet.  Mit  der  vierten  Wiederholung  desselben 
schliesst  das  Werk. 

Ob  dasselbe  so?  wie  es  aus  Bach's  Feder  geflossen  1st, 
der  jetzigen  Geschmacks  Richtimg  selbst  in  klassischem 
Sinne  zusagen  wiirde,  steht  dahin.  Das  Ganze  leidet, 
der  zahlreichen  Schonheiten  ungeachtet,  doch  unter  der 
Emfb'rmigkeit  des  Textes.  Die  Hanfung  der  Arien  and 
Recitative  wiirde  in  jedein  Falle  eriniidend  wirken1).  Der 
damaligen  Zeit  lag  ein  derartiges  Bedenken  fern, 

!)  Die  Ausfuhrung  dieses  Werkes  bietet  nach  mehr  als  einer  Seite 
bin  Schwierigkeiten.  Doch  sind  diese  gegeniiber  den  Anforderungen, 
welche  Sebastian  Bach  an  das  ausfuhrende  Personal  stellte, 
kaum  nennenswerth.  Eine  in  den  Studien  fur  Tonkiinstler  (1792, 
Berlin.  S  188  ff.)  befindlicbe  ,,frehnuthige"  Kritik,  als  deren 
C.  S.  unterzeichneten  Verfasser  man  den  clinch  seine  sonderbaren 
Urtheile  iiber  Seb.  Bach  bekannten  Hofrath  Spatzier  vermuthen 
mochte,  sagt:  dies  Passions- Oratorium  sei  ihni  immer  als  eine  kolossali- 
sche  Masse  vorgekommen ,  die  ein  grosser  Kiinstler  seineni  eigenen 
Geiste  als  ein  giosaes  Denkmal  dessen,  was  er  mit  dem  Apparat 
seiner  Kenntnisse  vermochte,  hingeworfen  babe,  um  auf  demselben  urn 
so  erliabneren  Schrittes  der  ihm  liingst  gebiiliienden  Cnsterblichkeit 
entgegenzugeben;  Aber  anch  als  ein  Werk,  das  wegen  eines  daran 
auf  Kosten  des  Gesanges  versehwendeten  Eeicfitbums  an  Harmonic 
und  Modulation  theilweise  cur  sehr  schwer  verstanden  nnd  nicht  obne 
zeitliche  Miihe  genossen  werden  konno.  Im  weiteien  Yerlauf  ibrer 
Ausfuhrung  bemeikt  die  Kiitik  ferner,  dass  in  den  Arbeiten  Bach's 
uberhanpt  ein  so  siisser,  melodioser  Gesan^  nicbt  herrsche,  als  in  den 
Werken  eines  G-raun,  Hasse,  Naumann,  Beichardt.  Was  beziig- 
Hcb  der  Gelehrtheit  nnd  scbweren  Versiandlicbkeit  der  Passions- 
Cantate  gesagt  ist,  kann  fliglich  auf  sich  beruben.  Doch  muss  im  Allge- 
iBeinen  zngegcben  werden,  dass,  zumal  fur  die  Arie  Graun,  Hasse 
nnd  Naumaun  melodioser  gescbrieben  haben.  Aber  es  war  dies 
nicht  um  deswillen  der  Fall,  weil  Bach  gelehrter  als  sie  hatte  schrei- 
ben  wollen,  sondern  weil  er  seine  Alien,  wo  ibn  Text  und  Situation 
niefet  besonders  an  regie  n,  ohne  eigentliches  Interesse  hinwarf,  nor  urn 
Arien  geaetzt  zu  haben.  Was  wilrde  aber  Spat2ier  wohl 
haben,  wenu  er  die  ihra  ohne  Zweifel  unbekannt  gebliebenen 
Musiken,  Cantaten  und  Messen  Sebastian  Bach's  zu  feoreu 
fcommen  hatte?" 


44    

Reichardt  wolante  im  Jahre  1774  einer  Aufftihrung 
dieser  Passionscantate  in  der  spater  abgebrannten  Petri- 
Kirche  zu  Berlin  bei.  Er  ruhmt  an  ihr  Originalitat, 
passenden,  starken  und  neuen  Ausdruck,  anhal- 
tende  Starke  und  heftiges  Feuer".  In  jedem  Kecitativ, 
in  jeder  Arie?  in  jedem  Chor  ist  Erfindung  und  Neuheit, 
sowohl  in  der  Harmonie  als  iin  Gesange.  Und  nichts  un- 
edles  in  allem,  bis  auf  eine  geschwinde  Arie  (muthmasslich 
No.  13),  deren  spielender  Witz  sieh  wohl  nicht  recht  fur 
die  Kirche  schicken  mochte"J). 

Bald  nach  Em.  Bach's  Tode  iin  Jahre  1789  erschien 
ein  von  Steinfeld  gefertigter  Clavier -Auszug,  der  der 
Herzogin  Luise  Friederike  von  Mecklenburg  ge- 
widmet  war. 

Er  hatte  nur  97  Pranumeranten  gefunden,  unter  diesen 
keine  einzige  Person  von  einiger  Bedeutung.  Freilich  gab 
er  naeh  danialiger  Weise  weder  den  Ge^ang  noch  die 
Begleitungsstimmen  in  hinreichend  befriedigender  Weise 
und  stellte  von  dem  Werke  daher  uns  ein  unklares  und 
wenig  treues  Bild  dar2). 

Das  dritte  der  von  Bach  geschriebenen  Oratorien  ist 
betitelt:  Carl  Wilhelm  Rammler's 

Auferstehung  und  Himmelfahrt  Jesu, 


1)  Briefe  eines  aufmerksaraen  Reisenden.    Th.  I.    S.  111. 

2)  Sollte  eine  WiederbelebuDg  dieses  Oratoriums  stattfinden,  was 
bei  dem  fiiblbaren  Mangel  an  neueren  derartigen  Werken  jedenfalls 
erwiinscht  sem  miisste,  dann  wiirde  es  geboten  sein,  einen  Theil  der 
Secco-Eecitative  zu  kiirzen,  die  Aden,  etwa  mit  Ausnahme  der  Tenor- 
Arie  No.  11  und  der  Bass-Arie  No.  15,  ebenso  das  Duett  No.  17  fort- 
zulassen,  im  Uebrigen  aber  die  bleibenden  Recitative  von  No.  3  bis 
No.  18  durch  Chorale  zu  unter brechen,  deren  ja  Em.  Baeli  so  viele 
hinterlassen  hat.     In  soleher  Form  wiirde  die  Passionscantate  eine 
ebenso  erwiinschte  als  ed!e  Bereiclierung  des  Kieibes  der  musikalischen 
Aufluhrungen  in  der  Passionswoehe  sein.   Und  in  dieser  Form  wiirden 
auch  die  wirklicben  und  bleibenden  Schonheiten  des  Werkes  in  das 
richtige  Licht  treten  und,  wie  sie  es  verdienen,  auch  von  der  Jetzt- 
zeit  gewurdigt  werden. 


—    45    — 

Die  Original -Partitur1)  dieses  hochst  merkwiirdigen 
Werks,  dessen  Entstehung  in  die  Jahre  1777/78  fallt,  fiihrt 
folgende  Aufschrift: 

;?Meine  eigenhandige  Partitur  von  Kammler's  Aufer- 
stehung  und  Himmelfahrt  Jesu,  in  Musik  gesetzt  von  mir, 
Carl  Philipp  Einanuel  Bach;  hat  Niemand  tind  kann 
also  gedruckt  werden,  wozu  die  saubre  Copie  dieser  Par 
titur  am  besten  geschickt  ist." 

Darunter  stehen  von  der  Hand  des  Biickeburger  Bach 
die  Worte:  ?,Zum  Geschenk  von  meinem  Lieben  Bruder  er- 
halten."  Dieser  Partitur  ist  ein  Textbuch2)  vorangebunden, 
welches  von  Em.  Bach's  Hand  verschiedene  Abanderungen 
des  urspriinglichen  Textes  enthalt,  die  offenbar  nach  der 
ersten  Auffuhrung  verbessernd  eingetragen  sind. 

Der  Text  Rammler's;  der  in  seiner  amendirten 
Gestalt  im  Anhange  II.  abgedruckt  ist;  charakterisirt  sich 
als  eine  Fortsetzung  seiner  Dichtting:  ,?der  Tod  Jesu." 

Das  Ueberwiegen  des  lyrischen  Elements,  das  Betrach- 
tende?  Erzahlende  der  Dichtung  lasst  dieselbe  niehr  noch, 
als  dies  bei  der  Passions -Cantate  der  Fall  war?  eintonig 
erscheinen. 

Es  war  en  eben  die  Eegeln,  deren  gelegentlich  der 
7?Israeliten  in  der  Wiiste"  Erwahnung  gethan  worden, 
in  Fleisch  und  Blut  der  Oratoriendichter  der  Zeit  tiberge- 
gangen,  und  das  Gefallen  des  Publikwns  an  lyrisehen 
Schilderungen  und  an  langathinigen  Arien  kain  dem  leider 
zu  Hilfe.  Eammler  hat  es  in  jedem  Falle  verstanden,  jede 
sich  rnehr  dem  Dramatischen  zuneigende  Wendung  niit  Sorg- 
falt  zu  venneiden.  Dem  Gedichte  fehlen  alle  Gegensatze, 
die  belebend  zu  wirken  ini  Stande  waren,  Einzelne  hin 
und  wieder  eingestreute  Schlaglichter  vermogen  diesen 
Mangel  nicht  auszugleichen. 


1)  In  der  K.  Bibl.  zu  Beriin. 

2)  Gedruckt  frei  Eeuss  in  Hamburg. 


-   40   ~ 

Hieraus  ergiebt  sich;  dass  auch  hier  die  Arie  und  das 
ariose  Element  weithin  yorherrschen.  Der  Choral,  der  in 
den  iibrigen  Oratorien  khnlicher  Tendenz  eine  so  wesent- 
liche  und  hervorragende  Stelhmg  einnimmt  mid  der  selbst 
in  der  Passions -Cantate  mehrfach  Anwendnng  gefunden 
hat,  fehit  hier  merkwiirdiger  Weise  ganz.  Was  Ern,  Bach 
dem  vorliegenden  Texte,  wie  er  einmal  war,  abgerungen  hat, 
ist  allerdings  erstaunlich.  Dies  Oratorium  ist;  abgesehen 
von  dem  nur  aus  eineni  grossen  Chore  bestehenden  Heilig 
unzweifelhaft  das  Bedeutendste,  was  er  uberhaupt  ge- 
schaffen  hat,  eine  Arbeit,  in  der  der  Ernst  des  dem  Greisen- 
alter  nahestehenden  Mannes?  seine  tiefe  Kenntniss  der 
Wirkungen,  seine  Wissensehaft  und  tiberlegne  Gewandt- 
heit  in  den  Formen,  so  wie  seine  ausserordentliehe  har- 
monische  Kraft  nrit  einer  gewissen  idealen  Hoheit  in  der 
Auffassung  Hand  in  Hand  geben. 

Aus  dem  Texte  wird  man  ersehen,  dass  jene  Begeben- 
heiten  Gregenstand  der  Dichtung  sind?  welche  in  der  Schrift 
dem  Tode  und  der  Grablegung  Christi  unmittelbar  folgen: 
die  Auferstehung  des  Herrn,  sein  Erscheinen  unter  den 
Jungern  und  seine  Himmelfahrt.  So  beginnt  die  epische 
Darstellimg  da?  wo  der  Tod  Jesu  Rammler's  aufhort, 

mit 

No.  1,  einer  Instrumental-Einleitung,  welche  die  dilstre 
Stille  an  dem  Grabe  Jesu,  die  Ruhe  der  Erschopfung 
ma^h  dem  Tode  des  Heilands,  den  Stillstand  der  Natur, 
das  Stocken  ihres  sonst  so  frisch  pulsirenden  Lebens  in 
einem  unheimlich  leisen  Klagegesange  darstellt. 

Dieser  kurze  syniphonische  Satz  (Adagio  di  molto, 
D-moll  %),  in  welchem  die  Bratschen  und  Basse  unisono 
19  Takte  lang?  ohne  jeden  anderen  Instrumental-  Zusatz 
miteinander  fortschreiten,  beginnt  leise,  steigt  gegen  die 
Mitte  zu  und  fallt  dann  wieder  in  die  erste  Dusterheit 
2uriick?  in  der  die  Tone  nach  und  nach  ersterben. 


—    47    — 


Tlela,  BassI,  ^- 

ohne  Fagott  hr^: 
und  Orgel. 


Adayio  dt  molto. 


Die  altere  Musik  hat;  so  weit  die  Kenntnlss  des  Ver- 
fassers  reiclit?  Aehnliches  nicht  aufzuweisen.  Die  h5eliste 
EinfacWieit  der  Mittel  und  deren  geniale  Verwendung 
ckarakterisiren  die  Stimmung?  in  welclie  das  Bild  einfuhren 
soil,  in  unubertroffener  Weise1).  Aber  aus  den  Schauern 
des  Grabes  erhebt  sich  wie  lichter  Sonnenglanz  (2/4  Largo? 
von  den  durch  2  Floten  verstarkten  Violinen?  den  Bratschen 
und  Bassen  leise  begonnen)  die  Zuversicht  auf  die  Ver- 
heissungen  des  Herrn. 


r~> 


2Viol. 


Basso. 


i)  Die  neuere  Zeit  laat  VOB  dem  beriihmten  Unisono  der  Streieh- 
Instnimente,  welciie  Meyerbeer  in  (ten 4  Akt  seiner  „ Afrikanerin"  ver- 
legt  hat  tind  womit  er  die  Scenen  Bnter  dem  bis  zum  Todesschlaf  be- 
tanbenden  Manzanillabanm  einleitet,  viel  Anfhebens  gemacbt.  Wen%e 
mdgen  wissen,  vor  wie  langer  Zelt  Em,  Bach  ZQ  einem 
Im  ^>  YI$  «dleiier  W^ise  das  erste  Beimel 


—    48    — 

Der  Chor  No.  2:  ?;Gott?  Du  wirst  seine  Seele 
nicht  in  der  Holle  lassen",  ist  nicht  eigentlich  in  po- 
lyphonein  Styl  gesetzt,  zeigt  aber  in  der  Fiihrung  der 
Stirninen  eine  gewisse  Bewegung,  wkhrend  das  Quart ett 
den  Gesang  verstarkt,  die  Floten  aber  sich  iiber  diesem 
zu  selbststandigem  Gange  erheben.  Melodie  und  har- 
monischer  Wohlklang  sind  bemerkenswerth. 

Dieseni  Chore  folgt  das  accompagmrte  Recitativ  No.  3 
(Adagio,  Streich-Quartett,  PaukenV 

Adagio. 


2  Tiollne.    ,fe— ' 


Leise  beginnend  schwillt  der  Wirbel  der  gedanipften  Panke 
mit  dem  tiber  ihm  in  punktirten  Noten  stark  liiythmisii^ten 
Quartett  der  Streich -Instruments,  die  sich  aus  dunkler 
Tiefe  in  dissonirender  Harmonienfolge  in  die  Hohe  er- 
heben?  zum  lauten  Donner  auf.  ;7Judaa  zittert!  Seine 
Berge  beben!"  Die  Anferstehung  des  Herrn  beginnt  inx 
JSturme  der  Natur?  den  der  Dichter  in  scharfen  Ztigen 
schildert.  Die  dem  vorigen  Chor  entgegengesetzte  Tonart 
fiihrt  in  den  plotzlichen  Wechsel  der  Gedanken  liber.  33in 


—    49    — 

grossartiger  Zug  durweht  das  ganze  Stuck.  Die  Decla- 
mation der  Worte  1st  von  wirkungsvoller  Kraft.  In 
wecnselnden  Figuren  und  Pormen  stiirmt  und  flaraint  das 
Accornpagnement  mit  der  Gresangsstimnie  dahin,  bis  e,i 
zum  leisesten  Piano  verhallend  niit  der  letzten  FigUij 
in  den  beiden  Violinen  erstirbt.  Hie  und  da?  z.  B.  bei 
den  Worten  ??Flieht?  ilir  Briider",  wird  eine  Neigung 
zu  malerischer  Darstellung  bemerkbar.  Ueberrasehend  ist 
die  Figur  der  Basse  zu  den  Worten  ??Und  rollt  des 
vorgeworfenen  Steines  Last  hinweg": 


wenn  man   dieselbe  dem  Rollen  des  Steins  in  dem  Duett 
des  zweiten  Acts  im  Fidelio  gegeniiberstellt. 


No.  4  Arie  fur  Bass  (Allegro,  0-moll  */4,  Streich- 
Quartett,  2  Horner)  ist  in  dem  Em.  Bach  senr  gelauftgen 
alten  Styl  gesetzt,  aber  voll  Kiihnheit  und  Feuer.  Die 
Violinen  bewegen  sick  in  lebhaften  Figuren.  Der  Gesang, 
sehr  colorirt,  erfordert  einen  Sanger  von  grossen  Stimm- 
mitteln  und  von  vollendeter  teclmischer  Ausbildung.  Der 
Mittelsatz  (Adagio  ?/47  in  B-moll  beginnend)7  ?;RangJesus 
nicht"7  ist  von  weicher  Innigkeit?  der  Ausdruck  der 
Fragen  in  demselben  bewunderungswerth. 

Von  wohlthuender  Wirkung  ist  der  folgende  Chor 
No.  5  (Es-dur  %5  8  Trompeten?  Pauken,  2  Horner?  Oboen7 
Rtreich-Quartett)  ein  laut  austonender  Triumphgesang?  den 
die  Engel  dem  erstandenen  Ohristus  jubelnd  entgegen- 
singen;  der  Chor  selbst  ist  homophon.  Durdb  die  glan- 
zenden  Tonmassen  des  Orchesters  schlingen  sich  die  Harpeg- 

Bitter,  Emanuel  und  Friedemajrn  Bach.   II.  4 


—    50    — 

gien  und  Figuren  der  Violinen  wie  ein  Kranz  von  Blumen 
um  eine  von  Gold  und  edlen  Steinen  schlmmernde  Riistung. 
Sehr  schon  tritt  im  zweiten  Abschnitt  dem  unisono 
gesetzten  Ausruf  des  Chors  ?;Mit  lantern  Jubel"  die 
vierstiinmig  in  contrapunktischer  Bewegung  gehaltene 
Wiederholung  dieser  Worte  entgegen,  welche  wieder  in 
das  Unisono  zuruckfuhrt. 

In  dem  folgenden  Recitativ  No.  6  beginnt  der  er- 
zahlende  Gesang  ohne  Begleitung.  Bei  den  Worten  des 
Engels  ??Entsetzt  euch  nicht"  tritt  das  Quartett,  die 
Rede  in  langgehaltenen  Accorden  begleitend,  diese  wie  mit 
einem  milden  Lichte  umgebend  hinzu  und  halt  bis  zum 
Sehlusse  an.  Bei  der  Stelle  3;Dass  ihr  inn  klaget" 
unterbricht  eine  kurze  Figur  der  Violinen  im  leisesten 
Pianissimo  die  gehaltnen  Tone. 

Unzweifelhaft  ist  Em.  Bach  in  diesem  Stficke?  so  wie 
bei  einem  Tbeile  der  spater  folgenden  Recitative  der 
schonen  Idee  seines  Vaters  gefolgt,  vermoge  deren  dieser 
die  Reden  des  Herrn  in  der  Matthaus-  Passion  durch  die 
Begleitung  des  Quartette  so  herrlich  individualisirt  hat. 

An  dies  Recitativ  schliesst  sich  die  Sopran-Arie  No.  7 
(in  G-moll  4/4?  Adagio  mit  Quartett- Begleitung).  Die 
Musik  derselben  stellt  in  dem  ersten  Satze  einen  ruhrenden 
Klagegesang  dar.  Der  zweite  Satz  (Allegro  %)  ,,Heil 
Dir?  Du  steigst  vom  Grab  herauf "  tritt  als  jubelnder 
Gesang  stark  colorirt  zu  jenem  in  einen  scharfen  Gegen- 
satz.  Die  Yiolinen,  in  reichen  Figures  in  concertirender 
Weise  begleitend,  driicken  in  der  Em.  Bach  eigenthiim- 
lichen  Weise  die  Freude  aus?  welche  die  Seele  uber  die 
Auferstehung  des  Herrn  empfindet. 

Das  folgende  Recitativ  fur  Bass  nWer  ist  die  Si- 
onitin?"  No.  8  beginnt  wie  das  vorhergehende  ohne 
Aecompagnement  Aber  auch  hier  tritt  7  wie  der  Dichter 
zu  den  Worten  Jesu  ,,O  Tochter,  warum  weinest 
Du?"  iibergeht?  das  Streich- Quartett  ein?  diese  in  lang- 
gedehnten  Accordfolgen  begleitend?  hort  mit  dem  Fort- 


51    — 


gauge  der  Erzahlung  auf?  folgt  aber  dem  Gesange  von 
Neuem,  wo  die  Worte  Jesu  (im  Adagio)  eingefiihrt  werden. 
Es  folgt  ein  Duett  fur  2  Soprane  No.  9  (Andante, 
D-moll  3/8j  2  Floten,  Streich-Quartett)  77Vater  Deiner 
scbwachen  Kinder."  Eine  sanfte,  yon  den  gedainpften 
Violinen  in  Terzengangen  eingefiihrte?  von  der  Viola  und 
o^  Bass  begleitete  Melodie  beginnt: 


Basso 


Bei  der  Wiederholung  derselben  durch  den  zweiten  So- 
pran  treten  zwei  Floten  an  die  Stelle  der  Violinen,  von 
denen  weiterhin  die  erste  mit  der  Bratsche  unison o  ge- 
hej»d  den  Gesang  verstarkt,  wahrend  die  Violinen  als 
Zwischen-Instrumente  verwendet  werden.  Von  der  Verei- 
nigung  der  Gesangsstimmen  ab  schreiten  beide  Floten  mit 
den  Violinen  und  2  Violen  in  contrapunktischen  Gangen 
fort,  um  wieder  in  die  Terzengange  uberzuleiten,  deren 
naiv  sanfter  Charakter  sich  der  Form  des  Liedes  n&hert? 


Bern  er  -   barmend  Herz  er  -  weicht. 


9*7 


und  fast  genau  in  derselben  Weise  sich  in  Sturm's  geist- 
licbem  Gesange  (siehe  weiterhin)  ??Dieses  und  jenes 
Leben" 


Ooch      Vri,  -  ter    deine       E  -  wigkeit. 


so  wie  in  dein  Duett  No.  8  der  Israeliten  wiederholt. 
Ein  kurzer  Zwischensatz  fiihrt  zu  dem  ersten  Theil  zuriick. 
Das  ganze  Stuck  macht  den  Eindruck  wohlthuender  Ein- 
fachheit  bei  ungemein  reinem,  rnelodischem  Flusse.  Das 
nun  folgende  Eecitativ  No.  10  fur  Tenor  ?;Freundinnen 
sagt"  (ein  Gespraeh  Christ!  mit  den  Frauen  enthaltend), 
hat  eine  reich  naodulirte  Declamation.  Auch  hier  werden 
die  Reden  des  Herrn  von  dem  Strahlenkranze  der  lang- 
austonenden  Accorde  des  Streich-Quartetts  umwoben,  zu 
welchen  sich  bei  den  Worten  ,,Sie  fallen  zitternd 

$9 

nieder,"  ein  einfaches  Thema  im  Accompagnement  gesellt. 

Diesem  Recitativ  schliesst  sich  No.  11,  die  Tenor- Arie 
,,Ich  folgeDir,  verklarter  Held,"  (D-dur  2/4?  Allegro, 
1  Troinpete,  Streich-Quartett)  an.  Der  erste  Satz  ist 
sehwungvoll  behandelt  und  reich  verziert.  Es  ist  ein 
triumphirender  Gresang  voll  kraftiger  Accente.  Die  erste 
Violine  in  concertirendem  Gharakter  auftretend,  lasst  hell- 
jubelnde  Klange  erschallen,  wahrend  die  Trompete  kecke 
Glanzlichter  umherstreut.  Somit  ware  die  instrumental 
Behandlung  dieses  Satzes  keineswegs  interesselos,  wenn 
nicht  die  figurirte  und  concertirende  Behandlung  der  Vio linen 
bei  Em  an  u  el  Bach  zu  einer  gewissen  Manier  gewordeu 
ware,  der  man  unter  bestinimten  Verhaltnissen  fast  mit 
Eegelmassigkeit  begegnet  Der  Mittelsatz  (Gr-dur  3/s)  ist 
einfacher  und  sanft  rnelodiseh. 

Den  ersten  Theil  des  Oratoriums  schliesst  No.  12, 
ein  Ghor  ??Tod?  wo  ist  dein  Stachel?"  (Andantino, 
G-dur  %;  2  Horner  in  G,  2  Oboen,  Streich-Quartett),  mit 
einer  kurzen  und  kraftigen  Einleitung  in  vierstimmigem 


—    53 


Satze  beginnend.  Die  letzte  Frage  ,,Wo?"  wird  in  einer 
Dissonanz  ausgehalten,  die  sich  erst  nach  einem  langen 
Ruhepunkt  in  den  Anfang  der  Fuge 


Soprnn. 

/!  Un-ser   iist  der  Sieg!  Dank  sei 


, ^ y ^ 

;  der  Sieg!  Dank  sei    Gott  und  J<2 

~_^              ~~~j                            ~|                           "~1 :  ~"        ~^ 

~~       ~         "  "~~  |             ~          "~~~ j ;  _"".'...  "  I__ZILnZIZ  j  - '  — .  '..'.'_    " 


\ ^-_— 


auflost.  Diese  verlauft  in  stranger  Form  tmd  in  gedrun- 
gener  Kiirze  niit  dramatisch  wirksamem  Schluss.  Em. 
Bach  hat  nngeachtet  seiner  Vorliebe  fiir  den  homophonen 
Sty!  doch  in  den  Monientenj  in  denen  sick  die  grosseren 
Satze  seiner  Werke  zu  einer  gewis^en  majestiitischen  Wiirde 
steigern  sollten,  wo  er  die  gesammte  Wirkursg  verscbiedener 
Aufgaben  in  ein  grosses  Tonbild  zusaminenzufassen  ge- 
nothigt  war?  keine  anderen  Formen  und  Mittel  zu  finden 
gewnsst,  als  die  waren,  vermoge  deren  die  Werke  seines 
Vaters,  wie  Hand  el's  zu  ihrer  Tollen  Wirkung  gelangt 
sind.  Ho  schliesst  der  erste  Theil  in  ernster,  wiirdiger? 
edler  Weise  ab.  Bezuglich  der  Schlussikge  9€i 


—    54    — 

noch   benierkt,    dass  Bau   und  Charakter  derselben  rnehr 
an  Handel  als  an  Sebastian  Bach  erinnern. 

Der  zweiteTheil  beginnt  mit  No.  13,  einem  langen, 
zuni  Theil  acconipagnirten  Recitative  (Adagio  di  molto? 
G-dur,  Allabr.)  ,,Dort  seh'  ich  aus  den  Thoren  Jeru- 
salem s,"  in  sehr  feierlicher  Instrumental-Einleitung. 

Jesus  begegnet  den  Jungern,  gesellt  sich  unerkannt 
zu  ihnen  und  deutet  ihnen?  wie  sich  an  ihrn  die  Schrift 
habe  erfullen  mtissen. 

Die  Anlage  uud  Ausfuhrung  dieses  Stiickes  ist  den 
vorhergehenden  Recitativen  gleich.  Die  die  Reden  Jesu 
begleitenden  Accordfolgen  sind  von  thematisch  charakteri- 
stischen,  in  den  herrlichsten  Modulationen  sich  bewegenden 
Violin-Figuren  durchflochten;  das  Ganze  ein  Meistersttick 
von  harmonischen  Gredankenfolgen. 

In  dem  ersten  Satze  der  folgenden  Arie  No.  14  7;Will- 
kommen,  Heiland"  (Allegro,  Es-dur  4/4);  concertiren  die 
Violinen  mit  dem  obligaten  Fagott  in  dem  reichen  Schmucke 
lebhafter  Triolenfiguren.  Der  Mittelsatz  ??Der  Heilige 
stirbt  fiir  Verrather"  (G-moll  2[4),  wird  ohne  das  Solo- 
Instrument  von  dem  Streich-Quartett  begleitet.  Den  Schluss 
bildet  ein  langes  Nachspiel,  in  welchem  die  concertirenden 
Instrumente  die  Motive  des  Hauptsatzes  wiederholen. 

Wohl  thut  nach  dem  langen  Recifcativ  und  dieser  Arie 
eine  kraftige  Unterbrechung  des  eintonigen  Charakters, 
der  sieh  doch  darin  gelt  end  machte,  Noth.  Bach  wieder- 
holt  zu  den  Worten:  ,,Triumph?  der  Fiirst  des  Le- 
bens  sieget/'  den  Ohor  No.  5  des  ersten  Theils  mit 
einer  nur  sehr  geringen  Veranderung,  Die  frische  Kraft 
seiner  Rhythmen  und  der  Glanz  der  instrumentalen  Be- 
gleituiig  wirken  wphlthatig  belebend. 

Wiederum  folgt  in  No.  16  ein  langes  Recitativ  fur 
Tenor  7?Eilf  auserwahlte  J linger,"  in  der  Gestalt  der 
vorigen  Recitative,  die  Geschichte  Thomas,  des  unglau- 
bigen  Jiingers,  behandelnd.  Die  letzten  Strophen  von  den 
Worten  an  7,Der  Friede  Gottes,"  werden  ohne  die 


—    55    ~ 

begleitenden  Accorde  des  Streich-Quartetts,    dock   in  der 
Form  des  Arioso  langsam  und  ausgehalten  gesungen. 


Langsam  und  ausgehalfen 


ri: 


Der  Friede    Gottes  sei  mit  euch.  Und    du,     Schwachglaubiger, 


-yj ^"Q- — 


i 

Lebhaft  und  im  Tempo 


komm,       sic -he,         zweifle     nicht !  Mein Herr,    mein     Gott! 


Ohne  Vorspiel?  sogleich  in  die  Cadenz  dieses  Eecitativs 
einfallend  beginnt  No.  17?  Arie  fiir  Tenor  (Vivace  6]8?  B- 
dur?  Streich-Quartett),  ahnlich  jener  Arie  der  Oster-Cantate 
(siehe  S.  135  Th.  I.)  sehr  charakteristisch  mit  dem  vorste- 
hend  angegebenen  Motive  der  Wgrte  des  Recitativs  7?Mein 
Herr?  mein  Grott?"  in  welcher  die  Zerknirschung^.es  Jiin- 
gers  fiber  seinen  Mangel  an  Glauben  sehr  sebon  ausgedrtickt 
ist.  Erst  weiterhin  zu  den  Worten  ??Versohnte  kommt, 
ihn  anzubeten,"  wird  der  Charakter  der  Mnsik  zuversiclit- 
licher  und  kraftiger.  Der  Mittelsatz  ?JZu  Dir  stelgt 
mein  Gresang  einpor"  (G-dur2/4)7  istsanft  und  melodisch, 
doch  ohne  besondere  Bedeutung. 

No.  17.  Nocb  einmal  unterbricht  der  Chor  No.  5  des 
ersten  Theils  zu  den  Worten  ^Triumph,  der  Sohn  des 
H5chsteii  sieget/'  die  lyrische  Stimmung  und  fuhrt.zu 
No.  18,,  dena  letzten  Eeeitative  des  Werkes  37Auf  einem 
Hugel7  dessen  Riicken"  iiber?  das  in  besonderem  Grade 
ausdrueksvoll  gesetzt,  die  Himmeifahrt  Christi  in  schonen 
Worten  und  in  edelster  Recitation  darstellt. 

So  trittdie  Bassarie  No.  19.  (Allegro^  A-dur  4/4),  Quar- 
tett,  2Tromp6ten,  2 Homer,  2Oboen)  77Ihr  Thore  Gottes 


—    56    — 


off-net  euch/-  ein,  in  der  man  Bach  auch  in  dioser  Ge- 
sangsform  endlich  auf  der  Hohe  findet;  die  seiner  wtirdig  ist. 
Qhne  hervortrotenden  Mittelsatz  ist  sie  ein  Meisterstiick 
fur  den  Arienstyl  im  Oratorio.  Es  ist  der  Triumph  des 
Konigs,  der  von  den  Engeln  getragen  in  sein  himmlisches 
Reich  einzieht.  Ghrosse  Pracht,  Kraft  nnd  kiihne  Charakte- 
ristik  treten  in  jeder  Zeile  der  Partitur  hervor.  Dass  die 
Violine  den  Jubel  der  Seele  in  der  Begleitung  lebhaft  aus- 
driickt  ist  selbstverstandlich.  So  erhebt  sich  Emanuel 
Bach  mit  dieser  Nummer,  •  dem  Schlusse  seines  Werks  ent- 
gegeneilend,  zu  einer  in  der  Arienform  bei  ihm  seltenen 
Energie  und  fuhrt  uns  zu  dem  grossen  Schlusschor  No.  20 
(Allegro,  Es-dur  %)  ,,Gott  fahret  auf"  tiber,  den  man  fast 
einen  symphonischen  Ghorgesang  nennen  konnte.  Denn 
die  Partitur  desselben,  67  Seiten  follend,  enthalt  nicht 
weniger  als  91  Takte  an  Einleitungs-  und  Zwischenspielen 
des  Qrchesters,  von  denen  das  18  Takte  lange  Vorspiel 
die  Motive  des  sich  ofter  wiederholenden  ersten  Satzes 
darstellt,  Der  Ban  dieses  Chors  erscheint  auf  den  ersten 
Anblick  in  hohem  Qrade»complicirt.  Er  zerfallt  in  nicht 
weniger  als  7  einzelne  Satze. 

Der  erste  derselben  ,,0-ott  fahret  auf  mit  Jauchzen, 
Und  der  Herr  mit  heller  Posaune,"  in  dem  rhythmisch- 
homophonen  Styl,  den  Emanuel  Bach  in  seinen  kirchlichen 
Gesangswerken  so  gern  anzuwenden  liebte, 


Gott    fah  -  ret         auf          mit          Jauch 


-  y-\> 


und     der        Herr 
- 


_1~_ 


ist  kraftig?  zum  Theil  sehr  colorirt  gehalten,  gegen  den 
Sehluss  hln  Ini  fortissimo  slch  zu  grossartlgen  Dimensionen 
erhebend.  Die  Blasinstrumente  sind  fast  nur  zur  Begleitung 
verwendei  Hie  und  da  geltt  die  er^te  Trompete  in  die 
Melodie  liber  und  fiihrt  dieselbe.  Auch  das  ilbrige  Orehester 
zeigt  eine  selbstandige  Bewegung  nicht.  Nur  die  beiden 
Violineiij  ineist  in  Unisono,  fiihrea  die  lebhaften  Figuren 
ausj  welcheihnen  Em  ami  el  Bach  in  ahiilichen  Stiramnngen 
anzir,vei^en  pflegt  Nach  Beendigung  des  Satzes  wieder- 
holi  da*  Zwischenspiel  die  Motive  noch  einmal,  bis  in 
etwas  langsamerein  Tempo  der  zweite  Satz  (G-inoll  2/4) 
eintritt.  Die  Trompeten  imd  Pauken  scliweigen. 

Lobsinget  Gott,  unserm  Konig!  die  Violinea  b°- 
ginnen  em  zweites  Motiv 


1.  ond  2.  Yi*l  ( 


Ttola. 


—    58 


in  welches  der  Chor  eingefugt  1st.  Dieser  entwickelt  sich 
bald  (im  dritten  Abschnitt)  zu  einem  grossartigen  Unisono, 
das  a  capella  beginnend,  von  einem  niajestatischen  Instru- 
mentalsatz  unterbrochen  wird,  der  in  ein  ernstes  Unisono 
des  Streich-Quartetts  ubergeht, 


Der     Herr        1st        K6   -    nig, 


um  durch  das  Hauptmotiv  des  zweiten  Satzes  bei  den 
Worten  ^Das  Meer  brans et,"  der  von  den  eigenthum- 
licfa  rhythmisirten  Modulationen  des  Orchesters  unter  der 
wogenden  Bewegung  der  Violinen  begleitet  wird,  durch 
einen  kurzen  Zwischensatz  in  den  ersten  Theil  zuriickzu- 
gehen;  dem  die  Worts  des  vierten  Absehnitts  ?,Jauchzet, 


—    59    — 

ihr  Himinel7  freue  Dich,  Erde!  Lobet  ihr  Berge, 
mit  Jauchzen!"  untergelegt  sind.  Plotzlich  bricht  der 
G-esang  ab.  Nach  langer  Pause  beginnt  der  5.  Satz  ,?Wer 
1st,  der  in  den  Wolken  gleich  dem  Herrn  gilt? 
Und  gleich  ist  unter  den  Kindern  der  Gotter  dem 
Herrn  ?"  Tenor  und  Bass  singen  diese  Strophen  zunachst 
alleiii  im  Unisono.  Die  Orchester-Begleitung  tritt  als 
Zwischensatz  hinein.  Bei  der  Wiederholung  der  Frage 
,,Wer?"  fallt  der  ganze  Chor  ein  und  fuhrt  in  die  6.  Ab- 
theilung  iiber  ??Lobet  ihn7  alle  seine  Engel !"  in  welchem 
sich  wesentlieh  der  erste  Theil  wiederholt,  dessen  drei- 
maliges  Hervortreten  diesem  complicirten  und  grossartigen 
Tonstuck  Einheit  und  ausseren  Zusammenhang  erhalt. 
Ihm  folgt  als  siebenter  und  letzter  Abschnitt  die  Fuge 


jjjft^  

Tenor. 

Q    •  [,      *    H 

-  -  —  i 

rrt  •r*—  w—  i 

-u—±— 

f- 

*  .  *  * 

Lgf-*-*;  j  "] 

Al-les  was    O  -  dem  hat,  lo 


be  den 


Alt. 


/-fri 

I  .  —  . 

_J^  —  ^  —  J  

—  r- 

•4 

« 

wy- 

^ 

_|Z  —  —4  i  1—  • 

Al-les  was 

x  

.»"  '   ,         .*.' 

=*t=i-^  — 

O  -  dem  hat, 

-V 

As  „  *-M  m  

lo 

- 

- 

T 

^ 

_L^s  U  

-1  [J      ».   • 

_flp- 

Herrn.  Hal 


le   -  In   -    iah! 


neben  der  Schlussfuge  des  ersten  Theils  der  einzige  poly- 
phone  Satz  des  Werkes?  in  einem  freieren  Styl?  aber  in 
ganz  grossen  Zugen  gehalten,  eine  im  hochsten  Sinne  des 
Wortes  grosse  und  glanzende  Kronung  der  Arbeit?  feier- 
lich  und  majestatisch  zugleich.  Das  Thema  sellnt  ist 
schwungvoll  und  entfaltet  sich  in  der  Verwebirag 
Steigerung  der  Stkamen  zur  hochsten 


—    60    — 

Iliernit  wird  em  Werk  edelster  Art  abgeschlossen. 
Grosseres  als  dies  hat  Bach  nicht  geschaffen.  Sein  reicher 
Geist  erhebt  sich  darin  frei  und  ktihn  iiber  die  Grenzen 
und  Formen  fort,  welche  durch  Herkommen,  Tradition 
und  gewohnheitsmassige  Arbeit  so  oftbeengendund  hemrnend 
gewirkt  haben. 

Im  Jahre  1787  erscMen  dies  Oratorium  zn  Leipzig  bei 
Breitkopf  im  Druck.      Der  Bekanntmachung  desselben 
waren  als  Empfehlung  nur  die  Worte  hinzugefugt: 
Opus  artificiosum  et  divinum  l). 

Am  26.  Februar  1788  und  am  4.  Marz  desselben  Jahres 
wurcle  zu  Wien  dieses  Oratorium  bei  dem  Grafen  Johann 
Esterhazy  aufgefuhrt.  Das  Orchester  bestand  aus  80, 
der  Chor  aus  30  Personen,  die  Lange?  Adamberger 
und  Saale  hatten  die  Soloparthien  ubernommen,  Mo- 
zart war  es,  der  die  Aufftihrung  dirigirte,  wahrend  TJmlauf 
den  Fltigel  spielte.  Ein  ausserordentlicher  Erfolg  kronte 
das  Werk.  Wahrend  der  Auffuhrung  liess  Graf  Ester- 
hazy  das  Bildniss  Bach's  im  Kupfersticli  herumreichen 
und  in  laut  schallendem  Vivat.  so  wie  einer  dreifachen 
Beifallssalve  sprach  sich  die  Theilnahme  und  Anerkennung 
der  zahlreichen  Zuhorer  aus. 

E.  Lieder  -  Compositionen. 

Wir  sahen,  welchen  Werth  Bach  auf  seine  frtiheren 
Versuche  im  Fache  des  weltlichen  und  geistlichen  Liedes 
gelegt,  mit  welchem  eingehenden  und  ernsten  Interesse  er 
grade  die  Gel lert'schen  geistlichen  Lieder  behandelt  hatte; 
es  war  doch  seit  ihrem  Erscheinen  eine  geraume  Zeit  ver- 
flossen,  in  der  er  init  Aehnlichein  in  die  Offentliehkeit 
getreten  war. 

Inzwischen  hatte  sich  die  Richtung  seines  ganzen 
Lebens,  seines  Geistes  und  seiner  Knnstthlitigkeit  niehr 

J)  Mus.  Almanach  v.  1789,  (Schwickert;  S,  31. 


—    61    - 

den  Gegenstanden  und  Gedanken  kirchlich  religioser  Natur 
zugewendet  Und  so  sieht  man  ihn  denn  auch  in  Hamburg 
auf  dem  Gebiete  des  deutschen  Liedes  nach  dieser  Richtung 
hin  von  Neuem  seine  Krafte  priifen.  In  No.  168.  des  Jahr- 
gangs  1773  veroffentlichte  der  Hamburger  Unpartheiische 
Correspondent  folgende  Bakanntinachung: 

,,Schon  damals,  als  m erne  Gel lert'sehen  Lieder  herausgekommen 
waren,  wiinschten  meine  Freunde,  dass  ich  zu  des  Herrn  Doctor 
Cramer's  Psalmen,  zur  Privat-Erbauung,  ebenfalls  Melodien  zum 
SiBgen  bei  dem  Claviere  herausgeben  mochte.  Dieser  Wunsch  ist 
nunmehro  In  so  welt  erfiillet,  dass  eine  Auswabl  dieser  Psalmen, 
welche  an  der  Starke  meinen  Gellert'schen  Liedera  gleich  ist,  mit 
kiinftiger  Ostermesse  im  Drucke  erschemen  wird.  Ich  habe  bei  der 
Ausarbeitung  dieser  Psalmen  an  Liebbaber  von  verschiedenen  Fahig- 
keiten  gedacht,  und  daber  sind  sie  leichter  in  der  Aosfiibrung,  als 
die  Gellert'schen  Lieder,  ohne  dass  ich  glaube,  der  besondern 
Pracht  dieser  Psalmen  Eintracht  gethan  zu  haben.  Daniit  dieses  Werk 
vor  der  Herausgabe  desselben  ftir  einen  viel  niedrigern  Preis,  als 
nachher,  angescbafft  werden  konne,  so  nehmen  von  jetzt  an  bis  zur 
kiinftigen  Ostermesse,  ausser  mir,  folgende  Hen*en  einen  Thaler  Vor- 
schuss  darauf  an:  In  Berlin,  der  Konigl.  Kammennusicus,  Herr 
Riedt  etc. 

Hamburg,  den  18.  October  1773. 

C.  P.  JE.  Bach. 

Ueber  die  nachste  Veranlassung  zur  Composition  dieser 
Psalmen  findet  sich  folgende  Nachricht1): 

7?Es  hat  ein  Ungenannter  den  Herrn  Musikdirector 
Bach  zu  Hamburg  schriftlich  ersucht?  ob  er  nieht  zu  den 
Cramer'schen  Psalmen  eben  solche  Melodien  setzen 
wolle?  als  er  zu  den  Grellert'schen  geistlichen  Liedern 
herausgegeben  habe,  und  zugleich  verlangt;  die  Antwort 
auf  diese  Anfrage  in  der  allgem.  deutschen  Bibliothek  zu 
lesen.  Herr  Bach  thut  also  hiedurch  zu  mssen?  dass, 
wenn  sich  ein  billiger  Verleger  fande,  er  nicht  abgeneigt 
ware?  die  Aufforderung  zu  erfiilien." 

Es  scheint7  dass  ein  geeigneter  Verleger  sich  nicht 
gefunden  habe?  denn  im  Laufe  des  folgenden  Fruhjahrs 


Alls,  deutsche  Bibl.    B.  6,  St.  2.  p,  321    1768, 


—    62    — 

erschien    im    Selbstverlage    Bach's    die    vollstandige 
Sammlung. 

Das  Verzeichniss  der  Abonnenten  erreichte  die  Zahl 
von  327,  darunter  waren  an  bekannten  Naraen  die  yon 
Agricola,  Fasch  und  Kirnberger  in  Berlin,  Bach  in 
Biickeburg,  Breitkopf  und  Sohn  in  Leipzig,  Homilitw 
in  Dresden,  Eschenburg  in  Braunschweig,  Gerstenberg 
und  Scheibe  in  Kopenhagen.  Die  Samralung  fuhrt  den 
Titel: 

Herrn  Doctor  Cramers1)  Ubersetzt?  Psalmen  mit  Melo- 
dieen  zum  Singen  bey  dem  Claviers. 

Das  Werk  war  ,,Dem  durchlauchtigsten  Herzoge  und 
Herrn  Herrn  Priedrich,  Herzoge  zu  Mecklenburg,  Fiirsten 
zu  Wenden,  Schwerin  und  Eatzeburg,  auch  Graf  en  zu 
Sehwerin,  der  Lande  Rostock  und  Stargard  etc.  etc. 
Meinem  gnadigsten  Herzoge  und  Herrn" 

in  folgender  Zueignung  gewidmet: 
,,Durchlauchtigster  Herzog, 
Grnadigster  Herzog  und  Herr! 

Ich  unterstehe  mich,  Ew.  Hochfurstl.  Durchlaucht 
•  gegenwartige  Sammlung  von  Psalmen  des  koniglichen 
Dichters,  wozu  ich  Melodieen  zum  Singen  gesetzt  habe, 
desswegen  zuzueignen,  weil  ich  weiss,  class  Hochstdie- 
s^l^en  bey  den  musikalischen  Vergniigungen  einen  der  er- 
habensten  Zwecke  der  Tonkunst,  die  Ausbreitung  der 


i)  Johann  Andreas  Cramer  war  geboren  den  29.  Januarl723 
im  sachsischen  Erzgebirge,  war  1748  Prediger  zu  Krellwitz  bei  Mag- 
deburg, 1750  Oberhorpredlger  in  Quedlinburg,  1754  deutscher  Hof- 
prediger  in  Kopenhagen  und  Professor  der  Theologie  daselbst.  1771 
ging  er  von  dort  nach  Liibeck,  1774  nach  Kiel,  wo  er  Prokanzler 
und  erster  Professor  der  Theologie,  spater  Kanzler  und  Kurator  der 
Universitat  ward.  Er  starb  1788  Er  gehorte  den  ersten  Theologen 
seiner  Zeit  an  und  war  als  Dichter  geistlicher  Lieder  und  Oden,  durch 
die  poetische  Bearbeitung  seiner  Psalmen,  welche  1762  zu  Leipzig  er- 
schienen,  so  wie  durch  zahlreiehe  andere  Werke,  zumal  auch  durch  die 
Biographic  Gellert's  (1774),  fiir  die  deutsche  Literatur  jener  Zeit  von 
der  hervorragendsten  Bedeutung. 


—    63    — 

Religion  und  die  Beforderung  und  JErbauung  unsterblicher 
Seelen  vorzuglich  zu  schutzen,  und  die  Arbeiten  derer 
Manner,  welche  ihre  Talente  zur  Erreichung  dieses  Zweckes 
angewendet,  init  Dero  gnadigstera  Beyfalle  belohnen. 
Mbchte  ich  so  giucklich  seyn?  dieses  Beyfalls  in  Absicnt 
^iner  verfertigten  Melodieen  von  Ew.  HochfiirstL 
Durchlaucht  nicht  ganz  unwiirdig  geschatzt  zu  werden! 
Erlauben  Sie  mir,  Durchlauchtigster  Herzog?  die  an- 
genehnie  Ueberzeugung,  dass  Dero  holier  Name,  den  ich 
diesem  musikalischen  Werke  vorgesetzt  habe?  die  beste 
EmpfehluDg  desselben  sey?  und  zugleich  die  Freiheit?  mich 
mit  den  Gresinnungen  der  tiefsten  Ehrfarcht  untersehreiben 
zu  diirfen? 

Durchlauchtigster  Herzog, 
*          Gnadigster  Herzog  und  Herr, 

Ew.  Hochfiirstlichen  Durchlaucht 

unterthanigster  Diener 
Carl  Philipp  Emanuel  Bach." 
Hamburg,  den  28.  Marz  1774. 

Auch  hier  wiederum  ersieht  nian?  dass  Bach  sich  den 
Mannern  hinzurechnet  ?  welche  ihre  Talente  fur  einen  der 
erhabensten  Zwecke  der  Tonkunst;  narnlich  fur  die  Aus- 
breitung  der  Religion  und  die  Beforderung  und  Erbauung 
unsterblicher  Seelen  anwenden,  darfs  also  dem  von  ihm 
dem  Fiirsten  iiberreichten  Werke  dieselbe  Idee  zum  Grrunde 
lag,  welche  schon  bei  den  Gellert'schen  Liedern  fur  ihn 
maassgebend  gewesen  war.  Mehr  noch  ergiebt  sich  das 
aus  der  folgenden  langen 

V  o  r  r  e  d  e. 

Endlich  babe  ich  das  Vergnugen,  meinen  Gonnern  und  Fre^inden 
ihrer  schon  laugst  an  mich  gethanen  Forderung  Genijge  zu  than,  und 
ihnen  Melodien  zu  des  Herrn  Doctor  Cramer's  Psalmen  zn  liefera. 
Bey  dem  Mangel  anderer  guter  Vorschlage  babe  ich  den  Verlag  der- 
selben  selbst  ubernommen,  und  boffe  fiir  sie  mit  Grunde  eben  den 
BeyfaH,  welcben  meine  Gellert'schen  Lieder  zu  erhallen  so  glilek- 
Hch  gewesen  sind.  Da  diese  letzten  so  viel  Erbauung  yeraulasst 
haben,  wie  man  mich  so  sehr  verslchert  bat:  sS  glaube  icfe 


-    64   - 

dass  diese  Psalmen  nm  so  viel  mehr  Nutzen  stiften  werden,  weil  ibr 
gb'ttlicher  Inlialt  so  voller  Majestat  1st,  dass  dahin  nichts  reicht,  was 
noch  je  von  den  grossten  Dichtern  in  dieser  Art  geschrieben  worden 
1st.    Ich  bin  nicht  im  Stande  von  der  Uebersetzung  dieser  Psalmen, 
der  Arbeit  eines  unsrer  grossten  Gottesgelehiten,  ein  solches  Urtheil 
zu  fallen,  wie  sie  es  verdionen;  es  wiirden  anch  alle  meine  Lobspriiche 
hieriiber  sebr  iiberfliissig  seyn.    Ich  berufe  mich  bloss  auf  dasjenige, 
was  ich  bey  Verfertigung  dieser  Melodieen  empfunden  habe.    Afts 
dieser  Ursach  batten  meine  Freunde  das  grosste  Recht,  etwas  ganz 
vollkommenes  von  mir  zu  erwarten.    Ich  muss  auch  bekennen,  ohne 
von  der  Grosse  meiner  Kraffe  zu  sehr  eingenommen  zu  seyn,   dass 
diese  Psalmen   bey  einer  weitlaufigen  Ausaibeitung  ungleich  mehr 
gewonnen  haben  wiirden,  als  jetzt,  da  ich  ihnen  bloss  kurze  Melo- 
dien  zum  Singen  bey  clem  Claviere  fiir  Liebhaber,  die  in -der  Aus- 
fiihrung  noch  nicht  stark  sind,  angemessen  habe.    Wer  indessen  den 
Zwang  kennt,  welcher  bey  Melodieen  zu  mehr  als  einer  Strophe  un- 
vermeidlich  ist:  wern  ferner  bekannt  ist,  wie  sehr  dieses  wegen  der 
Modulation  so  kurze  und  eingeschrankte  Feld  bereits  bearbeitet  wor- 
den: der  wird  nicht  zu  viol  verlangen,  sondern  mich  violmehr,  wie  ich 
hoffe,  mit  seiner  Zufi-iedtnheit  uber  diese  mo'me  Arbeit  beehren.   Ich 
habe  bloss  diejenigen  Psalmen  gewahlt,  welche  sich  noch  auf  unsre 
jetzigen  Zeiten  schicken  und  zur  allgemeinen  Erbauung  dienen.  Ausser- 
dem  habe  ich  auch  diejenigen  weglassen  rmissen,  welche  im  Tezt 
mehr  als  einMebum  haben,  welche  zum  Singen  zu  lang  sind,  welche 
wegen  der  allzuoft  vorkommenden  Verschiedenheit  ihres  Inhalts  eine 
weitlaufigere  Ausfdhrung  erfordern,  und  welche  mit  vielen  Choren 
abwechseln,  damit  ich  den  Liebhabern  kein  zu  grosses  und  folglich 
zu  kostspieliges  Werk  liefein  moge.   In  ein  Paar  Psalmen  ist  die  An- 
zahl  der  Silben  nicht  immer  in  alien  Stimmen  gleich;  ein  etwas  auf- 
merksamer  Ausfuhier  wird  alsdann  gar  leicht  in  dernselben  Tone  ent- 
weder  eine  Note  hinzusetzen  oder  abkiirzen.   Bey  tier  grossen  Anzahl 
der  Lob -Psalmen  und  ihres  majesta'tischen  Inhalts  habe  ich  auf  eine 
Yerschiedenheit   des  Ausdrucks  denken  roiissen,   urn   nicht   immer 
einerley  Gedanken  hervorzubringen;  cinigen  meiner  Freunde  zu  ge- 
fallen  habe  ich  gewissen  Psalmen  Choralmelodien  gegeben;  zuweilen 
habe  ich  auch  in  gebundener  Arbeit  und  in  der  Ausweichung  der 
Modulation  etwas  gewagt.  Alle  diese  Umstande  geben  dieser  Samm- 
lung  etwas  mehr  Veranderungen,  als  man  in  meinen  Gellert'schen 
Liedem  antrifft,  und  ich  hoife  dadurch  von  dem  Beyfalle  meiner 
Freunde  nichts  verloren  zu  haben. 

Mochten  doch  diese  Melodien  so  viel  Erbauung  und  Vergniigen 
erwecken,  als  ich  bey  ihrer  Ausarbeitung  zuui  Zwecke  gehabt  und 
gewiinscht  habe. 

Hamburg,  im  Marz  Monathe  1774 

C.  Ph,  E.  Bach. 


—    65    — 

Diese  Auslassung  zeigt?  dass  Bach  mit  der  Composi- 
tion dieser  Psalmen  gegen  die  Grellert'schen  Lieder  einen 
Fortschritt  gemaeht  zu  liaben  glatibte.  Aber  aueh  hier 
verhelilt  er  seine  schon  dort  ausgesprochenen  Bedenken 
tiber  die  Schwierigkeit  nicht;  eine  Melodic  zn  mehreren 
Versen  zu  scliaffen.  Und  doeh  hatten  gerade  die  Psalmen, 
,,die  imVersmaass  oft  mehr  aLs  ein  Metrum  haben/* 
ihn  darauf  hinfiihren  konnen,  dass  er  durch  grossere  Aus- 
fiihrung  der  Compositionen  einen  Schritt  auf  seiner  Bairn 
welter  gehen  miisse.  Er  hat  offenbar  geschwankt,  ob  er 
diesen  Schritt  than  solle,  oder  ob  er  ,,den  Liebhabern? 
die  in  der  Ausfiihriing  noch  nicht  stark  sind/;  die 
Zumuthung  grosserer  Schwierigkeiten  und  complicirterer 
Formen  stellen  ditrfe.  Denn  er  sagt  ausdriicklich;  ??dass 
diese  Psalmen  bei  einer  weitlaufigeren  Ausar- 
beitung  ungleich  niehr  gewonnen  haben  wtirden." 
Aber  die  Riicksicht  auf  das  Publikum;  das  soleheii  Aufgaben 
offenbar  nicht  gewachsen  war  und  auch,  wie  es  scheint, 
dies  dadurch  vertheuerte  Werk  nicht  gekauft  laaben  wurde? 
itberwog.  Vielleicht  war  es  sehr  lebensklug,  dass  er  so 
handelte.  Ob  man  es  vom  kiinstlerischen  Standpunkt  aus 
billigeii  darf?  ist  eine  andere  Frage.  Nach  dein;  was  diese 
Psalmen  schon  in  ihrer  beschrankten  Form  bieten;  wtirde 
eine  freiere  Behandlung  in  grosseren  Umrissen  zn  einer 
ausserordentlichen  Leistung  gefuhrt  haben. 

Wie  Bach  sich  mit  voller  Bewunderung  iiber  den 
Inhalt  aussprichtj  so  hat  er  sich  offenbar  mit  Vorliebe  in 
ihre  Poesie  versenkt.  Er  steht  in  der  That  auf  einer 
hoheren  Stufe  als  in  den  Grellert'schen  Liedern.  Er  hatte 
in  dieser  neuen  Kunstform  festen  Fuss  gefas^t  und  in  der 
beschrankten  Weise,  die  er  sich  nun  einmal  auferlegt  hatte, 
eine  gewisse  Grosse  und  Vollendung  erreicht  So  sind  die 
einzelnen  Lieder  dieser  Samnilung  noeh  jetzt  von  wohl- 
thueiider  Schonheit.  Einzelne  sind  mehr  nusgefuhrt  als 
andere;  z.  B.  der  8.  Psalm,  der  ganz  durcheomponirt?  in 
seinem  prachtvollen  Schwunge  sich  als  ein  wahrhafter 

Bitter,  Emannel  and  Friedemana  Bftdi.  IL  5 


Lobgegang  darstellt;  ferner  der  33.  Psalm,  <Jer  nut  seinen 
schonen  Imitationen  in  der  Begleitung  zugleicli  als  ein 
contrapunktisehes  Meisterwerk  betrachtet  werden  kann; 
endlicb  der  67.  Psalm  mit  dem  hinztttretenden  Clior  und 
der  93.  mit  der  feurigen  figurirten  Begleitung.  In  anderen 
Liedern,  wenn  auch  kleineren  Umfangs?  sind  die  Gredanken 
von  besonderer  Reinheit.  Die  Melodie  gewinnt  dabei  oft 
eine  EigentMmliclikeit,  man  mddbte  sagen  Intensivitat?  wie 
man  sie  in  den  besten  Liedern  der  neueren  Zeit  kaum 
pragnanter  finden  kann. 

Es  moge  noch  auf  den  96.  97.  und  110.  Psalm  hin- 
gewiesen  werden,  von  denen  dem  letzteren  eine  wahrhaft 
grossartige?  im  hochsten  Styl  concipirte  Begleitung  ge- 
geben  ist, 

Mclat  weniger  sind  die  choralartig  gesetzten  Stiicke, 
welche  Bach.  ;?einigen  seiner  Freunde  zuGefallen" 
so  componirt  hatte,  Meisterwerke  in  Gesang  und  Satz. 
Zwei  derselben,  der  6.  und  130.  Psalm,  mogen  folgen. 


No   6.    Choralmassig,  SeJtr 

langsam. 

-fLb  —  g  ^  £=j— 

_^  ^H. 

-p_e-4^_^  -4 

i     .  .  .      i          ^          \ 

Fuh  -  re, 
Dei  -  nes 

Herr,  micla    nicht    im      Grim  -  me 
Zor  -  nes      Rich  -  ter  -  stim  -  me 

^   fi     -c  _jjc 

p'.,_t    ',. 

^=&=\   &  —  =d 

/  Vu       C       j9— 

~F—F— 

—1              J      ' 

1. 

\m  —  '  —  '  —  - 

in     dein 
scho  -  ne 

hei  -  h      - 
mich   und 

j 

ges       Ge 
donn  -  re 

/ 

richtt 
nicht. 

I       '     ^    •    -.   H 

B^r  —  r-^.  

i     .    i 

•  —  '  —  — 

4  -Hf 

—  £     ijU  —  e  — 

—  e  —  be  — 

J          i 

4              .,-4 

45              6 

2           75 

—  s  3* 
a     •©•  6< 

4        -o        -^ 

—    67    — 


/iJU  —  p  —  p—  J 

O—  e    ^p  —  p~H 

O       o™  1 

Ich    bin 

1             _J 

kraft  -  los:      mit       Er    -    bar  -  men 

,-_  1  e  .  ^^  

hei  -  le, 

2 

7          ft                           ,b 

j  i  

b:   <> 

5 

f*' 
Herr,  mich 
5  

Ar               -      men* 

JH]  — 

Nodi     er   -    zit  -  tert 

—  *  ^  
| 

NM1^ 

|    ^    tf 

mein      Ge  -  bein     vor       dei  -  nem 

I>raun. 

;t  

,  —  i>  —  f  1  — 
I 

JVb.  Z?0.    Choralmc 

s     •      t     i 

i*siff' 

•/L^        \     •    -}-  - 

-p~p_  z^^j_e  — 

p 

^  ,    O1.".1. 

Ans    der 

1  —  i  1  —  z_4- 

Tie  -  fe          ruf        ich 

dir! 

ho  -  re. 

BI  {,   ~J\  

-1  1                                        u    -         1- 

,—  ,              •'"«—  ^                     j 

V                          C? 

d  A  i  —  f  —  fcH- 

^                                                [ 

^f  b       C^       ff~^ 

—  i=l_  —  ^2  —  ^  —  ^  !  4.. 

~t  rl  — 

~Z  ^"1 

&ott,    In 

_j  (  1  [,  ^  ^i  

dei  -  nen       Ho  -  hen,      Merk      auf 

—  ^  -j  i  —j— 

r  r    1 

mei  -  ner 

*         ®  ^^ 

3±^:_ 

"^  * 

$p£  —  O  —  0__ 
Stim-  me 

BH>—p  —  p-j- 

^  i^-t~  —  J  1  O  

IT"1 

Flehen!     Nei  -  ge,    HeiT, 

'  '  s^'  -                          i    r  ,   _j  __ 

Mi-2  <  _J=?i  —  v^i_  ,-@  —  j 
dein         Ofer    ZH    H^T. 

;  ^  ,     ,       ^  I      ^       •  '  °rt  •  •  'Gf-  j-tji£J-— 

i               o.          '               **t                          o               a                   CK 

^  j_^  44-©-J 

'  I 


--*.    68    -~ 

Ueber  den  Eindruck,  den  diese  schonen  Lieder,  deren 
die  Sanuolung  42  enthalt,  auf  das  Publikum  ihrer  Zeit 
gemacht  haben,  1st  wenig  bekannt  gevvorden.  Wohl  ware 
es  eine  ehrenvolle  Aufgabe  ftir  die  Gegen\vart;  den  reielien 
Schatz?  der  in  ihnen  verborgen  1st,  durch  eine  geeignete 
Auswahl  und  sachgemas.se  Behandlung  zu  heben. 

Im  Allgemeinen  fand  Bach  auf  diesem  von  ilim  mit 
so  viel  Grluck  und  Hingebung  beschritteneni  Gebiete  des 
geistlichen  Liedes  keine  Nachfolger,  mindestens  keine 
solche,  die  eine  blefbende  Bedeutung  gewonnen  hatten. 
Doch  hat  sein  j  lingerer  Bruder  Johann  Christoph 
Friedrich  zu  Biickeburg  in  den  Munter'schen  Liedern 
gleichfalls  Vortreffliches  geleistet;  und  man  findet  ausser 
ihm  noch  Kolle,  Hiller,  Scheibe;  Hertel?  Wolf, 
JKunzen  und  Ben  da  darin;  wenngleich  mit  geringereni 
Berufe^  thatig. 

Noch  im  Jahre  1782  begegnen  wir  einer  lebhaften 
Klage  daritber1);  dass  die  herrlichsten  geistlichen  Poesien 
uncomponirt  oder  so  gut  als  uncomponirt  gebliebeii  seien. 
„ B act's  Compositionen  zu  Q-ellert's  Liedern,  die  in  aller 
Handen  sein  sollten?  sind  ausser  dem  Lande;  wo  Bach 
und  Gellert  selbst  gelebt,  wenig  gesungen,  und  seine 
herrlichen  Compositionen  zu  Cramer's  Psalinen  haben 
seit  1774  noch  keine  zweite  Auflage  erlebt.  Einige  der 
Lieder  dieser  meisterhaften  Sanimlungen  sind  doch  gewiss 
auct  allgemeine  Erbauungslieder2)." 


1)  Reichardt,  Kunst-Magazin.    1782.    I    S.  172. 

2)  Der  Hamburg.  Unparth.  Corresp.  (1744.   No.  112)  enthalt  eine 
ausfiihrliche  Kritik  iiber  diese  Sammlung,   deren  Inhalt  fur  die  Be- 
urtheilung  der  Art,  wie  Bach's  Zeitgenossen  seine  Werke  aufnahmen, 
bedeutend  genug  ist,  urn  sie  hier  folgen  zu  lassen: 

,,Die  wiederholten  Auflagen  der  von  unserm  wdrdigen  Herrn 
Kapellmeister  Bach  in  Mnsik  gesetzten  Gellcrt'schen  Lieder  be- 
weisen  den  Beifall,  worait  die  Frennde  der  Tonkmist  diese  vortreff- 
lichen  Melodien  aufgenoiumen  haben.  Eben  diesen  Beifall  konnen 
wir  den  gegenwaitigen  Melodien  der  Cramer'schen  iibei-seteten 
Psalmen  versprechen.  Die  Originalitat  misers  Bach's,  die  St*lrke 


—    69    — 

Dem  geueigten  Leser  wird  im  Anhange  II,  noch 
erne  Reihe  von  Briefen  Bach's  an  Forkel  mitgetheilt, 
welche  sidb  auf  die  Herausgabe  und  den  Vertrieb  der 
Crarner'schen  Psalmen  beziehen.  Man  wird  aus  ihnen 
ersehen,  wie  saner  sich  der  alte  Mann  sein  Geschaft  werden 


seines  Ausdrucks,  das  Neue  und  Ku'hne  in  semen  Gedanken,  und  der 
oft  ungewdhnliche  und  iiberraschende  Gang  der  Harmonic,  wodurch 
sich  die  musikalischen  Compositionen  dieses  grossen  Meisters  vor 
alien  andern  auszeichnen ,  herrschen  auch  in  diesen  Psalm  -  Melodien, 
und  besonders  wird  man  den  Geist  eines  jeden  Psalms  und  den  darinn 
herrschenden  Aifect  auf  s  gliicklichste  in  dem  dazu  gesetzten  Gesange 
ausgediiickt  finden.  Man  sehe  zum  Beispiel  den  8.  Psalm:  Wer  ist 
so  wnrdig  als  du!  etc.  in  welchem  die  Singstimme  eine  besondere 
Begleitung  des  Claviers  hat  Welche  Pracht  herrscht  bier  in  der 
Harinonie  des  Chors,  und  welcher  muntere  Ernst  in  dem  Gesange  des 
Propheten:  0!  welch  ein  Lob  bereitest  dn!  Eben  solche  Pracht  findet 
man  in  der  Melodic  des  19.  Psalms:  Die  Himmel  rafen,  jeder  cbret  etc. 
Der  33.  Psalm:  Jauchzt  ihrGerecbten  dern  Herrn  etc.,  ist  aus  As-dur 
und  ein  Meisterstiick  der  Kunst.  Die  gebundene  Arbeit  in  selbigem 
ist  dem  Gesange  nicht  nachtheilig.  Der  65ste  und  67ste  haben  sehr 
sanfte  Melodien.  Besonders  macht  in  dern  letzten  die  Veranderuug 
des  Tactes,  da  mit  dem  Chor  der  «/'s  Tact  eintritt,  eine  vortreffliche 
Wirkung.  Eine  unserer  Lieblings-Melodien  ist  der  trauiig-langsame 
Gesang  des  88.  Psalms  aus  F-moll.  Der  93ste  hat  ebenfalls,  wie  der 
8te  eine  besondere  Begleitungsstimme  des  Claviers.  Der  Gesang  ist 
tiberaus  glanzend.  Der  D6ste:  Erhebet  Gott  durch  neue  Lieder,  voll 
imgehorter  Harmonie!  hat  im  crsten  Theil  wirklich  eine  ungewohn- 
liche  Harmonic,  die  bier  am  rechten  Ort  angebracht  ist.  Im  llOten 
spielt  das  Clavier  durcbaus  den  Bass  mit  der  rechten  Hand  in  der 
Octave  mit.  Der  majestatische  Gang  dor  Harmonie  schickt  sich  vor- 
treitlich  zum  Inhalt  des  Psalms.  Der  142ste:  Gott!  es  seufzet  meine 
Stimme  etc.  hat  einen  vortrefflich  fiiessenden  Gesang.  Wir  haben 
ihn  in  unserm  Exemplar  mit  8  Kreuzen  bemerkt  und  er  dient  uns 
immer  zur  Introduction,  so  oft  wir  diese  Psalmen  spielen.  Der  l^te 
und  148ste,  letzterer  Allabreve,  sind  ebenfalls  von  uns  angezeichaet. 
ladessen  hat  eine  jede  dieser  Melodien  ihie  eigeue  Schonheiten  und 
wo  wollten  wir  Eam«  hernehmen,  sie  alle  zu  bemerken.  Die  Choral- 
Melodien  sind  vortrefflich,  und  die  darinn  herrschende  Harmoiiie  aus- 
driickend.  Die  vom  3G.  Psalm:  Lass  mich  nicht  defnen  Zorn  em- 
pfinden  etc.  gefallt  uns  vorzuglicb.  Ausser  dem  33.  Psalm  baben 
noch  ein  Paar  andere,  Melodien  mit  gebundener  Arbeit,  die  wir  eta 
Kemiern  empfeblen. 

Ueberhaupt  hat  sich  Heir  Bach  durch  diese  Melodien  ma 


—    70    —  . 

liess.  Sie  enthalten  aber  aueh  Manches  von  allgemeinerem 
Inter esse. 

Dass  Emanuel  Bach  sich  ftberhaupt  dem  geistlichen 
Liede  mit  besonderer  Vorliebe  hingeg&ben  habe,  zeigt  seifie 
Theilnahme  an  der  ers ten  Sammlung  del-  Dr.  Balthasar 
Mtinter'schen  Lieder,  welche  i.  J.  1773,  also  in  demselben 
Jahre  wie  die  Gramer'schen  Psalmen,  zu  Leipzig  her= 
ausgekommen  ist.  Unter  den  50  Liedern  dieser  Sammlung 
waren  die  Nummern  19,  21,  24,  25,  44  und  49,  sammtlich 
im  Styl  der  Grellert'schen  und  Cramer'schen  Lieder, 
von  ihm  gesetzt.  Einige  derselben  sind  von  besonderer 
Schonheit 

In  einem  alien,  der  Becker^hen  Sammlung  ztt  JL^ffe^ 
gehorigen  Musikhefte  finden  sich  ferner  mit  der  Bezeich- 
nung:  ,,In  Musik  gesetzt  von  Herrn  Bach  in  Hamburg" 
fblgende  geistliche  Lieder  eingeschrieben,  die  unzweifelhaft 
v&n  seiner  Composition  und  gleichfalls  voll  von  eigenthum- 
Echen  Schonheiten  sind  iind  offenbar  seiner  Hamburger 
Lebensperiode  angehoren:  ,,Auf  die  Auferstehung  des  Er- 
losers"  (von  Schiebler),  Triumph!  Triumph  und  Lob  und 
Dank.  3  Verse.  ,?Tag,  den  mir  der  Herr  gemacht,  Sei 
gesegnet.  Tag  der  Freude.  1  Vers." 


rechtschaffenen  Herzen  Erbauung  unendlich  verdient  gemacht;  eiri 
Verdienst,  das  er  nun  mit  dem  vortrefflichen  Liibeckrsehen  Oottes- 
g*etorten,  dem  Herrn  Doctor  und  General -Superintcndenten  Cramer, 
wir  diese  schone  Fsalmen-UeBerseteung  za  danken  nab  en,  theiM 
Oewiss  wird  dieser  wtirdi^e  Mann  mit  sel.  Gellert  in  Ab- 
eioe^  Liedes  und  der  ihm  gehorigen  Melodie  einertei  Meimfng 
sein.  Der  letzte  schrieb  an  den  Herrn  Kapellmeister,  entziiekt  iiber 
dessen  Composition  seiner  Lieder,  folgenden  richtigen-  Gedanken: 
beste  Lied  ist  ofme  die  ihm  eigene  Melodic  ein  liebendes  Herz, 
seine  Gattin  mangelt,  die  seine  Empfindnugen  beseelt,  in  dem  er 
ie  ihri^en  erwecket" 

Endlieh  miissen  wir  doch  noch,  wiewol  mit  Leidwe&en>  inelden, 
aitcfe  nicht  ein  einziges  Rondeau  tmter  diesen  Melodien  befind- 
Heh  1st  Die  Liebhafaer  kSUiien  in€ess6n  ihre  Zuflueht  ztt  den  neuegteri 
<50iflp6nirfen  Mess^,  Famous- <kdtorieri  und  Trauer-Musiken  einige* 
Italiener  und  ihrer  blinden  Naehahmer  nehmen,  in  - 


—    71    — 

Doch  verging  ein  Zeitratim  von  7  Jahren,  bis  er  wieder 
mit  einer  grosseren  Sainmlung  vor  die  Oeffentlichkeit  trat. 
Es  erschienen  namlich  im  Jahre  1780:  ,,Herrn  Chrfstoph 
Christian  Sturms9,  Haitytpastors  an  der  Hauptkirche  St.  Petri 
und  Sclwlarclien  zu  Hamburg,  GeistlicJie  Gesange  mit  Melodien 
zwm  Sing  en  beym  Clavier." 

Diese  Lieder,  zu  deren  musikalischer  Behandlung  wolil 
die  personliche  Verbindung  mit  dem  seifc  dem  Jahre  1778 
im  Hamburger  Predigeramte  befindlichen  Dichter  derselben 
Veranlassung  gegeben  haben  mag,  erschienen  in  2  Samm- 
lungen  zu  je  30  Liedern.  Das  reichlialtige  Verzeichniss 
der  Hubscribenten  fur  die  erste  Sammlung  zeigt  647  Kamen. 
Berlin  war  darin  nur  mit  deren  5  vertreten.  Fur  die 
zweite  Saminlung,  welche  1781  erschien,  waren  nur  446 
Exemplare  gezeichnet.  Dieser  Riickgatig  war  indess  in 
jedem  Falle  nur  durcli  zufallige  Ursacben  herbeigefiibrt 
worden7  da  bereits  in  demselben  Jahre  eine  zweite  Auflage 
erschien?  der  1792  die  dritte  Ausgabe  hinzutrat. 

Noch  hatte  das  inoderne  Lied?  diese  der  deutschen 
Gemiithsart  so  sehr  zusagende  Kunstforni,  in  weiteren 
Kreisen  nicht  Eingang  gefunden.  Der  Standpunkt  des 
Publikums  war  noch  immer  derselbe7  der  bei  Gelegenheit 
der  Besprechung  der  Berlin  is  ch  en  Oden  dargelegt  worden 
ist.  Aber  aucli  die  Tonsetzer  waren  in  der  langen  Eeihe  von 
Jahreiij  die  seitdem  abgelaufen  war,  nicht  fortgeschritten. 
So  blickte  noch  immer  aus  der  Vliter  frommer  Zeit  her  die 
Tradition  an  die  Beschaftigung  mit  dem  Kirchenliede  in  das 
Familienleben  hinein  und  niehr  als  je  sttitzten  sich  die 
Gewohnheiten  und  LebensanschauuBgen  in  den  blirgerliclien 
Kreisen7  im  Gegensatz  zu  der  sittlichen  Zersetzung,  (lurch 
welche  die  vornehme  Welt  bedroht  war,  auf  die  ewigen 
Grundsatze  der  christlichen  Kirche.  War  es  da  zu  ver- 
wundern?  wenn  Lieder  wie  diese  ein  Bediirfniss  und  eine 
Wohlthat  zugleich  waren?  wenn  sie  die  halb  vergessene 
Ausiibung  des  religiosen  Gesanges,  der  sich  in  den  Kirefaen 
nicht  mefar  heinifeeh  ffihlte,  in  die  FaaoaifiBn 


—    72    — 

pflanzten,  indem  sie  der  hauslichen  Andacht  den  Stenipel 
kunstlerisclier  S-'hoac  aufpragten?  Das  imbewasste  Gefiihl, 
das  axis  dem  Herzen  heraus  nacli  Mittheilung  imd  Befrie- 
digung  drangte,  war  noch  niclit  gewohnt,  nach  den  glan- 
zenderen  Grestaltungen    der  Biihnc    zu  blicken.      Mit   don 
vorliegendeu  Liedcru  und  Cornpositionen  wurde  ibra   eine 
Befriedigung  geboten,    deren  reiche  Fulle   weit   fiber  den 
Drang   und  das  Begehren    des  Augeublicks  liinausreichte 
und  ztigleich  veredelnd,  erliebend  wirkte.    Wohl  kann  man 
den   Texten    dieser   Lieder   eine   grosse    Orthodoxie    ziun 
Vorwurf  machen;  man  kann  zugeben,  dass  ilinen  nicht  jene 
Kraft  innewohnt/  die  den  alten  Kirchenliedern   so  eigen- 
thumlich  war.    Doch  las^t  aich  ihnen  eine  gewisse  Warm^ 
der  Empfindung,    eine  scbone  poetische  Form   und  jener 
populare  Anstrich  nicht  absprechen,  durch  den  sich  im  All- 
gemeinen  Sturm's  geistlioheSchriften  ausgezeiclmethaben  Jj. 
In  einzelnen  rlieser  Lieder,   z.  B.  im    ersten  Theil,    dem 
Friihling  S.  14?    dem  Ernteliede  S.  157    dem  Sommerliede 
S.  20?  dem  Lobgesang  S.  28,  BO  wie  in  der  zweiten  Samm- 
limg?  dem  Pas&ionsliede  S.  8,  dem  Morgenliede  S.  15,  Gott 
der  Ernahrer  der  Menschen  S.  19?    den  Empfmdungen  in 
einer  Sommeriiacht  S.  20;  Jesus  in  Gethsemane  S.  31  weht 
ein  Geist  edlcr  Poesie    und  einer  reinen  Keligiositat?    der 
auch   iiber  die  Grenzen  des  Pietismus  hinaus    eine  christ- 
liciie  Auffassung  zulasst.     Ftir  ihre  Zeit  waren  dicse  Gc- 
dictte  von  grosser  Bedeutnng,  und  Bach  »hat  wohlgethan, 
sie  '  zur  Bereicherung   des  deutsehen  Liedes   zu  benutzen, 
Er  hat  sie  in  einer  Weise  musikalisch  behandelt,    welchc 
ihm    die   dankbare    Anerkennung    der    Nachwelt    siclicrt. 
Kciner  vor  ihm    hat  auf  diesem  Felde    versucht  oder  ge- 
leistet,  was  ihm  zu  leisten  beschieden  war;    seine  eigenen 

!)  Sturm  gehorte  zu  denbedentendeienPcr&onon  Hamburg's  aus 
jener  Zeit.  Er  starb  bereits  1778,  46  Jalno  alt.  Die  Hanseatischen 
Nachrichten  (V  147)  bezeichnen  ihn  7lals  was  wen,  hcrzliehen  und 
durcbaus  praktischen  Kanzelredner,  als  Liederdicbter,  Volksschrift- 
steller  und  Mensch,  ehrenwertb,  vielwirkend  und  unvergesslicb." 


—    73    — 

Schopfungen,  wie  bewunderungswerth  viele  von  ihnen  waren, 
culminiren  in  diesen  Liedem,  imd  der  ungeheure  Lieder- 
schatz,  den  die  spatere  Zeit  erschlossen  hat?  1st  denselbeu 
wenig  tiberlegen. 

Die  Einfachheit  der  ausseren  Behandlung  gelit  mit 
der  Tiefe  nncl  Innigkeit  der  Gtedanken,  mu  deren  zuiu 
Theil  grossartiger  Kiihnheit  und  rait  deni  vollcn  Reize  der 
harmonischen  Behandlung  Hand  in  Hand.  Die  Naivotat,  die 
grade  in  der  Liederforni  des  vorigen  Jahrhunderts  oft  so 
reizlos  hervortritt,  verschwindet  liier  fast  durchgehends. 
An  ifare  Stelie  tritt  eino  Vertiefuug  in  den  Inhalt  der 
Gedichte,  die  von  jeder  kleinlichen  Auffassung-  wcit  ab- 
weichend,  den  Auspruch  voller  Ebeubtirtigkeit  mit  dera 
Besten  erheben  darf,  was  spatere  Zeiten  geleistct  Imben. 

Lieder,  wie  aus  der  ensten  Sammluug  das  Pfingstlied; 
,,Sei,  Weltversohner,  sei  gepreist,"  Gottes  Gro^e 
in  der  Natar;  der  Tag  des  Weltgeriehts  7,Wenn  der 
Erde  Griinde  beben;"  das  Neujahrsiied  ?7Sclioa  wieder 
ist  von  unsrer  Zeit/1  mit  dor  reizenden  Abwechslung  der 
Strophen  in  Moll  und  Dur,  die  Fortdauer  des  Lebcus  Je&u: 
??Umsonst  emport  die  Holle  sicb;"  aus  der  zweitcn 
Sammlung:  Menschenliebe  Jesu  ,,l)ich  bet1  ieh  an?  Herr 
Jesu;"  das  Passionblied  ,,In  Todes  Aengsten  hangst 
Duda;a  Empfindungon  eincr  ^onamernaeht  ,,Der  Mond 
ist  aufgegangeu;"  ein  Lied?  das  eine  der  Zeit  des  Tun- 
setzers  sonst  ganz  iremdc  Stiminung,  die  ronaantisehc,  in 
sich  tnigt;  fenaer  Purbitte  des  gckreuzigten  Je^u  7?Um 
Gnade  fiir  die  Siindenwelt,"  endlieh  Jesua  in  Gethsc- 
maoe  ??Schau  hin,  dort  in  Gethsemane,"  sirid  solche, 
welche  keinem  ehizigen  der  so  gefeiertcn  modernen  Lieder 
weichen  dtrfen?  vielen  nnter  ihnen  aber  an  innerer  Einheit 
und  Gedankentiefe  tiberlegen  sind. 

Auch  faier  ist  das  Aceompagnenieut  kein  vollsteindigcs. 
An  vielen  Stellen  bedarf  dasselbe  der  Ausfiillung. 

Da  die  hiezu  erforderliche  Fertigkeit  heut  wohl  meistens 
fehlen  durfte?  so  wlirde  sicfe  eine  nene?  uacli  dieser 


Jiiii  der  Jetztzeit  Rechnung  tragende  Ausgabe  einer  Aus- 
wahl  derselben,  empfehlen1). 

Neben  dem  geistlichen  Liede  beschaftigte  sich  Ein. 
Bach  aber  auch,  selbst  bis  in  seine  letzte  Lebenszeit  hin- 
ein,  mit  den  Liedern,  die  er  in  fruherer  Zeit  Lieder  fur 
das  Herz  genannt  hatte.  Ira  Jahre  1783  erschien  eine 
Sammlung  von  solchen  ineist  aus  alterer  Zeit  im  3.  Bande 
der  „  Polyhymnia."  ,7Der  dritte  Theil  der  Polyhymnia, 
Ton  ungefalir  einein  Alphabete,  soil  eine  Sammlang  zer- 
streuter  Flug-Compositionen  von  Vater  Carl  Philipp 
Emanuel  Bach  enthalten.  Ausser  den  nftinnigfaltigen 
grosseren  Werken  dieses  fruchtbaren  und  einzigen  Meisters 
fitr  Gesang  und  Instrument  sind  allmalig  gelegentlich  von* 
ihm  manche  Lieder  und  Singcompositionen  in  den  Unter- 
haltungen?  den  Musen-Almanachen  und  anderen  dergleichen 
Sammlungen  bekannt  geworden.  Seine  Freunde  haben 
fegst  gewiinscht;  diese;  unter  denen  hervorstechende  Meister- 
stticke  sind?  nebst  seinen  ubrigen  Sachen  sieh  anschaifen 
zu  konnen.  Ich  habe  die  alteren  Texte  dazu?  die  zu  ihrer 
2eit  galten;  jetzt  aber  niissfallen  wurden;  theils  geandert; 
theils  rait  besseren  vertauscht;  alles  mit  seiner  Genehmigung 
rind  unter  seiner  Aufsieht.  Seine  Freundschaffc  ubrigens? 
deren  ich  mich  ruhme?  hafc  diese  Oompositionen  auch 
^usserdem  noch  mit  einer >Anzahl  ganz  neuer  und  3SIiemandem 
bekannter  vermehrt.  Mehr  habe  ich;  da  Bach?s  Nameri 
.  ^nug  sagt?  nicht  hinzuzusetzen."  etc. 2) 

Carl  Friedrich  Cramer, 
Professor  in  Kiel, 

Auch  diesen  kleinen  Liedern  fehlte  es  nicht  an  Geist? 
Feuer?  Adel  und  melodischem  Reiz.  Es  war  unmerklich 
ein  Fortschritt  eingetreten?  wenn  dieser  sich  auch  nicht 


1)  Inzwischen  1st  eine  Auswabl  von  Bach's  geistlichen  Liedern 
in  4  Heften  bei  Sifiarock  in  Berlin  eisehienen. 

2)  Ma^azin  fiir  Musik.    1782.    Jahrg.  I.    a  140.    C.  F.  Cramer 
war  der  Sohn  des  Theologen  und  Uebersetzerjs  der  Psalmen,  geb. 
1782,  f  1S07. 


bis  zu  der  Vollkommenlieit  der  geistlichen  Lieder  gesteigert 
hatte.  Konnte  man  dies  deru  folgenden  '(der  musikalischen 
Real-Zeitung  von  1788.  Speyer,  No.  6  der  Musik-Beilagen) 
entnommenen,  den  in  Leipzig  herausgegebenen  Freimaurer- 
Gesangen  angehorigen  Liede  gegeniiber  bezweifeln? 


k  — 

dp  "T" 

r" 

i— 

—  p  — 

1,  Hoch, 
2.  Dn 
3.  t>u 

4.  Jetzt 

wie          des           Adlers  knhnster  Flng  nnd  voll 
hast          der           Wie-ge  vor  der   Welt  dein  Elei- 
hast*        den       Thnrm  zu  Si  -  ne  -  ar    zum  Wun- 
ranscht    En      -      ro  -  pa  deinem  Ruhm,  vom  Ta- 

__LL.!  fL—^-r^—.  £3  —  <3  ^       | 

_  gpffi  ** 

-l-f 

^ 

£  i—-J 

^_ft  ft       "V 

:^y_J!JII^Z!| 

jts.  CO  JO  J-»- 

1  .  .  .  T 

wie    Da- 
nod    an  - 
der     aus  - 
jns     bis 

7              

vids 
ver  - 
ge  - 
zum 

t—  ^  
Ton, 
traut, 
dacht 
Belt 

stark         wie  der 
und          Ha-rfochs 
in            dei-nen 
and          den-noch 

>i    ^  ~  ll 

__.  f  ,    |  :  -^ 

tf 

=t 

«  — 

-©- 
frA^-^J 

f 

=P=- 

ffi           .  '      |  —  I  j  —  I—  1  jjo™'  —  ®  
t.     Grieche  Pindar  schlug  nnd  king  wie     Sa  -  lo    -   ffiCm- 
2.  Stadtund  Ju-bals  Zelt,undNo-ahs  Schiff   ge   -    bant    ^  ^ 
S.    Py-ra-mi-den    war  aim  Ni  -  his    Wife  nnd   Pracht. 
I       4.  bleibt  dein  Heilig  -  thum  ein  Rathsel     fur     die      Welt. 
I                                                         .          ,   -p-           .                         ^ 

it 

-t^-: 

s= 

=i 

•i— 

-4- 
e&. 

—^  1 

=^-iH-y-g 

<              soll- 

te    stets 

dein 

=e=i 

-f  P=| 
Lob    -    Med 

—  f1  —  •  —  f   itJ-: 

w.  —  i  —  ?  —  *  — 

sein,                sonst 

\  ^^= 

•^F8- 

!  ^p— 

tz    r           ^:: 

— '  7t    - 


^=fF=^F=^=' 

T/T?"TT ,   "g        3~2 g 


dir      ?\i  klem,  chi      ko-nig-  li  -che 


IBI  Allgemeinen  soil  Bach  95  Lieder  weltlichert  In- 
halts  geschrieben  haben.  Ob  diese  Zahl  riclitig  ist?  kann 
dahingestellt  bleiben.  Das  oben  (S.  70)  erwahnte  Liecler- 
heft  der  Bccker?schen  Sammlung  enthalt  neben  den  ge- 
nanntexi  geistlichen  nock  3  vortreffliche  weltliche  Lieder 
von  Bach?  die  gleichfalls  von  dem  Fortschritte  zeugen? 
den  er  auf  diesem  Gebiete  ira  Laufe  der  Jahre  geinacht 
hatte.  Fs  sind  dies  die  Lieder:  Phillis  von  Kleist  mit 
dem  der  Zeit  weit  vorauseilenden  Schlusse: 


Hurtig  und 


Der  Wein  machtFreundschaft,  starktd.Herz, 


schaiftlaugre 


, 


-• <¥*- 


=t 


Bac    -    chus,        dir     wrih'    ich  mei-ne         Lie    -    der  doch! 

t*Z3A — s 


3E 


Zdrtlich  langsam 


Phillis  kommt, 


Phillis  kommt, 


^ 


mg 


liebe, 


ich      liebe. 


ich      lie    -    be 


gfc 


wie  -  der,  ich     lie 


he,    ich 


lie  -  be       wie- 

j  i 


£»— t"~i 

^ 


i 


1         — 

p'"^'"','   ,"•„ 

—  r-f— 

""I1  i 

der. 

N^-H 

t»^ 

i^ 

bm~l 

*—  * 

Ferner:  An  die  Liebe?  von  Hagedorn  und  eine  Ode  auf 
die  Gegeriwart  des  Kaisers  in  Rom,  fur  welelie  sich  das 
Jalir  der  Entetehiing  also  genau  besthnmen  lEs«t.  Beui 


letzten  Decennio  seines  Lebens   gehoren  auch  einige   der 
im  Jabre  1788   zu  Leipzig   ersehienenen   ^ 
lieder   mit   ganz  neuen  Melodien  (von  den 
Kap$l]meistern  B$ch?  Neumann  und  Schulss,  38  LJeder 
enthaltend)  an;  von  denen  eines  zweistimrnig,  i$eji;rere  tait 
untermischtem  Chore  gesetzt,  deren  zwolf  yon  B$ch  waren. 

Diese  reiclie  Ausbeute  seines  langen  Lebens  und  Wir- 
kens  nach  diesen  schonen  Seiten  der  Kunst  bin  fand  ihren 
Abscbluss  in  einer  letzten  Sammlung,  welcbe  alien  voriaer- 
gehenden  weit  iiberlegen,  des  greisen  Meisters  ktinstleri^chp 
StQllung  aueh  fur  dj^s  ^yeltliche  Lied  fixirt  hat.  Im  Jahre 
1789  erschienen  zn  Lubeck  bei  Chr.  Donatius 

Neue  Lieder-Melodien 
nebst  einer  Cantate  zum  Singen  beim  Clavier. 

Bie^e  Sammlung  dnftiger  Bliithen?  die  an  dem  Rande 
&$$  fftr  lien  alten  Meister  schon  geoffnet.en  Grr&bes  empor- 
spi?asste«i;  dessen  dustre  Tiefe  wie  mit  einem  bliihenden 
umfloehten?  erregt  ejn  inehr  als  gewobnliches  IXL- 
§ie  enthalt  21  Gedichte  von  Holty,  Grleim, 
•Roding,  v.  Liitkens,  Ebeling;  Lessing,  Halleru.  A. 
Die  Lieder  sind  zum  Theil  in  dem  alten  Liederstyl  ge- 
setzt,  kurze  Gesange  von  einfachem  Charakter;  aber  die 
Melodien  haben  sich  veredelt,  die  Gredanken  sind  vertief- 
ter?  inniger  ausgedruckt  als  in  den  alteren  weltlichen  L^e- 
<lenu  In  einigen  d^rselben  tritt  B&cb  uber  die  Sebranke^ 
.  die  ibn  bis  dahin  gefesselt  batten  hinaus  und  componirt 
die  Texte  ganz  dnrohj  so  das  ISfoimenlied  No.  5  mit  dem 
reizenden  Eefraia: 


79    — 


than' 


0      Lie    -     be*      was    hab' ich  ge  -  than. 


und  dem  prachtigen  Schluss: 

S 


so  ferner  das  Lied  auf  den  Greburtstag  eines  Freundes  und 
das  schone  kraftig  gebaute:  ?7Ieh  hoff  auf  Got t". 

Wohl  waren  diese  und  andre  Lieder?  -wie  das  von  Ro- 
ding;  J?An  meiner  Ruhestatte"7  ferner  das  bei  aller 
einfachen  Naivetat  in  jugendlicher  Frische  und  Lebhaftig- 
keit  vorbeirauechende  Holty'sche  Trinklied: 

Lu&tig 


^Y    A 

FN- 

-J  —  ft 

—  r*  —  J*     Is     i\: 

__  „  ^  jv—  | 

ew-fc 

Ein 

5     Is- 

•9- 
Le-  ben 

wie  im 

Pa-  raddles  gewahrt  uns    Va-ter 

M  rs'i>  *  r  f   i 

\     -*& 

.— 

_  W  «  

«             « 

[_j  —  _^_i 

-H=r^ 

i  Q         ^       «    1 

^  BS  Py- 

—  f  —  r>  j  -  J- 

^*Jy  7  -Is 

PS  

-—»——)  —  *  —  • 

rr 

Bhein.      Icfo 

-*•          f" 

ge-  be  zn:  ein 

,  —  L  p  . 

Kass  1st  suss,  doc 

=$•  r—  ^- 

C  '  * 

h  susser  i^  ^ 

=^=F^ 

«- 

1—  —  I 

-H-ffr- 

[-•—     -'-J"  —  :  | 

*r   -i 

pflanzt. 

-1 

—  it  ••  • 

9- 

<^v.                   » 

L  :  

werth,  der  Vergessenheit  entrissen  zu  werden. 

Das  gleichfalls  durchcomponirte  Gedicht  von  Haller 
an  Doris  zeigt  jene  durchlaufende  declamatorisch  melodi- 
sche  Zukanfts-Recitalion,  die  Bacli  auch  sonst  liebte,  und 
dic?  hier  in  der  edelsten  und  sinnigsten  Weise  angewendet, 
sicli  wohl  dem  Fantasiestyl  des  Meisters  in  Claviersachen 
vergleichen  liesse.  Nach  damaliger  Begriffsbestimmung 
wikde  dies  Lied  als  Cantate  haben  bezeichnet  werden 
konnen. 

Die  Composition  zu  Grerstenb erg's  Dichtung  3?Die 
'drei  Q-razien"  ist  eine  hoehst  eigenthiimliche  Arbeit,  in 
demselben  nielodischen  Gesange  wie  das  Lied  an  Doris 
sich  bewegend,  von  haufigen  Recitativen  unterbrochen?  da- 
'bei  uberaus  zart  gelialten,  voll  yon  Anrauth  und  von  fein 
musikalisclien  Ziigen.  Der  Bass  ist  beziffert.  Das  Stuck' 
war  bereits  iin  Juni  1774  gesetzt1).  Es  crfbrdert,  um 
riehtig  beurtheilt  zu  werden,  einen  vollendetcn  Vortrag. 


Briefe  eines  aufmerksainen  Eeisenden. 


Bach  hat  in  ihm  den  ersten  Sehritt  zu  dem  spater  so  be- 
liebten  Balladenstyl  heriiber  gethan. 

Wie  wohlthuend  ist  es,  hart  am  Schlusse  eines  so 
reichen,  iniihevollen  urid  ruhmerfulltcn  Lebensganges  emer 
Arbeit  zu  begegnen,  die  imter  dem  Schmucke  silberhaari- 
ger  Locken  noch  einmal  jene  jugendliehe  Empfindung? 
jenen  poetischen  Zauber?  jene  Grazie  zeigt,  die  uns  bei  so 
vielen  seiner  zahlreichen  Werke  erfreut. 

Wohl  die  letzte  Kritik?  welche  dem  dem  Verlosehen 
so  nahen  Meister  wahrend  seiner  Lebenszeit  zu  Theil  wer- 
den  sollte,  erschien  fiber  diese  Sammlung3  noch  ehe  die 
Herausgabe  vollendet  sein  konnte,  in  dem  Hamburger  Un- 
partheiischen  Correspondenten  vom  18.  November  1788 
(in  No.  185) l). 

Nach  diesen  Betrachtungen  bleibt  nur  noch  ein  Blick  auf 

F.    die  weltlichen  Cantaten 

zu  werfen,  die  Bach  wahrend  seines  Aufenthalts  in  Ham- 
burg gesetzt  hat.  Es  sind  ihrer  wenige.  Der  Katalog 
seines  Nachlasses  nennt  als  solche: 


!)  rWelcher  Liebhaber  der  Musifc  wird  sieh  nicht  fretien,  von 
unsenn  wiirdigen  Herrn  Kapellmeister  Bach  eine  SammluDg  Lieder 
und  die  Composition  einer  Cantate  wieder  zn  sefaen,  nachdem  er  ihnen 
seit  langer  Zeit  derglcichen  Arbeit  nicht  geliefert  hat.  Es  wiire  un- 
nothig  zu  sagen,  dass  diese  Melodien  sammtlich  das  Geprage  dea 
nausikalischen  Genies  ihres  grossen  Componisten  tragen,  da  es  be- 
kaimt  ist,  dass  dieser  verehrurtgswiirdige  Mann  kerne  seiner  Arbeiten 
OTemtlieli  herausgiebt,  die  er  nicht  sorgfllltig  studirt  -and  gepraffc  hat. 
Di©  Lieblial>er  werden  es  anch  finden,  wenn  sie  diese  StScke  beim 
Clavier  singen,  wie  sehr  der  Herr  Kapellmeister  auf  den  Iiahalt  eines 
jeden  Liedes  bei  der  Composition  der  Melodien,  aaf  die  Tonart,  auf 
die  Wahl  des  Tacts,  auf  deii  Rhythmus  etc.  Riioksicht  genommen  hat 
Bi^  componirten  Lieder  sind  yon  Holty,  Gleim,  Boding^  LSt- 
kens,  EbeHng,  Eli^e  Unzerinu,  LessingT  yon  Haller.  Das 
Sehweizer  NonneBlied:  ?S  ist  kein  yerdriisslicher  Lebe,  alis  is 
das  Klosterli  gehe  eta  faat  %EL  aBfii  Strophes  eine  Melodie 
ten,  die  ungemefa  Aaraitociseh  fet  JJtei  *iie&0  Efee  M  de» 

Bitter,  Eroarrael  nud  Friedemann  Baoiu    XL  § 


1.  Yam  Jahre  1770:  ,,Der  Friihling",  eine  Tenor- 
Cantate     ,,mit    den    gewohnlichen    Instrumenten." 
Dieses  Stiicks  ist  bereits  bei  Gelegenheit  der  Berliner  Ar- 
beiten  gedacht  worden. 

2.  Vom  Jahre  1776:  ?7Selma",   eine  Discant-Cantate 
mit  dem  Texte   aus  Voss'  Musen-Almanach  voni   Jahre 
1776,    S.  225:   ,,Sie   liebt    mich?   die   Auserwahlte" 
(F-moll  2/4  Quartett,  2  Floten).     Der   erste  Satz   1st  von 
schoner  melodischer  Declamation.    Die  Floten  nmspielen 
die  Singstimme  in  naeist  selbstandigem  Gange.  Das  Quartett 
begleitet  nur.    Im  zweiten  Satz  1st  der  Gesang  unbequem 
in  der  Lage  und  far  die  Aussp rache  schwer  gesetzt. 

3.  Ohne  Jahreszatl:  ,,Der  8.  April,  besungen  T^n 
dem   Bach'schen   Hause."    Auf  den    Geburtstag    eines 
Fre*tnde$$  ein  leicbter,  melodiseHer  Gesang  fur  eine  Stimme 
mit  Clayierbegleitung  ohne  weitere  Bedeutung. 

Gegen  diese  kleineren  Tonstiicke  nimmt 

4  Klopstock'sMorgen-Gesang  am  Schopfungs- 

tage  hohere  Aufmerksamkeit  in  Anspruch.    Dies   schone 

W@rk  ist  im  Jakre  1783  entstanden.   Bach's  freundschaft- 

liches  Verhaltniss  zu  Klopstock  mag  wohl  eine  weaentliche 


des  Hrn.  von  Haller:  ,,Des  Tages  Licht  hat  sich  verdunkelt" 
widerfabren.  Man  wird  dieses  Lied  nach  dieser  neuen  Melodife  mit 
oeuera  Vergniigen  singen,  da  sie  den  Worten  so  anpassend  und  so 
ist.  Besondefs  schon  ist  der  Schluss  der  letzten  Strophe 
Auch  von  dem  Liede  dea:  Elise:  ,,Ich  hoffr  auf 
eta  sind  alle  Steopben  vortrefflich  eomponirt,  die  erste  atts 
G-dsr,  worauf  so  matiirlich  die  zweite  aus  C-moll  eintritt,  und  die 
letzte  wieder  aus  C-'dur  sehliesst.  In  den  Lkdera  inunteren  Inhalts 
herrscht  noch  ein  Geist,  der  einen  Componisten  Ton  enrigeii  20  Jahren 
vermutfaen  Hesse,  wenn  man  nicht  wiisste,  dass  der  Herr  Kapellmeister 
seban  alter  ware  Man  sehe  z  B.  Seite  30  u.  s.  w.  Ebeling?s  Lied 
auf  den  aeburtstag  eines  Freundes  ist  voller  Affect  Holty's  Trink- 
lied:  ,,Eim  Leben,  WIQ  im  Paradies"  wird  nun  bei  jedem  frohen 
Mahle  musikalischer  Freunde  gesimgen  werden.  Boeh  wir  konmea 
des  eingeschrankten  Baums  wegen  nicht  fiaehr  auszeiehnen.  Finis 
coronat  opus:  und  so  kront  aaeh  hrerG erst enb erg7 s  Oantate:  ,,Die 
Grazienu  diese  SammluDg,  mit  deBen*  'Herr  Baeht  bei  tor  Oom- 
position  derselben,  in  dem  Terteutesten  UrQ^ange  gelebt  hat" 


Veranlassung  zu  seinein  Entstehen  gewesen  sein.  Beide 
Mariner ,  gross  als  Lyriker,  beide  Begriinder  neuer  Eich- 
tungen  in  Poesie  und  Musik,  batten  zu  viel  innerliche  Be- 
ruhrungspunkte,  als  dass  sie  nicht  auch  in  dem  ausseren 
und  engeren  Verkehr  mit  einander  hatten  Befriedigung 
finden  sollen. 

Dass  er  grade  eine  der  Oden  gewahlt  hat,  in  denen 
die  poetische  Natur  des  Diehters  sich  am  reinsten  darstellt, 
dass  unter  dies  en  eben  der  Morgengesang  sein  musi- 
kalisches  Interesse  erregt  hat?  konnte  an  sich  fiir  gleich- 
giiltig  gehalten  werden.  Doch  lag  grade  in  dieser  Wahl 
die  Bedingung,  ein  Werk  yon  den  Vorziigen  des  Vorlie- 
genden  schaffen  zu  konnen.  Der  schone  Text  ist  im  An- 
hange  IL  abgedruckt.  Seine  edle  freie  Declamation?  das 
Lyrische  der  darin  ausgedriickten  Stimmungen  und  die 
Grosse  und  JErhabenheit  des  Gedankens  eignen  ihn  recht 
eigentlich  fiir  die  Musik. 

Ein  Instrumentalsatz  (D-dur  s/4?  2  Violinen,  2  Brat- 
schen,  Violoncell,  Violon,  zunachst  ohne  Flugel  und  Fagott) 
von  dunkler  Farbung  beginnt.  Die  Celli  und  Bratschen, 
in  syncopirten  Noten  und  canonisch  eng  aneinander  ge- 
legten  Einsatzen  steigen  uber  dem  auf  dem  Grundton  ver- 
bleibenden  Bass  langsam  und  leise  in  die  Hohe.  Ihnen 
gesellen  sich?  das  Anfangs-Motiv  fortfuhrend^  vom  4.  Takte 
ab  die  Violinen  hinzu.  Es  ist  wie  das  Helldunkel  des 
ersten  Morgengrauens?  das  sich  der  Nacht  zu  entringen 


sucht. 


Langsam  und  schwach. 


.  YioUae. 


Tialoncello. 
Yiolon, 


rr 


r  r  r-crrT  c~crr  r 


sfe 


pspi 


Iin  6.  Takte  beginnen  auch  die  Basse  unruhig  in  chroma- 
tischen  Gangen  in  die  Hohe  und  wieder  herabsteigend  ihre 
beharrende  Lage  zu  verlassen.  Hit  dem  9.  Takte  tritt 
das  Accompagnement  des  Flugels  hinzu.  Der  Gesang 
(Soprano  1)  setzt  in  rnelodisch  declamirender  Recitation 
dfe  erste  Strophe  ein:  ,,Noch  kommt  sie  nicht,  die 
S<mx*e«,  wahrend  die  Instrumente  ihren  syncopirten  Gang 

fortfuhren. 

Der  Eintritt  der  Singstimme  ttber  dem  dunklen  In- 
strutnentalsatze  wirkt  wie  der  erste  Strahl  des  sich  aus 
Nebel  und  Nacht  hervorringenden  Lichtes.  Mit  dem  Ab- 
schluss  des  Gesanges  sucht  das  Orchester  in  unruhiger,  in 
die  Hohe  treibender  Steigerung  ihm  zu  folgen.  In  dem 
engen  Raum  von  vier  Takten  gelangt  es  durch  ununter- 
brochene  Modulationen  zu  klarem,  festgegliedertem  Zeit- 
niaass  (V8  H-moIl)  und  lebhafterem  Tempo. 

So  beginnt  der  zweite  Satz:  (Soprano  2)  ?,Heiliger! 


—    85    — 


Hocherhabener!"  Die  bis  dahin  selbstandige  Bewegung 
der  Instrumente  geht,  hie  und  da  durch  eine  kurze  Pigur 
der  ersten  Violine  unterbrochen,  in  begleitende  Accord- 
folgen  iiber,  die  in  Vie  Noten  schnell  mit  den  Modulationen 
der  Singstimme  wechseln.  Es  ist  ein  ungemein  reizender 
melodischer  Gesang  von  14  Takten,  der  sich,  obne  eine 
bestimmte  Form  zu  gewinnen,  in  dem  declamatorischen  Cha- 
rakter  des  ersten  Satzes,  zu  dem  helieren  Glanze  der  Sterne 
emporschwingt,  deren  strablende  Schonheit  er  darstellt. 

So  ungefahr  mag  sick  R.  Wagner  die  von  ihm  mit 
geringerem  Glticke  ausgebeutete  ^unendliche  Melodie" 
gedacht  haben. 

Bacb  benutzt  diese  recitativabnliche  deelamatorische 
Eingangsform  nur,  um  sicn  im  dritten  Satze  zur  wirklichen 
Melodie  zu  erheben  (A-dur  Allabr.).  In  langsarnein  Tempo 
stimmen  zwei  Floten?  in  der  Octave  den  tiiiuinerisehen 
Gang  der  Bratschen  verstarkend?  zuerst  unlsono?  dann  in 
sanfte  Terzengange  iibergeiiend,  einen  der  wohlthuendsten 
Zweigesange  an,  die  je  geschaffen  worden  sind.  Der  in- 
strumentale  Charakter  ist  von  einer  Weichheit  und  Fiille? 
wie  er  kaum  phantasiereieher  gefunden  werden  konnte. 
Es  spricht  aus  dieser  melodiscben  Dichtung  der  bliithen- 
reiche  Duft  eines  rosigen  Frublingsmorgens;  das  erste  Dam- 
mern  der  unendlichen  Schone,  die  die  Natur  liber  die 
junge  Erde  gebreitet  hat.  Nach  deni  4.  Takt  tritt  der 
Gesang  in  selbstandiger?  gleichfalls  declamatorischer  Flih- 
rung  der  Melodie  hinzu. 


2  Floien. 


Bass. 


i  s 


Kaum  mochte  wohl  das  Erwaehen  des  Morgens,  der  erste 
Purpurschimmer  der  heraufeteigeiad^n  Morg@nr<)tk$  ,teti^ 
susseren  Tonen,  mit  einem  von  reinerenx  Zauber  umwebten 
34elodieixglaBze  dargestellt  worden  &ein, 

Eine  etwas  lebtaftere  Bewegung  abgerissener  Accorde 
des  Streicli-Quartetts  fiihrt  aus  diesem  Abschnitt  nach  F-dur 
(%)  zu  dem  Duett  ?JHerr  Gott!  barmherzig  und  gna- 
dig",  das;  nach  festem  Einsatz  der  Stimmen  auf  denWor- 
t^  ,,Herr?  Gott!"  sich  meist  in  inelodisclien  Terzen-  und 
Sexten-Grangen  bewegend?  yon  dem  Chor  in  vierdtimmigem 
S^tze  wiederholt  wird.  Heitere  Zuversicht,  eine  feste  und 
doch  milde  Stimmting  driickt  sich  in  diesem  schonen 
declamatorisch  schwungvollen  Satze  aus.  Der  Chor  ist 
tomopbon,  die  Instrumentalbegleitung  (2  Moten,  Streich- 
Quartett  und  2  Bratschen)  im  Wesentlichen  nur  begleitend 
•uf&i  v©rst%kend.  Sebr  schon  ist  das?  auf  den  Absehluss 
in^dw  p^ch  der  Pause  ¥on  einem  Takt  mit  dena  Quint- 
Septimen-Accorde  in  G  eintretende: 


—    87    — 


EIn  Zwischenspiel  yon  14  Takten,  in  dem  Gharakter  des 
Chorsatzes  forts  chreitend,  fuhrt  zu  dem  Duo  fur  2  Soprane 
(C-dur  4A)  ,7Hallelujah!  Seht  ihr  die  Strahiende" 
tiber;  das  in  ein  lebhafteres  Tempo  ubergeht.  Die  Sonne 
steigt  empor.  Der  Gesang  begrtisst  die  ^Strahlende^  Gott- 
liche"  in  schwungvoller  JSllarheit  ujid  steigert  sich  in  dem 
anschliessenden  Eecitativ  730  der  Sonne  Gottes"  zu 
wahrhaft  dramatischer  Hohe.  In  der  enharmonischeja  Mo- 
dulation an^  Schluss 


und       herr  -  licher  macht  durch  die     Wand- 


Inng? 


zeigt  sick  jene  Feinheit  der  Charakteristik,  iir  welcher 
Seb.  Bach  so  oft  bewundernswerthe  Effecte  geschaffen  hat. 
In  dem  klaren  strahlenden  G  -  dur  ?  von  dem  Chor  ange- 
stimmt,  beginnt  der  Schlusssatz,  eine  Wiederholung  des 
Duos:  ,?Hallelujah!  Seht  ihr  die  Strahlende,"  das 
im  Wechsel  der  Soprane  mit  den  Mannerstimmen 


Solo 


Hal-le     -      -     lu-iah!   Hal  -  le      -      lu  -  jah!  t 


SopraiK  lit. 


Teuor.  Bass. 


anhebt  und  einen  glanzenden,  reicbgeschmiickten  Abschluss 
bildet. 

Das  ganze  Werk  athmet;  der  darin  verwendeten  tiber- 
aus  einfachen  Mittel  ungeachtet,  jene  feieiiiche  Wiirde  und 
Pracht7  die  dem  Erwachen  des  Morgens  aus  der  Stille  und 
Bute  einer  majestatischen  Natur  so  eigen  ist.  Wer  jemals 
auf  den  Spitzen  der  Hochgebirge  die  Sonne  aus  dem 
Nebelschleier  in  ihrem  allniahlich  wachsenden  Grlanze  durch- 
brechen  sah?  wahrend  die  balaamische  Morgenluft  den 
Duft  der  erfrischten  Vegetation  hauchte,  der  wird  die  edle 
und  klassi^che  Schonheit  dieser  Arbeit  zu  wiirdigen  wissen. 
Die  Dichtung  ist  in  jener  Feinheit  und  achten  Treue  in 
die  Musik  iibertragen,  die  Niemand  durch  realistische 
Mittel,  durch  den  Aufwand  glanaender  Massenwirkungen 
zu  erreichen  im  Stande  sein  wurde. 

Man  weiss,  dass  der  Dichter  dem  Componisten  seine 
yollste  Uebereinstimniung  und  Anerkennung  fitr  das  Ton- 
werk  ausgesprochen  hat x).  Dasselbe  erschien  schon  im  fol- 
genden  Jahre;  mit  einem  Clavierauszug  versehen,  im  Selbst- 
verlage  Bach's  auf  Subscription,  Das  Verzeichniss  der 


Magazin  fur  Musik.  1783.  1.  Jahrg.  2.  Halfte.  S.  1116. 


Abonnenten  weist  204  Personen  nach?  darunter  die  Prin- 
zessin  Anialia,  Kapellmeister  Reichardt,  Forkel  in 
Gottingen,  Dusseck  in  Prag  nnd  v.  Swieten  in  Wien, 
letzteren  mit  12  Exemplar  en. 

Eine  Kritik  aus  dem  Jahre  1808  uber  eine  Auffiihrung 
des  Morgengesanges  in  Dresden  sagt  uber  dies  Werk l) : 

?,Die  Musik  wird  dem  Zuhorer  gar  zu  sparlich,  gleich- 
sam  zugezahlt.  Ausserdem  dass  manches  darin  wie  aus 
dem  Clavier  in  Orchestermusik  iibersetzt  klingt?  glaubt 
man  wirklich  den  Dichter  hinter  dem  Componisten  stehen 
zu  sen  en,  der  ilm  zwar  vor  alien  und  jeden  Missgriffen 
verwahrt,  aber  ilin  auch  inimer  besorgt  zuruekhalt7  damit 
er  ja  nichts  thue?  als  das  Nothwendigste,  um  seine  Verse 
nur  anstandig  zu  begleiten,  fiir  niehts  Sorge  trage,  als 
dass  diese  recht  gut  gehort  warden."  Der  Eeferent,  der 
in  der  Bach'scnen  Composition  zu  wenig  absolute  Musik 
und  zu  viel  declarnatorische  Recitation  gefunden  hatte; 
konnte  freilich  keine  Ahnung  daron  haben?  dass  gerade 
diese  Eigenschaft  des  Morgengesanges  nach  einem  halben 
Jahrhundert  zu  eineni  neuen  Systeme  fiir  die  dramatisehe 
Musik  erhoben  werden  wiirde.  Aber  wie  weit  ist  die  Musik 
Em.  Bach'Sj  so  sehr  sie  der  Zukunft  entgegenstrebte, 
davon  entfernt?  Zukun ft s- Musik  zu  sein! 

No  hi  theilt  in  seinen  Kiinstlerbriefeii2)  zwei  Briefe 
Bach's  an  Artaria  in  Wien  mit?  welche  den  Morgen- 
gesang  betreffen.  Er  setzt  der  Mittbeilung  jener  Briefe 
hinzu:  ??Abschrift  des  Morgengesangs  besitzt  G.  Notte- 
bohni  in  Wien  mit  den  Bleistift-Worten  Beethovens: 
^Von.  meinem  ttieuren  Vater  gesehrieben."  Er 
spricht  dabei  die  Meinmig  aus?  dass  die  Worte  des  Texts 
Ton  Bee tb oven's  eigner  Hand;  aus  dessen  Bonner  Zeit 
herriihren  dfirften. 

Bach  hat  noch  eine  ziemliche  Anzahl  anderer  weltlicher 


Leipz.  Mos.  Alig.  Z.  Bd  XL  S.  189. 
S.  70. 


Cantaten  geschrieben,  die  einer  naheren  Erorterung  aus 
dem  einfachen  Grunde  nicht  unterzogen  werden,  well  si© 
deni  Verfasser  nicht  zuganglich  gewesen  sind.  Dahin 
gehoren : 

'      a.  aus  dem  Jahre  1769:   eine  G-eburtstags-Cantate 
mit  den  gebrauchlichen  Trompeten  und  Pauken. 

b.  aus  dem  Jahre  1773:  Herrn  Dr.  Hoeck  Jubel- 
musik.  2  Theile,  mit  Trompeten,  Pauken  und  Oboen. 

c.  aus  deinselben  Jahre:  Herrn  Syndicus  Klefecker 
Jubelmusik,  mit  Trompeten,  Pauken,  Hornern  und 
Oboen.  *  ~ 

,d.  aus  dem  Jahre  1780:    Oraiorium  zur   Feier   des 
Ehrenmahls  des  Berm  Biirger-Capitains,  mit  Trom- 
peten, Pauken,  Floten,  Oboen,  Hornern  und  Fagott. 
e.  aus  dem  Jahre  178S:    Ein  gleiohes  Oratorium  mit 

denselben  Instrumenten x). 

,      £  aus  dem  Jahre  1785:  Dankhymne  der  Freundschaft. 
Ein   Geburtstagsstuck,    mit   Trompeten,    Pauken, 
Hornern,  Oboen  und  1  Fagott. 
g.  aus   demselben   Jahre:    auf  die   Wiederkehr   des 

Herrn  Dr aus  dem  Bade,     4  Singstimmen, 

mit  gewohnlichen  Instrumenten. 

Ob  die  Partituren  dieser  Gelegenheitsarbeiten  noeh 
vorhanden,  event,  wohin  sie  gelangt  sind,  hat  sich  fur 
jetel  nicht  ermitteln  lassen.  Dass  die  Nachwelt  ihren 
otwaigen  Verlust  sehr  zu  beklagen  haben  mochte,  wiirde 
jedanfalls  als  zwdfolhaft  gelten  konnen.  Bach  war  als 
,  Gelegenheits-Gomponist  nicht 'eben  gross.  Bei  der  der 
Nachwelt  aufbewahrten  grossen  Anzahl  anderer  und  wertih- 
voller  Arbeiten  aus  derselben  Zeit,  welche  das  Urtheil 
ifeer  seine  Thatigkeit  in  Hamburg  hinreichend  feststellen, 
mSchte  man  voraussetzen,  dass,  welches  besondere  Interesse 


i)  Telemann  hatte  seiner  Zeit,  wie  er  in  seiner  Selbstbiographie 
(Ehrenpforte  S.  368)  angiebt,  mcbt  we^iger  als  16  adctar  Oratorien 
componirt. 


die  nahere  Kenntnissnahme  yon  jenen  Werken  haben 
mochte,  doch  das  Urtheil  ziber  B  ach's  Leistnngen  iinGfanzen 
wie  im  Eiiizeluen  dadurch  schwerlich  modlficirt  werden 
wurde. 

Der  geneigte  Leser?  der  den  umfangreichen  Betrach- 
tungen,  rait  denen  die  Tonwerke  Bach's  vorstehend  be- 
gleitet  worden  sind,  bis  hierher  gefolgt  ist?  wird  sich  aus 
denselben  uber  die  vielseitige  Thatigkeit,  den  Greist  und 
die  kiinstleriscjhe  Stellung,  die  dieser  ausgezeiclinete  Mann 
zu  seiner  Mitwelt  und  zn  den  Nachkommen  einzunehmen 
bernfen  gewesen  ist?  ein  Hnreichend  deutliches  Bild  ent- 
werfen  kdnnen.  Wenn  derselbe  in  dem  Eeichthum  und  in 
der  Tiefe  des  BchafFens  seinen  grosaen  V&ter  nicht  zu  er- 
reiciten  vermochte7  so  war  er  doch  der  Mehrzahl  der  iibrigen 
Tonsetzer  seiner  Zeit  weit  iiberlegen?  dabei  ein  Master 
von  Fleiss  und  geistvoll  liebenswurdiger  Behandlung  der 
Kunsl 


Gresajnmt-TIebersicht  aller  Compositionen. 

Emanuel  Bach  war  offenbar  ein  Mann,  in  dessen 
^usseren  Lebenseinrichtungen  grosse  Ordnang  und  Piinkt- 
lichkeit  vorherrschten.  Dies  ergiebt  sich  aus  der  Art  und 
Weise,  wie  er  fiber  seine  Arbeiten  fortwahrend  gewisser- 
inassen  Buch  und  Rechnung  gefuhrt?  ilmen  gewissenhaft 
Jahreszahl?  Namen  und  Ort  der  Entstehung  vorgesetzt 
Ijal  Bald  nach  seinem  Tode  konnte  ein  vollstandiger  und 
detaillirter  Katalog  seines  musikalischen?  wi^enschaftliciaii 
und  kiinstlerischen  Nachlasses  erscheinen?  welcher  den  Ibei 
,  Weitem  iiberwiegenden  Thei!  seiner  CoiUpoBitionen  von  der 
Iftibsten  Zeit  seiner  Kunstlerlaufbahn  an,  ak  vorhandan  nach- 
wies.  Wenn  ein  solcher  Naehweis,  die  Fruclit  und  Ernte 
eines  langen  und  reiehen  Lebens  schon  an  sich  ein  bedeu- 
tendes  Interesse  ^rregt,  nm  wie  viel  raehr  wird  dies  der  Fall 
sein?  wenn  man  in  ihm  den  w^eniiicrfi^  I^ittailfc  imd  ^^ 


—    92    — 

Haupt-Material  far  den  Gang  einer  so  merkwiirdigen 
Kunstler-Laufbahn  erkennen  muss. 

Wahrend  von  den  Werken  seines  grossen  Vaters  ein 
nicht  geringer  Theil  als  veiioren  gegangen  zu  betrachten 
1st,  wahrend  man  von  einer  grosson  Menge  anderer  Ar- 
beiten  desselben  weder  die  Zeit  noch  den  Ort  ihrer  Ent- 
stehung  kennt?  wahrend  daher  seine  Lebens-  und  kiinst- 
lerische  Entwickelung  nach  dieser  Seite  bin  selbst  der 
muhsamsten  Forschung  zahlreiclie  und  schwer  auszuful- 
lende  Liicken  ubrig  lasst,  liegt  hier  der  gesarnmte  kiinst- 
lerische  Inhalt  einer  mehr  als  fiinfzigjahrigen  Thatigkeit 
wohlgeordnet?  wie  ein  aufgeschlagenes  Buch  vor  dem  be- 
trachtenden  Blicke  aasgebreitet.  '  '  f-  ?i" 

Moge  man  daher  tiber  manche  der  naheren  Lebens- 
umstande  C.  Ph.  Emanuel's  wenig  nnterrichtet  sein  und 
mag  der  personliche  Antheil,  den  jeder  aufrichtige  Freund 
.grosser  und  edler  Naturen  so  gern  an  deren  Schicksalen 
und  Erlebnissen  nehmen  mochte?  hier  in  geringerem  Maasse 
Befriedigung  finden,  als  bei  den  grossen  Kiinstlern  einer 
spateren  Zeitperiode:  so  liegt  doch  Emanuel  Baches 
kiinstlerische  Entwicklung  in  einer  Klarheit  und  Abrundung 
vor,  wie  dies  nur  bei  wenigen  Tonkiinstlern  aus  der  alteren 
Zeit  der  Fall  ist. 

Sein  Nachlass-Katalog  weist  fast  alle  seine  Arbeiten 
in  systematischer  Ordnung  und  mit  der  Jahreszahl  ihres 
Ent^tehens  versehen  nach.  Was  in  sorgsainer  Besprechung 
bisher  dem  geneigten  Leser  vorubergefiihrt  ist;  findet  man, 
mit  sehr  wenigen  Ausnahmen?  dort  verzeichnet1).  Dieser 
Katalog  enthalt? 

I.   Die  Instrumental- Compositionen, 

a)  Clavier- Soli, 

b)  Concerte, 


i)  Verzeichniss  des  mnsikalischen  Nachlasses  des  verstorbenen 
Kapellmeisters  Carl  Philipp  Emanuel  Bach.  Hamburg,  gedruckt 
1790,  bei  G.  S.  Schreiber. 


c)  Trio's, 

d)  Sinfonien, 

e)  Sonaten, 

f)  Soli  fur  andere  Instruraente, 

g)  Quartetten, 

h)  Kleinere  Stucke. 

2.  Die  Sing-Compositfonen,  geordnet  in 
aa)  gedruckte  Stucke. 

bb)  ungedruckte  Stiicke. 

3.  Ve^ischte  Composltionen  jeder  Art 

Ausserdem  enthielt  Emanuel  Bach's  Nachlass  jene 
unscliatzbar  werthvolle  Sammlung  der  CJompositionen  seines 
Vatei-s7  welche  noch  jetzt  den  Kern  und  Mittelpunkt  der 
bekannten  Werke  dieses  grossen  Meisters  bildet?  ferner 
Compositionen  von  Wilhelm  Friedemann,  Johann 
Chris toph  Friedrlch,  von  dem  Londoner  und  von 
J.  Bernard  Bach;  endlich  das  sogenannte  altbachische 
ArcMv !). 

G-erber  giebt  an?  Emanuel  Bach  habe  vom  Jahre 
1731  bis  1787  folgende  Stucke  geschrieben*): 
210  CIavier-SoH? 
52  Concerte  mit  Orchester? 
47  Trios  fur  allerlei  Instrumente, 

18  Sinfonien, 

12  Sonaten  fur  Clavier  mit  Begleitung, 

19  Soli  fiir  andere  Instrumente? 
3  Quartetten  for  Clavier? 

1  Magnificat, 
22  Passions-Musiken, 

384 


Sebastian  Baefc.    Tk  L    S.  31. 
Gerber. 


384 

4  Oster- 

3  Michaelis-        Musiken, 

1  Weihnachts- 

9  Geistliche  Chore  mit  Instruinenten, 

5  Motetten, 
3  Oratorien, 

95  Lieder  und  Chorale. 


504  Stuck. 

Es  sei,  um  den  yorstehenden  Abschnitt  iiber  die  Cora- 
positionen  des  Jfoisterfc  thit*  feiner  Tk>H*t8#d5>gea  Uebersicht 
abzuschliessen  gestattet,  in  dem  Anhange  II.  alle,  sfcia^ 
bekannt  gewordenen  Arbeiten  nach  ihrer  chronologischen 
Polgeordnung  noch  einraal  zusainmenzustellen ;  und  so 
das  Gesamnitbild  seiner  Thatigkeit  als  Tonsetzer  in  einen 
grossen  Eahmen  zusammen  zu  fassen.  Der  Nachlass- 
Katalog  von  1790  bildet  dafiir  die  vorziiglichste  Grrund- 
lage?  ist  jedoch  durch  andere  ahnliche  Quellen^  z.  B.  ,den 
Hamburger  Katalog  liber  den  Verkauf  von  Biichern  und 
kostbaren  Werken  vom  4.  Marz  1805 ;  vervollstandigt 
worden.  Diese  Nachweisung  enthalt  ausser  den  weltlichen 
Liedern  und  einigen  den  Schluss  bezeichnenden  unbedeuten- 
deren  Compositionen  650  Nummern.  In  ihr  diirfte  ziemlich 
Alles,  was  Bach  gesetzt  hat,  seine  Stelle  gefunden  haben. 
Sie  wird  ein  Zeugniss  yon  seinem  Fleisse  und  seiner  Viel- 
seitigkeit  ablegeapt.  ,Der  Zahl  nach  fallen  yon  alien  seinen 
Arbeiten  auf  die  ersten  53  Jahre  seines  Lebens  etwa  3/s? 
auf  die  Zeit  in  Hamburg,  21  Jahre,  etwa  2/s- 


—    95    — 


Capitel  VI. 

Biographisches. 


Ueber  Emanuel  Bach's  LebensumstSnde,  wie  sie 
sich  in  Hamburg  festgesteilt  batten  ,  1st  man  etwas  menr 
unterrichtet,  als  iiber  die  in  Berlin,  wiewohl  auch  Her 
noch  der  meiste  Stoff  der  Betrachtung  aus  seinen  Arbeiten 
zu  schopfen  war. 

Man  weiss  von  ihm,  dass  er  mit  dem  Beginn  seiner 
amtlichen  Thatigkeit  dort  auch  angefangen  Bat,  Concerte 
in  bestimmten  Cyclen  zu  geben?  dass  er  in  diesen  mit 
Instrumentalsachen  seiner  Composition,  als  Clavierspieler 
und  mit  seinen  Oratorien  vor  das  Publikum  trat,  und  dass 
er  auf  diese  Weise  der  Kunst  in  einer  Stadt  Eingang  zu 
verschaffen  suchte,  in  der  jetzt  au&ser  ihm;  obwohl  sie 
lange  Zeit  nlndurch  reiche  Bluthen  fer  die  Musik  entfaltet 
hatte,  kein  einziger  Musiker  lebte?  ?7der  bemerkt  zu  werfen 
yerdiente1)."  Bach  selbst  sagte  zu  Burney;  ab  dleser 
ihn  in  Hamburg  besuchte2):  ??Funfzig  Jahre  frfiher; 
da  batten  Sie  kommen  sollen."  Um  so  bemerkens- 
werther  sind  seine  Bemiihungen  in  dieser  Eichtung?  wenn 
sie  auch  wohl  zum  Theil  aus  dem  Streben  hervorgegangen 
waren?  durch  solche  Concertcyclen  Geld  zu  Terdienen? 
dessen  Bach  bei  dem  theuren  Leben  in  Hamburg  und  bei 
seinem  immerhin  nur  massigen  Gehalte  wohl  bediirfen 
iWMiite.  Das  erste  dieser  Concerte  fknd  am  28.  April  1768s) 
im  DrfUhaujse  statt^  ??wobey  er  (Bach)  sich  tinter  rer- 


)  Briefe  eines  asfoterksa^eE  Eeisenden.    Th.  IL    S.  40, 
)  Bnrney.    Mus^.  Kw»    Th.  SL    a  181, 
)  Hamb. 


—    06    — 

schiedenen  Abwechselungen  von  Singstiicken  und  anderen 
musikalischen  Sachen  mit  Olavier-Concerten  wird  horen 
lassen.  Der  Anfang  wird  um  halb  sechs  Uhr  seyn.  Preis 
der  Billets  zwcy  Mark."  Mit  ?7Hoher  obrigkeitlicher 
Bewilligung"  fand  Bach's  zweites  und  ?;fur  diesmal 
letztes  Concert  zu  inehrerer  Bequemlichkeit  des  Publici 
in  dem  neuerbauten  Concertsaal  auf  dem  Karnp"  statt1), 
?,wobey  er  sich  abermals  unter  verschiedenen  Abwechse- 
lungen  von  rnusikalischen  Stiicken  auf  dem  Fliigel  wird 
horen  lassen.  Es  wird  bey  dieser  Gelegenheit  das  so  be- 
liebte  Singgedicht  des  beriihmten  Herrn  Professor  Ranamlerj 
die  Ino  genannt2)^  aufgefiihrt  warden." 

Nach  diesem;  wie  es  scheint;  giinstigen  Anfange  findet 
man  schon  ini  Herbst  desselben  Jahres  die  Ankiindigung 
zu  regelmassigen  Concert-Abenden3).  7?D6r  Herr  Kap.-M. 
Bach  wird  mit  hoher  obrigkeitlicher  Bewilligung  auf^Ver- 
langen  vieler  Musikliebhaber  diesen  Herbst  und  Winter 
alle  Montage  von  5  bis  8  Uhr  in  dem  neuen  Concertsaale 
auf  dem  Kamp  ein  pffentliches  Concert  halten,  wenn  er 
eine  hinlangliche  Anzahl  von  Subscribenten  bekommen 
kann.  Die  Zahl  der  Concerte  ist  auf  20,  der  Preis  der 
Subscription  auf  10  Thaler  Courant  festgesetzt.  Der  An- 
fang dieses  Concerts,  wenn  es  zu  Stande  kommt,  ist  den 
31.  October.  Nahere  Nachricht  von  der  Einrichtung  dieses 
Concerts  ist  bey  dem  Herrn  Bach  in  der  Bohmerstrasse  etc. 4) 
zu  haben."  Spaterhin  kommen  ahnliche  Ankiindigungen 
v<>r?  so  vom  Jahre  1769  noch  2  Concerte  am  14.  und 
21  December5).  7?wobey  jedesmal  ein  geistliches  Singstiiek 


1)  Hamb.  Unparth.  Corresp.    1768.    K  70. 

2)  Cantate  von  Job.  Chr.  Fried  rich  Bach,  dem  Biiekeburger, 
1786  im  Druck  erseliienen. 

3)  Hamb.  Unparth.  Corresp.    1768.    No.  155. 

4)  Baeh  wohnte  spater  in  der  Fuhlentwiet  im  Manardi'schen 
Hause. 

5)  Hamb,  Unpaitb.  Corresp.    1769,    No,  185. 


-    97    — 

aufgefiihrt  werden  wird,  und  er  sich  auf  dem  Flftgel  wird 
horen  lassen/* 

Diese  Concerte  scheinen  langere  Zeit  mit  Erfolg  vor- 
gehalten  zu  haben.  Docli  gab  der  alternde  Meister  sie 
spaterhin  auf.  ?;DIe  besten  und  frequentesten  Concert*- 
hatte  ehemals  der  grosse  Bach  und  nach  ihm  Herr  M, 
Ebeling  in  der  Handlungs-Akademie.  Aber  diese  sind 
aufgegeben,  indem  man  es  naehtheilig  fur  das  Institut  aus- 
legte,  dass  es  seine  Eleven  in  feiner  Gesellsehaft  und  mit 
guter  Musik  alle  Wochen  em  paar  Stunden  untertielt. 
Bach  giebt  sich  zur  Euhe  und  fuhrt  langst  keine  llusiken 
im  Concertsaal  mehr  auf1). 

Welche  Schwierigkeiten  im  Ganzen?  abgesehen  yon 
der  yorstehend  angedeuteten  materiell  spiessbttrgerlichen 
und  kleinkramerischen  Ansicht  die  Ooncert-Aufftihrungen 
in  Hamburg  fanden,  sagt  dieselbe  Correspondenz,  indem 
sie  fortfahrt:  ??Dazn  kommt,  dass  im  Sommer  Alles,  was 
beau  monde  heisst,  auf  den  Garten  lebt,  im  Winter  aber 
der  GIubs?  Assemble^  Lotterien,  Pickenicks,  Balk  und 
Sebmausereien  so  yiele  und  festgesetzte  sind?  dass  ein 
Concert  nur  mit  unsaglicher  Muhe  einige  freie  Stunden 
ausfindig  macht,  wo  es  sich  einschleichen  kann.  Am 
Sonntag  dtirfen  keine  sein,  das  ist  wider  die  Orthtfdoxie. 
Drei?  vierTage  sind  Posttage,  wo  kein  Kaufmann?  Commis 
oder  Handlungsbedienter  jemals  Zeit  hat,  an  Concerte  zu 
denken.  Die  tibrigen  Tage  sind  Coniodien;  also  bleibt 
nur  der  Bonnabend,  wo  Alles  sich  von  grossen  Schmause- 
reien,  Spielverlusten  und  Gesehaften  erholt.^ 

Bei  solchen  ausseren  Schwierigkeiten  mag  es  ihm  wohl 
miter  der  sich  mehr  und  mehr  geltend  machenden  Last  der 
Jahre  tiicht  auf  die  Dauer  behagt  haben,  fur  die  ktinstlerische 
Unterhaltung  des  Hamburger  Publikums  weiter  ^u  sorgen. 
In  seinen  hauslichen  Verhaltnissen  scheint  Zufrie- 
denheit  und  Ordnung  geherrscht  zu  haben.  Sein  Haus 

i)  Magazin  fur  Mosik.    Jahrg.  II.    1784    &  a 
Bitter,  Bmannel  HM  &m£&emxa&  Baefa.  U.  7  »*'t 


war  gastfrei  und  angenehm.     Es  sind  hieruber  Zeugnisse 
der    unzweideutigsten  Art    vorhanden.      Zuerst    das    von 
Burney,  in  dem  Bach's  Compositionon  ??ein  so  heftiges 
Verlangen   erzeugt  faatten,    ilni  zu  sehen   und   zu 
horen,"  dass  es  keiner  anderen  musikalischen  Versuchnng 
bedurft   habe,    ihn  nach   Hamburg    zu   locken1).      Bach 
empfing   ihn   ,?sehr  gutig,"   fiihrte  ihn   in  alien  Kirchen 
umher,  spielte  ihm  die  Orgel  vor,    liess  sich  vor  ihm  &< 
dem  Clavier  und  dem  Fliigel  horen7    und  lud  ihn  zu  sich 
in  sein  Haus  ein2).    77Sein  spasshafter  Ton  emfefernte 
gleich   alien   Zwang;    ohne   ihm   die  ^h$£p^,  a»uxd 
Ehrerbietung  zu  benehmen^   die  iii^a  s^me  f"V^^^§ 
schon     in     der    Entfernung     eingeftosst    hatten." 
?7Als  ich  nach  seinem  Hause  kam?  fand  ich  ihn   mit  drey 
oder   vier  wohlerzogenen  und  verniinftigen  Personen    von 
seinen  Freunden   (diase  waren  Doctor  Dnzer  und  dessen 
Frau?   beide  durch  mehrfache  Schriften  bekannt;  und  der 
Bruder  der  Letzteren,    ein  Herr  Ziegler)?    ausser  seiner 
Familie7  die  aus  Madame  Bach,  seinem  Sohn;  dem  Licen- 
tiaten,  und  seiner  Tochter  bestand.    Den  Augenblick?  den 
ich   in7s  Haus  trat;    fuhrte  er  mich  die  Treppe  hinauf  in 
ein  schemes  grosses  Musikziinmer ,    welches    mit  mehr  als 
hundert  und  fanfzig  Bildnissen  von  grossen  Tonkunstlern? 
theils  gemalt,  theils  in  Kupfer  gestochen,  ausgeziert  war. 
Ich  fand  darunter  yiele  ?nglander?  und  unter  andern  auch 
ein  Paar  Original -Gremalde  in  Oel  von  seinem  Vater  und 
Qrpssyater.    Nactdem  ieh  solche  besehen,  war  Herr  Bach 
so  verbindlich?    sich    an  sein  Silberrnann'sches  Clavier 
55u   setzen,   auf  welchem   er   drey   oder  vier   von   seinen 
besten  und  schwersten  Oompositionen  mit  Delicatesse?  mit 
der  Precision  und  mit  dem  Feuer  spielte,  wegen  welcher 
er   unter   seinen   Landsleuten   mit  Recht   so  beruhmt  ist, 
Wenn  er  in  langsamen  und  pathetischen  Satzen  eine  lange  * 


Musik.  Eeisen,    Th.  III.    S   187 
Ibid,    S,  212- 


—     39     — 

Note  auszudriieken  hat?  weiss  er  mit  grosser  Kunst  einen 
beweglichen  Ton  des  Schmerzes  und  der  Klagen  aus  sei- 
nern  Instrumente  zn  ziehen,  der  nur  auf  dem  Clavichord 
und  vielleicht  imr  ihm  moglich.  ist;  hervorzubringen." 

?jNach  der  Mahlzeit,  welclie  mit  Gesehmack  bereitet 
und  mit  heiterein  Vergniigen  verzehrt  wurde,  erhielt  ich's 
von  ihm?  dass  er  sich  abermals  an's  Clavier  setzte;  und  er 
spiel te?  ohne  dass  er  lange  dazwischen  aufhorte,  fast  bis 
um  11  Uhr  des  Abends.  Wahrend  dieser  Zeit  geiieth  er 
dergestalt  in  Feuer  und  wahre  Begeisterung?  dass  er  nicbt 
nur  spielte?  sondern  auch  die  Miene  einen  ausser  sich  Ent- 
zuckten  bekam.  Seine  Augen  stunden  unbeweglich,  seine 
Unterlippe  senkte  sich  nieder  und  seine  Seele  schien  sich 
um  ihren  Gefahrten  nicht  weiter  zu  bekummern?  als  nur, 
so  weit  er  ihr  zur  Befriedigung  ihrer  Leidenschaft  behulf- 
lich  war.  Er  sagte  hernach,  wenn  er  auf  diese  Weise 
ofter  in  Arbeit  gesetzt  wiirde,  so  wiirde  er  wieder  jung 
werden.  Er  ist  jetzt  59  Jahr  alt?  ist  eher  kurz  als  lang? 
hat  schwarze  Haare  und  Augen,  eine  briiunliehe  Gesichts- 
farbe?  eine  sehr  beseelte  Miene?  und  i^t  dabei  munter  und 
von  lebhaftem  G-emuth." 

Diese  schone  und  ausfuhrEehe  Erziihlung  seiner  Auf- 
nahme  im  Hause  Bach's  hat  Burney  offenbar  unter  dem 
befriedigenden  Eindruck  geschrieben?  welchen  eine  herzliche 
und  oflfne  Gastlichkeit  bietet  Sie  hat  den  Werth,  uns 
Baeh  in  seiner  Hausliehkeit  und  in  seiner  innersten  fiir 
<tie  Kunst  und  ihre  Sprache  gliihenden  Charakteristik  zu 
2seigen;  indem  sie  zugleich  den  Menschen  und  dessen  Um- 
gebung  mit  einigen  festen  Ziigen  klar  erkennbar  auf- 
zeichnet. 

Der  zweite  Zeuge,  der  sich  uber  Em,  Bach?s  persdn- 
liche  Liebenswiirdigkeit  ausgesprochen  hat,  iat  J.  Fr. 
Reichardt,  der?  wie  er  in*  Juai  1774  von  Hamburg  aus 
schreibt1),  7?Iange  sehon  vor  Begierde  gelwannt  hatte 


Briefe  eiaes  atjfeerks.  Eefeeadea,    Thu  H.    &  1 


~~  loo  — 

gross en  Bach  ganz  kennen  zu  lernen".  Er  erzahlt,  dass 
Ihn  Bach  ?7mit  der  allerfreundlichsten  Aufnahme  beehrl 
und  es  nicht  habe  dabei  bewenden  lassen,  so  oft  er  komme 
ihm  mit  unermudeter  Gefalligkeit  alle  Arten  von  Sachec 
seiner  Arbeit  (drei?  vier  und  auch  rnehr  Sonaten  aus  ver- 
schiedenen  Zeiten  seines  Alters)  vorzuspielen,  sondern  dass 
er  ihm  auch  helfe,  seinen  Aufenthalt  in  Hamburg  so  an- 
genehm  als  moglich  zu  inachen,  und  dieses  durch  die  beste 
Aufaahme  in  seinem  Hause  und  durch  die  angenehrnsten 
Spazierwege  nach  den  schonsten  Stellen  der  Stadt,"  Auch 
bestatigt  Reichardt?  dass  beim  Phantasiren  seine  ganze 
Seele  in  Arbeit  sei?  welches  die  yollige  Ruhe  und  —  fasi 
sollte  man  sagen?  Leblosigkeit  des  Korpers  anzeige. 
??Denn  die  Stellung  und  Geberde,  die  er  anninimt?  indem 
er  anfangt?  behalt  er  bei  stundenlangera  Phantasiren  unbe- 
weglich  bei." 

Beiden  Besuchern  schenkte  Bach  Composiiic^iren  von 
seiner  Hand,  und  an  Burney  noch  dazu  seliene  alte  Muslk- 
werke  *). 

Er  war  als  Mensch?  wie  Reichardt  spater  von  ihm 
schrieb2),  ??ein  heiterer;  witziger  Geselle;  seine  Lieblings- 
art  von  Witz;  die  aus  Wortspielen  bestand?  welche  Les- 
s ing  so  treffend Kizrnberger  nannte?  erklart  manche  Sonder- 


l)  Isdm  Ba<^t,^  E^i€feardt,eia  lixe«iDpiar  seiner  Cramer'- 
^e^ebrNb  er  die  Worte  der  Zueignnng, 
,  ia  "der  ito  eigeuen  hnmoristischen  Weise 
Fofgemcler  Art: 


*)  Musik,  Almanach.    1796, 


—    101    — 

barkeit  und  manehen  geschmackwidrigen  Zug  in  semen 
Werken."  Auch  andere  Zeitgenossen  bezeugen  von  ihm, 
ohne  die  beissenden  Zusiitze,  welche  dem  Enthusiasmus 
Reichar  tit's  voin  Jahre  1774  wenig  entsprechen?  class  er 
«7im  Umgange  ein  aiifgeweckter  muntrer  Mann  voll  Witss 
und  Laune.  heiter  und  frohlich  in  der  Gesellschaft  seiner 
Frexmde  gewesen  sei1)." 

;,Er  war  aucli  ausser  seiner  Kunst  ein  sehr  unter- 
richteter  und  gebildeter,  dabei  durchaus  ehrenhafter  und 
im  Handeln  consequenter  Mann.  Er  war  Klopstoek'^ 
Freund  —  sein  Hausfreund,  find  Klopstock  war  eigent- 
lich  kein  Musikliebhaber2)." 

Musste  schon  diese  iiberemstimmende  Schilderung  eines 
liebenswiirdigen,  heiteren,  in  sich  abgestimmten  Charakters8) 
dazu  beitragen?  den  Vorwurf  der  Gewinnsiichtigkeit, 
den  Reichardt  22  Jahre  nach  seinem  Besuche  bei  Bach 
und  2  Jahre  nach  dessen  Tode  gegen  ihn  veroffentlicht 
hat,  abzuschwachen :  so  muss  noch  dazu  bemerkt  werden, 
dass  Bach?  dem  sein  Vater  keine  Schatze  hatte  hinterlassen 


1)  Musik.  Real-Zeitung  (Speyer)  v.  1789.    S.  3. 

2)  Dialogen  fiber  Muslk  von  Rocblitz,  Allg.  Leipz.  Musik-Ztg. 
Jahrg.  25.    S.  90. 

3)  Von  dem  liebenswih'digen  Tnteresse,  das  Bach  noch  als  72jabri- 
ger  Greis  fiir  Freunde  und  Bekannte  bewahrte,  g-iebt  der  Brief  an 
nMonsieur  de  (Irotthus,  Seigneur  de  Gieddutz,  Mietau  par  Me'mel,** 
vom  4  Septeuiber  1786  Zeugniss,  den  No  hi  hi  seinen  Kiinstlerbriefen 
S,  71  veioifentlieht   und  den  wir  hier  folgen  lassen:   ,,Aller  Bester 
unter  den  Besten,  Theuerster  Gunner,  Ach,  wie  lange  haben  Sie  uns 
an  einem  langsanien  i'euer  braten  JfHsen!   leb  rechnete  wegen  Naeh- 
richten  anf  Hm.  v.  Lieber  «nd  den  Hrn.  v.  Miiller.  aber  vergebens. 
Die  Freude,  die  wir  durch  die  Nachricht  von  Ibnen  selbst  erhielteo, 
war  iinbeschreibbar.    Genug,  wir  alle  beten,  und  Gott  wird  Sie  ge- 
wiss  gesund  machen.    Bey  uns  1st  es  noch  immer  so,  wie  es  war; 
ein  bisgen  krank,  dann  wieder  gesund.    Von  dem  fernern  Befinden 
von  Ihnen,   der  gsadigen  Frau,   dem  jungen  Herrn  Baron  erwarten 
wir  alle  Tage  die  besten  Hachrichten,   Vermelden  Sie  unsere  Devotion, 
besonders  lebe  und  sterhe  ich  ganz  der  Ihrige  Baoh." 

In  weJchem  Verhaltniss  Bach  zu  diesem  Hrn.  r.  Grotthns  ge- 
stan*len,  ist  nicht  bekannt  Sein  Name  findet  sieh  1784  enter  «leB 
Abonnenten  des  IClopstoek'schen  Morgan - 


—    102    — 

konfien,  der  ein,  wie  es  seheint  behagliches  aber  aueh 
eben  so  geordnetes  und  massiges  Leben  gefuhrt  hat,  nach 
allem  was  man  von  ihm  weiss,  mit  daranf  angewiesen 
war,  von  dem  Ertrage  seiner  Arbeit  und  dem  Einkommen 
vom  Unterricht  seine  Familie  zu  ernahren  und  zwei  Sohnen 
eine  sorgfaltige  Erziehung  zu  Theil  werden  zu  lassen. 
Wohl  mag  es  da  fur  ihn  geboten  gewesen  sein,  das  Seinige, 
zumal  bei  dem  sehr  massigen  festen  Einkommen  das  er 
bezog,  zu  Rathe  zu  halten. 

Was  bei  Eeichardt  den  sehr  bernerkbaren  Umschlag 
in  seinen  Ansichten  aber  Em.  Bach  herbeigefiihrt  haben 
mag,  ist  schwer  zu  sagen.  Das  Einzige,  dessen  seiner  Zeit 
mit  bedauerndem  Missfallen  Erwahnung  geschehen  musste, 
war  das  5ffentliche  Ausgebot  der  Kupferplatten  liber  die 
Kunst  der  Fuge  zum  Verkauf  urn  jeden  Preis. 

Bass  Bach  bei  aller  Ordnung  und  guter  ^ti^erafi^l^P 
seine  Mittel  sehr  ztisammenhalten  musstef,  ^argiebt  sein  Brief 
to  Fork  el  vom  20.  Juni  1777  (Anhang  II.).  Dieser 
Ordiaitng  und  yernttnftigen  Sparsamkeit,  die  freillch  genialen 
Naturen  nicht  immer  eigen  ist,  mag  es  wo  hi  auch  zuzu- 
schreiben  gewesen  sein?  wenn  Kirnberger  am  27.  Aug.  1774 
ihm  ohne  Anfrage  und  Erlaubniss  eine  Odensammlung 
dediciren  wollte,  ,,weil  es  Ihn  kein  Geld  kostet". 
(Siehe  weiter  unten.) 

Reichardt  erzahlt  ebendort  auch1):  ??Mit  den  meisten 

en  Ktnstldni  hatte  er  es  gemein,  dass  er  ungerecht 
seine  N0>eiiiiHstIer  war.  Dies  ging  so  weit,  dass 
er  Meaner  wie  Gluck,  Haydn,  Schulz  u,  a.  fur  Kunstler 
VOH  geringer  Bedeutung  hielt." 

Auch  liber  diesen  erst  nach  Bach's  Tode  gegen  ifa^ 
eAobenen  Vorwurf  lasst  sich  nicht  rechten.  So  lange  Bact 
in  Berlin  war,  findet  man,  obschon  der  Streit  zwischen  den 
dortigen  Theoretikern,  insbesondere  Marpurg  tmd  Kirn- 
berger, eine  Zeit  lang  auf  hochster  Spitze  stand,  nirgends 


Mus.  Alman.  v. 


—    103    — 

Spur  yon  DLsharraoiue  zwischen  ihm  und  seinen  Kunst- 
genossen ;  iin  Gegentheil  bezeugen  die  zanlreiehen  Sammel- 
Werke  jener  und  spaterer  Zeit,  an  welchen  er  mlt  ihnen 
geineinschaftlich  arbeltete?  dass  er  mlt  alien  in  dem  besten 
Vernehrnen  geblieben  war.  Von  Mar  pur  g  und  dem  scmst 
sclrvver  uraganglichen  Kirnberger  lasst  sicli  dies  bestimmt 
nachweisen1):  Ob  er  fiber  G  luck  und  Sehulz,  die  fuglich 
nicht  neben  einander  genannt  werden  konnen,  geringer 
dachte,  als  dies  ihrern  Verdienst  nach  h&tte  der  Fall  sein 
sollen,  dariiber  ist  Authentisehes  nicht  bekannt.  Fur  ihn 
lag  der  Zweck  der  Musik  hauptsachlich  ??in  der  Aus- 
breitung  der  Religion  und  in  der  Beforderung  und 
Erbauung  unsterblicher  Seelen."  Moglich  ware  e« 
daher  wohl  gewesen,  dass  er  Gluek?  der  ja  Opern-Com- 
ponist  war?  eben  deshalb  nur  als  einen  Tonsetzer  zweiten 
Ranges  beurtheilt  hatte.  Doch  fCihrte  ihn  seine  eigne  Rich- 
tung  von  dessen  erhabenen  Balmen  so  weit  ab?  dass  man 


!)  Dies  wird  imter  Anderein  auch  der  folgende  Brief  bezeugen, 
dessen  Original  sicfa  in  der  Decker'schen  Verlagshandlung  befindet: 

,,Verehrtester  Freund.  Endlieh  bequemt  sich  der  Herr  Breitkopf 
ohne  viel  Erinnerung  die  Oden  zu  drucken;  ich  verniuthe,  dass,  wenn 
es  znsainmen  fertig  sein  wird,  sicfa  die  Schrift  mit  den  latainiscben 
Lettern  gut  ausnebmen;  es  ist  docht  zu  vermntlieD,  dass  211  dieser 
Michaelis-Messe  es  zur  Heransgabe  fertig  seyn  wird.  Heute  vonnittag 
noch  oder  langstens  bis  2  Uhr  nach  Tisch  werde  ich  die  Korektnr  zur 
Absenduog  nach  Leipzig  Ihnen  korigirt  iiberschicken.  Eine  Frage 
babe  ieh  zu  thnn,  ob  ich  zum  Titelblatte  eine  Zeil  Noten  statt  einer 
Vignette  noch  beifiigen  darf,  da  ohne  dem  leerer  Eaum  genug  wegen 
des  kiirzen  Titels  iibrig  ist;  diese  Noten  sind  eine  Anspielung  iiber 
deln  Hahmen  Bach,  wtjil  ich  ein  Exemplar  gleichsam  als  Dedication 
an  den  Hamburger  Hr.  Bach  iibersehieken  will  Ohne  Aufrage  wi 
Seise  Erlaubmiss  weiss  icfa,  dass  ieh  es  thun  darf,  weil  es  Ibn  hota 
Geld  kostet 

Mein  lieber  Herr  Kunz,  ich  bitte  Sie  reeht  sehr  Ms  diesen  kom- 
nienden  ersten  September  mir  5  Rthlr.  vdrzaeehiessen,  auf  den  er- 
wahnten  L  kiinHiges  Monaths  vorniittag  noeh  is^rde  ich  Ihne®  die 
5  Ethlr.  mit  dem  verbindlichsten  Bank  wieder  iib«rsenden. 

meine  groase  Empfehlung  bitte  ieh  an  Herrn  Deckem 
t 

den  27,  August  1774 


—    104    — 

glauben  mochte,   hier   habe  eifersiichtige  Verkleinerungs- 
sucht  auf  seiner  Seite  keine  Statte  finden  konnen. 

Was  Schulz  betrifft,  so  weiss  rnan;  dass  Bach  sich 
in  seiner  Jugend  fur  ihn  interessirt  und  ihn  aufgemuntert 
hatte,  die  Griindlichkeit  des  Satzes  und  der  Harraonie  niit 
der  Gefalligkeit  der  Melodie  zu  verbinden.  Auch  findet 
man  seinen  Nainen  unter  den  Pranumeranten  zu  Schulz1^ 
religiosen  Liedem,  ?7eine  Ehre;  die  der  grosse  Mann  wanr- 
scheinlicli  keinem  zweiten  Tonsetzer  mehr  erwiesen  hat1)." 
Schulz  selbst  erzahlt2):  77Ich  ward  nun  dreist  genug,  in 
meinem  14.  Jahre  (1763)  heinilich  an  Bach  nach  Berlin  zu 
schreiben,  und  ihn  urn  die  Aftwendung  und  Ausnahmen  ge- 
wisser  musikalischer  Lehrsatze  zu  befragen}  woniber  ich 
von  Schmiigel  (seinem  damaligen  Lehrer)  nach  meiner 
Meinung  keine  befriedigende  Auskunft  erhalten  hatte.  Die 
herablassende,  giitige  und  precise  Auskunft  dieses  gros®fe$$ 
Mannes  bracbte  mich  vor  Freuden  ausser  mir"  etc.  Ferner 
sag*  Schnlz:  ??Da  ich  bei  Graun  (1765)  keinen  Unter- 
richt  haben  konnte;  ging  ich  nicht  wieder  zu  ihm,  sondern 
bearbeitete  ein  fugirtes  Trio  ffir  2  Violinen  und  Bass?  und 
ging  damit  grade  zu  Bach.  Dieser  grosse  Mann  gab  sich 
die  Miihe?  die  Partitur  mit  Aufinerksamkeit  durchzusehen 
und  mich  dabei  genau  zu  examiniren.  Die  Folge  day  on 
war,  dass  ich  auf  seine  Einpfehlung  in  Kirnberger's 
Unterricht  kam." 

,  Schulz  hat  seine  Selbst-Biographie  in  spateren  Jahren 
a^fgesetet.  Kliogt  dies  BUB  wohl  danach?  als  ob  Bach, 
dler  inzwischen  langst  verstorben  war?  gegen  ihn  unfreund- 
liche  Gesinnungen  gehegt  oder  gezeigt  habe?  Dass  Schulz 
nicht  uberall  so  hoch  geschatzt  wurde;  als  er  es  verdient 
hat,  war  in  jedem  Falle  nieht  die  Schuld  Em.  Bach's. 

Sein  Verhaltniss  zu  J.  Haydn  ist  dagegen  vollig  klar. 
Ebenso  unbegrtindet,  wie  der  ihm  in  dieser  Beziehung  ge- 


i  Allg.  Leipa.  Mug.-Z.  Jafar^.  28.  Sf  279.  a). 
v.  Le  debar,  Berliner  Tonkiinstler-Lexicon.  S.  229,  30, 


—    105    — 

maehte  Vorwurf,  mag  auch  die  Behauptung  der  Ungereeh- 
tigkeit  gegen  andere  Tonsetzer  gewesen  sein. 

Der  2.  Jahrgang  des  Magazins  fiir  Musik  (1784  S.  588) 
hatte  namlich  au«  dem  zu  London  ersehienonen  European 
Magazine  die  Uebersetzung  eines  Artikels  tiber  Haydn 
gebracht,  in  welcheni  folgende  Stelle  vorkani:  77Unter  der 
Zahl  von  Kunstlern,  die  gegen  unsern  sich  erhebenden 
Verfasser  ( J.  fl  ay  d  n)  sehrieben,  befand  sich  C.Ph.  E  m.  Ba  cli 
in  Hamburg  (ehedeni  in  Berlin);  allein  die  einzige  Ahn- 
dung>  die  sich  Haydn  gegen  dessen  Hohnneckerelen  er- 
laubte?  war  die:  iiaubikalische  Lectionen  bekannt  zu 
machen  zur  Naehabmung  der  verschiedencn  8cbreibarten 
seiner  Feinde?  in  denen  er  ibre  tionderbarkeiten  so  gen  an 
copirte?  und  ibre  fremden  Passagen?  besonders  des  Ham- 
burgLsehen  Bach\s  seine,  durcli  Nachaffung  burleskirte, 
dass  sie  alle  da^  stechende  seiner  "Witze^  iuhlten,  der  Wabr- 
heit  die  Ebre  gaben  und  zum  Stillsehweigen  gebraebt 
wurden.  Diese  Anekdjote  wird  Au&cliliiBs  iiber  eiue  Anzahl 
seltsaioer  Passagen  geben,  welcbe  hie  und  da  durcb  ver- 
schiedene  Sonaten  verstreut  sind.  Unter  anderen  befinden 
sicE  solehe  in  der  6.  Senate  fur  Pianoforte  oder  Flugel, 
Op.  13  u.  147  die  ausdriicklieli  eomponirt  sind?  uni  den  Ham- 
burger Bach  lacherlich  zu  machen.  Niemand  kann  den 

2,  Theil  der  2.  Sonate  in  Op.  13  durchspielen?  nocb  die  ganze 

3.  Sonate  in  demselben  Werk,  und  dabei  glauben,  Hajdn 
babe  im  Ernst  aus  eigneia  natiirlichem  Genie  so  geschrieben, 
seine  keuschen  und  originalen   Gedanken   so  dem  Papier 
anvertraut.     Vielmehr:   Bacli's  Styl  ist  darin  naehcopirt. 
Diese  Passagen,  in  denen  jene  grillenbafte  Manier,  tolle 
Sprlinge?  narrische  Modulationen  und  sebr  ottmals  kindische 
Wendungen7  verbunden  mit  Affectation  einer  tiefen  Wisaen- 
sehaft7  «ehr  fein  durchgebecbelt  sind,  mii&sten  denn  eitwa 
gar  aus  ibm  gestolilen  sein." 

Man  siebt?  der  Angriff  war  pltimp  genug.     Bs  wiircfe 
eben  nicbt  sebr  zu  Haydn's  Ehre  gereioht  hab€ai? 
er  auf  diese  Weise  dea  Mann  Mtta 


—    106    — 

dem  er  iiberall  laut  und  offen  erklart  hatte?  alles  gel  era  t 
zu  haben  was  er  wisse1).  Inzwischen  war  Haydn  ein 
harmloser,  wohlwollender ,  alien  Intriguen  und  Personlich- 
keiten  fernstehender  Mann,  ,,der  nie  andre  Tonkiinst- 
ler  tadelte*'2).  ??]S[ieinand  war  geneigter  als  er?  fremden 
Verdiensten  Gerechtigkeit  wiederfahren  zu  lassen3).  In  sei- 
nen  Tonstiicken  zeigte  sicli  oft  Laune  und  Schalkheit? 
immer  afeer  in  ein  em "  liebenswfirdigen  Gewande.  Seine 
Allegros  iind  Rondos;  in  denen  er  oft  neckende  imd  frap- 
pirende  Motive  vorbrachte?  waren  veil  von  jenem  feineri 
Humor,  den  Em.  Bach  der  Musik  zuganglich  gemacht 
hatte.  Oft  genug  giebt  sleh  in  diesen  die  JSchnle  und  das 
Stndium  des  alten  Meisters  zu  erkennen.  Bo  mag  es  mit 
den  Sonaten  gewesen  sein,  durch  die  er  diesen  lacherlieli 
za  machen  die  Absicht  gehabt  haben  soil. 

Bach  aber  war  seinerseits  nicht  entfernt  der  Man&? 
der  in  offentKohen  Blattern  die  Eolle  eines  kritischen  Be- 
nrfkeikrs  spieite.  Hahmisches  Wesea  lag  seinem  Charakter 
fem.  HEtte  er  zur  Kritik  auch  Lust  und  Neigung 
so  wtirde  es  ihm  vrohl  an  Zeit  dazu  gefehlt  liabec. 
war  er?  obgleich  der  Feder  gewachsen  und  ein 
Mann  von  feingebildetem  Qeiste,  doch  nicht  eigentlich  in 
den  literarischen  Fornien  bewandert.  Nur  eimnal,  aus  dem 
letzten  Jahre  seines  Lebens,  findet  sich  eine  Kritik  vor,  die 
offenbar  freandschaftlieiienZwecken  zu  dienen  bestimmt  war. 
ti  lichen  Arbeiten  Lust  in  sich  verspiirt,  wohl 
semer  2Jeit  Bef lia  der  reeiite  Ort  dafar  gewesen^  und 
4i8  Felgen  wiirden  4ann  auch  nicht  ausgeblieben  sein. 

Dass  Bach  grade  liber  Haydn  anders  dashte,  hat  er 
mit  Eticksicht  auf  den  mitgetheilten  pamphletartigen  Ai*- 
tikel  authentisch  erklart*): 

?JHamburg.   In  der  neulichen  Anzeige  des  Cramer5- 


!}  Griesinger,  Biogr.  Notizen  ubcr  Haydn.    S.  10$. 

2)  Dies,  desgL    S.  210. 

3)  Griesinger,  a.  a.  0.    S.  103. 

4)  Hamb.  Unparth.  Corr@sp.    1786.    Ho.  150. 


—    107    — 

schen  Magazine  der  Musik  erw£hnten  wir  eines  Sudlers? 
der  in  das  zu  London  herausgekommene  European  Maga- 
zine ein  Denkmal  seiner  Ignoranz  nnd  Bosheit,  betreffend 
Bach  und  Haydn,  hat  einriicken  lassen.  Hier  folgt  die 
eigene  Brklarung  unseres  wiirdigen  Herrn  Kapellmeisters 
selbst  daruber. 

?7Meine  Denkungsart  und  Gesehiifte  haben  mir 
nie  erlaubtj  wider  jemanden  zu  schreiben:  um  so  viel 
raehr  erstaune  ich  fiber  eine  kurzlieh  in  England  in 
The  European  Magazine  eingertickte  Stelle,  worin  ich 
auf  eine  lUgenhafte,  grobe  und  schmaheiide  Art  be- 
schuldigt  werde,  wider  den  braven  Herrn  Haydn  ge- 
schrieben  zu  haben.  Nach  meinen  Naehricliten  von 
Wien?  und  selbst  von  Personen  aus  der  Esterhazi- 
schen  KapeUe,  welche  zu  mir  gekonimen  sind,  muss 
ich  glauben;  dass  die&er  wurdige  Mami;  dessen  Arbeiten 
mir  noch  immer  sehr  viel  Vergniigen  niachen?  eben 
so  gewiss  mem  Freund  sei;  wie  ich  der  seinige.  Nach 
ineineni  Grundsatze  hat  jeder  Meister  seinen  wahren 
bestimmten  Werth.  Lob  und  Tadel  konnen  hierin 
nichis  iindern.  Bios  das  Werk  lobt  und  tadelt  am 
besten  den  Meister,  und  ich  lasae  daher  jederman  in 
seinem  Werth. 

Hamburgj  den  14.  Sept.  1783. 

(J.  Ph.  E.  Bach." 

Wenn  hier  der  71jjihrige  Greis  unter  Zuriickweisung 
jener  Anschuldigungen  mit  Bestimmtheit  ausspricht,  ??dass 
der  brave  Haydn,  dieser  wurdige  Mann,  wie  er 
glaube?  ebensowohl  sein  Freund  sei?  wie  er  der  seinige," 
so  wird  m  wohl  auch  mit  der  allgerueinen  Anschuldigung 
Reichardt's  nicht  viel  mehr  aufsich  gehabt  haben,  selbst 
wenn  Bach7  was  ihm  jeclenfalls  zustand,  eine.s  oder  das 
andere  Tonstlick  seiner  Zoitgenossen  weniger  gtostig  b©- 
urtheilt  haben  sollte.,  als  man  es  verlangt  oder  erwaft^t 
hatte.  Es  findet  sidh  airgends  eibe  Spur  davon,  dass  er 
mit  irgend  einem  sein€r  Zei%ep^peii  IB  Streit 


t-   168    — 

sei  odor  in  Unfrieden  und  Feindschaft  gelebt  babe.  Wohl 
aber  weiss  man,  dass  er  zu  vielen  derselben  in  den  freund- 
schaftlichsten  Beziehimgen  gestanden  hat.  Wie  herzlich 
sein  Verhaltniss  zu  deni  35  Jahre  jiingeren  Fork  el  war 
(von  Faschj  Marpurg,  Kirnberger,  Klopstock  u.  A. 
zn  schweigen)?  ergiebt  sich  aus  der  niit  ihra  gefiihrten 
Correspondenz  zur  Geniige.  Hier  haben  offenbar  nur  auf- 
richtige  Gegenseitigkeit  und  Freundschaft,  nicht  Eigennutz 
die  Feder  gefuhrt. 

Ueber  die  Art,  wie  er  iiber  den  ihm  deni  aussereu 
Lebensgange  nach  feriustehenden  Handel  geurtheilt  habe? 
findet  sich  nirgend^  die  leiseste  Andeutung.  Kann  dies 
als  ein  Zeichen  von  CTeringrfchatzung  betrachtet  werden? 
Mit  Hasse  stand  er  in  freundschaftlichein  Briefwechsel. 
Er  konnte  nnter  Umstanden  iiber  die  Arbeiten\  seiner  Zeit- 
genossen  allerdings  ein  bestimmtes  Crtheil  haben?  wie  der 
nachfolgende  Brief  an  Decker  beweist1): 

?'?Hochedelgeborner?  flochgeehrtester  Herr;  fur  Dero 
sehr  angenehmes  Prasent  danke  ich  Ihnen  ganz  ergebenst 
und  ich  werde  mir  ein  besonderes  Vergniigen  daraus 
machen?  dieses  respectable  imd  vortreffliche  Werk?  so  viel 
wie  moglich;  zu  recommandiren.  Hatteu  Ew.  Hochedelgeb. 
gleich  anfangs  mich  wegen  dieser  Sarnmlung  nm  Rath 
gefragt,  so  wiirde  ich  es  Ihnen  widerrathen  haben.  Er> 
mt  ein  Werk  fiir  Eenner  und  Lehrbegierige;  diese  haben 
20  Tbh.  an  ein  W^k  201  wenden.  Die  Noten- 
ab^B  sicfe  bis  bierher  bejnahe  krumin  und  labin 
aaa  diesen  Saehen  geschrieben.  Es  ist  ein  Werk 
des  Greschmackes ;  wie  oft  verandert  sich  dieser  in  der 
Mnsik?  wie  verderbt  ist  er  nicht  schon  jetzt!  Alles  muss 
narrkch  and  koiniseh  seyn.  Graun  und  Hasse  sind 
nicht  mehr  mode,  so  spricht  der  Unverstand  um  Sie,  da 
die  Worte  italienisch?  *so  kann  answarts  etwas  debitirt 
werden.  Auch  hier  ist  nichts  zu  thuii.  Icli  beharre  mit 

l)  Orig.  im  Archive  der  Deeker'sehen  VerlagshandJung. 


—    109    — 

den    besten   Wiinschen    und    vollkommener   Hochachtung 
Ew.  Hochedelgeb.  ergebenster  Diener  Bach/' 

Hamburg,  den  29.  Nov.  1774 

So  darf  bis  auf  weiteren  Nachweis  wohl  angenom- 
men  werden,  dass  jene  ungiinstigen  Charakterztige,  die 
Reichardt  iiber  den  von  Ihni  einst  so  iiochverehrten 
Todten  drucken  liess.  ihm  in  Wahrheit  nicht  eigen  ge- 
wesen  waren. 

Alles,  was  sonst  von  ihm  bekannt  geworden,  vereinigt 
sieh,  Emanuel  Bach  als  eine  durchaus  ehrenwerthe, 
liebenswiirdige,  heitere,  der  Kunst  ergebene  und  der 
Freundschaft  ofFene  Natur  darzustellen. 

Nur  einmal  ist  er  mit  einer  kritischen  Besprechung 
von  Arbeiten  seiner  Zeitgenossen  vor  die  Oeffentliehkeit 
getreten.  Es  war  dies  im  Jahre  1788?  seineni  letzten 
Lebensjahre,  bei  Gelegenheit  des  Erseheinens  des  ersten 
Bandes  von  Forkel's  Allgemeiner  Geschichte  der 
Musik  (bei  Schwickert  in  Leipzig).  Porkel?  obwohl 
bedeutend  j anger ,  war  mit  ihni?  sowie  mit  seineni  Bruder 
Friedemann  auf  das  innigste  befreundet?  ein  tiefer  und 
aufrichtiger  Verehrer  Sebastian  Bach's,  und  ein  Mann? 
dem  Einanuel  in  Bezug  auf  den  Vertrieb  seiner  Werke 
vielen  Dank  schuldete.  Dies  niag  den  greisen  Kiinstler 
bewogen  haben,  mit  der  vor  Alter  zitternden  Hand  zur 
Feder  zti  greifen  und  das  Werk  seines  Freundes  mit 
einigen  warm  enipfehlenden  Worten«in  die  Oeifentlichkeit 
einzuftihren. 

^Endlich  erscheint  hier  der  erste  Theil  der  von  alien  Freuaden 
der  Tonkunst  so  sebr  erwarteten  GescMchte  der  Musik  des  Heirft 
Doctor  Fork  el,  der  mit  so  viel  Einsiebt,  Fleiss  uud  Belesenheit  aas- 
gearbeitet  ist,  dass  nicht  nur  jeder  Mnsikliebhaber,  sondern  auch 
feder  Freund  von  Aufklanrag  in  dfen  menschlichen  Kenntnissen  dieses* 
"Werk  mit  dem  grossten  Yergniigen  lesen,  und  die  FortsetztiBg  mit 
Ungedold  erwarten  wird,  Es  ist  in  diesem  ersten  Theile  die  ®e- 
schichte  der  Staik  bei  den  Egyptiern,  Hebriiera,  Griechen  nnd  K§- 
mern  abgehand^It  Elue  vorhergehende  Einleitung  enthalt  amf  $8 


)  Hamb.  Unpaid.  Obtr.  1788.    H&  6  voui  9,  Januar. 


dime  fcurze  Hetaphysik  der  Itonkunst,  wodureh  der  Herr  Doctor 
Fork  el  seine  Lescr  erst  mit  der  inneren  Natur  und  mit  der  all- 
mahligen  Erweiterung  seiner  Kunst  bekannt  macben  will,  ehe  er  sie 
zur  Geschichte  deiselben  bei  veiscbiedenen  Volkern  ffihrt.  Die  Bil- 
dung  und  Zusammensetzung  der  musikalischen  Ausdriicke  1st  darinn 
mit  der  Bildung1  nud  Zusarnmensetzung  der  Sprachausdrucke  ver- 
glichen.  Man  hat  die  Musik  schon  lange  eine  Spraehe  der  Empfin- 
dung  genannt,  folglich  die  in  der  Zusammensetzung  ihrer  tmd  der  Zu- 
sammensetzung  der  Sprachausdrucke  liegende  Aehnlichkeit  dunkel 
gefuhlt^  aber  noeh  niemand  hat  sie,  so  viel  Kecensent  bewusst  ist,  so 
deutlich  entwiekelt  und  fiir  die  Theorie  der  Kunst  naclt  ibrem  ganzen 
Umfange  so  wichtige  Folgen  daraus  hergeleitet,  als  der  Herr  Ver- 
fasaer  in  dieser  Einleltung  tlint  Unter  mehrern  mag  nrfr  der  eimzige 
ans  dieser  Yergleiehung  entspringende  Beweis  von  der  Nothwendig- 
keit  der  Harmonie  angefiibrt  werden,  die  selbst  von  unsern  besten 
Aesthetikern  so  oft  bezweifelt  und  sogar  bestritten  wurde,  und  die 
sicli  nach  der  hier  gegebenen  Erklarnng  1)  anf  die  Vermehmng, 
2)  auf  die  genauere  Bestimmtiieit  der  mnsikaJischen  Aus&ritcke  griin- 
det,  folglich  in  einer  Musik,  die  als  eine  wirklieh  aneinanctet  j] 
Spraehe  zu  unsern  Empfindungen  reden  soli,  unentbelbrllch 
weitem  nicht  die  gothische  itnd  barbariscfle  Erfedung^r 

isct,  for  weleh«  sie  YOB  Fh^oso§)fa}en  Qfene  Kunstkenntniss, 
a3>er  von  ^toi  bewhnaten  J.  J.  Rousseau  so  3aut  er- 
klirt  worden  isi    $ocli  manche  ganz  neue  Gesichtspunkte,  zu  deren 
aber  dc^r  Rate  hier  mangelt,  werden  sachkundige  Leser 

selW  i>emerkeii,  und  sich  dadureh  diese  Einleitung,  der  eigent- 
Ilclien  Absicht  des  Yerfassers  gemass:  zu  einem  "Wegweiser  machen 
konnen,  die  Stufe»  der  Yollkoinmenheit,  worauf  nach  der  folgenden 
Geschichtserzahlung  die  Musik  bei  verschiedenen  Yolkern  des  Alter- 
thums  gestanden  hat,  wenigstens  so  richtig  und  sicher,  als  bei  solchen 
QegeifitiWen  moglich  ist,  daxnach  zu  bestininien.  Der  iibrige  Inh^it 
fieses  Werkes  ist  zu  reichhaltig;  urn  hier  ganz  angezeigt  werden  zu 
Es  wird  daher  genug  sein,  nur  noch  einige  Endurtheile  an- 


hilt  <fer  Herr  Doctor  Fork  el  die  Musik  alte  dec 
lefeeii  in  jfe®ejn  Baat^e  gei^edet  wird,  selbst  die  der 
gaaz  aB^en©w»^n,  naehr  fiir  Yolkssache  und  fiir  sahr 
dSrflagen  Ausdriek  der  IB  den  reeitirten  oder  gesangenen  Gediehten 
Empfindungen,  als  fur  eigeniJiche  Kunst  nach  unsern  Be- 
Ohce  Harmonie,  die  kemeai  alten  Yolke  bekaunt  war,  koimte 
sie  uMQoglich  aus  eigenen  Kraften  wirken,  sondern  mu^tte  sjbeh  eben 
aus  Mangel  eigener  zusammenhangender  Aiisdrucke  am  Po^gfie, 
Tanz  u.  a.  w,  so  fest  anschmiegen,  dass  sie  uns  i&st  stets  nw:  in 
dieser  Gesellschafi;  erscheint  Die  so  haufig  geriihmten  Wirkungen 
der  alten  Musik  liegen  daher  auf  keine  Weise  in  der  innern  Be- 
schaffenheit  derselben,  sondern  sind  nach  aller  verniinftigen  Wahr- 


—  Ill  — 

enfrweder  fur  Fabeln  zu  erklaren,  oder  der  Mitwirknng 
der  Poesie  und  anderer  Nebenmnstande  zuzuschreiben.  Die  neuere 
Musik  that  nicht  nur  iihnMche  Wirkungen  ganz  aus  eigenen  Kraften, 
sondern  wiirde  ihrer  unlaugbaren  gr&ssern  Yollkoinmenheit  wegen 
noch  weit  wzcbtigere  tliun  konne®,  wenn  es  den  neuern  Gesetzgefoern 
gefallen  hatte,  die  offentliche  Anwendung  derselben  einer  weisen  Auf- 
sicbt  zu  unterwerfen  und  dadurch  ihren  Einfiuss  nicht  bloss  auf  leere 
Ergotzlicbkeit,  sondern  anf  die  Bildtmg  des  sittlichen  Charakters  ibrer 
Usterth^Ben  zu  leiteu.  Bloss  dieser  Vernadblassigring  ist  es  zuzu- 
sclireiben,  dass  sie  in  den  neuern  Zeitei,  ibrer  Vollkommenlieit  un- 
geacntet,  doch  ihre  wohlthatigen  Wirkuiigen  nicbt  allgemein  rer- 
breiten  kann,  sondera  sicli  begniigen  mass,  nur  das  Gliick  imd  Ver- 
einzelner  Menschen  zn  )>ef8rdern.  Die  Beweise  dieser  mud 
Meinungen  miissen  sicb  die  Leser  ira  Werke  selbst  aif- 
suchen,  wo  sie  an  ihren  Orten  ausfiibrlich  angezeigt  sind. 

Carl  Philipp  Emanuel  Bach". 


Segen  kritische  Aeusserungen  scheint  Bacb 
lich  gewe&en  zn  selu.  Es  fehlt  nicht  an 
dass?  so  hoch  die  Beurtheilung  der  Zeitgenossen  ilm  m 
Allgeiiieiuan  erlnob;  er  doch  auch  scharfem  Tadel  uuter- 
zogen  wiirde.  Was  Ihm  vorgeworfen  wurde,  ist  znmeist 
in  dem  mitgetheilten  Anfsatze  aus  dein  European  Magazine 
zusammengeleseix  Von  Burney  erfahi^t  man?  dass  seine 
Klavierstiicke  zu  lang?  ron  Reichardt?  dass  sie  zu  sehwer 
gef  unden  wurden,  Vorwiirfe?  die  Bach  jetziger  Auffassung 
nieht  rnefar  gerechtfertigt  ersscheinen. 

Er  selbst  benutzt  die  Gelegenhelt  ztir  Abfassung  seiner 
biographischen  Lebensskizze  zu  folgenden  Bemerkimgen  : 
?,Bey  dieser  Gelegenheit  muss  ich  anfiilaren,  dass  die  Herrn 
Kritiker,  wenn  sie  auch  ohne  Passionen,  wie  es  doch  selten 
gescliiehtj  schreiben,  sehr  oft  rait  den  Kompositionen?  welche 
sie  recensiren?  zu  unbarmherzig  umgehen?  weil  sie  die 
Umstiade?  Vorsehriften  und  Veranlassungen  der  Stildbe 
nicht  kennen.  Wie  gar  selten  trifft  man-  bey  einem  Kritiker 
Efcpfindiiiigj  Wissensehaft,  Ehrlichkeit  und  Muth 
in  gdborigem  Grade  an.  Vier  E%enschaften?  die  in 
langlldbem  Maasse  bei  jedem  Kritiker  schlechterdings 
faanden  sein  mii^sen.  Es  ist  daher  sebr  traurig*  fe 
Reich  der  Musik  7  dass  die  sonst  sehr  niitzliche  Baitik 


~~    112    — 

eine  Besehaftigung  soldier  Kopfe  ist,   die  nicht  mit  alien 
diesen  Eigenschaften  begabt  sind."J) 

Das  letzte  wird  man  fuglich  zugeben  kdnnen,    ohne 
deshalb  iiber   die  schlechte  Kritik,    die  iramer   den  weit 
iiberwiegenden  Antheil  an  der  Beurtheilimg  aller  Kiinste 
haben  wird,    so  bedenkliche  Ansichten  hegen  zu  diirfen. 
Es  ist  dies  em  Uebel,  das  man  ebenso  init  in  den  Kauf 
nehmen  muss  als  das  Anhoren  schlecliter  Mnsik  oder  das 
Reisen  durch  ode   und  flache  Gegenden.     Dagegen  muss 
doch  bemerkt  werden,  dass  der  Kritiker  auf  ,,Umstande, 
Vorschriften  und  Veranlassungen"  bei  der  Beurthei- 
kng  von  Kunstwerken   in  der  That  keine  Riicksicht  m 
nehmen   hat,    und  dass  Bach,    indem  er   dies  verlangte, 
jedenfalls  im  Unrecht  gewesen  ist.    Wie  er   sahr  rtehtig 
sagte:   Bios  das  Werk   lobt   und   tad^lt 
Meister,  so  hatte  er  auch  alle  Veranlasgti^g«jgel^fef 
zusetzen,   dass  die   baste  Entik   durch  Berucksiehtigung 
«er  Umst^nde,  Vor^hriftem  tol  Veranlassungen  ein  mittel- 
misB^a  Krastwerk  nicht  bet«?   die  schlechteste  Kritik 
ein  wirklich  gutes  Werk  nicht  herabsetzen  konne2). 

Bach  hatte  3  Kinder,  eine  Tochter  und  zwei  Sohne. 
Von  diesen  war  der  alteste,  Johann  August  am  30.  No- 
vember 1745  zu  Berlin  geboren.  Er  war  Licentiatus  juris 


i)  Zelter  sagt  itierfiber  in 


. 

durel  a^tasnte  Elasto  lielra:  seyc  als  ibre 
wenigstens  ihm  mete  mefir  helfen  konnte. 

So  hatte  Marpurg   Bach's  zweistimmlge   Fuge  aus   D-moll 
sebarf  kritisirt.     Barauf  sagte  Bach   zn   einein  seiner  ehemaligen 


MSchade,  schade!  Warum  hat  Marpurg  seine  scbone  Kritik  nicht 
eber  gemacht,  als  ieh  meine  Fuge?  Nun  weiss  ich  auch  was  ihr  feblt 
Wenn  ich  lebe,  denke  ich  iK)cb  manche  Fuge  zu  machen,  doch  keine 
besser  als  —  ich  kann!" 

2)  Reichardt  (Briefe  eiaes  aufinerksamen  Eeisenden  Th  I 
S  117.)  flchrelbt,  dass  an  den  Bach  gemachten  Vorwiirfen,  an  die  er 
selbst  spater  freilich  herangestreift  ist,  nichts  so  vfol  Schuld  babe 


—    113    -- 

txnd  prakticirte  zur  Zeit   als  Bnrney  in  Hamburg  war, 
dort  in  der  Eigensehaft  eines  Rechts-Licentiaten1). 

Er  hatte  1769  im  Juni  zu  Rinteln  promovirt2)  und  1st 
am  24.  April  17897  44  Jalire  ait;  wenige  llonate  nach 
seinem  Vater  zu  Hamburg  gestorbeu.  Dtr  andere,  nacli 
seinem  Grossyater  Joliann  Sebastian  genannt,  war  im 
September  des  Jahres  1748  geboren,  widmete  sieh  der 
Malerkunst  und  studirte  auf  den  Malerakademien  zu  Leip- 
zig und  Dresden  ,,aein  Haupt-M>tierfc'\  Er  war  ;,ein 
reiner;  edler  Menscb7  Kiimtler  von  Gedanken  und  Talent 3)7" 
dem  ein  friihes  Grab  bo.-chieden  war.  Ini  Jahre  1777 
sahen  wir  Em.  Bach  in  der  Lage;  so  yiel  Geld  als  ihm 
moglich  war?  zusammenraffen  zu  inusjjen.  Dies  besagen 
die  Briefe  an  Fork  el  aus  jener  Zeit.  Ain  20.  Juni 
scbreibt  er:  ,7Mein  armer  Sohn  in  Eom  liegt  seit  5  Mo- 
naten  an  einer  boclist  -  schnierzhaften  Krankheit  dnrnieder 
und  ist  nocli  uicht  aus  aller  Gefahr.  O  Gott?  was  leidet 
mein  Herz!  Vor  3  Monaten  habe  ich  ilini  50  Ducaten 
geschicktj  und  in  14  Tagen  inuss  ich  wieder  200  Rthlr. 
fiir  Doctors  und  Wundarzte  auszahlen.  Ich  kann  nioht 
mehr  schreiben;  als  zu  bitten  mit  mir  Mitleyden  zn  haben 
und  mir  womdglich  beyi5ufstelien."  Doch  besserte  sich  das 
Befinden  des  Sohnes  und  ain  11.  August  dcdselben  Jahres 


als  ,,die  Bosheit  und  der  Neid  vieler  Musiker,  die  die  Verdienste 
dieses  grossen  Marines  eli3#uselien  wohl  ira  Stande  seien,  die  aber, 
well  sie  sich  imfahig  fiihlten  seinen  Ruf  zu  schiaalern,  sich  bemiihten, 
ilin  wesigstens  in  den  Augen  der  Unwissenden  berabzusetzen.4' 

So  Ireflfch  dacbte  die  musikalische  Societat  zu  Giistrau  nicht,  als 
sie  am  4.  Marz  1783  ein  ,,dem  Vater  der  dentschen  Muaiker" 
an  dem  vor  knrzem  neuerbauten  Orchester  errichtetes  Denkinal  ein- 
weihte,  durch  dessen  Anblick  das  zu  eineni  Concert  eingeladene 
Pablikum  nicht  wenig  iiberrafecht  worden  sein  soil.  (Magazin  for 
Musik.  Jahrg.  I.  1783.  S.  557.) 

1)  Bnrney,  Musik,  Eeise.  Th.  III.  S.  203. 

2)  Dissertatio  inauguralis  ad  jus  aggratiandi,  Praeside  Carelo 
Oailielaao  WippermaniL    Einteln  176$  in  quarto.   30  Seiten, 

»;  Leipz.  Allg.  HQA.  Z.  II.  B.  &m. 

Bitter,  Emanuel  and.  Friedemjmn  Bacli.   EL  $ 


—    114    — 

kennte  Bach  an  Professor  Oeser  in  Leipzig  iiber  ihn  Fol- 
gendes  berichten1): 

,,Hamburg,  d.  11.  Aug.  77. 

,,Lieber,  liebster  Freund  und  verehrungswiirdiger  Hen- 
Professor,  ist  Alles  wahr,  was  man  ihnen  von  meineni  ar- 
men  Hans  erzahlt  hat  Doch  gottlob!  jetzt  (so  schreibt 
man)  ist  meist  alles  Vorbey  und  er  hat  an  seiner  Gresund- 
heit  nichts  verlohren.  Ich  kann  Ihnen  unser  Wehklagen 
nicht  genug  beschreiben,  als  wir  eine  ausfuhrliehe  Nach- 
richt  von  seinen  Umstanden  kriegten.  Sie  war  so,  dass 
es  einen  Stein  in  der  Erde  erbarmen  niusste.  Denken 
Sie,  in  5  Monaten  3  der  erschrecklichsten  Operationen  auf 
Tod  und  Leben.  Mein  Medicus  hier,  der  seine  gute  Seele 
kannte,  weinte  wie  ein  Kind  und  staunte  dariiber,  was  er 
ausgestanden  hat.  Selbst  in  Rom  sehreibl  man  seii% 
nesungj  naclist  Grott,  lediglieh  seiner,  eiserue&  Naiur, 
gesunden  Blute  und  seiner  Folgsamkeit  bey.  Der  ehrliche 
Riefenstein  hat  wie  ©In  Vater  an  ihm  gehandelt.  Das 
Schlimmste  fHr  sein  Studium  sind  5  verlohrne  Monate^ 
und  fur  meinen  Beutel  bezahlte  30  Ducaten  und  fiir  diese 
verlohrene  5  Monate  a  part  Pension.  Ich  danke  nebst  den 
Meinigen  von  Herzen  fur  das  bezeigte  Mitleiden.  Grott 
erhalte  Sie  nebst  den  geehrten  Ihrigen.  Nebst  1000  Com- 
plimenten  beharre  ich  auf  ewig  und  von  Herzen 

der  Itrifire      s  Bach. 

° 


fe  Bfe^@mBg  keiae  naehhaltige  gewesem 
zn  seiB.  Er  starb  ro  folgenden  Jahre  (1778)  zu  Rom.  Es 
existirt  von  ihm  ein  in  Kupfer  gestochnes  Portrait  aus  der 
Zeit  seiner  jugendlichen  Studien  zu  Leipzig.  Der  Verlust 
dies^  talentvollen  und  vortrefflichen  Sohnes,  von  dem  sich 
in  Em.  Bach's  Nachlass  eine  grosse  Menge  von  Zeich- 
nungen  und  Studien  vorgefunden  haben?  die  spaler 


i)  Original  in  den  Handen  des  Herrn  Direct.  Knaukiing  In 
Dresden, 


—    115    — 

5ffentlichen  Verkauf  gekoramen  sind,  war  fur  den  alten 
Vater  ein  ungemein  barter  Schlag. 

Wie  sich  iia  Laufe  der  Zeit  Bach's  Verhaltniss  zu 
seinen  3  Briidern  gestaltet  habe?  dardber  giebt  es?  wie  fiber 
so  vieles  in  seinem  und  seiner  Briider  Leben,  wenig  positive 
Nachriehten.  Dass  er  mit  Friedemann  auf  die  Dauer 
der  Zeit  nieht  harmoniren  konnte,  ist  klar.  Friedemann 
hat  ihn  ofter  gesehen.  Er  war  im  Jaiire  1747  bei  ihm  in 
Potsdam,  als  sein  Vater  dort  Friedrich  den  Grrossen 
besuchte,  und  auch  1750,  muthmasslich  naeh  des  Vaters 
Tode  war  er  in  Berlin  und  Potsdam  bei  ilini  zuni  Besuch !). 

Friedemann,  der  nie  einen  Schritt  von  dem  strengen 
contrapunktischen  Wesen  der  alten  Schule  abgewichen  war, 
der  in  seinen  Arbeiten  und  beim  Fantasiren  und  Fugiren 
sich  bis  zur  Ermiidung  in  seine  Problems  und  Combi- 
national vertiefte?  pflegte  von  den  Arbeiten  Enianuels 
nur  mit  mitleidiger  Herablassung  zu  sprechen.  J?Er  hat 
einige  artige  Siichelchen  gemacht",  wie  Sebastian 
Bach  die  Dresdener  Opern-Musik  ,,artige  Liederchen" 
genannt  hatte.  Aus  spaterer  Zeit  findet  sich  keine  Spur 
eines  Zusammenhangs  zwischen  beiden  Briidern  raehr  vor? 
die  zusammen  erzogen  waren,  zusammen  gelernt  hatten, 
und  deren  Wege  spaterhin  so  weit  auseinander  gin  gen. 
In  einem  Punkte  nur  blieben  sie  einig.  7?Die  Welt  weiss? 
dass  beide  grosse  Kiinstler  waren;  aber  sie  weiss  viellcicht 
nicht,  dass  sie  von  der  Kunst  ihres  Vaters  bis  an  ihr  Ende 
nie  anders  als  mit  Begeisterung  und  Ehrfurcht  sprachcn." 2) 

Was  den  Londoner  Bach,  Johann  Christian,  an- 
feelriffl,  so  hatte  Emanuel  ihn  nach  dem  Tode  seines 
Vaters  zu.  sich  nach  Berlin  genommen,  dort  erzogen  und 
tmterrichtei  Aber  auch  dessen  Weg  fiihrte  weit  ab  von 
den  Bahnen  seines  Lehrers  und  Erziehers7  freilich  in  ©nt- 
gegenge$etzter  Weise  als  der  Friedemanns.  Denn  wiihread 


Marpurg,  L^eadeaa  einiger  Musikfaeiligen.    S.  185, 
JForkeL   J.  Sek  Baeh.    Vcarefe   S.  X. 

8* 


—    116    — 

dieser  durch  eigensinniges  Beharren  auf  einer  durch  die 
uberragende  Grosse  seines  Vaters  abgeschlossenen  Bahn 
in  einsam  abstossender  Versunkenheit  nielir  und  mehr  dera 
Leben,  der  Ausiibung  und  dein  Dienste  der  Kunst  ent- 
freradet  wurde?  stieg  Johann  Christian  zu  holier  Stel- 
lung  empor,  um  im  ausserlichen  Wesen  vollig  zu  ver- 
flachen.  J?Werde  kein  Kind!"  schrieb  ilim  Emanuel 
nacli  London1)  und  er  antwortete:  ?;Ich  muss  staxnmeln, 
damit  micli  die  Kinder  verstehen."  So  trennten  innere 
Verscliiedenheit  und  aussere  Entfernung  beide  Brtider  von 
einander. 

Ebenso  wenig  ist  von  seinem  Verhaltniss  zu  Johann 
Ghristoph  Fried  rich,  dein  Biickeburger  bekannt,  der? 
3  Jahre  alter  als  der  Londoner  Bruder,  Emanuel 
naher  geblieben  war.  Was  er  von  ihm  in  die 
Genealogie  geschrieben  faatte:  ,?hat  eine  .n 
Frau  und  Kinder?  welche  musikalisch  sind"?  ist 
diirftig  genug.  Doch  haben  wir  gresehen?  dass  er  in 
einem  Concerto  zu  flamborg  (1768)  dessen  J no-Can- 
tate  hatte  auffuhren  lassen.  ~Wenn  man  ferner  auf  dem 
TItelblatte  der  Partitur  von  der  Auferstehung  Jesu 
aus  Johann  Christoph  Friedrichs  Feder  die  Worte 
liest:  ??Von  raeinein  lleben  Bruder  zum  Geschenk 
erhalten"?  und  beachtet?  dass  dieser  sich  auch  an  dem 
Musik.  Vielerlei  betheiligt  hatte,  das  Emanuel  m  Ham- 
burg herausgegeben  Eat?  so  ist  feierdurch  das  Vorhanden- 
seia  eiaes  kunstlerisch  freundschaftlichen  wie  bruderlichen 
Yerkehrs  festgestellt,  der  nicht  wie  bei  den  anderen  Briidern 
unter  entgegengesetzten  Stromungen  des  ausserlichen  Lebens 
nnd  der  Charaktere  zu  leiden  hatte.  Dies  wird  auch  da- 
3ureh  bestatigt,  dass,  als  Christ.  Friedrich  Bach  etwa 
tm  Jahre  1774  seinen  Solm  Wilhelin  nach  London  brachte^ 
ura  ihn  dort  bei  seinem  Bruder  Christian  die  Musik, 
jtudiren  zu  lassen,  er  den  Weg  iiber  Hamburg  nahm?  wo 


Scbubarth.    Aesthetik  der  Tonkunst. 


—    117    — 

er  seinen  Bruder  Emanuel  besuchte  imd  wo  Wilhelm 
Bach  sich  auch  in  einem  Concerte  offentlich  horen  Hess1). 

Ein  anderer  Punkt  in  dem  Leben  Einanuelsj  der 
wenig  genug  aufgeklart  ist,  beruht  in  seiner  Eigensehaft 
als  Lehrer.  Dass  er  durch  Unterricht  und  Erziehung 
wie  wenige  zur  Verbreitting  der  Kenntnisse  und  Fertig- 
keiten  seiner  Knnst  geeignet  gewesen  sei?  wird  ah  zweifel- 
los  angenommen  warden  konnen.  Man  weiss  auch,  and 
es  ist  gelegentlich  angefuhrt  worden,  dass  er  in  Frank- 
furt a.  0.  und  Berlin  Unterricht  in  der  Musik  und  auf 
dem  Clavier  gegeben  hat.  Eine  nieht  geringe  Zahl  seiner 
Clavier  -  Compositionen  ist  auf  Onterrichtszwecke  basirt 
gewesen.  Sein  grosses  theoretisches  Werk  7?Der  Yersuch 
iiber  die  wahre  Art  des  Clavierspiels",  rlas  ah  eine 
Clavierschule  achter  Art  bezeichnet  werdcn  kann,  war  dem 
Unterricht  gewidmet,  und  bei  der  Heratisgabe  der  4stim- 
migen  Chorale  seines  Vaters  und  der  beiden  Litaneien  bat 
er  ausdrticklich  des  Nutzens  gedacht,  den  Lehrbegierige 
daraus  schopfen  mochten. 

Aber  so  viel  Schiller  er  auch  gehabt  haben  naag? 
Emanuel  Bach  hat  seine  Methode  nicht  durch  eine  Schule 
in  dem  Sinne,  wie  beispielsweise  Sebastian  Bach  Schiller 
und  Zoglinge  gebildet  hatte?  fortgepflanzt  Dazu  trag  zu- 
nachst  der  Urnsfcand  bei?  dass  seine  Hauptz^it  in  die  Um- 
bildung  der  Instrumental- Tec  hnik  au-  den  alt  en  in  die 
neueren  Clavier -Constructlonen  fiel.  Er  selbst  hielt  ^icb 
mit  Vorliebe  an  das  Clavichord.  Wer  bei  ihm  lernte?  war 
gewiss  im  Stande  auch  die  PianoiS  und  die  Fliigel  der 
neueren  Construction  mit  Auszeichnung  211  spielen.  Aber 
man  wollte  die  schwierigere  Technik,  die  fur  das  alte 
Clavier  den  mehrstimmigen  Satz  moglich  und  init  Voll- 
kommenheit  ausfiihrbar  machte,  nicht  inehr  studiren  und 
mit  dem  Abkommen  der  lilteren  Instrumente  hbrte  sie  von 
selbst  auf. 


v.  Le debar.    Berliner  TonkiiBStler-Lexicon.    S.  25. 


-    118    — 

Wohl  versichert  Schubarth1),  dass  er  eben  so  gross 
ais  Lehrer  wie  als  Clavierspieler  gewesen  seL  ?,Niemand 
versteht  die  Kunst  Meister  zu  bilden  besser  als  Er.  Sein 
grosser  Geist  hat  erne  eigne  Schule  gebildet,  die  Bach  is  che, 
Wer  aus  dieser  Schule  1st,  wird  in  ganz  Europa  mit  Ver- 
gniigen  aufgenommen." 

Aber  Namen  von  einiger  Bedeutung  hat  er  nicht  ge- 
nannt.  Auch  war  es  ja  eben  nicht  seine,  sondern  die 
Schule  seines  VaterS)  die  er  fortfuhrte  und  der  seine 
Unterrichtswerke  gewidmet  waren. 

Dazu  kam7  dass  sein  Clavierspiel  selbst  ein;  wenn 
man  es  so  nennen  kann,  vorzugsweise  personliches  war. 

Burney  hat  dasselbe  geschildert  (v.S.98).  Keichardt2) 
sagt  von  ihm:  7,Hr.  B.  spielt  Dir  nicht  nur  ein  recht  lang- 
sames,  sangbares  Adagio  mit  dem  allerrthren^gtem  r Mw- 
drucke,  zur  Beschamung  vieler  InstrumentalBten?  die  arff 
ihrem  Instruiaente  mit  weit  weni^er  Mtihe  den  Singstimmen 
nahe  kommen  konnten;  er  halt  Dir  auch  in  diesem  lang- 
samen  Satze  eine  sechsachtellange  Note  mit  alien  ver- ' 
schiedenen  Graden  der  Starke  und  Schwache  aus  und  das 
sowohl  im  Bass  als  Discant.  Dieses  ist  aber  auch  wobl 
nur  auf  seinem  sehr  schonen  Silbermannischen  Clavier 
moglich?  fiir  welches  er  sich  auch  besonders  einige3)  So- 
naten  geschrieben,  in  welchen  das  lange  Aushalten  eines 
*  Tones  nur  vorkommt4).  Ebenso  ist  es  mit  der  ausser- 


1)  AesiMk  ^«ar  TonfeiBst.    S.  177. 

2)  Briefe  dues  aufinerksamen  Relsesden.    Th.  IL    S.  16,  17. 

3)  Boeh  schatzte  er  die  Fried ericisehen  Clavichorde,  deren  auch 
Eeichardt  Erwahnimg  thut,    sehr,  hoch.     (Siehe   den  Brief  vom 
10.  November  1773  an  Fork  el,  Anhang  I). 

In  seinem  Naehlasse  fanden  sich  4  Clavier- Jnstrumente  vor,  dar- 
anfer  zwei  von  Friederici,  ein  grosser  Fiiigel  und  ein  Piano  von 
Jang,  Bes  SI1  berm a nn'schen  Claviers,  von  dem  o ben  die  Rede  ist, 
scMnt  Bach  sich  in  dem  Jahre  entaussert  zu  haben,  in  welchem  er 
den  ,,Absciiied  von  meinem  Silbermann'schen  Clavier"  in  einem 
Eondo  componirt  hat,  namlich  im  Jahre  1781. 

*)  Beispielsweise  die  zweite  Sonate  der  ersten  Sammlung  fiir 
Kenner  etc.  mit  der  im  ersten  Safee  zweimal  vorkommenden  Stelle: 


119    — 


ordentlichen  Starke  beschaffen,  die  Hr,  B.  zuweilen  einer 
Stelle  giebt:  es  ist  das  hochste  fortissimo:  ein  anderes 
Clavier  wiirde  in  Stticke  dariiber  gehen-,  und  ebenso  init 
dem  allerfeinsten  pianissimo,  welches  ein  anderes  Clavier 
gar  nicht  anspricht." 

In  noch  pragnanterer  Weise  druckt  sich  Schubarth 
aus1):  ??Niemand  hat  jemahls  die  Natur  des  Fliigels,  des 
Fortepianos?  des  Pantalons  und  Clavichords  mit  so  tiefem 
Blick  durchdrungen,  wie  dieser  unsterbliche  Mann.  Son- 
derlich  war  er  der  erste,  der  Colorit  in  das  Clavichord 
brachte?  der  das  Schweben  und  Beben  der  Time,  den 
Trager,  eine  Art  von  Mezzotinto,  die  Formen,  die  Prell- 
triller,  auch  den  Doppeltriller?  nebst  unzahligen  anderen 
Verzierungen  des  Clavichords  erfand.  Er  spielte  ausserst 
schwer  und  ebenso  schon.  Sein  gebundener  Sty  I,  seine 
Manieren?  seine  Ausweiehungen?  seine  harnionischen  Kunst- 
griffe  sind  unerreichbar.  So  gross  er  als  fck»lospieler  ist, 
so  schopferisch  seine  Phantasien  sind?  so  gross  und  erhaben 
seine  Einbildungskraft,  so  gross  ist  er  in  der  Begleitung. 
Wer  begleitet  wie  Bach?  Niemand!  —  wh'd  gauz  Europa 
antworten!;i 


Andante. 


i)  AestfceMk  fc  ^iikrasL   S.  177, 


—    120    — 

Sind  diesc  Urtheile  sefaon  uberzeugend  genug,  so  tritt 
ihnen  das  Zeuguiss  eines  jungeren  Zeitgenossen  hinzii,  das 
jene  alie  weithin  uberwiegt. 

Mozart  hatte  Em.  Bach  einige  Jahre  vor  seinem 
Tode  in  Hamburg  beaucht  und  ihn  auch  auf  seinem  Silber- 
mann'schen  Instriuaente  phantasiren  hdren. 

Als  er  bald  darauf  naeh  Leipzig  kara,  fragte  ilin 
Doles  fiber  Bach's  Spiel  und  Mozart  antwortete  ihm:  ,,Er 
ist  der  Vater;  wir  siad  die  Buben.  Wer  von  uns  was 
Rechts  kami,  hat  von  ihm  gelernt  5  und  wer  das  nicht  ein- 
gesteht,  ist  ein  Lump.  Slit  dein,  was  er  macht,  kainen  wir 
jetzt  schwerlich  aus.  Aber  wie  er's  rnacht;  —  da  steht 
ihm  Keiner  gleich.  Mich  hat  er  darum  auch  am  liebsten 
auf  der  Orgel  gehort,  obschun  ich  laugher  wenig  Uebung 
darauf  habe.  Das  war  ihm  recht;  und  da  hat  er  mich 
einmal  fiber's  andere  an  sich  gedruckt,  dass  ich  httie 
schreien  mogen1)." 

Muss  es  nicht,  wenn  man  diese  ubereinstimmenden 
Schilderungen  dessen,  was  Bach  auf  dem  Claviere  lei- 
stete  liest,  ganz  naturlich  erscheinen,  dass  seine  Spielart 
als  eine  verloren  gegangene  betrachtet  werden  muss  und 
dass  die  Schiller,  die  er  ausgebildet  hat,  die  Kunst  ihres 
Meisters  fortzusetzeii  nicht  iin  Stande  waren?  Es  war 
eben  die  Technik  einer  Kunst,  die  das  folgende  Zeitalter 
nicht  mehr  kannte;  aus  der  sich  aber  durch  Bach's  geniale 
Mitwirkung  in  Lehre  und  (Jomposition  die  moderae  Spiel- 
art  fe%estellt  hat,  die  Schule  Seb.  Bach's?  theoretisch 
dargestellt  von  seinem  Sohnc  Emanuel2). 

So  spann  sich  dies  lange  und  glanzende  Kfinstlerleben 

J)  Eochlitz,  Fiir  Freunde  der  Tonkuost  Bd,  4.  S.  308. 
Neue  Miscellanea ,  historiscfaen.  politischen  und   moralischen 
7.  Stck.  Leipzig  1779. 

Hort  Ihr  nicht  der  goldnen  Tone  Schwirren? 
Ha!  dies  sind  der  Musen  Melodeyn. 
Zwlschen  Lorbeera  glaabt  ich  hinzuirren, 
Dureh  den  heilgen  Hain. 


—    121    — 

bis  zu  den  Grenzen  des  hohen  Qreisenalters  ab7  ein  Leben, 
dessen  phantasiereiehe  innere  Bewegung,  dessen  geniales 
Wirken  imd  Schaffen  von  keiner  romantist4hen  Begehenkeit3 
von  keinein  Einflusse  dramatischen  Charakters  zu  einer, 
ausserliche  Interessen  erregenden  Ersclieinung  gestaltet  war- 
den 1st.  Em.  Bach,  der  Kiinstler  und  Mensch,  lebte  in  dem 
rubigen  Grleichmaass ,  das  den  Weisen  von  dem  Drangen 
und  Treiben  der  fortwirbelnden  Stromungen  des  Tages 
abschliesst,  ein  Leben  voller  Ebrenhaftigkeit,  voller  Thatig- 
keit,  Arbeit  und  muhevollem  Fleiss,  aber  auch  reich  an 
Ehren,  an  Befriedigung  und  am  Gelingen  seines  Tagewerks. 

Was  seinem  Andenken  einen  be'^orider^  ehrenden 
Schimmer  verleiht,  ist  die  Pietat,  mit  der  er,  abweichend 
von  seinem  Verfaliren  hinsichtlich  der  Kunst  der  Fuge 
(siehe  Th.  I.  S.  171  ff.)7  die  Traditionen  der  Familie,  der  er  ent- 
sprossen  war?  ehrte  und  zusammenhielt  Das  A  It-Bach  is  eh  e 
Arcbiv,  zur  Zeit  in  Berlin,  giebt  davon  Zeugniss.  Wie 
ware  man  jezt  im  Stande,  den  Kiinstlergeist  der  Vorfahren 
Emanuel's  wie  Sebastian  Bach's  mit  so  bestimmter 
Charakteristik  zu  erkennen?  hatte  er  deren  Arbeiten  nicht 
gesammelt;  deren  Bildnisse  aufbewahrt  y  deren  Lebens- 
ums  tiinde  aufgezei  ehnet, 

Dass  er  iiberhaupt  ein  Mann  von  allgeineinerer  Auf- 
fassung  der  Kunst  war,  stellt  sein  gesammtes  Leben,  wie 
man  es  vor  sich  sieht,  dar.  Welches  Iriteresse  er  ftir  die 
Kiinstler  seiner  eignen  Lebensperiode  hatte.,  zeigte  uns 
sein  Nachlass,  in  welchem  sich  eine  Sammlung  von  376 


Siisser  Trug!  Em  machtger  SaiteB^)ieIer 
&t  (lurch  ZanbertSue  mich  betliori 
Ha,  nun  kexm'  ich  Dich,  Apollo's  Schiiler, 
Seines  Lobes  werth! 

Ber  nicht  sliase  Eel^aog  bloag  dem  Ohren, 
Audi  im  Herzea  wiraaeiia  Sehhg 
Weas,  im 
Er  <i 


Portraits  vorfand,  unter  denen  die  Bildnisse  von  Abel, 
Agricola,  P.  Benda,  GL  Benda,  Coneiliani,  der  Cuz- 
zoni,  von  Ebeling,  Farinelli,  Fasch;  Friedrich  deni 
Grossen,  Q-ellert,  Grerstenberg,  Gressner,  Gluck,  den 
beiden  Grraun,  Hagedorn,  Handel,  Hasse,  der  Fau- 
stina, von  J.  Haydn,  Hiller,  Holty,  Kirnberger  (in  Oel), 
Klopstock,  Kuhnau,  Le.ssing,  der  Mara,  Marchand, 
Marpurg,  Mattheson,  Mos.  Mendelssohn,  Leop.  Mo- 
zart (mit  seiner  Familie),  Neefe,  Pepusch,  Pisendel, 
Quantz,  Ramler,  Reiehardt,  Rolle,  Salimbeni, 
Schiorring,  Schubarth,  Senesino,  Sturm,  Sulzer, 
Telemann  und  die  Silhouetten  von  Dus  check,  Nau- 
mann  und  Wan  hall  befindlich  waren1). 

Aus  seiner  Familie  besass  er  die  Bildnisse  seines  Va- 
ters  und  der  Anna  Magdalena,  seiner  Stiefmutter,  desgL 

das  seines  Grossvaters  Ambrosius  in  OeL  ferner  di©rd^ 

'  ^  "^^pp 

der  von  W.  Friedemann,  seiner  Briider  in  Buekeburg 
and  London,  und  das  des  Hans  Bach,  des  ,?Geigers 
mit  der  Narrenkappe  und  der  Schelle  auf  der 
Schulter". 

Mit  Em.  Bach  starb  die  Schule  seines  Vaters  aus, 
wenn  auch  hie  und  da  noch  ein  Nachkomme  derselben 
fortlebte.  Ab^r  niit  ihm  beginnt  deren  reiche  Saat  ihre 
IVachta  zu  bilde%  deren  die  kommende  Zeit  sich  erfreuen 
-  Itit  ihm  mitM  die  alie  Schule  der  Polyphonie  dem 

Hand  in  unser 


Von  seinen  letzien  Tagen  wissen  wir  nichts.  ,,Ein 
bischen  fcrank,  dann  wieder  gesund",  wie  er  an 
Grrotthus  geschrieben,  so  wird  es  wohl  bis  in  seine  letzten 
Tag^e  ergangen  sein.  Im  74.  Jahre  des  Lebens  mogen  wohl 
nur  wenige  besonders  begluckte  Naturen,  wie  er  es  zu 
thun  vermochte,  im  Grossen  und  Kleinen  kiinstlerisch  fort- 
zuwirken  im  Staaide  sein. 


Nachlass-Katalog  von  179a 


—    123    — 

Aus  seinem  im  Anhange  abgedruckten  Briefe  an 
Westphal  in  Schwerin  vom  20.  November  1788  ersieht 
man,  dass  er  In  dlesem  selnem  letzten  Lebensjahre  sehr 
leidend  gewesen  ist  Seine  alte  Krankheit,  das  Podagra, 
hatte  ihm  stark  zugesetzt.  Sein  Leben  erlosch  natur- 
gemass  und  naturnothwendig  durch  das  hohe  Alter,  das 
er  erreicht  hatte,  in  Folge  einer  Brustkrankheit. 

Am  16.  December  1788  wurde  das  Publikum  von 
Hamburg  durch  folgende  Bekanntmachung  von  dem  Hin- 
scheiden  <Jes  greisen  Meisters  in  Kenntniss  gesetzt1): 

,,Hamburg,  den  15.  Dezember. 

,,Gestern  hat  unser  Publikum  einen  sehr  merkwiirdigen 
und  beriihmten  Mann  verloren.  Es  starb  Abends  10  Uhr7 
Herr  Carl  Philipp  Einanuel  Bach,  Kapellmeister  und 
seit  dem  3.  November  1767  hiesiger  Musik-Director,  im 
75.  Jahre  seines  Alters.  Er  war  einer  der  grossten  theo- 
retischen  und  practischen  Tonkdnstler,  der  Schopfer  der 
wahren  Art  das  Clavier  zu  spielen,  der  einsichtsvollste 
Kenner  der  Regeln  der  Harmonie  oder  des  rein  en  Satzes; 
der  genaueste  Beobachter  derselben,  und  ein  Clavierspieler, 
der  seines  Gleichen  in  seiner  Art  wohl  nie  gehabt  hal 
Seine  Compositionen  sind  Meisterstcicke  und  werden  vor- 
trefflich  bleiben,  wenn  der  Wust  von  modernem  EHingklang" 
langst  vergessen  sein  wird.  Die  Tonkunst  verliert  an  ikoa 
eine  ihrer  grossten  Zierden,  und  der  Xame  eines  Carl 
Philipp  Emanuel  wird  ihr  auf  immer  heilig  sein.  Im 
Unagange  war  er  ein  aufgeweckter  munterer  Mann  voll 
Witz  und  Laune,  heiter  und  frohlich  in  der  Gesellschaft 
seiner  Freunde,  in  deren  Klagen  uber  seinen  Verlust  sidi 
aueh  die  ThrSnen  des  Verfassers  die^s  Aufsatzes  mischeai, 
ier  das  Gteck  hatte,  mife  der  zilrjkKehsten  Freundschaft  ies 
WoHseligen  beefarfc  zu  werden." 


,Uu|>airtk  OorreBp.  17^.  No.  201.  Vennuthlicli 
Feier.    W^rtii^i  diesell>e  Be&anntmacliUDg  fiadet 
S,  S  der  Mns. 


—    124    — 

Dieser  Bekanntmachung  folgten  verschiedene  Gedichte: 
7>Als  Zeus  zur  Gotterlust  jungst  ein  Concert  erwahlte, 
Und  viele  von  Gefuhl  zu  diesem  Fest  berief^ 
Fiel  sehnell  ihm  ein,  dass  zur  Vollkonimenheit  noch  eines 

fehlte. 
Er  sprach  —  und  Bach  entsehlief." 

Ferner: 

,,Sein  Geist  lauscht  nun  der  Engel  Harfentonen? 
Und  an  dem  Thron  des  Ewlgen 
Hort  er  sein  Heillg  nun  vom  Chor  der  Seraphinen 
Und  fallt  anbetend  bin." 

Alien  Vater  Gleim?  nur  5  Jahre  jiinger  als  Bach, 
der  selt  mehr  als  30  Jahren  seine  Lieder  durch  Melodien 
geschmiiekt  hatte,  widmete  ihin  einen  Nachruf1): 
??Aus  unsrer  kleinen  Welt  voll,  ach!  so  grosser  Ifeugdi 
Ging  in  die  grosse  Welt  und  in's  Concert  der  Enge! 
Nxm  aueh  der  Eine  Bach! 
Sah  seinen  Einzigen  schon  wieder, 
Und  sang  ihm  seine  deutschen  Lieder! 
Ha!   Wann  folg'  ich  ihm  nach? 

Gleim." 

Zwei  Denkmaler  sollten  ihni  gesetzt  werden?  das  eine 
in  der  Michaeliskirehe  zu  Hamburg,  fur  welches  der  San- 
ger  des  Messias?  Klopstock,  des  Verewigten  Freund7 
fcigende  Grabschrift  gefertigt  hatte: 


i)  Hamfenrger  UBpartk  Corresp.  1788.  No.  210.  Reichardt  &i- 
saug  den  Tod  des  grossen  Kimatlers  in  seinem  Musik.  Ennstmagazin 
von  1791  (VEI)  S.  93  wie  folgt: 

Es  bildete  die  leise  scbaffende  Natur 

Jalirhunderte  an  diesem  Manne; 

In  Kunstvollkommenheit  erschien  er  tins. 

Sie  Wiekte  tief  ihm  in  die  Seele, 

Und  sah  .  .  .    Schweig  tief  verebrend,  Muse!  .  .  . 

Und  sein  Gesehlecht  erlosch  mit  inm. 
und  fiigte  diesen  Versen  sonderbarer  Weise  folgenden  Zusatz  bei: 

,J)er  majestatisehe  Strom  tbellt  seine  hochste  Fiille  in  vier  Arme, 
schickt  diese  alien  Weltgegenden  zu  und  sie  alle  treffen  auf  Siimpfe,  in. 
denen  sich  die  scbone  Flutb  unwiederbringHch  verliert" 


—    125    — 

??Steh'  nieht  still,  Naehahmerj 

Denn  Du  inusst  errothen,  wenn  du  bleibst. 

Carl  Pliilipp  Enaanuel  Bach, 

Der  tiefsinnigste  Harmonist, 

Vereinte  die  Neuheit  mit  der  Sehonheit, 

War  gross 

In  der  vom  Worte  geleiteten, 

Noch  grosser 

In  der  kiilmen  spraehlosen  Husik; 

Uebertraf  den  Erfinder  des  Claviers, 

Denn  er  erhob  die  Kunst  des  Spiels 

Durch  Lehre 

Und  Ausiibung, 

Bis  zu  dem  VoOendeten. 

Gebohwn  1714,  gestorben  1788." 
Der  Plan  1st  nicht  zur  AusfiihruBg  gekoinmen.  Sobald 
iiber  dem  Grabhugel  der  Rasen  zn  sprossen  beginnt?  pflegt 
die  ErinneruBg  der  uberlebenden  Greneration  zu  dunkeln? 
und  was  der  Augenblick  der  Erregung  und  des  Schnierzes 
nicht  vollendet,  beginnt  meist  einzuschlumniern. 

Auch  das  fur  seine  Vaterstadt  Weimar  bestimmte 
Denkmal,  fur  welches  folgende  Inschrift  gleichfalls  von 
Klopstock  bestimmt  war: 

,jCarl  Philipp  Emanuel  Bach? 

Sebastian's  Sohny 

Wurde  in  Weimar  geboren 

Zur  Freude  der  Einwohner; 

Denn  sie  wussten, 

Dass  diesem  Geschlechte 

Die  Musik  erblich  sei. 

Wie  die  gute  Vorbedeutnng  eintraf? 

Horet  ihr  uberall? 

Und  leset  es  auch 

An  seiiner  Urne  in  Hamburg^ 

Wo  ar  steb." 
ist  nieht  swi^efelwt  worien. 


Die  Zeichnungen  zu  beiden  Denkmalen  liatte  der  Bau- 
rath  Ahrens  in  Hamburg  gefertigt. 

Von  Bach  waren  verschiedene  Portraits  gezeichnet 
worden.  Mit  Forkel's  Nachlass  wurden  die  Silhouetten 
von  ihm,  seiner  Gattin  und  seinen  drei  Kindern  verstei- 
gert.  Ein  gestochnes  Portrait  von  J.  C.  Kriiger,  in  der 
Zeit  seines  hohen  Alters  gefertigt,  zeigt  Aehnlichkeit  mit 
den  Ziigen  Seb.  Bach's,  dabei  eine  angenehme,  wohl- 
wollende,  edle  Gesichtsbildung.  Dem  Kopfe  fehlen  die 
Symbole  des  Costiims  der  Zeit,  Periicke  und  Zopf  nicht. 
Das  Ganze  deutet  darauf  hin?  dass  Bach  eher  stark  als 
mager  gewesen  sein  miisse.  Das  Auge  ist  geistvoll,  die 
stark  gebogene  Nase  und  die  vorstehende  Unterlippe  geben 
dem  Kopfe  einen  besonders  charakterfetischen  Ausdruck. 
Dasselbe  Portrait  findet  sict  auf  der  Vignette  zu  dem  Titel 
im  Fassioiiscaaitaten-Ausgabe  von  1789  als  Busfe  Aarge- 
Sfeelily  die  von  einem  Engelj  der  eine  Posaune  in  der  B&nd 
l|i%  uait  dem  Lorbeer  gekront  wird,  walirend  ein  anderer 
Bagel  klagend  am  Fusse  des  mit  dem  Namen  Bach  be- 
iseiefaneten  Postainentes  sitzt,  vor  ihm  auf  der  Erde  Mote 
und  Leier. 

<f  Ein  anderes  Bild,  ?Jaus  Hochachtung  gezeichnet" 
von  A.  Stottrup,  soflte  nach  Versicherung  von  Zeit- 
genossen  ahnlicher  als  das  vorige  sein.  Dasselbe  ist  von 
Skerl  gestoehen,  7Jzur  Sehadloshaltung  fiir  die  un- 
x  glucfcliche  Krtiger'sche  Verunstaltung".  Iin  Ganzen 
findea  sieh  auf  ihm  jedoch  die  Ziige  des  Kruger'schan 
Portraits  wieder,  so  dass  beider  Aehnlichkeit  als  fest- 
stehend  angenommen  werden  darf.  Auch  einige  Oelbilder 
existiren  von  ihm.  ^Naeh  dnem  derselben,  auf  dem 
Kupferstieh-Cabinet  des  E.  Museums  zu  Berlin  befind- 
Kch,  ist  das  dem  ersten  Bande  vorg^stellte  Portrait  ge- 
fertigt 

Eine  Buste  Em.  Bach's  fsk  in  4em  G©?neeii$aale  des 
1C  Schauspielhauses  zu  Berlin  aufgestelte 


;  —    '     127    -      — 

Als  Haydn  bei  seiner  zweiten  Londoner  Relse  Im 
Jahre  1795  *)  nach  Hamburg  kam?  nm  Bach,  von  dessen 
Tode  ihm  nichts  bekannt  geworden.  war,  personlich  kennen 
zu  lernen,  fand  er  von  der  ganzen  Familie,  deren  Hans 
einst  den  Kunstfreunden  so  gastlich  offen  gestanden  hatte, 
nnr  nocli  die  Toctter  am  Leben2). 


1)  Griesinger,  Bio^r.  Notizen  iiber  Haydn.  P.  157. 

2)  ,,Tn  der  Nacht  vom  19.  auf  den  20.  dieses  Mon&ts  entrlss  mir 
Gott  meine  geliebte  Mutter,    die   Wittwe   des   sel.  Kapellmeisters 
C.  P.  E.  Bacfe,  Johanna  Maria,  geb.  Danneman,  an  den  Folgen 
ernes  Schlagflus&es  im  71.  Jahre  ihres  Alters.   Biesen  fur  mich  hiiehst 
sehmerzlichen  Verlust  mache  ich  hiedarch  alien  meinen  auswartigen 
Freunden  bekannt. 

Der  bisher  von  meiner  sel.  Mutter  gefiihrte  Handel  mit  den  Mu- 
&ik»lien  meines  seLVaters  und  Grossvaters  wird  inskiinftige  von  mir 
mit  der  aussersten  Aufmerksamkeit  fortgesetet  werden. 

Hamburg,  den  29.  Juli  1795. 

Anna  Carolina  Philippina  Bach." 

Hamb.  Corresp.  17%.  Ho.  122. 


Atoschnitt  EL 


Wilhelm  Friedemann  Bae!i? 

der  Halllsclie, 

und  seme  Brttder  Johann  Christoph  Friedrich 
nnd  Johann  Christian  Back 


Bitter,  Emannel  und  Prledemann  Bach.  II. 


JWanuel  Bach's  thatiges  Wirken  mid  Sdbaffen,  das 
eine  so  umfangreiche  Betradbtuug  in  Anspruch  genomnien 
hat,  sein  gauzes  Leben?  wie  es  in  treuein  Bilde  vor  uns 
steht,  war  fur  die  Kunst  von  der  hSehsten  Bedeutung 
gewesen. 

Was  die  Nachwelt  von  semen  Briidern  erfahren,  die 
niit  ihm  den  Sarg  des  Vaters  umstanden  hatten,  stellt  diese 
nicht  auf  die  gleiche  Hohe, 

Indem  der  Verfasser  sich  anschickt,  deren  Lebensgang 
in  skizzirter  Weise  zusammenzufassen?  mag  es  ihm  gestattet 
s$3n,  hiebei  von  der  chronologischen  Reihefolge  ihres 
Alters  abzusehen.  Er  wird?  naehdem  er  zusammengestellt 
haben  wird,  was  von  den  weniger  bedeutenden  nnter  ilmen, 
Job.  Christoph  Friedrich;  dein  Biickebui'ger 7  mid 
Job.  Christian?  dein  Londoner,  bekannt  geworden,  sein 
Werk  mit  Wilhelm  Friedemann  scHiessen,  der  nacii 
seinen  Gaben  und  seiner  Erziehung  fur  die  Kunst  dem 
grossen  Vater'hatte  am  nachsten  stehen  sollen,  und  der 
sich?  wahrend  er  an  dessen  kunstlerischer  Art  mit  starreni 
Geiste  festhielt,  im  ausseren  Wesen  am  meisten  von  ihm 
entfernt  hat. 


Capitel  VII* 

Johanii  (hristopk  Friedneh  B;u'Ii, 

der  Biickeburger, 


JohannCbrlstoph  Priedrich  Bach  war  am  21.  Juni 
1732  geboren?   18  Jake  jtoger  als  Emanuel.    So  vie! 
lonan  von  ihm  weis$?  bat  er?  wie  jeaer,  zuerst  die  Eechte 
jsfadirt  und  sidk  d»n  fe  Musifc 


— '   132    — 

Er  durfte  kaum  je  eine  andere  Stelle  inne  gehabt  ha- 
ben  als  die  ernes  Concertmeisters  am  Hofe  des  Grafen 
Wilhelm  von  Schaumburg-Lippe,  in  dessert  Diensten 
er  bis  zu  seinem  am  26.  Januar  1795  erfolgten  Tode  ver- 
blieben  ist. 

Vor  ihm  war  in  Biickeburg  ein  Concertnieister  Go- 
lonna  mit  600  Rthlr.  angestellt  gewesen,  der  nebst  dem 
mit  480  Rthlr.  salarirten  Oompositeur  Serini  am  14.  April 
1756  entlassen  worden  war.  Muthraasslich  ist  der  damals 
24jahrige  Johann  Christoph  Friedrich  unrnittelbar  in 
deren  Stelle  getreten. 

Die  Genealogie  der  Bach'schen  Fanrilie  weiss  von 
ihm  nichts  zu  sagen,  als  dass  er  eine  musikalische  Frau 
und  Kinder  gehabt  habe;  die  musikalisch  gewesen  seien. 
Von  seiner  Frau  weiss  man,  dass  sie  eine  vorziigliche 
S^ngerin  war.  Er  selbst  war  ein  fleissiger?  frommer  Mann, 
•der  ausser  vielen  Instrumentalsachen  besonders  aueh  Ora- 
torien  und  Passionsmusiken  componirt  haben  soil1),  von 
denea  aber  niehts  zuriickgeblieben  istl 

Sein  Qehalt  soil  1000  Rthlr.  betragen  haben,  was  for 
jene  Zeit  sehr  viel  gewesen  sein  wiirde.  Man  darf  aia- 
nehmen,  dass  Bach  nur  das  Grehalt  Colonna's  von 
600  Rtklrn.  bezogen  habe,  dem  spater  noch  einige  Zu- 
kigen  hinzugetreten  sind  (siehe  die  amtlichen  Schriften 
Anhang  IL).  Mit  diesem  Gehalte,  dem  ,Ertafage  seines 
Ojaterrichts  und  dem  Brlose  «e%ier  OoiopositioB^iL  tebte 
er  am  Hofe  des  ausgezjeiehneten  und  geistvollen  H€^% 
dem  er  diente,  hochgeehrt  und  voll  Znfriedenheit.  Wohl 
konnte  seine  Lebensstellung  eineni  einfaehen  Sinne  ge- 
B§gen?  zumal  wenn  sie  durch  den  Trieb  zu  treuer 
und  gewissenhafter  Pflichtcrfullung  und  durch  aufrich- 
tige  Hingabe  an  die  Kunst  getragen  wurde.  Denn 
jenes  reizende  Fkekehea  deutsehen  Landes,  mit  seinen 
dunklen  laubumkriuzten  "W^idgebirgen  und  seinen  lacheia- 


Hilgenfeld,  Seb.  Bach.  & 


—    133    — 

den  fruchtbaren  Thalgriinden  ladet  wie  wenigc  zur  Zu- 
friedenheit3  zu  stillem  Nachdenken  und  zu  frohlicher  Ar- 
beit ein. 

Fried  rich  Bach's  tiefe  Einsichten  in  das  Wesen  der 
Harmonie  und  sein  ungemein  fertiges  und  geschmackvolles 
Clavierspiel,  in  dem  er  fast  keine  Sehwierigkeiten  niehr 
kannte1),  haben  ihn  als  ausiibenden  Kiinstler  bemerkens- 
werth  gemacht.  Die  Instrumente  seiner  Familie,  Clavi- 
chord, Flfigel,  Fortepiano  und  Orgel  waren  auch  die 
seinen. 

Er  hat  viel  geschrieben,  sowohl  fur  Gesang  als  fur 
Instrumente  und  Clavier.  Quartette,  Concerte,  Sonaten, 
Trios  7  Sinfonien  und  Gantaten  sind  von  ihui  bckannt, 
Auch  geschieht  einer  angeblich  von  ihm  gesetzten  Oper 
77Pygmalion"  Erwlhnung.  Das  Musikalische  Vielcrlei 
(Th.l.  S.2Q2)  enthalt  allein  ISStticke  von  seiner  Composition. 
Em.  Bach  liess  seiner  Zeit  in  einem  seiner  Concerto  zu 
Hamburg  die  Soloeantate  Ino  (von  Bamler  gedichtet, 
1786  im  Clavierauszug  erschienen)  auffiiliren  ?  und  die 
Amerikanerin  (von  Gerstenberg^  1787  in  Rinteln  ge- 
druckt)  hatte  sich  einen  gewissen  Buf  erworben.  Beide 
Arbeit-en  aber  sind  langst  iiberlebt,  und  es  wiirde  scliwer 
sein,  ihnen  das  geringste  Interesse  abzugewinnen. 

Denselben  Charakter  verhaltnissmassiger  Unbed^utend- 
heit  zeigen  seine  weltlichen  Lieder  sowie  seine  Clavier- 
und  Instrumental  -  Compositionen.  Sie  gehen  nicht  liber 
daa  Niveau  des  Mitteimassigen  hinaus  und  erreichen 
fcaom  die  schwacheren  Arbeiten  Emanuel's,  an  dessen 
Styl  sie  sich  iin  Ganzen  anschlieseen. 

Das  B^te7  was  Chr.  Friedricfa  ge^chrieben  hat,  isi 
ia-iea  Jf^bdien  der  &mtm  und  zw^Iten  Sammlung  von 
I>.  "Balthasar  Mfinter's  geistliefaen  Liedern  enthalten, 
die  IB  d©a  Jahren  1773  und  1774,  das  erste  Heft  kurm 


JDMfchland  (Sobvlckert).  17^. 


vor,  das  zweite  kurz  naeh  den  Cramer'schen  Psalm  on 
erschienen  waren.  In  dem  ersten  Hefte  sind  nur  die  Lie- 
der  No.  1.  2.  9.  11.  und  20.  von  seiner  Composition.  Die 
zweite  Sammlung  ist  ganz  von  ihm. 

Es  sind  51  Lieder  in  der  Art  der  Gellert'schen  Me- 
lodien  seines  Bruders,  einfach,  edel;  zum  Theil  sehr  schon, 
wie  jene  iiber  die  damals  gewohnliche  Liederform  weit 
hinausreichend,  mit  harinonisirter  Begleitung,  freilich  von 
geringerer  Tiefe  als  die  geistlichen  Lieder  Emanuels. 
Dennoch  zeigt  sich  in  ihnen  der  Tonsetzer  als  der  Sohn 
des  alten  Bach.  Die  Lieder:  No.  3.  Heiligkeit  Gottes, 
No.  23.  Dem  Sehopfer,  No.  26.  Demuth,  No.  33.  Busslied, 
No.  40.  Neujahrslied,  No.  43.  Herbstlied?  No.  44.  Lied  im 
Winter,  No.  47.  Kraft  des  Gebets,  No.  48.  Gebet  fur 
Zweifler^  waren  wertbi  gewesen;  in  den  erschienenen  Ver- 
snchen  und  Schriffcen  uber  die  GescHchte  des  deutschen 
Liedes  ErwaBnung  zu  finden.  Sie  vervollstandigen  das 
System,  in  welchem  Emanuel  Bach  begonnen  hatte  dem 
Liede  die  bestiinmte  Form?  dessen  Inhalte  geistige  Tiefe 
zu  geben.  Da  sie  so  gut  als  verschollen  sind,  so  mag  es 
gestattet  sein  einige  von  ihnen  hier  folgen  zu  lassen,  zu- 

nachst: 

Heiligkeit  Gottes. 

Mdssig  langsam* 


i-fHr 

[  -  J    a 

rl 

^^ 

ff-1 

r 

I—  *L 

;    a 

r"f  r  r  1 

Tag,  der  den 
Als     er   die 

r  f    Hjj.l 

Ue   -   I 
Welt     T 

•ear 

on 

•    w: 
Si 

a 
in    - 

- 

d 
d 

er         des 
er        er- 

rH 

j'j* 

f  r  —  * 

—  J_ 

—  |  

j 


To   -   des       ster  -  ben         safe, 
lost      auf       Goi  -  ga 


—    135   — 


f  |  \\  ie  KUI   - 


:j=i± 


nend  aul  die      Sunde      zeig-t         du      den 


Rich    -  ter      mir,       wie       gu     -     tig,     wie          ge- 


lin 


de        cr  -  wi^  sidh    Oott  an         dir. 


* 


Dann  No,  23.  ,, 

Kraftig. 


Schopfer.£i 


Vott  de»    Stamb,  den    ieh   be     -    woh- ne,        blick' ich 


anf     zn  dei  -  nem     Throne,          uner    -    mess  -  lich  grosser 


Oott.  Bo  ge  -  bo^t  derWelt,zm        vcr-den,      und  sio 


-r,     136     — 


ward  auf  dein  Ge  -  bot.  Gross  und    viel    sind  dei    -    ne 


A  — H 

EF^^J 


Werke,        wunder  -  bar  und  schon  sind     sie!  Dei-ne 


Gu  -  te,  dei  -  ne        Starke,         deine       Weis  -  heit  preist  der 


^i 


Er-den        und  der    Himmel    Har-mo    -     nie. 

*   r   r 


?>LIed  im  Winter.^ 


Gott  winkt,  so   ,  sfegen  Re-  gen  T   gns  • 

AAV    O*— -KK  .          °  £    „ 

>  <me     a^j-^e  *  scetnen     jFlus 


sieh 
die 


137    — 


ifcr 

taglich  auf  die  F  elder    hin, 
truben  Nebel  preisen   ihn. 


Die  Sonn'  in 


/  Tjrfckj  —  F  —  p  P  V  - 

-—  ^.         f  '  "   f  -  ' 

ih  -  rer  weitsten 
;>:  ,,       L     t      t       1 

.i-TV^l      ._._.>•  _  •.                p 

i  Fer  -  ne     am    kar  -  zen 

^f-^  , 

['     •           I*'          '         -f1  ^j 

**               *                  ^T      * 

^     Ld 

Ta-ge,  Mondund 

•  

i—  MI  r  i  

__!  j  1  

Sterne    in      langer,  heller  Winternacht.         Die 


£S 


tin  -  ge  -  stu  -  men        Mee-re        ver  -  kfmdigen  des  Schopfen 


i 


Bit  -  re,  lob  -  sin  -  gea  sei  -  aer 


Macht. 


Cnr.  Frleirich  Bach,  der  vorzEgsweise  den 
seines  Brnd^rs  Emauael  gefolgt  1st,  faat  auch  wie  die 
em  SantBaelwerk  YOB  Yerschiedenea  Sfusikstiicken 

By  die  amte  ife»U?ffiien  Am  ^tusikalischen  H^ 


—    138    — 

beBstunden"  bekannte  Sammlung,  welche  im  Jahre  1786 
angekiindigt  und  in  2  Heften  erschienen  1st,  Nicht  nur 
die  Art  des  Unternehmens,  aucL.  die  Bekanntmaclmng  des- 
selben  im  Publikum  erinnert  durchaus  an  die  Weise?  wie 
der  altere  Bruder  solebe  Dinge  zu  behandeln  pflegte. 

Nachricht  an's  Publikum1). 

Noch  immer  1st  sowohl  in  den  Handen  der  Anfanger,  als  der 
Getibtern  ein  Mangel  soleher  Sammlungen  von  Clavierstiicken,  die 
sich  dureh  Gescbmaek  und  angenebme  Mannigfaltigkeit  empfehlen. 
Daber  glaub'  icb  nicbts  Ueberfiussiges  zu  thnn,  wenn  icb  eine  solche 
Sammlung  dem  Publico,  besonders  dem  scboneren  Tbeile  desselben 
zu  liefern  mich  erbiete.  Sie  diirfte  in  der  Hoffnung  einer  binlang- 
liehen  Anzahl  Abonnenten  unter  dem  Titel  :  Musikaliscbe  Nebenstunden7 
an's  Licbt  treten.  Adagios,  Allegros,  Menuetten,  Arien,  Prestos, 
Ariosos  u.  s,  w,  werden  init  einander  abweebseln^  dann  und  wann 
soil  en  aucb  Auszage  aus  ungedrnckten,  und  folglich  dem  Publleo 
nocb  unbekannten  Cantaten  geliefert  werden.  Das  ganze  Werk  wird 
aber  groastentheils  fiir  Anflngor  eingericbtet  werden;  Geiibtere  ver- 
lieren  dabei  nicbts^  indem  icn  versicbere,  dass  alles  neu  und  bis  jetzt 
imbekannt  sein  soil  AHe  Yierteljahr  wird  ein  Heft  von  12  Bogen 
in  Foliofonnat  erscbeinen,  worauf  Jeder,  dein  zu  abonniren  beliebt, 
16  dgr.  subscribirt,  welcbe  beim  Empfang  des  Exemplars  ausbezablt 
T^i^n,  In  Hamburg  nimmt  etc  .....  Diejenigen  Herren,  die  mich 
Ait  iferen  Beitragen  gutigst  beebren,  werden  eben  so  uneigenni^g, 
^s  Ich,  bloss  den  Beifall  des  Publikums  zum  Augenmerk  babenv  .• 

Buckeburg,  den  letzten  May  1786. 

J.  Chr.  Pr.  Bacb. 

Das  erste  Heft  dieser  Sammlung  hat  der  Verfasser, 
alter  angewandten  Multe  ungeachtet,  wie  so  manches  Andere? 
Charakterisirung  der^  Nachkommen  des  grossen 
emttetgen  geeigriet,  ware?  niebt  "erfoBg%n 
konnen.  , 

Das  zireite  Heft  entMlt  ausser  dem  Clavierauszugel 
der  Amerikanerin  ^iae  ^>aa4e  far  Clavier  und  Violine, 
6-dur  2/4?  2  Marsche,  ein  Trinklied  im  May?  zwei 
Rheinweinlieder  (?7Ein  LebdE  wie  im  Paradies"  iind 
;?BekrSnzt  mit  Lattb^)  und  eii  LSed  ;7?Unser  susse- 
ster  Beruf",  1  Villane!la?  2  AngfaiseB;  em  Presto,  Allegro 


Hamb.  Uaparth.  Corresp.    178&    Ho. 


—    139    — 

tmd  Adagio  (das  leztero  den  besseren  fetucken  angehorig, 
obwohl  "ohne  besondere  Tiefe)?  2  Menuetten,  Polonaisen  und 
noch  ein  Allegro,  ferner  1  Sonate  aus  2  Siitzen  bestehend 
(Allegro  mid  Andantino),  wohl  das  besle  vStiick  der  Samrn- 
lung,  endlich  1  Rondo  ,  saramtlieh  von  der  Composition 
Friedrieh  Bach's. 

Weiteren  Fortgang  scheint  die  Baehe  iiiclit  gehabt  zu 
haben?  denn  ein  drittes  Heft  ist  nicht  erachienen. 

Christoph  Friedrich  bietet  als  Mensch  seinen  BrU- 
dern  Christian  und  Friedemann  gegcniiber  das  wohl- 
tfaaeade  Bild  einer  in  sich  2ufriedenen?  liebenswiirdlgen 
Natur7  in  der  er  Einanuel  Bach  nahe  karu,  niit  dem  er 
auch  in  briiderlich  freundschaftlichem  Vcrkehr  geblieben  ist. 

0o<A  war  in  ihm  das  Talent  offenbar  geringcr*  Der 
gittiiche  Funke,  der  in  seinen  Briidern  kg,  von  zweiea 
miter  ihnen  in  niedrigen  Leidenschaften  erstickt  wurde? 
gluhte  nur  in  geringerem  Grade  in  ihm. 

Er  hatte  aus^er  anderen  K-indern  einen  Sohn?  Wil- 
helm  Friedrich  Ernst,  geb.  am  27.  Mai  1759,  der  sich 
gleichfalls  der  Musik  widmete,  die  er  zuin  Theil  bei  sei- 
nem  Vater,  zum  Theil  bei  seinem  Oheim  in  London  er- 
lernt  hatte,  bei  dem  er  bis  zu  desseri  Tode  verblieben 
wax.  Er  ist  eine  Zeit  lang  als  Claviervirtuose  mit  grossenj 
Beifall  durch  ver^chiedene  Lander  (Holland,  Frankreich) 
gereist?  and  Hess  sieh  schliesslich  in  dem,  dern  Wohnsitz 
seines  Vaters  nalien  Minden  nieder.  Als  Fried  rich  Wil- 
helni  II.,  Friedrich'  s  des  Grossen  Xacliiblger,  nach 
seiner  Thronbesteigung  zuin  eraten  Male  durthin  kai^ 
fehrte  Wilhelm  Back  ihm  zu  Ehrea  dne  Cantate:  ??West- 
ph&ien's  F^eude,  ihren  viel  geliebten  Konig  zu 
sehen",  anf,  welclie  den  vollen  Beifall  desKonigs  erhielt,  der 
bekanntlich  ein  besonderer  Liebhaber  nnd  friner  Kenner  dar 
Miisik  war.  Wilhelm  Bach  wurde  nach  Berlin  berufen*)?  , 
WQ  er  laagi®  Ziait  ak  Kapellmeister  zuerst  bei  der  regi©-* 


1791. 


—    140    — 

renden,  dann  bei  der  nachmaligen,  in  Preussen  so  hoch- 
verehrten  Konigin  Louise  angestellt  war.  Er  1st  der 
Lehcrer  Friedrich  Wilhelm's  III.  gewesen  und  hat  auch 
die  Bruder  desselben,  die  Prinzen  Wilhelm  und  Heinrich 
von  Preussen  unterrichtet.  Letzterer,  der  sich  spater 
nach  Rom  zuriickzog,  hat  ihm  noch  yon  dort  aus  eine 
Pension  von  300  Rthlrn.  ausgesetzt. 

Er  war  ein  Anhanger  des  strengen  Styls  und  der  alten 
Musik,  dabei  schtichtern  und  dem  6 ff en t lichen  A uft re- 
ten  abgeneigt.  Deshalb  ist  auch  von  seinen  Compositio- 
nen  wenig  gedruckt  worden.  Sohne  hat  er  nicht  gehabt. 
Er  hatte  die  Freude,  als  der  letzte  welke  Spross  der  einst 
so  zahlreichen  Familie  der  Bach  an  der  Erinnerungsfeier 
Theil  zu  nehmen,  welche  Felix  Mendelssohn  93  Jahre 
nach  dem  Tode"  Sebastian  Bach^  (am  23.  April  1843) 
zu  Leipzig  veranstaltete.  In  seiner  Gegenwart  fand  die 
Enthtillung  des  in  der  Nahe  der  Thomassehuk  zum  €fer 
dUehtniss  Sebastian^s  errichteten  Denkmris  statt 

Zwei  Jakre  sp^ter  (ami  22.  December  1845)  ist  mit  dem 
84gatfigeii  Grreise  der  letzte  Spross  der  Familie  des  grossen 
Cantors  aus  Leipzig  zu  Berlin  zu  Grabe  getragen  worden. 

Seinem  Vater  sowenig  als  ihm  war  es  vergonnt  ge- 
wesen, den  alten  RuJ^m  ihres  Geschlechts  in  die  kommende 
Zeit  hinuberzutragen.  Aber  Beide  haben  den  Namen,  der 
ihnen  in  gutem  Klange  uberkommen  war;  mit  Ehren  ge- 
filhrt  und  in  Ehren  erhalten. 


Capitel  VHL 

Johann    (liristiaii    «  a  ch 

der  Londoner. 


Anders  stand  es  mit  den  BrMern  Christian,  dem 
Londoner,  und  Friedemann,  dem  Hallteschen  Bach,  Beide 
sind  eminente  Kiinstler  und  grosse  Tenseteer  gewesen.  Abear 


~    141    — 

w&hrend  der  erne  sein  Talent  vergeudet,  der  andere  das- 
selbe  unfruchtbar  hat  verkommen  lassen,  haben  beide  dem 
ehrliehen  Nainen  ihrer  Farnilie  einen,  ihin  bis  dahin  un- 
bekanriten  Makel  aufgedruckt. 

Obschon  von  beiden,  insbesondere  von  Friedemann 
Bach  sehr  ausgezeichnete  Arbeiten  auf  die  Naclnvelt  ge- 
konimen  sind?  so  zahlen  beide  doch  nicht  zu  denen;  deren 
Wesen^und  Arbeit  neue  Bahnen  eroffnet?  neue  Kunstzweige 
belebt7  die  vorhandenen  hoLerer  Vollendung?  grosserer  Voll- 
kommenheit  entgegengefuhrt  hatte.  Ihre  Berechtigung  fur 
die  Kunstgeschichte  beruht  vorzugsweise  in  ihrer  Eigen- 
schaft  als  Sohne  eines  grossen  Vaters. 

Doch  ist  das  Absterben  der  Familie  desselben  em  so 
bedeutungs voiles  Ereigniss,  dass  es  selbst  in  seinen  nnwir- 
digen  Sprossan  ein  Recht  auf  Beobachtung  in  Anspracb 
nehmen  darf.  Zweihundert  Jahre  hindurch  hatte  das  CJe- 
schlecht  der  Bach  seit  dem  Urvater  Veit  Thiiringen  und 
Sachsen  mit  zahlreichen  Musikern  versehen7  die  zuni  iiber- 
wiegenden  Theile  zugleich  Klinstler  gewesen  waren.  Aus 
ihm  vor  alien  hatte  sich  die  contrapunktische  Scliule  re« 
crutirt?  deren  glanzendster  Schlussstein  Sebastian  Bach 
gewesen  ist.  Seine^Schiiler  waren  es?  die  zu  Berlin  in 
gemeinschaftlichem  Wirken  jene  neue  Schule  gebildet  hnt« 
ten,  durch  welche  die  altklassische  Musik  im  Gegensatz  zu 
der  von  der  Opernbiihne  her  mehr  und  niehr  um  sich 
greifenden  italienischen  Geschmacksrichtung  gepflegt  und 
f&rtentwickelt  wurde,  und  die  in  Em.  Bach,  Kirnberger, 
Marpurg?  Nichelmann,  Quantz7  Agricola,  den  Ben* 
da's  und  selbst  in  Graun  und  seinem  Bruder  ihre  Y®r- 
treter  geftinden  hatte. 

Nun  sollte  das  Gesehleeht  von  der  Welt  abtreten. 

Johann  Christian,  genannt  der  Mailander  oder  <t@r 
Londoner  Bach?  war  im  Jahre  1735  zu  Leipzig 
der  elfte  Sokn   Sebastian's.    Bei  seiner  Geburt 
ausser  Wilhelm   Friedemann?   Emanuel   und 
stop  fa  Friedrj^b  mwk  drei  and0re  Sohne  desselben, 


_    142    - 

denen  Johann  Gottfried  Bernhard  (Organist  zu  Miihl- 
hausen)  friih  genng  starb,  David,  der  jiingste,  blodsinnige, 
diesem  bald  folgte,  und  Gottfried  He  in  rich  noch  lan- 
gere  Zeit,  bis  1761?  ein  unbekanntes  Dasein  gefuhrt  hat. 

Als  Sebastian  Bach   das    miide  Haupt  zur  ewlgen 
Ruhe  neigte,  war  Johann  Christian  15  Jahre  alt. 

Der  grosse  Kiinstler  hatte  seine  Familie  in  sorgen- 
yoller  Lage  zuruekgelassen.  Anna  Magdalena;  die  treue 
Gefahrtin  seines  Lebens  und  seiner  kimstlerischen  Grosse 
wie  seiner  Sorgen  und  Leiden  vermochte  nicht?  den  jung- 
sten  der  ihr  gebliebenen  Sohne?  deren  sie  sieben  geboren 
hatte,  zu  erziehen.  Philipp  Emanuel,  auf  den  vor 
alien  die  Sorge  fur  die  Seinen  gefallen  war?  nahm  ihn  zu 
sieh  nach  Berlin,  erzog  und  unterrichtete  ihn  dort1).  Doch 
scheint  das  Kunstlerblut  bei  ihm  friih  in  Wallung  gerathen 
zu  sein.  Die  Bekaiintschaft  mit  den  italienischen 
linnen  der  Berliner  Opef  wirkte  nicht  ebeii 
amf  ihs  ein?  land  vier  Jahre  spiter  (1154)  verliess  or  19  Jahre 
ait  seines  Bntders  Haug  uad  &ehule?  wie  di6  Heimath,  um 
D0fit  «iet  dieser  SJingerinnen  nach  Italien  zu  gehen.  In 
Mailand  wurde  er?  der  Lutheraner:  nach  kurzein  Aufent- 
halt  zum  Kapellmeister  an  einer  der  dortigen  Kirchen  be- 
stellt.  Da  blieb  er?  bis  iin  Jahre  1759  Hilndel  sein  ruhm- 
volles  Leben  zu  London  geendigt  hatte.  Sofort  elite  er 
dorthin  und  erhielt?  etwa  24  Jahre  alt,  dessen  Stelle  als 
Musifa&eister  der  Konigin?  ein  Dienst,  in  welcheni  er  bis 
zn  seinem  im  47.  Jbebeasjahre  erfolgten  Tode  (er  starb 
Anfangs  Januar  1782)  rerblieben  ist2).  So  war  der  jungste 
Sohn  Sebastian  Bach?s  to  die  Stelle  jenes  grossen  Ton- 
setzers  getreten,  der?  als  er  auf  der  Hohe  seines  Glanzes 
stand?  es  nicht  hatte  iiber  sieh  gewinnen  konnen,  mit  dem 


1)  Gsnealogie  der  Bach*scliett  Familie  in  der  K.  Bibl.  zu  Berlin. 

2)  Kach  Polil  (Mozart  und  Haydn  in  London)  featte  J.  0.  Bach 
dort  am  2.  Juni  1768  im  Saale  des  Thatch  d'House  zum  ersten  Male 
oifentlich  auf  dem  Pianoforte  gespielt.    Doch  ist  es  kaum  denkbar, 
dass  er  hiemH  9  Jafare  sach  seiner  ArtsteSung  gfcwarfet  naben 


—    143    — 

einfaohen  Cantor  der  Thomasschule  in  personlichen  Ver- 
kehr  zu  treten.  Wohl  hatte  dieter  JSohn  im  Hinblick  hier- 
auf  sich  gedrungen  ffihlen  sollen?  den  Manen  cles  Vaters 
in  grossen  Tonwerken  siihnende  Opfer  zu  bringen! 

Aber  was  war  ihin  der  Gedanke  an  den  Vater,  den 
er  nur  als  Knabe  gekannt?  dessen  Wirken  nnd  Streben 
or  nie  schatzen  gelernt  hatte!  Leben  wollte  er  und  ge- 
n  lessen.  Und  so  schliirfte  er  in  deni  berauschenden 
Tranke  sinnlicher  Lust  das  Vergessen  seiner  grossen  Stel- 
lung  und  Aufgabe  mit  durstigen  Ziigen  ein. 

Sein  Einkommen  wurde  auf  1500  Pfd.  Sterling  (gegen 
103000  RthLr.)  geschatzt l ).  Als  er  starb?  hinterliess  er 
gegen  30?OQO  Rthlr.  SeMden.  Er  war  mit  Cecilia  Grassi, 
einer  seit  1761  bei  der  grossen  Oper  zu  London  sehr  be- 
liebten  Sangerin  verheirathet.  Naeh  seinem  Tode  ging 
diese7  dureh  eine  Pension  ?  welclie  die  Konigin  ihr  zahleu 
liess,  vor  ISfoth  und  Sorgen  geschtitzt,  nach  Italien  zurtick2). 

Kinder  liat  Christian  Bach  nicht  gehabt. 

Rochlitz  sagt  sehr  treffend  Yon  ihni3):  7?^o  viel  Ge- 
schmeidigkeit  des  Gei»tes,  so  viel  Accommodation  in  dea 
Genius  des  Saculums  7  so  viel  Unterjochung  der  tiefen 
Theorie  unter  die  fliichtige  Melodik  der  Zeit,  —  hat  wohl 
noch  niemand  wie  dieser  Bach  gehabt.  Er  seheint  skb 
ordeutlich  den  Plan  vorgesetzt  zu  haben,  seinem  Bruder 
in  Hamburg  zu  beweisen;  man  konne  gross  sein  und  sich 
doch  nach  dem  geringfugigen  Geiste  des  Volkes  bequemen. 
Der  Erfolg  bewies?  dass*  er  Unrecht  hatte,  denn  sein  Geist 
litt  unter  den  Fesseln  der  Accommodation.  Die  hoh« 
Tteorie?  die  er  aus  den  Rippea  seines  grossen  Vaters  an- 
zog?  uiagab  er  mit  dem  Biiberflor  des  modernen  Geschmack^ 
—  eine  Rieein  in  Filet  gebiillt  —  Er  war  Meister  in  alien 
Sly  lea,  Buchstablich  war  es  wahr?  was  ein 


Mm.  Almanack  178S.  a  142. 
Hilgenfeld,  <T.  S.  Bach.  S.  14 

L  a  9L1. 


englischer  Dichter  von  ihm  sang:  ,,Bach  stand  auf  des 
Olympos  Gipfel  und  Polyhymnia  kam  ihm  ent- 
gegen,  Sie  breitete  die  Silberarme  urn  ihn  und 
sprach:  Granz  bist  Du  mein!" 

,,Seine  Kirchenstiicke  haben  viol  G-riindlichkeit,  nur 
eine  gewisse  weltliche  Miene,  die  den  Geruch  der  Ver- 
wesung  ankiindigt  Seine  Opern,  die  er  in  England ,  Ita- 
lien  und  Deutschland  setzte,  verrathen  alle  den  Herrscher- 
geist  im  Grebiete  der  Tonkunst  Dieser  Bach  konnte  sein 
was  er  wollte,  und  man  verglich  ihn  rait  Recht  mit  dem 
Proteus  der  Fabel.  Jetzt  sprudelte  er  als  Wasser;  jetzt 
loderte  er  als  Feuer.  Mitten  unter  den  Leichtfertigkeiten 
des  Modegeschmacks  schinunert  iminer  der  Riesengeist 
seines  Vaters  dureh.  —  Sein  Bruder  in  Hamburg  schrieb 
ihm  ofters:  ,7Werde  kein  Kind!"  Er  aber  antwortete 
immer:  nlch  muss  stamuaelny  damit  inich  die  Kiader 
v^rstehen."  v ,  v 

,,Dass  aber  diesar  ausserord^Bliich^  Maam  atteh  in  dem 
tkferonigen  Style  sein^  Braders  uni  Vaters  arbeiten  konnte^ 
bw&iseB  Tensehiedene  Claviersonatenj  die  er  zu  London 
li^^isgab.  Sonderlich  ist  eine  Sonate  von  ihm  aus  F-moll 
foekannt?  die  mit  den  grundlichsten  und  besten  Stticken 
dieser  Art  wetteifert." 

7?Bach  hat  sich  in  alien  Arten  des  musikalischen  Styls 
fast  mit  gleichem  Gliicke  gezeigt.  Er  arbeitete  fur  die 
Kirche,  fiir's  Theater,  for  die  Rammer.  Er  verfertigte 
tragische  und  komische  Opern ,  *  ernste  und  seherzhafte 
Ballete.  Natiirlich^r  Fluss  der  Gedanken,  liebliche  Melo- 
dieen?  reiche  Instrumentkenntniss,  iiberraschende  Aus- 
weichungen,  herrliche  Bearbeitung  des  Duetts,  festliche 
Chore  nnd  meisterhafter  Recitativstil  —  charakterisiren 
seiile  ernsten  Opera.  Er  sctrieb  deren  sehr  viele  in 
Italian,  England  und  Deutschland;  und  noch  heute  werden 
sie  mit  dem  entschiedenstea  Beifall  aufgefuhrt.  Jomelli'- 
sehes  Feuer,  und  den  harmoniaehen  Tiefsion  seiaes  Bruders, 
in  Hamburg  ~  sucht  man  freiich  in  diesen  sein^i  Opern 


_    145    — 

vergebens;  aber  Natur  und  Einfalt  ersetzen  diesen  Mangel 
desto  reichlicher.  Das  Zartliehe  und  Verliebte  gelang  ihm 
besser  als  das  holie  Tragische.  Seine  seherzhafte  Muse  hat 
yiel  giiickliche  Einfalle:  sie  1st  mehr  wltzig  als  launig, 
daher  wurden  seine  komischen  Opern  in  London  nie  lange 
goutirt.  Seine  Ballete  in  beiden  Arten  sind  yortrefflich 
und  dollmetscJaen  den  ganzen  Sinn  der  Geberdenspraehe. 
—  Seinen  Kirehenstiicken  fehlt  es  nicht  an  Wiirde  und 
Andacht.  Er  hat  fur  Bom  und  Neapel  einige  Messen  ge- 
setzt,  welche  daselbst  allgemeine  Bewunderung  erregten. 
Auch  fur  London  schrieb  er  einige  Psalmen  in  wahrem 
antiken  Geschmacke.  Sein  Te  Deum  laudamus  ist  eins 
der  schonsten,  die  wir  in  Etiropa  besitzen.  Die  Fugen 
und  Chore  bearbeitete  er  mit  grosser  Kunst?  ohne  in  Pe- 
dantismus  zu  fallen.  —  Seine  Clavierconeerte,  Sonaten  u.  s.  w. 
mit  und  ohne  Begleitung,  gehoren  noch  imnaer  unter  die 
Lieblingsstiicke  des  Publikums.  Bach  spielte  das  Clavier 
selbst  als  Meister,  zwar  nicht  mit  der  magischen  Kraft 
seines  Vaters  oder  Bruders  in  Hamburg;  -aber  doch  so? 
dass  ihn  Niemand  in  England  iibertraf.  Weil  er  verKebter 
Komplexion  war?  so  sti*ebte  er  sehr  nach  dern  Beifall  der 
Damen.  Dieser  Umstand  klSrt  vieles  yon  seinem  musika- 
lischen  Charakter  auT.  Seine  Anschmiegung  an  den  Mocle- 
geschmack?  seine  oft  zu  grosse  Nachgiebigkeit,  seine  ge- 
fallige  Condescendenz7  da  wo  der  Wohlgeschmack  sank; 
das  seinem  grossen  Geiste  so  wenig  passende  Tiindeln;  die 
oft  wasserige  Leichtigkeit  in  seinem  Satze,  da  wo  er  yon 
Natur  zur  Schwere  geneigt  war  —  all  dies  riihrte  yon 
seiner  allza  grossen  Liebe  fiir  das  weibliche  Geschlecht 
her.  Er  war  der  Liebling  der  englisehen  Damen.  Seine 
Sinfoniea  sind  gross  und  prachtig,  dieser  Schreibart  yoll- 
kommen  angemessen  und  fur  Priyatconcerte  weit  schick- 
licher?  als  die  Jomellijschen." 

?7Badbt  war  einer  der  fleissigsten  Tonsetzer?  die  jemals 
gelebt  habexL  Sraie  Stticke  belaufen  sich  auf  eine  kauia 
glaubliche  Zahl^  woriu  der  Vortrag  KBtgemein  abwechsela4t 

Bitter,  Enuuinel  nrtd  Wx$&&8mai!a£  Bach.    IL  |Q 

* 


ist  *l)a  Bach  nur  hochst  selten  seinem  eigenen  Geschmack 
folgte,  da  gleichsam  immer  eln  Anderer  schrieb  als  er 
selbst,  so  haben  nur  wenige  seiner  Stiicke  lekheit  und 
Originalitat.  Er  selbst  war  deshalb  mit  seinen  Stiicken 
nie  zufrieden,  uud  wenn  er  lange  auf  dem  Flugel  gespielt 
hatte,  so  pflegte  er  immer  mit  einer  tiefsinnigen  Phantasie 
zu  schliessen,  und  am  Ende  zu  sagen:  So  wiirde  Bach 
spielen,  wenn  er  diirfte1)!" 

Dies  eine  Wort  bezeichnet  seine  Stellung  zur  Kunst  nicht 
minder  wie  das  Andere,  das  er,  als  ihm  einst  einer  seiner 
Freunde  iiber  sein  leichtsinniges  Leben  und  Componiren 
Vorwiirfe  machte  und  ihm  das  Beispiel  seines  Bruders  und 


i)  Forkel  hatte  Irgendwo  gesagt,  dass  Christian  Bach  ein 
Volks-Componist  gewesen  sei. 

Hierawf  fragt  Zelter  m  seinen  naehgelassenen  Notizen:  ,»Was  ist 
ein"  Tolks-Oomponist?  l ,  # 

*  Bies^:  Baefe  war  em  ehriicher  Betitscher,  der  IB  England  italie- 
MdieO;peTn  geschrieben  hat,  und  das  soil  ein  Volks-Componist  seyn? 
'Dema  wenn  er's  nicht  noch  ist,  so  ist  er  es  auch  zu  seiner  Zeit  nicht 
gewesen. 

Wer  ist  denn  das  Volk,  dessen  Coniponist  Bach  war?  Doch 
nieht  die  Damen  und  Herren,  die  seine  italienische  Arie  nach- 
seufzten?  * 

Se  cerca  se  dice 
PAmica  dov'e? 
PAmica  infelice 
Eispondi:   mori! 
Ah  n6  si  gran  duolo 
Non  darle  per  me 
Rispondi,  ma  solo 
Piangendo,  parti! 

Dies  ist  eine  von  den  Arien,  welche  gem  gesungen  wurden,  weil 
man  sie  schon  fand,  aber  noeh  einmal:  Wer  ist  das  Volk? 

Was  Hr.  Fork  el  hier  aber  sagen  zu  wollen  scheint,  ist:  der 
Londoner  Bach  sei  ein  gemeiner  Oomponist  fur  den  Pobel,  und  etwa 
deswegen  allgemein  beliebt  geweisen.  Boch  ist  er  deswegen  eben  so 
wenig  ein  Yolks-Compomst,  ala  das  Volk  von  ihm  (ELrn.  Forkel  aus- 
genommen)  weiss.  Er  verzeihe  es  ater,  wenn  wrr  hiemit  bemerken, 
dass  ein  Volks-Componist  eim  gropes  und  edles  Genie  sein  kann, 
wie  das  Volk  selbst  in  seiner  wahrea  Bedeutung  nichts  anderes  ist/ 


—    147    — 

Erziehers  Emanuel  vorhielt,  diesem  antwortete1):  ?,Mein 
Bruder  lebt,  um  zu  componiren,  Ich  componire, 
um  zu  leben." 

So  durfte  Emanuel  von  ihm  sagen2):  7JInter  nos? 
machte  es  anders,  als  der  ehrliche  Veil" 

Man  kann  von  Niemandem?  der  das  Leben  ini  Taurael 
des  Genusses  auskosten  wilI7  verlangen,  dass  er  ein  grosser 
Kiinstler  sein  solle.  So  ist  des  jungsten  Bach's  Kiinstler- 
thum  und  Kiinstlerruhm  zu  Grunde  gegangen.  WIe  ein 
machtiger  Strom  nidht  selten  im  Sande  verlauft,  so  verlor 
sich  der  edle  Geist  seines  Vaters  in  der  Verflaehung  und 
der  sinnlichen  Grenusssucht  dieses  Sohnes,  der?  wie  sein 
stets  durstiger  College  Abel  dem  Wein?  seinerseits  den 
Frauen  ergeben  war,  ohne  dass  er  deshalb  den  Wein  ver- 
selimaht  hatte. 

Nach  einem  von  ihm  vorhandenen  Portrait  war  er  ein 
schoner  Mann  von  feurig  edler  vornehmer  Gesichtsbildung, 
wie  sie  wohl  den  Damen  seiner  Zeit  gefallen  konnte. 

An  sich  fehlte  ihm  auch  ein  edlerer  Sinn  nicht.  Dies 
zeigt  beispielsweise  der  kurze  Brief,  den  er  (leider  ohne 
Datum  und  Jahreszahl)  an  einen  CIavierspieler;  Namens 
Krenschel  in  Dresden  in  franzosicher  Sprache  geschrieben 
hat.  (Siehe  Anhang  n.) 

Cramer's  Magazin  fur  Musik3)  enthalt  eine  Nach- 
weisung  seiner  offentlich  bekannt  gewordenen  Werke, 
welehe  hier  zu  wiederholen  nicht  erforderlich  sein  durfte. 
Sie  bestanden  in  Clavier -Concerten  mit  und  ohne  Instru- 
mental-Begleitung,  in  Trios,  Sonaten,  Sinfonien,  Quartetten7 
Quintettenj  verschiedenen  Opern  ernsten  und  komischen  In- 
halts^  Ballets  und  einzelnen  Gesangssachen  in  den  damals 
gebrauchlich^i  verschiedenen  Stylen,  das  Meiste  in  jener 


Aflg.  Leipz.  Mns,  Z^.    Jahrg.  29.   S.  876. 
Genealogie  der  Famille  Baeb.    (K.  Bibl,  zu  Berlin.) 
1788.    Tk  L    S.  194. 

10* 


-    1*8    - 

oberflaehlich  melodiosen  Manier,  die  eine  Zeit  lang  fur  die 
rausterhafteste  Schreibart  in  der  Musik  gait 

In  den  von  ihm  imd  Abel  dirigirten  Concerten  zu 
London  und  auch  spater  noch  wurde  ofter  eine  von  ihm 
componirte  Sinfonie  fur  2  Orchester  aufgefuhrt.  Eine 
seiner  Opera:  la  Clemenza  di  Seipione  ist  noch  im 
Jahre  1805,  durch  Elisabeth.  Billington;  eine  beruhmte 
Skngerin  aus  dera  letzten  Viertel  des  vorigen  Jahrhunderts, 
die  eine  Zeit  lang  (etwa  urn  1775)  seine  Schiilerin  gewesen 
war,  auf  die  Biihne  gebracht  worden1).  Zu  den  sonst 
yon  ihm  componirten  Opern  gehorten2):  Orf6o,  Catone, 
Especie  di  tormanto?  Demofonte,  Gioas  Re  di  Quida,  La 
confusa  smaritata. 

Naeh  Junker3)  Vare  J.  Chr.  BacK  auch  von  dem 
KurfCirsten  Carl  Theodor  zur  Kchopfung  einer  Oper  nach 
Mannheim  berufen  worden ,  wo  von  dort  freilich  nichts  be- 
kannt  ist. 

Nicht  alle  s®bae  musikaJi^cKen  Siinden7  die  der  Oeffent- 
lielGteit  anheimg0f^lleB?  sind  ihm  voll  anzurechnen.  In 
einem  Briefe  vom  Jahre  1783  aus  London4)  heisst  es: 
;,Sie  mussen  sich  niclit  wundern,  wenn  man  so  oft  Werke 
von  Bach  und  Abel  im  Stiche  sieht;  die  man  in  Deutsch- 
land  fiir  inittelmassig  oder  imter  der  Wiirde  dieser  beid^gf 
beriihmten  Manner  gehalten  hat  Dies  verhielt  sich  so: 
Beider  Werke,  die  sie  ftir's  Publikum  bestirnmt  hatten, 
gaben  sie  an  Brenner  und  Walker  zu  stechen?  die  da- 
fur  reichlieh  bezablteo.  Alles  Andere  ist  ganz  wider 
Wissen  uad  Willeai  derselben  entwandt  und  ohne  Erlaub- 
niss?  ja  sogar  Einiges  fabch  unter  J.  C.  Bach's  Nameu 
gestochen  worden.  Die  Entwendung  i§t  folgendermassea 
geschehen.  Da  man  von  denselben  selbst  nichts  erh&lten 


1)  PohL    Mozart  und  Haydix  IB  London.   S.  15  u.  826. 

2)  Katalog  von  Musikalkm  von  Westpltal  in  Hamburg.    1782 
ttnd  Nachlass-Katalog  von  Paul  Scheel  ia  Ilzehoe. 

3)  Skuzen,  (Bern)  177G.  S.  15, 

^  Cramer's  Magazin  f.  Musik.  1783.  Th.  I.  S.  553. 


kdmien  und  nieht  hinlanglich  bezahlen  wollen?  so  hat  roan 
gesueht,  Abschriften  von  den  kleinen  Aufsatzen,  so  sie  fiir 
Scholaren  an  Quartetten,  Trio's  etc.  fur  verschiedcne  Hiiuser 
gemachtj  zu  erhalten,  diese  zusammengesetzt,  so  gestochen 
und  in  der  Stille  verkauft.  Kauni  hatten  nun  andere  neue 
Wcrke  von  diesen  Autoren?  besonders  mit  Bach's  Xamen 
geselien?  so  warden  sie  wieder  nachgestochen  und  so  als 
achtc  Werke  dieser  so  beliebten  und  grossen  Manner  ver- 
breitet;  und  dadurcli  ward  zugleich  die  Ehre  und  der  gute 
Name  dieser  Verfasser  gekrankt." 

Mag  hienack  raanche  seiner  Arbeiten  nicht  zur  Ver- 
offentliehung  bestimtmt  gewesen  sein?  in  jedena  Falle  war 
J.  C.  Bach,  der  sein  Talent  ?  die  Genialitat,  die  den  Stem- 
pel  ihres  Ursprungs  nicht  verlittignen  konnte?  rait  Leicht- 
siun  vergeudete?  das  grelle  Gegenbild  seines  ernsten,  froni- 
rnen,  voin  Dienste  seines  Qottes  und  von  der  Verehning 
seiner  heiligen  Kunst  so  tief  dnrchdrungenen  Vaters.  Er 
war  aber  aueh  zugleich  eiu  nierkwurdiges  Seitensttick  zu 
seinem  altesten  Bruder  Friedeniann,  der  bei  gleichen 
Gaben  mit  tieferem  Wissen  und  mit  weit  iiberlegenen 
Kraften,  wie  er  an  den  Klippen  strandete,  an  denen  das 
Leben  grade  die  bevorzugten  Geister  so  gern  vomberfuhrt, 
um  ihre  Aechtheit  im  Kampfe  zu  ^priifen  und  —  wenn  sie 
sich  nicht  bewkhrt,  sie  an  ihuen  zerschellen  zu  lassen. 

Wiirde  es  sich  lohnen  mit  miihsamer  ^orgialt  heraus- 
zosuchen  und  der  jetzt  lebenden  Generation  darzule^en, 
was  etwa  an  Kornern  edlen  Goldes  in  semen  Arbeiten  ver- 
slreut  gefunden  werden  konnte?  Joh.  Christian  Bach 
hat  seine  Zeit  und  in  ihr  seine  Kunst  nicht  gefordert. 

dass  er  der  Sohn  des  grossen  Sebastian  war?  rettet 
dos  einst  Vielbewunderten  vor  Vergessenheit. 


—    150    — 

Capitel  IX, 

Wilhelm   Friedemann   Back, 

der  Halliscke. 


Wird  dies  traurige  Schlussurtheil  iiber  ein  verfehltes 
Leben  nicht  auch  auf  Wilhelm  Friedeniann  Anwendung 
finden,  der,  Sebastian  Bach's  Erstgeborener,  vor  allem 
die  Aufgabe  zu  erfiillen  gehabt  hatte,  den  Namen,  den 
ihm  ein  seltenes  Geschick  in  so  reinern  edlen  Qlanze  iiber- 
wiesen  hatte,  fleckenlos  zu  erhalten,  dcs  Vaters  kiinstleri- 
sche  Thatigkeit  im  Sinn  des  Fortschritts  weiter  zu  fiihren, 
die  Kunst  selbst  als  ein  heiliges  Vermachtniss  zu  betrach- 
ten,  das  ihm  jener^  von  unendlich  hoherm 
Reichthum  und  Sehiatze  dieser  Erde?  hmfcerlassea 
Mit.soiiiBer^liclieni  Zweifel  weiit  der  Blick  der  Nachwelt 
^tuf  Tdiesem  Lieblingssohne  des  grossen  Tonsetzers,  in  dessein 
6teiste  die  seltenen  Gaben  des  Vaters  neu  veijiiDgt  empor- 
zubliihen  schienen. 

Wilhelm  Friedemann  war  im  Jahre  1710  zu  Wei- 
mar geboren,  der  erste  von  den  21  Kindern  Seb.  Bachjs, 
der  fUteste  seiner  12  Sohne. 

Mit  weloher  Liebe  hatte  der  Vater  dies  en  Sohn  em- 
pfengen,  gehegt,  unterrichtet,  erzogen!. 

Von  seiner  Jugend  ist  kauin  mehr  bekannt  als  von 
der  EmanueTs.  Man  weiss  nur,  dass  sich  in  ihm  sehr 
frtih  die  seltenste  Befahigung  fur  die  Musik  zeigte,  dass 
er  im  Clavier-  und  Orgelspiel  bald  Meister  war  und  der 
verwickeltsten  Aufgaben  im  Contrapunkt  mit  spielender 
Leichtigkeit  Herr  wurde. 

Als  Sebastian  Bach  im  Jahre  1722  von  Cotben  nach 
Leipzig  zog,  war  Frie  demann  12  Jahr  alt.  Damals  be- 
reits  hatte  der  Vater  fur  ihn  seine  6  Sonaten  oder  Trios 


—    151    — 

fur  2  Clavlere  mit  obligatem  Pedal  geschrieben,  um  ihn 
fur  das  Orgelspiel  vorzubereiten 1).  Wer  diese  wunder- 
baren  Stiicke  kennt,  der  wird  erstaunt  sein  211  erfahren, 
dass  sle  fiir  einen  12jahrigen  Knaben  gesetzt  waren.  Nicht 
weniger  aber  wird  es  ihn  mit  ehrerbietiger  Bewunderung 
erfullen;  dass  es  dem  Vater  vergonnt  gewesen  war,  in  diese 
Knaben-Sonaten  einen  solehen  Schatz  harmonischer  Tiefe 
und  Kunst,  eine  so  eigenthiimliche  Besonderheit  der  Ge- 
danken  niederlegen  zu  diirfen.  Friedemann's  Auffas- 
sungsfahigkeit  war  eben  seinem  grossen  Gedankenfluge 
bereits  gewachsen. 

Aber  er  sollte  nicht  bloss  Clavier-  und  Orgelspieler 
werden.  Aus  eigner  Erfahrang  hatte  Sebastian  gelernt3 
dass  ein  Tonsetzer,  der  iiber  die  Gewdhnlichkeit  hinaus 
will?  vor  allem  der  Violine  ah  des  Hauptinstruments  fiir 
Orchester-  und  Kamniermusik  Herr  sein  miisse.  So  liess 
er  ihm  von  seinem  15.  Jahre  ab  durch  den  damaligen 
Herzogl.  Merseburg'schen  Concertmeister  J.  J.  Graun, 
der  spater  in  die  Kapelle  Friedrichjs  des  Grrossen  ge- 
treten  ist,  Untemcht  auf  der  Violine  geben,  damit  er  nach 
der  Natur  dieses  Instruments  setzen  lerne.  Durch  diesen 
Unterricht  ist  Friedemann  ein  vorziiglicher  Violinspieler 
geworden. 

Dass  er  zugleich  die  Thomasschule  besuchte?  ist  selbst- 
verstandlich.  37!Nach  oflfentlicher  Valediction  von  derselben  * 
schritt  er  zu  den  hoheren2)  Wissenschaften  auf  der  Uni- 
versitM-t  Leipzig^  allwo  er  unter  den  Professoribus  Joches 
tind  Ernes ti  die  Philosophic  und  insbesondere  unter 
Dr.  Riidiger  die  Vernunftlehre  studirte.  Ueber  die  In- 
stittttiones  faort©  er  die  Herren  Dr.  Kdstner  und  Dr.  Joa- 
dbito  uiid  bey  diesem  letzterm  besonders  die  Pandecten, 
bey  dem  Harm  Dr.  Stieglitz  Wechselrecht,  und  bey  den 
Herren  Profes&oribas  Haussen  und  Eichter  die  Mathe- 


1)  Forkel,  Sefe.  Back's  Leben  und  Warke.  S.  60. 

2)  Marptiirg?s  Ms&yf.  Mi  Beitr%a  B^.  I.  S,  4B1. 


matik."  Diese  authentischen  Mittheilungen  zeigen,  dass 
die  Studien7  denen  Friedemann  in  Leipzig  oblag,  keines- 
wegs  bloss  forraeller  Natur  gewesen  sind.  Die  Mathematik, 
erne  Wissenschaft,  die  im  vorigen  Jahrhundert  vielfach 
auf  die  Theorie  der  Musik  und  die  Ausinessungen  der  Tone 
angewendet  wurde,  hafc  er  spater  noeh,  als  er  in  Dresden 
Organist  an  der  Sophienkirche  geworden  war?  bei  dem 
7jSehr  geschickten  Commissions-Rath  und  Hoftaathenaatikus 
Walz"  fortgesetzt  und  ,?dabei  noch  die  Algebra  fleissig 
geubt." 

So  hatte,  wenn  sckon  seine  JSchulzeit  in  jene  Epoche 
der  Thomasschule  gefallen  war?  in  der  sich  unter  deni  alt- 
gewordenen  Rector  J.  H.  Ernesti  eine  gewisse  Auflosung 
der  Disciplin  und  inneren  Ordnung  eingeschleppt  hatte, 
doch  seine  wissenschaftliche  Bildung  eine  sorgfaltige  und 
grundliche  sein  miissen.  Mindestens  hat  es  ihm  an  der 
Gelegenheitj  solche  zu  erwerben,  nicht  gefehlt.  Gleiehzeitig 
war  er  zum  vollendeten  Musiker  herangereift?  der  seiner- 
seits  den  Schiilern  seines  Vaters  Unterricht  zu  ertheilen 
yermochte.  Unter  Anderen  gab  er  im  Jahre  1730 ,  also 
da  er  20  Jahr  alt  war?  an  Nicheimann  Cl^Tief- 
Unterricht  J);  wahrend  dieser  bei  seinem  Vater  die  Theorie 
der  Musik  studirte.  Und  dass  dieser  Unterricht  kein  ge- 
ringer  gewesen  sein  kaun?  ist  d^raus  ersichtlich?  dass 
Nichalnxann  spater  gkickzeitig  mit  Em.  Bach  in  der 
Kapelle  Fri^dridbi's  des  Orossen  als  Cembalist  fun- 
girem  konnte. 

Seb.  Bachjs  Lie|)^  war  yprzugsweise  diesem  seinem 
Erstgebornen  zugewendet?  der^  wie  er  glaubte^  ihn  selbst 
weit  iibertreffen  wtirde.  Er  trennte  sich  nur-  ungern  von 
ifam  und  nahm  ihn?  wenn  er  auf  Reisen  giag^  mit  sicb. 
J7Friedeinann?"  pflegte  er  zu  sagen,  wenn  es  nach  Dresden 
gehen  sollte^  wohin  ihn  die  beruhmte  Oper  unter  Hasse's 
Leitung  und  mit  dem  Wundergesange  der  Faustina  zog 


Marpurg's  histor.  farfi  ^^ge.  Bd,  I  B. 


—    153    — 

—  nwollen  wir  nicht  einmal  wieder  die  sehonen  Dresdner 
Liederchen  horen?u  Die  Vorliebe  fiir  die  Begleitung 
dieses  Solmes  anf  Reisen  hieit  bis  in  seine  spate.ste  Lfbens- 
zeit  an.  Es  ist  bekannt,  dass  er  ilin  noch  iin  Jahre  1747 
auf  der  Reise  nach  Potsdam  zu  dem  grossen  Konige  rait 
sich  genommen  hat. 

Ueberhaupt  scheint  Friederaann  niit  seiuein  sinnigen 
traumerischen  Wesen  und  seinein  in  musikalischer  Be- 
ziehung  sich  ganz  und  gar  in  die  contrapunkti-schen  Tiefen 
der  Kunst  versenkenden  Streben  eine  Vertrauensperson  fiir 
den  Vater  gewesen  za  sein,  der  wohl  kauni  ahnen  konnte, 
zu  welcheii  Folgen  bei  der  besondereu  Riehtung  seiner 
musikalisehen  Anlagen  dieses  starre  Anklaramem  an  den 
formellen  Theil  der  Kunst ;  dieses  einseitige  Erfassen  der- 
selben  fiihren  werde.  So  beauftragte  er?  der  dainals  krank 
war,  im  Jahre  17297  als  Handel  von  Italian  aus  vor  sei- 
ner Riickkelir  nach  London  seinen  zweiten  Besueh  in  Halle 
machte,  den  19jahrigen  Sohn,  dorthin  zu  fahren  nnd  den 
beriihmten  KunstgefUhrten  zu  ihrn  nach  Leipzig  einza- 
laden.  E^  ist  bekannt,  dass  diese  Sendung  keinen  Erfolg 
hatte?  da  Handel  das  Zusainmentreifen  uiit  Seb.  Bach 
zu  vermeiden  suchte1). 

In  jedem  Falle  hatten  diese  Reisen,  der  bevorzugte 
Verkehr  mit  dem  Vater  und  die  Bekanntschaft  niit  den 
vielen  grossen  Kiinstlern,  die  dessen  Haus  besuchten,  dazu 
beitragen  konnen,  Friedemann's  Gesielitskreise  zu  er- 
weitern,  seine  Ansiehten  und  das  Verstlindniss  fiir  die  Auf- 
gabe  seines  Lebens  abzuklaren?  seiner  Bildung  einen  imi- 
Gharakter  zu  geben.  WoH  kaum  konnten  all© 
hiefiir  in  ^idherem  Grade  vereinigt  werden, 
als  irie  sie  sich  eben  ihm  darboten. 

Mehr  und  naehr  suchte  der  Vater  sich  ihm  geistig 
mitzutheilen,  die  ganze  Kraft  und  Fiille  seines  gewaltigen 
Wissens  tind  Erkennens  auf  ihn  zu  tibertragen.  Sem 


Bitter,  J.  S.  Baefe,  Tk  IL  a  5. 


—    154    — 


Bruder  Philipp  Emanuel  durfte  daher  auch  mit  Recht 
von  ihm.  sagen1):  ??Er  konnte  unsern  Vater  eher  er- 
setzen,  als  wir  alle  zusammengenoramen." 

Er  war  nach  Allein,  was  von  ihm  bekannt  geworden, 
der  starkste  Orgelspieler  seiner  Zeit.  Seine  Fertigkeit  und 
Gewalt  auf  diesem  Instrumente  waren  unglaublich.  Der 
Zuhorer  traute,  indem  er  dem  wunderbaren  Gange  seines 
Spiels  folgte,  seinen  Augen  und  Ohren  nicht2).  Die  Hoheit, 
Wiirde  und  Macht  desselben  erregten  heilige  Schauer. 
Seine  Phantasien  waren  so  reich,  neu  und  fremdartig  tiber- 
raschend,  dass  ofters  selbst  der  geiibteste  Harmonist  Miihe 
hatte  seineni  Schwunge  zu  folgen3).  Fork  el  sagt  von 
ihm4):  J?Wenn  ich  ihn  auf  dem  Klaviere  horte;  war  alles 
zierlich,  fein.  Horte  ich  ihn  auf  der  Orgel;  so  tiberfielen 
mich  heilige  Schauer.  Hier  war  alles  gross  und  feieiiich." 

Von  Friedemann's  alteren  Compositionen  ist  ausser 
einzelnen  kleincn  Studienstiicken  so  gut  als  Nichts  bekannt. 
Es  ist  daher  auch  sehr  schwer  zu  sagen,  wann  und  wie 
sich  sein  CoiBpositionstalent  entwiekelfc  habe'.  Seinea  friihe- 
sten  Arbeiten  gehoren  offenbar  die  dein  Genre  der  damals 
teSebten  Charakterstucke  beizuzahlenden  1,  La  Revoilte 
und  2.  Limitation  de  la  chasse  an?  von  denen  sich  Ab- 
schriften  auf  der  K.  Bibliothek  zu  Berlin  betinden.  Beides 
sind  kleine  Salonstiicke  in  dem  heutigen  Sinne  des  Worts, 
ohne  eine  gewisse  Eleganz  gesetzt, 

Das  ersiere,  in  0-dur  Allabreve, 


iszr 


i)  Leipz.  Allg.  Hus.-Z,  H,  S.  ^9, 
^)  Reiebardt,  Mas.  Almanacli.  1796. 

3)  Mus.  Almanacb  (Scfawickert),  17^.  S.  120. 

4)  Leben  und  Werke  Seb.  BaMiya  S.  1$. 


—    155    — 


ist  leicht  dahinspielend,  sehr  gefallig,  voll  von  Leben,  viel- 
faeh  modulirend  und  ohne  Anspruclae  an  besondere  techni 
sche  Fertigkeit. 

Das  zwelte?  0-dur  2/47 


/  0     *^  «  

~J"                '  J  !'         1                  

w**     * 

-  -* 

^s 

i 

9  — 

—  *- 

~^ 

-    J 

^j-^^~      ' 

n7"^  

b  —  ^  

• 

-,  ^  

ist  hochst  charakteristisch ,  vielleicht  nicht  durchweg  als 
jagdmassig  zu  betrachten?  obschon  es  ofenbar  eine  iiber 
Stock  und  Stein  dahineilende  Parforccjagd  darstellen  soil. 
Es  erfordert  wegen  des  fortwahrend  nothwendigen  Ueber- 
schlagens  der  Hande  eine  gewisse  Uebung  und  vorgesehritte- 
nere  Technik. 

Die  Art7  wie  dieses  Stiick  gesetzt  ist,  und  der 
rakter  der  Reveille ,  welche  ofFenbai*  den  Stticken 
Coaperin  und  Muff  at  nachgeblldet  ist,  zeigen  eben^ 
diese  Compositionen  der  Jugendzeit  Friedemann's  aa- 
gehoren  musseix.  Dies  darf  um  so  mehr  als  wahrscheinEeti 
aHgenOBana^n  werden^  als  bekanntlich  Seb.  Bach  else 
gros&e  Verehrung  fiir  (Jouperin  und  die  franzo-^ische  SpM- 
art  hafefce;  dies  iBn^fc©  sieh  auf  sdtaa  Schiiler  u 


—    156    — 

wie  das  Beispiel  Ernanuel  Bach't*  deutlieh  beweisst.  Von 
dlesem  Gesichtspunkt  aus  und  als  Zeichen  des  Bildungs- 
ganges,  den  Friedeinann's  musikalische  Entwickelung 
genommen  hat,  sind  beide  Stiicke  jedenfall%  von  nicht  ge- 
ringem  Interesse. 

Friedemann,  der  weiterhin  so  viel  Proben  eigen- 
thtimlicher  Lebensfremdheit  gegeben  hat,  dass  von  ihm 
allein  mehr  Anekdoten  aufbewahrt  sind,  als  von  seinem 
-Vater  imd  seinea  Briidern  zusainraengenominen,  sclieint 
sehon  als  junger  Menscli  zerstreut  und  sonderbar  genug 
gewesen  zu  sein,  tun  'selbst  mit  der  beschrankten  Umgebung 
des  Hauses  nicht  ausser  Conflict  zu  bleiben. 

Er  war  em  vertra liter  Freund  von  Doles,  der  wah- 
rend  der  Dreissiger  Jahre  im  Hause  seines  Vaters  die 
Musik  studirte.  Einst  wollte  Friedeinann  diesen  auf 
seiner  Stube  besucheu,  fand  ihn  dort  aber  nicht  und  setzte 
&ich,  um  ihn  zu  erwarten,  an  den  Tisch?  wohin  man  eben 
db»  Abendessen  {fir  Doles  auf  Kohleu  gestellt  hatte1).  In 
seine  Tr£umereien  versunken  ?  niixrat*  er  das  Essen  herunter, 
es  bis  auf  den  lezten  Rest  *und  w&3*  danix  zu 
Familie  zum  Essen  gerufen.  Ruhig  raumt  er  zti1 
sammen,  steekt  dabei  llesser,  Gabel  nnd  Loffel  in  die 
Tasche,  setzt  sich  mit  den  Seinen  wieder  zu  Tisch  und 
speist  ohne  Weiteres  noch  einmal.  Doles  kommt  nach 
Haus7  iindet  das  leere  Oeschirr?  vermisst  sein  Besteck, 
fragt,  wer  attf  seinem  Zimmer  gewesen?  hort;  dass  Fri ede- 
ma urn  dort  war,  geht  zu  ihm  und  macht  ihin  Vorhal- 
tangen  dartiber,  dass  er  sein  Abendessen  verzehrt  und  sein 
Besteck  mitgenommen  habe.  Dieser  sehr  erstaunt  weist 
die  Zitmuthung  des  Freundea  ab?  und  wird?  als  dieser  sein 
Besteck  von  ihm  zuriickfordert?  im  liochsten  Grade  auf- 
gebracht  Er  springt  auf  und  droht  Doles;  dass  er  ihn 
zum  Diebe  Aachen  wolle.  Dieser,  dem  starken  tind  faust- 
rechten  Gegner  nicht  gewaehsen,  fiieht*,  Friedemann  will 


Allg.  Leipz.  Mas.-Zeit  H,  (180D) 


—    157    — 

ifaza  nach?  seine  Geschwister  halten  ihn?  man  hurt  das  Klap- 
pern  in  seiner  Rocktasche  und  zieht  das  Bestec-k  heraus. 
Fried  emann  sfcutzt  Er  rnft  den  Frexmd  zuriick  und 
bittet  ihn  uin  Verg-ebnng.  Wahrend  aber  die  Anderen 
iiber  seine  Verkehrtheit  lachen?  weiss  er  niclits  zu  sagen, 
als:  „ Wo  ieh  nur  all  den  Appetit  herbekomnien  haben  uiag!" 
Unter  solchen  ausseren  imd  inneren  Verhaltnissen  war 
Friedemann  zum  Jangling  herangereift  und  hatte  end- 
Hch  ein  Alter  erreicht,  in  welehem  er  nacli  der  >Sitte  der 
Vorfahren  und  dem  (lebrauche  der  Zeit  seine  Kritfte  pru- 
fon?  sich  Haus  und  Herd  selbst  griinden  sollte.  Die  iStudien- 
zeit  war  mit  deni  23.  Lebensjahre  voriiber.  Nichts  koimte 
ihn  mehr  veranlassen,  in  deni  von  Greschwistern  und  Schfi- 
lern  uberfiillten  Hanse  des  Vaters  zu  bleiben. 

Im  Jalire  1733  war  die  Organistenstelle  an  der  Sophien- 
kirche  zu  Dresden  erledigt.  Am  7.  Juni  naeldete  er  sich 
von  Leipzig  aus  mittelst  folgenden  dort  ani  12.  Juni  prilsen- 
tirten  Schreibens  uni  die  Stelle1): 

,.Magnifice! 
HochedeJgeborne,  Hoch-  und  Wohledle ,  Hoch-  und  Wohlgelahrte, 

auch  Hoch-  und  Wohlweiae  Herren,  Hochgeneigteste  Gonner. 

Eu.  Hochedelgeb.  Herrlichk.  sojiderb«ire  G-iite  und  Sorgfalt,  mit 
welcher  Dieselben  jedermannt  so  nnr  Dero  hiilfreiche  Hand  ver- 
langet,  zugetban,  kan  varitzo  genug  seyn,  inich  in  meiner  Hoffiniuig 
zu  unterstutzen  5  Massen  iiberdiess  Eu.  Magnslic.  u.  ILochedelgefe. 
Herrlichk.  angebohrce  Leutseeligkeit  mich  last  zwingen  solte  zu 
glauben,  es  werde  auch  vor  diessmabl  inline  unteithiinige  Bitte  eini- 
germassen  statt  finden.  Es  wird  nehmlich  Eu.  Magnific.  und  Hoch- 
edelgeb. Herrliehk.  nicht  unbewust  seyn ,  Was  massen  der  Herr 
Pezold,  gewesener  Organist  bey  der  Sophien-Kirche  dieses  Zeitliche 
gesegnet,  und  also  dessen  vacante  station  mit  emem  subjecto  wiedeir 
zu  ersetzen;  Wenn  demnach  !>ey  Eu.  Magnific.  und  Hochedelgeb 
Herrlichkeit  als  einen  competenten  mich  gehorsarast  meldeii  wolte 
(obgleich  Derer  kein  Mangel  seyn  dorfffce).  Als  ergeht  an  E®, 
Mag-aific.  und  Hochedelgeb.  Herrlichk.  meine  unterthanige  Bitte,  da»» 
dieselben  gnadig  gerahen  wollen,  bey  dieser  Yacaace  meine  Wen%- 
keit  IB  hofae  Consideration  zu  ziehen,  und  nebst  anderen  Competenten 
micfa  zsr  Probe  gaEdig  zu  admittiren. 


i)  Aeta  des  Btadt-E^^  sn  Dresden,  clen  Organistendienst  an  <fer J 
Sophienkirobe  betr.  173B— 18A  Sect  III  €0^,  YII.  No.  67.  Pol.  1^ " 


—    158    — 

Vor  diese  hohe  Gnade  verharre  Zeit  LebeBS  in  devotesten  respect 
Eu.  Magnificence  und  Hochedelgeb.  Herrlichk. 

gantz  untertbaniger  gehorsamster  Diener 
Leipzig  d.  7.  Juny  ao.  1733. 

Wilhelm  Friedemann  Bach." 

Eigenthurnlich  genug  nimint  sich  dies  Schreiben  aus, 
wean  man  daran  denkt,  dass  dasselbe  von  einem  jungen 
Manne  herruhrte,  der  nach  erlangter  wissenschaftlicher  Vor- 
bildung  auf  der  Thomasschule  4  Jahre  *  lang  zu  Leipzig 
die  Rechte  und  die  Philosophie  als  sein  Ilauptstudium  ge- 
trieben  hatte. 

Der  Brief  ist  tibrigens  ganz  von  seiner  Hand,  in  sehr 
ausgeschriebener,  fester,  an  Sebastian  Bach  erinnernder 
Handschrift  geschrieben l)  und  mit  den  eigenthiimlichen 
Redewendungen  jener  Zeit,  wie  man  sieht,  reichlich  durch- 
flochten. 

An  demselben  Tage  ging  ein  zweites  Sctreiben 
in  sehr  ahnlichen  Ausdrtcken  (siehe  Anhang  II.)  an 
den  Apellationsgeriehtsrath  coad  Stadtsyndictis  Schr&t^?^ 
damals  Consul  regens  ( dirigireBder  Biirgermeister)  zu 
Dresden  ab?  in  welehem  die  gleiche  Bitte  vorgetragen 
wttrde?  und  welches  sich  gleiehfalls  in  eigenhandiger  Sehrift 
Wilhelm  Friedemann?s  durch  eine  in  sonderbarem 
Franzosisch  geschriebene  Adresse  auszeichnet.  Der  genannte 
Biirgermeister  scheint  ein  personlicher  Gonner  der  Familie 
Bach  gewesen  zu  sein.  Denn  nachdem  bereits  im  Monat 
May  verschiedene  andere  Gresuche  um  dieselbe  Stelle  ein-» 


!)  Anch  Friedemannjs  Notenscnrift  war  der  des  Vaters  nicht 
unahnlieb,  zumeist  fesfe  und  bestimmt.  Correcturen  finden  sich  bei 
ihm  niebt  baufig.  Dagegen  benutzte  anch  er  die  leeren  Systeme 
seiner  Partitaren  in  den  Cantaten,  um  diese  mit  Arien  und  Recitativen 
zu  flillen.  Am  Anfange  der  Gantaten  findet  sicb  nicht  selten  das 
von  Sebastian  Baeb  her  bekaunte  J.  J.  (Jesujuva)  und  amBcbluss 
das  S.  D.  a.  (Soli  Deo  Gloria). 

Ware  er  weniger  di^en  Aeus^riMikeiten  des  Vaters  gefolgt,  als 
dessen  grossem  Streben,  seiner  klaren  Gewissenhaftigkeit  gegen  die 
Kunst  und  die  Mensehen,  seinem  ileiss  und  der  Treue  des  Haudelns 
gegen  seine  Familie! 


—    159    — 

geg&ngen  waren,  wurde  auf  dieses  personliehe  Schreiben 
sofort  unterm  9.  Juni  verfiigt1):  77dass  auf  nechstkornraen- 
den  22.  Juni  IStaehmittags  urab  3  Uhr  in  der  Sophien- 
Kirchen  auff  dasiger  Orgel  von  Wilhelm.  Friedemann 
Baehen,  Christoph  Schaffrathen?  und  Johann  Chri- 
stian S  toy  en  eine  Probe  gerichtet  und  sodann  einer  imter 
ihnen,  der  am  besten  bestiinde7  zum  Organisten  in  be- 
ineldter  Kirchen  erwehlet  werden  sollte." 

Das  Protokoll  tiber  diese  Probe  ist  im  Anhange  ab- 
gedruckt.  Weshalb  andre  Competenten 7  als  Christian 
Heinrich  Grabner,  der  in  seiner  Eingabe  yom  28.  May4) 
sagt?  dass  er  ??durch  geschickte  Anfuhrung  des  be- 
riihinten  Organisten  in  Leipzig y  Herrn  Kapellmeisters 
Bach,  qualificirt  gemacht  sei;"  ferner  Johann  Samuel 
Kayser?  KcinigL  Kammennusikus  zu  Dresden?  Johann 
Gottfried  Stiibner,  Organist  zu  St.  Annen,  und  Carl 
Hartwigj  Theol.  und  Mus.  stadiosus7  der  sich?  wie  er 
anfuhrt,  ?7von  Jugend  auff  zum  Clavier  appliciret,  wie  er 
dann  vom  Capellmeister  Bach  in  Leipzig  profitiret3)?" 
warum  diese  Personen  zur  Orgelprobe  nicht  zugelassen 
worden  sind?  obschon  sie  sich  rechtzeitig  gemeldet  hatten, 
das  ergiebt  sich  aus  den  Acten  nicht 

Die  Probe  fand  in  Gegenwart  des  Kapellmeisters 
Hebenstreit  statt.  Dieser  erklarte  sich  fiir  Friedemann 
Baeh?  der  denn  auch  am  23.  Juni7  da  er  ??nach  aller 
Musicorum  Ausspruch  und  judicio  als  der  beste  und  ge- 
schickteste  anerkannt  und  er  sich  auch  bei  der  Probe  am 
besten  exhibiret?  wegen  seiner  Geschicklichkeit"  einstimmig 
zaim  Organisten  der  Sophienkirche  erwahlt  und  ihm  fol- 
gende  Instruction  ertheilt  wurde4): 


1)  A<^a  des  SW^Ratfes.    Pol.  12. 

2)  Ibid.  FoL  X 
s)  IfoM.  Foi  & 

Foi  3J&  iC 


—    160    — 

„  Instruction 

vor  Herrn  Wilhelm  Friedemann  Bach, 
Organisten  bey  der  Sophien-Kirche. 

Demnach  nach  Herrrn  Christian  Pezold's  gewesenen  Organisten 
in  der  Sophien-Kirche  allhier  erfolgtem  Ableben,  nnter  anderen  Compe- 
tenten  sich  Herr  Wilhelm  Friedemann  Bach  zu  solchem  vacanten 
Dienst  angemeldet,  er  auch  bey  gehaltner  Piobe  seine  Geschicklich- 
keit  auf  der  Orgel  in  besagter  Kirche  dergestallt  erwiesen,  dass  er  zu 
solchem  Dienste  genugsam  qualificiret  erfunden  worden,  Und  wie 
denn  seinem  Suchen  statt  gegeben;  Als  wird  gedachtem  Herrn  Bach 
sothaner  Organisten -Dienst  in  der  Sophien-Kirche  dergestalt  hiemit 
conferiret,  dass  er  solchen  mit  allem  Fleisse  verwalten,  den  Gottes- 
dienst,  so  offt  er  ihn  durch  Spielen  auf  der  Orgel  zu  versehen  hat, 
ohne  Noth  und  ohne  erhaltene  Erlaubniss  nicbt  versaumen  Oder  doch 
ein  solches  subjectum,  welches  auf  der  Orgel  zu  spiel  en  geschickt 
ist,  vor  sich  bestellen,  nicht  weniger  auch  sieh  der  gleichen  Art,  so 
sich  zur  Andacht  schicket  und  dem  Gehor  annehnilich  ist,  zu  spielen 
befleissigen,  das  Orgelweik  gebuhrend  in  Acht  nehmen,  und  darnit 
kein  unnothiger  Bau  daran  verursacht  werde,  verhiithen,  auch  solches 
alle  Sonnabend  gehorig  stimmen,  mit  dem  Cantore  und  denjenigen 
Sehul- Collagen,  die  in  solcher  Kirche  das  Musiciren  und  Singen  ver- 
ri^hten,  sieh  friedlich  vernehmen,  iibrigens  aber  alles  dasjenige,  was 
die  Enre  Gottes  befordert,  wohl  in  Acht  nehmen  und  allenthalben 
und  wie  einem  gottesfttrchtigen  geschiekten  und  treuen  Organisten 
geaaemt  und  zukommet,  sich  verhalten  solle.  Dagegen  soil  ihm  das- 
jenige, was  zur  Besoldung  und  anderen  Emolumenten  geordnet  und 
der  vorige  Organist  genossen,  willig  gereichet  werden.  Urkundlich 
ist  diese  Bestallung  und  Instruction  unter  unsrer  und  Gemeinde  Stadt- 
Insiegel,  auch  gewohnlicher  Unterschrift  ausgestellet  worden. 

So  geschehen  Dresden  den  23.  Juny  1733." 


„ Diese  Instruction  ist  Hr.  Bachen,  wie  vormahls  gewohnlich, 
von  dem  Rathe  allein  unterschrieben,  gegeben  und  eben  so  zur  con- 
fenatK>n  beym  Ober-Consistorio  prasentirt  worden,  welches  nach- 
rfdbtJi^  anher  angemefket  worden,  den  30.  Jun.  1733, 

D.  Schroter." 

Diese  Bestallung  und  Instruction  zeigt,  dass  Friede- 
mann bei  der  eigentlichen  Barcheniniisik  nicht  anders  als 
behufs  der  Begleitung  an  der  Orgel  zugezogen  und  ledig- 
lich  und  ausschliesslich  als  Organist  betrachtet  wurde. 
Es  ist  von  Bedeutung?  dass  dies  hier  angemerkt  werde? 
weil  es  anderen  Voraussetzungen  gegeniiber  dazu  beitragt? 
seinen  spateren  Abgang  von  Dresden  und  die  Annabme 
der  Stelle  an  der  Liebfrauenkirclie  zu  Halle  zu 


—    161    — 

Sein  Gehalt  betrug  jahrlich  79  Rthlr.  19  Ggr.  6  Pf., 
femer  80  Thaler  Zulage  und  3  Fass  Bier  oJer  5  Thaler 
Tranksteuer-Benefiz1).  Dasselbe  war  nicht  von  Bedeutung. 
Wie  bei  alien  solehen  Stellen  musste  der  Nebenverdienst 
durch  Unterricht  und  Composition  das  ITeiste  thun.  Ob 
und  welehe  sonstigen  Emolumente  hinzugetreten  ?  1st  nicht 
bekannt. 

Die  Uebergabe  der  Orgel  land  (siehe  Anhang  I.)  ana 
1.  August  desselben  Jahres  statt,  naehdeui  Friedemann 
bereits  am  11.  Juli  die  Schliissel  zu  derselben  erhalten 
hatte.  So  war  er  sein  eigner  Herr  geworden  und  unter 
verhultnissmassig  gunstigen  Umstanden  in  die  Laufbahn 
eingetreten3  in  der  so  viele  seiner  Vorfahren  In  bescheidenen, 
oft  sehr  Urmlichen  Verhaltnissen  zur  Ehre  Gottes  gelebt; 
gewirkt  und  gedarbt  batten  und  In  der  sein  Vater  zu 
einem  grossen  Manne  geworden  war.  Losgelost  aus  dem 
Kreise  der  Familie?  der  ihn  bisher  umgeben,  fand  er  duch 
noch  imnier  seinen  Haltpunkt  in  seinem  Vater,  der  ofters 
Dresden  besuchte^  dort  Goncerte;  zunial  auf  der  schonen 
Silbermann'schen  Orgel  der  Frauenkirche  gab  und  ihm 
wohl  nach.  wie  vor  niit  Eath  und  That  zur  Seite  stand. 

Ueber  seine  ausseren  Lebensverhaltnisse  in  dem  neuen 
Dienste  1st  so  gut  als  nichts  bekannt.  Wenn.  wie  welter- 
hln  bemerkt  werden  wird?  sein  Leberiswandel  ansto.ssig 
gewesen  sein  soll?  so  sind  fiir  eine  solche  Aunahme  Beweis- 
mittel  nach  keiner  Seite  hin  vorhanden.  Ini  Cj-egentheil 
scheint  es;  als  ob  er  still  und  anstandig  gelebt?  Uiuerrieht 
ertheilt7  hie  und  da  einiges  componirt  habe,  Aus  dem 
welter  unten  angefiihrten  Briefe  vom  1767  an  die  Chur- 
fiirstin  Marie  Antonie  ersieht  man,  dass  er  wahrend 
seines  Dresdner  Aufenthaits  Goldberg's  Lehrer  war,  der 


Das  j«tssige  fete  Einkommen  der  ir.  Stelle  1st  in  den  mehr- 
tefi  Acten  Fol.  127  yerso  dorch  die  deio  fetzten  Erwerbcr  der- 
i.  J.  1^8  ^tWlfee  lastraction  auf  nicbt  metir  als  124  Ethlr. 
Or.  3  Pf.  £es£gese&t~w0rctei,  aJso  auf  circa  40  Kthlr.  geringer  als 


Bitter,  EmaauelmMiFriedemiBaBAcli.  IL  11 


_    162    — 

damals  im  Dienste  des  Grrafen  v.  Kayserling  stand  und 
ein  tuchtiger  Clavierspieler  gewesen  sein  muss,  da  Seb. 
Bach  im  Jahre  1742  fur  ihn  seine  beriihmte  Arie  mit  den 
30  Variationen  geschrieben  hat. 

Friedemann's  schlimme  Oharakterseiten  sind  offen- 
bar  erst  spiiter,  zumal  nach  seines  Vaters  Tode7  zum  Vor- 
schein  gekommen. 

Wie  sehr  er  fur  seine  Kunst  und  alles  was  ihr  an- 
gehorte  Interesse  hatte;  zeigt  unter  Anderen  ein  Gredicht, 
das  er  nach  der  Einweihung  der  oben  erwahnten  Siber- 
ia ann'sch  en  Orgel  verfertigt  hat1): 

^Kann  was  natiirlicher  als  vox  Humana  klingen? 
Und  besser  als  Cornet  mit  Anmuth  scharf  durchdringen? 
Die  Grravitat?  die  nur  in  dem  Fagotto  liegt, 
Macht?  dass  Hr.  Silbermann  Natur  und  Kunst  besiegt." 

In  Dresden  hat  Friedemann  einige  Instrumental- 
sachen  gesetzt.  Kirchenmusiken  scheint  er  hier  nicht  ver- 
fa^t  zu  haben,  zumal  ihn  sein  Amt  zu  d^en  Coaoaposition 
nieht  unmittelbar  yeranlasste.  Zu  andauerndem  Ileisse 
kann  er  es  nicht  gebracht  haben  7  da  sonst  mehr  Spuren 
von  demselben  sichtbar  sein  miissten. 

Sein  grosses  und  phantasievolles  Spiel  auf  der  Orgel 
und  die  ausserordentliche  Schwierigkeit  der  Aufgaben,  die 
er  in  seinen  offentlichen  Kunstle^stungen  zu  losen  unter- 
nlthm,  scheinen  schon  damab  im  Publikum  die  Ansicht 
f^rbreitet  zu  hab^n,  dass  er  nicht  anders  als  sehr  schwer 
schreiben  konne.  Dies  zeigte  sich  zuerst  bei  der  von  ihm 
beabsichtigten  Herausgabe  von  6  Clavier- Sonaten.  Er 
mochte  eine  Ahnung  davon  haben,  dass  seine  Compositionen 


i)  Alte  und  neue  Curiosa  Saxonica.    1737.     S.  64.     ,,Uel>er  die 
Silbermann'sche  Orgel." 

Es  heisst  dort:  ,5Von  dieser  Orgel  hat  der  Organist  zur  LiebeB 
Frauen  in  Dresden,  Herr  Christian  Grabner,  In  seiiem  eanniae 
gratulatorio  anHm.  Silbermann  Boch  angemerket,  dass  sie 
€000  Pfeifen  iabe,  und  Hr.  Wllhelm  Friedemann  Bacfey 
zu  St.  Sophien,  riihmt  von  sokher  Orgel  folgendes: 


—    163    — 

kein  grosses  Publikum  finden  wiirden?  und  so  Hess  er,  ge- 
wissermassen  als  Probe,  zuerst  erne  derselbtm  unter  dein 
Titel:  ,,Sei  Senate  per  il  Cembalo,  dedicate  al  Sign.  Gr. 
Ernesto  Staid,  Gonsigliere  della  Corte  di  S.  M.  il  Ee  di 
Prussia,  Ellettore  di  Brandenburgo,  ecomposte  da  G-uigli- 
elmo  Friedenianno  Bach  (in  Verlag  zu  Laben  1.  bey 
dem  Autore  in  Dresden,  2.  bey  dessen  Herrn  Vater  in 
Leipzig  und  3.  dessen  Bruder  in  Berlinj",  erscheinen. 
Aber  Niemand  wollte  sie  kaufen,  angeblich  ,,weil  Xieraand 
sie  spielen  konnte."  Hinter  oinem  in  der  K.  Bibliothek 
zu  Berlin  befindliclien  Exemplare  findet  sieh  deshalb  die 
Bemerkung  eingeschrieben  :  77die  dem  Titel  nach  fehlenden 
3  Sonaten  sind  nicht  erschienen,  weil  das  Publikuni  es 
dem  Verfasser  an  der  zur  Herausgabe  nothigen  Unter- 
^lutasang  feblen  liess." 

Es  ist  aus  dieser  Sammlung  tiberhaupt  nur  eine  Senate 
erschienen,  welcher  folgende  Widmung  vorgedruckt  war: 


Signore  e  Padrone  Colendmo 
Non  havendo  mai  havuto  I'occasione  di  far  vedere  publicameEte 
la  riconnoscenza,  allaquale  Thonore  della  Sua  aimeizia,  e  Sua  bonta 
molto  particolare  verso  di  me  m'obligano:  Oso  di  valermi  della  pre- 
sente,  dedicando  a  V.  S.  IHnstnn*.  quaiche  prove  del  mio  studio  in 
musica,  e  supplicandola  di  ricevere  la  buona  volonta  come  un  pegno 
della  mia  grandissiino  divozidne.  Se  il  prezo  del  mio  lavoro  uon 
conviene  al  Suo  gran  nome,  io  so  almeno  per  certo.  che  mai  una 
dedicazione,  sla  fatta  con  una  venerazione  Hguale  a  qnella,  che  mi-fii 
sottoscrivere 

de  V.  J,  Illuatrissima 

osservandissimo  devotissimo 

servo1) 

Quiglielmo  Friedeinanno  Bach. 
Dresda,  il  16.  Marzo 


i)  Anf  deatseli:  Da  ich  nie  Gelegenheit  gdfenden  habe,  ciffentlicli 
von  der  Erkenntlichkeit  Zeugaiss  abzulegen,  zu  der  mich  die  Elire 
Hirer  Fretuadscliafl  und  ganz  besoiKleren  Giite  verpfliehten:  so  wage 
icb  es,  diese  durch  Gregenwartiges  gel  tend  zn  machen,  indem  ich  Ew. 
Sarrfleiikelt  elnig©  Ergebuisse  Badioer  nmsikaiisclieii  Thutigkeit  widme 
Sie  bitta,  dea  gatea  Witei  als  ein  Ffaad  mimr  grosaesten  Er- 

der  W«rt&  meiner  Arbeit 
li* 


,~   164 


Man  sieht,  dass  dergleichen  Phrasen  auch  von  Dresden 
aus  in  italienischer  Sprache  in  die  Welt  geschickt  werden 
mussten.  Welcher  Art  das  yon  dem  angesehenen  Kiinstler 
so  gepriesene  Verhaltniss  des  preussisclien  Hofraths  zur 
Kunst  und  zu  Friedemann  Bach.  gewesen,  hat  sich  nicht 
ermitteln  lassen.  Man  begegnet  dem  Namen  la  Stahl 
auch  bei  EmanuelBach  in  dessen  kleinen  Musikstiicken. 

Die  Sonate  selbst  ist  in  dem  Styl  geschrieben,  in 
welchem  die  demselben  Jahre  angehorigen  Wurtember- 
gischen  Sonaten  Emanuel  Bach's  gesetzt  sind,  der 
damals  zu  einer  Badekur  nach  Teplitz  gegangen  war, 
bei  dieser  Gelegenheit  Dresden  beriihren  musste  und  sich 
ohne  Zweifel  bei  seinem  Bruder  anfgehalten  hat.  Die 
Sonate  besteht  aiis  3  Theilen  und  ist  in  alien  Satzen 
streng  dreistimmig  durchgefuhrt.  Sie  beginnt  mit  einem 
Un  poco  Allegro,  D-dur  %, 


ES 


=3PT: 


a. 


(\mrg- 

*  P~1 

=T=F) 

»-^»  

L_ 

Rn 

'    ~y* 



... 

L_^ 

^% 

". 

i—it 

i  

das  zweinial  von  kurzen,  wie  schmerzliche  Seufzer  wirken- 
den  Adagio^s  unterbrochen?  allerdings  hie  und  da  in  den 
Gedanken  und  ihrer  Verwendung  complicirt  und  aueh 


grossen  Namen  nicht  entspricht,  so  bin  ich  mindestens  dessen  gewiss, 
dass  nie  eine  Widmung  mit  ^eer  gleid^n  Yerehrung  wie  dlese  er- 
folgt  ist,  in  der  ieh  mich  unterzei&bne  efce. 


—    165 


(lurch  die  sonderbare  Idee,  elnen  Theil  der  Unterstimiaen 
im  Altschliissel  zu  setzen,  ungewohnlieh  erscheint  und  fur 
Liebhaber  im  gewohnlichen  Sinne  keineswegs  geeignet  ist^ 
dessen  Technik  aber  durchaus  nicht  besondere  Schme- 
rigkeiten  bietet.  Einige  der  Gedanken  sind  neu  imd 
frappant?  andere  sind  melodios,  das  Ganze  in  hoheni  Grade 
interessant,  freilich  mehr  die  Aufmerksamkeit  rege  haltend? 
als  auf  das  Gefuhl  wirkend. 

Dies  steigert  sich  in  dem  folgenden  Adagio: 


r 

r  r  • 

j  —  , 
>  qps  -  *_ 

>   *u 

Cf  r 

H"  —  r 

] 

Der  tiefe  Ernst?  der  in  diesem  Satze  liegt,  und  die  wunder- 
bare  polyphone  Gestaltung  desselben?  wie  sie  sich  mit 
einer  hochst  eigenthtimlichen  und  genialen  thematisehen 
Arbeit  verbindet7  gehen  weit  uber  das  Maass  desjenigen 
hinaus,  was  ein  Tonsetzer?  der  sich  in  die  Oeffentlichkeit 
einfuhren  will,  dem  grosseren  Publiknm  bieten  darf.  Seiche 
Stucke  arbeitet  der  Kfinstler  fur  sich  und  fur  wenige  Aus- 
erlesene.  Kommen  dazu  Stellen7  wie: 


—    166 


i 


wo  die  durchgehenden  Toiie  mit  ihren  Harten,  der  folgen- 
den  Auflosungen  tmgeachtet?  dem  Qhre  wehe  thun?  so  war 
es  In  der  That  nicht  zu  yerwimdern,  dass  man  Bedenken 
trng7  sich  Knnstwerken  mt*W6Bden7  in  denen  deB  Be^irf- 
Bi^eB  mud  Wimsdtem  des  PribBkums  so  wenig  Redlining 
getragen  war. 

Kicht  viel  anders  ist  es  mit  dem  dritten  Satze  (Vivace 
D-dur?  Allabr.)7  dessen  fur  die  damalige  Zeit  geniale 
Einzelnheiten?  wie  z.  B.  folgende  sich  mehreremale  in  ver- 
schiedenen  Modulationen  wiederholende  Stellen 


i 


—    167    — 

tiber  die  Abstractheit  der  ganzen  Composition  fort- 
helfen.  Es  fehlte  ihr  der  Gesang  Em  ami  el  Bach's  und 
der  immer  frisch  ausstromende,  nie  in  kleinliche  Spielerei 
oder  Gedankenleere  abweichende  Geist  des  Vaters. 

War  bei  der  obigen  Sonate  der  Yorwurf,  dass  sie 
Niemand  spielen  konne?  in  jedem  Falle  unbegriindet,  so 
war  im  Ganzen  doch  das  Publikmn  ilir  gegeniiber  in 
seinem  Rechte.  Die  weitere  Herausgabe  der  anderen 
Sonaten  unterblieb. 

Spaterhin?  noch  in  Dresden,  gewann  Friedemann 
es  fiber  sich,  dem  Geschmaeke  des  Publikuins  nalier  treten 
zu  woilen.  Er  kiindigte  ein  Dutzend  PolonaLsen  fur  das 
Clayier  an.  Aber  man  war  der  Ansicht,  dass,  well  sie 
von  ihm  kamen?  sie  notbwendiger  Weise  zu  schwer  sein 
mtissten  und  abermals  wollte  Niemand  sie  kaiifen1).  Und 
dock  sind  diese  Polonaisen  Meisterstiicke  ihrer  Art'2).  Es 
sind  nicht  Polonaisen  im  engeren  Sinne  des  Worts,  sondern 
Musikstucke  im  3/4  Takt?  in  den  en  das  tanzartige  Element 
vor  dem  edlen  und  tiefen  Inhalt,  der  in  sie  gelegt  1st, 
vollstandig  und  der  Art  zurucktritt,  dass  keine  einzige 
der  Nummern  tiberhaupt  im  Tanztempo  gespielt  werden 
kann,  und  nur  wenige  annahernd  daran  heranstreifen.  Es 
sind  Stucke  von  verschiedener?  theils  ernster?  theils  heiterer 
und  grazioser  Charakteristik ,  etwa  in  die  Kathegorie  der 
? jpetites  pifeees^  E m  a n  u  e  1  B  a  ch  *  s  fallend.  Einige  davon 
sind  von  ausnehmender  Schonheit,  so  Ko.  3.  D-dur  \4 
Allegretto ,  No.  5.  Es-dur  3/4  AIlo.  moderate,  in  4er  sich 
die  Melcwiie  in  volliger  Freiheit  entwickelt?  No.  6.  Adagio 
Es-naoE?  mit  tief  gefiahlten?  in  der  edelsfeen  Weise  sieh  ent- 
faltenden  Moduiirangen?  No.  7.  A-dur?  Andantino;  init 
seiaem  grmsddsen?  fast  modern  zu  nennenden  Charakter, 
No-  9.  F-dnr?  Allo.  moderato?  und  No.  10.  F-moll  Adagio. 

Aile   zengen   laut    von   der   eminenten  Kunstlernatur 


Jim.  Mm&a&efe  fit  J>&^Mm^    113&.    S.  201. 
AMhlMMfetft  Ii®|»2%  ^Jteeam  dflrUJMl^te  vua  Peters. 


~~    168    — 

Friedemann's,  der?  wenn  er  wollte,  auch  gefallig  und 
schonklingend  sehreiben  konnte,  ohne  der  Strenge  des 
Satzes  und  den  Bedingungen  eines  ernsten  fasten  Sty  Is  im 
Geringsten  zu  entsagen.  Denn  alle  12  Polonaisen  "bewegen 
sich  durckweg  in  dem  der  Bach'schen  Schule  eigenen 
mehrstimmigen  Satze. 

Wohl  ist  es  zu  bedauern,  dass  er  fur  solche  Arbeiten 
keine  Abnahme  finden  konnte.  Noch  rnehr  zu  beklagen 
ist  es;  dass  er  die  Elemente  des  Fortsehritts,  die  in  diesen 
kleinen  Tonstiicken  ganz  unverkennbar  rdedergelegt  sind? 
nicht  gepflegt  und  entwickelt  hat.  Ware  dies  gesckehen, 
er  wurde  unzweifelkaft  ein  Meister  ersten  Ranges  fur  die 
damals  moderne  Richtung  der  Musik  geworden  sein.  Aber 
es  blieb  auch  hier?  wie  so  oft  in  seinem  Leben  bei  dem 
Anlauf.  Vielleicht  dass  ihn  die  ablehnende  Haltung  des 
Publikums  verstimmt  und  von  ahnlichen  Arbeiten  zuriick- 
gehalten  hat. 

Dem  Aufenthalt  in  Dresden  wird  noch  eine  andere  sehr 
merkwiirdige  Arbeit  Friedemann's  zugeschrieben,  namlich 
ein  Concert  fiir  die  Orgel  mit  zwei  Manualen  und 
dem  Pedal,  eine  Arbeit,  die  Sebastian  Bach?  wie  der 
Augenschein  des  in  der  K  Bibliothek  zu  Berlin  befindlichen 
Atitographs  bezeugt  und  Fried emann's  eigenhandige 
Aufschrift:  ?>Manu  ruei  patris  descriptum"  bestatigt?  ftir 
wiirdig  gehalten  hat?  ganz  Tollstandig  abzuschreiben. 

Dass  dies  Concert  einer  spateren  Zeit  als  der  Dresdner 
nieht  an^ehort,  daruber  wird  kein  Zweifel  obwalten?  wenn 
man  erwagt,  dass  der  alternde  Vater  nach  dem  Jahre  1746 
wohl  schwerlich  sich  mit  dem  Abschreiben  eines  solchen 
Werks  werde  beschaftigt  haben.  Indess  konnte  es  auch 
den  Studentenjahren  Friedemann's  entsprungen  sein, 
einer  Zeit7  in  der  Seb.  Bach  noch  haufig  fremde  Arbeiten, 
die  ihm  gefielen?  copirt  hat.  Vielleicht  hat  er  es  bei  einein 
seiner  Besuche  in  Dresden  bei  seinem  Sohne  Friedemann 
gesehen  und  dort  abgeschrieben.  Das  Concert  beginnt 
mit  einer  ernsten  EinleitUBg  (D-moM  3/*)#  in  der  fiber  dem 


—    169    — 


21  Takte  lang  in  %  Noten  auf  D  beharrenden  Bass  die 
Oberstimmen  durch  eine  Reilie  etwas  eintoniger  Imitationen 
zu  lebhaft  bewegten ,  im  Brustpositiv  scharf  markirten 
Harmouienfolgen  gelangen,  die  herab-  and  lieraiifsteigend 
in  der  Haupttonart  abschliessen,  und  vermittelst  eines  im 
vollen  Werk  eintretenden  Grave  yon  3  Takten  zu  einer 
zweistimmigen  Fuge  mit  drei  Motlven 


(*i 

__  

Tl 

•r  

[  ,  1 

—  _j 

1  r^ 

,  C     7 

Sit! 

•  ^..p-0.... 

9  1 

b=^ 

JK.     .*. 

i  •  • 

uberf(ihren?  welche  in  durchsichtiger  Klarheit  gearbeitet, 
zum  Schluss  fiber  einem  14  Takte  lang  anhaltenden  Orgel- 
punkt  einen  hochst  glanzenden  Charakter  annimmt,  sich 
iibrigens  in  ihrem  ganzen  Bau,  so  wie  in  der  einfacheren 
Tecnnik7  in  der  sie  sieh  bewegt?  wesentlich  von  den  Fugen 
des  Vaters  unterscheidet. 

Ihr  folgt  ein  Largo  e  spiccato 

^  JT1  J  rJT3  ' 


—    170    — 


m 


- 


von  weicbem,  ausserst  melodischem  Cbarakter,  dessen 
Mittelsatz  durcb  eine  Fiille  von  Modulatlonen  der  edelsten 
Art  gehoben,  ohne  Bass?  in  schmerzlichem  Gresange,  wie 
ein  Euf  theilnehmender  Liebe  aus  fernen  HoKen  hernieder- 
klingt,  ein  Tonsttick,  das  immer  yon  Neuem  das  lebbafte 
Bedauern  erregt?  dass  der  es  gesetzt,  sicb  so  wenig  ge- 
trieben  fiiblte,  den  Inhalt  seiner  Seele,  seine  geistige  Tiefe 
zur  wirklichen  und  bleibenden  Erscbeinung  gedeiben  zu 
lassen. 

Der  dritte  Safe  endlich  nii^  dem  un^niMg  fortei^em- 
dem,   bald   Yon   kraftiger   eingreifenden   ernsten   Mofiven 
Anlang 


und  dem  leidensebaftlidbL  erneten  Gredankengange  ist  ^in 
Meisterstuck  von  OriginaEl^t,  feuriger  Stimmung  imd  voll- 
kommner  Beherrschung  des  Stofis.  Die  an  den  Einleltongs- 


—    171    — 

satz  erinnernden  Wendungen  am  Schlusse  geben  dem 
Ganzen  ein  Geprage  jener  Einheit  und  Grosse?  die  in  den 
Arbeiten  Seb.  Bach's  so  wohlthatig  beriihrt. 

Durch  dieses  Concert  und  die  12  Polonaisen  hatte 
sich  Friedemann  als  ein  Tonsetzer  von  hoch^tem  Range 
bewahrt.  Dass  das  Publikum  in  Dresden,  das  ihn  in  seinem 
Orgelspiel  zu  bewundern  Gelegenheit  genng  gehabt,  ihn  ab 
solchen  anerkannt  hatte  ?  davon  ist  freilich  nirgends  eine 
Spur  zu  entdecken.  Es  hatte  sich  nun  einmal  eine  vor- 
urtheilsvolle  Ansieht  gegen  ihn  und  seine  Conipositionen 
festgesetzt.  Sie  zu  beseitigen  hat  er  spittcr  \venig  gethan. 
Sie  hat  ihn  daher  bis  in  seine  letzten  Lebensjahre  hinein 
verfolgt,  und  ihm  selbst  da;  wo  er  in  der  That  nicht  zu 
schwer  gearbeitet  hatte?  wie  in  einem  grosr:en  Theile  seiser 
Sonaten  und  Clavier -Concerte?  so  wie  in  den  Fugen  die 
er  spaterhiri  zu  Berlin  herausgeben  wollte?  die  offentlich© 
Theilnahme  abwendig  gemacht, 

Freilich  trat  auch  bald  genug  die  Zeit  ein,  in  der 
das  Interesse  fur  den  strengen  Styl  in  der  Musik  erlosch 
und  diejenigen?  die  sich  von  ihm  nicht  abwenden  mochteB, 
mehr  und  mehr  vereinsamt  dastanden. 

So  blieb  er  13  Jahre  lang  in  Dresden,  bis  in  der 
Nahe  seiner  Vaterstadt  Leipzig,  zu  Halle,  eine  Stelle  6r- 
ledigt  wurde,  deren  Vorziige  ihn  veranliusten?  sein^n 
dortigen  Dienst  aufzugeben.  Das  im  Anhange  abge- 
druckte  Schreiben  vom  16.  April  1746  sagt  in  it  Be- 
stimmtheitj  ,?dass  er  seine  Uerbeaseruiig  ausserhalb 
Dresden  anderweitig  gefonden."  Als  Nachfolger  schlug  er 
dem  Rathe  seinen  zuktinftigen  Schwager,  den  studio&tnn 
Altnicol  zu  Leipzig  vor;  der  sich  auch  an  demselben. 
Tage  zu  der  Stelle  gemeldet  hat.  wlch  habe,"  sagt 
in  seinem  Gesuch*)7  ??von  Jugend  auf  in  der  Music 
geubt  und  b^y  d®m  Herrn  Capellmeister  Bache  in  Leipzig 
versehiedne  Jahre  das  Clavier  uud  die  Composition  |$©* 


IC  Foi. 


—    172    — 

Iernt7  auch  bei  Ihm  so  yiel  provitiret,  dass  ich  dieser 
Function  und  Organistendienste,  ohne  eitlen  Ruhm  wohl 
ftirzustehen  mir  getraue."  Indess  erhielt  so  wenig  er  als 
ein  durch  hohe  Protection  empfohlener  Musiker,  Namens 
Fittich,  die  Stelle,  sondern  J.  Chr.  Gossel,  der  bei  ab- 
gehaltener  Probe  seine  Geschicklichkeit  auf  der  Orgel  er- 
wiesen  hatte. 

FriedemannBach's  vorbemerktes Entlassungsgesuch 
ist  in  so  fern  von  Interesse,  als  er  darin,  abweicbend  yon 
seiner  spateren  Handlungsweise  zn  Halle ,  Vorkehrungen 
fur  den  Orgeldienst  in  Antrag  bringt  und  als  der  Inhalt 
von  einer  gewissen  dankbaren  und  anhanglichen  Gesinnung 
gegen  seine  vorgesetzte  Beliorde  zeugt?  die  nicht  bloss  in 
Phrasen  und  Worten  besteht?  sondern  eine  gewisse  Inner- 
lichkeit  in  sich  tragt.  Merkwiirdig  genug  ist  dieses  sonst 
unbedeutende  Schriftsttick  von  Friedemann  Bach  nicht 
selbst  geschrieben,  sondern  nur  von  ihra  unterzeichnet 
worden.  Es  scheint  sich  also  schon  zu  jener  Zeit?  wo  er 
erst  36  Jahre  alt  war,  die  spater  bei  ihm  so  hervortretende 
Neigung  zur  Tragheit  und  zu  vornehmer  Unthatigkeit  in 
ihrem  ersten  Stadium  bemerkbar  gemacht  zu  haben. 

In  Halle  war  am  21.  Januar  des  gedachten  Jahres 
der  Organist  an  der  Liebirauenkirche3  Namens  Kirchhof7 
gestorben?  ein  Schuler  Zachau's;  derselbe,  der  im  Jahre 
1714  diese  Stelle  erhalten,  nachdem  Seb.  Bach  ihre  An- 
BaSmie  abgelehnfc  hatte.  Es  ist  ein  eigenthfimlicher  Zufall, 
dass,  w&hrend  Friedemanm  Her  der  Kirche  zu  dienen 
berufen  wurde;  deren  Dienst  seinem  Vater  angetragen  wor- 
den  war  und  diesem  so  viel  Dnannehmlichkeiten  berei- 
tete1),  E man ue  1  zu  Hamburg  spater  in  der  Kirche  als 
Musikdirector  zu  fungiren  bestimmt  war,  deren  Orgelwerk 
Seb.  Bach?  als  er  in  der  Bluthe  und  Kraft  seiner  Jahre 
stand;  dorthin  gezogen  hatte2}7  ohne  dass  es  ihm  gelingen 
sollte,  diese  Stelle  ZH  erhalten, 

1)  Bitter,  J.  Seb.  Bach.    TL  1    S.  84  ff. 

2)  Ibid.  Th.  I.    S.  135. 


—    173    — 

Der  Mitconcurrent  Fried  em  arm's  zu  Halle  war  der 
Organist  J.  G.  Ziegler  zu  St.  Ulrieh.  Bach  siegte  iiber  ihn 
und  cs  ward  ihm  am  16.  April,  demselben  Tage,  an  dem  er 
sein  Entlassungsgesuch  zu  Dresden  eingereieht  hatte,  die 
Vocation  ausgefertigt7  in  der  er  falschlieh  als  wohlbestallter 
Organist  an  der  St.  Katharinenkirche  daselbst  bezeiehnet 
worden  ist.  (Siehe  Anhang.)  Die  Form  der  Vocation 
war  im  Uebrigen  genau  dieselbe,  welche  ehedeni  seinem 
Vater  ausgestellt  und  von  diesem  zuriickgesendet  wor- 
war. 
Das  Diensteinkommen  war  darin  auf 

140  Rthlr.  —  Ggr.   Besoldung,  ingleichen 
24      „       — -     „      zur  Wohnung7 
17      „       12     ?,      zu  Holz, 


zusammen  181  Rthlr,  12  Grgr.  festgesetzt,  Ferner  sollte 
dem  Organisten  ?7vor  die  Composition  der  Catechismus- 
Musique  jedesmal  1  Rthlr.  und  von  jeglicher  Brautniess 
1  Rthlr. a  gegeben  werden.  Nach  dem  weiterhin  mitzu- 
theilenden  Protokoll  scheint  der  Organist  auch  einen  ge- 
wissen  Antheil  an  dem  Klingebeutelgelde  geliabt  zu  haben. 
Somit  war  dies  Amt  dem  zu  Dresden  hinsichtlich  der 
Einktinfte  iiberlegen.  In  jedern  Falle  bot  die  Universitli 
mit  den  Professoren  und  den  dort  studirenden  jungen 
Leuten  einem  Musiker  von  strebsamein  Geiste  nicht  allein 
manche  Gelegenheit  zur  Ertheilung  von  Unterricht7  son- 
dern  auch  eine  Fulle  geistiger  Anregungen?  deren  er  in 
Dresden  wohl  zu  entbehren  gehabt  haben  mochte.  Ejn 
setr  wesentlicber  Vorzug  seiner  neuen  Stellung  lag  aber 
in  dem  vocationsmassig  ausgesprochenen  Berufe  (Art.  2), 
dass  er  ^ordinarie  bey  faohen  uud  anderen  Peaten,  in- 
gleichen  uber  den  drltten  Sonntag  aebst  dem  Oantore  und 
Ohor-Schulern  auch  Stadfc-Muslcis  und  anderen  Instrument 
tisten  eine  bewegliche  und  wohlkiingend  gesetzte  andach- 
tige  Mnsiqiie  zn  exMbireB?  extraordinaire  aber  die  zwer 
letzteren  hoh&&  Feyerta^  nebst  dem  Cantore  und 


_    1T4    — 

lorn,  aucb  zuweilen  mit  einigen  Violinen  und  andern  In- 
strumenten  kurze  Figural-Stiicke  zu  inusiciren  und  alles 
dergestalt  zu  dirigiren  babe,  dass  dadurch  die  eingepfarrte 
Gemeinde  zur  Andacbt  und  Liebe  zuni  Gehor  gottliclien 
Worts  desto  mehr  erinuntert  und  angefrischet  werde." 
Diese  Bestimmung?  fur  welcbe  ibm  In  den  Studirenden 
der  Universitat  noch  ein  gewisses  Personal  zu  Hilfe  kam, 
dessen  vortbeilbafte  Mitwirkung  er  von  Leipzig  her  wobi 
kennen  konnte,  entbieit  gegen  seine  untergeordnete  musi- 
kaliscbe  Stellung  zu  Dresden  einen  so  ausserordentlichen 
Fortscbritt,  dass  er  aucb  obne  die  materielle  Verbesserung 
diese  Stelle  zu  erlangen  hatte  sucben  iniissen. 

Wenn  man  dies  alles  berticksicbtigt  ,  so  ]asst  sicb 
Friedeinann's  Wecbsel  im  Dienst  wobl  ohne  die  von 
Ledebur1)  ausgesprocbene  Vermutbung  erkliiren  ?  dass 
sein  Lebenswandel  ihn  gezwungen  babe?  Dresden  zu  ver~ 
laasen.  Dies  wird?  abgeseben  von  seiner  eigenen  oben  an- 
gefabrten  und  autbentiseben  Erklarung  um  so  mebr  an- 
zaerkennen  sein?  als  er  in  Halle  seineni  Vater  und  seiner 
Familie  so  viel  naber  war  als  dort,  wobin  dieser  bei  zu- 
nebmendem  Alter  seltener  und  scbwerer  kommen  mocbte. 

In  Halle  batte  er  aucb  jenes  scbone  Orgelwerk  unter 
sieb?  das  im  Jabre  1716  von  Cuntzius  erbaut  und  von 
seinem  Vater  in  Gemeinscbaft  mit  Rolle  und  Kubnau 
al)gen.ommen  worden  war2). 


1    i)  Berliner  Tonk&istier-L.  S,  23. 

2)  Bitter,  J.  Seb.  Back    Th.  L    S.  99  ff. 

Eigenthiimlich  gentig  nimmt  ®s  sich  ans,  wenn  dem  Organisten 
M  Si  Marlen  in  Art,  4  seiner  Vocation  wortlieh  Foigendes  vorge- 
sehrieben  wird:  ,TFerner  wird  er  sich  befleissigen,  sowohl  die  ordent- 
Hcnen}  als  auch  von  denen  Herrn  Ministerialibus  vorgeschriebenen 
Choral -Cresange  vor  und  nach  denen  Sonn-  und  Festtags-Predigten, 
aueh  unter  der  Communion,  item  zur  Vesper-  und  Vigilien-Zeit  langsam 
ohne  sonderbares  CoIoriFen  mit  vier  und  fiiof  Stimmen  und  dem  Pria- 
cipal  andachtig  einzuscHagen  und  mit  jedem  Versical  die  auderem 
Stimmen  jedesmahl  abzawecn&elar  a«eti  zar  (Juintaden  und  Bchaarr- 
werke,  das  Gedacke  m&  auch  die  Syn^^paHoneB  pa^  BimduBgeB 


—    175    — 

Sein  wirklieber  Eintritt  in  das  neue  Amt  fand  erst 
Im  July  desselben  Jahres  statt.  Denn  das  Uebergabe- 
Verzeichniss  der  dem  ?;neuen  Qrganisten  daselbst" 
uberwiesenen,  der  Kirche  gehorigen  Instruiaente  1st  vom 
28.  July  datirt.  (Siehe  Anhang.) 

Friedemann  Bact,  der  nach  seinem  gegenwkrtigen 
Wahnort  den  Nainen  des  flalle'sehen  erhielt;  hatte  ge- 
inass  des  erwahnten  Artikels  seiner  Vocation  im  Laufe 
des  Jahres  fur  ungefahr  26  bis  30  Fest-  mad  Sonntags- 
musiken  zu  sorgen  und  es  fehlte  ihm  also  an  Veranlassung 
»ieht;  dem  Beispiele  seines  Vaters  folgend,  sich  eine  be- 
deutende  Stellung  als  Kirchencomponist  zu  schaffeu.  Dem 
gegeniiber  liat  er  aus  seiner  dortigen  ISjahrigen  TJbatig- 
keit  eine  verhaltsissma^sig  nur  uubedetitende  Anzahl  von 
Kirchenwerken  Mnteriassen.  Nur  auf  wenigen  derselben 
kt  der  Ort  oder  das  Jshr  der  Entstehung  verzeichnet? 
namentlich  bei: 

1.  der  Pfingst-Cantate  7?Wer  mich  liebt"  mit  Trom- 

peten  und  Pauken  (1746),  muthinasslich  eine 
Art  von  Einfuhrungsmusik,  die  Friedemann^ 
der  zu  Pfingssten  sein  neues  Amt  angetreten 
hatte?  hiefur  componirt  haben  wird? 

2.  <l@r  Oantate  zum  1.  Advent  ??Lasset  uns  ablegen 

die  Werke  der  FinsternifciE$a;  gleichfalls  rait 
Trompeten  und  Pauken  (1749), 

3.  einer  Cantate  zur  Geburtstagsfeier  Friedrich's  des 

Grrossen,  der  die  Bezeichnung  77 Halle"  bei- 
gefugt  ist,  UB^ 

4.  einer  Cantate  auf  den  Hubertsburger  Frieden: 

(1768)  ,,ATaf,  Chrfsten,  p@saunt." 
tuaterKegt  ee  wohl  kaum  einem  Zweifel? 


gegtalt  zu  adhibiren,  dass  &m  ^iugepfarrt^  Cteieimle  die  Orgel  zwm  , 
FttB^an^jt^  ejmer  ^utea  B4OTK>B|e  und  gkidbiftomigen  Thoses  setew, 
darlnnen  andaehtig:  siogen  nad  dem  Allerh5chsten  danken  und  loben  ' 


—    176    — 

die  von  ihm  ausserdem  bekannten  Kirchencantaten  sammt- 
lich  seinem  Aufenthalt  in  Halle  ihr  Entstehen  verdanken. 
Zu  diesen  gehoren: 

5.  Cantata    festo    natiV.    Christi    77Ach    dass    du    den 

Himinel     zerrissest"       D  -  dur  7     2    Horner, 
Quartett. 

6.  Weihnaehts-Cantate  ,,O  Wunder!"  D-dnr,  2  Hor- 

ner7  2  Hautbois.  Quartett. 

7.  Fer.  1.     Paschalis  77Erzittert  und  fallet,"  D-dur? 

1  Trompete,  Pauken?  Quartett. 

8.  Aria  mit  Begleitung  der  Orgel    und   eines   Hornes? 

77Zerbrecht7  zerreisstjihr  schnodenBande." 
C-dur. 

D-dur?  Trornpeten7  Pauken; 


7? 


LobetGott" 


Quartett. 


10.  Festo  circumcisionis  ,,Der  Herr  zuDeiner  Rech- 

ten."  F-dur?  2  Horner?  2  Oboen?  Quartett. 

11.  Arie.    ?7Erzittert?  ihr  brausenden   Schaaren," 

2  Trompeten?  Pauken?  Quartett. 

12.  Dom.   2.    post.    Epiph.    Parodie    alia    Dom.    Palm.: 

»Wir  sind  Gottes  Werkc."  F-dur;  Quartett 

13.  Festo  Joannis  e  adv.  Ghristi  ?7Es  ist  eine  Stimme." 

D-dur?  2  Trompeten,  Pauken,  2  Oboen?  Quartett. 

14.  Dom.   10.  post,    trinit.    ,7Heraus7    verblendeter 

Hochmuth!"     F-dur?    2   Horner ,    2   Oboen? 
Quartett. 

15.  Festo  visitationis   Mariae   ?7Der   Herr    wird   mit 

Gerechtigkeit."  D-dur?  2  Trompeten,  Pauken? 
Quartett. 

16.  Festo  ascensionis  Ohtisti   ?7Gott   f^hret   auf  mit 

Jauchzen."     D-dui^?    2   Trompeten7    Pauken? 
Quartett. 

17.  Festo    ascensionis    ??Wo    geht    die    Lebensreise 

hin?"  D-dur?  Quartett. 

18.  Dom.  6.  p.  Epiph.   ??Ihr  Lichter  jener  sch<5nen 

Ho  hen,"  D-dur?  Qnactett, 


—    177    — 


19.  Kyrie  und  Gloria.  D-moll?  Quartett. 

20.  ??Dienct  dem  Herrn  mit  Freuclen"1).    Es-dur, 

2  Trorapeten?  Pauken?  Quartett. 


i 

21     j^DerHdchTt^erLsr'et""0""   1  Peten>  Pauk<*, 
{  i       Quartett 

22.  Introduzione  della  predicazione  del  catechismo. 
77Wohl  dem,  der  den  Herren  fiirchtet" 
A-dur?  Quartett.  (Mutlnnasslich  eine  jener  voca- 
tionsinassig  niit  1  Rthlr.  zu  honorirenden  Kate- 


Au«cT  dieseu  Cantaten1)  pollen  noch  vorhanden  sein: 

23.  Cantate  auf  den  6.  Sonntag  nach  dem  Dreikonigsfest. 

24.  Pfiiigstmusik  ?,ErtOnet,  ihr  heiligen."  F-dur. 

25.  ?7Amen  und  Hallelujah."  D-moll. 

26.  Drei   Motetten:    a.  3JAus   tiefer   Noth."    b.   ;?Du 

bist  allein  der  Hcichste."  c.  ??Lobet  Gott" 
(vielleicht    identisch   mit   dem    oben  erwlihnten 
Chor). 
In  der  K.  Bibliothek  zu  Berlin  befinden  sich  noch  die 

von  Friedemann  geschriebenen  Quartettstimmen  zu  einer 

Arie  mit  dem  Anfange 


Im  Or%iBal}  mit  Awwlwft  von  No.  4,  simmtlich  In  der  Kf 
u  Berlin. 


Bitter, 


—     178     — 


zu  der  die  Worte  und  der  Gesang  fehlen.  Die  Bibliothek 
des  K.  JoachirDsthal'schen  Gymnasiums  besitzt  ferner  von 
ihm  aus  dem  Nachlass  der  Prinzessin  Amalie  2  Arien; 
nanilich 

=£ 


3 

?  

™n  — 

__P  

—  

* 

« 

#= 

I 

it*  —  5 

an   -    d 

er,      m 

ir 

'•X 

i  

-» 

• 

""" 

« 

t            [ 

-b 

b^  

nnd 


Flauto,  Oke,  Organo, 

* 


in 


fit 


in     mir       stil 


len. 


Lassdein      We    -     hen 

Wenn  man  di^e  Musiken  uaher  betrachtet?  so 
man  sich  der  Ueberzeugung  nicht  erwekren?  dass  ikre 
Composition  vollig  ausserbalb  der  Schaffungsfabigkeit  Frie- 
demann's  gelegen  hat.  Woal  konnte  v.  Winterfeld1), 
wenn  er  sein  Urtheil  allein  auf  diese  Arbeiten  begrundet 
hat,  mit  Recht  sagen:  ??Liess  sein  inneres  ungeordnetes 
Schalten  ihm  keine  Zeit  zur  Arbeit  ?  fehlte  es  dem  Eigen- 
sinnigen  und  Launenhaften  an  Lust  dazu7  so  raffte  er  ailer- 


Evangel.  Ki 


.    Th.  HI. 


—    179    — 

hand  gangbare  musikalische  Floskeln  seiner  Zeit,  naeh 
seiner  Art  sie  aufputzend,  fur  ein  befremdliches  Ganze 
msatnmen.  Trat  der  seltene  Fall  guter  Laune  ein  und 
angenehmer  Anregung?  so  zeigte  er  sich  erfinderisch  iind 
sinnreich  in  allerhand  unerwarteten  Verkniipfungen  der 
Htirnnien  und  Instrumente?  ohne  auf  die  Ausfiihrlbarkeit 
je  Riicksicht  zu  nehmen."  Er  hatte  eben  gradezu  beiiugen 
konnen,  dass  es  Friedemann  Bach  an  Talent  for  die 
Kirchen-  und  Gesangsmusik  gefehlt,  dass  ihm  die  Natur 
nur  das  grosse  ausiibende  Genie  und  die  Gabe  der  Erfin- 
dung  fiir  die  Instrunientaimusik  verliehen  gehabt  habe. 

Als  die  alteste  seiner  Coinpositionen  fiir  die  Kirche 
durfte  die  Pfingst-Cantate  ??Wer  mich  liebt"  (No.  1. 
obiger  Nachweisung)  zu  betrachten  sein.  Ini  Uebrigen 
wird  roan  nicht  fehlgehen?  wenn  man  a  lie  vorbezeiehneten 
Arbeiten,,  etwa  mit  Ausnahme  des  Kyrie  { Xo.  19)?  das  eine 
Jugendarbeit  zuscheint?  der  Halle'schenPeriode  von  1746 
bis  1764  zuschreibt.  In  alien  ist  derselbe  Geist  der  Schwer- 
falligkeit  und  Miih,sauikeit?  des  Ungesanglichen  ?  des  oft 
kleinlich  Gekiinstelten  erkennbar,  keine  zeichnet  sich  durch 
neue  AujBEassung?  durch  wohlklingende  eingangliche  Schreib- 
arty  wenige  durch  grossere  Klarheit  des  poljphonen  Satzes 
aus.  Friedemann  giebt  durchaus  nur;  was  und  wie  er 
es  aus  der  Schule  des  Vaters  iiberkommen  hatte?  unver- 
Indertj  ohne  Neues,  Eigenes  hinzuzuthun,  meist  ohne  den 
tiefen  Inhalt,  ohne  jene  grossartige  Wtirde  und  Kraft  der 
Empfindung  und  des  Ausdrucks,  die  in  den  Conipositkmen 
Sebastian  Bachjs  niedergelegt  war. 

Die  Anordnung  seiner  Cantaten  ist  fast  uberall  dieselbe. 
Ein  im  streng-polyphonen  Styl  geschriebener  vierstimmiger 
Cfaor,  einige*  Recitative  und  ArieB,  letetere  meist  unter  Ver- 
wenduBg  obligater  Instrumente;  hie  und  da  ein  Duett,  zum 
Schluss  ein  einfach  gesetzter  Choral,  das  ist  die  fast  uberall 
in  gleicher  Weise  wiederkehrende,  nur  selten  rnodificirte 
Sussere  Form,  Wo  der  Text  der  Ctotaten  mit  einer  Arie 
oder  eiiaem  EeeilatiT  beg^nj?  setzt©  @r  eine  Sinfonie  fiir 

12* 


—    180    — 

Streicli-  Quartet t  und  einige  Instrumente  als  Anfang,  so 
beispielsweise  in  der  Weihnachts-Cantate  mit  dein  Recitativ- 
Anfange:  ,,0  Wunder!  Wer  kann  dieses  fassen! 
Gott  selbst  hat  sich.  im  Fleische  sehen  lassen?" 
deren  Instrumental-Einleitung 


~r~r 

-£t 


3= 


mit   dem   diesem  Eingangs- Motive   gegeniiber   trctendcn 
zweiten  Ttema 


*«r 


it*  —  i  f  r  J  —  »?  —  p- 

—  h  T" 

^—  tfl     7    t/      j     7    J 

^     J      J          -     J 

|_V_>|  —  -J  — 

t~o  1 

1  1  

-e  

einen  lebtaften  festlichen  Charakter  bei  trefflicher  Ver- 
wendung  der  Instrumente  (2  Corni,  2  Hautb*7  Quaiietl) 
zeigt,  weit  ab  als  das  beste  Stuck  der  Cantate 


—    181    — 

werden  darf  und  Friedemann's  besondere  Gabe  fur  In- 
strumental-Compositionen  deutlicb  erweist, 

Aucli  die  Cantate  ?7Festo  aseensionis,  Wo  geht  die 
Lebensreise  Kin?"  beginnt  mit  einer  Sinfonie  (D-dur 
2/4)j  welche  mit  2  Trompeten,  Pauken7  2  Oboen  und  dem 
Quartett  feurig  und  glanzend  dahinbraust.  Auch  bier  findet 
man  den  Componisten  in  seinem  Element  Der  freie  Fluss 
der  Melodie7  der  harmoniscben  Entwicklong  und  Steigerung 
ergiesst  sieh  lang  ausgedehnt  in  acbte  Jubel-  und  Feier- 
tagskjange, 

Die  zu  der  Cantate  auf  Friedrich  des  Grossen 
Geburtstag  gesetzten  Sinfonien  sind  leider  nicht  vor- 
handen. 

Mit  diesen  Sinfonien  1st  das  Beste,  was  die  Cantaten 
eaitlialten,  angedeutel 

Die  Texte  der  letzteren  steben  durchweg  unter  dem 
Niveau  dessen?  was  man  ak  das  geringste  Mass  der  musi- 
kaliseben  Gestaltungsfabigkeit  betracbten  kann.  In  ibnen 
spricbt  sich  der  ultrapietistische  Geist  jener  Geistlichen  zu 
Halle  aus7  die  sich  denNamen  der  Halle7scben  Pietisten 
erworben  baben. 

Aehnlicbes  ^Is  Her  in  hausbackener  prosaischer  Form 
gegeben  wird?  wie  z.  B.  der  Eingang  der  oben  bezeicbneten 
Weibnacbts  -  Cantate : 

Wo  gebt  die  Lebensreise  bin? 

Zum  Himmelj  oder  zu  der  Hollen? 

Das  soil  der  Geist  und  Sinn 

Ibm  angstlieb  sucben  furzustellen. 

Dies  soil  allein 

Die  beste  Frage  sein 

In  Demem  gaazen  Leben? 

Soil  Jesus  Dir  dereinst  den  Hiinmel  geben. 

Wie  aber  sind  die  Wege  wobl  zu  unterscheiden? 

etc,  etc. 

ist  in  den  Texiea  dea*  Sebastian  Badi'schen  Cantaten 
k&um  zu  findm.    So  weit  diese  biaier  den  Forderungen 


—    182    — 

zuriiekgebliebeui  sind,  die  man  im  Vergleich  mit  der  herr- 
lichen  Musik  der  grossen  Mehrzahl  von  ihnen  zu  stellen 
"bereit  sein  mochte,  so  waren  sie  doch  viel  allgerneiner  im 
Inhalt  und  in  den  einzelnen  Stiioken  nicht  ohne  lyrische 
Gedanken,  Dergleichen  wiirde  man  liier  vergeblicb  sucben. 

In  den  polyphonen  Eingangs-Choren  der  Cantaten  ist 
Friedemann  Bach  am  wenigsten  gliicklich.  Zwar  fehlt 
es  ilim  niclit  immer  an  feurigen  und  feierlichen  Motiven. 
Aber  in  der  Eegel  sind  diese  klein,  abgerissen  und  un- 
zusammenhangend  behandelt.  So  der  Eingangs-Chor  der 
Cantate  ??Fei\  Paschalis  (No,  7.)  Erzittert  und  fallet," 
in  dem  die  einzebien  Stimmen  nach  und  nacli  ohne  In- 
strumente  einsetzen*  Der  Chor?  der  zunachst  in  abgerissenem 
Gange  von  der  brausenden  Tonmasse  der  Instrumente  be- 
gleitet  und  durehbrochen  fortschreitet,  wird  erst  weiterhin 
in  glanzende  Passagen  ubergeftihrt,  zwischen  denen  der 
aof  langgezogenen  Accorden  gesungene  Satz  ??Den  ihr 
gesctlagen"  machiag  hervortritt,  ohne  dass  darum  eine 
Totalwirkung  erreicbt  ware. 

Nicht  gliicklicher  ist  der  Eing&ngs-Chor  der  Gantate 
Festo  circumcisionis  ?7Der  Herr  zu  Deiner  Eechten^ 
behandelt,  der  sehr  breit  ausgefulirt,  mit  ^eler  ktinstlicher 
Detail-Arbeit  versehen?  voll  abgerissenen  Wesens  ist,  ohne 
dass  auch  selbst  nur  vortibergebend  Stimmen  und  Instru- 
mente zu  einer  grossen  Ge&ammtwirkung  zusammengefasst 
warden. 

Der  Anfang  des  Chors  der  Gantate  7;Gott  fahret 
auf  mit  Jauchzen"  ist  ein  Muster  dieser  Art  von  unzu- 
reichender  Behandlung,  Was  bei  Sebastian  Bach 
Charakter  war?  wird  hier  zur  Manier. 

Was  kann  man  iiber  eine  Compositions -Weise  sagen, 
die  wie  in  dem  Ghor  der  Gantate  ??Ihr  Lichter  jener 
schonen  Hohen"  neben  den  unsangbarsten  Schwierig- 
keiten 


—    183    — 


Die    Leh  -  rer         a-ber          werden 


Him -mels  Glanz         —         —         des         Himmels   Glanz 


Glanz 


Die 


leuchten      wie  des    Him     -     mels  Glanz        — 


des     Him  -   mels       Glanz        — 


Leh    -     rer      hoch! 


die    Lelirer, 


a      -        ber,  die  Lehrer 


—    X84    ~ 


zu  den  eomplicirtesten  contrapunktischen  Arbeiten  gehort, 
die  die  Schule  geliefert  hat1): 


All. 


/iff  a 

^^  '    '<>"                 •      "" 

-*-f  i»  5  

„    Tenor. 

-^ 

Die 

-^  i     T    r— 

Leh     -     rer, 

[—  f  .        -&-£=! 

y  4  7  rg 
«/       * 

Die  ] 
fiWf-ft-T*  ] 

J      *  J 

Lekrer 

a  -  ber      werden 

I  r  J  h 

—  «—  *  s  ^  -1 
leuchten      vrie    des 

I  ^4     ^  J 

J  

j  *«  1  «l]  J 

—  *~  '*~4  —  *~2  { 

Leb 


ber, 


Him    -    mels  Grlanz 


r   M  ff 

«  —  ^  —  ^    ^ 



^ 

Die      Leb  -  rer 

U_y  ^  ,  — 

a    -    ber 

7 

1  •  [  n   Tlll  [  

^p  

Kaum  weniger  schwierig  ist  die  Ausfahrung  des  Chors 
IB  der  Cantate  ??WIr  sind  Gottes  Werke,"  der  ausser- 
ordentlich  kunstlich  gesetzt  ist. 

,     Wohl   kann  man   aus   diesen  Stiicken   die  besondere 
eontrapunktische  Fertigkeit  erkennen,    die  Friedemann 


ist  Mer  natibrlicb  erklart,  FriedemansBaeh 
hat  die  Motive  dieses  Cbors  aus  dem  zweiten  Satze^seiner  Eicereata 
fur  5  Saiten-Instrtnnente 


185 


zu  Gebote  stand.  Aber  sic  crschcint  fast  tiberall  kleinlich 
und  gesucht.  Zu  eigentlich  kiinstleriseher  Grosse  weiss  er 
sie  nur  selten  zu  steigern.  Nur  der  Eingangs-Chor  der 
Cantate  Festo  Joannis  advent.  Christi  zeiehnet  sich 
nach  dieser  Seite  bin  aus. 

Es  kann  hienach  kaum  zweifelhaft  sein,  dass  der  alteste 
Sohn  Sebastian  Bach's  dieFahigkeit  nicht  gehabt  hat,  die 
Wirkungen,  die  der  Chorgesang  im  polyphonen  Style  zu 
erreichen  verrnag,  fur  die  Kirche  zur  Erscheinung  zu 
bringen.  Kein  einziger  reicht  an  die  grossen  und  pracht- 
voll  gestalteten  Fugen  und  Chore  Em.  Bach's,  in  dessen 
,,Heilig,"  in  deua  ,?Magnificati:  und  in  der  Oster-Quartal- 
Musik  heran,  geschweige  an  die  Chore  und  Fugen  des 
Vaters.  An  Muhsamkeit  hat  es  Friedemann,  wenn  er 
eininal  an  die  Arbeit  gega&gen  war,  nieht  fehlen  lassen* 
Aber  ihto  inangelten  die  grossen  Gedanken  und  die  Gabe7 
der  Arbeit  klare  Entwickelung  zu  geben. 

Den  Choral  hat  er  nirgend  aU  tlieinatische  Grundlage 
fur  den  Chor  oder  Einzel-Gesang  benutzt  Er  ven\rendet 
ihn  fast  nur  als  Schloss  der  Cantaten-Musik  im  einfach 
vierstimmigen  Satze.  Einige  Male  lasst  er  seine  Cantaten 
rait  solehen  einfachen  Choral -Gesiingen  beginnen.  Nur 
einmal  findet  sich  in  der  Cantate  Festo  ascensionis  (No.  16) 
eine  eingehendere,  Seb.  Bach's  vierstimmigen  Choral- 
Arbeiten  ahnliche  Behandlung^  niimlich  die  des  Kirchen- 
Liedes  3,Herr  Jesu,  ziehe  bei  uns  ein," 


—    186   — 


Diese  zeigt;  was  er  fur  die  Bearbeitung  des  Chorals  hatte 
leisten  konnen.  Aber  er  1st  tiber  diesen  einen  Versueh 
nicht  fortgekommen.  In  der  Weihnackts-Cantate  (No.  6) 
wird  derselbe  Choral  in  derselben  Bearbeitung  mar  in 
Gr-dur  wiederholt. 

Das  Beste,  was  die  Cantaten  enthalten,  liegt  in  den 
Arien.  Aber  auch  in  diesen  sind  neue  Formen,  neue  Wege 
nirgends  bemerkbar,  Es  ist  der  unveranderte  Styl  Seb. 
Bach's,  und  es  sind  dieselben  Mitfel,  die  hier  verwendet 
werden.  Auch  sie  leiden  unter  zru  grosser  Kiinstelei  und 
unter  der  in  den  Choren  vielfach  bemerkbaren  Unbehilf- 
lichkeit  und  Sonderbarkeit  der  Declamation.  Wenn  es 
beispielsweise  in  dem  Eingangs-Chor  der  Cantate  ??Der 
Hochste  erhoret"  lautet:  wvoll  Liebe, 'Liebe,  voll  Liebe? 
Liebe,  Liebe  fur  Lehrer,  Lehrer,"  so  ist  dies  nicht  weniger 
sonderbar?  als  wenn  in  der  diesem  Chore  folgenden  Arid 
fur  Alt  declamirt  wird:  MUein  Hertze7  Hertze?  Hertze 
klopft,  klopft,  klopft;"  ond  spa^r: 


—    187    — 


klopft  —  — 

oder  wenn  es  in  der  Tenor-Arie  der  Oantate  ,?Ihr  LIcliter 
jener  schonen  Hohen"  lautet: 


Dieses  ist  der  Gnadenlohn,       Gnadenlobn,       Gnadenlohn. 

oder  wenn  in  einer  Tenor-Arie  der  Cantate  zum  Geburts- 

tag  Friedrieh's  II.    das  Wort  ??Ketten"  wie  folgt  be- 
handelt  wird: 


Ket 


ten,  Vortsieht 


Auch  sonst  finden  sich  in  seinen  Arien  Sonderbarkeiten 
und  Uebertreibungen  des  Ausdrucks  aller  Art;  so  in  der 
sehr  langen,  von  der  Trompete  begleiteten  Arie  der  Cantate 
?,Wo  geht  die  Lebensreise  hin?" 


Ihr  tretien  See  -  leu      fah- 

E    . 


ret, 


fahret 


rpi* 

~mi^m 
^*~ 

anf- 


In  der  Bass-Arie  der  Cantate  ,,Q  Wunder"  kommt 
folgende;  in  der  That  kaum  ertraglicie  Stelle  Tor: 


Wan- 


—    188    -- 


Die  Darstellung  der  Worte  in  der  Arie  ?JErzittert7 
ihr  brausenden  Schaaren" 


K-g. 


Rauscht!  Rauscht!       Rauscht  ihrFluthen,    rauscht. 


ii 


Rauscht! 


Rauscht! 


ist  gleichfalls  auf  die  Spitze  getrieben. 

Doeh  finden  sich  auch  manclierlei  Schonheiten.  Er 
ist  insbesondere  in  der  Verwendung  der  instrumentalen 
Mittel  oft  sinnreich  und  poetisch,  mitunter  selbst  in  der 
Melodie  iiber  sein  gewohnliches  Mass  hinaus  gehend?  den 
zerrjssenen  Charakter  seiner  meisten  Gresangssachen  ver- 
lengnend. 

Zu  den  Arien  der  letztbezeichneten  Gattung  gehort 
tinier  Anderen  die  Alt-Arie  der  Gantate  Festo  ascensionis 
mit  obligater  Bratsche: 


fe^^H 


^^  •  VVLp    r*    ?    fr    JK^^ 
•••*  -J-       y   * 

Ber  Himmel      nei  -  get  sich    zur    Er-de,  da     Jesus 


:  - 


—    189 


zu  dem Vater  geht.  DerHimmel  neigetsich zurErde,  derHimel 


aeiget  sich  zur  Erde,         da    Jesus      za    dem  Vater  geht. 


die  ebreh  Melodie,  feine  Instriimental-Wirkimg,  Gefuhl 
und  Adel  den  bestan  Alien  Sebastian  Bach's  gleich- 
kommt. 

In  gleicher  Hohe  steht  die  Tenor-Arie  der  Cantate 
??Erzittert  und  fallet,"  welche  init  2  Floten  in  dem 
reinsten  vierstimmigen  Satz?  voll  von  melodischen  und  in- 
strumentalen  Schonheiten  ist.  Ihr  stehen  die  beiden  Alien 
derselben  Cantate,  deren  eine  in  H-molI  mit  glanzend  be- 
handelter  obligater  Violine?  die  andere  fur  Bass  mit  obli- 
gatem  Cello  gesetzt  ist,  wenig  nach, 

Nieht  selten  hat  Friedemann  zu  seinen  Alien  in 
^liDlicber  Weise,  wie  das  Seb.  Bach  Me  und  da  gethan? 
elne  obligate  Qrgel-Begleitung  ge^tzl  Doch  gewinnen 
bei  itoi  dime  Staeke  den  Charakter  von  Orgel-Sonaten 
mit  hinzugef&gten  Worten.  Der  Gesang  feritt  dabei  durch- 
aus  in  die  zweite  Reifae,  Die  Tenor-Arie  der  Cantate 
?7Heraus?  verblendater  Hochmutb^  giebt  ein  voll- 


—    190    — 


giiltiges  Beisplel  hiefur.  Der  Gresang  ist  zerrissen,  die 
Orgel  ausserst  glanzend  gesetzt,  hie  und  da  mit  2  Floten 
concertirend,  mehrfach  in  breit  gehaltenen  Zwischenspielen 
sich  ergehend. 

Aehnlich  behandelt  ist  die  fur  Orgel  und  Horn  ge- 
setzte  Arie  (C-dur  %)  ,7Zerbreclit?  zerreisst,  ihr 
sclin5den  Bande!a  in  der  auch  das  Horn  von  nur  un- 
geordneter  Bedeutung  ist. 

Auch  in  der  Tenor-Arie  der  Cantate  ??Der  Hochste 
erhoret^  erscheint  die  an  einigen  Stellen  mit  der  Orgel 
concertirende  Gesangsstimme  nur  ganz  nebensachlich. 

Von  den  zweistimmigen  Gresangssatzen?  die  mitunter 
in  diesen  Cantaten  vorkommen,  liesse  sich  etwa  dasselbe 
sagen.  Ueberall  fast  erscheinen  die  Stbnnien  im  Instru- 
mental -  Charakter.  Zu  derartigen  Stucken  gehort  das 
Duett  der  Weihnachts-Oantate  ??Der  Herr  zu  Deiner 
Reehten"  mit  dem  Anfenge: 


Je 


su,      grosser  Him 


Ko  -  mg. 


—    191    — 


g==7 


das  weiterhm  in  der  Stelle: 


Und  dich        nnr         —         — 


»    . 


Und  dich      nur  im        Glan- 


Glau- 


ben 


ben        schan- 


scJiau- 


, 


e®, 


ben 


—    192    — 


en,  nur  im      Glau- 


schanen, 


nnr  im     Glau- 


/-£#  

-rt'S-'-'T—  :fr*—  : 

^=^ 
lk=^ 

=  —  _  —  &K 

-^^-g-^LU     ,  |  I  ,  

^  ^ 

—  (  :  1-  

1 

ben,          nur             im 

ben. 


die  freiKch  aus  dem  Modegescbmacke  jener  Zeit  herans- 
gewacksen  ist,  von  dem  eigentlich  Gesanglichen  ganz  ab- 
sleht  Dabei  1st  das  ganze  Duett  der  melodischen  Ajafangs- 
inotive  UBgeaclitet  von  eben  so  ermiidender  Lange,  ak  das 
in  der  ??Introduzione  della  predicazioni"  vorkommende  Duett 
^Gottes  susse  Bande  brechen"  und  das  Duett  ?,Grott? 
der  da  in  dem  Himmel  wohnt/£  in  der  Cantate  ?7Der 
Herr  zu  Deiner  Rechten/*  das  zudem  ausserst  unsang- 
bar  geschrieben  ist. 

Wie  Friedeiaann  in  seinen  Oantaten  (iberall  streng 
der  Schule  und  den  Forinen  des  Vaters  folgt,  so  bewegt 
er  sien  aueh  hie  und  da  in  dessen  besonderen  Eigenthmn- 
lichkeiten.  Das  zweistimmige  Eecitativ  der  Cantate  >?Her~ 
aus  verblendeter  Hochmuth"  mit  dem  Anfange: 


193 


Mein  Gott,         wie     sehr  entweiht  man  doch  den 


3=^ 


wo  Glaub"  und    Andacbt  herrsehen  sollen 


^ 


giebt  davon  Zeugniss^  ebenso  das  Becitativ  e  Arioso  der 
Cantate  7?0  Wunder?"  desaen  G-esang  (Sopran)  zunachst 
nut  der  Violine  und  dem  Bass  in  Uusserst  trockner  Weise 
concertlrend?  ein  Stiick  von  rein  contrapunktisehern  Glia- 
rakter?  oline  Inneriichkeit  und  Wsirme  ist,  und  das  sick 
weiterhin  durck  den  Hinzutritt  der  Bassstiinme  zu  eiriem 
Arioso  a  due  entfaltet,  wie  dergleicken  auck  Tbei  Sebastian 
Back  vorkommen7  ohne  dass  es  an  die  Grosse  und  Inner- 
lickkeit  der  gleickartigen  Stucke  dieses  grossen  MeLsters 
keranreickte. 

Friedemann's  beste  Oantate  1st  offenbar  die  Ad- 
vents-Cantate  ??Lasset  uns  ablegen  die  Werke  der 
Finsterniss/£  deren  Original  sick  zu  Berlin  befindet.  In 
der  zu  Wien  (in  der  BibL  des  Conservatoriums)  befind- 
lieken  Absckrift  ist  sie  als  Pfingst-Cantate  bezeichnet?  und 
dazu  die  Bemerkung  eingetragen:  J7C.  Pit.  Era.  Bach  hat 
dieses  Stliek  in  den  Jakren  1772  bis  1779  in  den  Ilani- 
burgiscken  Kireken  aufgeftkrt" 

Der  Text  lautet; 

No.  1.  Chor  (4Bt  D-dar  VO- 

Las^et  BBS  «tMe^n  die  Werke  der  Finsteraiss  und 
anlegen  die  Waff©B  d^s  JUtefct^ 

Bitter,  Emanael  und  FxMtonmt  Bach.  IL  13 


—    194    — 

Ho.  2.  Recitativ,  Alt. 

Schon  nahet  sich  die  Zeit; 

Vom  Stlndensclilafe  aufzustehen, 

Und  Gottes  Geist  ist  schon  bereit 

In  unsre  Herzen  einzugehen. 

Wie  liebreich  nahet  sich  inein  Gott  zu  alien  Siindern, 

Die  nur  nicht  freventlich  des  Geistes  Wirkung  hindern. 

Er  schenket  unsrer  Seele  Ruh7, 

Und  ruft  uns?  wenn  wir  wanken,  zu! 

So.  3.  Choral  (Mel:  Nun  danket  alle  Gott), 
Steh'  auf  vom  Siindenschlaf  etc. 

No.  4.  Recit.  Sopr. 

D'rum?  Vater7  wollest  Du  auf  niich 

Den  Geist  der  Jiinger  senden7 

Und  mich  nacli  Deinem  Rathe  lenken. 

No.  5.  Arie.  (H-moll  3/s?  Sopr.) 
Hore;  Vater,  mit  Erbarmen 
Meinem  matten  Seufzen  zu. 
Hab*  ich  mich  von  Dir  entrissen, 
So  lass  meine  Seele  wissen, 
Dass  in  Dir  sei  wahre  Ruh7. 

No.  &  Recit  mit  Accomp.  Bass. 

Ich  weisSj  clie  Nacttt  ist  schon  dahin,     , 

Und  durch  das*  Jbicht  die  Finsterniss  vertrieJ)eB. 

DVum  muss  ich  auch  des  Lichtes  Werke  iibeti. 

Dazu  wirst  Du;  Geist  Gofetes,  Baieh  bereiten 

Nach  Deinem  Sinn.     Mit  Dir  will  iefe 

Der  S  linden  Reiz  bestreiten. 

No.  7.  Arie.  (D-dur  2/4,  Bass). 

Ich  ziehe  Jesnm  an  im  Glauben; 
Damit  will  ich  vor  Gpott  bestehn, 


Er  lasse  mich  im  Thim  und  Wandeln 
Nach.  seinem  heil'gen  Willen  handeln? 
So  kann  ich  niclit  -verloren  gehn. 

No.  8.  Choral. 

Den  Geist?  der  heilig  ist, 
Lass  willig  Dich  regieren. 
Er  wird  auf  ebner  Bahn 
Dieh  alle  Zeit  wohl  fiihren. 
Und  dass  Du  Gottes  Kind 
Dem  Herzen  pragen  ein. 
Auch  Dlch  versichern  des, 
Dass  Dn  sollst  Gottes  sein. 

Dieser  Text,  genau  den  Textdispositionen  Sebastian 
Bach'scher  Gantaten  und  deren  Inhalt  entsprechend?  Iksst 
emen  Fortschritt  in  der  Kirchen-Poesie  eben  so  wenig  er- 
kennen,  als  dies  bei  der  Mehrzahl  der  Ein.  Bach'schen 
Cantaten  der  Fall  war.  Die  Texte  enthielten  nielits  als 
den  abstracten  Ausdruck  der  mit  dem  Halle'selien  Pietis- 
mus  verketteten  lutherischen  Orthodosie. 

Die  Musik  soil  dem  Jahre  1749  asgehoren.  In  ihr 
findet  sich  der  Charakter  der  Kirchen-Oantaten  Sebastian 
Bach7s  in  einer  Bestimmtheit  wieder  erkennbar,^  dass, 
wenn  der  Ursprung  nicht  sonst  genau  bekannt  wiire,  man 
sie  leicht  fiir  eine  der  Cantaten  des  Vaters  halten  kunnte, 
zumal  die  oben  angedeatetexi  besonderen  Eigcnthiimlicli- 
fcd&en  in  der  Schreibart  Friedemannjs  fiir  die  Kirelie 
hier  weniger  bemertbar  sind, 

D^r  ei^fe  Chor  langt  mit  einem  Instrumental -Vorspiel 
des  Streich  -  Quarteits  mit  2  Trompetoa  und  Pauken  an, 
in  welchem  die  HaHptmotive  wie  bei  den  Seb.  Bacli'sclien 
Instnimental  -  Einleitagen  an  dein  Zuhorer  vorbereitend 
voriibergeftthrt  warden.  Die  Basse  beginnen  mit  einer 
Orchester-FIgur  m  l}m  wdfofee  weiterH®  TOB  den  Violinen 

13* 


—    196    — 


iifaernommen  und   concertirend  neben   dem   Chorgesange 
durchgefiilirt  wird.    1m  19.  Takt  setzt  der  Chor  ein1): 


1. 2.  Tromp. 
Pauke. 


Yiela. 
Basso. 


Las  -  set  nns, 


las  -  set  uns, 


m 


i 


_£ ^ — » At— j. H — ^^^    % — * 

g^^^r^^  .r>      '  t3£==ifc=JL ^=fe 

^^F^11^^  -^=g 

ab    -   le      -      gen 
f      J:  i 


las  -  set  uns 


die 


* 


set  uns 


i)  Man  bemerks  Wohl  die  l>eckmation  der  Worte,  das  Drerfecte 
,jLasset  uns"  und  das  Zerreis»en  ^as-set  unsu  im  S.  Takt  dee 
Tenor  und  Bass, 


-   197   - 


JJ2- 


•a    h 


y      7 


die  Werke  der      Fin-         &e  Werke  der 


die  Werke  der 


198    — 


I.  Tioline. 


9 — -j           m  — • 


=*£» 


2.  Tioline. 


kJ^ 


Fin- 


Qi£ 


Fin- 


'     1  jji    = 

•         • 


^m 


,r 


ster  -  niss. 


ster  -  niss. 


Naeh  diesem  homophonen  Anfange  tind  der  sehr  firap- 
panten  Wirkung  des  Eintritte  der  B-dur-Tonart  mit  der 


loo 

JLi/i/ 


folgenden  Modulation  nach  a  auf  dem  Worte  ,7Finster- 
niss"  beginnt  eine  vollig  polyphone  bis  zum  Schluss  an- 
haltende  Behandlung,  zu  weleher  die  erste  Violine  ihre 
harpeggirende  Form,  hie  und  da  nait  dem  Bass  weehselnd 
fortfuhrt,  und  deren  im  Wesentliehen  sich  gleicli  bleibende 
Motive  mehreremal  von  anderen  durch  alle  Stimmen  wech- 
selnden  Themen  wterbrwhen  werdea.  In  dieser  Weise 
ist  der  Ghor  zu  einem  ausgedehnteny  m  strengster  Form 
durchgearbeiteten  Satze  geworden,  welcher  alien  Forde- 
rungen  des  ernsten  Styls  und  der  Polyphonic  entspricht. 

Das  nur  vom  Bass  begleitete  Recitativ  des  Alt  konnte, 
genau  wie  es  geschrieben  ist,  einer  Sebastian  Bacli'schen 
Cantata  angehoren.  Es  zeigt  insbesondere  die  diesera  so 
selir  eigentbiimliche  Declamation. 

(Janz  dasselbe  lasst  sich  von  der  Sopran-Ai'ie  No.  5 
sagen,  welche  fur  1  Fiote,  1  Violine  (oder  2  ViolLuon)  und 
einen  fast  obligat  behandelten  Bass  im  rein^ten  4dtirniaigen 
!Satz  geschrieben  ist: 


Flile.  Viol. 


lass. 


^* — ^ 


Ho  -  re,       Va  -  ter,      mit    Er    -    barmen 


{ -  am       mat    -    ten,       mat    -    tea,      mat 


ten 


—    200    — 


Senf  -  zen       zu. 


Ho- 


!> 

^ 


SE 


re,       Ya-ter! 


ho 


re,         Vater ! 


i H==i=^g 


raj 


i 


Man  wird  zngeben  mussen?  dass  eine  Familien-Aehn- 
lichkeit  nicht  frappanter  sein  konnte  als  die  Glelchartigkeit 
dieser  Arie  von  zartestem  Charakter  und  sirmreicher  Be- 
nutzung  der  Instrumente  mit  den  Arien  Seb.  Bach?s. 

Ganz  dasselbe  kann  man  yon  dem  aecompagnirten 
Recitativ  No.  6  sagen,  dessen  Anfang  wie  folgt  lautet: 


—    201    — 


Ich  weiss,  die  ISTacht  jst  nun  dahin, 


~_jP, , t-  :         ^    1  C.~.p     .-...-.  1 

- ':  '-1----TT-1  J-^":^1!^— — -"^ 


ef  «  ~-_ij^  

f-jVi  —  *  —  rP-— 

_.  —  —  —  __  1 

:£_j^    <»__j*      *  *f-.^ 

=^^=3L. 

"*  -/        ;/  '  '     T^          '            I 

:.v'  •'••  

and  durch  dasLieht 

—V—*r  
die      Finsterniss 

"-"T""'?               t^ 

«_£  1 

vertiieben, 

—  ,  ,t  —  ,  _^  —  .  ft~&  —  —  —  ~| 

j       i 

3gt=£-  — 

f-fc  — 

I 

!_,  „__ 

*~«                  *    «     j 

P««.i?t!  J:"';  ""[  ~i 
JTI5:=iJj 

^-J  *  ^ 

•-;  5-*T—  I 

^t_^£L 

—  --.—r-i^N 

zfcrE: 


Drum  muss  ioh  aoch  des  Lieh 


ted   Werke     u  -  ben. 


Auch  in  der  Arie  No.  7  mit  der  Solo  -  Oboe  sind 
Insti-umentatloia  wie  Gesang  durchaus  In  der  Weise  des 
alten  Meisteirs  gefulirt,  Der  Sehhiss-  Choral  ist  kirchen- 
uaassig  gesetzt  und  wird  von  den  Streich-Instrumenten  und 
den  Trompeten  und  Panken  begleltet, 

Unmoglicii  war^  e$  Bidbt?  dass  Mer  mindestens  die 
tteilweise  Bentttateg  $m®£  wikokaxmt  gebliebenen  Gantate 


—    202    — 


Sebastian  Bach's  vorlage1).  Ware  dies  nicht  der  Fall, 
so  wiirde  jedenfalls  anerkannt  werden  mussen,  dass  der 
Sohn  es  ver&tanden  habe  den  Vater  auf  das  getreueste 
nacbzuahmen,  und  dass  er  dabei  jedem  selbststandigen 
Schaffen  und  jeder  eigenen  Besonderheit  entsagt  habe. 

Den  interessanteren  Kirchen-Compositionen  Friede- 
mann  Bach's  gehort  das  Kyrie  an,  welches  sich  in  einer 
von  Haseler  in  Erfurt  gefertigten  Abschrift  in  der  Konigl. 
Bibliothek  zu  Berlin  befindet.  Es  ist  oben  die  Vermuthung 
ausgesprochen  worden?  dass  dies  Stuck  eine  Jugendarbeit 
sein  moge.  Die  weniger  complicirten  7  kleineren  Form  en 
aller  Theile  desselben  mit  alleiniger  Ausnahme  der  Schluss- 
fuge?  die  melodiose  Behandlung  und  die  grossere  Sang- 
foarkeit  in  den  Stiminen  schliessen  die  Wahrscheinlichkeit 
aus?  dass  die  Composition  in  Halle  gefertigt  sei.  Von  den 
in  jener  Periode  gesetzten  Sachen  unterscheidet  sie  sieli 
durchaus.  Muthmaasslich  gehort  sie  einer  Zeit  an?  w<i- 
Friedemann  noch  unter  der  Aufsicht  des  Vaters  arbeitete. 

Der  erste  Satz  beginnt  mit  einem  ernsten  fugirten 
Einleitungs-Satz  von  25  Takten,  in  dem  die  Instrumente 
(Qoartett)  mit  den  Stimmen  gehen 


/  Q  L  p,  —  - 

—  ^^  

Oo 

^^S  ^_J 

t*—  —  l 

r        O 

Ky 

_p  p- 
ri 

Ci  ] 
-     e 

-              Ky          -          ri  -  e,                      Ky 

ri- 

Bass. 

'!               •"  — 

x-—  • 

4   i 

1      1 

^^j            ^^j 

J  A 

1 
0°P     } 

1  ~~{^  

1 

Q  . 

J  j  — 

l-p  —  '  —  t 

—  i*^^ 

Fund. 


*}  Man  lasse  bieri>ei  die  weiterhin  folgen^e  Erzlhlung  van  der 
Art,  wle  er  4fe  P^sskHss-Mnsik  des  Vaters  in  demselfeen  Jahre 
zur  Anwendung  gebrachit  feafeen  ^olJ,  nicbt  aus  den  Augen. 
di$  VcrmutbiiDg1  des  Yerfa^^rs  ^ojinte  die  mehrfacfye 
dfeser  Cautate  tkirch  Sm.  Bach^fe  toa  Kirdien  zu  HaaiaJtog"  gelteitd 
gemacht  we^d^n,  vorausg^setzt  dass 


—    203    — 


Im  15.  Takt  tritt  der  deutsche  Text  ?,Herr  crbarme 
Dich"  ein  imd  der  Chor  geht  dann  in  cinen  zwciten 
fugirten  Satz  tiber. 


Christe    e 


Christ 
le      - 


Basse.      Christe 


(\~$L\)  """  ""           *   *     1 

i  ,,  *  S  

- 

^—  ^TTr 

r      ^ 

If 

fr  f 

i            tfon,    Chri 

-  ste                      e    - 

le 

" 

-H 

i  -  rion. 

I    i  £~  £—  »~-p- 

—  ^  —  rjrr 

_}  ;  :  — 

le  -  i     -    son. 

der  kurz  gefasst  ist  imd  In  dessen  letzten  Takten  plutzlich 
•wieder  das  deutsche  3?Herr  erbarme  Diet"  zura  Vor- 
scbem  koratBt?  worauf  der  erste  Ohor  7?Kyrie  eleison" 
wicderholt  wird.  In  beiden  Satzeta  sind  eigeritlich  nur 
die  Anlitufe  zu  fugirter  Arbeit  zu  finden,  doch  1st  deren 
Inhalt  wurdig  und  in  der  harmonischen  Haltung  nicht 
ohne  Interesse. 

Dieser  ersten  Nummer  folgt  ein  Duo  fur  Sopran  imd 
Alt  (F-dur  3/j)  ??Und  auf  Erden  Friede"',  melodiscb, 
etwas  figurirt?  nur  voa  dein  Continuo  begleitet?  far  den 
©ine  Bezifferjing  nicht  angegeben  ist.  !Nacli  45  Takten 
geht  dasselbe  in  einen  kmrzen  mit  lebfeafter  Instrumental- 


Arbeit  friedetti«iia*«  betraefetel  liajbe.  Dock  ist  nicht  zu  vergesson. 
daas  jeier  seit  14  fesfarm  vosi  Hawe  abwc^ciMl  den  grosseren  Tbeil 
^jr  seit  1?^  a««f«rt»&«l^a^cke  des  Vafcers  schwerlkh  kcBiiea 


—    204    — 

Begleitang  schnell  vortiberrauschenden  Chor  ,,Wir  lob  en 
Dich,  wir  beten  Dich  an"  iiber. 

Das  hierauf  folgende  ;?Vater;  Herr?  eingeborner 
Sohn,  Jesu  Christe,  Du  allerhoehster  Herr  Gott, 
Lamm  Gottes,  Sohn  des  Vaters,  der  Du  hinnimmst 
die  Siinde  der  Welt,  erbarme  Dich  unser",  Adagio 
fur  Bass  (B-dur  4/4)  mit  Accompagnernent,  ist  in  edler 
recitativischer  Declamation  gehalten,  voller  Gefuhl  und 
Wiirde. 

Den  Schlusschor: 


Du      bist     al  -  lein 
fenor. 


der 


'  M-+.  mm  

r*F~ 

~v     •  -  •  * 

<u/ 

Du 

b 

=\ 

ist 

»  — 

£ 
?  

a  - 

lein          der 

—  1       |     p— 

\  —  ^__l  —  1  —  j  

~  f  — 

-  ste,  du  bist  al  -  lein,  du  bist  al  -  lein  der  Hoeh- 

bildet  eine  Fuge  von  sorgfaltiger  und  breiter  Ausfiihrung. 
Nach  dem  44.  Takte  tritt  dem  vorsteienden  Thema  ein 
zweites  Hauptmotiv  Hnzu: 


'    U  r      ^  — 

\                :     f*" 

"  —  ('"1   i1"1  ==  — 

V*  

Bass. 

t  —  *—£*-„- 

Du  bist  al 

_.  -  —  „.,,..  .,£  — 

-    lein  der  Al  -  ler   - 

hoch- 

\  —  •*  

I 

Du       bist  al   -    lein  der       Hoch- 


205  - 


ste,    du 

und  gestaltet  den  Satz  zu  einer  mit  der  hochsten  Kunst 
behandelten  Doppelfuge?  deren  glanzender  Schluss  in  hohem 
Grade  imposant  wirkt  Dieser  letzte  Abschnitt  des  Schluss- 
chors  1st  an  sich  der  Taktzahl  nach  langer?  als  die  ganze 
Musik  der  6  vorhergehenden  Theile. 

Das  Ganze  wiirde  sich  sehr  wohl  zur  Verwendimg  als 
kurze  Hesse  in  der  lutherischen  Kirche  eignen,  Ob  es  zur 
Anffuhrung  gelangt  ist^  stehtdahin;  Friedeinann  kiinnte 
in  Halle  hiezu  wohl  Veranlassung  gefunden  haben.  Dass 
in  Erfurt  elne  Absehrift  vorhanden  gewesen  ist?  seheint 
auf  dort  stattgehabte  Auffiihrungen  zu  deuten, 

Der  Gegensatz?  in  welchem  Friedeinann  in  seinen 
kirchlichen  Oompositionen  zu  seinem  Bnider  Emanuel 
stand?  lasst  sich  kaum  deutlicher  darstellen  als  durch  eine 
Betrachtung  seines  Heilig.  Dieses  Stfiek?  mit  Trompeten? 
Pauken  und  dem  Streich  -  Quartett  gesetzt  und  auf  der 
Original-Partitur  mit  den  Initialen  J.  N.  J.  rersehen?  be- 
ginnt  sogleich  mit  dem  Chor,  der  unter  sehr  bewegten 
Violinfiguren  mit  kraftigen  Accorden  einsetzt,  bald  aber 
in  einen  anfangs  wunderlich  figurirten;  spaterhin  eigen- 
tfaiimlich  declamirten  Satz: 


—   206   — 


Hei -Eg       1st     Gott    der      Herr! 


Hei    -    lig        ist 


Hei 


t/ 


lig, 


Coat,   f     1         -T- 
rfei-lig! 


-^ 


Gott        der  Herr 


Gott  der  Herr7         Gott        der     Herr 


Zeba-oth. 


' 


Iiei-  lig    ist  Gott  der  Herr 


ip 


Zeba  -  oth, 


Gott  der  Herr 


sicfe  die  IFsge 


^ 


de  sind  sei-ner 


—    207    — 


(If 

Alt. 

-------      t                                                .                 i                      V     *V  1 

~T/   ff. 

Tenor. 

Al-Ie 

£._  ^  --*- 

t/ 

"Al*tJ"  *  P  ^~  "  ~?~£5~*'  —  ?  —  ?  —  *~^  '"*"*  

23~t: 

Al 

-1 

e 

Lan         -           -         de  sind  seiner     Eh     - 

1    3±S^ 

^L. 

•     ! 

M~i 

[vJLi  Tj1^    T    —  —  [^    —  -j 

Eh-         -         ren,  Eh      -       -      ren  voll.  Al- 

VOB  naeisterhafter  nnd  glanzender  Teciinik  anschliesst, 
Ohiie  Zweifel  libt  dieser  letzte  Satz  nach  der  unruhigen  Be- 
wegung  des  Heilig  eine  edle  nnd  felerliche  Wirkung  aus. 
Wenn  man  das  ganze  Werk  aber  der  Idealen  Hohelt  und 
dem  grossartlgen  Schwunge  der  Emannel  Bach7schen 
Composition  gegenuberstel!t7  so  muss  es  in  den  Hlntcr- 
grund  zuriicktreten.  Die  grossen  Mittel  an  der  rechter^ 
Stellc  zu  verwenden?  das  lag  emma{  eben  so  wenig  in 
Friedem aim's  Natur,  als  die  frele  Entwickehing  ein- 
facher  Gedanken  und  die  Verwerthmig  mclodisclier  Satee, 

Vielleicht  mochte  es  noch  von  Interesse  sein,  einen 
Blick  anf  die  Cantate  ?>zum  Geburtstage  Friedriclis  des 
Grossen"  zu  werfen?  deren  Text^  ofFenbar  unter  den  Ein- 
driicken  der  Wechselflllle  des  siebeiyafarigen  Krieges  ge- 
schrieben?  im  Anhange  II.  beigefiigt,  zwar  herzlicli  schlecht 
1st,  dock  aber  gegeniiber  den  Ereignissen  des  Jahres  1866 
aaf  unzweifelhafte  Weise  erkennen  lasst,  wie  sehr  IB 
Schlesien  sehon  zu  jener  Zeit  die  Besorgniss  vorgewaltet 
hat,  da$s  dies  Land  wieder  von  Preussen  getrennt  werden 
kdnnte. 

Nadhdem  der  Feind  a«sgerufen: 

??&  Misse  sein©  Lander 

Dad  SeUesIem  sei  unser 

tritt  Schlesien  nait  den  Worten  ein: 

Ich  nod  die  HimsieJ  mussen 


208    — 


Recht  und  Religion  wftrd'  in  Ewigkeiten 
*        Ein  leerer  Klang,  ein  Nickts!" 

Arie. 

wBluht  Boch  Hoffnung  zura  Erretten, 

Vors>icht?  so  zerbrick  die  Ketten? 

Die  fur  mich  der  Hochmuth  schlagt. 

Senke  Dich  uiit  fluid  kernieder, 

Zeig'  ilm  mir  im  Lorbeer  wieder, 

Ihn,  der  Deine  Blitze  tragt." 

Die  Cantate  beginnt  mit  einer  Sinibnie,  deren  Partitur 
leider  nickt  vorlianden  ist,  wenn  man  nickt  etwa  annehmen 
mdckte,  dass  die  von  Friedemann  nachgelassene  Sinfonie 
yon  einem  Satze  in  D-moll  (Siehe  weiter  unten),  was 
ihrein  Ckarakter  nach  sekr  wokl  moglick  ist?  die  Bestini- 
mung  gehabt  kabe  ak  Einleitung  zu  dienen.  Dieser  Sin- 
foiiie  folgte  das  In  ansdrncksvoller  Instruinental-Begleitung 
g^setzite  aecompagnirte  Recit.  No.  17  welckes  eine  bei  ikm 
seltea  yortrefflieke  Deckmation 


Er  -  sebuttert    rnei-ne      Kuh,  mei     -     ne 


ES 


Huh 


.-  i 


=*=£ 


c   c 


^3E 


209    — 


and  eine  bis  zu  einem  gewissen  Grade  dramatisch  heroischc 
Farbung  zeigt. 

Die  Arie  No.  2  (2  Homer,  Pauken,  Continuo,  D-dur  V*  ) 
ist  der  Cantate  ??Grott  fahret  auf  mit  Jaiichzen'£  ent- 
lehni  Sie  getort  mit  ihren  schmetternden  Fanfarenklangen 
ikrem  figiirirten  Gesange  denjeaigen  Arien  BacJi\s 
die  am  meisten  einen  Tjestimmten  (Jliarakter  an  sich 
Dock  sind  die  Bleeh  -  Instrumente  an  einzelnen 
spielbar  gc^etzt  und  der  Gesang  fur  die 
mit  dem  dfter  yorkommenden  Fis  uncl  G  iiber 


an 


Lmi©  iia  faddisten  Grade  unbequem,  Dem  mit  unge- 
lebhafter  nad  in  dem  grosses  Styl  des  ersten  Reci- 
tativs  g€^etetea  Becitativ  No,  4  ??Der  Waff  en  rauseheu- 
des  G^t§Ee^  $©B  M«h  *«r  £emeirka3ag  der  Original-Par- 
tita* ??8egn^  «imf®mi^£^  V^^i^^  cin  ;  Instrumentaistiiok 

Bitter,  Effliflttftl  mad  FriedeautKft^ch.  H.  14 


gefetgt  sem.  Ea  sdbeiat,  «lass  sat  jener  Bezeicnnung  wohl 
das  Vorspiel  der  Arie  No.  5  gemeint  war,  das  (Furioso, 
D-dur  3/47  1  Horn,  Quartett)  einen  feurig  bewegten  In- 
strumentalsatz  von  tiefernstem  Gharakter  enthalt  und  in 
die  Arie  fur  Tenor  iiberleitet,  deren  Text  oben  angegeben 
worden  ist. 

Die  Melodie  derselben  tragt  den  Stempel  der  abge- 
rissenen  Satzbildungen,  deren  oben  mehrfach  Erwahnung 
gesehehen;  der  eigenthiimHehen  Declamations -Weise  des 
in  dem  Mittefeatze  vorkommenden  Wortes  ??Ketten"  ist 
gleichfalls  schon  gedacht.  Dieses  Andante  nnd  der  Ein- 
gangssaiz  wechseln  dreimal  mit  einander,  wobei  das  gleicla- 
felk  dreimal  wiederkebrende  Furioso  jedesinal  mit  ganz- 
lich  veranderter  eharakteristiseher  Instrmnental-Begleitung 
erscheint,  und  dadurch  der  sonst  nicht  bedeutenden  Ark 
ein  gewisses  Gepr%©  von  Gr5sse  giebt 

Das  Secco-Reeitatir  fiir  Alt  No.  6  nnd  das  Lierauf 
folgende  Duo  fiir  2  Soprane  (2  Floten,  A-dur  3/s?  Oont.) 
stud  oime  b^onderes  Iiitere^e. 

Der  ScMnsschor  No.  9  ??Heut  jauciiaet  in  Jubel" 
(Trompete,  Quartett^  D-dur  %)  ist  in  dem  Haupt-Motive 
etwas  gekiinstelt.  Sopran  und  Alt  setzen  in  canonisdien 
Oangen  nach  einander  ein.  Bass  und  Tenor  folgen  in 
gleieher  Weiiie.  Ab  und  zu  yereiBigen  die  Stimmen  sich 
«»  k>m0plion6n  Ganger,  die  aus  dein  Gewirr  der  polj- 
pli^nea  «Bd  ooaaferapunktisehen  Combinationen  wirknn^- 
Y®!t  hervortretaa.  Madb  ^ineBa  kiirzen  Mittelsatz  YOU  sekr 
Ihnlichem  Charakter  melmen'Tenoir  und  Bass  das 
therna  wieder  auf  und  Sopran  und  Alt  folgen. 
ier  Satz  in  gleicfeer  Weke  wie  der  ers&e  zu  Ende  geluhrt 
ist?  tritt  ein  neues  Motir  iMnzu?  das  den  Chor  in  ^0Eg- 
Miiger  Arbeit  zum  Seklus^  ffifart>  okne  da^s  derselbe,  wie 
es  den  Worten  entsprecliend  gewesen  ware,  sich  zn 
Schwunge  ©uaporfiebk  Ein  lastrmaental  -  Nachspiel 
26  Takten  ^shiiesst  &sts  Wei^  deswa  B^deutu 
der  historischeB  Tfaatsaofae  sd^^r  fix£ste®zs  ab  m 


—    211    — 

speciellen  Inhalt  zu  suchen  1st,  Friedemann  Bach  liat 
es  in  der  Fortschreitung  dieser  Composition  niclit  ver- 
mocht  slch  auf  der  Hohe  zu  erhalten,  auf  der  man  iim  In 
den  ersten  Kummern  findet. 

Es  1st  der  Betraehtung  der  kirehlicheii  tJuinpositionen 
dieses  Meisters  im  Verhaltniss  zu  ihrem  Werthe  vielleicht 
ein  zu  grosser  Raum  gewidmet  worden.  Bisher  ivaren 
diese  Arbeiten  Friedeinaiin's  so  gut  wie  imbekannt,  Es 
kam  darauf  an  zu  zeigen,  das,s  das  romaiiliafte  Bild,  das 
man  sieh  friiher  von  diesem  genialen  ^lusiker  gemacht  liatte, 
mindestens  in  diesem  Fimkte  nicht  auf  schiein  Verdienste 
als  Tonsetzer  berulit  hat.  Es  ersehien  nothwendig  festzu- 
«tellen?  dass  Friedemann's  Kirchen- Arbeiten  die  Kunst 
um  keinen  Schritt  vorwarts  gebracht,  ja  dieselbe  nicht 
einuaal  bereichert  haben.  Die  Kunst-Gesehichte  kann  fiber 
sie  ohne  Bedenken  zur  Tages-Ordnnng  tibergehen. 

Auch  elnige  Instrumental  -Cornpostionen  sind  aus  der 
Zeit  Friedemann  Bach's  in  Halle  bekanut.  Doeh  diirfte 
die  im  Jahe  1748  erschienene  j;Sonate  pour  le  Clavecin, 
d6di£e  a  Son  Excellence,  Monseigneur  Happe?  etc.  etc." 
mit  der  Zueignung: 

„  Monseigneur! 

Le  gout,  que  Votre  Excellence  a  pour  la  Musique,  et 
les  marques  de  bont6,  que  j'ai  re$u  d'elle?  me  font  esperer, 
qu'elle  agr^era  de  meme  maniere  ce  petit  essai,  que  je 
prens  la  liberte  de  Lui  d^dier.  Mon  but  Be  tend,  que 
da  Lai  faire  connaitre  Fempres^ement?  que  j'ai  de  ni'aquiter 
par  la  da  plus  sacr£  de  mes  devoirs,  comme  ime  vive  re- 
eoiua^isancej  qui  n'en  cedera  jamais  au  profond  respei^ 
avee  lequel  je  me  fais  gloire  d'etre  toute  ma  vie, 
MoBseignemr!  De  Votre  Excellence  Le  tres  Humble  et  le 
trfe®  obe^ssant  Serviteur  Friedeniann  Bach." 

Halle  ce  8  Jem-  1745. 

wobl  orq>rl|nglicli  den  oben  erwi-hnten  in  Dresden  COBI- 
ponirten  6  §<|ns|^i  »geb^rt  hal)0B?  von  den  en  5  nocfa 
nicht  publimi  *w®fm*  Jilndesteii^  *W  Styl  und  Inhali 

14* 


—   212   — 


derselben  der  im  Jahre  1746  ver&ffentlicbten  Sonate  so 
nahe  verwandt,  dass  es  schwer  wird  zu  glauben,  dass  liier 
eine  neoe  Composition  vorliege. 

Auch  hier  1st  die  Form  derjenigen  der  Em.  Baeh'sehen 
Sonaten  gleich  und  eine  grosse  innere  Aehnliehkeit  nait 
den  Wurtembergisehen  Sonaten  bemerkbar.  Die  Musik 
1st  im  Ganzen  einganglicher,  weniger  fremdartig  als  die 
der  ersten  Sonate  5  liin  und  wieder  zeigen  sich  melodische 
Formen,  die  eine  weitere  Ausnutzung  verdient  imtten,  so 
der  Anfang  des  ersten  Satzes: 

Allegro  ma  HOH  troppo. 


£ 


in 


^ 


das  erste  Thema  des  3.  Theils: 


JY«to. 


|^!^rjEy-^rn 


m 


£a  welchem   auch   einige   bravourmassig   gesetzte   Stellen 


liegende  Largo  dagegem 
Takte  in  der  Mitte  und 
noch  als  interessant  z® 
dieser  Sonate  ein  irgeni 
von  1745  zu  erkenneB 
Friedemann  einen  g©^ 
.  I>enn  23  Jahre  spater, 
das&elbe  Stack  noch 
zirar  m.lt  dem 

Son 
dm 


Das  zwi^jhen  beiden  Titeilen 
1st  mratey  sehwHHgl<^  and,  einige 
am  Schloss  aosgenommm,  kaam 
bezeichnen.  EeinenfaUs  wurde  in 
arkeblieher  Fortschritt  gegen  die 
sein,   Dennoch  scheint  es?  als  ob 
wi^cfn  Wertb  anf  sie  gelegt  tabe 
Im  Jahre  17687   eisci^int 
einmal  in  d^ 

??Sonate   pour   le 
Monseigneur  de  Kalserlimg, 


—    213    — 

bassadeur  et  Conseiller  prive"  de  S.  M.  L'lrnperatrice  de 
tontes  les  Russies,  Chevalier  de  1'Aigle  blane,  Membre  de 
la  Societe  des  sciences  a  Berlin,  Seigneur  etc.  etc.  com- 
posed par  W.  Fr.  Bach",  mit  genau  derselben  Vorrede, 
mit  welcher  Friedemann  Seiner  Excellenz  Herrn  von 
Happe  gehuldigt  hatte,  sogar  unter  demselben  Datum  des 
8.  Jan.,  im  Uebrigen  auch  mit  demselben  Druck,  demselben 
Papier  und  in  derselben  Ausstattung  wie  die  Ausgabe 
von  1745.  Ja  sogar  die  auf  dem  Titel  der  letzteren  be- 
findliche  Bemerkung:  7,In  Verlag  zu  haben  1.  bey  dem 
Autore  in  Halle,  2.  bey  dessen  Herrn  Vater  in  Leipzig"  etc., 
war  beibehalten  worden;  obschon  der  alte  Bach  bereits  seit 
18  Jahren  im  Grabe  ruhte. 

Graf  Kaiser  ling  war  ein  Mann  von  feingebildetem 
Geiste,  der  sich  lebhaft  fur  Musik,  insbesondere  fur  Clavier- 
Musik  interessirte,  ein  Freund  und  Verehrer  cles  grossen 
Canton  zu  Leipzig,  der;  wie  man  sich  erinnern  wird,  eiust, 
als  er  noch  K.  Russischer  Gesandter  in  Dresden  war,  die 
bei  Seb.  Bach  bestellte  Arie  mit  den  30  Variationen 
fiirstlich  bezahlt  hatte1).  Friedemann  war  in  Dresden 
mit  ihm  bekannt  geworden.  Wohl  mochte  er  sich  in  den 
Jahren  seines  Verfalls  dessen  und  des  reichen  Honorars 
entsinnen,  das  seinem  Vater  zu  Theil  geworden,  Er  hatte 
dem Kammermusikus  des  Grafen,  Goldberg,  Unterricht  im 
Clavierspiel  gegeben  und  dieser  hatte  sich  einst  in  seiner 
Gegenwart  mit  Beifall  vor  dem  Hofe  horen  lassen.  Alles  dies 
war  dem  nach  augenblickUcher  Hilfe  in  der  Noth  Haschen- 
den  offenbar  in  das  Gedachtniss  zuruckgetreten.  Hatte  er 
in  der  Hoffnung  einer  angemessenen  Bezahlung  dem  Grafen 
ein  neu  coinponirtes  Werk  zugesandt?  wer  hatte  etwas  da- 
gegen  einwenden  wollen?  Es  war  einmal  so  der  Brauch 
der  Zeit  Dass  er  aber  zu  einer  alten,  nicht  abgesetzten 
Arbeit  griff,  und  deren  vergilbte  Exemplare  mit  neuem 


Bitter.   Sell.  Baek    Tfe,  H. 


—    214    — 

Titel  herausputzte,  ohne  selbst  einmal  eine  Veranderung 
der  alten  Dedication  fur  nothig  zu  halten,  dies  zeigt 
mehr  als  manehes  Andere,  wie  unwtirdig  Friedemann 
schon  damals  von  der  Kunst  und  seiner  Stellung  zu  ihr 
dachte. 

Es  ist  eine  leider  niir  zu  bekannte  Thatsache,  dass 
Prledemann  Bach's  Grenie  inTrunksucht  und  murrischera 
Wesen  untergegangen  ist1).  Es  unterliegt  aueh  keinem 
Zweifel,  dass  es  in  Halle  war,  wo  die  ungliickliche  geistige 
Disposition  dieses  grossen  Kunstlers,  welche  ihn  nach  und 
naeh  dem  Leben  mit  edlen  Menschen  entfrerndet  und 
seinen  Mitburgem  und  Eunstgenossen  feindlich  und  ab- 
stossend  gegentiber  gestellt  hat?  zuerst  in  ihrer  ganzen 
Schroffheit  hervortrat.  Ihr  gesellte  sich  noch  jene  iiber- 
groase  Zerstreutheit  hinzu?  die  ihn  filr  jede  Art  von  Ge- 
sehlften  tmlahig  macbte.  Dies  Alles  trieb  ihn  in  ein  un- 
geordnetes  Leben  und  nach  und  nach  in  vollige  Zerriittung 
imdt  Aussen  und  Innen.  Doch  ist  es  wahrscheinlich,  dass 
ins  Dnhedl  in  voller  Seharfe  erst  tiber  ihn  gekommen  ist? 
3aaelidem  sein  ehrwurdlger  Vater  die  Augen  geschlossen 
iatte.  So  lange  dieser  lebte,  war  ein  gewisser  Halt  in 
ibm?  der  ihn  inindestens  das  Schlimmste  vermeiden  liess. 

Wenn  ihn  nach  dessen  Tode  etwas  vor  den  Verirrungen 
ernes  in  sieh  grubelnden,  der  Aussenwelt  abgekebri€^>  kar 
i  gebeigten  schroffen  Wesens  hatte  retlen  konBen? 
es  sicherfidi  die  Efe©  gel^dSm,  Priedemann 
di@s  gef&klt  uad  B^eb  dem  Tode  des  Vaters  einen 
anderen  Stfitz-  und  Haltpunkt  fur  sein  mehr  und  mehr 
der  Verworrenheit  entgegentreibendes  Leben  gesucht  zu 
baben.  Er  war  41  Jahre  alt,  als  er  zu  Halle,  8  Monat 
nach  seines  Vaters  Tode,  am  25.  Februar  1751  dureh 
Diaconus  Litzmann  mit  ,,Jungfer  Dorothea  Elisabeth, 
Herrn  Johann  Gotthilf  Georgi,  Konigl.  Einnehmers 
bey  der  Accise-Kasse  zu  Halle  altesten  eheleiblichenTochter" 

*)  von  Ledebur.    Berliner  Tontinsfe.   S.  M. 


—    215    — 

copulirt  wurde1).  Nichts  erinnert  daran,  dasa  dies  Ehe- 
band  jene  zarten  Wechselbeziehungen  unterhalten  habe, 
die  aus  der  Tiefe  der  Seele  heraus  Herz  und  Gemiith  zu 
Leid  und  Gliick  vereinigen  und  von  denen  sich  in  dem 
Verhaltniss  seines  Vaters  zu  Anna  Magdalena  Witlkens 
so  riihrende  Zeichen  fin  den. 

Ihm  wurden  3  Kinder  geboren2): 

1.  Wilhelm   Adolph,   den    10.  Januar  1752,    getauft 
am  13.  Januar.   Taufpathen  waren:  a.  ,,Ihro  Excellenz 
der  Oberhof-Marschall   Herr  Graf  Johann  Georg 
von  Einsiedel  in  Dresden;     b.    Die  Frau  Geheiin- 
Kathin  von  Dieskau;  c.  Ihro  Excellenz  Hr.  Franz 
Wilhelm   von   Happe?    Wirkl.    Gek    Etats-    und 
Kriegs-Rath  in  Berlin".    Diese  Pathen    sind  bei  der 
Taufe   nicht   anwesend  ge^Yesen?    sondern    von  Ein- 
wohnern  der  Stadt  Halle  vertreten  worden. 

2.  Wilhelm  Friedrich?    geboren    den  30.  Juli  1754 
Pathen    waren:      a.    ??Herr    Christian    Friedrich 
Georgi?  Ober-Bornmeister  und  Renthey-Controlleur; 

b.  Frau    Katharina   Elisabeth  Becker?    Licent- 
Wittwe*,  c.  Herr  Johann  Gotthilf  Georgi?  Konigl. 
Accise-Einnehmer". 

3.  Friederike   Sophie,    geb.    den   7.   Februar    1757. 
Pathen  sind  gewesen:    a.    ,,Ihro  Hochfiirstl  Durchl. 
Fr.  BernhardineChristiane?  Furstin  von  Sehwarz- 
burg  und  Rudolstadt;  b.  Ihro  HochfurstL  Durchl.  Hr. 
Carl  Georg  Lebrecht?  Ffirst  von  Anhalt - Cothen ; 

c.  Ihjo  Hochfiirstl.  Durchl.  Prinzessiu  Marie  Jlagda- 
lena    Benedictine    von    Anhalt -Cothen",     welche 
gleich&lk  durch  Personen    aus  der  Stadt  Halle   ver- 
tretea  gewesen  sind. 

Von  diesen  Kindern  starb  zuerst  Wilhelm  Adolph 
am  20.  November  1752,  zehn  Monate  alt  ,;am  Jammern", 


1)  CopElatioQS-Hegl&ter  der  Kirche  m  Unserer  lieben  Frauen. 

2)  Eireheabietar  wA  Ta^J^ister  iaselbst. 


—    216    — 

darn  Gotthilf  Wilhelm,  am  16.  Januar  1756,  I1/*  Jahre 
alt,  am  Stickfluss.  Nur  Friederike  Sophie  blieb  am 
Leben?  um  das  traurige  Schleksal  ihrer  unglucklichen 
Mutter  zu  theilen  und  mit  ilir  unter  des  Vaters  mehr  und 
mehr  sich  steigender  Trunksucht,  Arbeitsscheu  und  Ver- 
dorbenheit  zu  leiden. 

Wohl  erinnern  die  hochgestellten  und  fiirstlichen  Tauf- 
P&then  der  Kinder  Friedemann  Bach's  daran,  dass  er 
der  Sohn  seines  Vaters  war,  bei  dessen  Kindtaufen  Aqjin- 
liches  bemerkt  worden  1st.  Doch  wie  ganz  anders  hatte 
dBeser  gehandelt,  als  er  im  Jahre  1718  seinen  furstlichen 
Freund  Leopold  zu  Anhalt-Cothen  und  dessen  Verwandte 
zwc  Taufe  seines  ihm  damals  gebornen  Sohnchens  geladen 
hatte!  Ware  Friedemann  in  hoheren  Dingen  seinem 
JSeispiel  gefolgt! 

*  Ob  und  welchen  Einfluss  Bach's  Gattin,  die  nicht 
ganz  unyermogend  war?  im  Anfang  der  Ehe  auf  ihn  aus- 
geQbt  habe?  davon  weiss  man  nichts.  Gewiss  ist,  dass  bald 
geimg  seine  Sonderbarkeiten  waiter  gingen,  als  dies  mit 
geordneten  Verhkltiimeii  vertraglich  1st.  Nach  dem  spateren 
Vftristif  dies^  unglucklichen  Familienlebens  mochte  man 
^Uuben?  dass  die  Frau  es  nicht  vermocht  habe,  mildernd? 
veredelnd,  sittlich  reinigend  auf  das  Gfemiith  ihres  Gatten 
emzuwirken. 

dieter  selbfii  im  gewdhBlichm  Varkelir'oft  genug 
er  Schroffii^t  war7  hatte  er  sek>£  fidiher  vielfach 
Als  er  im  Jaire  1150  Ton  Hdle  aus?  muthmass- 
lich  nach  seines  Voters  Tode,  bei  seinem  Brude^  Emanuel 
in  Potsdam  zum  Besuche  war,  traf  er  dort  in  der  Wohnung 
TOG  Marpurg1)  mit  dem  Violinisten  Giordano,  einem 
KiHstler  von  bedeutendem  Eufe?  zusaromen.  Marpurg  bat 
iiese^  etwas  auf  der  Geige  zu  spielen,  was  aueh  mit  bereit- 
willigster  I^ebeiiBwSrdigkeit  gesefaak  Bagegen  war  Frie- 
demann durch  keine  Bitten  an  das  Clavier  za  bringen. 

V  Legecden  einiger  Masikhel%m. 


—    217    — 

Erst  als  Giordano  sich  entfernt  hatte,  setzte  er  sich  an 
das  Instrument  nnd  begann  zu  phantasiren.  Marpurg 
ging  Geschafte  halber  fort.  Als  er  nach  einer  Stunde 
nachHaus  zuruckkam,  fand  er  Friedeinann  nocL  Immer 
am  Fliigel  in  seine  Phantasien  versunken.  Zelter  frei- 
lich  schrieb  iiber  ihn  an  Gothe1):  J7Friedeinann  Bach 
wurde  fiir  eigensinnig  gehalten,  wenn  er  nicht  Jedem  auf- 
spielen  wollte?  fur  uns  junge  Leute  war  er  es  nieht,  und 
spielte  stundenlang."  Aber  dies  zeigt  eben?  dass  er  launisch 
war.  Dieses  schroffe  Wesen  oifenbarte  sich  auch  in  seinen 
dienstlichen  Verhaltnisaen.  Oft  praludirte  er  in  einer  Breite 
und  Ausfuhrlichkeit,  welche  die  Kirchengeineinde  zu  nichts 
weniger  als  zur  Andacht  stimmen  konnte.  Als  ihm  einst 
der  Geistliche,  der  auf  der  Kanzel  den  Beginn  des  Liedes 
erwartete,  bedeuten  liess?  dass  es  Zeit  sei  zu  enden,  rief 
er  dem  Kirchendiener  tiberlaut  zu:  3JDer  Herr  Pfarrer  ver- 
steht  den  Teufel?  was  zu  einer  guten  Fuge  nothig  ist.  Ich 
werde  spielen  und  schliessen?  wie  sich^s  gehort2)."  Ueber- 
wog  in  ihm  in  solchen  Fallen  der  contrapunktisch  gebildete 
Kunstler  den  Kirchendiener  ?  so  konnte  er  mitunter  auch, 
wenn  es  ihm  an  Lust  fehlte?  so  spielen,  dass  es  nicht  zum 
Anhoren  war.  In  solchen  Fallen  begleitete  er  nicht  selten 
den  Gesaug  der  Gemeinde  in  der  Weise,  dass  er  die  Me- 
lodie  des  Chorals  nur  ganz  einfach  mit  einem  Finger  ohne 
alle  begleitendeJEFarmonie  und  mit  Weglassung  der  Zwischen- 
spiele  auf  der  Orgel  angab,  und  dadurch  grossen  Anstoss 
und  Aergerniss  hervonief. 

Er  pflegte  sich  selten  sogleich  beim  Anfang  des  Gottes- 
dienstes  auf  der  Orgel  einzufinden,  iibertrug  vielinehr  in 
der  Regel  die  ersten  Stiicke  einem  Studenten.  Da  -aber 
auch  dieser,  wie  man  leicht  denken  kann,  oft  genug  aus- 
blieby  so  veranlassten  die  hiedurch  bewirkten  Storungen 
das  Eorchen-Collegium  zu  tadelnden  Erinnerungen.  Statt 


Briefwecbs^  Mit  03&&    ^.5.    S. 
Eeiehardt7s 


—    218    — 

sein  Amt  mit  grosseref  Punktlichkeit  zu  versehen, 
schritt  er?  der  immer  im  Recht  zu  sein  glaubte,  zur  Be- 
schwerde  und  verlangte,  dass  der  Kirehenvorstand  ange- 
halten  werde,  den  Gottesdienst  erne  Stnnde  spater  anfangen 
zu  lassen.  Es  schien  ihm  durchaus  nicht  in  der  Ordnung? 
dass  dieser  Antrag  zuriickgewiesen  wurde1). 

Sein  Fleiss  Hess  tiberhaupt  viel  zu  wiinscnen  iibrig. 
An  sieh  war  freilich  die  Haltung  des  Publikums  seinen 
Compositionen  gegeniiber  wenig  ermunternd;  und  dies  mag 
bei  seinem  scharf  ausgepragteu  Boinstlerstolze  nicht  wenig 
zur  Verbitterung  seines  Gemtiths  beigetragen  haben.  Aber 
er?  der  von  seinem  Bruder  Emanuel  niehts  zu  sagen 
,wusste  als:  ?7Er  hat  einige  artige  Sachelchen  ge- 
macht",  konnte  es  nur  schwer  tiber  sich  gewinnen?  seine 
feigenen  Arbeiten  zu  Papiere  zu  bringen. 

Als  er  im  Jahre  1749  yon  den  Studenten  in  Halle 
er&ueht  worden  war,  ihnen  fttr  ein  Honorar  von  100  Rthlr. 
e$Be  Abendmusik  fiir  den  Prorector  der  Universitat  zu 
?  war  er  viel  zu  bequem  und  lassig?  um  eine 
Musik  zu  schreiben,  Er  zwangte  vielmehr  den  ihm 
Text  in  einige  Stiicke  aus  der  grossen  Passions- 
mtisik  seines  Vaters  ein  und  schickte  die  Arbeit  so  den 
Bestellern  zu?  die  sie  auch  wirklich  auffiihrten.  Aber  die 
Sacbe  kani  durdi  einen  zufeM|ger^eise  tiiite 
ttta&tt  anw^@n4en  Cantor  aBs  der  JSahe  VOB 

4^r  seine  Entristag  iiar  di^  Entetelkng  jenes 
Meisterwerks  Bicfat    haHe   zortckhalten   konnen? 
und  das  Honorar  wurde  ihm  nieht  ausgezahit2). 

In  ihm  stritten  gewohnlieher  Hochmuth  und  Kiinstler- 
slok*?  wirkliche  Kiinstlergrosse  und  ungeheure  Virtuositat 
mii  der  Zerfahrenheit  eines  ungeordneten  Inneren,  mit 
Tr^gheit,  Eigensin03  Laune  und  racksichtslosem  Wesen. 
Und  wohl  ihm?  W^HI  es  hiebei  gebiieben,  wenn  er  nicht 


Marpurg,    Legecden  eiaiger  Mesikliei%eH.    178&    S. 
Marpurg,  Legcndea 


—    219    — 

in  der  traurigen  Leidenschaft  des  Trunks  tiefer  gesunken 
ware.  Leider  batten  das  Stuclium  der  hoheren  Wissen- 
schaften?  die  sorgsaine  Erziehung,  die  ihm  zu  Theil  ge- 
worden,  die  kunstlerische  Umgebung,  in  der  er  anfge- 
wachsen  war,  einen  anderen  Erfolg  gehabt  als  bei  Ema- 
nuel  Bach,  der  vermoge  der  ihm  hiedurch  gewordenen 
trefflichen  Eigenschaften  niclit  allein  ein  grosser  Kimstler; 
sondern  auch  ein  liebenswiirdiger  Mann  und  feingebildeter 
Gresellschafter  geworden  war. 

Jenes  Ungeordnete  in  Friederaann's  Wesen  driickte 
sieh  selbst  in  seinen  Briefen  aus?  deren  Styl  und  Schreib- 
art;  wie  die  im  Anhange  abgedruckte  Correspondence  mit 
einem  Mitgliede  des  Kirchenvorstandes  zu  Halle  erweist1), 
von  nichts  weniger  als  von  einer  sorgfaltigen  wissenschaft- 
lichen  Bildung  zeugt. 

Zu  verwundern  ware  es  gewesen,  wenn  seine  Unfttg- 
samkeit  fiir  aussere  gegebene  Verbaltnisse  nicht  Streitig- 
keiten  und  Zankereien  mit  seinen  Vorgesetzten  herbeige- 
fiihrt  hlitte.  Dass  diese  von  wenig  freundlicber  Gesinnung 
gegen  ihn  erfiillt  waren?  ersieht  man  daraus?  dass?  ob- 
gleich  das  Kirchen- Collegium  vocationsmassig  die  Repa- 
ratur  der  Orchesterinstrumente  zu  bestreiten  hatte,  dasselbe 
docb  Eriedemann  Bach  gegeniiber  darin  Schwierigkeiten 
machte.  Als  dieser  namlich  im  Jahre  1760  eirunal  die 
Pauke  von  einem  Studenten  hatte  schlagen  lassen,  der  im 
Uebermaass  des  Eifers  ein  Loch  in  dieselbe  gehauen,  dessen 
Ausbesserung  1  Rthlr.  8  Grgr.  gekostet  hatte,  wurde  er 
de&halb  zur  Verantwortung  gezogen  und  ihm  ein  Verweis 
dariiber  ertheilt?  dass  er  nicht  7?die  gewofanlichen  Kirchen- 
Mttsikanten"  bei  den  Instrumenten  verwendet  habe2}. 

Deutlicher  als  hierin  spricht  sich  die  Unzufriedenheit 
seiner  Dienstvorgesetzten  in  einem  ihm  im  Jahre  1761  er- 
theilten  verweisenden  Bescheide  aus,  der  in  den  Acten  der 


Origin,  m  den  Acten  der  LiebfraueB  Kirohe. 

Chrysander,  Zeifesehr,  fir  musikal  W^senschaft.  1J.  1867. 


—    220    — 

Lletfrauenkirche  auf  bewahrt  1st.  Es  war  namlich  in  diesem 
Jahre  der  Stedt  Halle  von  feindlicher  osterreichischer  Invasion 
eine  Contribution  auferlegt  und  diese  auf  alle  Einwohner 
vertheilt  worden.  Auch  Bach  war  davon  uin  so  melir 
betroffen,  als  seine  Fran  dort  mit  Grund  und  Boden  an- 
sassig  war.  Hieriiber  beschwerte  er  sich,  indem  er  zu- 
gleich  den  Antrag  an  das  Kircheneollegiuin  richtete,  ihm 
eine?  wie  er  behauptete  bei  Antritt  seines  Amts  ver- 
sprochene  Zulage  zu  seinem  Grehalte  zu  gewahren.  (Siehe 
Anbang  II.)  Die  hierauf  ergangene  Resolution  vom  22.  No- 
vember desselben  Jabres  lasst  die  tiefe  Kluft;  die  sich 
2Tirischen  ihm  und  seiner  vorgesetzten  Behorde  gebildet 
hatte?  deutlich  erkennen.  Indem  seine  Beschwerde  wegen 
der  Kriegseontribution  als  unbegrundet  zuriiekgewiesen 
wird7  wobei  man  ihm  vorhalt,  dass  er  weit  geringer  als 
der  scblechfceste  Handwerksmann  berangezogen  worden  sei3 
wirfi  ilxm  binsiclitlich  der  Qekaltszulage  eroflfaet^  dass  ?;bei 
dfters  ungebubrlicben  Betragen,  bei  seiner  Ver- 
sehuldigen  Subordinationj  da  er  erhaltenen 
Verweises  ungeacbtet  ofters  ohne  Permission  verreiset  und 
die  ihm  gegebne  Weisurtg  zu  seiner  Besserung  nichts  babe 
mtzen  lassen?  sein  Gesuch  zuruekgewiesen^  er  aber  dabei 
erinnert  werden  musse?  sich  besser  wie  zeither  der 
seinem  Officio  obliegenden  Subordination  geg^o. 
Kirehen-Colleginm  z*u  befleis^igeia?  damit 
Bicbt  genatbigi  wer^Cy  andere  Verfugung  zu 
treffaa.41 

Aucfa  hier  sind  Familienziige  erkennbar?  die  an  das 
Verhaltniss  seines  Vaters  zu  dem  Gonsistorio  in  Arnstadt 
und  zu  dem  Rathe  zu  Leipzig  erinnern.  Auch  dieser  war 
von  dem  Vorwurfe  zu  grosser  Belbstandigkeit  in  seinem 
dienstlichen  Verhalten  und  eines  nieht  selten  schroffen 
Wesens  gegen  seine  Vorgesetzten  nicht  freizusprechen  ge- 
wesen.  Aber  was  dort  aus  einem  edlen  und  grossen  Kunst- 
streben  hervorgegangen  war?  jeden  Falls  durch  andere  treff- 
liche  Eigenschaften  in  und  ausser  dem  Dieoo^fce 


—    221    — 

uberwogen  wurde,  erscheint  liier  als  Eigenwille,  Starrsinn, 
Ungebuhrlichkeit,  Charakterfehler. 

Wohl  mag  es  scbwer  gewesen  sein,  mit  einem  Orga- 
nisten  in  geordnetem  Dienstverkehr  zu  bleiben,  der  neben 
seinen  sonstigen  Widerwilligkeiten  einst,  statt  auf  cleni 
Orgelchor  seinen  Dienst  zu  verrichten,  ruhig  in  der  Kirelie 
unter  der  Gemeinde  sitzend  den  Anfang  des  Gottesdienstes 
abwartete,  und  auf  die  an  ihn  gericktete  Frage,  wer  denn 
heut  die  Orgel  spielen  werde;  ganz  einfacli  die  Antwort 
gab:  ?7Ja?  ich  bin  auch  recht  neugierig." 

Vielfache  Verdriesslichkeiten  mit  dem  Kirchencollegio 
und  den  Predigern  fiihrten  endlich  ztim  BrucL  Der 
Kirchenvorstand  raochte  keineswegs  nnangenenm  iiber- 
rascht  «ein?  als  er  ain  12.  Mai  1764  folgendes  Schreiben 
erhielt: 

??An 

Wohllobliches  Kirchen- Collegium 
zu  U.  L.  Frauen 

gehorsamst 
Pro  Memoria. 
HochWohl-  Wohl-  und  HochEdelGebohrae 

Hoch-  und  WoMgelahrte 

Zum  Wohllobh  Kirchen-Gollegio  zu  U.  L.  Frauen 
Wohlverordnete  Herren  Vorsteher  und 

Achtmanner 

Insonders  HochgeEhrteste  Herren. 
Ew.  HochWohl-  Wohl-  und  HochEdelGebohren  habe 
ieh  Hermit  tenipestive  zu  notificiren  meiner  Schuldigkeit 
geroass  erachtet  was  massen  ich   gesonnen  mein  hiesiges 
Organisteii-Amt  zu  resigniren.    Alle  mir  erwiesene  Liebe 
und  Wohigewogenheit  werde  ich  Zeit  Lebens  uiit  schul- 
digsten  Dank  zu  erkennen  geflissen  sejn  und  verharre 
Ew.  HoehWohl-  Wohl-  und  HochEdelGebohren 
Halle 
den  12.  May  gel^orsamster  Diener, 

1764.  WilheliB  Fri^em^nn  Back" 


—    222    — 

Von  diesein  Tage  an  stellte  Friedemann  seine 
Funktionen  bei  der  Kirclie  ein?  war  aber  unbillig  g^nug? 
die  Fortzahlung  seines  Gehalts  und  der  Emolumente  bis 
zu  Trinitatis  desselben  Jahres,  also  noch  far  2  Monate 
weiter?  in  Anspruch  zu  nehineDj  was  itmi  natiirliclierweise 
abgeschlagen  wurde  (cf.  Protokoll  roxa  5.  Juli  1764. 
Anhang). 

Da  er  die  der  Kirehe  gehorigen  musikalischen  Instru- 
mente,  die  ihm  seiner  Zeit  ubergeben  worden  waren,  unter 
Versehluss  hatte,  so  war  von  einem  der  Borchenvorstelier 
behufs  ihrer  Ruckgabe  nach  dem  Inventario  tnit  ihm  ein 
Tftrmin  auf  den  5.  Juli  Nacbmittags  3  Ubr  verabredet 
irorden.  Wer  nicht  ersctien  war  Friedemann  Bach. 
Als  nach  langem  Warten  zu  ihin  geschickt  wurde?  liess  er 
sagen?  er  sei  nicht  zu  Hause.  Auf  eine  sckriftliche  Auf- 
forderung  des  Kirchenyorstehers  lieferte  er  die  Schliissel 
OT  dem  Instrumentenschranke  nicht  aus.  Erst  als  der 
Consistorialrath Ramb ach  ihm  dieselben  dnrch  denEarchen- 
die&er  abfordern  liess,  gab  er  sie  ab?  ohne  iibrigens  selbst 
zn  erseheinee.  So  musste  die  Inventarisirung  ohne  ihn 
TOrgenommen  werden.  Dass  hiebei  eine  Zinke?  eine  Po- 
saune?  ©ine  FIdte  und  der  Bogen  zu  einer  Bratsche  fehlten? 
zeigt?  dass  Bach  nicht  bloss  hochmiithig  und  ungezogen, 
sondern  auch  unordentlich  gewe&^a  war. 

Man  hat  nicitt  unteriassen,  die  Missvertataiisse,  in  die 
IWl©  in  sepBam  kirchlichen  Amte  ge- 
fefetkeken  Rkiiteig  in  Verbindung  zu 
txriogea,  in  der  sich  bekanntlich  die  dortige  Geistlichkeit 
imd  besonders  der  Consistorialrath  Ram  bach  bewegt©? 
itnd  die  kurz  vor  seiiiein  Diensteintritt  daselbst  Friedrich 

Grossen  za  sehr  energischen  Bemerkungen  veran- 

kalto1}.    Ets  findet  sich  indess  nirgends  die  geringste 


i)  Auf  ABStiHea  te  GeMiehen,  insbesondere  Franke's,  war 
efne  Sefaanspieier-G^elJbehafl,  die  m  HaJIe  VorstelluBgen  gegeben 
hatte,  von  dozi  fortgewiesen  wordeBv  Auf  den  bieruber  eistatteten 
B^rieht  bezeietoefce  teKonig  m  ^g6iiMiMiigem]>©cretTom  14.Fel»r. 


—    223    — 

Spur,  die  zu  einer  solchen  Voraussetzung  berechtigen 
konnte,  Ira  Gegentheil  konnte  man  aus  den  Texten?  die 
er  zu  seinen  Kircliencantaten  verwendet  hat  elier  schliessen, 
dass  er  sich  jener  Richtung  damals  gleichfalls  angeschlossen 
gehabt  habe?  obwolil  iui  Uebrigen  sein  Leben  grade  nicht 
fur  elnen  besonders  kirehliehen  Sinn  spriclit.  Jene  iliss- 
verhaltnisse  waren  offenbar  niir  ein  Ausfluss  seines  Wesens 
und  seiner  personlichen  Unvertragliehkeit, 

^  Sein  Nachfolger  war  ein  gewisser  A.  F.  Eoth.  Es 
wirft  ein  wahrlich  wenig  erfreuliches  Licht  auf  den  Ruf, 
in  dem  Friedeminn  stand  als  er  sein  Aint  verliess,  dass 
dieser  Roth  in  seiner  Meldung  sich  nicht  scheuen  durfte 
auszusprechen:  ;,er  werde  nicht  zngeben,  dass  man  von 
ihm  sage?  ;?der  Organist  kann  mit  seiner  Orgel  gross 
thun;  schade,  dass  sie  nicht  mit  ihin  brilliren  kann". 

Aber  diesem  Roth  sowenig  als  dessen  Nachfolger  war 
eine  lange  Anitsdauer  yergonnt,  und  Friedeniann  Bach 
war  es  nicht  gelungen  eine  andere  Stelle  zu  erhalten. 

So  findet  man  nach  dem  was  voraufgegaugen  war, 
nicht  ohne  Erstaunen  folgendes  Gesuch  um  erueute  An- 
stellung  an  derselben  Kirche: 

;?Hochwohl?  Wohl  und  Hochedel  Geboren, 

Insonders  hoch  zu  Ehrende  Herren^ 

Hochgeneigte  Gronner! 

Dass  ich  mich  erkuhne  Ew.  Hochwohl-  Wohl-  und 
HochEdelGebohren  gegenwartige  Bittsehrift  mit  schuldig- 
ster  Ehrfurcht  zu  iiberreichen?  dazu  veranlasst  niich  die 
Orgauisfcen  -  Stelle  an  der  Hauptkirche  zu  U.  L.  Fratien 
aliMer?  welche  durch  den  neulich  erfolgten  Tod  des  seel. 
Herm  R|ihiemann7s  erledigt  worden  ist.  Ich  wunsche 
an  des  Verstorbenen  Stelle  gedachter  Kirche  rneiue  Dieiiste 
ZE  leisten^  uad  habe  daher  nicht  ermangeln  wollen?  ineinen 

1745  die  Urheber  dieser  Unterbr^cbgsg  der  Yor^telmngen  als  ,,geist- 
liclies  Mnekerpacku;  indem  er  biuziisetzte:  nSie  sollen  spielen, 
und  Herr  Fi^nke  oder  wie  der  Schurke  heisst7  soil  dabei 
sein."  8<&*6>&er,.>€toeh.  *r^B6^iBer  O^er.  B.  111. 


—    224    — 

darcn  diesen  Voriall  erzeugten  Wunsch,  und  auf  die  Er- 
ledigimg  dieses  Posten  gerichtete  Absicht  Ew.  Hochwohl- 
Wohl-  und  HochEdelGebohr  rait  dem  gehorsamsten  Er- 
suchcn  dahin  an  den  Tag  zu  legen,  dass  dieselben  auf 
diese  ineine  Bitte  vornehmlich  reflectiren,  und  mir  oben- 
beriihrte  Organisten-Stelie  bey  gedachter  Haupt-Kirche  zu 
ertheilen,  die  hohe  Gewogenheit  haben  mogen.  Sollte  ich 
durcli  Ew.  Hoehwohl-  Wohl-  und  HochEdelgeb.  yorziig- 
liche  Begiinstigung  meines  geziemend  angezeigten  Gesuchs 
theilhaffeig  werden;  so  werde  ich.  nicht  unterlassen,  meine 
hierdurcli  entstehende  Obliegenheit  nicSt  nur  aufs  piinkt- 
licbste  zu  erfiillen,  sondern  aueh  bey  jeder  Gelegenheit 
die  Pflichteu  meiner  Dankbarkeit  mit  den  aufrichtigsten 
Gesinnungen  an  den  Tag  legen?  und  lebenslang  in  tiefster 
Ehrfurcht  zu  verharren 

Ew.  Hochwohl-  Wohl-  und  HoehEdelgeb. 
Halle 
den  22.  Febr.  gehorsamster  Diener. 

1768.  Wilhelm  Friedemann  Bach." 

An 

Bin  WoUIobliclies  zur  Haupt-Kirche 

unserer  lieben  Frauen  alhier 

wohlverordnetes  Barchen- 

Collegium. 

Diese7  tbrigens  weder  YOB  setaear  Hand 
n0€b  von  Ubm  selbst  mitaraeichiiet©  ®Bgabe7  in 
morkwlirdigerweise  seiner  fruhe^en  ISjShrigea  Dieimteit  ^te; 
derselben  Kirche  mit  keiner  Silbe  gedacht  war,  hatte  wie 
man  sich  denken  kann  keinen  Erfolg.  Ein  anderer  Dienst 
war  fortan  fiir  ihn  nicht  inehr  zu  finden.  So  begann  er 
ein  wtist  unstates  Leben  zu  fiihren;  in  welchem  er  die 
Sictening  seines  Unterhalts  und  der  Existenz  seiner  un- 
gliicklielien  Familie  von  einem  Tage  zum  andern  suchen 
musste.  Ztin^ciist  wird  wohl  der  Grundbesitz  seiner  Frau 
haben  verlussert  warden  mussen.  Mindestens  fiadet  sich 
weiterhin  keine  Spur  mehr  davon,  dass  er  solcae 


mogensobjeete  besessen  babe.  Im  Uebrigen  lebte  er  von 
dem  jedenfalls  geringen  Ertrage  seiner  Compositio:oen7  die 
er  auch  in  der  iiussersten  Not!*  nur  dann  aufzuschreiben 
sich  entschliessen  konnte,  wenn  ihin  jede  andere  Hilfs- 
quelle  versagte.  Der  allmalige  Verkauf  des  ilim  zugefal- 
lenen  Antheils  an  dem  musikalischen  Naehlasse  seines 
Vaters;  hauptsiichlieh  aber  die  Untersfciitzung  seiner  Freunde 
aus  der  Schul-  und  Studienzeit  her  mussten  mithelfen,  ihn  zu 
erhalten.  Eine  Zeitlang  soil  er  sein  Brod  mit  der  Violine 
unter  Musikbanden  und  in  Dorfsehanken  verdient  haben? 
der  alteste  Solm  Sebastian  B  a  ch '  s ;  als  Dorffiedler ,  den 
Bauern  zurn  Tanze  aufspielend! 

Wenn  es  ihm  passte  und  er  grade  in  der  Stimmung* 
und  Lage  war,  anstandig  auftreten  zu  konnen?  gab  er 
auch  Clavier-  oder  Orgelconcerte.  Doeli  wird  die^  wohl 
nur  selten  geschelien  sein.  Tiefer  und  tiefer  sank  er  herab, 
bis  er  in  dem  Schinuz  und  Ekel  der  CTassenrinnen  gefun- 
den  wurde. 

Friiher  hatte  der  grosse  Ruf  seiner  Kiinstlernatur  hie 
und  da  noeh  einen  Lichtschiminer  in  dies  zerriittete  Da- 
sein  fallen  lassen.  Der  Landgraf  von  Hessen  hatte 
ihin  den  Titel  eines  Hessen-Dannstadtischen  Kapellmeisters 
verliehen?  und  wahrend  seines  Aufenthalts  in  Halle  hatte 
er  einen  vortheilhaften  Ruf  als  Hof- Kapellmeister  nach 
Rudolstadt  erhalten  ?  den  er  aueh  hatte  amiehmen  -wollen7 
nur  dass  er  es  nieht  fitr  nutlu'g  gehalten  hatte,  auf  das 
Ihm  dariiber  zugestellte  Schreiben  zu  antworten  1). 

Weiterhin  aber  verliert  sich  jede  Spur  davon,  dass 
ihm  irgend  ein  Antrag  fur  eine  ahnliche  Stellung  zu  Theil 
geworden  ware.  Man  hiitete  sich  eben,  mit  einem  Manne 
wie  er  war  in  Verkehr  zu  treten. 

Das  Jahr  1767  hatte  ihn  wieder  nach  Leipzig  und 
Halle  gebracht.  "Wir  haben  hieriiber?  ausser  seiner  vor- 
gedachten  Bewerbung  um  die  Organistenstelle  "  in  der 


i)  Reiehardt,  Musik,  Alm»aefe  v. 
Bitter,  Bmanuel  w*&  Frfecteraazm  Bacfc  II.  15 


noch  das  Zeugniss  eines  Schreibens,  welches 
er  am  29,  Juli  1767  von  Halle  aus  an  die  Churfurstin 
von  Saehsen  (Marie  Antonie)1)  gerichtet  und  mit  dem 
er  dieser  em  Concert  fiir  deren  Sohn  uberreicht.  Dies  in 
dem  3L  Archiv  zu  Dresden  aufbewahrte  Schreiben,  von 
ihm  nicht  einmal  nnterschrieben?  aber  mit  dem  eigen- 
handigen  Zusatze: 

??von   Ew.   Hochfurstl,   Durchl.    dem   Landgrafen   zu 
Hessen-Darmstadt  ohnlangst  Berufener  Capell-Meister" 
1st  im  Anhange  U.  mitgetheilt. 

Das  Concert  ?  um  welches  es  sich  hier  handelte^  war 
in  E-moll  gesetzt.   Es  wird  von  ihm  weiterhin  die  Rede  sein. 

Von  1771  ab  lebte  er  in  Braunschweig ;  wo  er  sich 
sswei  Jahre  spater  um  eine  7?freilich  nicht  wichtige  Orga- 
mistenstelle  bewarb?  die  er  in  seiner  Situation  zu  suchen 
Ursach  fand2)."  Es  ward  ihm  aber  ein  anderer  Bewerber 
TOrgezogen.  Dies  veranlasste  ihn,  noch  in  demselben  Jahre 
seinen  Wohnsitz  von  dort  nact  Gfottingen  zu  verlegen? 
well  er  dort  Forkel  laiidj  der7  mn  begeisterter  Anhanger 
fsassea  Ya4er®y  zngleicli  ein  genauer  Fraond  soin^ 
Emanuel  war.  Docfc  auch  hier  Melt  er  es  nicht 
lange  am,  sondern  zog  1774  nach  Berlin^  wo  er  mit  eimem 
Orgelconcert  in  der  Marienkirche  (d^s  Billet  zu  1  Btblr.) 
auftrai 

Wie  gross  noch  zu  dieser  Zeit7   in   <J< 
Iwr^k  die  Stiirme  und  Wechselfalle  des   Lebens 
feeh  Ma-  mud  hergeworfenen  Manne  die  Gewalt  des 
Imsefaeaa  Weniiis  w^?   d^r  sein  Inneres  von  Jugend  auf 


i)  Es  kann  sich  bei  der  Uetereieteg  dieses  Concerts  und  seiner 
Bsstimmmig  fiir  den  Sohn  der  Clrarf5rst!n  stir  um  den  nachmaligen 
K$fc%  Friedrich  Am^ast  L  von  Sadhsen  gehandelt  haben,  der  seit 
seiner  Jmgsmd  der  Ifusik  seiir  ergeben,  1750  gebwen,  17^3  zum  Throne 
gskigt,  tonak  17  Jahr-e  ait  war  md  1768  die  Regienwg  selb&taadfe 
antrat  D^  Chirfdrstin  selbst,  welche  u.  a.  1770  in  Berlin  bei 
Friedrieh  dem  Orossen  zum  Besache  war,  hat  verschiedene  Opera 
in  Musik  gesefet  trad  imter  den  Buehstaben  E.  I  P.  A.  dniekea  lassen. 

*)  Barney,  Msak,  Eeise.  Tk  IH  B.  259. 


—    227    — 

erfiillt  hatte;  und  dessen  Flammen  von  Zeit  zu  Zeit  Immer 
wieder  aus  der  Aschenhiille  hervorbrachen,  die  ihn  uru- 
diisterte,  zeigt  ein  Gedicht,  das  nach  diesem  Concert  er- 
schien:  ??bey  der  G-elegenheit,  als  er  sich  1774  in  Berlin 
offentlich  auf  der  Orgel  horen  liess  l)." 

?7Die  Orgel. 

An  Herrn  Wilhelm  Friedemann  Bach. 
Wer  eingeweyht,  Grefuhl  und  Ohr  zu  werden, 
0  Bach,  in  Deinen  Tonen  schwimmt: 
Sieht  unter  sich  den  Tand  der  Erden? 
Den  Ruhni7  der  sich  im  Staube  kriimnit. 

Vom  Fluge  Deiner  Tonkunst  fortgetragen, 
Eauscht  unter  ihm  der  Ocean, 
Ein  Tropfen?  —  und  den  Sonnenwagen 
Sieht  er  fur  einen  Funken  an. 

Du  spieltest  —  Wer  vermag  dein  Lob  zu  wahren? 
Stand  nicht  verklart  Dein  Vater  da?  - — 
Der  sich  (im  Auge  Salem's  Zahren) 
Ihm  ahnlicn  —  vor  der  Orgel  sah? 

0  wer  erzahlt  der  Tone  Myriaden, 
Die  Deine  Schopfung  kommen  hiess: 
Und  dann  mit  Lorbeer  iiberladen 
Zur  Ewigkeit  ersterben  liess 

Doch  schweig?  Calliope der  mein  Jahrhundert 

Staunt  den  Verdiensten  in  BerUn  —  — 
Und  Bach  wird  vom  Olymp  bewundert: 
Amelia  bewundert  ihn!" 

Solche  Worte?  wenn  auch  nicht  durchweg  verstand- 
Kch,  zeugen  Ton  dem  gewaltigen  Eindruck,  den  das  Orgel- 
spielFriedemann's  noch  dainals  hervorzurufen  vernaochte. 

Wohl  leuchtete  auch  fetzt  noch   hie  und  da  in   ihm 


i)  SehrifUicte  Na^Mrag  m  toft  in  to  £.  JBibliothek  zu  Berlin 
befindlichen  Exemplare  der  Ehrecpforte  von  Mattheson. 

15* 


—    228    — 

der  Trieb  auf,  als  Kiinstler  zu  leben  imd  zu  wirken.  Aber 
sein  Fleiss  war  nicht  gesegnet.  Niemand  mochte  Arbeiten 
von  ihm  kaufen  und  seine  weitergreifenden  Plane  waren 
nicht  praktisch. 

Schon  in  seiner  besseren  Zeit  hatte  er  ein  Werk: 
Von  dexn  harmonischen  Dreiklange,  gesehrieben. 
Marpurg  verkiindete  davon,  ??dass  es  der  Welt  unstreitig 
neue  Entdeckungen  tiber  diese  wichtige  Materie  mittheilen 
werde."  Es  warte  nur  auf  einen  annehmlichen  Veiieger? 
an  dem  es  dem  beruhmten  Autor  nicht  fehlen  werde1). 

Aber  der  Verleger  hat  sich  nicht  gefunden,  und  die 
Musik  ist  ohne  jene  wichtigen  Entdeckungen  normahnassig 
zu  ihi'em  Hohepunkt  emporgelangt. 

In  den  Jahren  1778/79  beschaftigte  er  sich  sogar  nait 
der  Composition  einer  Oper?  deren  Text:  La  us  us  und 
Lydia,  nach  Marmontel  von  Plumicke;  dem  Verfasser 
der  Theatergeschichte  von  Berlin  und  zu  jener  Zeit  Theater- 
dichter  und  Mitglied  der  dortigen  Dobbelin'schen  Ge- 
selischafty  fur  ihn  gefertigt  war,  Er  wollte  darin  besonders 
versuchen,  die  Theaterchore  der  Alten  so  viel  als  moglich 
wieder  auf  die  Biihne  zu  bringen.  Doch  blieb  die  Com- 
position ?;kranklicher  Umstande  des  durch  sein 
grosses  musikalisches  Genie  beruhmten  Compo- 
nisten  wegen"  unbeendigt2), 

W^re  dies  Werk?  voa  dem  naeh  jeBer  jodii?ga  Mit- 
Aeilcing  Am  Textverfassers  ^in  TEeil  fertig  gewese&-2n 
sein  ^eIieiBt?  und  dessto  Tendenz  dem  idealen  Kiinstler- 
geiste  Friedrlch  Wilhelm's  IV.  und  dem  grossen  Talente 
Felix  Mendelssohn-Bartholdy's  urn  50  Jahre  voraus- 
eilen  zu  wollen  schien,  zur  Ausfulirung  gebracht  worden, 
vielleicht  dass  Friedemann  Bach's  Name  dadurch  der 
Kunstgeschiclite  von  wirklicher  und  dauernder  Bedeutung 
hatte  werden  konnen.  Aber  es  ist  offenbar  bei  dem  An- 
lauf  geblieben. 

i)  Marpnrg,  Histor.  krit  Beitr.  B4  I.  S.  430ff. 
9)  Plumieke,  TbeatergescMchte  v.  Berlin.  S.  338, 


—    229    — 

In  Berlin  hat  sich  sein  Schicksal  nicht  gebessert.  Auch 
hier  schlossen  ihn  allo  jone  Elgenschaften,  die  ihu  bis  da- 
hin  in  so  ungiiicklicher  Weise  beherrscht  batten,  von  der 
Moglichkeit  besserer  Verhaltnisse  aus. 

Die  besten  Hauser  der  Stadt?  in  denen  man  seinen 
Genius  zu  schatzen  wusste,  batten  sicb  beeifert,  ibm  jede 
Aufmerksamkeit  zu  erzeigen1).  Eine  Scbiilerin  nach  der 
anderen  bot  sich  ihin  an?  und  es  hing  nur  von  ihm  ab, 
so  viele  Stunden  als  er  wollte  zu  geben?  ohne  dass  er 
seiner  Bequemlichkeit  den  geringsten  Zwang  anzuthun 
nothig  gehabt  hatte.  Man  uberliess  ihm  sogar,  das  Ho- 
norar  selbst  zu  bestimmen.  Aber  der  wundeiiiche  alte 
Mann?  durch  Erfahrung  nicht  gebessert?  von  dem  Gefiihle 
der  Kunstlerwurde  nicht  mehr  erfullt?  hielt  es  fiir  schick- 
licher?  zu  darben,  als  sich  etwas  zu  erwerbenf  Wenigstens 
glaubte  er>  besser  zu  thun,  wenn  er  von  einigen  monat- 
lichen  Beitragen  guter  Freunde  ktiinmerlich  lebte,  als  wenn 
er  sich  entschloss,  drei  oder  vier  Stunden  taglich  zu  geben? 
um  auf  eine  anstandige  Weise  leben  zu  konnen. 

Doch  ist  eine  ISchulerin  von  ihm  bekannt,  die  wie  es 
scheint  bis  in  die  letzte  Zeit  seines  LeTbens  hinein  von 
ihm  Unterricht  empfangen  hat  und  zu  einer  bedeutenden 
Klavierspielerin  ausgebildet  worden  ist.  Es  war  dies  Frau 
Sara  Levy?  geborne  Itzig,  die  Grossniutter  Felix  Men- 
delssohn-Bar tholdyjs?  aus  deren  Nachlass  noch  einige 
Friedemann  Bachjsche  Conipositionen  auf  uns  gekomnien 
sind?  die  sich  sonst  nirgends  vorfinden. 

Mitunter  arbeitete  er  Instrumental -Sachen  aus,  wie 
sich  dies  beispielsweise  aus  den  im  Anhange  abgedruckten 
Biefen  an  Fork  el  ergiebt?  iu  denen  er^  neben  dem  Ver- 
langen  nach  Gottinger  Mettwursten,  die  Bekanntniachung 
einer  von  ihm  zu  veroffentlichenden  Composition  bespricht. 
Aber  im  Ganzen  entstand  nur  wenig.  \ 


Marpurg,  Lege»len  eii%af  Mnsikfeei%%c.  1786.  S.  36. 


_   fSO 


Seine  gesaminten  Instniniental-Coinpositionen,  so  weit 
sie  der  Nachwelt  uberliefert  und  zur  Zeit  bekannt  sind, 
sind  folgende: 

1.  Orgel-Concert  fur  2  Claviere  und  Pedal,  D-moll,  gedr, 

2.  1  Sonate  fiir  2  Claviere,  concert.,  F-dur. 

3.  8  Fngen,  der  Prinzessin  Amalia  gewidmet,  gedr. 
4   2  Fugen  in  C-moll  s/4  3st.3  und  in  C-dur  %  3st 

5.  12  Polonaisen  fur  Clavier,  gedr. 

6.  1  Concert  mit  Quartett-BegL  in  A-moll  Allabr. 

Allegro. 


-»*-*-' 


-*-*-^r 


« $  ft 

bei  Herrn  Lecerf  in  Dresden. 

7,    1  desgl.  in  E-moll  4/47  der  Churfiirstin  von  Saehsen 
dedicirt: 


—    231    — 


9.    1  devSgl.  in  Es-dur  4/4.  welches  nur  bis  zum  16.  Takte 
des  zweiten  Baizes  iin  Adagio  vollendet  ist, 


i j^-*£5- 

Jr.* 4 — I y.  0  m  • 


Ef)^=H~- ^Fg 


10.    1  desgl.  in  D-dur  Allabr. 


11.    1  desgl.  in  G-moll  V*- 


12.  1  desgl.  A-dur  »/«,  Brucbstiick. 

13.  1  desgl.  fur  2  Claviere,    2  Homer,   2  Troinpeten, 

Pauken  und  Quartett; 


tr 


i 


un  $oco 


14.    1  Concert  in  F-d'ur  (in  der  Bibl.  des  K.  Joachims-' 
thalschen  Gymnasiums): 


—    232 


Mlegro  ma,  non  troppo. 


15.   1  Senate  in  C-dur  %  (abschriftl.  in  der  K.  Privat- 
Bibl.  zn  Dresden)  mit  dem  Anfange: 


Msgro, 


(i  r  r  7-* 

-2     ,4,  — 

-f- 

_     |     '     {  

•ftp    *      -     fr    L- 

j  5— 

^ 

H  ^                         = 

i  ,     ~TT=R:  

___  !  

1  ^ 



16.  1  Senate  In  B-dur  2/4  (Abachr.  in  Berlin  u.  Dresden). 

17.  1  desgL  in  C-moll  (abschriftl.  im  Besitz  dos  M 

Dir.  Lecerf  in  Dresden)  mit  dem  Anfange:" 


..  1  Sonate  in  D-dur  ebendaselbst  mit  dem  Anfange: 


—    233 


Allegretto. 


^v:B     Q  -Q- 

5^j^/k 


19.  1  Sonata  per  il  cembalo,  dedicata  a  Sua  Altezza  la 
Principessa  da  Prussia  (Berlin)  D-dur?  mit  dem 
Anfange: 

Allegretto. 


20.  1  Sonate  in  Gr-dur  Vi?  in  Berlin  in  Abschr. 

21.  1  desgl.  in  A-dur  4/47  Bait  dem  Anfange: 

Allegro. 


^T  —  *   1   ^  ^ 

i  —  n^ 

i_^  4_^  n  ,  IS  i 

1 

^4-  *.  •*»;.#,  J    ^    J  * 

^^--E 

22.  1  Sonate  in  D-dur  2/4?  gedr.  1745. 

23.  1  desgl.  in  Es-dur  4/«  gedr.  1745. 

24.  1  desgl.  in  B-dur  Allabr.  mit  dem  Anfange: 


25.  1  Sonate  in  F-dnr  */«. 

26.  1  zweite  Sonate  in  Gr-dur  */t. 

Die  EL  JBibL  zm  Berlin  besitet  ferner  ein 


27.  Concert:  per  il  Violino  del  Sign.  Vivaldi,  appropr. 

al  organo  a  2  Glav.  e  Ped.  D-raoll,  Brttchstuck. 

28.  Preludio  per-il  cembalo,  C-moIl  Andante  %• 

29.  Reveille 


30.  Imitation  de  la  chasse 


fiir  Clavier. 


An  Clavier-Fantasien: 

31.  Fantasia  in  E-moll  AlTabr.  (Orig.  in  Berlin  mit  der 
Bemerkung:  fatto  Octob.  1770)  mit  dem  An- 
fange: 


tmd  mit  angehangtem 
in  Es-dur  %; 


Pv 

)  L>     J.»   • 

™5".-.n         '"  •  'j*j 

3    *        - 

a  w;            •  *Tf 

* 

_ 

i  ^..rfJ 

2                i            * 
•*•     |     -^" 

•' 

jj  —  1 

'     J?va 

t 

-'     )      ?!.      j.^ 

^:  );^> 

33. 


C-dir 


235 


m 


J 

* 


Adagio. 


T^T 


34   Fantasia  E-moll  */«  (Berlin). 


35.    Fantasia  in  C-dur  «/«  (Berlin). 


36.   Fant.  In  D-moll 

Allegro  di  molto. 


Dresden  bei  Hrn,  Lecerf). 


^fe 


-  m  — 

37.  38.  2  kleine  Fantasien  in  B-dur  */t  und  F-dur 
ebendort. 


39.  40.  2  klebe  Faatasien  in  D-moll  «/.  und  D-dur  V 
(Berlin). 


—    237    — 

41.   Fantasie  in  C-moll  4/i  (Berlin). 


&     ?" 

ffl  ^- 

L^   F^_j 

*     f: 

~*             •  .  *   p 

r       r  j 

^ 

j^Mi                 _^  •. 

-H  i-H  — 

42.   Desgl.  in  C-moll  V4  (Berlin). 


£ 


43.   Das  Fragment  einer  Burleske  (Berlin). 


?y    *> 

t-^.?.        'ffar.... 


44,  1  Gique,  G-dur  6/8. 

45.  1  Etude  (Solfeggio)  (bei  Hrn.  Lecerf  in  Dresden). 


46.  1  Suite  G-moll?  bestehend  aus  Allemande?  Courante, 

Sarabande?  Presto  und  Bourree. 

47.  1  Trio  fur  2  Floten  und  Bass?  D-dur  4,V 

48.  49.    2  desgl.  fur  Oboe,  Fagott  und  Cont.3  C-dur  % 

und  A-dur  4/4- 
50.   Desgl.  per  Violino  e  Cembalo  obligate  ?  H-dur  % 


5**  i  ?HT    I  «fr  ASK- 

D2.  1  Allabreve   j 

53.  Ricercata  ftir  Quartett  und  Bass,  D-moll  4/4- 

54.  1  Sinfonie  fur  2  Floten  und  Qaartett,  D-moll  3/4- 

55.  Sestetto  per  due  eorni,  Clarinetto,  Violino,  Viola  e 

Basso,  Es-dur  Allabr. 

56.  1  Divertimento  per   il  Cembalo,    A  -moll  (Allegro, 

Minuetto,  Trio,  Polonaise,  Rondo,  Presto). 

Perner  aus  Emanuel  Bach's  Nachlass1): 

57.  1  Duett  fur  2  Claviere    (vielleicht   die  Sonate    in 

F-dur?). 

58.  1  Allemande  fiir  Clavier. 

59.  1  Heines  Presto  desgl. 

und  aus  Forkel's  Nachlass2)  (neben  anderen  schon 
genannten  Sachen): 

60.  1  Concert  fiir  Clavier  mit  2  Violinen  und  Cello  in 

F-dar. 

Bie  Q^esamintisahl  der  bekamMen  Instrumental-Sachen 
Priedemann  Bach's  steigt  sonach  auf  etwas  iiber  80, 
iroranter  10  Concerte,  10  Fugen,  10  Sonaten,  1  Suite  und 
1  Divertimento,  6  kleinere  Clavierstiicke,  7  grossere  und 
4  kleinere  Fantasien. 

Ausserdem    bezeidbnet   ©ine    von   CiirysaiLd^r    her- 
Mittheilimg  an  die  K.  Bibliothek  zu  Berlia  noch 

als 


welehe    sehw&rliefa    an    Sch5nlieit    inres    Grleidhe® 
feaben." 

Manches  ist  ohne  Zweifel  verloren  gegangen.  Enthalt 
der  vorstehende  Nachweis  nun  auch  bedeutend  mehr,  als 
man  bisher  von  Friedemann  als  bekannt  vorausgesetzt 
hat,  so  ist  diese  Ausbeute  eines  74jahrigen  Kiinstlerlebens 


Nachlass-Katalog  von  1790.         /    Beide  In  der  K,  Bibl.  zu 
Desgl.  von  ForkePs  Nachlass,  I       Berlin, 


~    239    — 

dtfch  immer  nur  als  gering  zu  betrachten,  -wenn  man  dabel 
erwagt,  dass  die  Zabl  seiner  Gesangs-  und  Kirclien-Com- 
positionen  gleichfalls  nicnt  erheblich  ist.  Er  starb  nur  ein 
Jahr  j linger  als  sein  Bruder  Enianuel,  9  Jahr  alter  als 
sein  grosser  Vater.  Und  in  welchem  Verhaltniss  steht, 
was  er  geschaffen?  der  Zahl  und  zum  grosses  Theil  auch 
dem  Inhalt  nach  gegen  den  Nachlass  jener.  Und  doch 
waren  diese  bis  in  ihre  letzte  Lebenszeit  hinein  durcli  ihre 
kirchlichen  Aemter,  durcli*  den  Unterricht7  den  sie  offent- 
lick  und  privatim  zu  ertheilen  hatten?  so  wie  lange  Zeit 
hindureh  durch  ihre  Direction  und  Mitwirkung  in  Con- 
certen  und  Akademien  thatig  gewesen,  wahrend  er  kaum  in 
Halle  ausreiehend  beschaftigt?  schliesslicb  20  Jahre  lang 
ohne  Amt  und  ohne  irgend  eine  zwingende  Abhaltung 
nur  der  Kunst  und  in  ihr  der  Composition  hatte  leben 
konnen. 

So  sind  die  Vorwurfe?  welche  nach  dieser  Seite  hii| 
seinen  Fleiss  betroffen  haben;  wonl  begrtindet.  Docb  daif 
man  im  Ganzen  anerkennen,  dass  seine  Thatigkeit  flir  das 
Clavier  keineswegs  eine  durchweg  verfehlte  genannt  werden 
kann.  Wenn  gleich  Manches  seinep  Clavierstiicke  ohne 
besondere  Bedeutung  ist,  so  steht  doeh  Anderes  auf  einer 
hohen  Stufe  kiinstlerischer  Vollendung  und  widerlegt  die 
irrige  Ansicnt,  dass  Friedeinann  Bacn  mit  Eigensinn 
und  starrer  Verblendung  vorzugsweise  nur  den  strengen 
Styl  der  alten  Schule  cultivirt  und  fiir  die  Ausfunrung  zu 
schwer  geschrieben  babe. 

Schon  oben  ist  iiber  Einzelnes  gesprochen  worden. 

Vieles  in  seinen  Sonaten  ist  sehr  schon.  Doch  stehen  sie 
im  Allgemeinen  denen  Emanuel  Bach's  nicht  gleich.  Ilire 
Form  ist  von  der  Form  dieser  wenig  unterschieden.  In  ihrew 
Stractur  zeigt  sich7  wie  in  Friedemann's  Kirchenstiicfc&i^ 
nicht  selten  eine  gewisse  Schwerfalligkeit.  Was  ihnen  asa^ 
meist  fehlt;  ist  der  Gesang,  der  wohlthuende  melodisoltf 
Reiz^  die  elegante  harmomsehe  Behaadlung?  die  den  " 
gang  aus  clem  alten  in  cten  moderrten  Clavierstyl 


terisirt?  tmd  fur  den  Mangel  an  eigentlich  thematischer 
Behandlung  der  Stucke  und  an  breiterer  Anlage  der  Me- 
lodien  Ersatz  bietet. 

Doeh  treffen  diese  Bemerkungen  keineswegs  alle  80- 
naten.  Die  Senate  in  A-dur  4/4  (No.  21  der  vorstehenden 
Nachweisung)  durfte  mit  ihren  elegant  en  ?  beide  Hande 
beschiftigenden  Harpeggien,  dem  einfach  schonen  Andante 
con  tenerezza?  und  dein  brillant  reizenden  Allegro  assai 
keineswegs  zu  den  unbedeutenden  Stucken  gezahlt  werden. 

Dies  gilt  auch  von  der  Sonate  in  B-dur  Allabr.  (No.  24)7 
in  der  besonders  der  letzte  Satz  mit  dein  zweimal  zwischen 
eintretenden  Andantino  von  hervortre tender  Schonheit  ist. 

Die  Sonate  in  D-dur  %  (No.  18)  zeichnet  sich  durch 
ein  sehr  ausgefiihrtes  gesangvolles  Grave  in  Gr-dur 


(  jMr  ^  4.  frf- 

-j  p 

|               PH  

Cp  nr  T  !  i.i 

r     i/ 

.    1  —  tx—^ 

?m     m 

— 

U     *   4  —  J  7  **  —  1 

—  J  f  

s^  —  ^y 

*.    -^= 

— 

voller  Imitationen  ifnd  von  wohlklingender  naelodischer 
Sehonheit  aus7  und  die  Sonate  in  Gr-dur  4/4  mit  dem  An- 
fange: 


i 


—    241    — 


welcher  ztt  einem  nielirfachen  Wechsel  iin  Tempo  und  in 
den  Motiven  fuhrt,  hat  als  Mittelsatz  ein  schones  Lainento 
In  E-moll,  dessen  edle  Melodik  sich  durch  die  herrlichsten 
Modulationen  hindurchwindet. 

Vor  alien  bemerkenswerth  1st  die  Senate  in  B-dur  No.  16: 


•Af-n     '*•'-"                 f 

>        0 

"  /  '      ' 

*    ,-  . 

•  N'i  -p>— 

f£^=^ 

~  !  -M 

-**•       H 

rj    ' 

»-  » 

; 

*  ••      * 

fy  x^  f  

iiii-  

— 

deren  erster  Satz  sich  in  fortwahrenden  Irnitationen  und 
Umkehrungen  bewegt?  ohne  dass  dadurch  die  klare  Fliissig- 
keit  desselben  beeintrachtigt  wiirde,  wahrend  das  Presto 


i       l      i  '      f" 

den  interessantesten  Clavierstticken  jener  Zeit  angehort 
und  den  besten  Schopfungen  Emanuel  Bach's  nicht 
naehsteht. 

Einige  dieser  Sonaten  gehoren  wohl  zu  jener  Samm- 
lung,  die  Friedemann  in  Dresden  herauszugeben  die 
Absicht  hatte.  Ware  ihm  dies  gelungen,  hatte  er  dadurch 
Veranlassung  bekommen  mehr  zu  schreiben?  seine  Be- 
sonderheit  und  sein  jnelodisches  und  contrapunktisches 
Talent  fur  den  Glavierstyl  freier  und  leichter  zu  eni- 
wickeln,  tmzweifelhaft  wxirde  er  der  Nachwelt  gegeniiber 
auf  e«ter  anderen  Stufe  ktinstlerischer  Bedeutung  stehen. 

Zu,  den  am  wenigsten  ansprechenden  Stiicken  dieser 
Art  von  Musik  gehort  offenbar  die  Sonate  concertante  in 
F-dur  fur  2  Glaviere.  Sie  ist  ein  miihsam  gearbeitetes 
Work,  ohne  bedeutende  Z%e?  voll  kl^ner  spielender  Ein- 
zelnheiten.  Dies  trifft  in&be^ondere  den  ©rsten  Satz  (Allegro , 


Bitter,  Bmannel  tiad 


®acli.  IL 


16 


moderate)  vom  10.  Takte  an,  and  das  Andante  (D-moll  V4), 
dem  es  an  jeder  tieferen  Empiindung;  sowieNan  der  ^rfor- 
derliehen  Breite  der  Motive  fehlt.  Der  letzte  Satz/Pff^to J%, 
ist  nicht  ohne  Feuer?  zeigt  eine  gewisse  Frische  und  KraiT 
und  ist  in  der  Arbeit  am  wenigsten  kleinlich. 

Das  Trio  in  H-dur  fur  Violine  und  obligates  Clavier, 
gteiehfalls  in  der  damals  herrschenden  Sonatenfonn  ge- 
schrieben,  steht  auf  hoherer  Stufe.  Melodischer  Reiz  und 
gefalliger  KJiang  herrschen  durchweg  vor;  die  musikalische 
Auffassnng  ist  kunstlerisch  freier.  Der  erste  und  der  dritte 
Satz  insbesondere  sind  von  fein  berechneter  Wirkung7  und 
die  eoncertirenden  Stinimen?  von  denen  freilich  das  Clavier 
nur  zweistiinmig  auftritt7  greifen  auf  eine  ungemein  har- 
monische  Weise  ineinander.  Dabei  sind  alle  3  Satze  von 
lebhaftena  und  anregendem  Character.  Ein  eigentlich  lang- 
sames  Tempo  kommt  nicht  vor,  Dessen  Stelle  vertritt  der 
erste  Safcz: 


Cemklo. 


rt 


der  eine  besonders  schnelle  Bewegung  nicht  zulasst;  wenn 
die  darin  liegenden  melodischen  Schonheiten  gehorig  her- 
vortreten  sollen. 

In  der  Behandlung  der  Violine  zeigt  sich  Friede- 
mann;  der  einfachen  Bewegung  derselben  ungeachtet? 
seinem  Bruder  Ernanuel  uberlegen. 


_    243    — 

Vollendeter  als  in  den  Sonaten  steht  er  in  seinen 
Clavier -Coneerten  vor  uns. 

Diese  sind  fast  durchweg  in  jenem  grossen  Styl  gesetzt? 
der  eine  Folge  der  vollkonirneneren  Beherrschung  des 
Stoffes?  freierer  Gredanken,  kiihner  Entwickelung  nnd  Zu- 
samnienstellung  derselben  1st.  Hier  zeigt  sich  Friede- 
mann  ernst?  tief;  bedeutend,  zugleieb  grazieus,  elegant, 
nielodisch?  glanzend;  sowohl  in  der  Technik  des  Clavier- 
spiels  ?  als  in  der  coneertirenden  Verbindung  des  Solo- 
Instruments  rait  der  Quartett  -  Begleitung.  Viele  seiner 
Clavier- Con certe  «ind  noch  jetzt  Meisterstiicke,  die  der 
Uebung  und  des  Vortrags  wiirdig  sind.  In  ihnen  ist  die 
Wirkung  nicht  in  kleine,  spielende?  oft  zm*  Steifheit  oder 
Bizarrerie  ausartende  Kiinsteleien  und  contrapunktisciie 
Schwierigkeiten  gelegt. 

Form  und  Umfang  sind  wenig  verscnieden  von  denen 
Emanuel  Bach's.  Ini  Inhalt  stehen  sie  diesen  gleicb. 
Docb  feblt  ihnen  der  dort  hie  und  da  her  vor  tret  ende 
Humor  und  der  melodische  Gesang. 

Das  Concert  in  Es-dur  fur  2  Claviere  und  Orchester7 
(No.  13)  ein  in  sauberster  Ausarbeitung  aller  Details  ge- 
schriebenes  Stiick  mit  dem  Unisono-Anfange: 


^£ 


^p 


m 


Z7rt  poco  Allegro. 


geht  nach  26  Takten  zu  dem  Haupt-Motive  iiber? 


Cembalo  I. 


£=!->  7  IL  gT^FJ 


Yitlino  1. 


das  weiterhin  von  dem  ersten  Clavier  in  der  lioheren 
Quart  wiederholt?  von  bravourmassig  gesetzten;  zwischen 
beiden  Instrumenten  wechselnden  Gangen  vielfach  unter- 
brochen,  in  reichster  Weise  thematisch  verarbeitet,  und 
oft  von  neuen  Gredanken  und  genialen  Wendungen,  die 
nicht  selten  einen  vollig  modernen  Charakter  annehmen, 
durcBflochten  ist. 


-   245 


Man  sieht,  dass  Friedemann,  als  er  den  Entsehluss 
gefasst  hatte,  das  Stuck  zu  Papier  zu  bringen?  in  der 
kiinstlerischen  Laune  war,  die  ihn  so  selten  iiberkam. 

Der  zweite  Satz  (Cantabile,  C-moIl  s/s);  Wos  ffir  zwei 
Claviere,  bekundet  bis  auf  einen  gewissen  Grad  die 
Schwache  des  Componisten.  Er  ist  sehr  einfach  in  Melodic 
nnd  Modulation;  frei  von  alien  sonst  so  oft  vorkommenden 
Absonderlichkeiten;  doci  beruht  das  Interesse,  das  er  er- 
regen  kann,  wesentlich  in  der  exacten  Ansfiihrung,  die  er 
erfordert. 

Der  Schlusssatz  (Vivace,  Es-dur  2/4)  dagegen  ist  feurig 
und  gross  in  Styl  nnd  Ausarbeitung,  von  einer  Abnmdung 
nnd  einem  Fluss?  wie  sie  fiir  die  Zeit  der  Entstebung  des 
Concerts,  selbst  wenn  diese  in  die  spateren  Lebensjahre 
Friedemann's  fiele^  bewundernswerth  sind. 

Das  Haupt-Motiv 


«* 


$£ 


—    246    — 


m 


m 


-*-# 


ist  in  einer  Weise  beai'beltet,  die  der  spateren  Entwickelung 
der  Clavier  -  Musik   vorangreift   und  sich   in  gleich   voll- 
kommener   Art  kaum   anders   als   in   Emanuel   Bach's 
besten  Fliigel-Concerten  findet. 
Stellen  wie 


¥toi.  I.  a.  2. 


welefee  4en  Toll% 

Styls  enthalten?  uberrascken  an  diesem  Orte  im 

Grade. 

Das  Gauze  ist  ein  Musikstiick  von  hochster  und 
bleibender  SchSnheit.  Mit  Bedatiern  blickt  man  auf  das 
vergeudete  Leben  eines  Kiinstlers  hin?  der  so  schreiben 
konnte  und  doci  so  wenig  so  geschrieben  hat. 

Nicht  minder  bedeutend  ist  das  jESr  den  Kurprinzen 
von  Sachsen?  1767,  geschriebene  Concert  in  E-molI  No.  7, 
durch  dessen  Inhalt  sich  jener  melancholische  Zag  hin- 
durchzieht,  der  in  den  meisten  Clavier -Arbeiten  Friede- 
js  bemerkbax  ist.  Das  Quartett  ist  mit  besonderem 


—    247    — 

Interesse  behandelt,    der  Character    des  G-anzen   elegant, 
voll  von  glanzendem  Figurenwerk,  nicht  selten  in  moderne 
Satzbildung  iibergelaend. 
Das  Adagio: 


1st  gesangvoller,  als  dies  sonst  der  Fall  zu  sein  pflegt,  der 
3.  Satz: 


Allegro  aasai. 


3 


-J. 


-#*- 


tt=FE 


S 


^ 


rLjd^L 


voll  von  Feuer,  Leben  nnd  Geist,  bei  dem  ofter  vorkom- 
menden  Ueberschlagen  der  Hande  Me  trad  da  speciellere 
Uebung  erfordernd. 

Zweifellos  den  'besten  Clavier  -  Compositionen  des 
vorigen  Janrhanderts,  den  vorgedachten  Concerten  fast 
noch  tiberlegen,  gehort  das  Concert  in  G-moll  No.  11  an, 
Wenn  man  das  seknerzlich  kla^ende,  zmgleicB  grossartige 
Motiv  des  ersten  Satzes: 


248    — 


betrachtetj  dem  im  weiteren  Verlaufe  das  folgende 


entgegentritt,  wenn  man  das  gesangreiche,  wie  vom  tiefsten 
Schmerz  durchbebte  Adagio,  und  das  darehaus  in  dem 
Character  der  klassisch-modernen  Musik  gesetzte  Vivace 


—    249 


rait  dem  reizvoll  eigenthiimllchen  Hauptthema  fiir  das  Solo- 
Instrument 


— J  — j 4-^->dT-"*  -tf^ ''?- -f — >cr" 

*    •*•  -©*•        n  -sr       -f-  -f -  -^=r- 


in  semen  vielfachen  Formen  und  harmonischen  Verbin- 
dungen  verfolgt,  wenn  man  die  breite  und  grosse  Anlage 
und  die  meisterhafte  Ausfuhrung  berucksiclitigt,  die  das 
Ganze  beherrscht,  so  wird  man  das  oben  ausgesprochene 
Urtheil  ka^m  als  irrig  bezeichnen  konBen. 

Ueber  das  Oomeert  in  A-moll  No.  8  Hesse  sieh  zi 
lick  dasselbe  sagenL  weBB  sieht  daB  Adagio 


etwas    zuriicktrate,    wahrend    der    3.    Satz?    Allegro    con 
spirito 

=£=£= 


roll  blitzender  edler  Gedanken  und  fur  Friedemann's 
Zelt  in  kiihnen  Wendungen  gesetzt  ist. 

So  Melbt  anch  hier  wiederum  nnr  zu  bedauern?  dass 
dfeer  wtmderbare  Mann?  der  fur  die  Instrumental -Musik 
oifeifoar  sehr  fruchtbar  in  der  Erfodung  War?  nidbt  fleissiger 
IB  der  Arbeit  des  Niederschreibens  gewesen  ist.  Im  Granzen. 
beknnden  alle  diese  Concerte  die  yollendete  Reife  und  die 
erfahrene  Hand  eines  gediegenen  Meisters  und  werden  daher 
in  die  Zeit  seines  vollkommenen  mannlichen  Alters,  in  die 
Zeit,  die  zwischen  seiner  Ankunft  in  Halle  bis  zur  Ueber- 
sfecfeteng  imeh  Berlin  liegt?  zu  setzen  sein. 

Von  niclit  geringem  Interesse  sind  die  Fantasien,  die 

in  verMteissmlssig  grosser  ZaW  vorkanden  sind.    Giebt 

sich  in  ihnen  auch  niclit  jene  pbantasiereiche  Gestaltung, 

jener  pracb%  schillernde  Farbenglanz,  die  bliithenreiche 

Poesie  zu  erkennen;  durch  welche  die  grosseren  Fantasien 

Em,  Bad's  so  anregend  wirken,  so  geben  doch  auch  sie 

Zeugniss   von   der  Erfindungsgabe   Friedemann?s?    von 

der  Grosse  seiner  musikalischen  Auffassung,  von  der  Grazie 

und  spielenden  Leichtigkeit,  deren  er  sich  in  der  Behand- 

lung  der  Gedanken  zu  bedienen  vermochte  und  von  seiner 

vollkommenen  Hemchaft  uber  die  Tecbnik  des  Lastrumente. 


—    251    — 

Man  betraehte  die  in  Allegro  mid  Adagio  wechselnde, 
sehr  auRgefiihrte  Fantasic  in  C-dur  (No.  33),  die  zuletzt 
in  ein  prestissimo  iibergeht,  das  iin  rapidesten  Wechsel 
von  Zierlichkeit  und  Kraft  daherbraust,  oder  die  grosse 
Fantasie  in  E-moll  (No.  34)  mit  den  in  dieselbe  einge- 
streuten  langen  und  sehr  ausdrucksvollen  Reeitativen,  oder 
die  iiberaus  geistvolle  Fantasie  in  E-moll  (No.  31),  oder 
die  in  D-moll  (No.  36),  in  der  die  bereits  weiter  oben  an- 
gegebene  Eingangs-Bewegung  mit  einem  ouverturenartigen 
Grave?  und  einem  ziemlich  ausgefuhrten  Fugensatze: 


wechselt,  uberall  wird  man  Geist,  Leben,  Originalitat  und 
Erfindung  erkennen. 

Friedemann's  bedeutendste  Arbeiten  in  dieser  Art 
sind  die  beiden  grossen  Fantasien  in  C-moll  (No.  41  u.  42), 
die  sich  abschriftlicfa  in  der  K.  iibliothek  zu  Berlin  be- 
finden. 

Die  erste  von  beiden,  die  in  h&ufigem  Wechsel  der 
Tempi  (Grave,  Adagio,  Vivace,  Andantino  und  Prestis- 
simo, Cantabile  und  Allegro  di  molto)  mit  eben  so  viel 
verschiedenen  Motiven  und  von  mehrfachen  Harpeggien 
unterbrochen?  sehr  breit  ausgearbeitet  ist,  unterscheidet  sich 
von  den  Fantasien  seines  jtingeren  Bruders  wesentlich  da- 
durch,  dass  alles  geordnet  nach  einander  eintritt,  dass  jedes 
Tempo  mit  seinem  Inhalt  das  vorhergehende  in  regel- 
massigem  Gange  abl5st?  gewissermassen  die  Reflexion  dies© 
einzelnen  Theile  ansserlich  gestaltend  zusammengeftigt  hat, 
wahrend  bei  E manual  mehr  der  innere  Drang  der  Seel©, 
die  Inspiration  des  AugemWicks  hervorzutreten  scheint. 

Die  andere  E^antasie  in  0-inolI  isfc  ahnlich  construir^, 
und  zeichnet  sich  durdh  mkr  knge  Harpeggien  aus7  derail 


_    258    _ 

mil  geriugen  Unterbreehungen,   nicht  weniger   als 
80  Takte  ausfullt 

Die  Mehrzahl  dieser  Arbeiten  diirfte  nach  der  Aehn- 
lichkeit,  die  sie  in  ihrer  Anordnung  tragen,  dem  letzten 
Jahrzehend  Friedemann's  angehoren.  Von  den  zuletzt 
genannten  2  Fantasien  in  C-moll  weiss  man  dies  mit  Be- 
stimmtlieit.  Sie  sind  in  dem  letzten  Lebensjahre,  wenn 
Bicht  in  den  letzten  Monaten  des  greisen  Mannes  ent- 
standen,  und  vermnthlicli  anfgeschrieben  worden?  nm 
bitterster  Noth  abzuhelfen.  Ihr  Ursprung  ergiebt  sich 
aus  dem  Briefe  eines  Herrn  von  Behr  aus  Schleck  vom 
2.  July  17847  dessen  Original3  an  Forkel  gerichtet,  der 
in  der  5-  Bibliothek  zu  Berlin  befindliclien  Abscbrift  an- 
gefiigt  ist.  Man  ersieht  daraus,  dass  dieser  Herr  von 
Behr  beide  Fantasien  von  Friedemann  Bach  batte  auf- 
setzen  kssen.  Er  bittet  Forkel  nm  sein  Urtbeil  und 
wfesctt  von  ikm  die  Schonheiten  derselben  entwickelt  zu 


der  freien  Phantasie^  wte  er  diese  an  der  Orgel 
am  Clavier  auszufubren   pflegte  und   dureb   die  er 
so  wunderbar  ergreifenden  Eindruck  auf  seine  Zu- 
hervorbrachte,  kdnnen  diese  schriftlicben  Ausarbei- 
tangen    naturlicher   Weise    keine    deutficbe    Vorstellung 


la  eiaar  etwas  frttertB  Zeit^  wmngleidi  a^k- 

Deeennio  seines  Lebam  ^ageterigj  sinji  die  sp&fcer 
durch  den  Brack  bekaunt  gewordeneifc  8  Fugen  enlstanden, 
welche  im  Jabrel778  derPrinzessin  Amalia  von  Preussen, 
der  Schiilez*in  Kirnberger's  und  Gonnerin  seines  Bruders 
Emanuel  mit  folgender  Dedication  iiberreicht  worden 
sind: 

?;Durcblauchtigste  Prinzessin, 
Gnadigste  Aebtissin  und  Frau! 
Die  Gnade  Ew.  Konigl.  Hoheit  gegen  mich  hat  meine 


—    253    — 

deutende  Opfer  init  dem  feurigsten  Gefiihl  der  Dartkbar- 
keit  zu  Hochstdero  Fiissen  lege,  und  in  tiefer  Ehrfurclit 
ersterbe. 

Ew.  Koniglichen  Hoheit 

Berlin,  den  24.  Februar  unterthanigster  Diener 

1778.  Wilkelm  Friedemann  Bach. 

Ob  Friedemann  Bach  zu  der  Prinzessin  in  irgend 
einem  naheren  kiinstlerischen  Verhaltniss  gestanden  habe, 
ist  nicht  bekaunt  Doch  konnte  ihr  ein  so  kenntnissreicher 
und  tiefer  Musiker  und  so  grosser  Kiinstler,  wie  er  selbst 
in  seinern  damals  68.  Lebensjahre  noch  immer  war,  nicht 
ganz  fremd  geblieben  sein. 

Hiegegen  wiirde  auch  sein  nahes  Verhaltniss  zu  Kirn- 
berg  er,  so  wie  das  besondere  Interesse  sprechen,  welches 
diese  ausgezeichnete  Fiirstin  fiir  die  altklassische  Schule 
und  die  aus  ihr  heryorgehenden  contrapunktischen  Arbeiten 
sich  bewahrt  hatte. 

In  jedem  Falle  darf  angenommen  werden,  dass  der 
stets  geldbediirftige  Friedemann  von  ihr  unterstiitzt 
worden  ist,  und  dass  der  Inhalt  der  Dedication  daher 
nicht  bios  eine  hohle  Phrase  dargestellt  haben  werde.  Die 
Fugen  selbst,  ohne  Ausnahme  Sstimmig,  konnten  der  Mehr- 
zahl  nach  als  Fughetten  bezeichnet  werden.  Es  sind  kleine 
Satze,  im  strengen  Styl  gearbeitet  Einige,  z.  B.  die  Fuge 
No.  5  in  Es-dur  und  No.  6  in  E-moll  zeichnen  sich  durch 
melodische  Anmuth  aus.  Die  Fuge  No.  8  in  F-rnoll  ist 
weiter  ausgefiihrt  als  die  anderen.  Alle  8  Stiicke  sind 
leicht  zu  spielen  und  von  durchsichtiger  Klarheit,  durefe 
welche  $ie  auch  dem  weniger  geiibten  verstandlich  un4 
einganglich  werden. 

Hit  dem  in  deinselben  Jajire  componirten  Heilig 
seines  Bruders  Emanuel  mogen  dies  wohl  die  letztea, 
Fugen  aus  der  Schule  des  alien  Bach  gewesen  sein,  dm 
zu  allgemeraerer  KenBtoiss  gel^agt  ^nd.  Schon  hatte 
der  Kkvierstjrl  VOB  der  strenge^  Polyphonic 


umd  jenes  Werk  reprasentirte  daher  schon  damals  ein  Stuck 
kistorischer  Vergangenheit. 

Uebrigens  1st  noch  eine  andere,  sehr  scheme  und  welter 
ausgefuhrte  dreistimmige  Fuge  YOU  Friedemann  Bach 
bekannt? 


tr 


welche  otne  Zweifel  als  eine  der  yollendetsten  Arbeiten 
dies^  Art  betrachtet  werden  darf  und  keineswegs  den 
Meht  spielbaren  Stucken  angehort. 

Von  relnen  Instrumental  -Oompositionen  hat  Friede- 
»amn  nur  wenig  hinterlassen?  nnd  wie  es  scheint  anA 
Bur  wenig  gesetzt.  Es  lag  eben  nicht  in  seinem  Wesen, 
m  arbeiten,  wenn  nicht  eine  dringende  Veranlassung 
iasu  Torhanden  war?  und  diese  fand  sich  far  ihnr  weim 
nicht  die  bitterste  Noth  an  ihn  herantrat,  ma  so  seltener? 
je  mehr  er  sich  yon  dem  Verkehr  mit  anderen  Menschen 
isolirte,  je  mohr  er  sich  in  sieh  selbst  zuriickzog  iind  seiner 
Nei^aig  zi^a  Trt^te  folgle. 


Oantaten  bekaant 
L   Eine  Sinfonie  in  einem  Satze  fiir 

Quartett,   (Original  in  Berlin  auf  der 
Bibliothek). 

2.  4  Duetten  und 

.    A11  ,  fiir  2  Floten.  ohne  Bass. 

1  Allabreve  7 

3.  Ricercata,    funfstimmig  ?    far   Streich  -  Quartett   und 

Bass7  und 

4.  Sextett  fur  2  Horner^  Clarinette,  Violine?  Viola  und 


—    255    — 


Es  1st  dies  freilich  nur  cine  geringe  Ausbeute  fur  ein 
so  langes  Leben,  doppelt  auffallend,  da  Friedemann  ein 
vorziiglicher  Violinspieler  war,  und  es  arts  diesem  Grande 
und  well  er  sich  in  der  Instrurnental-Musik  xiberhaupt  am 
freisten  bewegte,  natiirlich  gewesen  sein  wiirde,  wenn  er 
hierin  mehr  geschaffen  hatte. 

Doch  gereicht  es  ihm  gewisserinassen  zur  Entschul- 
digung,  dass  er  nie  in  die  Lage  gekommen  ist;  als  Orchester- 
Dirigent  zu  wirken,  und  so  zn  einer  Thatigkeit  nach  dieser 
Richtung  bin  besondere  Anregung  zu  erlialten. 

Unter  den  vorbezeichneten  Stucken  nimmt  die  zuerst 
genannte  Orchester-Sinfonie,  die  yielleicht  der  Cantate  zuni 
Geburtstag  BViedricha  des  Grrossen  als  Einleitung  ge- 
dient  hat  (Siehe  S.  181),  unzweifelhaft  den  ersten  Eang  ein. 

Sie  beginnt  mit  eineni  Adagio: 


2  Ytoitoea 

con  sordini  e 
sempre  piano. 


Ytala  e  Basso. 


das  sehr  ausgeflilirt,  von  melancbolischem  Character,  durch 
den  spateren  Hinzutritt  von  2  Floten  eine  reichere  Farbung 
erbalt  und  eine  Fiille  vou  scbmelzenden  Stimrnungen  ent- 
wickelt. 

Ihm  folgt  eine  vierstimmige  Fuge  (ohne  Floten): 


AMegro  e  forte. 


Viola. 


Basse. 


mv             i            "*i 

!        |        - 

__  

•/        J—  -4-         4—  -Wi 

•£$?•     -^  ? 

r 

^ 

TU 

nr—  ^^t1~^ 

r        i 

"~f  —  r  i*  •  — 

\  ^  tj*-«r  j- 

[_ 

7    ff  C 

welehe,  indem  sie  den  weichen  ,  Grundton,  der  In  der 
Einleitung  vorherrseht  beil>elxalt?  in  strengster  Form  und 
Durchfiihrungj  bei  grossem  Eelehthum  der  Gredanken  und 
der  harmanisclien  und  contrapunktischen  Verbindungen 
^n  Mckt^rw^rk  Hirer  Art  darstellt,  das  jedenfalls  ^wer^ 

aiieht  der  Vergessenheit  anheimzufallexL. 
Wenn  man  dem  Text  4er  ehep  ^rw^tnten;  ^)antate 
n.)  einige  Aufi^^cksaaafceit  ztiwei^t^'i^.id^r 
bange  Zweifel  uber  die  Gestaltung  der  Dinge  fur  den 
grossen  Konig  nicht  zu  verkennen  sind,  so  wurde  dies 
Stiick  als  Einleitung  sehr  wohl  an  seinem  Platze  gewesen 
sein.  Da  die  iibrige  Musik  der  Cantate  erhalten  ist,  so 
das  V^scHwinden  der  dazu  gesetzten  Sinfonie  jeden- 


zn 


, 

Die  IToten-Dne®  besiM  die  Einigl  ftKblio*k 
JBerlin   in   einer  alten  Absdbrift    Ite  Heft  fet 
7J3  Duetti  a  2  Flauti  Traversi-senza  Basso  dal  Slg  |^ 
GigL  Fried.  Bach." 

Doch  enthalt  dies  Heft  ausser  den  auf  dem  Titel  be- 
zeichneten  3  Duetten  noch  ein  AUabreve  und  ein  viertes 
Duett?  gleichfalls  fiir  2  Floten  ohne  Bass. 

Sammtliche  Stiicke  sind  von  streng  contrapunktischer 
Arbeity  und  bestehen  meist  aus  Imitationen  und  canonischen 
Verbindungen.  Das  melodies  sangbare,  das  der  FlSte  so 


257 


zusagend  ist,  tritt  nur  hie  und  da  in  den  Vordergrund 
und  kommt  kaum  in  den  langsamen  Stellen  zur  Geltung. 
Brayourmassige  Stiicke  sind  nicht  darunter.  Weni  es  in 
der  Instrumental  -  Uebung  zugleich  auf  Musik  ankommt 
der  wird  solche  Her  linden,  und  nicht  selten  daraus  auch 
besondere  Befriedigung  schopfen. 

Von  yorzuglicher  Schonheit  ist  das  Allabreve  in  H-moll, 
welches  der  dritten  Sonate  folgt,  und  sich,  bei  hochst 
merkwiirdiger  Zusammenftigung  der  beiden  Instrumente, 
in  einem  ausserst  interessanten  Wechsel  yon  Modulationen 
bewegt. 

Die  4.  Sonate  in  E-moll  diirfte,  rein  rausikalisch  be- 
trachtet,  wohl  die  bedeutendste  sein. 

Die  Ricercata  ist  yon  nicht  geringem  contrapunk- 
tischen  Interesse. 

Es  ist  dies  ein  fur  Streich-Quartett  und  Bass  gesetztes, 
aus  zwei  Theilen  bestehendes   fiinfstimmiges   Musikstiick7 
welches  rait  einer  sehr  ausgefuhrten  und  mit  der  grossesten 
Kunst  behandelten  Fuge 
YioJa. 


f  S3-™  —  —  — 

mm^-  , 

,m  _, 

mm  _J 

Violoncello. 

i  —  = 

"  f— 

-f  ;rf-1 

—  t-i-j  —  S_. 
Fundament. 

j  , 

-v 

\  -  —  ^_U  

1  —  p 

J          A— 

j  i  

_?_$«  —  HLJjs  j 

/j&fj  M  

\            'mm  1 

4*                    ^_ 

^               * 

f  rf  | 

1            I                         ^ 

_i_  p  — 

«  !  —  i  —  i  —  1 

v  i        b  —  -  —  yUf  V* 

N'    •Cf"""  $TT 

1  r.r... 

4^  —  L*—  ^ 

Bitter, 


B&eii.  II, 


17 


in  2  Motiven  zugleich  beginnt?    denen;    nach  43  Takten 
von  der  2.  Violine  begonnen,  ein  drittes  Thema  trinzutritt, 


Ybliae 


ti  —  s 


-rrlfeT 

Tj*: 


Yioliu 


FondamtnL 


M 


Jg;    ev 


S3 


fl#= 

*jj 

g  .  ,*  1  — 

• 

t^~ 

-^ 

* 

~TJ  

LJj 

^ 

: 

^—  ^~- 

~^-v, 

F* 

—  i 

5T-* 

fT" 

•~*1 

t=J 

=£=* 

Alle   Motiye   werden   in    bewundemngswtirdiger 
•  schaft  und  Klarheit  durchgefuhrt. 

Es  ist  hiebei  elne  gewisse  Aehnlichkeit  mit  dem  Konig- 
Hchen  Thema  des  musikalischen  Opfers  nicht  zu  verkennen. 

Der  2.  Satz,  un  poco  Allegro,  F-dur?  beginnt  in  drei- 
stpimigein  Contrapiinkt  mit  der  2.  Violine,  der  Bratsete 
und  dem  Bass. 


259    — 


Vteitoe. 


/Pi    2  — 

1  „ 



i  

-f  

-f- 

"sf 

-o- 

-i  

Viola. 

N    

a. 

t 

r 



fr  4'  / 
Bass. 

>~' 

-tr 

H 

-I— 

~*~*T: 

i              ^,    ^_     1 

-  —  fr  4  .  ^ 



-*— 

-J-ir^ 

^if—  '-* 

u 

—9 

II 

ci* 

i^Hr: 

-H-*  *  1  J 

fr 


^ 


Dieser  Motive  ist  bereits  bei  Gelegenheit  der  Cantate : 
Lichter  jener  schonen  Hohen"  gedacht  worden. 
Hire  Verarbeitnog  darf  als  ein  contrapunktisches  Kunst- 
werk  von  hdchster  Bedeutung  bezeickaet  werden;  in  welchem 
die  melodisehe  Anmuth,  die  bei  der  Verwendung  ftir  den 
Chor-Gresang  nicht  zur  Geltung  gebraclit  werden  konnte, 
keinesivegs  ganz  zuracktritt, 

Es  sckdJ3a$?  sib  ob  Friedemann  Bach  zu  den  innerea 
Sctwierigkeiteii  der  Aiiig&foe   rail  Afcsicht  die   aus6erem,|? 
<  '     •;  %.r  M:      n*  -    fl 


—    2BO 


Schwierigkeiten  habe  hinznfugen  wollen.  Denn  eigenthum- 
licher  Weise  1st  nicht  allein  fast  durchweg  die  zweite 
Violine  in  einer  Art  behandelt,  in  welcher  sie  als  die 
leitende  Oberstimme  erscheint,  sondern  es  ist  auch  die 
Viola  im  Tenor-Schliissel  geschrieben,  urn  im  Alt-Schliissel 
gespielt  zu  werden,  die  zweite  Violine  im  Alt-Schlussel; 
mn  im  Tenor-Schliissel  gespielt  zu  werden,  und  die  erste 
Violine  ist  im  Discant-Schlussel  gesetzt,  so  dass  die  Ueber- 
sieht  der  Partitur  fur  unsere  Zeit  eine  iiberaus  schwierige 
und  die  ausserste  Aufoaerksamkeit  erfordernde  ist. 

Muthmasslieh  ist  hiefiir  eine  specielle  Veranlassnng 
maassgcbend  gewesen.  Denn  was  der  Kunst  an  sich  mit 
solchen  Absonderliclikeiten  hatte  geniitzt  warden  konnen; 
ist  nicht  wohl  abzusehen.  Doch  zeigt  diese  Arbeit;  sowie 
die  Orchesterfuge  der  zuerst  genannten  Sinfonie  die  un- 
gefceure  technische  Combinationsgabe,  die  ausserordentliehe 
eontrapmaktiselie  LeistungsfaMgkeit  Friedema^|H^^flftS 
a^iiderem  Grade. 

Einen  Yollstandig  entgegengesetzten  Character  zeigt 
4&s  lebendig  melo^ose  Se^tetto  per  due  Corni;  Clarinetto? 
Oy  Viola  e  Violoncello,  mit  dem  Anfange: 


ma  non  troppo- 


f  '.yiy  —  ^j~  r  — 

;  «y      '    ' 

r^-o    -^ 

_-|=«=r 

LLU 

r  - 

dessen  Mittelsatz  ein  schdnes  Andante  in  Es-dur 
halt;  und  dessen  letzter  Theil 


ent- 


—    261    — 


Rondo  Alley* 


ausnahmsweise  ein  Stuck  voller  Anmuth  und  Grazie,  voll 
spielenden  Humors,  ganz  im  Haydn'schen  Style  ge- 
schrieben?  die  einzigen  Stucke  sind?  aus  denen  sich  nmth- 
massen  lassen  konnte,  dass  auch  in  Friedemann  Bach;s 
zerkltifteter  Natur  jene  bltithenreiclie  heitere  Poesie  hatte 
Wurzel  fassen  konnen,  in  der  sein  Bruder  Emanuel  und 
J.  Haydn  so  gluckliche  Erfolge  erreicht  batten.  Indess 
ist  es  eben  nur  dies  eine  Stuck,  in  welchem  diese  Eigen- 
schaften  zu  Tage  treten. 

Was  Friedemann  an  Cornpositionen  hinterlassen  hat, 
ist  an  dem  geneigten  Leser  vorubergefiihrt  worden.  An  Masse 
im  Verbaltniss  zu  dem  langen  Leben  gering,  an  Inhalt  nur 
zum  Tbeil  von  Bedeutung,  ist  der  Gesammt-Ueberblick 
nicht  befriedigend.  Die  Polonaisen,  das  Orgel-Concert,  die 
Fugen  und  die  Klavier-Concerte,  eine  Orchester-Sinfonie, 
eine  Cantate,  die  Ricercata,  das  Sextett,  und  einige  Sonaten 
und  Fantasien,  das  ist  Alles,  was  genannt  zu  -warden  ver- 
dient,  wenn  man  ron  ihm  als  Tonsetzer  sprechen  will. 

Mag  jrielm  verloren  gegangen  sein;  was  der  Nachwelt 
aufbewatrt  worden  ist,  l^sst  ein  sicheres  Urtheil  dariiber 
zu,    ob  die  Ktuast   ak   solefee   duroli  inn   weiter  gefuhrt. 
worden  sei?  >  ^ 


+-    262    — 

Dies  Urtheil  fallt  verneinend  aus.  Die  Concerte,  wie 
schon  sie  sind?  konnen  dies  nicht  andern.  Alles  Andere 
bewegt  sich  entweder  In  der  alien  Bahn  der  contrapunk- 
tischen  Schule  und  hat  daher  Neues  nicht  fordern  konnen, 
oder  es  1st  in  vollendeterer  Weise  nnd  in  systematischeni 
Zusammenhange  mit  dem  Fortschreiten  des  Jahrhunderts 
von  Emanuel  Bach  der  Welt  iiberliefert  worden1). 

Die  Elemente  des  Fortschritts,  der  Entwickelung, 
neuer  Formen,  neuer  Gestaltungen,  tiefer  Wirkungen,  die 
hie  und  da  zuni  Vorschem  gekommen  waren?  (es  mag  an 
seine  12  Polonaisen  und  an  den  zweiten  Satz  des  Orgel- 
Goncerts  erinnert  werden)  hat  er  nicht  gepflegt.  Sie  haben 
keine  Frucht  getragen.  Einer  der  edelsten  Bliithen  der 
Kunst,  dem  Gesange  war  sein  Innerstes  verschlossen.  Mcht 
rthrend?  sondern  nattirlieh  hatte  ihm  die  vox  Humana 
der  Silbermann'schen  Orgel  geklungen. 

Die  Nachrichten  uber  seine  letzten 
grade  aus,  um  ein  img^Ubiw^d'^.tRW^ 
zu  geben,   in  der  er  sft^  M^fe;"tmfli  die  er  seiner  un- 
l^lfie   bearaitete.      Die    Eticksichtslosigkeit 
ere  scieint  bis  auf  einen  hohen  Grad  von  Roh- 

gediehen  zu  sein.  Eeichardt,  sein  jungerer  Zeit- 
genosse,  der  damals  Kapellmeister  an  der  Oper  Friedrich's 
des  Grossen  war  und  daher  wohl  wissen  konnte,  wie  es 
rra*  ihn  stand,  sagt,  ??dass  er  die  Seinigen  IB 


*)  Zelter's  Urtheii  51>er  Frledemann  Bach  findet  sich  in 
seinen  naehgelasseneB  Hotizen  folgendennassen  aufgezeichnet: 

^,,Was  wir  VOD  Priedemann  kennen,  hat  bekannte  For  men  von 
bestimmten  Maassen,  als  Singstiicke,  Sinfonien,  Concerte,  Sonaten, 
Fugen,  Tanze  und  Characterstiicke.  In  diesen  Formen  bewegt  er  sich 
fein,  zierlich,  geistrelch  und  so  zu  sagen  wissenschaftlicb.  Allen 
diesen  gnten  Eigenschaften  abei  fehlt  Anmuth  und  Grazie.  Das 
fliessende  wird  nicht  stromend,  man  kann  nicht  bingenssen  werden. 
Fur  die  Singstimmen  hat  er  etwa  so  geschrieben:  Die  Basse  bis  zmn 
grossen  C  herunter  und  die  Soprane  bis  zum  dreygestr.  0  hinauf- 
findet  sich  auch  wohl  einer  oder  der  andre,  der  es  singen  kann,  so' 
wills  nicht  Jdingen,  weil's  nicht  gesungen  sein  will." 


—    263    — 

Diirftigkeit  und  Lebensangst  habe  schmachten 
lass  en,"  und  erziihlt  einen  Zug,  der  allein  hinreichend 
ist,  urn  das  Verhaltniss  zu  seiner  Familie  zu  kennzeichnen *). 
Friedemann  war  einmal  mit  seiner  Tochter  in  Potsdam 
gewesen  und  bemerkte,  als  er  die  Billets  zur  Riickfahrt 
nach  Berlin  mit  der  Journaliere  nehmen  wollte,  dass  er 
nur  grade  noch  das  Geld  fur  einen  Platz  habe.  Ohne 
Weiteres  fuhrte  er  seine  Tochter  in  den  nachsten  Kauf- 
laden,  bat  die  Leute;  zu  gestatten,  da»ss  sie  ihn  hier  fur 
einen  Augenblick  erwarten  durfe,  setzte  sich  dann  in  den 
Wagen  und  fuhr  ab.  Man  denke  sich  die  Lage  des  armen? 
in  Bezug  auf  ihren  Vater  schwerlich  verwohnten  Miidchens? 
als  sie  bei  fruchtlosem  Warten  zu  der  Ueberzeugung 
kommen  musste,  dass  dieser  sie  in  acliter  Vagabonden- 
Manier  bei  fremden  Leuten  ausgesetzt  habe,  um  ihr  zu 
iiberlassen,  auf  welche  Weise  sie  sich  wieder  zu  ihrer 
Familie  in  Berlim  zuriickfinden  konne. 

Es  scheint?  dass  der  ungliicklicbe  Kiinstler  grade  hier? 
wo  sein  Bruder  Emanuel  zu  so  holier  Bedeutung  empor- 
gewachsen  war?  und  wo  so  viele  seiner  Freunde  und  Jugend- 
genossen  in  ehrenwerther  Thatigkeit  den  Namen  seines 
Vaters  als  Symbol  dessen?  was  in  dem  Leben  der  Kunst 
gross  und  schon  genannt  werden  konnte,  heilig  hielten? 
von  Stufe  zu  Stufe  herabgesunken  sei.  Mindestens  bezeugt 
Reichardt  nicht  allein  von  ihm?  dass  er  dort  einen 
finsteren  und  harten  Charakter  gezeigt  habe  und  dass  es 
nicbt  moglich  gewesen  sei?  von  schwarzerer  und  sonder- 
Laune  zu  sein2),  sondern  er  setzt  noch  hinzu: 

7rFreunde  der  Kunst  und  des,  Baeh'schen  Namens 
mehr  als  einmal  im  eigentlichen  Verstande  vom 
Miste  genommeijj  anstandig  untergebracht  und  mit  den 
Nothwendigkeiten  des  Lebens  versor^t.  Nie  aber  gelang 
es  ihnen,  ihn  in  einem  dauernden  Zustande  von  Ordnung 


1)  MaaQt  AtoaBacIt  v.  1396. 

2)  Muslim  'Atonadt  v, 


mi  erhalteB.  Sein  Eigensinn,  sein  Hochmuth  von  der  ge- 
melnsten  Art  und  sein  grosser  Hanfg  zum  Trunke  liessen 
ihn  immer  wieder  in's  Elend  zuruckfallen." 

Welche  Frucht  hatte  nun  die  grosse  Liebe,  die  un- 
ausgesetzte  Sorgfalt  und  Vatertreue  getragen,  mit  derSeb. 
Bach  in  seinem  Erstgebornen  die  Keime  der  Kunst  gepflegt, 
in  der  er  inn  veredeln,  in  Wissenschaft  und  Bildung  auf 
die  Hohen  des  menschlichen  Geistes  hatte  emporfiihren 
wollen?  Wohl  hatte  er  ihm  in  rastloser  Arbeit,  in  fester 
Zucht  und  Ordnung  des  Hauses?  in  dem  Glucke  eines 
stillen  zufriedenen  Familienlebens?  nicht  weniger  in  der 
Furcht  Gottes?  in  der  B\omniigkeit  des  Herzens  dureh 
Wanflel  und  Beispiel  gezeigt,  wie  man  der  Kunst;  der 
Menschheitj  wie  man  seinem  G-otte  dienen  miisse.  Aber 
alle  jene  trefflichen  Eigenschaften?  die  man  an  dem  Vater 
nait  bewundernder  Ehrerbietrmg  wahrnimmt,  und  die 
Baoh's  wohltbuende  Gestalt  in  langem  arbeitsamem  J 
fer%epflau!zt  hat,  wird  man  bei 


Br  war?  wie  bereits  erwahm^  ein  merkwiirdiges  Seiten- 
zu  seinem  jirbgsten  Bruder  Christian,  der?  wie  er 

kunstlerischem  Stoffe  geformt,  mit  leichtfliissigerem 
Blute  und  heiterem  Sinne  am  Taumel  des  sinnlichen  Ge- 
nusses  zu  Grunde  glng?  wahrend  er?  freudelos,  gallicht 
imd  finster  in  Zerfahrenheit  und  Ekel  endete. 

Und  doch?  wie  tief  er  gesunken  war?  es  war  zwischen 
ihm  mud  jenem  ein  w^entlich  Dnterscheidendes  geblieben. 
Gottfried  Christian  halt©  die  Kunst,  die  ihm  Vater 
und  Binder  als  fleekenloses  Juwel  iiberliefert  hatten;  ver- 
leugtety  sie  zur  Dienerin  und  Handhabe  seiner  leichtfertigen 
Lebenstriebe  gemacht.  Friedemann  dagegen,  wiekunst-" 
lich  und  mfihsam  mitunter  seine  Arbeiten  waren,  wie 
kleinlich  und  unfruehtbar  Vieles  darin  erseheinen  mag? 
wie  sehr  er  sich  eigensinnig  und  bis  zur  Uebermudung  in 
Einzelnheiten  vertiefte,  hatte  doch  nie  den  Kunst-Prinzipien 
entsagt?  zu  denen  er  erzogen  worden  war.  War  er 


—    265    — 

Laune  und  falsehem  Verstandniss,  aus  Hartnackigkeit  und 
Eigensinn,  oder  aus  der  besonderen  Richtung  seines  Talents 
streng  auf  der  uberkommenen  Bahn  verblieben,  okne  dem 
Fortschritt  und  der  durch  die  grossen  Vorganger  ermog- 
lichten  freieren  Bewegung  in  Inhalt  und  Form  sein  Herz 
zu  offnen,  ist  seine  Kiinstlernatur  schliesslich  an  dem  Zwie- 
spalt  zu  Grunde  gegangen,  der  aus  diesem  fruchtlosen 
Kampfe  gegen  die  nothwendigen  Bedingungen  weiterer 
Entwicklung  folgen  musste,  so  war  doch  sein  Weg  selbst 
kein  unkiinstlerischer. 

Ueber  das  traurige  Lebensbild,  das  die  !Nachwelt 
von  ihm  zuriiekbehalten  hat?  gleitet  ein  Schimmer  ver- 
sohnenden  Mitleids?  wenn  man  daran  denkt,  dass  er 
mindestens  in  diesem  einen  Punkte?  wenn  auch  ohne  Be- 
rechtigung?  treu  geblieben. 

Er  war  der  letzte  Vertreter  der  alten  contrapunktischen 
Schule?  die  einst  so  weit  verbeitet  in  der  Familie  ??der 
Bache^  ihren  hochsten  Glanzpunkt  erreicht  hatte.  Und 
somit  ist  sein  Geschick  nicht  ohne  einen  Anflug  von 
Tragik J), 

i)  Die  Leipz.  Mtisik.  Allg.  Z.  (II.  S.  8^9)  enthalt  eine,  nach  vielen 
Seiten  kin  treffeDde  Charakteristik  der  drei  Bach's,  indent  sie  sagt: 
Friedemann  Emamiel  Christian 

Ist  Meister   Ira  Hell im  Grau  in  Grau    —  invielfarbigenBiumen- 

dunkel,  stock  en  nach  der  Natur, 

wollte  in  der  Arbeit  —  Kennera  und  Lieb-  —  Liebhabern  und   Yir- 
nur  sich  selbst  ge-  habern,  tnosen, 

niigen, 

stiess  von  sich.       —        interessirte,       —        wurde  beliebt, 
blieb  rob,  —      war  cultivirt,      —  warpolirt, 

darbte  —       hatte  genug,      —  bekamzumVerschwen- 

^  den, 

lebte  nnstat,          —      in  Hamburg,       —  in  London, 

fand  fast  nur  Feinde,  —      viel  Fretmde,     —  noch   mehr   GeseJIen^ 
acfetete  den  tnif tleren  —  achtete  den  alteren  —      lachte  beide  aus, 
Br^er   aor  mlssig,       hoch,  den  jiingeren 
veracitete  dm  jnsge-  massig, 

re% 

tranktmds^riQbdaB^  —    traafc  nicht  usd    —  trank  und  schrieb 
niefeL         , 


—    286    — 


der  darin  vorkornmenden,  an  ahnliehe  Arbeiten  Sebastian 
Bach's  erinnernden  Vermischung  von  Clior  und  Recitativ 
bemerkenswerth  1st.  Ein  schwungvolles  Element  waltet  in 
dieser  Arbeit  nicht  vor.  Sle  ist  im  Ganzen  In  dein  Styl 
routinlrter  Mittelinassigkeit  geschrieben.  Am  Schluss  der 
Partitur  findet  sich  die  Bemerkung:  ,,Nach  der  Ein- 
fiihrung  wird  der  erste  Chor  wiederholt." 

Wenn  man  die  Lange  der  Musik-Abtheilungen,  der 
Predigt  und  des  langen  Einfiihrungs-Ceremoniels  in  Er~ 
wagung  nimint?  so  ersieht  man  daratis,  wie  viel  der  musi- 
kalischen  Fassungskraft  der  Horer  bei  solchen  Veran- 
la^tuagen  zugeinutliet  werden  durfte. 

Die  K.BIbliotliek  zuBerlin  besitzt  noch  die  Original-Par- 
titnren  von  zwel  Prediger-Einfuhrungs-Musiken?  auf  denen 
weder  das  Jahr  der  Entstehung,  noch  der  Name  des  ein- 
gefiihrten  Predigers  verzeichnet  ist.  Die  eine  derselben? 
mii  dem  Anfang  ,,Herr  Grott7  Du  bist  unsere  Zuver- 
siebt  far  mnd  fiir^  zeictnet  sich  dureh  einen  schonen 
Text  anSj  in  Folge  desseti  die  Musik  eine  grossere  Menge 
interessanter  Ztige  bietet?  als  dies  in  den  iibrigen  Musiken 
dieser  Art  der  Fall  ist.  Sie  beginnt  mit  einem  4stimrnigen 
Chor.  (D-dur  2/4?  Trompeten,  Pauken,  Oboen?  Streich- 
Qoartett.)  Eigenthiiinlieh  fallt  in  das  hierauf  folgende 
Secoo-Recitativ  des  Alt  eine  4stimmig  gesetzte  recitativ- 
arfclge  Stelle  ein? 


S^pr. 
Alt 


Bans. 


Demi  tan  -  send 


ah  -  re       sind  VQT 


£ 


—    267    — 

Frucht  seiner  ausserordentlichen  Geschicklichkeit  zu  ge- 
niessen,  dass  es,  so  wie  in  seiner  Jugend,  so  in  seinem 
Alter  nicht  mit  ihm  fort  will.  Dass  diese  sonderbaren  und 
unbegreiflichen  Umstande  nicht  durch  ihn  allein,  sondern 
auch  von  der  ganz  eignen  Art  seiner  Kunst  bewirkt  worden, 
davon  bin  ich  iiberzeugt." 

Less  ing  sagt  an  einer  Stelle:  ,,Alles,  was*  der  Ktinstler 
tiber  den  Punkt,  wo  sich  jedes  Verdienst  in  den  Augen 
des  Volkes  zu  verwirren  und  zu  verdunkeln  anfangt,  hin- 
austreibt,  kann  ihm  weder  Gliick  noch  Ehre  erwerben." 

Was  hier  ausgesprochen  1st,  und  was  Forkel  mit 
Eecht  auf  Friedemann  Bach  angewendet  hat,  1st  in 
Wahrheit  der  Schliissel  zu  seinem  kfinstlerischen  Ungliick. 

Er  starb  am  1.  Juli  1784,  74  Jahre  alt,  an  volliger 
Entkraftung  und  in  grosser  Dtirftigkeit.  Ein  Jahr  nach 
seinem  Tode  wurde  zu  Berlin  Handel's  Messias  aufgefiihrt. 
Bach's  Wittwe  erhielt  aus  der  Einnahme  dieses  Concerts 
eine  Untersttitzung.  Dies  ist  das  Letzte,  was  man  yon  ihr 
erfahren  hat.  Was  aus  der  Tochter  geworden  ist,  weiss 
Niemand1). 

So  endeten  Friedemann  Bach  und  seine  Familie  in 
Vergessenheit. 

Er  war,  nach  einer  in  der  K.  Bibl.  zu  Berlin  befindlichen, 
in  rother  Kreide  ausgefiihrten  Zeichnurfg  zu  urtheilen,  die 
dem  beigefiigten  Portrait  zum  Grunde  gelegt  ist,  ein  schoner 
Mann,  mit  geistrollen  edlen  Ztigen,  so  recht  g^eignet,  darch 
sein  Aeusseres  empfehlend  und  anziehend  zu  wirken. 

Das  einst  so  reich  bluhende,  so  weit  verzweigte  Kiinst- 
lergeschlecht  ist  ausgestorben 2).  Bs  hat  manche  tiefe 


Anch  Sebastian  Bach's  Wittwe  tuid  Tochter  lebten  nach 
Tode  in  Burfligkeit  und  bediirften  der  Unterstutziung.    Ab«r 
wenig  konnten  aie  den  grossen  Ton^tzer  dafiir  verantwortlidi 
maeh^n! 

2}  In  der  Biographfe  J.  Beb.  Baeliss  (Th.  I.  S.  26/27)  ist  di^ 
Stammtafe!  des  Cl^elilecte  bis v  auf  die  S5fene  Sebastian's  mitge^, 
tbeilt  worden.  Zm  Terrollsl^^^mg  det  Uetorsicht  iiber 


;  manehe  dunkle  Stelle  aufeuweisen  gehabt.  Aber 
der  Lichtglanz,  der  von  ihm  ausging,  war  weit  iiberwiegend. 
Drei  hellen  Sternen  gleich  strahlen  die  Namen  Johann 
Oitristopli?  Johann  Sebastian  nnd  Carl  Philipp 
Emanuel  Bact  aus  glanzvoller  Hohe  herab.  Sie  warden 
mit  bewundernder  Ehrerbietung  genannt  werden?  so  lange 
ihre  Kunst'auf  Erden  in  TJebung  bleiben  wird. 


tfemn,  die  Bliithe  und  den  Yergang  desselben  wird  ira  Anbang  unter 
^o.  XIV  der  gesammte  Stamm  bis  auf  die  letzten  bekanut  gewordenen 
Seitenzweige  in  drei  Tafeln  mitgetheilt. 


Anhang 


zum  zweiten  Bande 


Inhalt, 


I.  Text  des  Oratoriums:  Die  Israeliten  in  der  Wiistc 
IL  Desgl.  der  Passions-Cantate. 
Ill  DesgL  der  Auferstehung  und  Himmelfahrt  Jesu, 
IV,  12  Briefe  Emanuel  Bach's  aus  den  Jahren  1774  bis  1788. 
V.  Brief  der  Wittwe  Bach  an  Fran  Sarah  Levy.  1789, 
VI.  Test  zu  Klopstock's  Morgen-Gesang  am  SchopfuLghfeste, 
VIL  8  Briefe  Kirnberger's  aus  den  Jahren  1774  bis  1783. 
VIIL  Chronologisch  geordnetes  Verzeiehniss  sammtlicher  Compo- 

sitionen  Emamiel  Bach's. 
IX.  6  Actenstiicke  fiber  Christian  Friedrich  Bach. 
X.  Brief  des  Londoner  Bach  (ohne  Datum). 
XI.  10  Actenstiicke,  Wilhelm  Friedemann  Bach  betr. 
XIL  5  Briefe  desselben  aus  den  Jahren  1749  bis  1776. 
XIIL  Text  der  Cantate  auf  den  Geburtstag  Friedrichs  des 
Grossen. 

XIV.  Stammbaum  der  Familie  Bach  (in  3  Abtheilungen> 

XV.  Facsimile  von  W.  Friedemann's  Handschrift. 


—     271     — 


Die  Israeliten  in  der  Wiiste, 


em 


Siitg-Gedif&t. 


Erster  Theil. 

No.  1.    Chor  der  Israeliten. 

Die  Zunge  klebt  am  dtirren  Gaum^ 

Wir  atbmen  kaum; 

Rlng-s  um  uus  her  ist  Grab. 

Gott,  Du  erhorst  des  Jammers  Klage  nicht; 

Du  kehrst  Dein  Antlitz  von  uns  ab. 

No.  2.     Reeitativ. 

Erste  IsraelitiB. 
Ist  dieses  Abram's  Gott? 
Der  Gott,  der  bei  slch  selbst  geschworen, 
Das  Volk,  das  er  slch  auserkoren, 
Nie  zu  vergessen,  zu  verlassen? 
Wir  schmachten,  wlr  erblassen, 
Wir  haben  keinen  Trank, 
Als  dies©  Thranen,  die  -wir  wemen. 
Der  Herr  hat  Lust  an  unserm  Untergang; 
Und  er  gedenkt  nicht  mehr  der  Beinen. 

A  r  i  e. 

Will  er,  dass  aein  Volk  verderbe? 
Sind  wir  langer  nicht  sein  Erbe? 
Schant  er  ewig  ohn'  Erbafmen 
Auf  das  Leiden,  das  nns  draekt? 
Die  Ifer  Blemais  wieder 

und  w^iat7  erblich'na  Briider, 

des  T^cto  Armen, 
Wle  mx    ihr  so 


—  '  272    — 


No.  3.   Recitativ. 

Aaron. 

Verehrt  des  Ewgen  Willen, 
Yerehret  ihn,  der  euch  auch  da  noch  Hebt, 
Wenn  auch  sein  weiser  Rath  betriibt. 
Hort  auf,  die  Luft  mlt  Klagen  zu  erfiillen, 
Wo  jede  grossres  Weh  auf  eure  Haupter  ruft, 
Hort  auf  den  Herrn;  er  wird  den  Kummer  still  en, 
Der  euch  verzehrt. 
Sein  Auge  schaut 
Mit  Segen  auf  em  Herz, 
Das  ganz  auf  ihn  vertraut, 

Ar  i  e. 

Bis  hieher  hat  er  eueh  gebracht, 

Hat  euch  beschtitzt,  hat  euch  bewacht; 

Auch  kiinftig  wird  sein  Arm  euch  leiten. 

Sein  Wort  sei  eure  Zuversicht. 

Es  mag  der  Sonne  Grlanz  erbleichen; 

Die  Erd'  aus  ihren  Banden  weichen; 

Fest  bleibt  in  allc  Ewigkeiten, 

Was  Gott  dem  Sterbliehen 


No.  4. 
Zweite  Israelitin. 

Waruni  verliessen  wir  Aegjptens  bliihend  Land; 
Den  Sitz  des  Ueberflusses, 
Und  folgten  Moses5  Bath  und  Dir? 
OI  des  verderblichen,  des  thorichten  Entschlussea  ! 
Wie  straffc  uns  spate  Keu'  dafiirl 

A  rie. 

O!  bringet  uns  zu  jen«n  l£auern? 
Von  denen  wir  entfernet  trauem; 
O!  bringt  zu  ihnen  uns  zuruckl 
Sind  wir  zu  I^eiden  denn  geboren? 
Jetzt,  da  wir  unser  Gliick  verloren, 
Erkennen  wir  erst  unser  Gltiek, 

No.  5.    Hecitativ. 

Aaron. 

Fiir  euch  fleht  Moses  stets  um  eure  Huld 
Den  Ewgen  an. 

O!  zwingt  ihn  nicht  zum  ^orn  durch  eure  Ungeduld. 
Er  naht  sich  uns. 


—    273    — 

Das  Murren  ettrer  Zungen 
1st  bis  zu  ihm  gedrungen! 

Moses. 

Welch  ein  Geschrei  tont  in  mein 
Tont  zu  dem  Thron  des  Herrn  empor, 
Und  reizet  seine  Rache? 

No.  6.     Chor. 

Du  bist  der  Ursprung  unsrer  Noth, 
Hast  nns  gefiihret  in  den  Tod. 
Gott  sehlummert  ,  und  wir  hoffen  nk-ht, 
Bass  er  zur  Iluir  erwaelie. 

No.  7.    Recitativ. 

Moses. 

Undankbar  Volk,  hast  du  die  Werke 
Veil  Wunder  schon  vergessen, 
Die  fur  dich  dein  Gott  gethan? 
Dein  Herz  emporet  sich  kiihn  wider  ihn, 
Den  Gott  der  Starke, 
Der  mitleidsvoll  zu  deinem  Sehutz  geeilt: 
Auf  dessen  Wink  die  Fluthen  sich  getheilt, 
Die  Tmbenetzt  dich  fiiehen  liessen, 
Auf  deiner  Feinde  Haupt  sieh  wieder  ziiznsehliessen: 
Du  murrest  wider  den, 
Der,  als  der  Hunger  dich  verzehrt, 
Hit  Brod  vom  Himmel  dich  genahrt. 
Sink',  sink'  In  Demtith  bin, 
Und  liebest  du  das  Leben, 
So  ehre  den,  der  dir's  gegeben. 

Glaub',  dass  sonst  nichts  dein  Unglilek  lindern  kann  : 
Gott  will  dich  prlifen,  bet"  ihn  an. 

No.  8.    Duett 

Erste  Israelitin. 
Dmsonst  sind  unsre  Zahren, 
Umsonst  sind  sie  geflossten, 
Kein  Trast  senkt  sich  herab- 

Zweite  Israelitin,. 
Er  will  tins  aieht  erhorea, 
Sein  Himmel  feleibt  verschlossen, 
Kein,  Trost  seakt  sich  herab. 


Laut 

Bitter,  Em&miel  raid  Pri^deHiaam  Bacb.  IL 

-      >' 


Dem  BchrecMiehsldi*  der 
das  Casein  gab. 


No.  9.    Aceompagnement 

Moses. 

Gott,  meiner  Yater  Gott,  was  lassest  Da  mich  sehen  ? 
Was  muss  ich  horen? 

Chor. 
Wir  yergehen! 

Moses. 

Bei  diesem  Anblick  voll  Yerderben 
Vergisst  meln  Herz,  dass  ihr  Geschrei 
Verbrechen  sei, 
Gott  wider  DIch. 

€hor. 
Wir  sterben! 

Moses. 

Allmaehtigerj  verzeih'! 
Eroffne,  Herr,  in  di^em  Augenblick 
Die  Schatae  Deiner  Huld! 


Entseteliekes  Ge^chiok! 

Moses. 

Erziirnter,  willst  Dn  strafen, 
La^i  Dem  Gericht,  Herr,  iiber  mich  ergeh*n; 
Nur  scfaone  diese  hierl 

Chor. 
Es  ist  nm  uns  geschehn! 


Ko.  10. 

Moses. 

Gott,  sieh  Dein  Volk  im  Staube  liegen! 
0  Vater  der  Erbanmmg, 
Merk  auf  mein  demuthsvolles  Flehn  ! 
Du,  der  mein  Hoffen  nicht  betrugeu, 
Meiu  Bitten  nicht  rerwerfen  kann. 
Lass  diesen  Felsen,  Gott  der  Starke, 
Die  Lindrung  nnsrer  Qual  uns  geben, 
Herr,  lass  die  Kinder  Jacob's  leben, 
Dich  zu  verehren,  za  erhohn; 
Blick,  Ew'ger,  uns  in  Gnaden  an! 


275    — 


No.  11.    Chor. 

0  Wunder!  Gott  hat  uns  erhort, 
Und  frische  Silberstrome  qulllen 
Aus  diesem  Felsen,  sie  zu  stillen, 
Die  Pein,  die  unsre  Brust  verzehrt, 


Zweiter  Theil. 

No.  12.    Recitativ. 

Moses. 

Verdient  habt  ihr  ihn,  den  Zorn  des  Herrn; 
Doeh  er  hat  euch  verziehn. 
Er  sucht,  er  liebet  euch. 
0!  wenn  fur  seine  Gute 
Nicht  enre  Bmst  von  Dankbegierde  gliihte, 
WaVt  ihr  des  Daseins  werth? 
Ihr,  die  ihr  wider  ihn  emport 

Im  bittern  Klaggeschrei  die  Weisheit  seines  Baths  geschmahet; 
Ihr,  deren  Schmerz  sein  Rath  in  Wonne  kehret, 
0  betet  den  Gott  der  Gnaden  an, 
Ihn,  der  mein  Plehn  erhoret. 

No.  13.    Wechselgesang  mit  Chor. 

Moses. 

Gott  Israels,  empfange 
In  jauchzendem  Gesange 
Der  Herzen  heissen  Dank. 

Erste  Israelitin. 
Du  Gott,  bist  mein  Vertrauen! 
Wie  nichtig  war  das  Granen, 
Das  niich  zn  zittern  zwang. 

Chor. 

Gott  Israel's,  empfange 
Der  Herzen  heissen  Dank, 

Zweite  Israelitin, 
Der  Herr  1st  mein  Vertrauen 
Er  liess  sich  gnadig  schauen 
Al§  alle  Hotonsg  sank. 

€hor. 

Gott  Israel's,  empfange 
Der  Heraen  heissen 


No.  14,    Recitativ. 

Erste  Israelitin. 

Wie  nab  war  tins  der  Tod,  und  o!  wie  wunderbar 
Errettet  uns  durch  dich  der  Ewige  von  der  Gefahr, 
I>ie  liber  unsern  Hauptem  war! 
"VYie  schlagt  in  unsrer  Brusfc  das  Herz 
You  Dankbaikeit  geriihrt,  und  von  der  Reue  Schmerz, 
Dass  wir  dem  Ew'gen  nieht  die  Zuverslcht  geweiht, 
Die  jener  Huld  gebahret, 
Hit  der  er  uns  bewacht  und  nnsre  Scnritte  fiihret. 

Arie. 

Vor  des  Mittags  heissen  Strahlen 
Senkt  ihr  Haupt  die  Bluine  nieder: 
Kiihler  Thau  bedeckt  das  Land 
Und  die  Blume  hebt  sich  wieder, 
Duftend,  und  erfieut  den 


Gott  sah  gnadig  auf  die  Qnalen, 
Die  sein  armes  Yolk  epipfand, 
Umd  aus  seimejr  Wundfernamd 
Floss  m  frosrfe  maifeem* 
Die  verlorae  Kraft  ' 


No.  15.    Accompagnement. 

Moses. 

0  Freunde,  Elinder,  inein  Gebet 
Hat  jenes  Labsal  eueh  erileht^ 
Das  eure  Kraft  verjtingt,  das  Leben  euch.  erhalt. 
Doch  einst,  vor  meinem  Bliek  seh  ieh  die  Zukunffc  aufgehellt, 
Ernst  wird  fur  Adam's  siiud'ge  Welt 
Bin  AMerer  zute  MeM^r  iefoe». 
Gott  wird  ein  gsMig  Ofar  s&f  seisie  Bitten  lenken, 
Und  die,  fur  die  er  lent,  mit  ew^ger  Womae  tr^nken: 
Die  sich  voll  Zuversicht  ihm  nahn, 
In  ein  vollkommner's  Canaan, 
O  Freunde  ,  werden  sie  auf  seinen  Spuren  gehen, 
Ich  bin  bei  euch  sein  schwaches  Bild! 
Er  wird,  wenn  nun'  der  Zeiten  Lauf  eifiillt, 
In  sterbliche  Gestalt  verhiillt, 
Die  menscbliche  Natur  erhohen. 
Dies  ist  der  Held,  des  Weibes  Saame,        * 
Der  mit  der  Schlange  k^mpft,  und  ihr  den  Kopf  zertritt 
Er  kommt  und  bringt  den  Frieden  niit7 
Und  Heil  und  Segen  ist  sein  Name. 


—    277     — 

No.  16.    Recitativ. 

Zweite  Israelitin. 

Beneidenswerth,  die  Ihren  Sohn  ihn  nennt! 
O  wie  das  Herz  in  mir  vor  frober  Regung  brennt. 
Den  Flueh,  den  Eva's  Fall  auf  ihre  Kinder  braehte, 
Ruffc  dann  des  Richters  Mund  zuruck-, 
Die  Schopfung  lachelt  dann  der  Menschen  heitrem  Blick, 
Wie  sie  in  ihrem  Friihling  lachte. 

A  r  i  e. 

0  seelig,  wenn  der  Herr  gewabret, 

Den  Heiland,  den  mein  Wunscb  begehret, 

Den  Gottlicben  zu  seben! 

Mit  Wonn?  eifiillten  Thianen-Glissen, 

Tief  bingebeugt  zu  meinen  Fiissen, 

Ihn  dankend  zu  erhobn. 

No.  17.    Recitativ  und  Cbor. 

Moses, 

Hofft  auf  den  Ewigen  und  barret  sein: 
Er  wird  der  Erde  sieb  barmberzig  zeigen: 
Er  wird  den  Himmel  neigen, 
Er  wird  der  Menscbbeit  Glanz  erneu'n. 

Cbor. 

Verheissner  Gottes,  welch er  Adam's  Scbuld 
Vertilgen  soil,  Gescbenk  der  grossten  Huld, 
Erscbeine  bald,  erscbeine,  dass  die  Erde 
Auf's  neu  ein  Sitz  dcs  Friedens  werdel 
Sie  seufzt  nacb  Dir 
Voll  Inbrunst,  so  wie  wir 
Nacb  jenen  Wassern  nns  gesebnet, 
Die  unsern  Durst  gestillt, 
Die  unser  Herz  erquickt,  und  es  mit  Freud'  erfiillt. 

No,  18.     Choral. 
Was  der  alien  Vater  Schaar 
Hocbster  Wunseh  und  Sebnen  war, 
Und  was  sie  gepropbezeit, 
1st  erfullt  nacb  Herrliebkeit. 

No.  19.    Recitativ. 

Aaron. 

O  Heil  der  Welt,  Du  bist  ersebieaen^ 
Und  neu  erscbaffen  bast  Da  sie. 
Dicb  sasgen,  als  Du  kainst,  die  Sera^binen, 
Hit  bimmliscb  boher  Melodie. 


—  m  - 

Du  predigtest  der  grossten  Woisheit  Lehren, 

Und  hiessest  Deine  Jiinger  gehn 

In  alle  Welt,  die  Volker  zu  t>ekehren, 

Und  Deinen  ^amen  zn  erhohu. 

Es  1st  gesehehen. 

Die  Wabrheit  Deiner  Lehren 

Und  Deines  Namens  Euhm  erklang 

Yom  Anfang  Ms  zum  Niedergang; 

Und  taglich  muss  Dem  Keich  sich  naehren. 

No.  20. 

Lass  Dem  Wort,  das  uns  erschallt, 
Mit  entziickender  Gewalt 
Tief  in  uns're  Herzen  dringen: 
Lass  es  gute  Friichte  bringen, 
Die  Dein  Vaterherz  erfreu'n. 
Lass  nns  Dir,  allmachtge  Giite, 
Unsre  Brust  zum  Tempel  weihu. 


—    279    — 


Das  Leiden  nnd  Sterben 

nnseres 

Heilandes 

Jesu   Christi, 

musikalisch  vorgestellt 

nach  der  Composition 

des 

Herrn  Capellmeisters  Bach. 


No.  1.    Reeitativ  mit  Accompagnement. 
Du  Gottlicher!  warum  bist  Du 
So  in  des  Todes  Schmerz  versnuken? 
Warnm  hast  Du  den  bittern  Kelch  getrunken? 
Den  Keleh  des  Zorns,  den  Gott  dem  Frevler  reicht, 
Der  kiihn  sein  Herz  zur  Siinde  neigt? 
TJnschuId'ger  Erommer,  dessen  Leben 
ISTur  Wohlthun  war,  wantm  bist  Du 
In  sein  Gericht  daMn  gegeben? 


No.  2.    Coro. 

Fiirwahr,  er  trug  unsere  Krank- 
beit,  und  Ind  auf  sich  mnsere 
Schmerzen.  Wir  aber  hielten  ibn 
fiir  den,  der  geplaget,  nnd  von 
Gott  geschlagen  nnd  gemartert 
ware.  Aber  er  1st  nm  unserer 
Missethat  willen  verwundet,  nnd 
nm  unserer  Siinden  willen  zer- 
schlagen.  Die  Strafe  liegt  anf 
ihm,  anf  das  wir  Friede  batten; 
nnd  dnrch  seine  Wnnden  sind 
wir  geheilet.  Wir  gingen  alle  in 
der  Irre,  wie  Sebafe;  ein  j 
sabe  atrf  seinen  Weg:  aber 
Heirr  warf  Baa 
ibn.  Jes.  53,  4 — ^6. 


Choral 


Meine  S@ele  erhebet  den  Herrn, 
Und  raein  G^eist  frenet  sich  Gottes, 


—    180    — 

No.  3.    Eecitativ. 
Seht  ihn!  gebeugt  liegt  er,  und  fleht, 
Und  windet  sich  im  Staube. 
Gott  horet  nicht  das  zagende  Gebet 
Urn  Labsal  seiner  Angst,  urn  Seelenruh'. 
Sein  Leiden  steigt;  init  jedem  Augenblicke 
Stromt  neue  Qual  Him  zu 
Denn  G-ott  geht  in's  Gerieht 
Mit  ihm.    Nun  iibernimmt  er  feyerlich 
Der  Siinde  Strafen 

Sehon  liegen  sie  auf  ihm;  schon  hat  ihn  Gott  verlassen. 
In  alien  Himmeln  Gottes  ist 
Nicht  Einer,  der  ihn  trosten  kann. 
Jetzt  sieht  er  mitleidsvoll  die  Jiinger  an. 
Sie  wussten  nicht,  was  ihn  fur  Leiden  trafen. 
Er  spricht: 

Arioso. 

,,Ihr  konnet  schlafenV 
,,Nein,  betet  und  seyd  waeh! 
,,Es  naht  sich  der  Versuchtmg  Stunde. 
,,Der  Geist  ist  willig,  doch  das  Fleisch  ist  schwach." 

Recitativ. 

Er  sprach's.    Nun  kam  voll  Fretrateliaft  in  dem 
Im  Herzen  voll  Verrath, 
Ischarioth. 

No,  4,    Recitativ  mit  Accompagnement. 
Ben  Menschenfrennd  willst  dn  verrathen? 
Den  Heiligen,  den  dein  Gewissen  kennt? 
Die  Rache  wacht;  sie  sieht  die  Tiicke 
In  deinein  finstern,  tiefen  Blicke: 
Sie  sieht  die  HoIIe  ganz  in  dir. 
Es  bebet  die  Natur  bey  deinen  Missethaten : 
Die  schrecklichste  wird  klein  dafiir. 
Er  kiisset  ihn,  und  zeiget 
Den  Freund  der  morderischen  Sehaar, 
Die  mit  ihm  war. 
Der  Fromme  neiget 

Den  sanflen  Blick  auf  ihn,  und  spricht: 
?JFreund,  warum  bist  du  kommen?* 

No.  5.    Aria. 
Wie  ruhig  bleibt  dein  Angesicht 

Bey  deines  Jiingers  Frevelthaten ! 

Er  kommt,  dein  Freund,  dich  zu  verrathen; 
Der  Tod  mit  ihm:  du  wankest  nicht. 


—    281     — 

Sey,  wie  er,  gelassen, 
Seele,  wanke  nicht! 

Warm  dich  Sturme  fassen, 
Sey  voll  Zuversicht. 

Wie  ruhig  bleibt  dein  Angesicbt  etc. 

No.  6.    Recitativ. 

,,Nehmt  mich;  ich  bins."  Dies  Wort  der  Allmacht  schrecket 

Die  Schaar  zurlick.    Doch  will  er  nicht  entflieben; 

Ei*  strecket 

Vielmebr  die  Hande  dar:  sie  fesseln  ibn. 

Und  nun  erwacbt 

Der  Jiinger  Muth,  ihn  zu  befreyn, 

Er  selbst  bait  sie  zuriick:  7,Steckt  eure  Scbwerter  ein! 

Der  Engel  Heere  war  en 

Zu  meiner  Rettung  da,  wollt  ich  znm  Vater  flehen: 

Docb  wiirde  dann  die  Scbrift  erflillt? 

Des  Ew'gen  Wille  muss  gescheben. 

No.  7.    Arioso. 

*Du,  dem  sicb  Engel  neigen, 

Dem  alle  Scbopfung  singt, 
Wenn  dicb,  vom  Tbron  zu  steigen, 

Die  Menscbenliebe  zwingt; 
Du  kommst,  zum  Tod  entscblossen ; 

Em  Kelch  erwartet  dich, 
Vom  Zorne  voll  gegossen: 

Du  trinkest  ihn  fiir  mieh. 

No.  8.    Becitativ. 

Mit  wildem  Ungestiim 

Fiibrt  nun  den  Duldenden  die  Schaar 

Zum  Hohenpriester  bin,  bey  dem,  ihn  zu  verdammen, 

Der  Sunder  Volk  versammlet  war. 

Der  muth'ge  Petrus  m*r  erkubnt  sich  ihm  zu  folgen, 

Die  andern  alle  fliehn. 

No.  9.   Arioso. 

O  Petrus,  folge  nicht! 
Die  Jiinger  flohen;  fliehe  mit! 
Gedanken,  wachet  auf,  und  warnet  ihn! 
O  du,  sein  Engel,  hind're  seinen  Schritt! 
UmsonstI  —  — 


No.  10.  lUeiUtiv. 
Nun  stehen  Zeugen  auf, 
Und  sprechen,  zum  Verrath  gedungen, 
Verworfne  Lasterungen 
Und  Liigen  gegen  ihn.    Voll  Majestat 
Und  gottllch  hober  Wiirde  steht 
Der  Unsehuldsvolle  da,  und  sprlcht: 
;,Ja,  ich  bin  Christus,  Gottes  Sohn; 
,,Und  einst  halt  ieh  von  meines  Vaters  Thron 
,,Auch  iiber  euch  Gericht." 
Der  tollen  Mordsncht  Stiranien  steigen 
Nun  hunmelan:  ,,Ihr  habt's  gehort! 
,,Lasst  seine  Worte  zengen: 
,,Er  lastert  Gott;  er  ist  des  Todes  werth." 

Sie  sahn  in  ihreni  Grimnie 
Die  Lahmen  nicht,  die  durch  ihn  wandelten. 
Sie  horten  nicbt  die  Stimme 
Der  Stummgebornen,  nieht  der  Blinden 
Und  nicht  der  Tauben  Ruf, 
Die  seine  Hand  zum  frohern  Leben  scbuf. 
Umsonst  erschollen  lante  P$almen 
Der  Todten,  die  er  nen  gebar; 
Er,  dessen  Tagewerk  das  Gliiek  dear  Menselm  war. 
Er  soil 
Des  Todes  der  Verbreeher  sterben! 

Wer  rettet  ihn?    Sem  Petrus  wird  es  thun: 
Und  sollt  er  aueh  erblassen. 

Er  wird  ihn  retten.  —  Aeh!  auch  Er  hat  ihn  verlassen: 
Der  kiihne  Held  verleugnet  seinen  Freund. 
Zwar  warnt  ihn  Jesus ;  doch,  veinaiessen,  glanbt  er  nicht 
Der  Warnung.    Hort!  er  spricht 

Und  jschwrt  dreimal:    ,,Den  Mensehen  kennj  ich  nicht.u 
Da  sah  mit  ernstem,  mitleidsvollem  Blicke 
Der  Mittler  Petrum  an;  im  Innersfeen  der  Seele 
Empfand  ers,  giug  zuriicke,  % 

Und  weinte  bitterlich. 

No.  11.    Aria. 

Wende  dich  zu  meinem  Schmerze, 
Gott  der  Huld!  sieh  mem  zerschlagnes  Herze; 

Nimm  es,  dir  zom  Opfer,  an! 
Ach,  ich  s&fce!  wirst  du  mich  nicht  heben, 
Giitigster,  der  schonen  und  vergeben, 

Vater,  der  nicht  ewig  ziirnen  kann! 

Wende  dich  zu  meinem  Schmerze  etc. 


—    288     — 

No.  12.    Recitativ. 
Der  Jiinger,  der  den  Heiligen  verrieth, 
Er  weinet  auch  I  —  Flehn  seines  Jammers  Tbranen 
Nicht  aueh  gen  Hinimel?    Hofft  sein  Sehnen 
Nicht  auch  auf  Gnade?  —  Nein,  nur  Angst  der  Missetbal 
Ergreift  ihn.    Ach,  er  kennet  nur  den  Racher, 
Nieht  den  Erbariner  der  Verbrecber! 
Er  eilet  In  den  Rath 

Der  Juden,  wirft  das  Geld,  das  seinen  Frevel 
Belobnen  sollte,  bin,  und  spricbt: 
nDen  ich  verratberiscb  in  eure  Hand  gegeben, 
,,Der  Mann  ist  obne  Scbuld."    Allein  man  bort  ihn  nicht. 
Noch  einmal  sieht  er  das,  was  er  gethan, 
Mit  wutbender  Yerzweiflung  an; 
Beschliesst  es,  fliebt,  und  niinmt  sieh  selbst  das  Leben. 

No.  13.    Aria. 
Verstoekte  Sunder!  solche  Werke 

Begebet  ihr,  und  fublt  es  nicbt? 
Ein  Herz  voll  Bosheit  nennt  ihr  Starke, 

Und  das  Gewissen  ein  Gedieht? 

Am  Ende  wacbt  ihr  auft  zu  spat: 
Voll  Schreeken  stiirzet  ibr  binunter 

Zum  Abgrund,  den  ibr  often  seht. 

Verstoekte  Sunder!  solche  Werke  etc. 

No.  14.    R-ecit&tiv, 

Gefesselt  steht  nun  Jesus  im  Gericbte 

Des  Homers.    Lauter  wiitbet  das  Getiimmel 

Des  Volks;  ein  wild  Geschrei  erhebet  sich  gen  Himinel, 

Und  klagt  ibn  an,  er  babe 

Das  Yolk  emport, 

Und  Konig  sich  genannt.    Er  hort 

Die  KIag?,  und  unbeweget 

Yon  dieser  Schmach, 

Denkt  er  voll  Ernst  den  Folgea 

Der  ewigen  Versohnung  nach. 

No.  15.    Aria. 

Donnre  nur  ein  Wort  der  Macht, 
Herr!  so  muss  die  Frechheit  zagen. 
Aber,  ohn^  ein  Wort  zu  sagen, 
Lasst  die  Unschuld  sich  verfclagen, 

Und  ist  nur  auf  mich  bedacht. 

nu?  eifi  Wort  dor  Macht  ete. 


—    284    — 

No.  10.    Recitativ. 
Noch  wachet  in  Pilatus  Ernst 
Ein  leicht  Gefuhl  von  Menschenliebe: 
Er  hat  nicht  Lust 

Am  Blut  der  Unschuld:  er  will  Jesum  retten, 
Und  fiihrt  den  Rauber  vor,  den  sie  schon  langst 
Dem  Tode  gem  geopfert  batten. 

nSeht!  einen  schenk  ich  euch;  wahlt  ihu!u    Sie  wahlen 
Des  Raubers  Freiheit,  und  das  Bint 
Des  fromraen  Mensehenfreundes. 
Der  Anfrubr  steigt:  da  sinkt  des  Eomers  Muth; 
Feigherzig  willigt  er,  die  Unscbuld  zu  verdammen. 

Nun  sahe  Gott  der  Mordsucbt  Flammen 
In  jedem  Aug';  er  horte  das  Gescbrey 
Dabin  gegeb'ner  Siinder. 
Sie  riefen's,  bebten,  riefen's  nocb  einmal: 
j,Sein  Blut  komm^  iiber  uns?  und  liber  uns're  Kinder!" 

Noch  immer  tobt  das  Volk;  es  scbaumt  vor  Wuth. 
Schon  fliesst  der  frommen  Unscbuld  Blut 
Zerfleiscbet  steht  er  da: 
0  Schmerz!  —  sein  Leib  ist  Eine  Wunde; 

Und  docn (Welch1  Beyspiel  der  Geduld!) 

Es  geht  kein  Wort  aus  seinem  Munde. 

No.  17.    Duetto. 

Erste  Stimme. 
Muster  der  G&duld  und  Liebe, 
Mocbten  wir  dir  abnlicb  seyn! 

Zweite  Stimme. 
Floss'  uns  sanfte,  sanffce  Triebe 
Deines  giiten  Geistes  ein! 

Beide. 
Lass  sie  unsern  Geist  beleben! 

Erste  Stimme. 
Deine  Langmuth  und  Geduld 
Schont  den  Sunder. 

Zweite  Stimme. 
Du  vergietest  gern  die  Sehuld 
Deiner  Kinder, 

Beide. 
Lass  uns  aucb  vergeben. 

No.  18.    Recitativ. 
Die  ifar  durcb  des  Messias  Glauben 
Durch  den  VOD  Gott  verheissnen  Tod, 


—    285    — 

Habt  Heil  und  Seelenruh  gefunden, 
Fallt  nieder,  betet  an,  und  seht: 
Das  Lamm  voll  Unschuld  geht 
Zum  Opferaltar  MD! 

No.  19.    Coro. 
Lasset  uns  aufsehen  auf  Jesurn  Christum,  den  Anfanger  und  Vollender 

des  Glaubens. 
Weleher  uns're  Siinden  selbst  geopfert  hat  an  selnem  Lei  be  auf  dem 

Holz, 
Auf  dass  wir,  der  Siinde  abgestorben,  der  Gerechtigkeit  leben:  durch 

dessen  Wunden  wir  sind  hell  worden. 

No.  20.    Recitativ. 
0  du,  der  Gott  mit  uns  versohnt, 
Wie  wurdest  du  verbohnt 
Yon  Henkern,  die  dich  wild  umgaben! 
Wie  hat  der  Dornenkronc  Schmerz 
Bein  blutend  Haupt  duichgrabcn! 
Ennattet  gehest  du 
Den  bangen  Weg  zum  TodeshiigeL 
Da  steht's!   Du  schwebst  empor 
Am  Kreujce.    Welch'  ein  Anblick  voller  Grauen! 
Gott,  Mittler!  nun  ergreift  dich  auf  einmal 
Der  Siinde  Fluch- 
Und  alle  Qualen  jeder  Missethat, 
Die  Gottes  Zorn  entziindet  hat, 
Durch  be  ben  deine  Seele. 

Du  zitterst,  zagest,  hangst  von  Gott,  von  Gott  verlas^en, 
Und  flehst!   Doch  Gott  ist  im  Gericht 
Mit  clir,  und  hort  dein  Flehen  nicht. 

Arioso. 

Von  Gott  verlassen  klagst  du  dichV 
Geliebter  Sohn!  kann  dich  dein  Vater  lassen'? 
Nein,  mich,  mich  muss  sem  heiPges  Auge  hassen; 
Von  Siindern  wendet  Gott  sein  Angesicht: 
Dich  lasst  er  nicht 

Dich  stiirzet  meine  Sdiuld  in  tiefe  Mitternacht: 
Du  siehst  den  Vater  nicht,  der  mn  dich  wacht. 
Doch!  —  bald  ist  es  vollbracht  — 
Dann  glanzt  in  deinem  Reiche 
Ein  neuer  Tag  und  Wahrheit,  Recht  und  Licht 

No.  21.    Aria, 

:      Der  Henschen  Missethat  verbirget 
Dir  dein^s  Vaters  Augesicht: 

Doeh  zittert,  die  ihr  im  erwirget! 
Er  kommt  wahrfea^ig  zom  Gerk&t 


No.  22.    Ooro. 

Dann  strahlet  Lleht  und  Majestat 
Vom  Throne,  der  auf  Wolken  steht; 
Sein  Auge  flammt:  die  Frecfaen  beben. 

Solo. 
Wie  froh  wird  mir  der  AnbKek  seyn! 

Er  wird  mir  seine  Reehte  geben 
Und  sagen:  Du  bist  mem. 

No.  23.  Recitativ. 

Nun  sammlet  sich  die  grauenvolle  Maeht 
Des  bangsten  Todes,  und  ergreift 
Unaufgebalten  seine  Seele. 

No.  24.    Choral. 

Heiliger  Schopfer,  Gott! 
Heiliger  Mittler,  Gott! 
Heiliger,  barmherziger  Troster! 
Du  ewiger  Gott! 
Urn  dieses  Todes  will  en 
Hilf  uns  in  der  letzten  Noth; 
Erbarm  dich  unsert 

No.  25.    Eeeitativ, 
Er  ruft:  Es  1st  vollbracht! 
Und  stirbL- 

(Die  Instruraente  maehen  eine  Trauermiisik.) 

No.  26.    Arioso. 

Mein  tiefgebeugtes  Herz  wirft  sicli 
Auf  Golgatha,  sem  Blut  ganz  aufoufassen. 

O,  moclit'  ich  Mer  bei  seinem  Kreuz  erblassen ! 
Er  starb  fiir  niich. 

No.  27*    Eecitativ  mit  Aecompagnemenf. 

Die  Allmacht  feyrt  den  Tod.  — 

Die  Sonne  scheut  den  Blick, 

Und  nullt  ifar  Angesicht  in  tiefe  Naeht,  — 

Die  &rde  bebt  znrSck! 

Ihr  Eingeweide"  zittert 

Der  Felsen  tiefe  Wurzel  wird  ersehuttert: 

Die  steile  Hohe  kracht, 

Und  stiirzt  herab.  — 

Dort  hebet  isich  eia  €rrab, 


—     287     — 

Und  stosset  seinen  Banb  ans  Lrieht.  — 

Der  Homer  staunt,  sieht  die  Nator  emport; 

Er  betet  an,  nnd  schwort: 

7,Fiirwahr,  der  Sterbende  ist  Gottes  Sohn  gevresen  !c 

No.  28,     Schlnss-Choral. 

Preiset  ihn,  erlo&te  Sunder! 

Lrobsingt,  lobslngt  dem  tleber winder  1 
Gebt  Gott,  dem  Retter,  Ruhm  nnd  Maeht! 
Er  hat  selm  grosstes  Werk  vollbracht! 

Solo. 

Tra^ert,  Tvehiaauths-rolle  LiederS 
Der  Sohn  des  Ew'gen  karm  hernieder, 
Und  starbj  cln  Finch  fur  nns  gemaeht. 

Coro. 

Preiset  ihn,  erloste  Sunder! 

Lobslngt,  lobsingt  dem  Ueberwinder! 
Gebt  Gott,  dem  Vater,  Ruhm  und  Macht! 
Er  hat  sein  gross tes  Werk  vollbracht! 

Duetto. 

Betet  an!  dahin  gegeben 
Zum  Tode,  hat  er  nns  das  Leben 
Und  ew'ge  Wonne  ^wiederbraoht! 

Coro. 

Preiset  ihn,  erloste  Sunder! 

Lobsingt,  lobsingt  dem  Ueberwinder! 
Gebt  Gott,  dem  Better,  JBtuhm  nnd  Macht! 
Er  hat  sein  grosstes  Werk  vollbracht! 

Solo. 

Singet  Dank!  des  Todes  Banden 
Hat  er  zerrissen,  ist  erstanden; 
Ihn  halt  nicht  mehr  des  Grabes  Macht! 

Coro. 

Preiset  ihn,  erloste  Sunder! 

LfObsingt,  lobsingt  dem  Ueberwinder! 
Ge&t  Gott,  dean  Better,  Buhm  und  Maeht! 
Er  hat  sein  grosstes  Werk  voll  brack t! 


—    288 


Carl  Wilhelm  Ramler's 

Auferstehung  und  Himmelfahrt  Jesu, 

in  Musik  gesetzt 
von 

Carl  Philipp  Emanuel  Bach. 

Erster  Theil. 

No.  1.    Instrumental-Einleitung. 

No.  2.    Chor. 

Grott,  du  wirst  meine  Seele  nicht  IB  der  HSlle  lassen,  and  nicht 
ztigeben,  dass  dein  Heiliger  die  Verwesung  sehe. 


No.  &    Ree, 
Judaa  zittert,  seine  Berge  befoen, 
Ber  Jordan  flient  den  Strand. 
Was  zitterst  du,  Judaas  Land? 
Ihr  Berge,  warmn  bebt  ihr  so? 
Was  war  dir,  Jordan,  dass  dein  Strom  zunicke  fioh? 
Der  Herr  der  Erde  steigt  empor  aus  ihrem  Schooss, 
Tritt  anf  den  Fels  und  zeigt  der  staunenden  Natur  sein  Leben. 
Des  Hiramels  Myriaden  liegen  auf  der  Lnft 
Rings  urn  ihn  her,  und  Cheiub  Michael  fahrt  nieder, 
Und  rollt  des  vorgeworfnen  Steines  Last 
Hinweg  von  seines  Konigs  Grruft 
Seiu  Antlitz  flanimt,  sein  Auge  gliihet, 
Die  Bchaar  der  Romer  sttirzt  erblasst  auf  ilire  Schilde. 
Flieht,  ihr  Briider! 
Der  aotter  Rache  trifffc  uns!    Fliehet,  flieht. 

No.  4.    Aria, 

Mein  Creist,  Toll  Furebt  nnd  Freuden  bebet, 
Der  Fels  zerspringt,  die  Naeht  wird  Kcktef 
Seht,  wie  er  anf  den  Luften  scbwebet, 
Seht  wie  von  seinem  Angesichte 
Die  Grlorie  der  Gottheit  straMt 


—    289    — 

Rang  Jesus  nicht  mit  tausend  Schmerzen? 
Empfing  sein  Gott  nicht  seine  Seele? 
Floss  nicht  sein  Blut  aus  seinem  Herzen? 
Hat  nicht  der  Held  in  dieser  Hohle 
Der  Erde  seme  Schuld  bezahlt? 

No.  5.     Chor. 

Triumph,  des  Herrn  Gesalbter  sieget, 
Er  steigt  aus  seiner  Felsengruft. 
Triumph,  ein  Chor  von  Engeln  flieget 
Mit  lautem  Jubel  durch  die  Luft. 

No.  6.    Recitativ. 
Die  fiommen  Tochter  Sions  gehen 
Nieht  ohne  Staunen  durch  des  offnen  Grabes  Thiir. 
Mit  Schaudern  fahren  sie  zuriick: 
Sie  sehn  in  Glanz  gehiillt  den  Boten  des  Ewigen, 
Der  freundlich  spricht:  Entsetzt  euch  nicht. 
Ich  weiss,  ihr  suchet  um  den  Todten, 
Den  Nazarener  Jesus  hier, 
Dass  ihr  ihn  salbt,  dass  ihr  ihn  klagt. 
Hier  ist  er  nicht    Die  Statte  sehet  ihr, 
Die  Grabetiicher  sind  vorhanden, 
Ihn  aber  suchet  bei  den  Todten  nicht. 
Es  ist  erfullt,  was  er  zuvor  gesagt. 
Er  ]ftbt!    Er  lebt!    Er  ist  erstanden! 

No.  7.    Arie. 

Wie  lang  hat  dich  mein  Lied  beweint; 
Aeh  unser  Trost,  der  Menschenfreund 
Sieht  keinen  Troster,  steht  verlassen. 
Der  blutet,  der  sein  Volk  geheilt, 
Der  Todte  weckte,  ach,  muss  erblassen. 
So  hat  mein  langes  Lied  geweint. 
Heil  mir.f    Du  stiegst  vom  Grab  herauf. 
Mein  Herz  zerfliesst  in  Freudenzahren. 
In  Wonne  lost  mein  Gram  sich  auf. 

ISfo.  8.    Recitativ. 
Wer  ist  die  Simonitin,  die  vom  Grabe 
So  sehiichtern  in  den  Garten  flieht  und  weinet? 
Nicht  lange.  —  Jesus  selbst  erscheinet, 
Doch  unerkannt,  und  spricht  ihr  zu: 
O  Tochter,  warum  weinest  Du?  — 
Herrr  sa^e,  nahmst  Du  meinen  Herrn 
Aus  diesem  Grafoef    Wo  liegt  er  ?    Aeb 
Dass  Ich  ihn  feole,  dass  icfe  Ito  wi  Ttiraneu 

JDE, 


Bass  icli  ifea  mit  ,dfese$L  SaB>em  aooh  im  Tode  mlben  konne, 

Wie  ieh  im  Leben  ihn  gesalbt. 

Maria!  —  so  ruft  mit  holder  Stimm'  ihr  Freund, 

In  seiner  eigenen  Glestalt.  —  Maria!  — 

Mein  Meister,  aeh!  —  Sie  fallt  zu  seinen  Fiissen  nieder, 

Umarmt  ihn,  kiisst  ihn,  weint.  — 

Du  sollst  mich  wiedersehen. 

Noch  werd'  ich  nioht  zu  meinem  Vater  gehen. 

Steb;  auf,  nnd  suche  meine  Briider, 

TJnd  meinen  Simon.    Sag',  ich  will  sie  sehen! 

No.  9.    Duett 
Erste  Stimme. 
Vater  deiner  schwachen  Kinder, 
Der  GefalPne,  der  Betrubte 
Hort  von  dir  den  ersten  Trost 

Zweite  Stimme. 
Troster  der  gerlihrten  Siinder, 
Die  dieh  suchte,  die  dieh  liebte, 
Fand  ttei  dir  den  ersten  Trost. 

Beide. 

Troster,  Vater,  Mens<^xenfreund, 
O  wie  wird  dur^i  jede  Zahre 
Dein  erbarmend  9^rz  erwejucht. 
Sagt,  ,wer  unserm  Gatte  gleieht, 
Der  die  Missethat  vergiebet, 
Liebe,  die  du  selbst  geweint. 

No.  10.    Becitativ, 

Freandinnen  Jesn,  sa^t,  woher  so  oft 

In  diesem  Garten?    Habt  ihr  nicht  gehort, 

Er  lebe?    Ihr  zartlichen  Betriibten  hofit, 

Den  Gottlichen  zu  sehn,  den  Magdalena  sah. 

Ihr  seid  erhort.    Urplotaliph  fst  er  da, 

Und  Aloee  und  Myrrhen  doftet  sein  Gewand, 

Ich  bin  es!    Seid  gegriiss£!   —  §ie  fallen  zitternd  nieder, 

Sein  Arm  erhebt  sie  wieder; 

Geht  bin  in  unser  Vaterland, 

Und  sagt  den  Jungern  an,  ieh.  lebe, 

Und  fahre  bald  Jbp  nanf  in  n^ei^es  Vatei*s  Reich. 

Doch  will  ieh  alle  sehn,  bevor  ich  mich  fur  each 

Zu  meinem  Gott  und  eurf^a  Qott  gen  HimmeJ 


No-  11. 

Ieh  folge  Dir,  verklarter  Held, 
Dir,  Erstling  der  entschlafeen  Frommen, 


—    291     — 

Triumph!    Der  Tod  1st  weggenommen, 
Der  auf  der  Welt  der  Geister  lag. 
Das  Fleisch,  das  in  den  Staub  zerfallt, 
Wachst  frohlfch  aus  dem  Staube  wieder. 
O  ruht  in  Hoffnung,  meine  Glieder, 
Bis  an  den  grossen  Erndtetag, 

No.  12.    Chor. 
Tod,  wo  1st  dein  Staehel? 
HoJle,  dein  Sieg,  wo  ist  er? 
Unser  ist  der  Sieg,  Dank  sei  GottI 
Und  Jesus  ist  Sieger! 


Zweiter  Theil. 

No.  13.    Heeitativ. 

Dort  seh'  ieh  aus  den  Thoren  Jemsalems 

Zwei  Schiller  Jesu  gehn,  in  Zweifeln  ganz, 

Und  ganz  in  Traurigkelt  Yerloren, 

Gehn  sie  durch  Wald  nnd  Feld,  -and  kla^en  ihren  Herrn. 

Der  Herr  gesellt  sich  zu  den  Trauernden, 

Umnebelt  ihr  Gesicht,  hort  ihre  Zweifel  an, 

Giebt  ihnen  Unterricht. 

,,Der  Held  ans  Juda,  dem  die  Volker  dienen  sollen, 

Muss  erst  den  Spott  der  Heiden 

Und  seines  Volks  Terachtung  leiden. 

Der  machtige  Prophet  von  Worten  und  von  Thaten 
Muss,  durch  den  Freund,  der  mit  ihm  ass,  verrathen, 

Verworfen  dureh  den  andern  Freund, 
Verlassen  in  der  Noth  von  Allen, 
Den  bosen  Rotten  in  die  H&nde  fellen. 
Es  treten  Frevler  auf  und  zeugen  wider  ihn; 
So  spricht  der  Mund  der  Vater: 
Der  Konig  Israels  verbirgt  sein  Angesleht 
Vor  Schmach  und  Speiehel  nicht, 
Er  halt  die  Wange  ihren  Streichen, 
Den  Biicken  ihren  Schlagen  dar. 

Zur  Schlachtbank  hingefiihrt,  thut  er  den  Htrod  nieht  auf, 
Grerechnet  unter  Missethater, 
Fleht  er  fur  sie  zu  Gott  hinauf. 

Durchgraben  hat  man  ihn,  an  Hand  und  Fuss  durehgrabeu. 
Mit  Essig  tr^okt  man  ihn  in  seijaem  grossen  Durst, 
Gali© 


-    292    — 

Sie  sehiitteln  ihren  Kopf  um  ihn. 

Er  wird  auf  kurze  Zeit  von  Gott  verlassen  sein. 

Die  Volker  warden  sehn,  wen  sie  durchstochen  haben. 

Man  theilet  sein  Gewand,  wirft  um  sein  Kleid  das  Loos, 

Er  wird  begraben,  wie  die  Eeichen, 

Und  unversehrt  am  Fleisch  zieht  Gott  ihn  aus  dem  Schooss 

Der  Erd'  hervor  und  stellt  ihn  anf  den  Fels.    Er  gehet 

In  seine  Herrlichkeit  zu  seineni  Vater  ein. 

Sein  Eeich  wird  ewig  sein, 

Sein  Name  bleibt,  so  lange  Mond  und  Sonne  stehet." 

Die  Rede  heilt  der  Freunde  Schmerz. 

Mit  Liebe  wird  ihr  Herz  zu  diesem  Gast  entziindet. 

Sie  lagern  sich.    Er  bricht  das  Brod, 

Und  saget  Dank.    Die  Jiinger  kennen  seinen  Dank, 

Der  Nebel  fallt,  sie  sehn  ihn,  er  verschwindet. 

No.  14.    Arie. 

Willkommen,  Heiland!    Freut  eucfa,  Vater! 
Die  Hoffnung  Zions  ist  erfullt. 
0  dankt,  ihr  ungebornen  Kinder, 
Gott  nimmt  fiir  eine  Welt,  voll  Sunder 
Sein  grosses  Opfer  an. 
Der  Heilige  stirbt  fur  Verrather. 
So  wird  des  Richters  Sprueh  erfullt. 
Er  tritt  das  Hanpt  der  H6He  nieder. 
Er  beuget  die  Eebellen  wieder, 
Der  Himmel  nimmfc  uns  an. 

No.  15,    Chor. 

Triumph,  der  Fiirst  des  Lebens  sieget, 
Gefesselt  fiihrt  er  Ho'lP  und  Tod. 
Triumph,  die  Siegesfabne  flieget. 
Sein  Kleid  ist  noch  vom  Blute  roth, 

No.  16.    Kecitativ. 

Eilf  auserwahlte  Jiinger  bei  verschlossnen  Thiiren, 
Die  Wath  der  Feinde  scheuend,  freuen  sich, 
Dass  Jesus  wieder  lebt,   Ihr  glaubt  es,  aber  mich, 
Erwidert  Thomas,  mich  soil  kein  falsch  Gesicht 
Verflihren.    Ist  er  den  Galilaerinnen  nieht, 
Auch  diesem  Simon  nicht  erschjenen? 
Sah  ihn  nicht  Kleophas  and  sein  Gefahrte  dort 
Bei  Emaus?    Ja,  hier,  mein  Freund,  hier  an  diesem  Ort 
Sahn  wir  ihn  alle  selbsi    Es  waren  seine  Mienen. 
Die  Worte  waren  seinen  Worten  gleich. 
Er  ass  mit  iras!  —  Betrogen  hat  man  euch! 
Jhr  selbst,  aus  Sehnsucht,  habt  euch  gern  betrogenf 


—    293    — 

Lasst  mich  ihn  sehn,  mit  alien  Nagelmahlen  sehn, 

Dann  glaub'  auch  ich,  es  sei  mem  heisser  Wunsch  gescheha. 

Und  nun  zerfliesst  die  Wolke,  die  den  Herrn  umzogen, 

Der  mitten  unter  ihnen  steht  tmd  spricht: 

Der  Frieden  Gottes  sei  mit  Eueh!    Und  du, 

Schwaehglaubiger,  komm,  siehe,  zweifle  ntcht!  — 

Mem  Herr,  mein  Gott,  ich  seh*,  ich  glaub',  ich  schweige.  — 

So  geh'  in  alle  Welt  und  sei  mein  Zeugel 

No.  17.    Arie. 

Mein  Herr,  mein  Gott,  dein  ist  das  Reich, 
Die  Macht  ist  dein. 

So  wahr  dein  Fuss  dies  Land  betreten, 
Wirst  du  der  Erde  Schutzgott  sein, 
Jehovahs  Sohn  wird  uns  vertreten. 
Versohnte,  kommt,  ihn  anzubeten, 
Erloste,  sagt  ihm  Dank. 
Zu  dir  steigt  mein  Gesang  empor, 
Arts  jedem  Thal^  aus  jedem  Hain. 
Dir  will  ich  auf  dem  Feld  Altare, 
Und  auf  dem  Hiigel  Tempel  weihn. 
Lallt  meine  Zunge  nicht  mehr  Dank, 
So  sei  der  Ehrfurcht  fromme  Zahre 
Mein  letzter  Lobgesang.  ^ 

No.  18.    Ghor. 

Triumph,  der  Sohn  des  Hochsten  sieget, 
Er  eilt  vom  Siihn- Altar  empor. 
Triumph,  sein  Yater  ist  vergniiget; 
Er  nimmt  ihn  in  der  Engel  Chor. 

No.  19.    Becitativ, 

Auf  einem  Hiigel,  dessen  Eiicken 

Der  Oelbaum  und  die  Palme  schmucken, 

Steht  der  Gesalbte  Gottes.    Urn  ihn  stehn 

Die  seligen  Gefahrten  seiner  Pilgrimschaft, 

Sie  sehn  erstaunt  von  seinem  Antlitz  Strahlen  gehn, 

Sie  sehn  in  einer  lichten  Wolke 

Den  Flammenwagen  warten,  der  ihn  fiihren  soil. 

Sie  beten  an.    Er  hebt  die  Hande 

Zuni  letzten  Segen  auf.  —  JTSeid  meines  Geistes  voll; 

G^ht  hin  und  lehrt  bis  an  der  Erden  Ende, 

Was  ihr  von  mir  gehort,  das  ewige  Gebot 

Ber  Liebe!    Grehet  hin,  thut  meine  Wunder, 

Geht  hi%  vexkSa<i%t  ailem  Volke 

YersohiHrng,  Friede, 


Er  sagt's,  sfceigt  auf,  wird  schnell  emporgetragen, 
Ein  strahlendes  Gefolg'  umringet  seinen  Wagen, 

No,  20.    Arie. 

Ihr  Thore  Gojtes,  Sffhet  euch, 
Der  Konig  ziehet  in  sein  Eeich, 
Maclit  Bahn,  ihr  Seraphimen-Chore, 
Er  steigt  auf  seines  Vaters  Thron,  i 

Triumph,  werft  enre  Kronen  nieder, 
So  schallt  der  weite  Himmel  wieder 
Triumph!    Gebt  unserm  Gott  die  Ehre, 
Heil  unserm  Gott  nnd  seinem  Sohn! 

No.  21.    Schlusschor. 
Gott  fahret  auf  mit  Jauchzen, 
Und  der  Herr  mit  heller  Posaune. 
Lobsinget  Gott^  unserm  Konige.  , 

Der  Herr  ist  Konig! 
Bess  freue  sich  das  Erdreich, 
Das  Meer  brause, 
Die  Wasserstrdme  frolalocken, 
Und  alle  Inseln  seien  frohlich. 
Jauchzet,  ihr  Himrael,  freue  dich,  Erde, 
Lobet,  inr  Berge,  den  Herrn  mit  Ja^icjizen! 
Wer  ist,  der  in  den  Wolk«a  gleich  dem  Herrn  gilt? 
Und  gleich  ist  unter  d^n  KJndera  der  Gotter  dem  Herrn? 
Lobet  ihn,  alle  seine  Engel! 
Alias  was  OJem  hat,  lobe  den  Herrn! 
Hallelujah! 


—    295    — 
Zwolf  Brtefe  Ernanuel  Bach's  v.  J*  1774-1788.*) 

No.  1.  Hamburg,  d.  10.  Apr.  74 

Geehrtester  und  liebwerthester 
Freund, 

Fur  die  giitigst  eingesandten  G-elder  fur 
29  Exempl  danke  ich  Ihnen  ganz  ergebenst; 
und  da  gleich  anfangs  meine  Gedanken 
waren,  Ihnen  fiir  Ihre  gtitige  Sorgfalt 
2  Exemplare  zu  verehren?  so  hatten  Sie, 
gleich  melnen  ubrigen  Herrn  Sammlern, 
Sich  denen  Vorausbezatlern  nicht  beyfugen 
sollen?  otogeacht  ich  Ihren  geehrtesten 
Naknen  mit  beydrucken  lasse;  sondern 
mict  fiir  so  billig  ansehen  sollen;  d^s  ich 
Ihnen  ohne  Bezahlung  mit  meinen  Psatoen 
wiirde  aufgewartet  habeB. 

Ich  werde  also  mit  denen  29  bezahlten 
Exemplaren,  Ihrem  giitigen  Verlangea  nafch, 
Ihnen  noeh  14  Exemplare  schicken-,  daron 
behalten  Sie  giitigst  2  Stiicke  fur  Sich, 
und  die  iibrigen  12  konnen  gelegentlich 
durch  Ihre  giitige  Sorgfalt,  das  Exemplar 
mit  1  Thlr.  8  ggl.  yersilbert  werden.  Bey 
Ueberschickung  dieser  Psalmen ,  welche, 
sobald  ieh  sie  mit  der  Masse  kriege,  so 
gleich  geschehen  soil,  werde  ich  Ihnen 
einen  kiirzlich  verfertigten  saub^-en  tmd 
ziemlich  ahnHchen  Kupferstich  von  meines 
lieben  seel.  Vaters  Portrait  zu 


*}  Die  OriginalieB  dieser  Briefe  befiB^en  sleh,  so  weft  nicfet  etwas 
aaderes  ten  bemerki  1st,  in  d^r  KTBibHoftflkj*  Bedto. 


—    296    — 

das  Vergnugen  haben.    Meines  Vaters  Por- 

g^  §  trait j  welches  ich  in  meiner  musicalischen 

o  J*    ®    P  Bildergallerie?  worin  mehr  als  150  Musiker 

5"  PJ  ^  §!  von  Profession  befindlich  sind,    habe,    ist 

O  g?  |   &-  in  pastell  gemahlt.   Ich  habe  es  von  Berlin 

#T  ^  o*  o*  hierher   zu    Wasser   bringen    lassen,    weil 

JL  8*  g    °  dergleichen  Gemahlde  mit  trocknen  Farben 

^   *     B    CD  das  Erschiittern  auf  der  Axe  nicht  vertra- 

§   5*  ^  |f  gen  konnen:  ausserdem  wlirde  ich  es  Ihnen 

|.  8  °S.  sehr  gern  zum  Copiren  iiberschickt  haben. 


B  Wer  hat  denn  mein  Portrait,  welches 

B"  Sie  besitzen,    gemahlt?     Vielleicht   ist    es 

®   tf  CP?   Q'  e^ne  Copie  von  Hrn.  Riefstein?  welcher 

g   g-c|    g  inich   anno    1754   in  Cassel   mit   trocknen 

HO*   o4  |-  Farben    abmahlte.     Vielleicht   bin   ich  so 

1    if  "     B.  glftcklich,  wenn  Ihnen  anders  damit  gedient 

<P.  p-  1.  I"  ^^   ^a^  m^  einem   saubern  Kupferstich, 


Bildniss; 

|   M  ^  I*  jenige,  was  Sie  haben?  hat^keine  Runzeln, 

Q  T  |[  ^  aT>er?  was, ich   hoffe;   Ihnen   zu  schicken? 

i§*  tn  ^  ^  desto  mehr. 

^  gj  g^  tr  Wer   hat   meinen   altesten   Bruder  ge- 

f:  |   tr-  ^  mahlt?    Meine  Passions -Cantate   steht  zu 

p   o   51  ®  Diensten.    Mein   Exemplar   ist  jetzt   ver- 

,     ^  ®.  jr  Hehen?    ausserdem   etwas    undeutlich    und 

|^  g  dnrch  das  viele  Herumsehicken  sehr  zer- 

8  >-  |-  lumpt.     Wenn   Sie   befehlen,    so    will    es 
^  §   B.  Ifanen  durch  ^^en  Copisten  sauber  copi- 

9  |"  f£  ren  Iassen?  es  wird  die  Partitur  ohngefahr 
1-  J  eg"  5  Thk.  kosten.    Ich  beharre;  wie  ich  soil 
^.§0 


§  §  12. 

»*       t-i     CD* 


Bach. 


-   297 


No.  2.  Hamburg,  d.  4.  Marz  74. 

Kens   v  H 
&-g^g 

00? 

^  8.  *  t"1  B1  Hochedelgebohrner,  kurzum 

$  §  &  p,  %  Theuerster  Frermd, 

f-i     u-4   CD     -.     CD" 

as  d  g  2  t3" 

*;•  ^    o    *^    »—  * 
o    g    pj  ^     CD 

o*  fr  ^  cr-  p          JDa  meine  Psalmen  auf  die  Ostermesse 

Hi       CO       U        ^       _ 

: 


gewiss  erscheinen  warden:  so  seyn  Sie  so 


. 
S   g   i   g     gtitig  z^  belieben  mir  die  Nahmen  Ihrer 


g-  Hrn.  Pranumeranten  gegen  die  letzte  Woehe 
^  I  §•  g  vor  Ostern  einzuschicken^  damit  sie  bey 
&  tr  g*  Zeit  beygedruckt  werden  konnen. 

D     t^1   0     Q 

09  5'  g$  g  Alle  Auslagen  belieben  Sie  abzurechnen, 
S;  H.  u4  ^  ich  bleibe  demohngeachtet  Ihr  grosser 
0  w  £  ^  Schuldner  und  bebarre  mit  der  re<Jlichsten 

^     ffi  &        TY 

g   g  puCP5     Hochachtung 

0      -—i    02      tj 

d   g 

§"(§  o3  ?  Ew.  Hochedelgeb. 

5^  d  &  § 

»   I   §:    S- 

H  5"o5*  o>  ergebenster  Freund 

p     O     CD    "* 

g:  *"*  p   P^  und  Diener 

^  ?  P  I  Bach. 

Hrn.  Forckel. 


No.  3.  Hamburg,  d.  12.  Julius  74. 

g  OQ  Theuerster  Freund, 

^  1   w  Endlich  sind  die  Psalmen  da!  Gottlob! 

ho      O      03 

8    ~  8  Vergeben  Sie,  ich  kann  nicht  dafiir.     Ich 

|  I   I-  schicke  ihnen  42  Stuck,  nehralich  28  fur 

S-  "Si  §  so  viele  Pranumeranten.  Herr  Cramer  hat 

,  1  ^  sein  Exemplar  bey  mir  selbst  abgeholt! 
?  s*  d  2  fur  Sie  und  12  zum  Verkauf.  Schicken 
"•  g  ^  Sie  mir  einen  Catalogue"  von  den  geschrie- 
^  |-  if  benen  Sachen,  die  Sie  bereits  von  mir 
£,  «  ^  haben ,  was  Ihnen  noch  fehlt ,  steht  zu 

C)        DD        C5 

-Q  S  S*  Diensten.  Ferner  bekommen  Sie  meinen 
§•  ^  1  seel.  Vater  in  Kupfer  nnd  meine  Passion. 
^  |.  r-  Dies  1st  ein  erschreeklich  Packet.  F.  die 
§  5  £>  Post  zti  kostbar.  Fuhrleute  sind  nicht. 
^  ^  g  Seyn  Sie  so  giitig  und  besorgen  ^itigst, 
§  d.  7  dass  Ihr  Hr.  Buehhandlfer  die'  Drucks.. 

CD       ? 

b  |  ^  welche  Postfrey  seyn  sollen,  so  gut  ist, 
|  §-  £.  und  auch  das  Packet  in  Bewegung  bringt. 
g  w  S  Ich  erwarte  Dero  baldige  Bestellung  und 

I"  ^.      beharre  von  Herzen  auf  immer 
p-  ta  ^ 

Uero 

treu  ergebenster 

Ich  sitze  im  Packen  Fr.  u.  Dr. 

bis  an  die  Ohren.  Bach. 


No.  4.  Hierbey  12  Psalmen 

und 

meines  seel.  Vaters  Portrait. 

Hamburg,  Bach, 

d.  3.  Aug.  74. 


—    29$   — 

No.  5.        Ew.  Hochedelgeb.  erhalten 
hierbey  abermahls 
11  Psalmen 

Von 

Hamburg?  Ihrem  ergebenen  Diener 

d.  5.  Aug.  74.  Bach. 


No.  6.  Hierbey  erhalten  Sie7  wehrtester  Freund, 
die  letzten  11  Psalmen  in  dem  beykom- 
nienden  4ten  Packet.  Sie  haben  nun  zu- 

<|       K 

o  2-  sammen   42  Psalmen   bekommen.     Meines 

g  ^  ^  seel.    Vaters   Bildniss    kostet    nichts.     Die 

*  &•  §  erhaltenen    Musikalien    von    ihm    konnen 

®  H-  S  nach  Ihrer  Bequemlichkeit  wieder  zuruck- 

£?  g    3  senden,  weil  ich  sie  so  nothwendig  nicht 

^  ^  HTJ  brauche.    Von  meines  seel.  Vaters  Kupfer- 

§•  >?   &  sachen  sind  keine  Esemplare  mehr  zu  ha- 

o     R     •  * 

5^  CD    j_,       ben:  auch  die  Flatten  sind  nicht  mehr  da. 

8    PJ 

g-  g    2.       Was  ich  davon  habe?  nehnxL  den    ersten 

g    o        u&d.  3ten  Theil?  will  Ich  Ihnen  gebunden, 

ou  g«  pi        zur  beliebigen  Abschrift,  oder  gar  kauflich 

$0%^      iiberlassen.  Die  Materle  von  beyden  kostete 

§    <T  ^       ehemahls  6  Thlr.?  wenn  Sie  sie  nichi  ab- 

g"  |    §"       schreiben  wollen?  so  will  ich  beyde  Theile 

N    |    |        Ihnen,  sauber  gebunden,  und  sehr  gut  con- 

®    g        servirt?  fur  8  Thlr.  iiberlassen.     Ich  habe 

g  ^       des   seel.   Mannes   Manuscript   und   damit 

§"  E      wi^  ^cn  mich  behelfen;  und  Sie  haben  das 

eg    £       Exemplar,  was  er  ehedem  selbst  fur  sich 

0$   £fi      hatte.     Doch   mtisseri  Sie    sich  gar  nicht 

geniren. 

Mein  Haus  empfiehlt  sich  Ihnen  bestens 
und  ich  bin  wie  aUezeit 
Ihr 

treuster 
Hambnrg7  d.  9.  Aug.  74. 


—    300    — ~ 

(Original  bei  Herrn  Sanitats-R.  Dr.  Rintel  in  Berlin 
aus  Zelter's  Nachlass.) 

No.  7.  Hamburg,  den  16.  December  79. 

Liebwehrtester  Freund? 

Ihr  letztes  Schreiben  hat  micli  ungemein  vergniigt. 
Besonders  danke  ich  Ihnen  fur  Ihr  Lied1)  recht  sehr.  Ein 
wahres  Meisterstiick !  Die  Fuge  in  ineinern  Heilig  all  ein  ? 
ohne  Wiederholungj  welche  nicht  seyn  muss,  muss  nicht 
langer  als  3  Minuten  dauern.  Bald  werde  ich  mit  der 
2ten  Sendung  meiner  Sachen  herausriicken,  Darf  ich  wohl 
wieder  una  ihre  Giite  ansprechen?  Diese  Sendung  wird 
Ton  der  ersten  ganz  verschieden  seyn.  Fiir  die  Berich- 
tignng  der  Pranumerations-Gelder  danke  ich  ergebenst. 

Nebst  vielen  Complimenten  beharre  ich  ohne  Auf- 
horen 

Ihr 

alter  Freund  Bach. 

A  Monsieur 

Jte^eur  Kirnberger? 

,     Ooiiapositeur  au  Service  de  S.  A.  M.  la  Princesse 
Amelie 

a 

Berlin. 


i)  Das  Lied  folgt  hiebei.  Es  1st,  wie  bereits  oben  bemerkt 
worden,  eine  Parodle  aof  eine  Arie  Eeichardt's,  wobei  Kirn- 
berger,  urn  diesen  zu  argern,  einige  falsche  Quinten  angebracht 
hatte,  Man  sleht  daratts,  dass  dieser  grosse  Contrapunktist  ein 
witziger  Kopf  war,  und  dass  er,  wie  aach  sein  Freund  Em.  Bach 
eineu  gnten  Gredankeu,  wenn  er  ihn  ennnal  gefasst  hatte,  nicht  zurtick- 
halten  konnte,  selbst  auf  die  Gefahr  hinr  sich  dadurch  Unannehmlich- 
keiten  znznziehen. 


—    301    — 


Cavata.    Nachrieht  vom  Genie, 

eine  tingemein  wohl  ausgef  iihrte  ,  und  nacli  Wunsch  gelungene  Arie 
(s.  Walter's  Lexicon  S.  150). 


Ein  Fuchs  traf     einen        Esel     an,  Herr    Esel !  sprach  er, 


IZ*=3— +-*- 
Jedermann  halt  Sie  fur  ein  Ge  -  nie ! 


±=r 


fur       einen   grossen 


Mann! 


Das 


-    re  ! 


* 


i 


* 

p    i 

1 


1      1  1 

hub  der    E     -    sel 


an, 


f 

hab' 


doch      nichts 


Nar      - 

ri       - 

~^f 

sches           ge     -     than, 

—  H  s*"  *r  

hab' 

—  "T  —  r~t 

^  K-.  P-P-^  —  1 

1      *                    -i 

*  '  ^  :  1 
aft   -f 

SM 

\  - 

u 

_  0 

=H 

H 

5= 

rH 

—  r^-^^"^  —  i  —  | 

ffTi 

doc 

h 
„ 

m 

«* 

iX 
ct 

its  N 
^ 

an 
^ 

ri  - 

sc 

U""1 
ties 

ge  - 

n  — 

jf 

ti 

^  —  Is—  ^  — 

T*- 

ian. 
^-^TS  : 

4 

rx     ^f 


(Original  in  der  Bibl.  des  K.  Joachimsthalschen  Grym- 
nasiums  zu  Berlin.) 

No.  8,        Hochwiirdigste  Durchlauclitigste 

Prinzessin3 
Gnadigste  Ftirstin;  Abbatissin  und  Frau, 

Eure  KonigL  Hoheit  erlauben  gnadigst^  Hochstdenselben 
beykoromde  Arbeit  von  mir  zu  Fiissen  legen  zu  dtirfen, 
Das  fugirte  Chor  liatte  ich  zwar  iiber  andere  Worte  scfeon 
Tor  vielen  Jaliren  gemachtj  da  ich  aber  nachber  gesehen 
habe?  dass  beyde  Themata  besonders  willig  sind,  viele 
eontrapunktisclie  Ktinste  ohne  Zwang  anzunehmen,  so  habe 
ich  es  ganz  umgearbeitet,  damit  es  wta^dig  warden  rnoge, 
Ew.  KonigL  Hoheit  als  einer  so  grossen  Meifferin  unsrer 
Kmnst  vorgelegt  zu  warden  von  Hochstdero  in's  TOste  Jahr 
tretenden  Oapellmeister. 

Im  beygefugten  Chorale  ist  zwar  nichts  kunstliches, 
ich  habe  aber  der  Worte  wegen  auf  eine  hannonische  Ein- 
kleidung  gedacht,  welche  aber  ohngeaehtet  ihrer  Dreistig- 
keit  keine  able  Wirkung  macht.  Die  Melodie  wird  in 
lanter  leichten  Intervallen  von  der  Harmonie  durch  dunkle 
und  rauhe  Pfade  geleitet;  und  folgt  ihr  kindlich. 

Ich  ersterbe  in  tiefster  Ehrfurcht 
Eurer  KonigL  Hoheit 

Hamburg7  den  5.  Slarz  unterthanigster  Knechf 

1783.  Bach, 


—    303    — 

No.  9.  Zelter's  Copie. 

Hamburg,  den  28.  April  84. 

Besster  Freund. 

Fur  die  gdtigst  eingeschickten  6  I/dor,  danke  ich  Ihnen 
ergebenst;  dass  Sie  aber  fiir  sich  selbst  pranumeriren?  ist 
mir  nicht  lieb?  weil  ich  sehr  gern  xneinen  Freunden,  wenn 
sie  auch  nocli  so  wenig  sammeln,  ein  Exemplar  gebe.  Da 
die  Zuriickgabe  sehr  umstandlich  ist,  so  bleibt  fiir  mich 
nichts  als  mein  warmster  Dank  ubrig  und  die  Hofnung 
zugleich  in  ferneren  Fallen,  wenn  ich  darf  meine  Gewohn- 
heit  beizubehalten.  Breitkopf  kann  vor  Johannis  den 
Morgengesang  nicht  liefern.  Ich  habe  es  in  der  Zeitung 
bekannt  gemacht.  Sie  werden  doch  nicht  ungehalten  sein? 
dass  ich  Ihnen  jetzt  3  Ooncerte,  1  Sonatine  und  1  Trio 
hiebey  iiberschicke,  ohne  den  Morgengesang  abzuwarten? 
Im  Porto  wiirde  der  Unterschied  zwischen  2  Paketen  und 
einem  starken  glaube  ich  nicht  gross  seyn.  Sie  haben  einen 
sehr  guten  musikalischen  Magen;  desswegen  erhalten  Sie 
hiebey  starke  Speise.  Das  Concert  C-mol  war  ror  diesem 
eines  meiner  Paradors.  Das  Rezit.  ist  so  ausge8*fczt>  wie 
ich  es  ohngefahr  gespielt  habe.  Das  Trio  hat  mir  mehr- 
mahls  bei  Hofe  der  alte  Franz  Benda  unnachahmlich 
accompagnirt.  Ich  erinnere  mich  noch  hieran  mit  Ver- 
gniigen.  Alle  3  Stiicke  belieben  Sie  fiir  sich  zu  behalten. 
Ich  bin  krank  an  Podagra  und  kann  nur  sagen;  dass  ich 
lebe  und  sterbe 

Der  Ihrige 

Bach. 

Jiingst  schrieb  mir  Jernand,  dass  es  etwas  besonderes 
sey,  nicfat  allein  mein  Zuname,  sondern  auch  die  Anfkngs- 
buchstaben  meines  Vornamens  (alF  Italiano)  C.  F*  E.  warea 
mnsikalisch.  Hierattf  antworiete  ich. 


-   604 


e 


NB,  Die  x  bezeichnen  den  Zunamen, 


In  einem  Coneerte  ein  Eondeau  anzubringen  habe  ich 
nicht  versueLt. 


Briefe  slnd  nach  dem  Zusatz  Zelter's  auf  der 
Copie  an  den  Advocaten  Grave  in  Greifswald  gerichtet 
fewesen,  wo  Z.  ihn  beim  Musikdirector  Are  Taliemant 
gefonden  und  am  20.  Aug.  1820  copirt  hatte. 


—    305    — 

(Orig.  von  No.  9  bis  12  bei  Hrn.  Fe"tis;  Director  des 
KonigL  Conversatoire  in  Briissel.) 

No.  9.  An 

Herrn  Organisten  Westplial 
in 

Schwerin. 

Hamburg,  d.  9.  Jan.  87. 
Hochedelgeborner,  Hochgeehrtester  Herr, 

Ew.  Hochedelgeb.  danke  ich  fur  die  gtitigst  einge- 
sandten  20  Mrk.  Ltibiseh  ergebenst  und  ubersende  hierbey 
die  5  verlangten  Sanimlungen  im  Violin -Zeichen.  Was 
die  geschriebnen  Sachen  betrifft,  bedaure  ich  Ihre  grosse 
Kosten.  Ich  glaube  gewiss,  class  ausser  den  fehlerhaften 
und  schlechten  Abschriften,  es  Ihnen  auch  so  gegangen 
ist?  wie  vielen  andern;  nehnilich  man  hat  Ihnen  viele 
Sachen  verkauft  unter  meineni  Nahnien?  die  nicht  von  mir 
sind.  Ich  wiinschte  wohl?  die  Themata  einniahl  zu  sehen. 

Im  Fa  lie  wenn  Sie  etwas  geschriebenes  von  niir  ver- 
langen  sollten:  witnschte  ich,  dass  Sie  Sich  gerade  an  mich 
wendeten.  Ohne  den  geringsten  Eigennutz,  bloss  fur  die 
Copialien,  stehe  ich  zu  Ihren  Diensten. 

Ich  beharre  mit  warmster  Hochachtung 

Ew.  Hochedelgeb. 

ergebenster 
Bach. 


No.  10.      An  denselben, 

Hamburg,  d.  3.  Jul.  87. 
Liebster  Freund. 

Ich  eile  jetzt,  um  Ihnen  Ihre  gtitigst  bezahlten  3  Exem- 
plare  zu  ubersenden.  Ktinftig  werden  Sie  die  noch  fehlen- 
den  characterisirenden  Stiicke  und  etwa  6  Solos  von  mir 
erhalten.  Aber  mm  kornrnt  mein  bester  Dank  fiir  Ihre 
Bilder.  Engeln  niit  saninit  deua  Rahm  werde  ich  Ihnen 

BiUer>  Enmnuel  wid  Friedemana  Back,    II,  20 


—    306    — 

wiedersehieken.  Icli  lege  jetzt  alles  ohne  Raliin  in  ein 
Buck  Ich  werde  Ihnen  von  raeinen  Doubletten  etwas 
mitschicken.  Sie  miissen  niclit  zu  gutherzig  sein?  und 
allenfalls  mir  ein  Bild,  was  schon  eingefasst  ist?  abtreten. 
Kunftig  ein  Melireres. 

Lieben  Sie  ferner 

Ihren  wahren 

Fr.  u.  Diener 

Bach. 


No.  11.        An  den  Herrn"  Organisten  Westphal 

in 

Schwerin. 

nebst  ein  Paket  niit 
Musik;  sign.  EL  W. 

Hamburg,  den  25.  Oct.  87. 
Kurz  u.  gut: 

Hiebey  erhalten  Sie?  wiirdigster  Freund,  wieder  6  mei- 
ner  Sonaten.  Die  aus  dem  H-moll  und  A-dur  sind  vor- 
ziiglich. 

Den  verlegten  neuen  ersten  Versuch  liabe  ich  auch 
beigelegt.  Er  kostet,  wegen  der  Verwahrung  1  Mark 
inehr?  folglich  10  Mark.  Ausser  den  6  Clavierfugen,  die 
Sie  schon  haben;  habe  ich  Keine  mehr  gemacht;  Auch 
habe  ieh  nichts  weiter  fur  die  Orgel  oder  Chorale  aufge- 
setzt.  Herbsten  und  &erberten  habe  ich  schon?  ich 
danke  sehonstens.  Die  Allgemeine  Liter.  Zeitung  hat  man 
hier  nicht.  Ich  mochte  doch  gern  die  Nahnaen  der  30  ver- 
langten  Bildnisse  wissen.  Der  Aufsatz  ist  nicht  von  mir. 
Richtern  aus  Strasburg?  Schmidten  1642  aus  Magde- 
burg, Schmidten,  Sachsischen Kapellmeister  und  Caspar's 
Werke  wiinschte  ich  mir,  wenn  sie  zu  haben  waren?  aber 
NB  nicht  anders  als  fur  meine  Bezahlung. 

Ich  embrassiere  Sie  und  beharre  unverandert 


Der  Ihrige 


Bach. 


—    307    — 

No,  12.      An  denselben. 

Hamburg,  d.  2.  Nov.  88. 

Liebster  Freund, 

Seit  den  18.  Sept.  bin  ich  ani  Podagra  und  andern  Zu- 
fallen  sehr  Krank  gewesen.  Nun  fangt  sichs  an  zu  bessern. 
Hier  haben  Sie  den  ganzen  Rest  von  naeinen  Solos  in 
8  Stiicken.  Ein  Trio  habe  ich  rait  beygelegt.  Haben  Sie 
die  Giite,  wenn  Sie  wieder  schreiben,  mir  den  Anfang  der 
Trio's,  die  Sie  aus  nieiner  Hand  haben?  zu  ver- 
inerken.  Das  letzte  Geld  habe  ich  erhalten.  Ich  beharre 

Der  Ihrige 
Bach. 


Schreiben  der  Wittwe  Bach  an  Fran  Sara  Levy. 

(Original  bei  Hrn.  Sanitais-Kath  Dr.  Rintel  in  Berlin, 

aus  Zelter's  Nachlass.) 

Wurdigste  Madame! 

Verzeihen  Sie?  verzeihen  Sie  es?  dass  ich  so  spat  erst 
Ihren  giitigen  Brief  beantworte.  Der  Wunsch,  Ihreni  Ver- 
langen  ganz  Grenuge  zu  leisten,  verzogerte  eines  Theils 
mein  Schreiben,  und  die  andere  traurige  Ursache1),  die 
mir  viel  Verhinderung  auch  ausser  dern  Schmerze  verur- 
sachte,  wird  Ihnen  bekannt  seyn.  Ich  will  niehts  weiter 
erwahnen?  da  Sie  selbst  die  Gate  gehabt  haben7  durch 
S tills chweigen  meinen  ersteren  Verlust  mit  mir  zu  empfinden, 
so  werden  Sie  gewiss  auch  mit  eben  der  Schonung  meinen 
zweiten  Verlust  niit  mir  fuhlen. 

Aber  tausendfachen  Dank  inuss  ich  Ihnen  und  alien 
Verehrera  und  Freunden  meines  lieben  verewigten  Gatten 
fQr  die  thatige  Sorge,  seinem  Andenken  ein  Denkmal  zu 
stiften,  sagen.  Die  Nachricht  dieser  Ihrer  Verwendung 


Der  Tod  d^  ^Itesten  Sohnes  der  Wittwe  Bach. 

ao* 


—    308    — 

zu  diesem  Denkmal  war  sanfter  Balsam  auf  meine  Wunde. 
Dem  Herrn  Professor,  der  gefalligst  die  Bemuhungen  dieses 
Unternehmens  auf  sich  genommen  hat,  bitte  ich  in  meinem 
Namen  den  verpfiichtesten  Dank  abzustatten. 

Sie  werden  durch  Herrn  Wessely  schon  benachrichtigt 
w  or  den  seyn;  dass  die  Krankheit  meines  lieben  Mannes 
ihm  nicht  erlaubt  hat,  an  das  von  Ilinen  ihm  comittirte 
Conzert  zu  denken.  Was  er  diesfalls  versprochen,  hat  er 
gewiss  nur  in  der  Erwartung,  es  bald  erfullen  zu  konnen, 
gethan.  Aber  leider!  —  Doch  genug. 

Die  Nachricht  von  den  Hnterlassenen  Musikalien;  die 
unser  lieber  Herr  Wessely  zugesendet  hat;  ist  nicht  vollig 
richtig.  Jetzt  will  ich  einen  kleinen  richtigeren  Aufsatz 
diesem  Briefe  beyfligen. 

An  Clavier -Soli  sind  209,  wo  von  6  ganz  unbekannt 
und  dem  Druck  bestimmt  sind,  138  sind  schon  gedruckt 
und  die  (ibrigen  durch  Abschriften  mehr  oder  weniger 
bekannt. 

An  Concerten  52?  in  deren  Ansehung  die  durch  Herrn 
Wessely  ubersandte  Naehricht  vollig  richtig  ist. 

An  Trii  46,  wovon  wohl  nur  1  ganz  unbekannt,  19 
gedruckt  und  die  tibrigen  in  Abschrift  mehr  oder  weniger 
bekannt  sind. 

18  Symphonien;  wovon  5  gedruckt  sind,  die  ubrigen 
siod  ziemlich  bekannt. 

12  Sonatinen,  wovon  zwar  3  ehedem  gedruckt  gewesen, 
aber  nachher  umgearbeitet  worden.  Alle  12  sind  nicht 
sehr  bekannt. 

18  Soli  fur  andere  Instrumente  ais  das  Clavier,  wovon 
1  Floten-Solo  ganz  unbekannt,  eines  gedruckt  und  die 
librigen  mehr  oder  wenig  bekannt  sind. 

6  kleine  Sonaten  fur  blasende  Instrumente. 

6  Dito  fur's  Clavier,  Clarinette  und  Fagott. 

6  Marsche   und  andere   kleine   Stiicke   fur   blasende 
Instrumente. 


—    309    — 

8  MinuettS;  6  Triis  und  2  Polonaisen  fur  dergleichen 
Instrumente, 

1  Stuck  fur  Trompeten  und  Pauken  fur  die  Arche. 
4  kleine  Duetts  fiir  2  Claviere. 

2  selir  vollstimmige  Minuetts. 

Verscbiedene  Stiicke  fur  Flotenubren,  Harfenuhren  und 
Dreborgeln. 

Die  erste  Senate  aus  der  1.  Fortsetzung  der  Repriaen- 
Sonaten  2  mal  durchaus  verandert. 

Variationen  zur  4.  Sonate  des  2*  Tbeils  der  Trii. 

Veranderungen  und  Verzierungen  verscbiedener  Sonaten 
fiir  Scholaren,  Cadenzen  zu  verschiedenen  Concerts. 

Eine  selbst  radirte  Menuett. 

1  Sinfonie  mit  dem  Fiirsten  Lobkowitz,  aus  dem 
Stegreife,  einen  Takt  ura  den  andern  componirt. 

1  Trio  fiir  1  Violiue,  Bratsche  und  Bass,  mit  seinem 
Vater  gemeinschaftlich  componirt. 

Miscellanea  Musica  oder  Regeln  fiir  den  Greneralbass 
und  noch  einige  bin  und  wieder  in  verschiedenen  ge- 
druckten  Schriften  zerstreuete  kleine  Aufsatze. 

Dies  waren  die  Instrumentalsachen.  Nun  komme  ich 
auf  die  Vocalsachen,  davon  sind  vorbanden:  ausser  den 
gedruckten  Gellert'scben  Oden?  Israeliten  in  der  Wuste, 
CramerJschenPsalmen?  Sturm'scben  Liedern?  Wewer'- 
schen  Oden,  zwei  Ldtaneyen,  Cboral-Melodien  zu  Liedern 
des  Hamb.  Gesangbucbs,  der  Cantate:  Pbyllis  und  Tbirsis, 
dem  Gleim'schen:  der  Wirth  und  die  Gaste,  einem  Ver- 
such  des  einfacben  Gesanges  in  Hexametern?  der  Aufer- 
stebung  und  Himmelfabrt  von  Rammler,  dem  2-chorigen 
Heilig?  Kl  op  stock's  Morgengesang  und  den  Neuen  Lieder- 
Melodien. 

Eine  nocb  in  Berlin  componirte  Oster-Musik. 

Drey  andere  Dito. 

1  Weihnacbts-Musik. 

3  Micbaelis-Musiken. 
1  Trauungs-Gantate. 


—    310    — 

1  GeburtstagJi-Oantate. 

1  Cantate:  DerFriihling.  Aus  dem  Versuch  im  Hexa- 
meter ist  diese  Gantate  geworden. 

1  italienische  Ariette   und  3  deutsche  Arien,    die  in 
jimgen  Jahren  verfertigt  worden. 

Das  sehon  in  Berlin  verfertigte  Magnificat,  vollstimniig. 
Die  bekannte  Passions-Cantate. 

Ein  Chor,  dem  sehwedischen  Kronprinzen  (jetzigen 
Kdnig)  zu  Ehren  auf  Verlangen  der  Stadt. 

2  Oratorien   und  2  Serenaten   bey  Burger  -Cap  itains- 
Musiken,  sehr  vollstiinmig,  und  zu  den  Serenaten  1  Trommel 
und  1  Querpfeife. 

Einweilmngs-Musik  des  MichaelisthurmSj  sehr  voll- 
stinimig. 

Hymne  der  Freundschaft,  ein  stark  besetzte^  G-eburts- 
tagsstiick. 

Viele  Prediger-Einfahruugs-Musiken. 

2  Jubel-Musiken. 

1  einchoriges  Heilig. 

2  ungedruckte  Lytaneien. 

12  Freymaurer-Lieder. 

1  Cantate  Selma7  aus  dem  im  Vossischen  Almanach 
1776  stehenden  Gedicht  verfertigt. 

5  Chore  aus  Cramer'schen  Psalmen. 

6  Chore  und  Motetten  aus  Gellert'schen  Liedern. 
8  Chore  aus  Sturm?schen  Liedern, 

13  Chore   von  verschiedenen3    davon    die  meisten    in 
Passions-Musiken7   nebst  vielen  Arien,    Accompagnernents 
etc.  gebraueht  sind. 

1  Veni  mit  Trompeten  und  Pauken  und  ohne. 

1  Sanctus  mit  Trompeten  und  Pauken. 

Antiphonia;  wie  sie  hier  in  den  Kirchen  ehedem  ge- 
sungen  wurden,  und  ein  Amen. 

Chorai-Melodien  zu  Liedern,  die  der  Graf  von  Wer- 
nigerode  gemacht  hat. 

Viele  andere  Choral-Melodien. 


—    811    — 

100  Lieder  in  alien  mit  denen  durch  den  Drtick  be- 
kannten,  theils  in  der  Wewer'schen  Odensamnilnng,  theils 
in  den  Neuen  Lieder -Melodien,  theiis  in  den  Musen-Al- 
manachen,  theils  sonst  hin  und  wieder  zerstreuten,  and 
den  vorhin  angefiihrten  Freyinaurer-Liedern. 

In  20  Passions-Musiken  des  20jahrigen  hie&igen  Aufent- 
halts,  die  hier  nicht  cantatenmassig,  sondern  mit  den  Evan- 
gelisten  aufgefiihrt  worden,  und  wo  alle  4  Jahre  derselbe 
Evangelist  vorkommt,  ist  noch  verschiedenes,  doch  ist  auch 
yieles  von  anderen  aufgenommen. 

Auch  in  etlichen  anderen  Kirchenstiicken  ist  noch 
etwas  hin  und  wieder  von  dem  lieben  Sel.  zerstreut  mit 
eingemischt. 

Ich  glaube,  Ihnen  ein  gaoz  vollstandiges  Verzeichniss 
aller  hinterlassenen  Werke  meines  lieben  Mamies  geliefert 
zu  haben,  und  bitte  sehr,  die  Nachlassigkeit,  die  sich  hin 
und  wieder  eingeschlichen  hat,  gutigst  zu  entschuldigen. 

Meine  Tochter  und  ich  empfehlen  uns  Ihrer  Freund- 
schaft  auf  s  Beste.  Dem  Herrn  Gemahl  machen  Sie  unsere 
Empfehlung. 

Ich  habe  die  Ehre  raich  zn  nennen 

Ihre 

ganz    ergebene 

J.  M.  Bach. 
Hamburg,  den  5.  Sept.  1789. 

Darf  ich  gehorsanast  bitten,  die  Einlagen  an  unsern 
Freund,  Hrn.  Her  ing  zu  geben? 

An  Madame  Levy, 

geboEene  Itzig. 
frey  Berlin. 

Im  Itzig' schen  Hause. 


—    312    — 


Klopstock's 

Morgengesang  am  Schopfungsfeste, 

No.  1.     Eine  Stimme. 

Noch  koinint  sle  nieht,  die  Sonne,  Grottes  Gesendete, 
Nocli  weilt  sie?  die  Lebensgeberin. 
Von  Dufte  schauert  es  noch  rings  uraher 
Auf  der  wartenden  Erde. 

No.  2.    Arienmassig. 
Heiliger!  Hocherhabner!  Erster! 
Du  hast  aueh  unseren  Sirius  gemacht! 
Wie  wird  er  strahlen,  wie  strahlen, 
Der  hellere  Sirins  der  Erde! 

No.  3.     Eine  Stimme. 
Hchon  wehen?  und  sauseln,  und  ktihlen 
Die  melodischen  Ltifte  der  Friihe! 
Schon  wallt  sie  einher^  die  Morgenr6the,  verkiindiget 
Die  Auferstehung  der  todten  Sonne! 

No.  4.    Zwei  Stiminen. 
flerr!  Herr!  Gtott!  barmherzig  und  gnadig! 
Wir,  deine  Kinder,  wir  niehr  als  Sonnen, 
JItissen  dereinst  auch  imtergehen, 
Und  werden  aucL  aufgehn! 

No.  5.    Alle. 

Herr!  Herr!  Gott!  barmherzig  und  gnadig! 
Wir,  deine  Kinder^  wir  mehr,  als  Sonnen; 
MUs«cn  dereinst  auch  untergehen, 
Und  werden  auch  aufgehn! 


-   313   - 

No.  6.    Zwei  Stiinmen, 

Halleluja!  Sett  ihr  die  strahlende,  gottliche  komnien? 
Wie  sie  da  an  dem  Himmel  emporsteigt! 
Halleluja!  wie  sie  da,  auch  ein  Grotteskind, 
Aufersteht! 

No,  7.    Eine  Stimme. 
0  der  Sonne  Gottes!  Und  solche  Soimen, 
Wie  diese,  die  jetzo  gegen  uns  strahlt, 
fliess  er,  gieich  dein  Schanm  auf  den  Wogen;  tausend- 

inal  tausend 
Werden  in  der  Welten  Ozeane! 

Und  Du  solltest  nicht  anferwecken?  der  auf  dem  ganzen 
Schauplatz  der  imuberdenkbaren  Schopfung 
Immer,  und  alles  wandelt? 
Und  herrlicher  macbt  dureh  die  Wandlung? 

No.  8.    Alle. 

Halleluja!  Seht  ihr  die  strahlende,  gottliche  kommen? 
Wie  sie  da  an  dem  Hiinrnel  einpor  steigt! 
Halleluja!  wie  sie  da?  auch  ein  Gotteskind, 
Aufersteht! 


—    314    — 
Acht  Briefe  Kirnberger's  aus  d.  J.  1774  bis  1783.*) 


No.  1.  I)a  Ew.  HochEdelgeboren  im  vergangenen  Monath 
mir  erlaubt  haben,  in  diesen  Monath.  um  Greld  zu  schicken, 
ehe  noch  die  Zeit  ware  zu  Ende  dieses  Monaths  laut  den 
geschlossenen  Oontrackt  gefallig  ware,  so  sehe  ich  mich 
genothigt,  dero  gutige  Vorsprache  mir  zu  Nutze  zu  raachen, 
um  zu  bitten,  dass  wann  dieselben  nair  eine  ausserordent- 
liche  Freundschaft  erzeigen  wollten,  Ew.  HochEdelgb.  doch 
die  Gutigkeit  fiir  mich  haben  niogten,  mir  die  100  Rthlr., 
welche  ich  erst  zu  Ende  dieses  Monaths  haben  soil,  heute 
mir  zu  schicken,  ich  weiss,  dass  es  Ihnen  gleich  viel  ist? 
und  mir  geschiehet  dadurch  eine  sehr  grosse  Htilfe.  Sollte 
es  aber  nicht  mogl.  seyn  mir  die  100  Rthl.  heute  schicken 
zu  konnen,  so  bitte  ich  wenigstens  um  50  RtliL  bis  zu 
Ende  dieses  Monats.  Wollen  dieselben  Sich  giitigst  dazu 
entschliessen  mir  Greld  zu  schicken ,  so  bitte  ich  daVon 
Fiinf  Ducaten  an  den  Herrn  Voss  in  Gold  zu  geben,  aus 
dessen.  Giite  ich  das  Versprechen  habe,  es  nieinem  arm  en 
Vater  Hoftischer  in  Coburg  auszahlen  zu  lassen,  uncl  ich 
glaube;  das&  der  Herr  Voss  heute  schon,  Seinen  Brief  nach 
Goburg  besorgen  wird. 

Gestern  habe  ich  von  den  Herrn  Birnstiel  vernommen, 
dass  sein  Sohn  nicht  inehr  in  der  Wintersch,  Druckerey 
ist  es  wird  also  wohl  nicht  anders  seyn  konnen,  als  dem 
alten  Herrn  Birnstiel  an  den  Graunsch.  Sachen  mit  helfen 
zu  lassen,  sonst  kann  dass  Werk  bis  Ostern  nicht  zu  Stande 
kommen,  denn  an  meiner  Piece  woran  schon  10  Bogen 
abgedruckt  sind,  kommen  noch  3  dazu?  ehe  es  ganz  fertig 
1st,  ich  hoffe  mir  giitige  Antwort  von  Ihnen  aus  erbl. 

Ew.  HochEdelgb. 

Berlin  d.  4.  Jan.  dero  Diener 

1774.  Kirnberger. 

*)  Die  Briefe  No.  1  bis  6  und  No.  8  sind  an  Herrn  Decker  ge- 
richtet. 


315    — 


No.  2.       HochEdelgebohrner  Herr 

Besonders  hochgeehrtester  Herr! 

Es  ist  mir  besonders  angenehm  es  zu  vernehmen,  aus 
dero  Hchreibe-n  zu  crsehen,  dass  dieselben  Sich  vergniigt 
und  wohl  in  Ihrern  Vaterlande  befinden.  Wegen  der 
Graunischen  Sache  so  bitte  ich  sehr,  uiieli  nicht  in  Ver- 
dacht  zu  haben,  als  hatte  ich  daran  etwas  versaumen 
wollen,  sondern  ich  hoffe  von  Tag  zu  Tage  wie  weit  es 
Ihnen  belieben  wiirde,  den  vierten  Band  zu  continuiren 
welches  dieselben  mir  auch  vor  Dero  Abreise  nacli  Leipzig 
versprochen  batten  melden  zu  lassen.  Sobald  ich  von  Dero 
Diener  ini  Cointoir  erfuhr?  dass  der  Beschluss  init  einem 
Alphabete  seyn  sollte,  so  habe  ich  auch  gleich  alles 
besorgt,  das  also  in  kurzen  alles  geendigt  seyn  wird. 
Ew.  HochEdelgeb.  ersuchen  niich  auch  in  dem  Briefe, 
dass  ich  ineine  Bezahlung  auch  ohne  Dero  Hierseyn 
erhalten  wtirde^  konnen  Sie  wohl  glauben?  dass  ich 
einen  Gredanken  diesen  wegen  in  Kopf  bekominen?  wenn 
Dieselben  mir  100  und  mehr  Rthl.  trauen?  wie  es  ge- 
geschehen  ist;  wie  ware  es  naoglich,  sich  den  Kopf  daniit 
zu  zerbrechen.  Wollte  Gott  ich  hatte  imrner  mit  so  rai- 
sonablen  und  hiilf  leistenden  Menschen  zu  thun  gehabt,  ich 
wilrde  mich  ganz  gewis  besser  befinden;  dass  ich  an  das 
Geld  gar  nicht  Ursach  zu  dencken  gehabt  habe?  wissen 
Dieselben  ja,  dass  ich  auf  ineinen  zweyten  Theil  toeines 
Buches  schon  25  Rthl.  voraus  habe^  also  bin  ich  ja  in 
Dero  Schuld. 

Das  schlechte  Zutraun  zu  den  Graxmischen  Werke 
lasst  rnich  doch  noch  nicht  verzweifeln,  dass  es  nicht  besser 
kommen  konnte,  als  Sie  es  vermuthen^  Graun  und  alle 
deutsche  Componisten?  sind  nur  bis  jetzo  auswarts  nicht  be- 
kannt  gewesen?  denn  es  ist  doch  nicht  zu  vermuten  dass  alle 
Menschen  in  der  Welt  gleicb  dumm  sind^  und  die  jetzig 


—    316    — 

nlchtswiirdigen  Operncomiquen  aller  Wege  von  Musik  den 
Vorzug  einraumen  werden. 

Mit  der  Arbeit  an  des  Herrn  Professor  Sulzers  Dick- 
tionair  bin  ich  ganz  fertig,  tind  Er,  der  sich  ausserordent- 
lich  wohl  befindet  wird  in  etlichen  Wochen  auch  ganz 
fertig?  denn  er  hat  nur  noch  sechs  Bogen  zuin  endigen 
seines  zweiten  Theils.  Gleich  nachdem  wird  er  meinen 
zweiten  Theil  eben  wie  den  ersten  in  Richtigkeit  bringen, 
welches  nun  meine  grosste  Sorge  1st,  Ihnen  es  bald  ab- 
liefern  zu  konnen.  Unterdessen  versichere  ich  Ihnen^  dass 
ich  von  Dero  mir  vielgeleisteten  Dienste  und  Beystand  in 
meinen  schlechten  Umstanden;  in  welche  ich  durch  die 
Selbstverlegung  meines  ersten  Theils  gerathen  bin?  zeit- 
lebens  dankbar  seyn  werde,  und  alle  Mittel  aufzusuchen 
trachten  werdet  wegen  der  Graunischen  Duette  Ihnen 
auf  ander  vortheilhaften  Art  schadlos  zu  halten,  denn  es 
ist  aehr  leichte  dem  Pobel  zu  befriedigen?  wenn  man  Ken- 
ner  befriedigen  kann?  aber  umgekehrt  geht  es  nicht. 

In  diesem  vierdten  Bande  von  einem  Alphabet  koni- 
men  noch  lauter  Chore,  sollte  sich  der  Verkauf  davon  in 
der  Folge  bessern,  so  kann  man  nachdeni?  wenn  Ew.  Hoch- 
Edelgb.  willens  sind  mehr  zu  verlegen,  die  besten  Arien 
alsdann  aus  alien  Opern  von  Crraun  ausstichen;  ich  habe 
noch  inimer  gute  HojQfnung?  denn  der  Herr  Professor  Sulzer 
hat  keine  Gelegenheit  in  seinem  Werke  entgehen  lassen 
wo  nicht  der  Duette  zum  allerbesten  Erwahnung  geschehen? 
eben  so  der  Hr.  Prof,  de  Costillon,  wenn  anders  meine 
Recommandation  etwas  gillt,  ich  auch  in  beiden  Theilen 
memes  Compositions  Werke,  ich  empfehle  niich  tibrigens 
in  Dero  ferner  Freundschaft  und  bin  mit  der  vollkonaensten 
Hochachtung 

Ew.  HochEdelgb. 

ergebenster  Diener 

Kirnberger. 
Berlin  den  18.  Jan.  1774. 


—    317    — 


No.  3.  P.  P.     (ohne  Datum.) 

Gestern  ist  der  Herr  Birnstiel  inn  Antwort  zu  er- 
halten  bei  mir  gewesen,  welchen  icli  also  Dero  Ent- 
schliessung  genieldet  babe,  ohne  an  den  Buchdrucker  Vogel 
zu  gedenken. 

Da  es  nun  a  her  bereits  ein  MOB  at  ist,  dass  in  der 
"Winterschen  Druckerey  weder  an  den  Graunsch  Sachen 
als  auch  an  einer  Piece  nichts  gemacht  wird,  so  habe  ich 
es  Ihnen  hiermit  melden  wollen,  weil  rair  der  Herr  Birn- 
stiel gesagt  hat,  dass  sie  das  Rosen  fest  von  Wolf  wieder 
auflegen,  und  dieserwegen  alles  liegen  bleibe.  Ist  es  mit 
Ihrer  Genehraigung?  so  muss  ich  es  mir  auch  gef alien 
lassen?  wo  nicht  so  miissen  Herr  Decker  andere  Ver- 
ffigungen  ergreifen,  sonst  kommt  weder  das  eine  noch  andere 
bis  Ostern  zu  Ende. 

Ew.  HochEdelgeb.  habe  mir  letzlich  einige  von  Ihren 
Feder  Kiele  zuin  schreiben  versprocheu,  ich  imterstehe  mich 
also  an  Dero  gi'itiges  Versprechen  zu  eriunern?  weil  ich 
fur  Geld  nicht  einmal  gute  auftreiben  kann. 

Kirnberger. 


N.  S. 

Ich  habe  noch  einen  kleinen  Zusatz  zu  der  jetzo  im 
Druck  Piece  von  mir  beigefiigt?  wodurch  es  noch  uin  einen 
Bogen  oder  hochstens  zwei  Bogen  starker  wird?  und  zur 
neheren  Erlauterung  ineines  ganzen  Werkes  dienet?  ware 
es  Ihnen  gefallig  mir  zu  erlauben;  dass  ich  es  noch  ver- 
mehren  darf?  so  wird  es  dadtirch  noch  ntitzlicher  und 
brauchbarer.  Es  betrifft  ein  einziges  Stuck  welches  aber 
sehr  leicht  zu  sezen  ist,  und  gar  nicht  irn  Vergleich  rnit 
den  vorhergehendeB?  woran  noch  gesetzt  wird. 


—    318    — 

Icli  iiberschicke  es  den  Hr.  Agricola  zum  Durchsehn, 
um  sein  Gutachten  deswegen  zu  vernehmen,  dieselben  wer- 
den  aus  beygelegten  Blatte  Seine  Meynung  unten  beigefiigt 
finden. 

Aus  diesen  untergelegten  Grundnoten  wird  ein  jeder 
leiclit  einsehen  dass  nach  meiner  Methode  dieselbe  zu  finden 
sehr  leicht  1st,  ich  glaube  auch  ganz  sicher,  dass  andere 
Grundharmonien  dazu  nicht  zu  finden  seyn  werden,  in  der 
zweyten  Halfte  des  ersten  Taktes  ist  es  aber  moglieli 
zweierley  Arten  von  Harmonien  unterzulegen?  in  den  einern 
Falle?  wo  im  sechsten  Achtel  im  Bass  H  mit  5/s  steht, 
betrachte  ich  das  nachschlagende  Sechzelintheil  gis  in  der 
Oberstimme  als  einen  von  folgenden  Accord  anticipirendo 
Tact:  im  anderen  Fall  zain  E  im  Bass  dieses  gis  als  terz. 
Es  wird  mir  ausserordentlicli  angenehm?  wenn  Herr  Agri- 
cola  es  alles  richtig  befinden,  und  dadurch  werde  ich 
ganz  ruhig  schlafen,  ftir  alle  gewesene  und  noch  kiinftig 
entstehende  Systeminacher?  wofur  uns  Gott  ferner  behtiten 
wolle! 

K. 


Ich  fincle  keine  Einwendungen,  die  ich  wider 
diese  Methode  und  wider  ihre  Ausfulirung  machen 
konnte.  Wenn  anders  Herr  Decker  will,  riethe 
ich  Ihnen  dies  Stuck  auch  noch  mit  drucken  zu 
lassen,  Hier  schicke  ich  die  Bachische  Fantasie 
wieder. 

Agr. 


—    319    — 


No.  4.          Werth ester  Freund!     (ohne  Datum.) 

So  gerne  icli  heute  den  Herrn  Decker  erwartet  hatte, 
so  unmoglich  war  es  mir,  weil  ich  vor  12  noch  zu  Jeinand 
zu  gehen  hatte ;  iiberdies  ist  es  vor  raich  eine  ersehrecklfche 
Commission  von  Jemand  Geld  zu  fordern,  wenn  ich  es 
gleich  wieder  abgebe  oder  abverdiene.  Gleichwol  sehe 
ich  mich  jetzt  in  dieser  Yerlegenheit;  dass  ich  Herrn 
Deckern  durch  Sie  bitten  muss,  einigen  Vorschuss  fiir 
das  Manuscript  des  dritten  Bandes  meines  Werkes  zu 
thun,  ich  bin  schon  einige  Zeit  iiber  der  Arbeit,  sie  in's 
Reine  zum  Druck  zu  bringen,  aber  ineine  Brodsorgen 
inachen  niich  ganz  sinnlos  und  unthatig.  Ich  habe  an 
unsern  Herrn  Karnrnrath  die  Erlaubniss  gegeben7  von 
meinen  Sotoris  nach  und  nach  nieinen  (Jreditores  zu  be- 
friedigen,  und  da  ich  an  den  Herrn  Saltzmann  fur  uns 
gelieferte  Waare  seines  Ladens  62  Rthlr.  von  meinem 
Viertel-Jahr  abziehen  lasse?  so  fehlt  es  niir  dieser  wegen 
an  Lebens-Unterhalt. 

Ich  muss  alle  die  den  Herrn  Decker  kenneu?  von  Seiner 
wahren  guten  Gesinnungen  Nachricht  geben;  daher  hoffe  ich, 
wenn  dieselben  in  nieinen  Nahmen  Ihn  bitten,  mich  jetzt  ein 
wenig  zu  unterstutzen;  Er  es  nicht  abschlagen  wird?  denn 
ich  glaube  auch?  dass»Er  von  niir  eben  auch  die  gate 
Meinung  haben  wird;  dass  ich  entweder  mit  neuem  Manu- 
script oder  in  Natura  ans  unserer  Hofstatts-Kasse  es  wieder 
vergiiten  werde.  Ich  bin  der  Hoffnung?  dass  Sie?  werthester 
Preundj  Ihr  Moglichstes  bei  der  Sache  thun  werden?  weil 
ich  jetzt  in  so  schlechten  Umstanden  bin,  dass,  wenn  wir 
nicht  noch  Brod  fur  den  heutigen  Abend  batten,  mir  das 
Geld  dazu  mangelt.  Zwischen  heute  und  uiorgen  konnen 
Dieselben  wohl  mit  dem  Herrn  Decker  die  Sache  besorgen, 
unterdessen  haben  Sie  doch  die  Giitigkeit?  weil  der  Herr 
Decker  nicht  zu  Hause  ist,  meiner  Aufwarterin  riur  etwas 
zu  geben?  wefl  ich  nicht  emmal  einen  Brief  von  der  Post 


—    320    — 

(wenn  einer  kommen  sollte)  einlosen  konnte.  Allerliebster 
Freund,  Ich  wiirde  in  diesen  verdriesslichen  Umstanden 
nicht  seyn?  wenn  mir  dureh  Marpurg's  Bosheit  nicht  so 
em  grosser  Querstrich  an  meinen  Hofe  ware  gemacht 
worden?  ich  hoffe  aber?  ich  werde  xnich  durch  meinen  eigenen 
Fleiss  in  kurzen  aus  alien  Schulden  ziehen,  und  dann  der 
yergnugteste  Mensch  von  der  ganzen  Welt  seyn,  wenn  ich 
nieniand  mehr  einen  Heller  schuldig  bin,  das  nothdiirftigste 
werde  ich  wohl  ferner  haben,  weil  ich  doch  bis  hierher 
nicht  habe  verhungern  diirfen,  obgleich  mit  vieler  Sorge 
und  Verdruss,  ich  will  Ihnen  nicht  beschwerlich  seyn?  eine 
Antwort  schriftlich  zu  erhalten,  weil  heute  Posttag  ist; 
aber  morgen  wiinsche  ich  eine  des  Herrn  D  e  ck  e  r  Js  Meynung 
zu  eroffnen. 

Ich  bin  Ew.  Hochedelgeb. 

gehorsamster  Diener 
Kirnberger. 

No.  5.  Ich  habe  die  Ehre,  Ew.  Hochedelgeb.  die  kleine 
Piece  uber  die  Stimmung  der  Orgeln  und  Fltigel  Es  von  dem 
Herrn  Hauptruann  Tempelhof  zu  iiberschicken;  sie  ist 
anvergleichlich  gut  gerathen.  Wenn  es  moglich  seyn  kann? 
so  bitte  ich  Ihn  recht  sehr,  es  gleich  drucken  zu  lassen? 
urn  damit  meinen  Gegnern  einen  Eiegel  vorzuschieben, 
oder  wenigstens  ihnen  den  Weg;  sphwerer  zu  machen. 

Wegen  des  Schwarzreichdrucks  habe  ich  alles  schon 
besorgt,  aber  um  es  noch  besser  zu  haben,  lasse  ich  das 
ganzeBlat  von  meinem  Noten-Copisten  Herrn  Jungmann 
welcher  ausserordentlich  schone  Noten  schreibt;  sehi-  htibsch 
abschreiben  morgen 7  wo  nicht  heute  noch  wird  der  Herr 
Jungmann  es  in  Dero  Officina  tiberbringen. 

Die  Corrector  wird  der  Herr  Hauptinann  Tempelhof 
selbst  iiber  sich  nehmen?  weil  noch  der  geometrisch 
(Jharakteur  genaue  Vorsicht,  um  es  ohne  Fehler  zu  haben, 
von  noten  ist. 

Berlin,  U.  a  April  1775.  Kirnberger, 


—    321    — 

No.  6.  Ew.  Hochedelgebor.  haben  rair  versprochen,  bei 
Erhaltung  des  Herrn  Hauptinann  Teinpelhof's  Piece  von 
der  Stirnmung  gleich  zuni  Druck  zu  befordern;  ich  ver- 
muthe,  dass  Sie  es  aus  der  Acht  gelassen,  und  daher  konnte 
die  Piece  gar  liegen  bleiben.  Da  mir  mm  ausserordentlich 
viel  daran  gelegen  ist?  dass  sie  je  eher  je  lieber  abgedruckt 
ware,  so  bitte  ich  sie  mir  lieber  zuriick,  wenn  Sie  alien- 
falls  so  viel  aiidere  Sachen  zu  besorgen  haben?  dass  diese 
kleine  Schrift  nicht  kann  vorgenoinmeii  werden.  Ich  muss 
alsdann  schon  sehen,  dass  ich  es  in  einer  andern  Druckerey 
kann  gedruckt  bekommen,  sollte  es  Ihnen  moglicTa  seyn? 
es  drucken  zu  lassen,  so  geschelie  inir  ein  grosser  Gefallen; 
wo  nicht,  so  muss  ich  auch  zufrieden  seyn. 

Ihre  Hoheit  die  Prinzess  A  ma  lie  sagte  inir  vor  einigen 
Tagen,  dass  Sie  die  Grraun'schen  Duette  Ihnen  nicht  be- 
zalilt  hatte,  ich  wusste  nur  niclit,  sollte  icli  das  Geld  von 
Ihr  inir  geben  lassen?  um  es  Ew.  Hochedelgeb.  znzustellen 
oder  nicht,  wenn  es  Ihnen  nun  gefallig  ist,  so  inaclien  Sie 
mir  Rechnung  anSie7,ich  werde  sie  der  Prinzess  zustellen, 
und  Ihnen  das  Geld  iiberschicken. 

Habe  ich  nock  Hoffnung,    dass  Sie  die  Schrift 

von  deni  Herrn  Hauptinann  wollen  drucken  lassen; 

so  were  es  mir  sehr  lieb  seyn,  kann  es  nicht  seyn, 

so  bitte  ich  sie  mir  zuriick. 

Kirnberger. 

No.  7.  Brief  von  Kirnberger  an  Forkel.  1779. 
(Original  bei  Herrn  Sanitats-Rath  Dr.  Rintel  in  Berlin, 
aus  Zelter's  Nachlass,) 

Werther  Freund, 

Die  verlangten  Yiolinsaiten  erhalten  Sie  nun  von  dem 
Commerzienrath  Herrn  Hummel,  ich  wtinsche  mir,  dass 
sie  nach  Dero  Wunscli  gut  sind,  der  Herr  Joseph  Ben  da 
hat  mir  wenigstens  die  Versicherung  gegeben?  dass  dieselben 
gut  und  die  besten  gegenwartig  unter  alien  hier  waren, 

Bitter,  Emarrael  raid  Friectemaan  Baei.    II.  21 


Der  Titel  des  Buches,  welches  Reichardt  herausge- 
geben  und  in  Konigsberg  so  beissend  recensirt  worden, 
1st:  ,,Leben  des  beriihraten  Tonkiinstlers  Heinrich 
Wilhelm  Gulden,  welcher  genannt  Guglieimo 
Enrico  Fieino.  1.  Theil.  8.  Berlin,  1779."  16  Sgr. 
Ich  habe  es  nicht  gelesen  und  mag  es  nicht  lesen,  wie 
man  mir  aber  gesagt  hat,  so  soil  die  ganze  Erzahlung  von 
ihm  und  seinen  Eltern  seyn. 

Sie  verlangen  von  mir  zu  wissen,  wie  es  dem  Herrn 
Friedeinann  Bach  hier  geht,  so  weiss  ich  nicht  anders, 
als  dass  es  ihm  sehr  schlecht  gehet,  bey  seiner  Ankunft 
nach  Berlin  nahm  ich  mich  aus  Dankbarkeit  seines  Vaters 
an  mir  bewiesener  Liebe  aufs  beste  an,  durch  mich,  be- 
wog  ich  nieine  Gnadige  Prinzessin,  dass  Hochst  Dieselbe 
eigene  Mahi  ihm  reichlich  beschenkte,  zuni  ersten  Mahl  mit 
einein  siibernen  Kaffee-  und  Milch-Kannchen;  wobey  auch 
eine  silberne  Zueker-Dose  war,  nach  der  Zeit  etliches  an 
Gelde  jedesmahl  zu  30  Rthlr.,  ferner  bewarb  ich  mich?  gut- 
herzige  Leute  dahin  za  bewegen?  dass  dieselben  monatlich 
ihni  etwas  Qewisses  schickten?  wozu  ich  aus  nieiner  eignen 
Tasche,  die  doch  selbst  klaglich  beschaffen  ist?  monatlich 
2  Rthlr.  legte,  Herr  Bach;  der  meine  gute  Gresinnung 
nicht  erkannte?  liess  sich's  einreden;  zur  Prinzessin  zu 
gehen,  und  niich  auf  die  hochst  unbilligste  Weise  zu  ver- 
laumden,  und  dadurch  glaubte  ei^  wiirde  er  mich  ausser  Brodt 
und  Dieiist  bringen?  und  er  wiirde  meinen  Platz  bekommen. 

Sachdem  er  seine  Galle  ausgeschiittet  hatte,  so  sagte 
ihm  die  K.  IIoh.?  seine  Offenherzigkeit  gefiele  ihr,  er  nahm 
es  fur  baar  Geld  auf,  hatte  sich  aber  sehr  geirrt?  dass 
seine  Prinzessin  solche  Zuge  gegen  seinen  gewesenen  Wohl- 
tliater  ausschuttete;  er  wurde  nachdeni  allemal  abgewiesen 
trad  ihm  mit  Verweiss  gesagt,  class  er  als.  der  schlechteste 
Mensch  gegen  mich  gehandelt  hlitte,  und  alles  was  Ihre 
K.  Hoh.  ihm  gates  gethan  hatten,  durch  nieine  Veranlassung 
und  mir  zu  Gefallen  geschehen  ware.  Hierauf  gab  ich 
ihm  auch  nichts  mehr  aus  ineiner  Tasche,  und  die  ubrigen? 


—    323    — 

die  es  auch  nur   mir   zu  Gefallen    gethan  batten ,    gaben 
auch  nichts  mehr. 

Folglicli  geliet  es  ihm  jetzt  ganz  erbarmlich,  cornponiren 
wie  aucli  Lection  geben  mag  er  nicht,  und  sein  Herr 
Bruder  in  Hamburg  will  auch  von  ihm  nichts  wissen,  weil 
nichts  bey  ihni  angewendet  ist,  wenn  er  ihm  auch  noeh 
so  viel  schicken  wollte,  welches  er  schon  ofters  gethan  hat? 
ohne  Dank  dafur  zu  haben. 

Bach  en's  Heilig  wurde  liier  aufgefuhrt,  und  die  Fugc 
grade  durch  dauerte  11  Minuten?  ich  missbilligte  es?  weil 
es  ganz  dadurch  verdorben  wurde.  Hr.  Bach  in  Hamburg, 
deni  ich  nieldete,  es  gehorte  nicht  niehr  als  5  Minuten  Zeit 
dazu,  iiberschickte  inir  bey  folgeiideni  Brief  (Siehe  8.  300) 
und  setzt  die  Zeit  auf  3  Minuteu?  mir  scheint  aber,  da^s 
4  Minuten  die  beste  Art  sey?  aber  11  Minuten  ist  gar 
nicht  vor  Ekel  anzuhoren. 

Kirnberger. 

Von  Mannheim,  habe  ich  von  Jemand  ein  Schreiben 
erhalteiij  dass  Vogler  daselbst  eben  so  wenig  als  aller 
Orten  gilt.  So  geht  es  den  Windbeuteln. 


No.  8.         Werthgeschatzter  Freund! 

Ew.  Hochedelgeb.  wissen?  in  welchem  elenden  Zustande 
ich  schon  m's  4te  Jahr  liege,  ausser  den  gehabten  Schinerzen, 
die  gewiss  iiber  alle  Torturen  in  der  Welt  gingen,  welche 
jetzt  die  neueste  Art  zu  curiren  mit  sich  bringt,  habe  ich 
ausserdem  noch  so  viel  andere  Verdriessliehkeitcn  mid  Noth 
gehabt;  Dass  sich  selbst  Doctor  und  Chirurge  wundeni, 
wie  meine  Natur  es  aushalten  kann. 

Da  ich  aus  Noth  etwas  in  Druck  zu  geben  willens 
war,  um  mir  etwas  zu  meinem  monatlichen  Traktament 
zu  verdienen,  so  wissen  Sie?  dass  ich  dazu  keinen  Verleger 
finden  konnte?  ich  entschloss  mich  daher  auf  Subscription 
es  selbst  zu  verlegen?  ich  habe  auch  bereits  viele  Ver- 


—    324   — 

spreehungen  von  Mer  und  auswarts,  deren  genug  zu  be- 
kommen^  aber  die  Zeit  wird  inir  zu  lange,  ehe  icli  eine 
erforderliclie  Anzahl  sicher  habe,  urn  mit  den  Wochen- 
blattern  anfangen  zu  konnen,  Unterdessen  habe  ich  eine 
kleine  Piece  von  2  Bogen  nun  von  Hrn.  Birnstiel  setzen 
lassen,  kann  aber  kein  gates  Papier  fast  in  alien  Papier- 
Handlungen  von  hiibschen  Ansehn  und  zuni  Notendruck 
auftreiben. 

Sollten  der  Herr  Decker  so  viel  mir  ablassen  konnen, 
als  ich  zu  1000  Stuck  brauche,  welches  2000  Bogen  be- 
tragt,  so  wurde  ich  es  Ihnen  zeitlebens  Dank  wissen,  ich 
schicke  Ihnen  6  Rthlr.  vor  der  Hand,  was  noch  nachzu- 
zahlen  ist,  will  ich  sogleich  auch  nachzahlen?  sobald  ich 
erfahre;  wie  viel  es  seyn  muss, 

In  den  Zeitungen  ist  es  zu  friih  angekundigt  worden, 
auch  ist  in  beiden  Zeitungen  statt  meines  Vornahmens 
DoL  oder  J.  in  D  falsch  geseztt?  da  ich  doch  nicht  am 
allerundeutlichsten  schreibe,  man  weiss  also  nicht ?  ob  das 
D.  David,  Diedrich  etc.  bedeuten  soil. 

Kirnberger. 
den  12.  April  83. 


—    325    — 


Chronologisch  geordnetes  Verzeichniss 

sammtlicher  Compositionen  Eniamiel  Bach's. 


A.   Aus  Leipzig. 

1731.  1.  2.    2  Clavier-Soli,  B-dur  %  (im  musik.  Allerlei 

gedruckt)   -and  F-dur  %,    beide  neu  bear- 
beitet  1744. 

3.  Menuett    mit    iibersehlagenden    Handen    (ge- 

stochen). 

4.  Trio  fur  Clavier  imd  Violine,  D-dur  s/±?   er- 

neuert  1746. 

5.  Desgl.  far  Clavier  und  Violoncell,  D-moll  s/4> 

erneuert  1746. 

6.  Desgl.  fur  Flote,  Violine  und  Bass,  H-moll  2/4? 

erneuert  1749. 

7.  Desgl.    fur    dieselben  Instrumente,    G-dur  4/4? 

erneuert  1747. 

8.  9. 10.  3  Trii  far  dieselben  Instrumente,  F-dur  -/4, 

A-dur  */4  ^^d  A-moll  2A?  erneuert  1746  und 
1747. 

11.  Solo  fur  die  Oboe,  G-moll  */* 

12.  Desgl.  fur  die  Flote,  G-dur  4/4- 

1732.  13.  14.  15.    3  Clavier- Soli,  A-moll  V4?  0-dur  4/47 

D-moll  4A,  alle  erneuert  1747. 

1733.  16.    Suite,  E-racll  4A,  erneuert  1747. 

17.   Concert  fur  Clavier  mit  Quartett-Begleitung, 
A-moll  4/4?  erneuert  1744. 


—    326    — 

1734     18.   Desgl.  Es-dur  %. 

1735.  19—24.    6  Sonatinen,  F-dur  4/4,  G-dur  4/4,  A-moll  %, 

E-rnoll  V4,D-dur  %  Es-dur  2/4,  erneuert  1744. 

B.   In  Frankfurt  a.  0. 

25.  Menuett   von  Locatelli    rait  Veranderungen, 

G-dur  3/4. 

26.  27.  2  Trii  fiir  Flote,  Violine  und  Bass,  A-moll  % 

und  G-dur  3/4;  das  erste  erneuert  1747. 
28"."  Solo  fur  die  Flote?  G-dur  3/4- 
29.    Clavier-Solo,  E-moll  %  erneuert  1743. 

1736.  30.  31.   2  Clavier-Soli,  G-dur  2/4  und  Es-dur  2/4? 

erneuert  1744. 

1737.  32.  33,   2   desgl.    C-dur    */4    und   B-dur    4/4,    er- 

neuert 1745. 

34.  Clavier-Concert  mit  Quartett-Begl. ,  G-dur  4/4? 

erneuert  1745. 

35.  Solo  fur  die  Flote,  G-dur  */*. 

1738.  36.   Clavier-Solo,  A-dur  %  erneuert  1743, 

C.   In  Berlin. 

37.  Clavier-Concert  rait  Quartett-Begl.,  G-dur  %. 

38.  39.   2  Floten-Soli,  B-dur  %  und  D-dur  3/4. 

1739.  40.    Sonate  fur  Clavier,  gedr.  in  der  1.  Sammlung 

der  musikal.  Nebenstunden. 

41.  Clavier-Solo?  B-dur  2/±. 

42.  Clavier -Concert  mit  Quartett,  C-moll  2/4,   er- 

neuert 1762. 

43.  Solo  fur  die  Flote,  G-dur  4/4- 

1740.  44.    Clavier-Solo,   gedr.    in    den  Marpurg'schen 

Clavierstiicken?  3.  Sammlung. 
45.   Clavier-Solo,  G-dur  2/4, 
46—51.    6  Sonaten;  Friedrich  II.  gewidmet 

52.  Concert  far  2  Claviere  mit  Begleitung,  F-dur  % 

53.  54.  2  desgl,  fur  Clavier  mit  Quartett,  G-moll  8/4 

und  A-dur  *- 


—    327    — 

55.  56.    2   Soli    fur    die   Flote,    A-molI   ^/8    mid 

D-dur  */* 
57.    Solo  for  Vioioncell,  erneuert  1769. 

1741.  58.    Clavier-Concert  mit  Quartett,  A-dur  2/*« 
59.    Sinfonie  fitr  Quartett,  G-dur  Vi* 

1742.  60.  61.  62.  No.  1,  2  und  4  der  WUrtembergischen 

Sonaten. 

63.  64.    2  Clavier-Concerte  rait  Quartett,  G-dur  4/4 
und  B-dur  2/4. 

1743.  65.    Clavier-Solo,  H-moll  3/4  (Teplitz). 

66.  67.  No.  3  und  5  der  Wurtembergischen  Sonaten. 
68.    Clavier-Concert  mit  Quartett,  D-dur  */4- 

1744.  69.    Clavier-Solo,  D-dur  34. 

70.  No.  6  der  Wurtembergischen  Sonaten. 

71.  72.   2  Sonaten,  E-dur  V*  und  D-moU  %  gedr. 

in  den  Oeuvres  melees. 

73.  Desgl.  C-dur  ^/s,    gedruckt  in  der  collection 

r4cr  Native. 

74.  Desgl.  im  musik.  Allerlei.    Stuck  38. 

75.  Sonate   4    der   2.   Fortsetzung    der   Reprisen- 

Sonaten. 

76.  Clavier-Concert  mit  Quartett,  E-dur  s/4- 

77.  78.    2  desgl.  F-dur  4A  und  D-dur  %. 

1745.  79.    Clavier-Solo,  G-dur  2/^ 

80.  Clavier-Sinfonie,  E-moll  3/'4. 

81.  Menuett  mit  Veranderungen,  C-dur  3/4- 
82_85.  4  Clavier-Concerte  mit  Quartett,  E-moll  s>4? 

G-dur  %,  D-moll  4/4,  D-dur  */4- 

86.  Trio  fur  Flote  (oder  Clavier)  mit  Violine  und 

Bass,  C-dur  4/4. 

87.  'Solo  fur  die  FIote?  C-dur  4/4, 

88.  Solo  fur  die  Viola  da  gamba,  C-dur  4/4- 

1746.  89—92.  4  Clavier-Soli,  C-dur  4/4?  G-moli  4/4,  F-dur  V*? 

F-dur  6/s. 

93.  94.   2  Clavier-Concerte  mit  Quartett,  A-dur  V* 
•and  C-dur  V* 


95.  Solo  fur  die  Viola  da  gamba,  D-dur  %. 

96.  Desgl.  fur  die  Flote,  B-dur  3/8- 
1747.     97.    Clavier-Solo,  B-dur  % 

98.  Arioso  mit  Veranderungen,  F-dur  2/4. 

99.  Sonate  far  Clavier  mit  2  Tastaturen,  D-moll  % 

100.  Clavier-Solo,  F-dur  %. 

101.  Sonate    1    der   2.   Fortsetzung    der   Reprisen- 

Sonaten. 
102. 103,  2  Clavier-Coneerte  mit  Begleitung,  A-moll  % 

und  D-moll  4/4,  das  erste  erneuert  1772. 
104  105.  2  Trii  ftir  Flote,  Violine  und  Bass,  Gr-dur  3/4 

und  D-dur  2/4- 
106. 107.  2  desgl.  fur  2  Violinen  und  Bass?  F-dur  % 

und  E-moll  %. 

108.  Solo  fiir  die  Fldte,  D-dur  3A- 

109.  Desgl.  ohne  Bass  (gedruckt). 

1748.  110.  111.   2  Clavier-Soli,  G-dur  %  und  D-moll  % 

112,  1  desgi,  gedr.  in  Wewer's  Tonstiicken. 

113.  114.   2  Clavier- Concerte  mit  BegL,  D-moll  % 

und  E-moll  2/4. 

115.  Trio  fur  Flute,  Violine  und  Bass  (gedruckt). 

116.  Duo  fiir  Flote  und  Violine,  gedr.  im  musik. 

Vielerlei. 

1749.  117.    Clavier-Solo,  gedruckt  in  den  Oeuvres  melees, 

F-dur  Vi- 
118.  119.   2  desgl.  D-moll  %  und  A-moll  % 

120.  Clavier-Solo,  gedr.  im  musik.  Mancherlei. 

121.  Clavier -Concert  mit  Quartett,  B-dur  %  (ge- 

druckt). 

122.  Magnificat  ftir  4  Singstimmen   und  Orchester. 

123.  Trio  fur  2  Floten  und  Bass,  E-dur  3/4- 

124.  Desgl.  fiir  2  Violinen  und  Bass  (gedruckt). 

1750.  125.   Allegretto  mit  Veranderungen,  C-dur  2/4,  ge- 

druckt im  musik.  Allerlei. 
126.   Clavier-Solo,  Or-dur  2/4?  gedruckt  ebendort. 


—    329    -- 

127.  Senate    6    der    1.   Fortsetzung    der   Reprisen- 

Sonaten. 

128.  129.    2   Clavier -Concerte  mit  Begl.,  D-dur  % 

und  A-moll  3/2- 

1751.  130.    Suite,  gedr.  im  rnusik.  Allerlei. 
131.    Clavier-Concert,  B-dur  4/4. 

1752.  132.    Clavier-Solo,  gedr.  in  Marpurg's  raccolta. 

133.  Desgl.  G-moll  % 

134.  Lied  mit  Veranderungen ,  F-dur  6/s?  gedr.  im 

musik.  Allerlei  und  VielerleL 

135.  Duo  fur  2  Violinen?  D-moll  3/4- 

1753.  136.  137.  138.    3  Clavier -Concerte  mit  Begleitung, 

A-dur  4/4,  H-moll  4/4,  C-moll  %. 
139.    Versuch  iiber  die  wahre  Art  das  Klavier  zu 

spielen.     Th.  I. 

140 — 145.    6  Sonaten  als  Beispiele  dazu. 
146.    Grosse  Fantasie  C-moll,  gleichfalls  dazu. 

1754.  147.    Clavier-Solo,  gedr.  im  musik.  Mancherlei. 
148.    Desgl.  Es-dur  %. 

149 — 152.  4  petites  pieces  (la  Gause,  la  Pott,  la 
Borchwardt,  la  Bohmer). 

153.  Clavier-Concert  mit  Begleitung,  G-moll  %• 

154.  Trio  fiir  2  Violinen  und  Bass,  G-dur  3/4- 

155.  Desgl.  fiir  2  Violinen  und  Bass,  A-moll  4/4- 

156.  Desgl.  fur  Clavier  und  Violine,  C-dur  V*. 

157.  Desgl.  fur  2  Violinen  und  Bass,   gedruckt  irn 

musik.  Mancherlei. 

1755.  158—163.  6  Fugen  fur  Clavier,  D-moll  %,  F-dur  %, 

A-dur  4/47  G-moll  %  Es-dur  Allabr.,  C-moll  4/4. 

164 — 173.  10  petites  pieces  (la  Philippine,  la  Ga- 
briel, la  Caroline,  la  Prince tte,  TAly?  la 
Gleim,  la  Stahl?  la  Bergius,  la  Buchholz, 
la  Herrmann). 

174.  175.  Allegretto  u.  Allegro  fiir  Clavier,  C-dur  4/4 
und  D-dur  4/£. 

176.  177.   2  Sonaten  fiir  die  OrgeL 


—    330    — 

178.  Clavier-Solo,  E-dur  3/4. 

179.  180.   181.    3    Soli   fur   die   Orgel,    B-dur    % 

D-dur  \  A-moll  3/4. 

182.  Clavier-Concert  mit  Quartett,  F-dur  % 

183.  Concert  mit  Quartett  fiir  die  Orgel,  G-dur  4/4. 

184.  Trio  fur  Bassflote,  Viola  und  Bass;  F-dur  3/4. 

185.  Desgi.  fur  Flote?  Violine  und  Bass,  G-dur  3/4. 

186.  187.  188.    3    Orchester-Sinfonien,    D-dur  \ 

G-dur  \  F-dur  4/4. 

1756.  189.    Clavier-Solo,  E-moll  2/4. 

190 — 195.  6  petites  pieces  (la  eaprieieuse,  la  com- 
plaisante,  les  langeurs  tendres,  la  journaliere, 
1'irresolue,  la  Louise). 

196.  Andantino  fur  Clavier,  D-rnoU  2/4. 

197.  Clavier-Solo,  gedr.  in  Marpurg's  2.  raccolta. 

198.  Praludium  fiir  die  Orgel,  2  Claviere  u.  Pedal, 

D-dur  4/4. 

199.  Trio  fur  2  Violinen  und  Bass,    gedruekt  im 

musik.  Mancherlei. 

200.  Sinfonie  E-moll  4/4  (gedruekt). 

201.  Ostermusik,  ??Gott  hat  den  Herrn",  4  Sing- 

stiminen,  Orchester. 

1757.  202.  203.   2  Clavier- Soli,  gedruekt  in  den  Oeuvres 

metees,  E-dur  4/4  und  B-dur  4/4. 

204.  Desgl.  C-moll  4/4. 

205.  206.  207.   3  desgl.  im  musik.  Mancherlei. 
208—212.  5  petites  pieces  (la  Xenophon,  la  Sibylle, 

la  Sofie,  FErnestine,  TAnguste). 

213.  Orchester-Sinfonie,  C-moll  s;2. 

214.  Gellert7s  geistliche  Oden. 

1758.  215.    Clavier-Solo?  H-moll  44?  gedr.  in  der  collection 

recreative. 

216.  Solo  fur  die  Orgel,  B-dur  4/4  (gedruekt }. 

217.  218.   2  Clavier-Soli,  gedruekt  in  den  Oeuvres 

m!le"es  (Zerbst). 
219.    Sonate  5  der  Eeprisen-Sonaten  (Zl 


—    331    — 

220.  221.    Senate  3  und  4  der  1.  Fortsetzung  der- 
selben  (Zerbst), 

222.  Senate  6  der  2.  Fortsetzung. 

223.  Senate  2  der  1.  Sammlung  fur  Kenner   und 

Liebhaber. 

224.  Sinfonie  fur  Clavier,  P-dur  44,  gedruckt  in  den 

Clavierstiicken  verscMedener  Art. 

225.  Desgl  gedr.  im  musik.  Vielerlei,  G-dur  4/4. 
226—237.    12  kleine  Stucke  zu  2  und  3  Stiinnieri, 

gedruckt  in  Tasehenformat. 
238.    Orchester-Sinfbnie,  G-dur  ^. 

1759.  239-243.    Senate  1,  2,  3,  4  und  6  der  Reprisen- 

Sonaten. 

244.  Clavier-Solo,  A-moll  ^. 

245.  Senate   5   der    1.   Fortsetzung    der   Reprisen- 

Sonaten. 

246.  Senate  2  der  2.  Fortsetzung  desgl. 
247_252.   3  Fantasien  und  3  Selfeggien?  gedruckt 

in  den  Clavierstiicken  verschiedener  Art. 

253.  Concert  for  die  Orgel   oder  Clavier  mit  Be- 

gleitungj  Es-dur  44. 

254.  Trio  fur  Clavier  u.  Viola  da  gamba.  B-dur?  24. 

1760.  255.    Clavier-Solo,  B-dur  4;4. 

256.  257.    Senate  1  und  2  der  1.  Fortsetzung  der 

Reprisen-Sonaten. 
258.  259.  260.    Allegro.    Polonaise.     Veranderimgen 

auf  eine  italienische  Arie,  C-dur  2;4. 
261.    Versuche   eines   einfachen   Gesanges   fur  den 

Hexameter. 

1761.  262.    Sonate   3   der   2.   Fortsetzung   der   Reprisen- 

Sonaten. 

263.  Der  2.  Theil  des  Versucks  liber  die  wahre  Art? 

das  Clavier  zu  spielen. 

264.  Oden  mit  Melodien. 

1762.  265.    Somate   5   der   2.   Fortsetzung   der  Beprisen- 

Sonateru 


—    332    — 

266.  267.  Senate  1  u.  5  der  leichten  Clavier-Sonaten. 

268—279.   3  Oden,  6  Menuetten;  3  Polonaisen  (zum 

Thell  in  die  Jalire  1763,  1764  u.  1765  fallend). 

280.  281.  2Clavier-ConcertemitBegleitung?B-dur4/4j 

C-moll  % 
282 — 286.   5  Sonatinen  fur  Clavier  und  Orchester, 

D-dur  3/4,  D-dur  6/8?  G-dur  \  G-dur  %, 

F-dur  3/4. 

287.  Solo  fur  die  Harfe,  G-dur  3/4. 

288.  Orchester-Sinfonie,  F-dur  \. 

1763.  289.    Sonate  6  der  3.  Sammlung   fur   Kenner   und 

Liebhaber. 
290,    Clavier-Solo,  D-inolI  4/4,  gedr.  in  den  Clavier- 

stiicken  verschiedener  Art. 
291—295.    5  desgl.  E-moll  %  D-dur  44;  C-dur  4/4? 

A-dur  44,  B-dur  % 

296.   Clavier-Concert  mit  Begleitung,  F-dur  4/4. 
297—300.  4  Trii  far  Clavier  u.  Yioline.  H-moII  4/4? 

B-dur  3/4j  Es-dur  4/4,  F-dur  4/4. 
301—305.   5  Sonatinen  fur  Clavier  und  Orchester. 

B-dur  3/4,  E-dur  Allabr.,  C-dur  2/4;  D-dur  8/4? 

C-dur  «/8. 

1764.  306—309.   Sonate  2,  3,  4  u.  6  der  leichten  Clavier- 

Sonaten. 
310.  311.     2  Sonatinen  fur  Clavier  und  Orchester. 

F-dur  %  Es-dur  4/4. 
312.    12  Geistliche  Oden  als  Anhang  zu  den  Gellert'- 

schen  Liedern. 

1765.  313.    Clavier -Concert,  gedr.  in  den  Clavierstiicken 

verschiedener  Art. 
314—322.   9  Satze  fur  Clavier,  gedr.  in  der  1.  Sainm- 

hmg  der  kurzen  und  leichten  Clavierstiicke. 
323.  324.   Sonate   4  und  6   der  1.  Sammlung   fur 

Kenner  und  Liebhaber. 
325.  326.  327.    Sonate  2,  3  und  5  der  Sonaten  fur 

Damen. 


—    333    — 

328.  Senate  2  der  4.  Samml.  fiir  Kenner  u.  Liebhaber. 

329.  330.    2  Clavier-Soli,  Es-dur  4/4?  A-dur  4/4. 

331.  Fantasie  fur  Clavier,  D-xnoll  4/4. 

332.  333.  2  Clavier-Concerto  mit  Begleitung,  B-dur  4/4, 

Es-dur  44  (auch  fiir  die  Oboe  gesetzt). 

334.  Der  1.  Theil  der  4stimm.  Chorale  Seb.  Bach's. 

335.  Trainings -Cantate,    mit    gewohnlichen   Instru- 

menten  (auch  mit  1766  u.  1767  bezeichnet). 

336.  Phillis  und  Tirsis,  Gantate. 

1766.  337.  338.  339.    3  Claviersatze,  gedr.  in  den  kurzen 

und  leichten  Clavierstiicken. 

340.  12  Variationen  auf  eine  franzosische  Romanze. 

G-dur  4/4. 

341.  342.   343.    2  Clavier  -  Soli ,    B-dur  */4,    B-dur 

AUabr.  u.  E-dur  3/2. 

344_347.    Sonate  1,  2?  4  und  6  der  Sonaten  fiir 
Damen. 

348.  Clavier-Solo,  gedruckt  bei  Breitkopf. 

349.  Desgl.  gedruckt  im  musikalischen  Vielerlei. 
350—361.   3  Pantasien?  3  Solfeggien,  3  Menuetten 

und  3  Polonaisen,  gedr.  im  musikalischen 
Vielerlei. 

362.  Sonate  4  der  3.  Sammlung  fiir   Kenner   und 

Liebhaber. 

363.  Trio  fiir  Clavier  und  Violine,  C-dur  2/4. 

364.  Der  Wirth  und  die  Gaste.    Trinklied. 

1767.  365—376.    12  Satze  fiir  Clavier,  2,  Sammlung  der 

kurzen  und  leichten  Clavierstiicke. 
Hinzu  treten,  ohne  nahere  Zeitbestimmung,  der 
Berliner  Periode  angehorig: 

377.  Choral  -  Melodien  ?    zu    Liedern    des    Grafen 

Stolberg. 

378.  379.   2  abwechselnd  stark  besetzte  Menuetten, 

gedruckt  im  musik.  Mancherlei. 
380.   Verschiedene  Exempel  und  Canons   zu  Mar- 
purg's  Abhandlung  von  der  Fuge, 


—    334    — 

381.  Sonate,  abgedr,  im  rausik.  Allerlei. 

382.  Duo  im  Contrapunkt,  A-moll  %. 

333 — 387,  5  verschiedene  kleine  Clavierstiicke,  gedr, 

in  Marpurg's  raccolta  I. 
388.    Sinfonie  mit  dem  Furs  ten  Lobkowitz,  einen 

Takt  urn  den  andern  aus  dem  Stegreif. 

D.   In  Hamburg. 

1768.  389.   Passionsmusik  nach  Matth&us. 

1769.  390.    Senate   niit   veranderten   Reprisen,    F-dur  2/4? 

gedr.  ira  musik.  Vielerlei. 

391.    Clavier-Concert  mit  Begleitung,  Es-dur  4/4. 
392—403.    12  kleine  Stiicke  mit  2  xiud  3  Stiniinen? 

gedr.  in  Taschenformat. 

404.  Die  Israeliten  in  der  Wiiste. 

405.  JELerrn  Pastor  Palm's  Einfiihrungsmusik. 

406.  Geburtstags-Cantate  mit  Orchester. 

407.  Pfingst-Cantate:  Herr  lass  mich  thun?   zurn 

Theil  von  Homilius,  mit  Orchester. 

408.  Passionsmusik  naeh  Marcus. 

1770.  409.    Concerto  fur  Clavier,  F-dur  % 

410.  Clavier-Concert  mit  Begleitung,  F-dur  \. 

411.  Cbor:    Spiega  Hammonia    fortunata  (auf 

Verlangen  der  Stadt  zu  Ehren  des  Kron- 
prinzen  von  Schweden). 

412.  Die  Passions-Cantate. 

413.  Der  Fruhling,  eine  Tenor-Cantate.  Aus  ISTo.  261. 

1771.  41^-419.    6  Clavier-Concerte  mit  Begleitung?  F-dur, 

D-dui-y  Es-dur,  C-moll?  Gr-dur?  Cdur?  sammtl. 
gedruckt. 

420.  Musik  am  1.  Ostersonntage. 

421.  Hrn.  Pastor  Klefecker's  Einfiihrungsmusik. 

422.  J?Chor:  MeinHeiland?  meineZuversicht.^ 

423.  Hrn.  Pastor  Schumacher's  Einfiihrungsmusik. 

424.  Passionsmusik  naeh  Johannes. 

1772.   425.   Sonate  5  der  1.  Samml.  fur  Kenner  u,  Liebhaber. 


—    335    — 

426.  Michaelisnmsik.    ,,Ich  will  den  Nam  en  des 

Herrn." 

427.  Hrn.  Pastor  Haseler's  Einfiihrungsmusik. 

428.  Passionsmusik  nach  Matthaus. 

1773.  429.    Senate  1   der   1.  Samrnlung   fiir  Kenner   uiid 

Liebbaber. 

430—435.  6  Orchester-Sinfonien,  G-dur  447  G-rnoll  % 
C-dur  8/4,  A-dur  4/4?  H-moll  *k,  D-dur  4/4. 

436.  Hrn.  Rector  M tiller's  und  Conrector   Sche- 
t  e  1  i  g '  s  Einf  iihr  ungsmusik. 

437.  Hrn.  Pastor  Winkler's  Einfuhrungsrnusik. 

438.  Hrn.  Pastor  von  Dohren's  desgi 

439.  Cramer's  Psalmen  (erst  1774  beendet). 

440.  Passionsmusik  nach  Marcus. 

1774.  441.    Sonate  1  der  3.  Sainml.  fiir  Kenner  u.  Liebhaber. 

442.  Sonate  2  der  2,  Samnil.  desgl. 

443.  fSonate  3  der  1.  SamniL  desgl. 

444.  Chor:  ??Wer  ist  so  wiirdig  wie  dn." 

445.  Cantate:  J?Der  Gerechte  ob  er  gleich/'  am 

16.  Sonntag  nach  Trinitatis,  zum  Theil  Ton 
J.  Chr.  Bach  aus  Eisenack 

446.  Musik  zum  Michaelisfeste. 

447.  Passionsmusik  nach  Lucas. 

1775.  448.    Clavier-Solo,  C-dur  3/4. 

449 — 454.    6  leichte  Clavierstiicke. 

455 — 457.    3  Sonaten  der  1.  Sammlung  ftir  Clavier? 

Violine  und  Cello?  gedruckt. 
458—463.    6  kleine  Sonaten  ftir  2  Horner,  2  Floten, 

2  Clarinetten  und  Fagott?  D^dur  2/4?  F-dur  3/4? 

G-dur  s/4?  Es-dur  3/4?  A-dur  «/8,  C-dur  %. 

464.  Hrn.  Pastor  Miclielsen's  Einfuhrungsmusik. 

465.  Hrn.  Pastor  Fried erici's  desgl. 

466.  Hrn.  Dr.  Hoeck's  Jubelmusik. 

467.  Hrn.  Syndicus  Klefecker's  desgl. 

468.  Michaelismusik:  ??Siehe?  ich  bewahre  deine 

Befehle." 


—    336    — 

469.  Weihnachtsmusik:  ,,Auf,  schicke  dich." 

470.  Psalm  auf  Dona.  10  post  trin.:    ,,Lass  mich 

nicht  deinen  Zorn  empfmden." 

471.  Passionsmusik  nach  Johannes. 

1776.  472 — 475.    4  Orchester-Sinfonien,  gedruckt. 

476.  Selma,  eine  Discant-Cantate,  mit  Floten  und 
Quartett. 

477 — 482.  6  Sonates  for  the  Harpsichord  or  Piano, 
gedruckt,  B-dur  *4,  G-dur  2/4,  A-dur  3/4, 
Es-dur  */4,  E-moll  44,  D-dur  4/4. 

483.   Passionsmusik  nach  Matthaus. 

1777.  484.  485.   Sonate   2  und  3    der   2.    Sammlung    fur 

Kenner  und  Liebhaber. 

486.    Chor:  7?Zeige  du  mir  deine  Wege." 
487 — 490.   4  Sonaten  ftir  Clavier,  Violine  u.  Cello, 

2.  Sanimlung,  gedruckt. 

491.  Hrn.  Pastor  Gerlin's  Einfuhrungsrnusik. 

492.  Die  Auferstehung  und  Himmelfahrt  Jesu. 

493.  Passionsmusik  nach  Marcus. 

1778.  494.   Folies  d'Espagne.    12  Variationen,  D-moll  3/4. 
495 — 497.    l.?  2.  u.  3.  Rondo  der  2.  Sammlung  fur 

Kenner  und  Liebhaber. 
498.  499.  500.    3  Clavier -Concerte  mit  Begleitung, 

G-dur  34,  D-dur  44  u.  Es-dur  4/4. 
501—506.    6  Sonaten  fur  Clavier,  Violine  u.  Cello, 
gedruckt. 

507.  ,,Heilig",  Doppelchor. 

508.  Ostermusik;  ,,Jauchzet,  Prohlocket!" 

509.  Hrn.  Pastor  Sturm's  Einflihrungsmusik. 

510.  Passionsmusik  nach  Lucas. 

511.  Rondo  3  der  3.  Samml.  fur  Kenner  u.  Liebhaber. 

512.  Rondo  1  der  5.  Samml.  desgl. 

513.  Rondo  3  "der  4.  Samml.  desgl. 

514.  Musik  am  18.  Dom.  post  trinit. 

515.  Passionsmusik  nach  Johannes, 


—    337    — 

1780.  516.  517.   Senate  2  u.  3  der  2.  Samml.  fur  Kenner 

und  Liebhaber. 

518.  Rondo  2  der  3.  Saminlung  desgl. 

519.  520.     Oratorium  und  Serenate   zur  Feier   des 

Ehrenmals  des  Herrn  Burger-Capitains.   Mit 
Militair-Instrumenten. 

521.  Chor:  ,,Gott,  den  ich  lobe,  dess  ich  bin." 

522.  Misericordias  Domini. 

523.  Hrn.  Pastor  Rambach's  Einfuhrungsmusik. 

524.  Sturm's  Geistliche  Gesange,  2  Theile,  beendet 

1784. 

525.  Passionsmusik  nach  Matthaus. 

1781.  526.    Abschied  von  meinem  Si Ibermann7 schen  Cla- 

vier in  einein  Rondo,  E-moll  24. 

527.  Rondo  2  der  4.  Samml.  fur  Kenner  u.  Liebhaber. 

528.  Sonate  1  der  4.  Samml.  desgl. 

529.  Canzonette   der   Herzogin   YOB    Gotha  mit 

Veranderungen,  F-dur  2/4. 

530.  Trio  fiir  Clavier  und  Violine,  A-dur  4/4. 

531.  Musik  zum  Osterfest. 

532.  Desgl.  zum  Michaelisfest. 

533.  Passionsmusik  naeh  Marcus. 

1782.  534.  Fantasie  1  der  5.  Samml.  fiir  Kenner  u.Liebhaber. 
535.  536.   Fantasie  1  u.  2  der  4.  Samml,  desgl. 

537.  Rondo  1  der  4.  Samml,  desgl. 

538.  Musik  amjL  Osterfeiertage. 

539.  Desgl.  am  1.  Weihnachtstage. 

540.  Hrn.  Pastor  Janisch  Einfiihrungsmusik. 

541.  Passionsmusik  nach  Lucas. 

1783.  542.  Sonate  fur's  Bogenclavier,  G-dur  4/4. 

543.  Kl o p s t o  ck}s Morgengesang  am  Schopfungstage. 

544.  545.     Oratorium  und  Serenate  zur  Feier   des 

Ehrenmals  des  Herrn  fiurger-Capitains,  mit 
Hilitair-Instrumenten. 

546.  Chor:  ??Amen?  Lob>  Preis  und  SUrke." 

547,  Chor:  ?7Leite  mich  nach  deinem  Willen." 

Bitter,  Emaimel  mid  Friedemami  Baelu  IL  2S  t 


—    338    — 

548.  Chor:  ?3Meine  Lebenszeit  verstreicht." 

549.  Chor:  ,,Heinen  Leib  wird  manbegraben." 

550.  Hrn.  Pastor  Lutken's  Einftihrungsmusik. 

551.  Passionsmusik  nach  Johannes. 

1784.    552.    Fantasie  1  der 5.  Samnal.  fur Kenner  u.  Liebhaber. 
553.  554.    Senate  1  u.  2  der  5.  Saminl.  desgl. 

555.  Rondo  2  desgl. 

556.  Ostermusik:  ,,Anbetung  und  Erbarmen." 

557.  Musik  zurn  Weihnachtstage. 

558.  Passionsmusik  nacli  Matthaus. 

1785  559.  560.    Sonate  1  u,  2  der  6.  Sauiinl.  fiir  Kenner 

und  Liebhaber. 

561.  Dankhymne  der  Freundschaft.     Ein  Geburts- 

tagsstiick  init  Orchester. 

562.  Hrn.  Pastor  S chaffer's  Einfuhrungsmusik. 

563.  Hrn.  Pastor  Gasie's  desgl. 

564.  llichaelismusik:    7?Der    Frevler    mag    die 

Wahrheit." 

565.  Auf  die  Wiederkehr  des  Hrn.  Dr. aus 

dem  Bade.    Mit  Quartettbegleitung. 

566.  Arie:  7,F(irsten  sind  ani  Lebensziele." 

567.  Passionsmusik  nach  Marcus. 

1786  5G8.    Rondo  1  der  6.  jSamml.  fiir  Kenner  u.  Liebhaber. 
569.  570.   2  Clavier-Soli,  gedr.  bei  Schwiekert. 

571.  desgl.  C-moil  2/4. 

572.  Desgl.  mit  einem  Eondo?  Gr-dur  %. 

573.  574.   Fantasie  1  und  2  der  6.  Sammlung  fur 

Kenner  und  Liebhaber. 

575.  Rondo  2  desgl. 

576.  Solo  fur  die  Flote,  G-dur  %. 

577.  578.   2  Litaneien  fiir  2  Chore. 

579.  Musik  am  1.  Weihnaehtstage. 

580.  Auf  Maria  Heimsuchung:  „ Heine  Seele  er- 

hebt  den  Herrn  (znm  Theil  von  Hoff- 
mann). 

581.  Musik  am  1.  Ostertage. 


—    339    — 

582.  Musik  Dom.  10  post,  trinit. 

583.  DesgL  Doni.  12  post,  trinit. 

584.  DesgL    am  Dankfest  wege*n   Beendigung   des 

Michaelis-Thurmbau's. 

585.  Hrn.  Pastor  Cropp's  Einfuhrung^musik. 

586.  Hrn.  Pastor  Mailer's  desgl. 

587.  Trauerfausik  bei  Beerdigung  des  Biirgermeisters 

Schulte. 

588.  Passionsmusik  naek  St.  Lucas. 

1787.  589.    Clavier-Fantasle,  Fis-moll  4/4. 

590.  DesgL  init  Violine. 

591.  Neue  Melodien  zu  einigen  Liedern  des  Ham- 

burger Gresangbuchs. 

592.  Musik  am  1.  Ostersonntage. 

593.  Hrn.  Pastor  Berckhahn's  Eiufiihruiigsmusik. 

594.  Hrn.  Pastor  Wilier  ding's  desgl. 

595.  Passionsiausik  nach  Johannes. 

1788.  596.  597.  598.    3  Quartetten  iur  Clavier,  Flote,  Vio- 

line und  Bass?  C-dur  2/i?  D-dar  %,  G-dur  4/4. 

599.  Clavier-Concert  niit  Begleitung?  Ua-dur  4/4. 

600.  Neue  Liedermelodien  nebst  1  Cautate. 

601.  Passionsmusik  nach  Matthaus. 

602.  Hrn.  Pastor  Runge's  Einfuhnmgsniusik. 

603.  Hrn.  Pastor  S tocher's  desgl. 

Fcrner  gehoren  der  Hamburger  Periocle  oline 
specielle  Zeitbestimmung  an: 

604.  Eine  Prediger-Eiufuhrungsinusik  ohne  Narnen. 

605.  Jubelinusik  auf  den  (Jreburtstag  der  Madame 

Stresow. 

606.  Der  8.  April.   Besimgen  im  Bach'schen  Hause, 

eine  Geburtstags-Cantate. 

607.  Musik  am  3.  Pfingsttage. 

608.  Eine  andere  Kirchenmusik  ohne  Bezeichnung. 
— 614.    Sonaline  nuove  zur  3.  Ausgabe  des  Ver- 

suchs  tiber  die  wahre  Art  des  Clavierspiels. 


—    340    — 

615.  Menuett,  die  vor-  und  riickwarts  gespielt  werden 

kann,  gedruckt  im  musik.  Vielerlei. 

616.  Clavieretuck  for  die   rechte  und  linke  Hand, 

gedr.  ebendort. 

617.  Variationen  zur  4.  Sonate  des  2.  Theils  der  Trii. 

618.  ,?Sanctus."    Mit  Orchester. 

619.  7?Heilig";  fur  1  Chor  desgl. 

620.  7?Veni  sancte  spiritus",  desgl. 

621.  Motette:  ,,Veni".  2  Sopr.?  Bass,  Fundament 

622.  Desgl.    ??Gedanke?  der  uns  Leben  giebt." 

3  Singst,  Fundam. 

623.  DesgL  ?;0ft  klagt  dein  Herz",  desgl. 

624.  Desgl.  ,,0-ott,  deine  Gate  reicht  so  weit", 

4  Singst,  Fundam. 

625.  Desgl.  ,;Dich  bet  ich  an";  3  Singst.,  Fundam. 

626.  Der  4.  Psalm:  ,,Wenn  icn  zu  dir  in  deinen 

Aengsten",  fur  Discant?  Alt  u.  Fundam. 

627.  Der  2.  Psalm;   77Warum  versammeln  sich 

und  draun",  fiir  4  Singst.7  Fundam. 

628.  Antiphonia  fiir  4  Singst. 

629.  12  Freimaurer-Lieder. 

630.  ,,Amen",  fur  4  Singst. 

631.  Motette:    ,,Wirf  dein  Anliegen  auf  den 

Herrn",   von  einem  Anonymo,   aber  ganz 
umgearbeitet?  4  Singst. 

632.  Einleitung  zu  Seb.  Bach's  ?>Credo". 

633.  Chor:  7?Erforsche  mi  eh,  erfahrea7  4stimm. 

Orch  ester. 

634.  DesgL  ;?Wenn  der  Erde  Griinde  beben^ 

desgl. 

635.  Desgl.  ,,0ft  klagt  dein  Herz",  desgl. 
636—641.    6  kleine  Sonaten  fur  Clavier,   1  B-Clari- 

nette  und  1  Fagott. 
642—647.  6  Marsche  fiir  2  Horner,  2  Clarinetten, 

2  Oboen?  1  Fagott. 
648.  649.  2  kleine  Stiicke  fur  dieselben  Instrumente, 


.-    841     — 

650.    1  Orchesterstuck  mit  3  Trompeten  und  Pauken, 

ohne  nahere  Bezeichnung. 
Hierzu  treten   endlich  noch  an  Stficken,    flir 

welche  jede  nahere  Zeitbestimmung  fehlt: 
651 — 654.    4  kleine  Duetten  fur  2  Claviere. 
655 — 660.    6  Menuetten  far  Blaseinstrumente,  2  Vio- 

linen  und  Bass  mit  abwechselnden  Trio's. 
661.  662.  Zwei  abwechselnd  stark  besetzte  Menuetten 

mit  3  Tromp^  Pauken?  2  Hornem,  2  Oboen, 

2  Floten  und  Streichinstr. 
663.  664.  Zwei  abwechselnd  stark  besetzte  Menuetten  ? 

gedruckt  im  musik.  Mancherlei. 
665.  668.    2  Marsche  far  2  H5rner,  2  Oboen  u.  Bass. 
667—672.    6  Polonaisen  fur  Blaseinstrum.  2  Violinen 

und  Bass. 

673.  Duo  for  2  Clarinetten,  C-dur  4/4. 

674.  Solo  fur  die  Flote  mit  Bass,  G-dur  4/4. 

675.  Arie:  J7Anior,  per  te  languisco." 

676.  677,  678.    3   Tenor- Arien,    in  jungen  Jahren 

verfertigt: 

a)  Edle  Freiheit?  Gottergltick, 

b)  Himmelstochter,  Rub'  der  Seelen, 

c)  Reiche  bis  zum  Wolkensitze. 

679.  Trio  fur  Violine,   Viola  und  Bass,   mit  Seb. 

Bach  gemeinschaftlich. 

680,  Cantata    auf  Bom.    10.    post   trinit.:    ??Herr, 

deine  Augen    sehen  nach   dem   Giau- 
ben^7  gemeinscbaftlich.  mit  Seb.  Bach. 
Ausserdem  hat  Em.  Bach  noch  gesetzt: 

a)  verschiedene  Stiicke  £iir  Floten -Uhr en ;  Harfen- 
Uhren  und  Dreh-Orgeln  und  fiir  besondere  In- 
„       strumente,  namlich: 

fur  Flote  und  Harfe  deren  .       3 
fiir  2  Floten    ......       5 

fur  die  Dreh-Orgel       .     .     .       2 
fur  die  Harfen-Uhr      ...       6 

IF 


—    342    — 

b)  Miscellanea  inusica,  bestehend  in  Uebungen  fur 
den  General-Bass. 

c)  Chorale,    theils   mit   Instrumenten ,    theils    zum 
Clavier  und  niit  ausgesetzten  Mittelstimraen. 

d)  Eine  grosse  Anzahl  (angebl.  95)  Lieder,   gedr. 
durch  Weber,  Donatus,  in  den  Grafe'schen, 
Krause'schen,  Lange'schen,  Breitkopfschen 
u.  Miinter'dchen  Lieder-  u.  Oden-Sammlungen,  in 
den  Clavierstiicken  verschiedener  Art;  den  Unter" 
haltnngen,  Musen-Almanaclien;  im  musik.  Allerlei 
und  Vielerlei,  der  Polyhymnia  etc. 

Ein  iin  Besitz  des  Hrn.  Fetis  zii  Brussel  befindlicher; 
wie  es  scheint  von  Westphal  in  Scliweriu  zusammenge- 

stellter,   zieinlich  vollstandiger  theroaiischer  Katalog  ent- 
halt  folgende  nahere  Angaben: 

1.    Instrumental-Soli. 

Soli  far  die  Flote 12 

Soli  fur  die  Oboe 1 

Soli  fur  die  Viola  da  gamba ....  2 

Soli  far  Violoncell 1 

Soli  far  Harfe 1 

Duetten  fur  Flote  und  Violine    ...  1 

Duetten  for  2  Violinen 1 

Duetten  fur  2  Clarinetten 1 

20 

2.   Trios. 

Fur  Flote,  Violine  und  Bass  ....  11 
Fur  2  Violinen  und  Bass  .....  7 
Fur  verscHedene  Instrumente  ...  4 

22 

3.    Concerte. 
Fiir  die  Oboe  (aucn  fur  Clavier)    .     .      2 

Fur  die  Flote 4    * 

Fur  Violoncell  .........      3 


—    343    — 

Transp.     51 

4.  Sinfonien 18 

5.  Vermiselitc  Stticke  fur  Biasinstru- 
mente,     fur    Floten    und    Harfen- 
Uhren  etc. 

Pur  Flote  und  Harfe    ......  3 

Fur  2  Floten 5 

Fur  die  Dreh-Orgel 2 

Fiir  die  Harfomihr 6 

Menuetten 8 

Polonaisen 6 

abwechselnde  Menuetten    .....  4 

34 

6.  Claviersachen. 

Menuett  rait  iiberschlagenden  Handen       1 

Menuetten 23 

Polonaisen 21 

Duetten  fur  Clavier 4 

Solfeggien 9 

Fugen 1 

Marsche 2 

Petites  pieces 24 

~       85 

7.  Sinfonien  fur  Clavier  eingerichtet  9 

8.  Sonaten: 

a)  gedruckte,  einscaliesslieli  der  Sona- 
tinen,  Eondos,  Fantasien  etc.     .     .  142 

b)  ungedruckte 53 

195 

9.  Trii  fur  Clavier 59 

10.  Quartetten 3 

11.  Sonatinen    (darunter   3?    die  nur  als 
Varianten  zu  betrachten  sind)  ....  15 

12.  Concerte &2 

521 


—    344    — 

Die  Gesangsstucke  dieses  Eatalogs  stimmen  im  Wesent- 
lichen  init  den  Angaben  der  vorhergehenden  Zusammen- 
stellung  iiberein,  Nur  eine  ?,Trauennusik"  bei  Beer- 
digung  des  Burgermeisters  Schulte  am  10.  Januar  1786 
koinmt  in  dem  Nachlass-Katalog  nicht  vor. 
Unter  den  Instruraentalstucken  sind 

1  Solo  fur  die  Viola  da  gamba,  Andante,  G-dur  4/4? 
1  Duo  fur  2  Clarinetteiij  Adagio  e  sostenuto,  C-dur  % 
in  den  friiheren  Katalog-Angaben  nicht  aufgezeichnet. 


345 


Actenstiicke, 

den  Buckeburger  Bach  betr. 

1.     Acta?  Rep.  I.     Bedienungen. 
in  specie. 

Das  dein  Concertmeister  Bach  zu  selnem  Salario 
noch  zugelegte  Brennholz  und  Kostgeld  und  verlangten 
Vorschuss  auf  sein  Salarium  betr. 
1757. 


(eigenhandig). 

Den  Gammer -Musico  Bach  sind  annoch  zu  seinem 
bissherigen  Deputat  4  Klafter  Brennholtz  in  Gnaden 
zugelegt. 

Bkbrg.  den  19.  Febr.  1757. 

Wilhelm. 
ad  cameram. 


2.  An 

den  Concert-Meister  Bach. 

Demnach  Sr.  Erlaucht  imser  Gnadigster  Herr  sub 
dato  Rom  Lunesso  2.  July  1764  gnadigst  befohlen 
haben,  dass  dem  Concert-Meister  Bach  eine  jahrl.  Zu- 
lage  von  60  Thaler  qua  Taffel-Gelder  und  anstatt  der 
bisher  erhaltenen  10  Klaffter  von  gesagtem  dato  an 
funfzehn  Klaffter  Brennholz  in.  Gnaden  ausgeleget  wer- 
den  sollen;  so  wird  sothane  Gnadigste  Resolution  ge- 
meldeten  CJoncert-Meister  Hemit  bekannt  gemacht^  ge- 


-    346    - 

stalten  dem  derselbe  der  TaffelGelder  Zahlung  halber 
bey  der  Kiichstube  nnd  des  Holzcs  wegen  bey  dent 
Hofffourier,  dahin  bereits  Verfugungen  ergaugon  sind? 
sich  zu  melden. 

Buckeburg,  den  7.  July  1764. 


3.  Es   haben  Sr.  Durchl.  U.  Gn.  E.  Herr  gnadigst 

befohlen?  dass  vor  diesesmal  extra  consequential!!  uber 
das  vorhin  gnadigst  ausgeworffne  Deputat  an  den 
Ooncert-Meister  Bach  fiinf  Klaffter  Brennholz  frey  zu 
verabfolgen.  Nachdem  nun  der  Ausfolgung  und  An- 
fuhr  halber  Verfugung  ergangen^  so  wird  solches  nach- 
richtlich  hieinit  imverhalten, 

Buckeburg  den  20.  April  1767. 

An 
den  Concert- Meister  Bach. 


4.  An  die  Gammer  Cassa. 

Es  haben  Sr.  Durchlaucht  Unser  gnadigst  Regie- 
render  Landes  Herr  Grnadigst  bofohlen,  dass  von 
Michael  a.  c.  an  dem  Ooncert-Meister  Bach  en  an  Gage 
sechszehn  Thaler  zugelegt  seyn  sollen,  welche  also  die 
Gammer  Gassa  gegen  Quittung  quartaliter  zti  zahlen  u. 
mit  den  Besoldungen  zu  verrechnen  hat. 

Bekb.  den  16.  Sept.  1768. 
Ad  Mandatum  Serenissimi  Eegentis  speciale. 


—    347    — 
5.  (eigenhandig). 

Durcblauehtigster  Herr 
Gnadigst  Regierender  Landes  Herr, 

Ew.  Durchl.  werden  Sich  noch  gnadigst  zu  eriimern 
geruhen,  dass  vor  einigen  Jahren  das  mir  huldreichst 
zugeteilte  lioltz  bis  auf  12  Kiafftern  eingeschrankt 
worden.  Ich  habe  dabei  die  Unbequeinlichkeit,  dass 
ich  nur  einen  Ofcn  liitzen  kann?  u.  meinc  Arbeiten  In 
dein  nemlichen  Ziramer,  wo  meine  gantze  Familie  ver- 
sainmelt  ist;  verrichten  muss.  E\v.  Durchl.  werden 
aber  sclbst  guiidigst  zu  beurtlieilcn  gerulien,  da^s  die 
Composition  der  Music  bey  dem  G-erausch  verschiedener 
Gegenstilnde  nicht  den  gewiiuschten  JBrfoIg  baben 
kanu,  u.  dahero  ergeliet  an  Ew.  Durchlaucht  meine 
nntertbanigste  Bittc,  Hocbst  diesclben  wollen  inir  die 
3  abgekiirzten  Klaftern  Holtz  wieder  zuzulegen,  die 
hohe  Gnade  haben.  Ich  ersterbe  in  tiefster  Ehrfurcht 

Ew,  Durchl. 

Meines  Gnadigst  Regierenden  Landes  Herrn 
treu  unterthanigster  Knecht 

Johann  Christoph  Friedrich  Bach. 

Suppl.  den  26.  April 
1771. 


(eigenhandig). 

es  sind  ttnserm  Concert -Meister  Bach  jahrlich  drey 
Klaffter  Brennholtz  zu  desselben  jetzigen  Holtz-De- 
putat  zugeleget. 

Wilhelm. 

Bburg  den  30.  April  1771. 
ad  Cameram. 


-    348    — 


6,  Durcblauchtigster  Heir, 

Gnadigst  regierender  Landes-Herr! 

Ew,  Durcblaucbt  geruhen  gnadigst,  sich  unter- 
tbanigst  vortragen  zu  lassen,  wie  meine  zeitliche  Um- 
stande,  durch  die  jungst  gescbehene  Verheirathung 
ineiner  Tochter  um  ein  grosses  derangirt  geworden, 
u.  zu  deren  "Wiederherstellung  ich  gesonnen  bin,  etwas 
yon  mftinen  Corapositionen  in  Druck  zu  geben.  Da 
aber  zu  Ausfdhrung  dieses  Vornehmens  eine  ansehn- 
liche  Summe  baaren  Geides  zum  Vorschuss  erfordert 
wird  und  mein  yierteljahrliches  Salarium  dazu  nicht 
hinreicht;  so  habe  meine  unterthanigste  Zuflucht  zu 
der  langst  bekaianten  hohen  Gnade  Ew.  Durehl.  neh- 
men  wollen  mit  untertanigstef  Bitte3  mir  diese  Ostern 
100  Rthlr.  iiber  inein  Salarium  gnadigst  vorscbiessen 
zu  lassen?  ich  lasse  mir  untertanig  gefallen,  dass  mir, 
zu  Wieder  Erstattung  dieser  Summe  von  kiinfftigen 
Jobanni  an?  yierteljahrlich  25  Rtbl.  von  meinem  Salario 
abgezogen  werden.  In  gewissester  Hoffnung  gnadigster 
Erhorung  meiner  untertanigen  Bitte  ersterbe  mit  der 
tiefsten  Devotion 

Ew,  Durchlaucht 

treu  untertanigster  Knecht 
(gez.)  J.  E.  F.  Bacb. 

Suppl.  d.  29,  Mart  1777. 


349  - 


Ein  Brief  des  Londoner  Back 

Mon  Cher 

D'abord  apres  le  diner  je  Vous  conseille  de  Vous  en 
aller  a  Wiesenfeld  et  d'y  defenser  Votre  renomm^e,  qu' 
Einert  cherche  a  obfusquer,  disant  a  tout  le  monde,  que 
Vous  aviez  retenu  chez  Vouz  le  present  que  son  ami  de 
Groettingue  lui  avoit  envoi6  par  Vous  m§me.  La  lettre; 
que  Vous  lui  avez  port6  doit  signifier?  <pe  celui?  qui  Fa 
6crit;  y  avoit  joint  un  pr&ent,  qu'  Einert  n'avoit  point 
re9U.  Vous  le  saurez  le  mieux;  je  n'en  crois  rien;  mais 
je  Vous  prie  de  me  tirer  de  Fineertitude  et  de  me  con- 
vaincre,  que  Vous  §tes  digne  d'etre  estim6  * 

de  Votre  affectionne 
A,  H.  Ch.  B. 


--    350 


Aetenstiicke? 

Willielm  Friedemann  Bach  betr. 

1.         A  Son  Excellence 
Monsieur  Schroter; 
Conseiller  des  Apellations 
de  S.  A.  Royalle  Monseigneur 
rElecteur  de  Saxe  et  Syndic 
de  le  Magistrat  de  la  Residence 
a 

Dresde  '). 

,HoehEdelgebohrner?  Vest  und 
Hochgelattrter  Herr  Apellations 

Rath; 
Hochgeneigtester  Gonner. 

Sollte  wohl  die  allzugrosse  Kulinheit,  vernioge  welcher 
icli  mich  nnterfange  gegenwartiges  an  Ew.  Excellence  ab- 
gehen  zu  lassen,  zu  pardoniren  sein?  Massen  ja  nur  zu- 
riickdenken  sollen?  mit  -wie  yiel  Verrichtungen  Ew.  Hoch- 
Edelgeb.  Excellence  uberhauffet^  und  cs  also  fast  unver- 
antwortlicli  schiene,  Ew.  Excellence  davon  abzuziehen: 
Jedoch  isollte  meynen ,  dass  insonderheit  vor  Olienten, 
worunter  ieh  nicht  der  Letzte;  der  Zugang  zii  Ew.  Hoch- 
Edelgeb.  Excellence  sich  iederzeit  geoffnet  fande.  Es  kan 


i)  Acta  des  Stadtraths  zu  Dresden,  die  Besetzung  des  Organisten- 
dienstes  an  der  Sophien-Kirche  betr.  1733—1842.  Sect  in.  Cap.  VII, 
No.  67.  Fol.  11. 


—    351    — 

nembl.  Eu.  HochEdelgeb.  Exellence  nicht  unbekannt  seyn, 
wassmassen  der  Herr  Pezold,  gewesener  Organist  bey 
der  Sophienkirche  das  Zeitliehe  mit  dem  Ewigen  ver- 
wechselfc  und  also  dessen  Station  verrauthlich  noch  vacant. 
Weile  dann  bey  Eu.  HochedeL  und  Hochweisen  Rath  als 
einern  Cornpetenten  durch  ein  Memorial  mich  unterthanig 
gemeldet;  Als  ergehet  an  Eu.  Excellence  mein  gleich- 
niassiges  Bitten  ?  dass  dieselben  gnadig  geruhen  wollen, 
dero  holies  Patrosinium  meiner  Wenigkeit  gnadig  ange- 
deyen  zu  lassen.  Wenn  dann  an  gnadiger  Aufnahme  dieses 
nieines  unterthanigen  Petiti  nicht  zweifle,  um  so  mehr 
werde  bemiihet  seyn?  Zeit  Lebens  mich  zu  bezeigeu  als 

Eu.  Hochedelgeb.  Exellence 

unterthanig  gehorsamer 
Leipzig,  den.  7.  JunI  Knecht 

1733.  Wilhelm  Friedemann  Bach. 


2.  Dresden,  den  20.  Juni  1733 l}. 

Weilen  auf  bevorstehenden  22ten  hujus? 
wegen  Absterben  des  Organisten  Hrn. 
Pezolds,  Organ ntenprobe  in  der  St. 
Sophienkirche  geschehen  solle:  So  propo- 
nirte 

Consul  regens 

Hr.  BurckhardLeberechtBehricht 
ob  bey  solcher  Probe  der  Herr  Oberhof- 
prediger  Dr.  Merberger  zuzuziehen  sey? 
ohnerachtet  solches  vorhero  nicht  ge- 
schehen. Und  ist  hierauf  yom  Collegio 
Senato  folgendergestallt  yotiret  worden: 


i)  Die  folgenden  Actenstiieke  sind  aus  den  vorbezeielmeten  Aeten, 
Foi  13  und  14  entnommen. 


—    352    —  . 

Der  Proconsul  Stetiger.  ist  pro  affir- 
mation, dass  der  Hr.  Oberhofprediger  da- 
bey  zuzuziehen  sey. 

Vogler.  Desgleiclien.  sub  praetextu, 
weil  Er  einen  Candidaten  recommandiret? 
solchen  rnitzuhoren. 

M.  Senatores  Zopfe.     Desgl. 

Schlezig.    Desgl. 

Sommer.  Beharret  auf  der  observanz, 
und  da  solches  noch  niemahlen  geschehen, 
trfige  Er  Bedenken,  davon  abzugehen. 

Klette?  wie  Herr  Sommer,  zumahlen 
derselbe  nicht  conforinirt  wiirde. 

Jiinger.     Wie  Hr.  Brgrrn.  Vogler. 

Strauch.    Desgl. 

Stetiger  jim.     Desgl. 

Hr.  Lippold.  Desgleidh.  und  confor- 
miret  sich  der  Consul  regens  denen  majo- 
ribus.  So  nachriclitl.  registriret. 

Christian  Weinlitib. 

der        Hat   Collegium  Senatus    entschlossen; 
e8^-11  to  nur  bloss  dem  Hrn-  Oberhofprediger  Nach- 


Herr  Oberhofprediger,  fioht  Zii  geben,  dass  dessen  recommandir- 

noch  der  Herr  Superin-  .     . 

der  Observanz  ter  Candidat  zur  Probe  admittiret  werden 


wann  solche  geschehen  werde,  zu  geden- 
ken;  noch  demselben  dalieim  zu  insinuiren* 
So  nachrichtlich  reg. 

Christian  Weinlich. 


—    353    — 


3.       d.  23.  Juni  1733. 

Bey  der  abgeiegten  Nachdem   gestrigen   Tages  die  Probe 

Orgel  -  Probe    ost     auf  TT           ni               OIPP.I                   T 

requisition  des   Raths  von  H™*  Bachen,    Schaffrathen   und 

zugezog^n  gewesen  der  Stoyen  in  der  St.  Sophienkirche  gespielt 

Churfiirstl.  Vice  Capell-  J                                        *                                      , 

Monsieur  Pan-  worden,   So  ist  Hr.  Oberhorprediger  da- 


bey  nicht  erscliienen.  Inmassen  demselben 

tind    hat    selbiger    vor         «/ 

anderm   des  jungeren  auch?  well  er  sich  krank  befindet,  keine 

Bachs  G-eschicklichkeit    ,T      ,     .   ,  ,     .,  ,  ,  , 

mit  dem  Zu-  Nachnclit  ertheilt  worden,  und  man  also 


bey  der  vorigen  Observanz  geblieben.  So 

SCompetentenderbeste  .  • 

sey.  nachriclitlich  reg. 

Christian  Weinlich.  Seer. 
y.          r.          w. 

4.       den  23.  Jun.  1733. 

Wurde  deliberiret,  wer  von  denen  auf 
die  Probe  gestellten  3  Competenten  zum 
Organisten  in  der  Sofienkirche  zu  er- 
wehlen. 

Dom.  Consul  Stetiger,  Bach  sey  nach 
aller  Musicorum  Ausspruch  und  Judieio 
der  beste  und  geschickteste  und  habe  er 
sich  auch  gestern  bey  der  Probe  am  besten 
exhibiret,  dahero  er  ihm  sein  Votum  gebe. 

Dom.  Consul  Vogler. 

Dr.  Jacobi. 

Dr.  Schlezlg. 

-  Sommer. 

-  Klette. 

-  Jiinger. 
Strauch. 
Boheim. 
Stetiger. 
Wagner. 
Lippold. 

sign.  Dr.  Consul  Regens  Behrlgt 

Bitter,  Emanoel  tmd  Piiedemann  B&eb.  IL  ^ 


—    354    — 

Sind  allerseits  gleicher  Meynung  und  geben 
B  a  ch  e  n  wegen  seiner  Geschiekliclikeit 
ihr  Votum;  Aetuin  in  Consessu  Senatus. 

D.  Schroter. 


E  e  g, 

5.  Dressden,  den  11.  Juli  1733. 

Anhero  ist  zu  bemerken.  gewesen,  dass 
der  Herr  Senator  und  Carnmerer  So  miner 
als  Inspector  der  Sophienkirche  sich  nebst 
Endesbenamten  Actuario  und  dein  Organisten 
Herr  Wilhelm  Friedeinann  Bachen  an- 
hero  in  gedachte  fciophienkirche  yerfuget? 
und  sind  diesem  folgende  Schliisseln: 

Em  Scbliissel  zur  KirchhoffThiire, 

Ein  Sehlussel  zur  KirchThiire; 

Ein  Schliissel  zum  Chor? 

Zwey  dergleichen  zum  OrgelGehause, 

Ein  Schliissel  zum  Clavier, 

Ein  Schltissel  zur  BalgenCammer,  uud 

Ein  dergleiehen  zum  Schrank 

ausgeantwortet  und  iibergeben  worden,  die 
er  auch  in  Empfang  genommen; 
So  anhero  registriret,  uts. 

Jolian  Nicolaus  Herold. 
A.  Amer. 


—    355    — 


R  e  g  i  s  t  r, 

6.  Dressden,  den  1.  August  1733. 

Heute  diesen  Nachmittag  begab  sich 
Herr  Christian  Sonimer,    des   Baths  wie   auch 
Camraerer  und  Inspector  der  Sophienkirche 
nebst  mir  und 

Herr  Wilhelm  FriedemannBachen,  Organisten 
bey  nur  gedachter  Kirche  personlich  anhero 
in  dieselbe  und  iibergabe  dieseni  die  nur 
vor  wenig  Jahren  neu  erbaute  Orgel  mit 
mit  denen  dazu  gehorigen  Schltisseln, 

1.  Einen  Schliissel  zur  Kirchhofthiirej  und 

2.  Einen  dergleicben  zu  der  ersten  KirchenThiire,  welehe 

beyde   derselbe   zu  gebrauchen   hat;    wenn   er  die 
Orgel  stininien  will. 

3.  Einen  kleineren  zur  TreppenThiir  zum  Ohor?  und  der 

auch  die  InstrumentenKaninier  schliesset? 

4.  Einen  Schliissel  zuni  Orgel-Chor, 

5.  Einen  zum  Orgel-Glavier  oder  Manuall, 

6.  u.  7.  Zwey  zur  Orgel  und  Werke  selbst? 

8.  Einen  Schliissel  zur  BlilgeCammer  und 

9.  Einen  Schliissel  zu  eineni  kleinen  Schranke  in  der  In- 

strumenten-0aninier7 

mit  der  Bedeutnng,  dass  gedachter  Herr 
Organists  Bach  nicht  nur  die  Orgel  wohl 
in  acht  nehmen  und  keinen  Schaden  daran 
verursachen,  auch  nicht  verhangen  solle? 
dass  von  anderen  dergl.  dem  Werke  zuge- 
fiigt  werde. 

Und  weilen  ihn  die  Schliissel  zur  Kirch- 
hoffthiii-e  wie  auch  zur  Kirehe  selbst  an- 
vertrauet  worden?  dass  er  beyde  Thiiren 
wohl  zuschliessen,  und  sich  darbey  so  in 


—    356    — 

acht  nehmen  sollte,  dass  Niemand  darinnen 
verschlossen  werde,  oder  die  Thiiren  ganz 
offen  bleiben  mochten,  welchein  alien  nach- 
zukommen  mehr  erwehnter  Herr  Bach  ver- 
sprochen,  zugleich  aber  auch  erinneret;  dass 
das  Werk  gar  sehr  verstimmtt  ware,  und 
eine  HauptStinmiung  brauchte,  indem  ein 
paar  Register  darunter,  welche  er  zur  Zeit 
nicht  einmal  gebrauchen  konnte.  So  man 
anhero  notiret  uts. 

gez.    Johann  Nicolaus  Herold, 

A.  Anier, 
Wilhelm  Friedemann  Bach1). 


7.  Hoch  und  WohlEdle?  Veste,  Hoch  und 

Gross.  Aclitbare?  Hoch  n.  Eechts.  Wohl- 
gelahrte,  auch  Hoch  u.  WohlWeise 
Hochgeehrteste  Herrn  und  Patroni, 

Ich bin  verbunden,  Deroselben  gehorsamst  zu  melden? 
dass  meine  Verbesserung  ausserhalb  Dresden  gefunden7  u. 
denn  anderweit  yerlangten  Dienst  zu  Pfingsten  anzutreten 
niich  anheischig  gernachet.  Nachdeni  nun  Ew.  Hoch  u. 
WohlEdel  nieinen  zeitherigen  Dienst;  vor  meinem  Abtritt 
wieder  zu  ersezen  sich  resolviren  mochten;  So  unterstehe 
mich  sogleich?  ein  anderes  Subjectum  in  Vorschlag  zu 
bringen.  Es  ist  ein  Studiosus  aus  Leipzig,  Hr.  Altnicol? 
welcher  bey  meinem  Vater  das  Clavier  und  zugleich  die 
Composition  gelernt.  Wenn  nun  dieselben  auf  ihn  gtitigst 
zu  reflectiren  und  eine  Probe  spielen  zu  lassen  belieben 
wollten ;  So  zweifle  ich  nicht?  er  werde  seine  Geschicklich- 
keit  auf  der  Orgel  dergestalt  zeigen,  dass  Deroselben 
ineine  Recommandation  nicht  ganzlich  niissfallen  werde. 
Hiernachst  habe  zu  Ew.  Hoch  u.  WohlEdl.  auch  Hoch  u. 


Aus  den  voibezeichneten  Acten  FoL  17.  18. 


-  357   - 

Wohlgeb.  Herrn  das  zuvcrsichtl.  Vertrauen,  Sie  vrerden 
rnir  so  lange,  als  den  ietzigen  Dienst  vcrsehe,  und  biss  211 
Ende  dieses  Quartals  die  davon  abhangende  Emoluinente 
u.  Besoldung  zu  reichen,  hochgtitigst  geruhen,  gestalt  ich 
denn,  wenn  auch  ein  paar  Sonntage  nach  ineinem  Ab- 
zuge  versauinen  miisste?  cine  solche  Person  zu  bestellen 
schuldig  bin?  welche  die  Orgel  inmittelst  versehen  kann. 
In  dessen  danke  ich  gehorsamst  vor  die  mir  zeithero  erzeigte 
Propension  und  WoUgewogenheit,  wunsche,  der  Aller- 
hochste  wolle  Dero  Regiment  niit  alien  Seegen  begnadigen, 
auch  Ihre  Hochgeehrteste  Personen  und  "Werthesten  Fa- 
millien  mit  langen  Leben  beglucken?  ich  aber  empfehle 
mich  zu  fernern  Wohlwollen?  und  verharre  in  schuldigster 
Devotion 

Ew.  Hoch  und  WohlEdL  auch 
Hoch  und  Wohlw.  Herrn 

Dresden  gehorsamster 

am  16.  April  Wilhehn  Friedemann  Bach? 

1746.  Organist  zu  St.  Sophie1). 


i)  Aus  den  vorbemerkten  Raths-Acten  Fol.  19.  20, 


—    358    — 


Actenstticke, 

Friedemann  Bach  in  Halle  betr. 

9.  Wir  Endes  Unterzeichnete  Kirchen-Vorsteher  und  Acht- 
manner  zullnserer  LiebenFrauen  allhier  vor  Uns  undUnsere 
Nachkomnien  im  Kirclien  Collegio  uhrkunden  hierdurcli 
und  bekennen,  dass  wlr  dena  WohlEhrenVesten  und  Wohl- 
gelahrten  Hern  Wilhelm  Friedemann  Baehen?  wohl- 
bestalten  Organisten  bey  der  St.  Catharinen  Kirche  in 
Dressden  Krafft  dieses  zuin  Organisten  dergestallt  bestellet 
und  angenommen  haben,  dass  Er  unss  und  Unsere  Kirche 
treu  und  dienstgewartlg  sey?  eines  tugendliaften  und  exem- 
plarisehen  Lebens  sich  befleissige,  zuvorderst  bei  der  un- 
geanderten  Augspurgischen  Confession  der  Formula  Con- 
cordia  und  anderen  synabolischen  Grlaubens  Bekanntnissen 
bis  an  sein  Ende  bestandig  veriharre,  nebst  andachtigen 
Gehor  gottlichen  Wortes  sich  zu  dieser  Kirchen  Altar 
fleissig  halte,  und  dadurch  sein  Glaubensbekanntniss  und 
Christenthuni  der  gantzen  Gemeine  bezeuge.  Hiernechst 
so  viel  seine  ordentliche  Amts-Verrichtung  concerniret, 
lieget  ihm  ob: 

1)  alle  hohe  und  andere  einfallende  Feyer  oder  Fest 
Tage  und  deren  Vigilien  auch  aller  Sonntage  und 
Sonnabends  nachmittage?  ingleichen  bey  denen 
ordentlichen  Oatechismus:Predigten  und  bey  offent- 
lichen  Copulationen ,  die  grosse  Orgel,  zur  Befor- 
derung  des  GottesDienstes  nach  sein  em  besten  Fleiss 
und  Verrnogen  zu  schlagen,  jedoch  dergestalt  dass 
zuweilen  auch  die  kleine  Orgel?  zumahl  an  hohen 
Festen  bey  der  Choral  und  Figural  Musique  ge- 
spielet  werde. 


—    359    — 

2)  Wie  er  denn  2.,  ordinarie  bey  hohen  und  anderen 
Festen,  ingleichen  iiber  den  dritten  Sonntag  nebst 
dem  Cantore  und   Chor-Schlilern  auch   Stadt:Mu- 
sicis  und  anderen  Instrunientisten  eine  bewegliche 
und  wohlklingend  gesetzte  andachtige  Musique  zu 
exhibiren,   extraordinarie  aber   die    zwey    letztern 
hohen  Feiertage  nebst  dero.  Cantore  und  Sehiilern7 
auch    zuweilen    rait  einlgen  Violinen    und    andere 
Instrumenten  kurze  Figural  tit  tick  e   zu    niii>ieiren 
und  alles  dergestalt  zu  dirigiren  hat?  dass  dadurch 
die  eingepfarrte  Gemeinde  zur  Andacht  und  Liebe 

.zuni  Gehor  gottiiches  Wortes  desto  mehr  erinuutert 
und  angefrisclit  werde. 

3)  Vornehrnlich  aber  hat  er  3.?  iiothig  die  zur  Musique 
erwehlten  Textus  und  Cantiones  dem   Herrn  Ober 
Pastori  Unserer  Kirche  Tit.  Consistorial  Rath  und 
Inspector!,    Johann    George    Frank  en  zu    des.sen 
approbation  in  Zeiten  zu  coniniuniciren?  gestalt  er 
deswegen  an   den  Herrn  Consistorial -Eath  hierinit 
gewiesen  wird. 

4)  Ferner  wird  er   4.,   sich    befleissigen,    powolil   die 
ordentlichen,  als  auch  von  denen  Herrn  Ministeria- 
libus    vorgeschriebenen    Choral   Gesaiige  vor    und 
naeh  denen  Sonn  und  Fest  Tages  Predigtcn,  anch 
unter   der    Communion 7  item   zur   Vesper  und  Vi- 
gilien  Zeit  langsam  ohne  sonderbares  coloriren  in  it 
vier  und  fiinf  Stimmen  und  den  Principal  anclachtig 
einzuschlagen  und  rait  jedem  Versicul  die  andere 
Stimmen  jedesmahl  abzuwechseln,  auch  zur  quinta- 
den  und  Schnarr  Werke,  das  Gedacke,  wie  anch 
die   Syncopationes    und   Bindungen    dergestalt    zu 
adhibiren,    dass    die    eingepfarrte    Gemeiude    die 
Orgel  zum  Fundamente  einer  guten  harmonie  und 
gleichetimmigen  Thones  setzen?  darinneB  andaclitig 
singen  und  den   AUerhochsten  danken  und  loben 
moge. 


—    360    — 

0 

5)  Wobei  Ihnen  5.,  zugleich  das  grosse  und  kleine 
Orgel :  Werk  nebst  dem  Regal  und  andere  zur 
Kirch  e  gehorige  in  einem  Ihnen  auszustellenden 
Inventario  specificirte  Instrumenta  hierdurch  an- 
vertraut  und  anbefohlen  werden,  dass  Er  fleissige 
Obacht  habe  damit  die  erstere  an  Balgen;  Stim- 
men  und  Registern  auch  alien  andern  Zubehorun- 
gen  in  guten  Stande  auch  rein  gestimmt  und  ohne 
Dissonanz  erhalten  und  da  etwas  wandelbar  oder 
mangelhaft  wiirde,  solches  alsobald  dem  Vorsteher 
oder  wenn  es  von  Wichtigkeit  dem  Kirchen -Col- 
legio  zur  reparatur  und  Verhutung  grosseren  Scha- 
dens  angezeiget  werde.  Das  aus  unsern  Kirchen 
Aerario  angeschaffete  Regal  aber  und  ubrige  mu- 
sikalische  Instrumente  sollen  allein  zum  Gottes: 
Dienst  in  unserer  Kirche  gebrauchet,  keineswegs 
aber  in  andern  Kirchen  vielweniger  zu  Grastereyen 
ohne  unsere  Einwilligung  verliehen?  'auch  da  etwas 
davon  verlohren  oder  durch  Verwahrlosung  zer- 
brochen  wiirde?  der  Schade  von  Ihnen  ersetzet 
werden. 

Vor  solche  seine  Bemiihungen  sollen  Ihnen  aus  den. 
Kirchen  :Einkunfften  Einhundert  und  Vierzig  Thaler  Be- 
soldung?  ingleichen  Vier  und  Zwanzig  Thaler  zur  Woh- 
nung  und  Siebzehn  Thaler  12  gr.  zu  Holtz  alljahrlich  ge- 
zahlet^«aueh  vor  die  Composition  der  Catechismus  Musique 
jedesmahl  1  Thlr.  und  von  jeglicher  Brautmesse  1  Thlr. 
gegeben  werden.  Wogegen  er  verspricht;  Zeit  wahrender 
dieser  Bestallung  keine  Neben  Bestallung  anzunehmen, 
sondern  die  Dienste  allein  an  dieser  Kirche  fleissig  zu  ver- 
sehen,  jedoch  bleibet  Ihnen  so  wie  ohne  deren  Versaumung 
geschehen  kann  frey;  durch  information  oder  sonsteB  acci- 
dentia  zu  suchen. 

Zu  dessen  Uhrkund  haben  wir  diese  Bestallung  in 
duplo  unter  dem  grossern  Kirchen  Secret  ausfertigen  lassen? 
eigenhandig  nebst  dem  Herrn  Organisten  beyde  exemplaria 


-  361  - 

nnterschrieben,  eines  davon  Ilmen  ausgestellet,  und  das 
andere  ist  bey  der  Kirchen  zur  Nacbricht  behalten  worden. 

So  geschehen  Halle  den  16.  April  1746. 
(L.  S.) 

Schafer.  Wilhelm  Friedemann 

Becker.  BacL 

Moschel. 

Queinz 

Dr.  Fran  eke. 

J.  Stappenius. 

Hoffmann. 

Loeper. 

Krause. 

0.  Hippius, 


io.        Verzeichniss 

Derjenigen  musicalischen  Instrumenten,  welche  auf  dem 
Chor  der  Hauptkirche  zu  U.  L.  Frauen  allhier  yerwahrlich 
aufbehalten;  und  nuninehro  dem  neuen  Organisten  daselbst 
Herrn  Bach  soil  en  extradiret  und  eingehandigt  warden. 

L    Ein  paar  Pauken  nebst  Eloppeln. 

2.,  Drey  neue  Trompeten,  welche  an.  1743  anstatt 
der  gestohlencn  angeschafft  worden. 

3.  Bine  alte  Trompete,  und  noch  eine  altere. 

4.  Ein  Regal 

5.  Ein  alter  unbrauchbarer  Violon. 

6.  Drey  Zinken. 

7.  Drey  Posaunen. 

8.  Sechs  Violinen. 

9.  Zwey  Violen?  darunter  eine  unbrauchbar. 

10.  Zwey  Floten. 

11.  Ein  Schalineyen-Bass. 

So  geschehen?  Halle?  den  28.  July  an.  1746, 
Augustus  Becker,  Lie. 

Wilh.  Friedeinann  Bach. 


-    363    — 


11.     HochWohl  Geborne,  Hochedel  Geborne 
Hochgelehrte  Herrn? 

Insonders  Hochzuverehrende  Herrn 
Vornehme  Gonner. 

Ew.  HochWohl-  und  Hochedel-Geb.  babe  ich  hierdurch 
melden  wollen,  dass  ich  im  vorigen  sowohl  als  auch  diesem 
Jahre  bey  den  ausgesehriebenen  Contributionen  als  Burger 
betrachtet  wurde,  und  die  mir  in  dieser  Absicht  zuer- 
kannten  Gelder  bey  Strafe  militairischer  Execution  wiirklieh 
eiiegen  muste.  Da  ich  mich  nun  gegen  dergleichen  ver- 
driessliclie  Vorfalle  nicht  in  Sicherbeit  stellen  kann,  wofern 
Ew.  HochWohl-  und  Hochedelgeb.  nicht  desfalls  die  ge- 
horige  Verfugung  machen  (zumahl  ich  in  Ansehung  meiner 
Frau  einmahl  zugehorigen  Immobilium  ininier  leyden  muss 
und  dieserwegen  als  Burger  angesehen  werde),  so  ergehet 
an  Ew.  HochWohl-  und  Hochedelgeb.  hiermit  nieine  ge- 
horsamste  Bitte,  es  so  einzurichten  ?  dass  ich  in's  kiinftige 
bey  den  Contributionen  als  Kirchen-Bedienter  angesehen 
werde,  und  als  solcher  nicht  niehr  zu  conferiren  bra  ache. 

Ich  nehme  mir  zu  gleicher  Zeit  die  Freyheit,  Ew. 
HochWohl-  und  Hochedelgeb.  urn  Zulage  meines  Gehalts 
gehorsamst  zu  ersuchen. 

Schon  bey  dem  Antritt  meines  Amts  gab  mir  der  ver- 
storbene  Herr  Prasident  S chafer  im  Namen  eines  Wohl- 
loblichen  Kirchen  -  Collegii  die  Versicherung,  wenn  sich 
irgend  die  Kirchen-TJmstande  verbesserten,  darauf  bedacht 
zu  seyn.  Diese  mir  seit  15  Jahren  gegebene  Versicherung 
sammt  den  itzigen  sehr  schlechten  Zeiten  und  der  taglich 
zunehmenden  Theuerung  bewegen  mich  jetzt,  Ew.  Hoch 
Wohl-  und  Hochedel-Geb.  deshalb  gehorsamst  anzugehen, 


—    364   — 

In  Erwartung  einer  giinstigen  Antwort  habe  ich  die 
Ehre  zu  seyn 

HochWohlGeborne,  Hochedel  Greborne 

Hochgelahrte  Herrn, 
Insonders  Hochzuverehrende  Herrn 
Vornehme  Gonner. 

Halle,  den  20.  Octbr.  1761. 

Dero 
gehorsamster  Diener 

Wilhelm  Friedemann  Bach. 

Denen 

Hochwohl-  und  Hocbedelgebornen  Herrn, 
Hochansehnlichen  Acht  -  Mannern    eines 
Wohlloblichen  Kirclien-Oollegii  der  Kirche 
zu  U.  L.  Frauen, 


12.     HochWohl-  nnd  HochEdel  Geborne 

auch  Hochgeehrteste  Herrn  und  Oollegen. 

Da  mir  anvertraut  worden,  Hr.  Bach  als  Organisten 
auf  sein  beyliegendes  Suchen,  eine  Resolution  zu  fertigen? 
so  communicire  selbige  beygehend  zur  Eevision  bitte,  wenn 
nichts  zu  erinnern  Dero  vidit  beyzusetzen,  damit  solche 
nachhero  mundirt,  unterschrieben  und  Hrn.  Bachen  er- 
theilt  werden  konne. 

Ich  habe  die  Ehre  zu  seyn 

Ew.  HochWohlWohl-  und  Hochedelgeb. 

ergebenster 
0.  Hippius. 


—    365    — 

Resolution  fur  Hrn.  Organisten  Bach. 

Es  1st  bey  dem  Kirchen-Collegio  zu  Unserer  Lieben 
Frauen  verlesen  worden,  was  deren  Organist  Hr.  Wil lie  1m 
Friedeinann  Bach  wegen  reinedur  seines  Beytrages  zur 
feindlichen  Krieges-Brandt-Steuer-Contribution,    aucli  ver- 
langter  Zulage  seines  Gehaltes  bey  jetziger  Theuerung  vor- 
gestellet  und  gebethen?  worauf  demselben  hiermit  zur  Re- 
solution ertheilet  wird,  dass  wegen  den  Beytrags  zur  feind- 
lichen Krieges- Contribution,    von  Konigl.    immediat- Com- 
mission nach  dem  Principio  der  allgemeinen  Mitleydenheit? 
und  von  Jeden  Einwohnenden,    verlangten  Schutz  die  re- 
partitions-Anlage  gemachet  worden,  und  also  derselbe  von 
selbst  sich  zu  bescheiden  habe;  wie  Er  auch  ohne  Absicht 
des  ihm  anvertrauten  Organisten-Dienstes,  da  er  durch  er- 
forderlichen  Contributionen-Beytrag,    gleichen  Schutz    wie 
andere  Einwohnende  geniesset,    er  auch  weit  geringer  als 
der    schlechteste    Handwerker    angeleget    worden,    seinen 
Beitrag,  ohne  sich  an  Unser  Kirchen-Collegium  zu  wenden, 
vorhin    und    kunftig   bey  der  general-repartition    zu  thun 
schuldig  sein.     Anlangend  die  gesuchte  Zulage  seiner  Be- 
soldung  betreffend,    so  finden  wir  bey  dessen  ofters  unge- 
biihrlich  bezeigeten  Betragens,    und   seiner  Vergessenheit 
der  schuldigen  Subordination,  gegen  das  Kirchen-Collegium 
und  des  Herrn  Consistorial-Raths  Rambach'sHochwiirden, 
da  er?    der  Ihnen  einstmahlen  schon  in  pleno  Collegii  ge- 
gebenen  Weisung  ohngeachtet,    ohne  erhaltene  permission 
ofters  verreiset,  und  die  Ihnen  vom  Herrn  Consistorial-Rath 
Rambach   gegebene  Weisung,    zu  seiner  Besserung  sich 
nicht  nutzen  lassen,  gar  keine  Drsache,  aus  welchem  Beweg- 
grunde   bey  seiner  ihm   von  Anfang  erhohten  Besoldung, 
Ihnen  annoch  eine  Zulage  bewilliget  werden  sollte;  da  zu- 
mahlen.  die  Vermogens-Umstande  Unserer  Kirche  sich  seit 
seines  angetretenen  Dienstes  nicht  verbessert,  und  sein  un- 
gebuhrliches  Betragen  eine  Vergeltung  fur  ilm  zu  sucien, 
keine  Crelegenhelt  gegeben.     Es  wird  daher   auch  dieses 


—  366    — 

Punktes  halber  ihm  zur  resolution  ertheilt :  wie  sein  Suchen 
keine  statt  finde,  und  zugleich  derselbe  erinnert,  sicli  besser 
wie  zeithero,  der  seinem  Officio  obliegenden  Subordination 
gegen  das  Kirchen-Collegium  und  den  Herrn  Consistorial- 
R  am  bach  zu  befleissigen,  damit  wir  nicht  genothigt  werden, 
andere  Verfugungen  zu  treffen.  Wornach  derselbe  sich 
zu  achten. 

HaUe;  den  22.  Novbr.  1761. 

Vorsteher  und  Achtinanne  des  Kirchen-Collegii 
zu  U.  L.  Frauen  hieselbst: 

(Gez.)  vidi  Loeper. 

vidi  Stiebritz. 
vidi  Grade, 
vidi  Buchner. 
vidi  Franke. 
vidi  Krause. 
vidi  Bromme. 
vidi  Hoffmann. 
(Ein  Name  ganz  unleserlich.) 


13.   Actuin,  Halle  in  der  Kirche  zu  Unserer  Lieben 
Frauen?  den  5.  July  1764. 

Als  der  abgehende  Organist  Herr  Bach  am  3.  Huj. 
zu  mir?  dem  Vbrsteher;  gekommen  und  um  die  Bezahlung 
des  Restes  seiner  Besoldung  der  35  Thlr.  bis  Trinitatis  h.  a. 
und  der  Wohnungs-Gelder  auf  das  Quartal  von  Ostern  bis 
Joh.  mit  6  Thlr.  gebeten7  ich  aber  ihm  vermeldet,  wie 
Collegium  weiter  nieht  als  bis  zum  12.  May  1764  als  den 
Tag  seiner  resignation  die  Bezahlung  thun  zu  lassen  re- 
solviret,  als  von  welcher  Zeit  er  der  Kirche  keine  Dienste 
weiter  gethan,  ferner  auch  die  Trauungs-Grelder  und  das 
Ellinge-Sacks-Geld  in  der  Buchse  auf  der  Orgel  vom  12,  May 
bis  Trinitatis  urgiret,  ich  aber  aus  obgemeldeter  Ursaoh© 


—    867    — 

ihm  sein  Suchen  ohne  des  WohllobL  Kirchen-Collegii  Ge- 
nehmigung,  dehne  erstlich  davon  referiren  wolle?  nicht 
accidiren  konnte. 

Demnachst  er  auch  die  bei  seinem  Antritte  1746  naeh 
einer  unterschriebenen  Specification  erhaltenen  musica- 
lischen  Instruinenta  gehorig  abliefern  musse,  so  wurde  von 
mir  mit  ihm  die  Abrede  genominen,  solches  heute  Nach- 
mittags  3  Uhr  nach  geendigter  Naehmittags-Predigt  zu  be- 
werkstelligen,  und  er  auch  darzu  willig  gewesen7  zum  vor- 
aus  aber  angezeiget,  dass  bey  dem  Empfang  1746  eine 
Zinke  erfehlet,  welches  er  auch  dem  damaligen  Hrn.  Vor- 
steher  Lie.  Beckern  verraeldet,  und  auszustreichengebethen, 
welches  aber  nicht  erfolget;  ich  aber  dieses  Vorgeben  nicht 
zugestanden?  ich  bin  darauf  auch  heuteNachmittags  3Uhr  anf 
die  Orgel  gegangen,  und  habe  des  Hrn.  OrganistenBaehen 
daselbst  erwartet,  und  nach  einer  Verweilung  meine  An- 
wesenheit  in  der  Kirche  nach  seinem  Logic  durch  einen 
Kirchen-Knaben  wissen  lassen,  zur  Antwoii  aber  erhalten? 
er  sey  nicht  zu  Hause?  weil  er  nun  nicht  gekommen  und 
Montag  mir  gesagt,  dass  Hr.  Bach  zu  Mittage  auf  ein  an 
ihn  geschrieben  Billet  von  ihm  die  Schliissel  verlanget,  er 
aber  ihm  nicht  gesandt,  als  welche  vorhin  der  Herr  Con- 
sistorial-Rath  Rambach  durch  den  Kirchhiiter  Wend  ten 
vom  Hrn.  Bachen  hohlen  und  nachher  ihra  Montag  solche 
behandigen  lassen,  habe  inGegenwart  desGustodi  Karbaum 
und  des  Calcanten  Montag  den  Schrank,  worinnen  die 
Instrumente  vei-wahrlich  durch  Montag  aufschliessen  und 
zur  Durchsehung  Stuck  vor  Stuck  mir  vorlegen  lassen 
und  als  solche  mit  der  Specification  eontestiret  hat  sich 
befunden. 

Verzeichniss  der  Musicalisch. 
Kirch.-Instrument  d.  d. 

28.  July  1746. 
1.  Ein  paar  Pauken  nebst 

Kloppem     „  —  „  —  „     sind  vorhanden,  nebst  Leder- 

Decke  auf  die  Pauken* 


368    — 


2,  Drey  neue  Trompeten,  so 
an.  1743  angeschafft —  „ 

3.  Eine  alte  Trompete  und 
noch  eine  altere  „  —  „ 

4  Ein  Regal   „  — .  „  —  „ 


5.  Ein  alter  unbrauchbarer 
Violon     —„—„—„ 

6.  Drey  Zinken  —  „  —  „ 

7.  Drey  Posaunen    „  —  n 

8.  Sechs  Violinen     „  —  „ 

9.  Zwei    Violen,    darunter 
eine  unbrauchbar  „  — 


10.  Zwey  Floten  _  „  —  „ 

11.  Ein    Schalmeyen  -  Bass , 
hierza  kommt  noch 

12.  Ein  guter  Contra- Violon 
weleher  aus  der  Kirche 
Aerario    auf  Hr.   Bach 
Anrath    zum    Grebrauch 
den  15.  April  1751  gekauft 


sind  vorhanden. 

itzt  noch  1  gute  und  2  alte 
vorhanden. 

dieses  ist  den  14.  Februar 
1757  mit  Grenehmigung  des 
Kirchen-Collegiij  weil  esnicht 
mehrzugebrauchen  yerkanft, 
und  von  mir  in  Eechnungs- 
Einnahme  gebracht. 

ist  noch  vorhanden  auf  der 
obern  Brieche  bey  der  Orgel. 
hiervon  sind  2  st.  nur  vor- 
handen und  fehlet  1  stuck. 
2  st.  vorhanden  und  fehlet 
1  stuck. 

sind  vorhanden ,  aber  an 
Saiten  mangelhaft. 

sind   vorhanden^    bey   einer 

aber  fehlet  der  Fiedel-Bogen* 

Diese  wiirden  auch  Pratzsche 

genannt. 

ist  1  st.  vorhanden  und  fehlet 

1  st. 

ist  vorhanden. 


ist  vorhanden,  fehlen  aber 
darauf  Sayten,  und  daher 
wieder  zu  beziehen. 


—    369    — 

Bey  weiterer  visitirung  des  Schrankes  hat  sich  dar- 
innen   niehts  mehr   gefunden,    und  sind  daranf  alle   vor- 
handene  Instrumente  durch  Montagen  wieder  in  Schrank 
verwahrlich  gebracht  und  verschlossen,  die  Pauken  No.  1. 
und  No.  5.  ein  alter  unbrauchbarer  Violon  aber  an  ihrern 
Orthe    gelassen   und    der    franzosische  Schliissel   nachdem 
vorher  5  andere  Schliissel  an  1  Bunde,  als 
1  Schliissel  zurn  Chore. 
1  st.  zur  Thtire  und  Behaltnisse?  worm  der  Schrank 

init  den  Instrumenten  befindlich. 
1  st.  ZUIQ  Schranke  der  Instrumente. 
1  st.  zur  Thiire  auf  die  Brioche  hinter  der  Kanzel 

nach  der  kleinen  OrgeL 
1  st.    welcher  zur  Thure    auf   die   kleine  Brieche 

bey  der  Orgel  gehore? 

in  das  Schrankchen?  in  der  Orgel  geleget,  zu  mir  genommen 
worden.     Actuna  ut  supra. 

J.  Bromme. 


Bitter,  Emanuel  nnd  Frie4^naan  Bacli*  H.  24 


370    — 


Briefe  Friedemann  Bach's. 

1.          HochEdelgebohrner 
HochgeEhrtester  Herr, 

Da  die  vielen  Verrichtungen  Ew.  HochEdelgeb.  an 
eine  Antwort  nicht  haben  denken  lassen,  will  nicht  zwei- 
feln;  Es  ergeht  als  hierdurch  eine  giitige  Erinnerung  in- 
dem  bewusster  Hr.  Heinrich  Andreas  Cuntius  vor  denen 
Ferien  hier  wiederum  eintreffen  wird,  urn  Rechenschaft  von 
meiner  ausgerichteten  Commission  ablegen  zu  konnen.  In 
Erwartung  einer  baldigsten  Resolution  -and  Antwort  habe 
die  Ehre?  nebst  Anwiinschung  vergniigter  Ferien  mich  zu 
nennen 

HochEdelgebohrener 

HochgeEhrtester  Herr 

Dero 

Halle  ergebener  Diener 

den  20.  Febr.  W.  E.  Bach. 

1749. 


2.          Hochedelgebohrner 
HochgeEhrtester  Herr? 

Der  Herr  .Concertmeister  Grraun,  den  icb  als  meinen 
ehemaligen  Meister  auf  der  Violine  noch  jetzo  yeneriere^ 
hat  auf  Ew.  HochEdelgeb.  Ordre  mit  Zizziehung  meines 
Vaters  in  Leipzig  einen  tuchtigen  Meister  Nahmens 
Cuntium  von  hieraus  zu  einern  neuen  Orgel  Ban  in  Vor- 
schlag  bringen  miissen.  Ohngeachtet  nun  die  Sache  ver- 
schiedene  mahl  sehr  pressant  gemaeht  worden,  so  ist  gleich- 
wohl  die  letzte  absolution  zu  einer  Abreise  von  hier  ans- 
geblieben.  Ich  habe  also  p.  Commission  bey  Ew.  Hoch- 
Edelgeb. anzufragen?  ob  wie  zu  vermuthen?  ein  anderes  re- 


—    371    — 

solviert  worden  ?  wann  dem  also,  so  habe  nur  ineklen  sollen, 
dass  erwehnter  Herr  Cuntius,  so  bestandig  -wegen  seiner 
Geschicklichkeit  rait  yieler  Arbeit  uberhauft,  gleich  wonl 
auf  meines  Vaters  Sckreiben,  so  sich  selbst  fiber  die  ge- 
gebene  und  hernach  ins  Stocken  gerathene  Commission  oft 
genug  verwundern  konnen?  eine  Reise  nach  Leipzig  thun 
und  folgl.  alle  Arbeit  indess  damahle  bey  Seite  legen 
miissen,  mn  wegen  der  neuen  Orgel  genauere  Abrede  zu 
nehmen,  ihr  Gutachten,  Einriehtung  und  zu  forderndes 
Preisses  einander  zu  comnmnieiren,  wie  auch  die  von  dem 
Frankfurther  Organist  nacli  Leipzig  uberrnachte  zwar  sehr 
ungescbickt  abgefasste  Disposition  der  neuen  Orgel  zu  re- 
flectiren.  Ich  habe  ingleichen  nielden  und  bitten  sollen, 
dass  man  Herr  Cuntio  wenigatens  wie  billig  die  dainah- 
lige  Reise  und  versaumte  Arbeit  bonificiren  u.  die  2  Louis- 
d'or  nur  an  niieh,  wie  bey  komniende  hinterlassne  Com- 
mission ausweisst,  gittigst  zu  addressieren,  da  er  auswarts 
in  einem  Orgelbau  begriffen.  Ick  liabe  iudessen  in  Er- 
wartung  einer  baldigsten  Antwort,  die  Ehre  mich  nennen 
zu  durfen 

Co  minis  so  ri  a:    Beifolgendes 

vSchreiben  habe  dem  Herrn  Gevat-         HockEdelgebohrner 
ter  Dir.  Bach  in  memer  Abwesen-      HochgeEnrtester  Herr 
belt  giitigst  zu  besorgen,  und  die-  ^ 

weil  die  10  Kthl.  als  meinen  or-  -Lyero 

Ktten  Schaden  in  meinem  Nahmen          egebenster  Diener 
in  Empfang  zu  nehmen  hinterlas-        Bach  Direct.  Music, 
sen  wollen. 

Halle,  den  22.  Nov.  1749. 
Gottfried  Heinrich  Cuntins. 

Halle  den  1.  December  1749. 


—    372    — 


3.       Allerdurchlauchtigste  Ohurfurstin, 
Gnadigste  Frau! 

Ew.  Konigl.  Hoheit  lege  Ich  hiernit  ein  Concert  von 
meiner  eigenen  Ausarbeitung  zu  Dero  Fiissen  in  tiefster 
Unterthanigkeit  nieder.  Ich  habe  inich  wegen  dieser 
Dreistigkeit  bey  mir  selbst  vorgefordert,  und  ausser  der 
Schuldigkeit  naeinem  Vaterlande  und  dessen  hohen  Be- 
herrschern  von  der  Anwendung  nieines  Talents  vorztiglich 
Rechenschaft  zu  geben,  nocli  andere  Beweggrunde  gefunden, 
die  mich  angetrieben  haben?  diese  kiihne  Anerbietung  an 
Ew.  KonigL  Hojieit  zu  wagen.  Dahin  gehort  fur  allem 
andern  die  Ueberzeugung,  die  ich  von  Ew.  Konigl.  Ho  lie  it 
erhabenen  Einsichten  in  die  Tonkunst  eheroals  in  Dresden  zn 
erhalten  das  sehatzbare  Grltick  genoss;  als  ein  gewisser,  da- 
mahls  bey  dem  am  Churfurstl.  Sachscn.  Hofe  stehenden 
russischen  Gesandten  Herrn  Grafen  von  Kay ser ling  be- 
findlicher  iunger  Menscli;  Nahmens  Goldberg^  die  hohe 
Gnade  hatte?  eine  Probe  von  seiner  in  der  Music  unter 
meiner  Anfuhrung  erlangten  Fertigkeit  abzulegen. 

Ich  fuhre  die  besonderen  tTmstande  dieses  fur  mich 
so  gliicklichen  Vorfalls  sonderlieh  des wegen  an,  weil  sie 
mir  zugleich  die  seltene  Gelegenheit  verschafften,  die  prac- 
tischen  Fahigkeiten  Ew.  Konigl.  HoLeit  in  der  Sing- 
kunst  aus  einem  naheren  Gesichtspunkte  zu  bewundern 
und  weil  sie  mich  gegenwartig  noch  in  der  siissen  Hoff- 
nung  starken?  dass  HochstDieselben  mit  einem  gnadigen 
Blick  auf  diesen  kleinen  Versuch  herabsehen  werden^  den 
ich  einer  so  grossen  Gonnerin  der  Tonkunst  als  ein  Ver- 
ehrer  der  Music  ?  und  als  sin  Zeichen  meiner  schuldigen 
Ehrfurcht  darbringe. 


-  373  - 

In  Erwartung  dieser  unverdienten  hohen  Gnade,  u.  in 
inbriinstiger  Anwiinschmg  aller  gottlichen  Segnungen  fiber 
Dero  theuerste  hohe  Person  u.  iibrige  Konigl  Pamiiie 
werde  ich  lebenslang  in  tiefster  Unterthanigkeit  verknen 

Ew.  Konigl.  Hoheit 

Halle  in  Sachsen 
den  29.  Juli 

1767. 

ganz  imtcrtbanigster  Diener 

(cigenhandig)  Wilhelm  Friedemann  Bach, 
Ew.Ckitel.DuK-hl.Dero  (eigeilliand}g.) 

Herr  Sohn  weulca  usu'li  cler  v    &  °  ; 

giosscn  Fabigkeit  in  cler  Music  von  Ew.  Hochfnrstl.  Durchl.  dem 

das  sebi  practicable  Concert  Landgrafen  zu  He^eu-Dai'mslatt 

sehr  gut  voiliagen  kdnnen.      ^^^  ^w®  Oapell 

Meister. 
UB.  aus  dem  Konigl.  Archive  zu  Dresden. 


—    374    — 


4.  Hochedelgebohrner, 

Insonders  Hochzuehrender  Herr! 

Da   Hr.  Schonfeld   mit   seinen  Eleven  ver- 

fe"  gangenen   Sommer   nach    Strassburg    gereist    ist; 

hj  So    muss    nunmehr    selbst    die    Feder    ergreifen, 

8  und  2  Kirchen-Stiicke ?  2  Pedal -Stiicke  von  mei- 

p  nem  Vater,  ein  Concert  von  mir?  hieher  an  mich 

•  zu  schicken,  hierdurch  ergebenst  bitten.    Sollten 

^  ohne  mein  Wissen  Hr.  Schonfeld  an  Ew.  Hoch- 

2.  edelgeb.    noch    in    meinem    Nahmen    Music^   & 

^  tibergesandt  haben,  so  bitte  mir  selbige  gleijj  ^ 

p  aus,  indem  uberflussige  Zeit  zu  decopiren  g\   i* 

|  sen  ist.  Was  inachen  die  Methwurste?  MachenJ    -d 

y  an  Hr.  Frid.  mein  Compliment  und  erinnern  Sel- 

^  bigen   ohnmassgebl.    auch    an    den    gutigst    ver- 

»  sprochepen  Wurst-Artikel.    Grenug  ich  verspreche 

^  mir  nachstens  was  von  Gottinger  Wiirsten. 
J%  In  Erwartung  einer  baldigsten   Antwort  bin 

I"  nebst  gehorsamer  Empfehlung  an   das    heiniische 

§      Haus 

^  Ew.  Hochedelgeb. 

ergebenster  Diener 

Bach. 
Berlin,  den  V.  Febr.  75. 

Ich  logire  auf  der  Neu-Stadt  in 
der  letzten  Strasse  in  Fr.  Wagnerin 
Hause. 

A  Monsieur 
Monsieur  Forckel? 
Musicien  fort  habile 

Grottingen. 


-   375 


5.        Hochedelgebohrner 

HoehgeEhrtester  Herr  Music -Direcktor! 

Ew.  HochEdelgeb.  danke  ergebenst  vor  die  durch 
Herrn  Pfeiffer  richtig  erhaltene  Wiirste.  1st  denn  die 
Fran  Hofrathin  Heine  todt,  wie  man  mich  berichtigt  hat? 

Ich  nehme  mir  die  Freyheit  beykomrnendes  Avertisse- 
ment  zu  uberschicken?  nebst  gehorsanister  Bitte,  solches 
durch  die  Zeitung  oder  andre  Art  bestmoglichst  bekannt 
zu  machen. 

Ew.  HochEdelgeb.  werden  mich  ilbrigens  sehr  ver- 
bindlich  macheB,  wenn  Dieselben  auf  Derer  Music-Lieb- 
haber  Anfrage  zu  attendiren  die  Grewogenheit  vor  mir 
haben  wollten,  der  ich  mich  zu  alien  Gegendiensten  erbiete, 
und  mit  aller  ersinnlichen  Hochachtung  bin 

Ew.  HochEdelgeb. 

ergebenster  Diener 

Back 

Berlin,  den  16.  Marz  1776, 
Ich  wohne  bey  der  Laufbriicke  bey 
R  Coraissaire  Dunokel  2  Treppen 
hoch. 


376    — 


Text  der  Cantate 


zur 


Greburtstagsfeier  Friedrich's  II. 


No.  1.    Siufonie. 

No.  2.    Recitativ  rait  Accompagnement 

(Preussen.) 

0  Hiinmel,  sclione,  schone!    Ziirnest  clu? 
Welch'  Well  .erschutt&rt  meiue  Ruh! 
""  Era^Sgstlich  furchtbar  Zittern 
Durchschauert  meine  Brust.    So  stiirzt  auf  mich 
Hit  Wuthen  de&  Ungliicks  wilde  Flutli  herab. 
Fern  In  der  Zukunft  droht 
Die  halbe  Welt,  mir  nie  gefiihlte  Fesseln  anzulegen. 

No.  3.    Arie. 

Oeffnet,  ofEhet  den  glubenden  Racbeo, 
Erbebet,  ihr  donnernden  Liifte  mit  Kracben, 
Kebrt  Menscben  und  Wobnung  in  schreeklichen  Gratis. 
Ibr  Volker,  seid  grausam  verbeeret, 
Wallt,  blutige  StrdmeT  zerstoret, 
Breitet  durch  Flammen  Verwlistung  aus. 

No.  4.    Recitativ. 

(Oesterreich.) 

Der  Waffen  rauscbendes  Getose 
Verwirrt  die  Welt  durcb  micb. 
Wobl  denn!    Yor  ihrem  Heere 
Trotzt  grausam  das  Entsetzen  bier* 
Des  matten  Feindes  Ohnmacbt 
Set  Frankreicb  ein  bereiteter  Triumph. 
Er  miisse  seine  Lander  fliebn, 
Und  Scblesien  sei  traser  Raub. 

(Scblesien.) 

Icb.  und  die  Eiminel  miissen 
In  ode  Klumpen  zeitriimmern. 
Recht  und  Religion  wurd7  in  den  Ewigkeiten 
Ein  leerer  Klangf  ein  Nicbts, 


—     377     — 


No.  5.    Arie. 

Blunt  noch  Hoffnung  zum  Erretten, 
Vorsicht,  so  zerbricli  die  Ketten, 
Die  fur  mich  der  Hoehinuth  schlagt. 
Senke  dich  mit  Huld  hernieder, 
Zeig'  ihn  mir  ira  Lorbeer  wieder, 
Ihn,  der  deine  Blitze  tragt. 

No.  6.     Sinfonie. 

No.  7.    Recitativ. 

Er  siegt,  dein  Held,  clein  Konig! 

Wirf,  treues  Schlesien,  das  Denkmal  deiner  Noth 

In  die  verzehiende  Vergessenheit. 

Auf,  sieh5  mit  himmlischem  Entziicken 

In  jene  wundervolle  Scene, 

Wo  Friedrich  kampft^  und  Heil  dem  grossten  Held, 

Den  Stolz  der  Nationen  darnpft. 

Dort  streitet  er  und  schlagtl 

Er  kommt  und  iiberwindet  sie. 

Sein  Heer  begleiten  meine  Scbrecken, 

In  schnellem  Laufe  fitichten  sie. 

No.  8.    Duo. 
Erster  Sopran. 

Was  meines  Namens  Ehre  scbiitzt, 
Das  hat  Gott  getban! 

Zweiter  Sopran. 
Was  meinei;  Wohlfahrt  Dauer  stiitzt, 
Das  hat  Friedrich's  Muth  gethan. 

Beide. 

Mit  meiner  Tapferkeit  geriistet, 
Stiirz'  er  den  Feind,  der  sieh  gebriistet, 
Und  dringe  zu  des  Friedens  Bahn. 

No.  9.    Becitativ. 

Monarch,  der  Keiche  Lust,  der  Weiseste,  der  Sieger, 

Der  Jabre  Wunder,  meine  Zunge  stammelt, 

Wenn  sie  dicb  wiirdig  loben  will. 

Heut  wallt  die  Freude  festlicb  durch  die  Brust, 

So  wie  an  jenem  Tag  der  Woimen, 

Da,  grosser  Friedrich,  dich  des  Hnnmels  Gabe, 

Der  Lander  Wunsch  begliickt  empfing. 

Herr,  da  sich  heut  zu  deinem  Throne 

Der  treusten  Sehnsueht  feurig  Opfer  naht, 

Bitter,  Emamiel  und  Frledemarun  Bach,    U  25 


~    878    — 

So  hore  du,  der  Musen  Leben, 
Den  lauten  Zuruf  meiner  Sohne! 

No.  10.    Chor. 

Heut  jauchzet  in  Jubel,  harmonische  Tone, 
Es  lebe  der  Konig,  es  bliihe  sein  Haus. 
Friedrich  lebe,  den  Landern  zum  Floi% 
So  werden  die  gottlichen  Eechte  gedeihen, 
So  konnen  schou  gliickliche  Burger  sich  freuen, 
So  pranget  die  Welsheit  und  steiget  empor. 


Diuck  von  Lieblieit  &  Thiesen  in  Berlin,  Alte  Leipzigerstr.  19.20. 


Druckfeller, 


Seite  12  Zeile  7  statt  silberner  klarer  lies;  silberklarer, 
„   14  „  33  statt  bei  ihrer  lies;  1st  bei  ihrer, 
„   57  „  11  statt  in  unisono  lies:  1m  unisono. 
„   75 1st  die  Zeile  3  beendete  Klammer  bis  Zeile  5  zu  dem  forte: 

angehorigen  anszndelmen, 
„   94  Zeile  23  statt  650  lies:  680, 
„  114  in  der  Anmerkung  statt  Knanckling  lies:  EraDcklin?, 
„  141  Zeile  2  statt  hat  lies:  hatte, 
„   „    „    8  statt  ZE  denen  lies:  zu  den  Tonsetzern, 
„  148  „  12  statt  tormanto  lies:  tormeito, 
„  161  „    8  statt  Anhang  I.  lies:  Anhang  E 
„  179  „  17  statt  zascheint  lies:  zu  sein  scheint 


108160